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Zu den Folgen der Globalisierung für die nationalen Güter-, Finanz-und Arbeitsmärkte | APuZ 33-34/1997 | bpb.de

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APuZ 33-34/1997 Globalisierung -Begriff und grundlegende Annahmen Wirtschaft und Staat im Zeitalter der Globalisierung. Von nationalen Volkswirtschaften zur globalisierten Weltwirtschaft Zu den Folgen der Globalisierung für die nationalen Güter-, Finanz-und Arbeitsmärkte Globalisierung und wohlfahrtsstaatliche Aufgaben

Zu den Folgen der Globalisierung für die nationalen Güter-, Finanz-und Arbeitsmärkte

Rudolf Welzmüller

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Zentrales Moment für die seit den achtziger Jahren verstärkte internationale Einbindung nationaler Märkte war das politische Konzept der Deregulierung der Handelsbeziehungen, der Finanz-und auch der Arbeitsmärkte. In der Europäischen Union spielte die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes eine herausragende Rolle; auf Weltmarktebene kam dem Abschluß der GATT-Verhandlungen eine wichtige Signalfunktion zu. Politische Forderungen nach sozialen und ökologischen Mindeststandards blieben bei diesen Liberalisierungs-und Deregulierungsmaßnahmen unbeachtet. Auf den Gütermärkten haben sich in der Folge die schon vorhandenen internationalen Tauschbeziehungen intensiviert, wobei insbesondere der intra-sektorale Handelsaustausch und der Intra-Unternehmenshandel sprunghaft an Bedeutung gewonnen haben. In bisher nicht gekannter Weise wurden die Dienstleistungen in die internationalen Handels-und Investitionsströme einbezogen. Es waren und sind aber vor allem die Finanzmärkte, die in den vergangenen Jahren zu weltweiten Märkten geworden sind. Damit tauchten neue Probleme der währungs-und geldpolitischen Steuerung auf. Die Arbeitsmärkte sind sowohl durch die politisch gewollte vertiefte Integration der EU-Mitgliedsländer (Programm zur Vollendung des Binnenmarktes von 1993) und durch die neue politische und ökonomische Ausgangslage nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Wirtschaftssystems als auch durch die veränderten internationalen Handels-und Direktinvestitionsströme sowie neue kommunikationstechnische Gegebenheiten betroffen worden.

L Vorbemerkungen

Globale Märkte sind Güter-, Dienstleistungs-, Finanz-und auch Arbeitsmärkte, die ohne wesentliche Schranken und Kosten von anderen Ländern aus zugänglich sind. Die vertiefte Integration ehemals abgegrenzter oder geschützter Märkte in den internationalen Produktions-und Tauschzusammenhang verläuft deshalb vor allem über den Abbau von Regelungen sowie die Durchsetzung von technischen und ökonomischen Entwicklungen, die die Kosten des Warenaustausches bzw.der internationalen Investitionstätigkeit senken Für grenzübergreifend agierende Unternehmen bedeutet dies, daß sie ihre Funktion (Produktion, Absatz, Beschaffung, Finanzbeziehungen, ansatzweise auch Forschung und Entwicklung) in den internationalen Rahmen integrieren, und daß sie die Chancen der einzelnen Märkte im internationalen Zusammenhang nutzen

Dieser Prozeß ist nicht völlig neu. Als der größte bundesdeutsche Elektrokonzern SIEMENS im vergangenen Jahrhundert gegründet wurde, hat er sofort Auslandsniederlassungen auch in Rußland, England und Österreich eröffnet. Doch das waren reine Handelsniederlassungen. Sie dienten der Internationalisierung des Warenaustausches, der ersten Stufe, in der sich die Internationalisierung zeigte. Es gab noch kaum Produktionsstandorte jenseits der nationalen Grenzen. Das hat sich mittlerweile erheblich verändert. Seit Anfang der achtziger Jahre gibt es einen neuen Schub in der Internationalisierung der Märkte und der Aktivitäten multinationaler Unternehmen.

II. Deregulierung und Beseitigung von Marktschranken

Voraussetzung für intensivere internationale Wirtschaftsbeziehungen ist die Beseitigung von Handelsschranken und von Regelungen zum Schutz nationaler Märkte. Der dafür geprägte Begriff der „de-regulation“ wurde in den achtziger Jahren -zunächst in den USA und in Großbritannien -zum politischen Kampfbegriff. Die Deregulierung war und ist ein politisches Konzept, das sich sowohl auf die internationalen Handelsbeziehungen als auch auf die Bereiche der nationalen Arbeitsmärkte, der sozialen Sicherung und vor allem auf die Finanzmärkte bezieht. In der Europäischen Union (EU) spielte diesbezüglich die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes eine herausragende Rolle: Mit diesem kam es zu „grundsätzlichen ordnungspolitischen Neuorientierungen“ Es galt nun das Prinzip, daß Güter, die in einem Mitgliedstaat zum Handel zugelassen sind, grundsätzlich auch in allen anderen Mitgliedsländern verkehrsfähig und daher zuzulassen seien. Neu erfaßt wurde vor allem der Handel mit Dienstleistungen, insbesondere jener von Verkehrs-und Finanzdienstleistungen. 1990 trat in Europa die völlige Liberalisierung des Kapitalverkehrs in Kraft. Hinzu kamen und kommen noch (mit dem Wegfall des Monopols auf die Sprachübermittlung) die Informations-und Telekommunikationsdienstleistungen. Der Druck ging hier vom internationalen Wettbewerb (USA), aber auch von jenen Ländern aus, die in Europa vorgeprescht waren (Großbritannien, Niederlande). Liberalisiert wurden schließlich auch die öffentlichen Beschaffungsmärkte. Aufträge von Kommunen, Ländern oder dem Bund müssen (mit geringen Einschränkungen) generell für Firmen aus allen EU-Ländern zugänglich gemacht werden. Das betraf zunächst die Bereiche des Bausektors und die Lieferanten von Investitionsgütern, hinzu kamen später die Bereiche Wasser, Energie, Verkehr und Telekommunikation. Da diese öffentlichen Beschaffungsaufträge sich immerhin auf 15 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) summieren liegt die wirtschaftliche und auch beschäftigungspolitische Bedeutung auf der Hand.

