Nach einem kurzen Abriß über die empirische Methode eines repräsentativen Panels -Mehr-Wellen-Befragung -schildert dieser Beitrag die Erfahrungen mit der Berufsausbildung von ostdeutschen und westdeutschen Jugendlichen, ihre beruflichen Vorstellungen und Perspektiven -einschließlich der Veränderungen im Ausbilduhgsverlauf -sowie ihren familiären Hintergrund. Bezogen auf die Ausbildung äußern sich ostdeutsche Jugendliche deutlich zufriedener als westdeutsche; dies gilt insbesondere für den betrieblichen Ausbildungsteil. Unabhängig vom Geschlecht sind drei Viertel der Befragten, was ihre nahe Zukunft angeht, am Ende der Ausbildung optimistisch und mit ihrem Leben überwiegend zufrieden. Trotz dieser insgesamt hohen Zufriedenheit werden eine Reihe von zum Teil erheblichen Problemen mit der betrieblichen und berufsschulischen Ausbildung benannt, die allerdings von den meisten nicht als störend empfunden und somit akzeptiert werden. Berufsausbildung und Berufsarbeit steht bei den ostdeutschen Befragten an vorderster Stelle ihrer Lebensplanung. Ein zeitweiser Rückzug aus dem Berufsleben oder Teilzeitarbeit kommt für sie weit weniger in Betracht als für westdeutsche Auszubildende. Während im, Osten am Ende der Ausbildung nur rund ein Viertel der Befragten erwägt, später eine Zeitlang nicht zu arbeiten, und nur die Hälfte eine Teilzeitstelle befürwortet, wird im Westen die Möglichkeit einer Arbeitsunterbrechung von mehr als der Hälfte und Teilzeitarbeit von zwei Dritteln der Auszubildenden in Betracht gezogen. Die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit, Familien-und Hausarbeit ist für ostdeutsche Jugendliche in diesem Zusammenhang eher selbstverständlich als für westdeutsche.
L Vorbemerkungen
Beim Bundesinstitut für Berufsbildung, Berlin (BIBB) wird derzeit eine mehrjährige Paneluntersuchung -Mehr-Wellen-Befragung -bei ostdeutschen Jugendlichen ausgewertet. Die Erhebung zielt auf die Analyse der Ausbildungsprobleme und -erfahrungen. Ermittelt werden aber auch Daten zu Befindlichkeit und zu normativen Strukturen der Jugendlichen Ein Vergleich mit westdeutschen Jugendlichen wird die Untersuchung abschließen. Im vorliegenden Beitrag werden einige zentrale Ergebnisse vorwiegend aus der dritten von insgesamt vier Erhebungswellen des Panels vorgelegt und in einer ersten Analyse mit Daten aus den früheren Wellen und mit einigen Befunden bei westdeutschen Jugendlichen -die Kontrollgruppe aus den alten Bundesländern umfaßt 777 Auszubildende -verglichen. Die Zahl der im Panel verbliebenen Befragten ist im Zeitraum von drei Jahren -wie vorauszusehen -stark gefallen, nämlich von 2007 beim Start 1992/93 auf 696 bei der dritten Erhebung. Die Zahl von 696 Antworten bei der dritten Befragungswelle im
Jahr 1995 reicht noch aus, um Befunde statistisch zu sichern. Die Panelmortalität, das heißt die Ausfallrate der Befragten im Verlauf des Panels, hat -so die Prüfung -keine nennenswerten Verzerrungen ergeben. Über diese Erhebung hinaus fanden 1996 Gruppendiskussionen mit den Jugendlichen statt, denen auch die Zitate im Text entstammen. 83 Prozent der befragten ostdeutschen Schulabgänger des Jahres 1992 hatten schon zum Zeitpunkt der (ersten) Befragung einen Ausbildungsplatz; 17 Prozent standen damals nicht in einer Berufsausbildung.
Der Anteil der Jugendlichen in Ausbildung ist bis zur dritten Welle 1995 nur noch geringfügig um 1, 6 Prozent gestiegen; der Prozentsatz der Schüler hat um 3, 6 Prozent abgenommen. Jugendliche sind nun wesentlich häufiger bereits in Arbeit. Von den rund 15 Prozent, die letztlich keine Berufsausbildung erwerben, hatten die meisten (rund 70 Prozent) von vornherein keine Lehre beabsichtigt. Zur Zeit der dritten Erhebung suchten 18 Prozent aller im Panel verbliebenen Unversorgten noch ernsthaft nach einer Ausbildungsstelle. Zirka 3, 6 Prozent der Jugendlichen, die eine Ausbildung begonnen hatten, haben die Ausbildung von sich aus abgebrochen; zirka zwei Prozent der Auszubildenden sind auch im dritten Ausbildungsjahr noch stark abbruchgefährdet; weitere 16 Prozent denken immerhin manchmal daran, die Ausbildung abzubrechen. Knapp ein Prozent waren nach der Probezeit entlassen worden, und 0, 6 Prozent hatten die Abschlußprüfung nicht bestanden. Wer vor Beginn der Ausbildung die Möglichkeit einer Berufsberatung wahrgenommen hatte, brach weniger oft die Ausbildung ab: 3, 5 Prozent -verglichen mit 7, 3 Prozent Abbrecheranteil unter den Jugendlichen, die nicht bei der Berufsberatung gewesen sind. Den Ausbildungsberuf gewechselt hatten 4, 1 Prozent der Auszubildenden, den Ausbildungsbetrieb dagegen mit 7, 8 Prozent doppelt so viele. Während die Berufswechsel im Westen der Bundesrepublik mit 4, 8 Prozent in derselben Größenordnung liegen, sind Betriebswechsel im Westen mit 11, 5 Prozent deutlich häufiger.
II. Berufswahl, Ausbildungs-und Lebenszufriedenheit ost-und westdeutscher Jugendlicher
Abbildung 7
Tabelle 2: Vergleich Ausbildung -Gymnasium in Ost und West* (in Prozent) Quelle: BIBB 1996.
Tabelle 2: Vergleich Ausbildung -Gymnasium in Ost und West* (in Prozent) Quelle: BIBB 1996.
1. Berufswahl im Rückblick 82 Prozent der ostdeutschen Auszubildenden würden eine Ausbildung wieder im selben Beruf aufnehmen wollen, elf Prozent in einem anderen. Fünf Prozent würden lieber weiter zur Schule gehen, der Rest möchte etwas anderes machen oder gleich arbeiten. Die Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf ist demnach hoch. Berufsausbildung scheint insgesamt geschätzt zu werden.
Diese Sicht wird relativiert durch die Antworten auf eine Frage zur Attraktivität der Berufsausbildung im Vergleich mit dem Besuch des Gymnasiums. Von den ostdeutschen Jugendlichen halten 59 Prozent die Berufsausbildung für mindestens gleichwertig; 36 Prozent schätzen sie sogar höher ein. Jungen (40 Prozent) sind häufiger der Meinung, die Berufsausbildung bringe ihnen mehr; von den Mädchen sagen dies nur 31 Prozent. Die Präferenz für eine Berufsausbildung wird hauptsächlich mit dem (rascheren) Verdienst begründet. Insbesondere die Jungen führen häufiger den Praxisbezug der Berufsausbildung als Grund der besonderen Wertschätzung einer Berufsausbildung an.