Es wird weitergehen mit der Öffnung der nationalen Bahnnetze für Verkehrsangebote aus anderen EU-Staaten und dem Wegfall der Gebietsmonopole für die leitungsgebundenen Energieträger Erdgas und Elektrizität. Schließlich wird es auch dazu kommen, daß soziale Dienste (Gesundheits-, Pflegebereich, Bildungs-und Qualifizierungsbereich etc.), die nicht voll verstaatlicht sind, privatwirtschaftlich organisiert werden Das Konzept des Europäischen Binnenmarktes war und ist ein historisches Deregulierungsprogramm -mit all den Konsequenzen für die ehemals nationalen Märkte.

Auch wenn diese auf die Weltmarktregion Europa bezogenen Deregulierungen besonders dominant für die bundesdeutschen nationalen Märkte waren, so muß doch der Abbau von Handels-und Investitionsschranken auf der Ebene der Welthandelsorganisationen (GATT: General Agreement on Tariffs and Trade, jetzt WTO: World Trade Organization) hinzugenommen werden. Nationale Subventionspolitik, staatliche Beschaffungspraktiken, aber auch Reglementierungen im Dienstleistungssektor und bei den ausländischen Investitionen (Direktinvestitionen) wurden im Sinne der Erleichterung des allgemeinen Marktzugangs zurückgedrängt. Allein 1991 und 1992 kam es in jeweils rund 80 Ländern zu liberalisierten Investitionsregelungen

Bei all diesen Liberalisierungs-und Deregulierungsmaßnahmen blieben die politischen Forderungen nach sozialen und ökologischen Mindeststandards weitgehend unbeachtet. So haben diese im wesentlichen von den ökonomischen Interessen bestimmten Neuregelungen den Charakter der nationalen Märkte, also sowohl der Güter-und Dienstleistungsmärkte als auch der Arbeits-und vor allem der Finanzmärkte, erheblich verändert.

III. Wirkungen auf die Gütermärkte

Die Entwicklung des Welthandels hat sich in den vergangenen Jahren rein quantitativ gesehen nicht dramatisch verändert. „Die Relation Welthandel/Welt-Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat sich seit den frühen achtziger Jahren kaum verändert; sie liegt bei gut 20 v. H.“ Der deutsche Exportanteil an den Weltexporten bewegte sich zwischen 11 und 12 Prozent. Allerdings ist der preisbereinigte (reale) Außenhandelsanteil „zwischen 1980 und 1993 um rund 30 v. H.“ gestiegen. „In realen Größen ist also eine nachhaltige, seit Mitte der achtziger Jahre recht kontinuierliche Internationalisierung zu verzeichnen.“

Dieser Handel konzentriert sich in hohem Maße auf einzelne Weltmarktregionen, wie die EU, die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA), die Südamerikanische Handelsunion (MERCOSUR) u. a. „Quantitativ kann man mit Sicherheit annehmen, daß von den 4 875 Mrd. US-$Umsatz des Welthandels im Jahr 1995 mehr als die Hälfte kein eigentlicher , Welthandel'war, sondern Regionalhandel unter Präferenzverträgen. Nach spärlichen Angaben, welche die WTO im März 1996 machte, beläuft sich der Binnenhandel der EU auf zwei Drittel des gesamten EU-Handels, in der NAFTA auf 50 Prozent und im MERCOSUR auf 20 Prozent. Das allein addiert sich schon nahe an die Hälfte des Welthandels heran. Die Regeln für diesen Handel werden nicht in Genf gemacht, sondern in Brüssel, Washington und anderswo.“

In dieser regionalen Orientierung des Handels spiegelt sich auch die Tatsache, daß die Unternehmen im Verlauf der achtziger Jahre ihre Produktion und Märkte neu organisiert haben. Flexible Produktionssysteme, Lean Production, neue Hersteller-und Zuliefererbeziehungen, kundennahe Produktgestaltung und Serviceorientierung sind einige der zentralen Stichpunkte für diese neuen Ansätze. Die transnationalen Unternehmen haben sich insbesondere innerhalb der jeweiligen Weltmarktregionen Produktions-und Beschaffungsnetzwerke aufgebaut.

Innerhalb dieser regionalen Wirtschaftsräume kam es bereits in den achtziger Jahren zum Abbau von Handelshemmnissen. Auf der Ebene des Welthandels hingegen brachte erst der Abschluß der GATT-Verhandlungen im Dezember 1993 in der sogenannten Uruguay-Runde erhebliche Neuerungen im Sinne von Zollsenkungen. „Über 40 v. H.des Industriegüterhandels erfolgen künftig zollfrei.“ Ferner sind vor allem im Dienstleistungsbereich und bei den Investitionen Marktöffnungen und Liberalisierungen beschlossen worden Erst in jüngster Zeit kann man also davon sprechen, daß auch die weltweiten Handelsbedingungen stärker liberalisiert wurden. Nach wie vor haben jedoch die regionalen Wirtschaftsräume eine größere Bedeutung und dämpfen damit die Wirkung der von der WTO angestoßenen Reform der Welthandelsordnung

Die Bundesrepublik Deutschland hatte und hat am Zuwachs des Welthandels kräftigen Anteil. Der hohe Exportüberschuß belegt, daß die Wirtschaft der BRD von dieser Form der Globalisierung, nämlich der Internationalisierung des Handels, erheblich profitiert. Typisch ist dabei, daß sich der Außenhandel Deutschlands vor allem auf die EU bezieht. „Im deutschen Außenhandel kann man eher von einer nachhaltigen Europäisierung als von einer Globalisierung sprechen.“ Auch hier dominiert also der regionale Einzugsbereich.

Gleichwohl kam es trotz dieser Fortsetzung schon bekannter Tendenzen zu neuen bzw. intensivierten Entwicklungen bei der internationalen Ausrichtung der Gütermärkte. Zum einen ging der wachsende Außenhandel einher mit einem Anstieg der internationalen Produktionsverflechtung; zum anderen hat sich der Handel verstärkt auf den Austausch innerhalb derselben Industrie (intrasektoraler bzw. intraindustrieller Handel) konzentriert: Also nicht der Tausch von beispielsweise Autos gegen Schuhe (inter-sektoraler Handel), sondern der Tausch von Autos gegen Autos (intrasektoraler Handel) bzw. von Motorblöcken gegen Lichtmaschinen -also Teilen der Autoproduktion -hat im (regionalisierten) internationalen Handel an Bedeutung gewonnen. Auf diese Weise hat sich mit der fortschreitenden Integration der Wirtschaftsräume zugleich die Arbeitsteilung zwischen den Regionen und innerhalb der Branchen (über Produktdifferenzierung) weiter ausgefächert. Es ist das Typische dieser Art des Handels, daß er den beteiligten Ländern ihre jeweiligen Branchen beläßt, aber zur ständigen Anpassung der Produktpalette und der Wertschöpfungskette führt. Der Anteil des intra-sektoralen Handels am gesamten Handel ist in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit von 1970 bis 1990 von 55, 8 auf 72, 2 Prozent gestiegen

Eng verbunden mit dieser Tendenz zum intra-sektoralen Handel ist die Zunahme des Handelsaustausches innerhalb desselben transnationalen Unternehmens (sogenannter Intra-Unternehmens-Handel). Darin spiegelt sich die Politik der Unternehmen, an unterschiedlichen Standorten je spezifische Teile des gesamten Wertschöpfungsprozesses zu produzieren und sie zur Endproduktion über Zulieferungen bereitzustellen. In der Statistik erscheint dies als „Handel“, der aber letztlich innerhalb desselben Konzernverbundes betrieben wird. Da die Grundlagen für diese Art des internen Handels durch Direktinvestitionen geschaffen werden, kann gesagt werden, daß in der „heutigen globalisierten Wirtschaft ... Direktinvestitionen ein Instrument des internationalen Handels“ sind Es wird geschätzt, daß mittlerweile etwa ein Drittel des Welthandels konzerninterne Transaktionen sind, die aus der arbeitsteiligen Organisation internationaler Unternehmensaktivitäten resultieren. In Japan „entfällt rund die Hälfte des internationalen Handels im Elektronik-und Automobilbereich auf konzerninterne Transaktionen“

Behauptet wird aber auch ein Wachstum des Handels mit Vorprodukten im Zusammenhang mit der Strategie der globalen Beschaffung (global sourcing). Auch dieser Vorgang ist nicht so neu, wie er in der Tagesdiskussion dargestellt wird. Schon 1986 hat die Weltbank grafisch das differenzierte internationale Beschaffungsnetz dargestellt, das FORD zur Produktion des FORD ESCORT EUROPA aufgebaut hatte. Die Beispiele lassen sich aktualisieren: „Der neue Polo von VW, obwohl in Wolfsburg montiert, kommt zu mehr als der Hälfte aus dem Ausland. Die Liste der Lieferländer reicht von Tschechien über Italien, Spanien und Frankreich bis zu Mexiko und den USA. Toyota produziert bereits mehr in Übersee als in Japan, und umgekehrt würde die amerikanische Autoindustrie zusammenbrechen, wenn sie auf die Zulieferung japanischer Hersteller verzichten müßte.“ Ähnliches wird auch von Unternehmen anderer Branchen berichtet Doch daß diese einzelnen Fälle zugleich einen Trend der gesamten Volkswirtschaft bzw. Branche widerspiegeln -diese These läßt sich von den empirischen Untersuchungen (noch) nicht bestätigen: „In der empirischen Analyse konnte nur eine mäßige Zunahme des global sourcing festgestellt werden ... Jene . globalen 1 Sektoren, welche oft im Zusammenhang mit global sourcing genannt werden (Automobil-, Elektro-, Textil-und Bekleidungsindustrie, Maschinen-und Anlagenbau), heben sich nicht besonders ... ab.“ Allerdings betrifft diese Aussage nur den Zeitraum bis 1990. Seither kann sich die globale Beschaffungspolitik durchaus stärker verallgemeinert haben. Nach einer Hochrechnung der Universität Osnabrück -der allerdings methodische Mängel vorgeworfen werden -wird geschätzt, daß im Zeitraum 1988 bis 1994 der Anteil importierter Vorleistungen an den gesamten Vorleistungen von 22, 5 auf 28, 8 Prozent gestiegen ist

Hinzu kommt schließlich, daß bisher im internationalen Geschäft nicht gehandelte Produkte, nämlich Dienstleistungen, verstärkt in den Internationalisierungsprozeß einbezogen worden sind. Dabei handelt es sich vor allem um unternehmensb 5 auf 28, 8 Prozent gestiegen ist 19.

Hinzu kommt schließlich, daß bisher im internationalen Geschäft nicht gehandelte Produkte, nämlich Dienstleistungen, verstärkt in den Internationalisierungsprozeß einbezogen worden sind. Dabei handelt es sich vor allem um unternehmensbezogene Dienstleistungen (Service, Transport, Kommunikation, Banken, Versicherungen). Das zeigt, daß die Internationalisierung der Produktion auch die Internationalisierung der Dienstleistungen stimuliert. Wichtige technologische und handelspolitische Vorbedingungen waren und sind zum einen die Durchsetzung der Informations-und Kommunikationsindustrie und zum anderen der Abbau nationaler Marktbarrieren. Kapitalintensive Dienstleistungsbereiche wie die Telekommunikation und die Luftfahrt sind Beispiele dafür, wie der Abbau von Regulierungen Hand in Hand ging mit der Auswirkung internationaler Aktivitäten. Diese nahmen in den Dienstleistungsbereichen -insbesondere im Banken-ZVersicherungswesen -vor allem die Form der Direktinvestitionen an. Denn dies ist für die nicht direkt handelbaren Dienstleistungen der Weg der Markterschließung. 1995 entfielen 51 Prozent der gesamten bundesdeutschen Direktinvestitionen auf den Bereich Dienstleistungen; 60 Prozent des deutschen Kapitalbestandes im Ausland wurden von Dienstleistungsunterneh­ men gehalten 20. Von den bundesdeutschen Direktinvestitionen weisen der Finanz-und Versicherungssektor die höchsten Zuwachsraten auf 21. Die Weltbank vermutet auch künftig bei den Dienstleistungen ein besonders hohes Internationalisiemngspotential.

IV. Wirkungen auf die Finanzmärkte

„Finanzbewegungen lassen sich unter den heutigen und künftigen technischen und organisatorischen Bedingungen ... nicht mehr kontrollieren bzw. nach ihrer Bindung an realwirtschaftliche Vorgänge separieren. “

Hans Tietmeyer, Präsident der Deutschen Bundesbank (Handelsblatt, 17. Juli 1996).