Vergleicht man die Antwortverteilung der Auszubildenden aus den neuen Bundesländern mit der aus der Erhebung der Kontrollgruppe von 777 Auszubildenden in den alten Bundesländern (ebenfalls im 3. Ausbildungsjahr), so ergibt sich:
Die Berufsausbildung wird in Ost und West gleichermaßen geschätzt. Das Gymnasium ist aber für die westdeutschen Auszubildenden vergleichsweise häufiger attraktiv als für die ostdeutschen. 2. Ausbildungszufriedenheit Auch im dritten Ausbildungsjahr sind ost-und westdeutsche Jugendliche mit der betrieblichen Ausbildung noch überwiegend zufrieden. In den neuen Bundesländern äußern sich 86 Prozent positiv, noch deutlich mehr als bei der Kontrollgruppe in den alten Bundesländern (75 Prozent). Abgesehen von einem leichten Rückgang der Zufriedenheit nach dem ersten Ausbildungsjahr (erstes Ausbildungsjahr: 91 Prozent; zweites Ausbildungsjahr: 86 Prozent) ist damit die Zufriedenheit bei den Auszubildenden in den neuen Bundesländern im Ausbildungsverlauf insgesamt stabil geblieben.
Auf die Frage: „ Wie empfinden Sie den Besuch der Berufsschule?" haben die Auszubildenden wie folgt geantwortet:70 Prozent der Jugendlichen in den neuen Bundesländern sind mit der Berufsschule (sehr) zufrieden. Das sind deutlich weniger als bei der betrieblichen Ausbildung. 7 Prozent fühlen sich von der Berufsschule überfordert, 10 Prozent dagegen unterfordert. Die große Mehrheit von 83 Prozent empfindet die Anforderungen in der Berufsschule als angemessen. Ungünstige Beurteilungen der Berufsschule sind auf Überforderung zurückzuführen. Unterforderung spielt statistisch keine Rolle. Nur 35 Prozent der Befragten beurteilen die Ausbildung im Betrieb und den Unterricht in der Berufsschule gleich gut bzw. schlecht. 3. Lebenszufriedenheit und Erwartungen Für die Messung von Lebenszufriedenheit und Erwartungen der ostdeutschen Jugendlichen ist eine sprachfreie Gesichterskala verwendet worden (vgl. die Tabellen 4 und 5): 78 Prozent aller in der dritten Welle -also 1995 - befragten Jugendlichen sind mit ihrem Leben -in Abstufungen -zufrieden. Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen bestehen hier nicht.
Drei Viertel aller befragten Jugendlichen (76 Prozent) sind, was ihre nahe Zukunft angeht -also für den Zeitraum der nächsten zirka zwei bis drei Jahre optimistisch.
Zwischen Mädchen und Jungen sind bezüglich der Erwartungen keine Unterschiede feststellbar. Dagegen bestehen deutliche Differenzen zwischen Jugendlichen in Berufsausbildung und Jugendlichen, die keine Berufsausbildung machen. Am optimistischsten sind Jugendliche in Berufsausbildung, gefolgt von Jugendlichen, die keine Ausbildungsstelle suchen, weil sie in der Regel zur Schule gehen bzw. studieren oder arbeiten. Am wenigsten hoffnungsvoll sind Jugendliche, die (immer noch) eine Lehrstelle suchen.
Die aktuelle Lebenszufriedenheit der Befragten wird vorrangig von folgenden Faktoren bestimmt: aktuelle Stimmungslage, Stimmung im Freundeskreis und in der Familie sowie Erwartungen für die nahe Zukunft. Eine Faktorenanalyse über eine Frage-Antwort-Batterie mit 14 Items -also 14 Elementen eines Fragebogens oder einer Skala -zu den persönlichen Zielen der Jugendlichen ergab fünf verschiedene Typen von Jugendlichen: -Arbeitsund Einkommensorientierte (Ziel: selbständige Arbeit mit großem Entscheidungsspielraum, interessante Arbeit, hohes Einkommen);
-Freizeitorientierte Genießer (viel Freizeit, viel genießen/angenehmes Leben);
-Konformisten (Anforderungen in Schule und Arbeit erfüllen, nicht aus der Reihe tanzen); -Jugendliche, die nach Macht und Einfluß streben(jeweils Macht haben/sich politisch betätigen wollen); -Altruisten (für andere Menschen da sein).