Es sind vor allem die Finanzmärkte, die im Verlauf der letzten 25 Jahre zu weltweiten („globalen“) Märkten geworden sind. Hier zeigt sich in der Tat eine neue Entwicklung, die jedoch schon weit älter als die aktuelle Diskussion über Globalisierung ist. Zum einen spiegelt sich in den Finanzmärkten die monetäre Seite des oben bereits genannten Zuwachses des Austausches von Waren und Dienstleistungen (Ex-/Import). Devisengeschäfte und darauf aufbauende Finanzsicherungsgeschäfte expandieren mit den Warengeschäften. Hinzu kommen die Finanz-und Kapitalströme, die im Zusammenhang mit dem Transfer von Finanzkapital für Direktinvestitionen stehen. „Die §umme der im Kreis der G-5-Länder (USA, Japan, BR Deutschland, Frankreich, Großbritannien) geleisteten und empfangenen Direktinvestitionen steigerte sich von 136, 7 Mrd. US-$im Jahr 1982 um rund 370 Prozent auf 640, 2 Mrd. US-$im Jahr 1990. In der Folge büßte dieser Prozeß unter dem Einfluß der Weltkonjunktur erheblich an Dynamik ein: ... 1993 belief sich dieser Betrag auf 622, 0 Mrd. US-$.“ 22 Schließlich aber werden in einem bisher ungekannten Maße die internationalen Finanzmärkte als Anlegefelder der professionellen Vermögens-anleger (Investmentfonds, Pensionskassen) und privaten Geldvermögensbesitzer genutzt. Deren quantitative Bedeutung zeigt sich daran, daß von den durchschnittlichen täglichen Devisenmarktgeschäften von 1 400 Mrd. US-$nur etwa rund 15 Prozent auf den Export/Import und langfristigen Kapitalfluß zurückzuführen sind Vor allem die Entwicklung dieses Bereiches führte zu den Thesen von der Entkoppelung der Finanzmärkte von den realen Produktionsmärkten und von der Entstehung des „Kasino-Kapitalismus“ Demgegenüber wird eingewandt, daß die Ursachen der genannten Aufblähung des Finanzmarktes vor allem im instabilen System der flexiblen Wechselkurse, steigenden Verschuldungsquoten und in institutioneilen Änderungen des Finanzmarktes liegen

Die Finanzmärkte waren lange Zeit klassische nationale Märkte. Denn sie wurden definiert über die nationale Währung, die zudem in einem System fester Wechselkurse fixiert und durch verschiedene Regulierungen geschützt war -wobei natürlich immer schon die Devisenmärkte als internationale Märkte existierten. Diese Struktur änderte sich grundlegend mit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen (1973). Die Finanzmärkte bekamen dadurch einen neuen Schub. Denn Wechselkursschwankungen und Zinsdifferenzen zwischen den einzelnen nationalen Währungen schufen neue Risiken und Chancen für die Anleger. So hat sich mit den flexiblen Wechselkursen die Tendenz verstärkt, das anzulegende Vermögen nach Währungsräumen aufzusplitten. Kurs-und Zinssicherungsgeschäfte gewannen an Bedeutung. Diese wurden zunächst und vor allem von soge-nannten professionellen Marktteilnehmern getätigt: So haben Exporteure und Importeure sich in verschiedenster Form durch Devisentermingeschäfte gegen Wechselkursschwankungen gesichert. Insbesondere Banken und Großanleger haben Zinsdifferenzen zwischen den nationalen Währungen zu Geschäften genutzt (Zinsarbitragegeschäfte). „Ein beachtlicher Teil der empirisch beobachteten , Aufblähung'monetärer Aggregate dürfte ... (diesen Geschäften, R. W.) ... geschuldet sein, die in keiner Weise für die Ökonomie ein Problem darstellen.“

Zudem entwickelten sich vor dem Hintergrund flexibler Wechselkurse und zunehmend liberalisierter Finanzmärkte in den achtziger Jahren vielfältige und völlig neue Finanzmarktaktivitäten, die mittlerweile unter dem Begriff „Finanzderivate“ zusammengefaßt werden. Im Grunde geht es bei den Derivaten um Geschäfte, die ursprünglich und zunächst mit dem Ziel der Absicherung von Risiken bei der Zinsentwicklung, bei den Währungskursen und bei Preisbewegungen (insbesondere bei Rohstoffen, aber auch bei zahlreichen Produkten der Gütermärkte) getätigt werden. Allerdings schaffen sich diese Geschäfte ihre eigene Dynamik und ihr eigenes Wachstumspotential, da die genannten Risikosicherungsgeschäfte ihrerseits wieder eine Reihe von Absicherungsgeschäften nach sich ziehen. Begünstigt wird dies dadurch, daß Finanzderivate nur einen geringen Geldeinsatz erfordern. Optionen und Terminkontrakte kosten nur Bruchteile des Preises, der für „normale“ Geschäfte, etwa mit Aktien oder Devisen, zu zahlen ist. Wenn beispielsweise ein Aktienwert an einem Tag von 840 auf 850 DM steigt, dann springt die Option auf dieselbe Aktie von vielleicht 40 auf 50 DM. Gewinn: 25 Prozent in 24 Stunden. Der hinter dieser Option stehende Wert der Aktie macht also ein Vielfaches des Optionspreises aus.

Auf diese Weise wirken die Finanzderivate wie ein Hebel. Sie „bewegen“ mit relativ wenig Einsatz ein Vielfaches an Wert. „Von derivativen Märkten ausgehende Preisbewegungen können sich deshalb sehr rasch ausbreiten und entsprechende Preisausschläge ... verstärken.“ Dieses Problem der soge-nannten „Volatilität“ -so werden die kurzfristigen Preisschwankungen auf Geld-/Wertpapier-/Devisenmärkten genannt -steht auch im Mittelpunkt der Kritik an den Finanzderivaten. Denn anscheinend wirken Finanzderivate nicht nur „marktkonform“, indem sie helfen, Risiken zu minimieren und den Finanzmarkt zu effektivieren. Vielmehr bewirken sie Preisausschläge, die zu volkswirtschaftlicher Fehllenkung des Geldkapitals und zu Kettenreaktionen bei monetären Krisen führen können. Da auf diesen Märkten vor allem internationale institutioneile Anleger (Investfonds, Pensionsfonds, Versicherungen etc.) aktiv sind, führt dies dazu, „daß im Ausland auftretende Preisfluktuationen verstärkt auch auf die inländischen Märkte ausstrahlen ... Die Auswirkungen der engen internationalen Verflechtung zeigen sich insbesondere in der Übertragung von kurzfristigen Preisbewegungen ... die in den letzten Jahren tendenziell zugenommen hat... ,“ Auf diese Weise beeinträchtigen die Finanzderivate auch die Steuerungsfähigkeit der nationalen Geldpolitik.

Aber auch die nationale Wechselkurspolitik wird durch die rein finanzwirtschaftlichen Transaktionen erschwert: Ein grundlegender Unterschied zwischen Finanzmärkten und den Märkten für Realkapital (i. S. von Produktionsanlagen) liegt in den wesentlich kürzeren Entscheidungszeiträumen: „Ausländisches Kapital fließt rasch in Finanzaktiva, die einen kurzfristigen Gewinn versprechen; mit der Rentabilität der zugrundeliegenden Realvermögenswerte muß dieser gar nichts zu tun haben.“ So führen beispielsweise von den-Finanzmärkten veranlaßte Aufwertungen von Währungen zu realwirtschaftlichen Konsequenzen, wie etwa Arbeitsplatzverlust, Produktionsumstrukturierung etc., die von dauerhafterer Bedeutung als die Finanzbewegung sind. Die Signale, die von den Finanzbewegungen auf gesamtwirtschaftlich wichtige Größen wie die Wechselkurse ausgehen, entsprechen also nicht oder nicht immer den tatsächlichen realwirtschaftlichen Verhältnissen und führen damit zu Fehllenkungen mit erheblichen negativen sozialen Folgen.

Der quantitative Umfang der Geschäfte mit den neuen Finanzderivaten hat sich in den achtziger Jahren geradezu explosionsartig ausgedehnt Dieser Prozeß ist ungebrochen: „Die Zahl der an organisierten Börsen gehandelten Finanzterminkontrakte und Optionen erhöhte sich 1994 um 45 Prozent. Der Anstieg erfolgte größtenteils im ersten Halbjahr; er wurde durch die zunehmende Volatilität der Anleihe-und Aktienmärkte ausgelöst. Zwar ist es möglich, daß die Hebelwirkung der Derivate die Preisschwankungen auf den Geld-, Wertpapier-und Devisenmärkten zeitweise noch verstärkt hat, aber die börsengehandelten Derivate trugen offenbar auch dazu bei, den Märkten zusätzliche Liquidität zu verschaffen.“ 1993 wurden auf den Märkten für derivative Finanzinstrumente 16, 2 Billionen US-$bewegt -7, 8 Billionen auf Börsenebene, 8, 4 Billionen auf außerbörslicher Ebene Das entspricht etwa dem Bruttosozialprodukt der EG-Länder und der USA zusammen. Die rasche Entfaltung der Finanzmärkte brachte aber auch neue institutioneile Verhältnisse mit sich: Mit der Integration von vorher getrennten Bank-und Versicherungsgeschäften hat sich die Präsenz der Finanzinstitute auf den internationalen Märkten verstärkt. Andererseits ist die Bedeutung der Investmentfonds und von sonstigen professionellen Anlegern gewachsen. Diese sind heute die Verwalter und „Mehrer“ des Geldvermögens Privater und auch von Pensions-und Rentenfonds. Zudem ist zu beobachten, daß die Rolle der Banken als Kreditgeber sich insofern verringert hat, als in wachsendem Maße die großen Unternehmen und Institutionen selbst auf den internationalen Finanzmärkten aktiv werden. Sie beschaffen sich ihre langfristigen Finanzmittel in wachsendem Maße direkt (über Anleihen) auf dem Kapitalmarkt Mit den Veränderungen . auf dem weltweiten Finanzmarkt sind zugleich die Gefahren für den „Zusammenbruch von Schuldnern mit der Konsequenz des Reißens von Kreditketten und kumulativen Prozessen gestiegen“ Deshalb sind Forderungen nach internationaler Regulierung und nach Besteuerung der grenzübergreifenden Finanzmarktgeschäfte (Tobin-Steuer) ein wichtiger politischer Ansatz, um die sozialen und politischen Risiken internationalisierter Finanzmärkte zu beschränken.

V. Wirkungen auf die Arbeitsmärkte

Auch die Arbeitsmärkte sind von der Globalisierung betroffen. Die politisch gewollte vertiefte Integration der EU-Mitgliedsländer (Programm zur Vollendung des Binnenmarktes von 1993), die neue politische und ökonomische Ausgangstage nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder, aber auch veränderte internationale Handels-und Direktinvestitionsströme und neue kommunikationstechnische Gegebenheiten haben entsprechende Wirkungen hinterlassen. Zwischen den EU-Ländern ist zum 1. Januar 1993 die Freizügigkeit für Arbeitskräfte verwirklicht worden -für die sechs Gründerstaaten war diese schon seit 1968 weitgehend Realität. In der Theorie wird davon ausgegangen, daß bei der Schaffung eines gemeinsamen Marktes -wie es in der EU geschah -das wirtschaftliche Ergebnis sich dann erhöht, wenn Arbeitskräfte dorthin abwandern, wo die Produktivität und damit das erzielbare Einkommen am höchsten sind. Verblüffend an den realen Entwicklungen der Zu-und Abwanderung von Arbeitskräften zwischen den Mitgliedsländern der EU ist, daß die zunächst vermuteten Beschleunigungen der Ortswechsel von Arbeitskräften nicht eingetreten sind. „Betrachtet man die Entwicklung der Beschäftigung von ausländischen EG-Angehörigen in den Mitgliedstaaten, dann wird man im letzten Jahrzehnt eher einen Rückgang feststellen. Dies gilt vor allem für die EG-Länder, die in größerem Umfang EG-Bürger beschäftigen wie Frankreich oder Deutschland.“