In welchem Umfang die Jugendlichen ihre persönlichen Ziele tatsächlich erreichen und inwieweit dies die Lebenszufriedenheit beeinflußt, kann erst nach Abschluß der Ausbildung ermittelt werden: Die schriftliche Nachbefragung der Panelteilnehmer nach dem Ausbildungsabschluß wird Hinweise dafür geben, inwieweit der von den Befragten hier formulierte Optimismus -hinsichtlich ihrer näheren Zukunft -eine reale Basis hatte.
III. Ausbildungsprobleme in den neuen Bundesländern
Abbildung 8
Tabelle 3: Zufriedenheit mit der Ausbildung in der Berufsschule (3. Welle Ost) Quelle: BIBB 1996.
Tabelle 3: Zufriedenheit mit der Ausbildung in der Berufsschule (3. Welle Ost) Quelle: BIBB 1996.
1. Bewertung der betrieblichen Ausbildung Auch wenn die Mehrzahl der befragten ostdeutschen Jugendlichen sowohl ihren Ausbildungsberuf als auch ihren Ausbildungsbetrieb noch einmal wählen würde, werden zum Teil erhebliche Probleme in der Ausbildung benannt, die jedoch von sehr vielen als gegeben akzeptiert werden. Die Kritik an der betrieblichen Ausbildung konzentriert sich bei den Befragten der neuen Bundesländer vorrangig auf die körperlich anstrengende Arbeit (über 50 Prozent gegenüber 20 Prozent bei Großbetrieben), autoritäre Entscheidungsstrukturen (36 Prozent) und auf das Problem von Über-stunden (zirka 40 Prozent), was bei den Jugendlichen den Eindruck entstehen läßt, als billige Arbeitskraft ausgenutzt zu werden.
Alle drei Kritikpunkte betreffen in erster Linie die Ausbildung in Klein-und Mittelbetrieben. Allerdings sehen die betreffenden Jugendlichen deutlich häufiger als Auszubildende in Großbetrieben eine Übernahmechance nach der Ausbildung. Während fast jeder zweite Auszubildende in Großbetrieben meint, nach der Ausbildung nicht übernommen zu werden, gilt dies für jeden fünften in Klein-und Mittelbetrieben. Noch deutlicher wird diese Situation bei der Auswertung der direkten Frage nach der Übernahmechance im Anschluß an die Ausbildung. Zirka 30 Prozent der Auszubildenden in Kleinbetrieben gehen von einer sicheren Übernahme nach der Ausbildung aus, in Mittelbetrieben sind es knapp 20 Prozent und in Großbetrieben unter 10 Prozent.
Differenziert nach der Art des Betriebes zeigt sich, daß die Auszubildenden im Handwerk von der höchsten beruflichen Planungssicherheit ausgehen können. Von einer sicheren bzw. wahrscheinlichen Übernahme gehen hier 66 Prozent aus, gefolgt von den Jugendlichen im Öffentlichen Dienst (58 Prozent), in den Freien Berufen (52 Prozent), im Handel (49 Prozent), bei den Privaten Dienstleistungen (46 Prozent); das Schlußlicht bildet die Industrie mit 43 Prozent. Vor diesem Hintergrund ist die mangelnde Übernahmechance für 57 Prozent der Auszubildenden in industriellen Großbetrieben das Hauptproblem in der Ausbildung, was auch von jedem Dritten als störend empfunden wird.