Obgleich die Lohnunterschiede zwischen den ärmeren südlichen und den reicheren nördlichen EU-Ländern im Durchschnitt etwa bei 1: 4 liegen, „wandern verhältnismäßig wenig Arbeitskräfte aus den Mittelmeerländern ab, obwohl es für sie dank der Freizügigkeitsregelung formal leicht möglich wäre“ Es sind eben nicht die reinen Lohnunterschiede, die eine Abwanderung bewirken: „Für Wanderungsmotive wichtig ist nicht nur, ob das Verdienstniveau oberhalb einer Armutsgrenze liegt, sondern auch die relative Höhe dieses Einkommensniveaus im Herkunftsland. Erzielt man ein den dortigen Verhältnissen entsprechendes gesellschaftlich akzeptables Einkommen ..., dann müssen die Verdienstmöglichkeiten im Ziel-land (oder andere Wanderungsvorteile) schon erheblich sein, um zu einem Verlassen des eigenen Landes zu bewegen.“ Es spricht nicht viel dafür, daß sich die EU-internen Zu-und Abwanderungsbewegungen mit der Vollendung der Europäischen Währungsunion wesentlich verändern werden. Denn die bestehenden wirtschaftlichen Unterschiede in den Ländern der EU sind -trotz der genannten erheblichen regionalen Differenzen -kein Grund für eine höhere Mobilität. Allerdings ändert sich anscheinend die Qualifikationsstruktur der abwandernden Arbeitskräfte: Am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich, daß der Anteil von Fach-und Führungskräften aus EU-Ländern wächst. „Während die Beschäftigung von EU-Arbeitnehmern insgesamt zurückgegangen ist, ist die Anzahl der Arbeitnehmer mit Fachhochschul/Hochschulabschluß kontinuierlich gestiegen.“

Gleichwohl gibt es auch innerhalb der EU-Länder spezielle Zuwanderungsformen, mit denen die Unternehmen bestehende Lohnunterschiede nutzen: Damit sind vor allem sogenannte Werkvertragsarbeitnehmer aus EU-Ländern gemeint, die insbesondere im Bausektor tätig sind. Nach Schätzungen der Bauindustrie und der Industriegewerkschaft Bau gab es 1996 etwa 180 000 Arbeitskräfte -insbesondere aus Portugal, Irland und England -dieser Kategorie. Auf diese Weise kommt es in der Regel zu Lohnunterbietungen (Sozialdumping), die nur in seltenen Fällen bei Arbeitsmarktkontrollen entdeckt und unterbunden werden Mittlerweile -nach heftigen politischen Konflikten -ist gesetzlich vorgeschrieben, daß Löhne und bestimmte Arbeitsbedingungen auch für jene Arbeitnehmer zwingend gelten, die von ausländischen Arbeitgebern in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt werden. Dies gilt für die im Baubereich (einschließlich der damit verbundenen Handwerksbereiche) Beschäftigten -allerdings nur bis zum 1. September 1999

Nun haben insbesondere die radikalen politischen Veränderungen in Europa seit Anfang der neunziger Jahre schlagartig das drastische ökonomische Gefälle zwischen West-und MitteL/Osteuropa sichtbar gemacht. Die politischen Schranken sind weggefallen -die Frage der Arbeitskräftezuwanderung aus diesen Ländern ist in den Vordergrund gerückt. Es gab Schätzungen -und weit überzogene Szenarien -zu den möglichen Zuwanderungsströmen. Zutreffend ist, daß es einen objektiven Zuwanderungsdruck aus den mittel-/osteuropäischen Ländern gibt Für jene Länder, die zum Kandidatenkreis für eine erste Osterweiterung der EU zählen -Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien -, wird das Potential der jährlichen Zuwanderung in den gesamten EU-Raum auf 340 000 bis 680 000 geschätzt. Nimmt man Bulgarien, Rumänien, Estland, Lettland und Litauen hinzu, „könnte sich das Potential auf knapp 1, 2 Millionen erhöhen“ Da die EU-Länder dieses Potential durch politische Regulierung eingedämmt haben, sind die tatsächlichen Zuwanderungsströme gering. Zum einen gibt es seit 1974 in allen EU-Ländern einen Zuwanderungsstopp für Nicht-EU-Personen. „Um den Zuwanderungsdruck zu mildern, illegale Wanderungen zu verringern und zugleich den Reformländern bei ihrem Umstrukturierungsprozeß zu helfen“ wurden über bilaterale Abkommen befristete Zuwanderungsmöglichkeiten geschaffen: So wurde ein Status für jene geschaffen, die „zur Verbesserung ihrer beruflichen Bildung“ für ein bis eineinhalb Jahre im Zuwanderungsland bleiben; daneben sind „Saisonarbeiter“ zugelassen, die jedoch nur im Bereich der Landwirtschaft, der Elotels und Gaststätten Arbeitserlaubnis erhalten; schließlich gibt es sogenannte „Werkvertragsarbeitnehmer“. Die Zahl letzterer belief sich 1996 in der Bundesrepublik Deutschland auf rund 46 000 -etwa 20 000 davon waren im Bausektor tätig. Die Industriegewerkschaft Bau schätzt, daß zu dieser Zahl noch etwa 30 000 bis 50 000 illegal tätige Arbeitnehmer dieser Kategorie hinzuzuzählen sind. Daneben waren 198 000 Personen als Saisonarbeiter 1996 beschäftigt -die überwiegende Mehrheit in der Landwirtschaft.

Die statistisch belegbaren Entwicklungen sind folglich weniger dramatisch, als sie gemeinhin in der öffentlichen Diskussion dargestellt werden Doch: Es ist die Möglichkeit, durch billigere Arbeitskräfte ersetzt werden zu können, die faktisch als Lohndruck erpresserisch genutzt und von den Betroffenen als ständige Bedrohung wahrgenommen wird. Darin liegt ein wichtiger Effekt des Näherrückens vormals abgeschotteter Arbeitsmärkte, wie vor allem am Beispiel des Bausektors in Berlin studiert werden kann.

Die Arbeitsmärkte werden nicht nur durch grenzüberschreitende Zu-und Abwanderungsströme, sondern auch durch den „normalen“ Handel, durch die Internationalisierung der Unternehmen und durch Veränderungen in der Informationsund Kommunikationstechnik beeinflußt: In der klassischen Theorie des Außenhandels sind die Produkte (und auch das Finanzkapital) mobil, nicht aber die Arbeitskräfte. Allerdings wirken Umfang und vor allem das Spezialisierungsmuster des Warenhandels (sind die gehandelten Produkte vor allem rohstoffintensiv, arbeitsintensiv oder kapitalintensiv?) auf den inländischen Arbeitsmarkt zurück. So führte die Liberalisierung der Märkte und das Vordringen neuer Anbieter generell zu einem verstärkten Druck auf arbeitsintensive Produktionen und die dort beschäftigten Arbeitskräfte. Typisch für den bundesdeutschen Warenaustausch ist jedoch -wie oben gezeigt -der intra-industrielle Handel. Teilelemente der gesamten Wertschöpfungskette der betroffenen Branchen werden und wurden durch die Intensivierung des intra-industriellen Handels umstrukturiert, und es wird auch an neuen Standorten gefertigt. Diese Art des intra-sektoralen Struktur-wandels geht zum einen kontinuierlich vor sich, ist aber andererseits in dem Sinne begrenzt, daß er bestimmte Produktions-und Tätigkeitsabschnitte, nicht aber das gesamte Endprodukt umfaßt. Davon sind vor allem jene Arbeitnehmer betroffen, die in arbeitsintensiven Bereichen arbeiten und standardisierte Tätigkeiten (darunter zunehmend auch Dienstleistungen) ausführen. Da diese Arbeiten auf gleich hoher Produktivität, aber zu niedrigeren Preisen auch anderswo gemacht werden können, verstärkt sich der Preiswettbewerb mit der Folge von Teilauslagerung.

Hier setzt die These an, daß die hochindustrialisierten Länder zwar per Saldo und generell aus dem Handel profitieren -der dauerhafte Exportüberschuß der Bundesrepublik Deutschland bestätigt dies -, der Handelsaustausch jedoch dazu tendiert, die ökonomische Lücke zwischen qualifizierten Arbeitskräften und den Un-und Angelernten zu vergrößern. Der Vorteil, den die hochindustrialisierten Länder aus dem Handel ziehen, werde ungleich verteilt -nicht zur zwischen Kapital und Arbeit, sondern auch zwischen qualifizierten und nichtqualifizierten Arbeitskräften

Diese Art der Umstrukturierung entlang der Wertschöpfungskette spielt sich häufig innerhalb der grenzübergreifend aktiven Unternehmen ab und steht damit in Zusammenhang mit dem wachsenden Intra-Firmen-Handel. Weltweit sind nach Untersuchungen des Internationalen Arbeitsamtes (ILO) rund 70 Millionen Beschäftigte (das entspricht drei Prozent der weltweiten Arbeitskräfte) in transnationalen Unternehmen tätig, davon 30 Millionen im Ausland. Betrachtet man nur die Industrieländer und schließt die Landwirtschaft aus, dann liegt der Anteil der in transnationalen Unternehmen tätigen Arbeitskräfte bei rund einem Fünftel. Für die BRD gilt, daß der Anteil der in Auslandsgesellschaften bundesdeutscher Unternehmen tätigen Personen bei rund 29 Prozent der Beschäftigten der Verarbeitenden Industrie liegt

Völlig neu ist, daß mit der Informations-und Kommunikationstechnik (IuK-Technik) die bisher räumlich und zeitlich getrennten Arbeitsbereiche miteinander vernetzt werden. So hat beispielsweise der Automobilhersteller FORD seine Entwicklungs-und Konstruktionsbüros in den verschiedenen Ländern miteinander verkoppelt Entwickler in Köln und Ingenieure im Hauptquartier des Konzerns in den USA arbeiten gemeinsam an Entwürfen, während sie vor Computern in ihren jeweiligen Heimatbüros sitzen. Die Produktentwicklung kann somit über Tele-Engineering simultan, arbeitsteilig und räumlich ungebunden stattfinden. Das ist nicht nur auf Entwicklungsund Konstruktionsarbeiten beschränkt, wie andere Praxisbeispiele zeigen. Neben der Software-Entwicklung von Siemens in Indien sind vor allem auch die Verlagerungen der Buchungssysteme von

Lufthansa und Swissair nach Indien markante Beispiele. Vormals als nicht internationalisierbar angesehene Tätigkeiten, wie vor allem Dienstleistungen, werden nun über die IuK-Technik unmittelbar in den weltweiten Austausch einbezogen. Das hat Konsequenzen: Bis vor nicht allzu langer Zeit war es üblich, daß dort, wo konstruiert wird, auch gefertigt wird. Künftig muß dies keineswegs mehr so sein. Verlagerungen von Arbeitsplätzen werden differenzierter und beziehen sich auf bestimmte Abschnitte von Arbeits-und Tätigkeitsbereichen, die im internationalen Netzverbund anderswo genauso gut, aber billiger erledigt werden können. Die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verschärft sich.

Die rein örtliche Trennung wird also unerheblich, da die IuK-Technik die direkte arbeitsorganisatorische und so auch die soziale Verknüpfung über Wirtschaftsräume hinweg ermöglicht. Damit wandeln sich die Arbeitsmärkte. Auch wenn diese neue Form informationstechnisch weltweit verknüpfter Arbeitsplätze heute noch nicht so bedeutend ist, muß sie ernst genommen werden, da von ihr erhebliche Rückwirkungen auf die sozialen Standards der Beschäftigten ausgehen werden. Nicht nur aus diesem Grunde wird die Frage der Sicherung sozialer Mindestrechte und -Standards in den nächsten Jahren verstärkt in den Mittelpunkt der Globalisierungsdiskussion rücken.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Hans-Hagen Härtel/Rolf Jungnickel u. a., Grenzüberschreitende Produktion und Strukturwandel. Globalisierung der deutschen Wirtschaft, Baden-Baden 1996, S. 39.

  2. Vgl. Harald Germann/Bert Rürup/Martin Setzer, Globalisierung der Wirtschaft: Begriffe, Bereiche, Indikatoren, in: Ulrich Steger (Hrsg.), Globalisierung der Wirtschaft. Konsequenzen für Arbeit, Technik und Umwelt, Berlin 1996, S. 21.

  3. Jens van Scherpenberg, Ordnungspolitische Konflikte im Binnenmarkt, in: Markus Jachtenfuchs/Beate Kohler-Koch (Hrsg.), Europäische Integration, Opladen 1996, S. 353.