Bei einer geschlechtsspezifischen Betrachtung der Ausbildungsprobleme ergeben sich drei nennenswerte Abweichungen zwischen männlichen und weiblichen Auszubildenden. Während für die jungen Männer die Ausbildung mit 52 Prozent körperlich sehr anstrengend ist (Frauen: 36 Prozent), klagen die jungen Frauen mit 26 Prozent überproportional häufiger über die nervliche Anstrengung der Ausbildung; bei den jungen Männern sind es 15 Prozent. Eine ähnliche Diskrepanz zeigt sich auch bei den Übernahmechancen. Wesentlich mehr Frauen (40 Prozent) als Männer (30 Prozent) klagen über geringe Chancen, nach der Prüfung vom Ausbildungsbetrieb in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen zu werden. Dies ist bei den weiblichen Befragten der am häufigsten genannte Mangel in der betrieblichen Ausbildung, dabei macht den jungen Frauen (32 Prozent) im Vergleich zu den jungen Männern (25 Prozent) die Ausbildung häufiger richtig Spaß. '
Die mangelnde Abstimmung zwischen Betrieb und Berufsschule sowie das Gefühl, eine billige Arbeitskraft zu sein, wird dagegen von allen Auszubildenden unabhängig von der Betriebsgröße innerhalb der fünf häufigsten Kritikpunkte benannt, wenn auch mit jeweils unterschiedlicher Gewichtung. Analysiert man die von den Auszubildenden formulierten „Mißstände“ vor dem Hintergrund der Frage, wie störend sie dies jeweils empfinden, zeigt sich eine hohe Bereitschaft, Belastungen auf sich zu nehmen und negative Erfahrungen in der Ausbildung zu akzeptieren. Auffällig ist die hohe Bereitschaft, Belastungen -wie zum Beispiel körperliche Anstrengungen, Überstunden etc. -zu akzeptieren und diese nicht als störend zu empfinden. Als Störfaktoren werden in einem nennenswerten Umfang von den Auszubildenden in den neuen Bundesländern nur drei Mängel genannt: die Ausnutzung als billige Arbeitskraft (28 Prozent), die mangelnde Abstimmung zwisehen Betrieb und Berufsschule (23 Prozent) sowie die schlechten Übernahmechancen nach der Ausbildung (22 Prozent). Nur dort, wo die inhaltliche Qualifizierung selbst gefährdet ist oder aber die Jugendlichen ihre beruflichen Perspektiven bemängeln, wird die Ausbildungssituation als persönlich belastend empfunden.
Daraus erklärt sich auch der hohe Anteil von knapp 40 Prozent der Auszubildenden, die keine Verbesserungen in der gesamten Ausbildung für nötig halten. Verbessern bzw. erhöhen sollten sich allerdings nach Meinung der Befragten vorrangig die Bezahlung, der Praxisanteil, der Anteil von Eigenverantwortung und Kreativität an der Ausbildung, das Betriebsklima sowie die Organisation der Ausbildung, die gestrafft werden sollte.
Anzumerken ist, daß sich insbesondere die Auszubildenden in den Bereichen des Handwerks und der Privaten Dienstleistungen eine bessere Bezahlung wünschen. Diese Forderung steht bei ihnen mit weitem Abstand vor allen anderen genannten Verbesserungswünschen.
Bezogen auf die Inhalte im betrieblichen Ausbildungsteil monieren Auszubildende in den neuen Bundesländern -ähnlich wie Jugendliche in den alten Bundesländern -eine mangelnde Förderung der Kreativität (40 Prozent), der Kritikfähigkeit (38 Prozent), der Eigeninitiative (37 Prozent), bei gleichzeitig mangelnden Möglichkeiten der selbständigen Arbeit (32 Prozent) und des Umgangs mit modernen Technologien (43 Prozent). Klassische Arbeitstugenden -wie die Bereitschaft sich unterzuordnen, Pünktlichkeit, Disziplin, Ordnungssinn etc. -scheinen nach Angaben der Jugendlichen tendenziell im Vordergrund zu stehen Die hier referierte Bewertung der betrieblichen Ausbildung ist unabhängig vom Geschlecht, von der Betriebsgröße, der Art des Betriebes und seiner Organisationsform zu sehen. Allerdings beklagen insbesondere die handwerklichen Auszubildenden mit 49 Prozent den mangelnden Umgang mit moderner Technologie. Unabhängig von dieser Kritik an der betrieblichen Ausbildung, beurteilen die Auszubildenden das soziale Betriebsklima überwiegend positiv Drei Viertel der Befragten schätzen das Betriebsklima und das Verhältnis zu den unmittelbaren Vorgesetzten bzw. zum Ausbilder als „(sehr) gut“ ein. Noch günstiger wird das Verhältnis zu den anderen Kollegen bzw. Auszubildenden beschrieben. Fast 90 Prozent bezeichnen dies als „(sehr) gut“.