  4. Vgl. ebd.

  5. Vgl. Stephan Leibfried, Wohlfahrtstaatliche Perspektiven der Europäischen Union, in: M. Jachtenfuchs/B. Kohler-Koch (Anm. 3), S. 467.

  6. Vgl. Sylvia Ostry, Neue Dimensionen des Marktzugangs: Herausforderungen für das Handelssystem, in: OECD Dokumente, Neue Dimensionen des Marktzugangs im Zeichen der wirtschaftlichen Globalisierung, Paris 1996, S. 31 ff., Tabelle 4, S. 91.

  7. H. -H. Härtel/R. Jungnickel u. a. (Anm. 1), S. 77, vgl. auch S. 42 f.

  8. Erich Rehyl, Freihandelszonen auf dem Vormarsch, in: Handelsblatt vom 5. Dezember 1996, S. 10.

  9. H. -H. Härtel/R. Jungnickel u. a. (Anm. 1), S. 63.

  10. Vgl. OECD-Dokumente, Neue Dimensionen des Marktzugangs im Zeichen der wirtschaftlichen Globalisierung, Paris 1996, S. 75.

  11. Vgl. Heribert Dieter, Bleibt der internationale Freihandel auf der Strecke? Regionale Wirtschaftskooperation oder Blockbildung, in: Internationale Politik, (1996) 6, S. 7 ff.

  12. H. -H. Härtel/R. Jungnickel u. a., S. 45.

  13. Vgl. Duncan Campbell, Regional Integration and Globalisation: Implication for Human Resources, Paris, Paper on the OECD-Conference, Vienna 24. /25th January 1994.

  14. Douglas C. Worth, Marktzugang in der globalen Wirtschaft, in: OECD-Dokumente (Anm. 10), S. 109.

  15. Ebd., S. 109; vgl. auch H. -H. Härtel/R. Jungnickel u. a. (Anm. 1), S. 50.

  16. Hans-Peter Martin/Harald Schumann, Die Globalisierungsfalle. Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand, Hamburg 1996, S. 33.

  17. So beispielsweise ASEA BROWN BOVERI (ABB), vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. Oktober 1994.

  18. H. -H. Härtel/R. Jungnickel u. a. (Anm. 1), S. 120.

  19. Zitiert in: ebd., S. 120.

  20. IFO-Institut für Wirtschaftsforschung, in: ifo-schnelldienst, 49(1996) 22, 8. 3.

  21. Vgl. Robert Guttmann, Die Transformation des Finanz-kapitals, in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 26 (1996) 2, S. 183.

  22. Susan Strange, Casino Capitalism, Oxford 1986; vgl. auch Elmar Altvater, Die Zukunft des Marktes, Münster 1992, S. 147; ders. /Birgit Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung, Münster 1996.

  23. Vgl. Hans-Jörg Herr, Globalisierung der Ökonomie: Entkoppelung der Geldsphäre und Ende nationaler Autonomie?, in: Wirtschaftspolitik im theoretischen Vakuum? Zur Pathologie der Politischen Ökonomie, Marburg 1996, S. 270.

  24. Ebd., S. 256.

  25. Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Oktober 1993, S. 61.

  26. Deutsche Bundesbank, Finanzmarktvolatilität und ihre Auswirkungen auf die Geldpolitik, Monatsbericht April 1996, S. 62 f.

  27. Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (künftig: BIZ), 65. Jahresbericht, Basel 1995, S. 211; siehe auch S. 156.

  28. Vgl. Dresdner Bank, Trends, Analysen und Prognosen der Dresdner Bank, März 1994, S. 8.

  29. BIZ (Anm. 29), S. 202 f.

  30. Vgl. ebd., S. 2.

  31. Vgl. Michael Heine/Hansjörg Herr, Money makes the World Go Round. Über die Verselbständigung der Geld-sphäre und andere Mißverständnisse, in: PROKLA, Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 26 (1996) 2, S. 208.

  32. Ebd., S. 220.

  33. Vgl. Peter Robson, The economics of international Integration, London 1987.

  34. Heinz Werner, Wirtschaftliche Integration und Arbeitskräftewanderungen: Das Beispiel Europa, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, (1994) 3, S. 233.

  35. Ebd., S. 235; vgl. auch: Europäische Kommission, Erster Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt 1996, Luxemburg 1996, S. 21.

  36. H. Werner (Anm. 36), S. 235.

  37. Ebd., S. 240.

  38. Vgl. Handelsblatt vom 20. März 1994.

  39. Vgl. Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen -Arbeitnehmer-Entsendegesetz -vom 26. Februar 1996.

  40. Vgl. Heinz Werner, Temporary Migration of Foreign Workers. Illustrated with Special Regard to East-West Migration, in: IAB-labour market research topics, No. 18, Nürnberg 1996, S. 23.

  41. Fritz Franzmeyer/Herbert Brücker, Europäische Union: Osterweiterung und Arbeitskräfteemigration, in: DIW-Wochenbericht, (1997) 5, S. 94.

  42. H. Werner (Anm. 36), S. 241.

  43. Vgl. Frauke Miera, Neue Polonia in Berlin?, in: WZB-Mitteilungen, (1997) 75, S. 20.

  44. Vgl. Adrian Wood, North-South Trade. Employment and Inequality, Oxford 1994, S. 5.

  45. Vgl. H. -H. Härtel/R. Jungnickel u. a. (Anm. 1), S. 48 ff.; Wirtschaftsdienst, (1996) VI, S. 310.

  46. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. September 1995; vgl. auch: Global Players an der Kölner Uni, in: markt + Wirtschaft, Mitteilungen der Industrie-und Handelskammer in Köln, (1997) 4, S. 9f.

Weitere Inhalte

Rudolf W e 1 z m ü 11 e r, Dr. rer. pol., geh. 1949; Studium der Wirtschaftswissenschaften in München und Frankfurt am Main; 1978-1989 wissenschaftlicher Referent am Wirtschafts-und sozialwissenschaftlichen Institut des DGB (WSI), Düsseldorf; seit 1989 Referent in der Abteilung Wirtschaft der IG Metall, Frankfurt am Main. Zahlreiche Veröffentlichungen zu wirtschafts-und verteilungspolitischen Themen.