Auszubildende in den neuen Bundesländern bewerten das soziale Klima im Betrieb in allen Bereichen deutlich besser als die Auszubildenden in den alten Bundesländern, von denen nur 63 Prozent das Betriebsklima als „(sehr) gut“ einschätzen. Das Verhältnis zu Vorgesetzten wird mit 55 Prozent, zu Kollegen mit 77 Prozent und zu anderen Auszubildenden mit 83 Prozent positiv bewertet. In den neuen Bundesländern fällt auf, daß das Betriebsklima in Großbetrieben am Ende der Ausbildung tendenziell schlechter als in Kleinbetrieben eingeschätzt wird. Bewerten bspw. 25 Prozent der Auszubildenden in Kleinbetrieben das Betriebsklima als „sehr gut“, so beträgt der entsprechende Wert in Großbetrieben nur 6 Prozent. Ähnlich ist die Situation beim Verhältnis der Auszubildenden zum unmittelbaren Vorgesetzten/Ausbilder. Demgegenüber sind die Unterschiede im Verhältnis zu anderen Kollegen/Auszubildenden nicht so ausgeprägt. Am besten wird das Betriebsklima von den Auszubildenden im Handwerk (sehr gut: 23 Prozent) bewertet (Industrie: 6 Prozent; Handel 9 Prozent).
Insgesamt ist gegen Ende der Ausbildung durchgängig eine Ernüchterung festzustellen. Die Euphorie weicht einer nüchternen Betrachtung der Ausbildungssituation. Extrem positive bzw. negative Bewertungen des Betriebsklimas sowie des Verhältnisses zu anderen Betriebsangehörigen haben sich zwischen der zweiten und der dritten Erhebungswelle erheblich reduziert. Aussteigen wollen die Jugendlichen allerdings nicht; die Mehrzahl hat noch nie an einen Ausbildungsabbruch gedacht und wünscht sich, noch in zehn Jahren im Ausbildungsberuf zu arbeiten. 2. Bewertung des Berufsschulunterrichts Im Vergleich zum betrieblichen Teil der Berufsausbildung bewerten die Auszubildenden sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern den Berufsschulunterricht deutlich schlechter, was bis zur totalen Ablehnung reicht: „ Es wiederholt sich viel, was man in der Praxis und in der Schule macht. Das ist verschenkte Zeit. “
„Ich habe meinem Ausbildungsbetrieb viel zu verdanken, im Gegensatz zur Berufsschule... Die Lehrer konnten den Stoffnicht vermitteln. “
Im Zusammenhang mit dem Unterricht in der Berufsschule wird von 45 Prozent der Befragten insbesondere ein mangelnder Anteil an Fremdsprachen beklagt, gefolgt von schlechter Prüfungsvorbereitung (32 Prozent), fehlendem Sportunterricht (26 Prozent) und schlechter Fachkundeausbildung (20 Prozent).
Im Vergleich zur zweiten Erhebungswelle ist in allen Fächern der Anteil der Auszubildenden gestiegen, die durchgängig eine ausreichende Vermittlung der jeweiligen Fachinhalte durch die Berufsschule sehen. Da davon auszugehen ist, daß sich die Lehrpläne der Berufsschulen nicht wesentlich geändert haben -also die Anteile des Fremdsprachen-und Sportunterrichts nicht wesentlich gestiegen sind -, ist zu vermuten, daß sich ein großer Teil der befragten Auszubildenden mit den von ihnen noch in der Mitte der Ausbildung formulierten Mängeln abgefunden hat. Im Vergleich zu den Jugendlichen der Westbefragung zeigt sich, daß die Auszubildenden der alten Bundesländer mit Ausnahme des (Fach-) Rechnens häufiger über zu geringe Zeitanteile in allen übrigen Fächern klagen.
Tendenziell geht allerdings aus den Aussagen hervor, daß männliche Auszubildende Sportunterricht mit 30 Prozent eher vermissen als weibliche. Ebenfalls ist als Tendenz festzustellen, daß Jugendliche in Klein-und Mittelbetrieben häufiger über zu geringe Zeitanteile für den Fachkundeunterricht an Berufsschulen klagen als Jugendliche in Großbetrieben. Hintergrund dafür könnte der in Großbetrieben häufig durchgeführte Werksunterricht sein, der mit seinem Schwerpunkt auf unter anderem Fachkunde mangelnde Zeitanteile in der Berufsschule kompensieren kann. Auszubildende in Klein-und Mittelbetrieben sind demgegenüber meist ausschließlich auf die Vermittlung von Fachkenntnissen in der Berufsschule angewiesen.
Interessant ist weiterhin, daß die Auszubildenden im Öffentlichen Dienst und bei den Privaten Dienstleistungen weniger häufig über mangelnden Fremdsprachenunterricht klagen. Die Unterschiede zu den übrigen Ausbildungsbereichen betragen bis zu 18 Prozentpunkte. Offensichtlich findet in diesen Ausbildungsbereichen eher eine Fremdsprachenvermittlung bzw. -förderung statt.
Ein Jahr nach der Ausbildung wird der Nutzen der betrieblichen Ausbildung deutlich höher eingestuft als der der Berufsschule. Junge Erwachsene aus den alten Bundesländern schreiben ihrer Ausbildung tendenziell einen höheren Nutzen zu als die Befragten in Ostdeutschland; arbeitslose Befragte bewerten den Nutzen der Ausbildung am niedrigsten und würden häufig auch einen anderen Ausbildungsberuf wählen.
IV. Berufliche Vorstellungen und Perspektiven von Auszubildenden in Ost und West
Abbildung 10
Tabelle 6: Welche Erwartungen haben Sie, wenn Sie an Ihr künftiges berufliches Leben denken? (3. Ausbildungsjahr Ost und West -in Prozent -) Quelle: BIBB 1996
Tabelle 6: Welche Erwartungen haben Sie, wenn Sie an Ihr künftiges berufliches Leben denken? (3. Ausbildungsjahr Ost und West -in Prozent -) Quelle: BIBB 1996
1. Berufliche Wünsche und Vorstellungen „Auf Dauer kann ich mir nicht vorstellen, nur zu Hause zu sein... Auch eine Weltreise geht mal zu Ende.“ (m, Ost). „Bei uns in der Firma spielen zur Zeit alle Lotto. Wenn ich im Lotto gewinnen würde, würde ich das gar nicht erzählen. Und dann wäre ich so ehrgeizig, in meinem Beruf erst einmal weiter zu kommen (...).“ (w, Ost).
Arbeit und Beruf haben in der Lebensplanung von Auszubildenden in Ostdeutschland einen zentralen Stellenwert. Im dritten Ausbildungsjahr können sich 61 Prozent der jungen Frauen und 55 Prozent der jungen Männer in den neuen Bundesländern im Grunde genommen ein Leben ohne Arbeit gar nicht vorstellen. Im Vergleich dazu äußern westdeutsche Jugendliche häufiger mehr „innere Distanz“ zur Berufsarbeit: 58 Prozent können sich durchaus ein Leben ohne Arbeit -bei gegebener materieller Absicherung -vorstellen, ohne Unterschiede nach Geschlecht; die Hälfte der Auszubildenden in den alten Bundesländern hegt den Wunsch, eine Zeitlang nicht zu arbeiten (m: 50 Prozent, w: 56 Prozent), was für lediglich 21 Prozent der jungen Frauen und 29 Prozent der jungen Männer in Ostdeutschland in Frage kommt. Auch eine vorübergehende Familienpause und einen zeitweiligen Rückzug aus der Berufsarbeit lehnen angehende Fachkräfte im Osten weitgehend ab, insbesondere dann, wenn damit die Idee, auszusteigen und ein alternatives Leben zu beginnen, verknüpft ist
Die Vorstellungen ostdeutscher Jugendlicher über Beruf und Berufswelt haben sich im Ausbildungsverlauf gefestigt. An erster Stelle steht dabei dieErwartung, überhaupt eine Arbeit zu finden -und, wenn möglich, einen sicheren Arbeitsplatz. Spaß und Zufriedenheit werden erst in zweiter Linie als wünschenswert bewertet, von weiblichen Auszubildenden tendenziell häufiger als von männlichen Auszubildenden. Demgegenüber rangieren bei den angehenden Fachkräften im Westen Sicherheits-, Reproduktions-und Leistungskriterien erst auf Platz zwei nach persönlichen Sinnkriterien wie Spaß an und Zufriedenheit mit der Arbeit. „Ich könnte mir auch vorstellen, meinen Beruf (Bankkaufmann) bis zur Rente zu machen... Wenn sich eine Chance zur Weiterbildung ergibt oder Aufstiegschancen, würde ich das sicherlich auch nutzen . . (m, Ost).
Weitgehend unverändert über den Ausbildungsverlauf hinweg ist mit 85 Prozent der Wunsch von Auszubildenden in den neuen Bundesländern, durch Weiterbildung soweit wie möglich nach oben zu kommen (erstes Ausbildungsjahr: 92 Prozent). Dies halten westdeutsche Jugendliche etwas seltener für erstrebenswert (70 Prozent). Für eine große Mehrheit der Auszubildenden in West-und Ostdeutschland ist die berufliche Kontinuität eine wünschenswerte Perspektive, wobei auch hier der Anteil Jugendlicher, die diesen Wunsch hegen, im Osten größer ist: „In meinem Ausbildungsberuf auch noch in zehn Jahren (zu) arbeiten“, wünschen sich 75 Prozent der jungen Ost-und 65 Prozent der jungen Westdeutschen. Während Jugendliche in Westdeutschland Berufsarbeit mit dem Wunsch nach einer Reduzierung der Wochenarbeitszeit verknüpfen -zwei Drittel der Westjugendlichen befürworten den Wunsch nach einer Teilzeitstelle (m: 60 Prozent, w: 68 Prozent) -, halten weibliche und männliche Auszubildende aus den neuen Bundesländern Teilzeitarbeit im dritten Ausbildungsjahr erheblich seltener für eine wünschenswerte Perspektive (m: 47 Prozent, w: 45 Prozent). Für die Mehrheit der Jugend in Deutschland ist übrigens „ein Beruf als Selbständiger“ kein „Traum“:
Auszubildende in Ost und West, durch ihre Ausbildung mit der beruflichen Realität konfrontiert, halten dies am Ende ihrer Ausbildung deutlich seltener für persönlich wünschenswert als noch im zweiten Lehrjahr („mich selbständig machen“ wünschenswert, 3. Ausbildungsjahr Ost: 40 Prozent; West: 48 Prozent; 2. Ausbildungsjahr Ost: 57 Prozent).
Insgesamt bleibt festzuhalten, daß bei Auszubildenden in den neuen Bundesländern ein an Sicherheit, Kontinuität und Aufstieg ausgerichtetes Verständnis von Beruf dominiert, verbunden mit einer Vorstellung von Arbeit, die sich an der Existenzsicherung sowie an der Arbeitsfreude orientiert. Demgegenüber soll bei Auszubildenden in Westdeutschland die Berufsarbeit den eigenen inhaltlichen Ansprüchen genügen und zudem die materielle Existenz absichern. 2. Berufliche Perspektiven Am Ende des dritten Ausbildungsjahres geht eine knappe Mehrheit der Auszubildenden in Ostdeutschland davon aus, von ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden. Doch nur jede(r) fünfte rechnet fest mit einer Übernahme. Die übrigen Jugendlichen nehmen an, daß sie -wahrscheinlich bzw. sicher -nicht übernommen werden (24 Prozent) oder sie sind sich ihrer Übernahmechancen ungewiß („weiß nicht“ 19 Prozent). Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen in der Einschätzung der Übernahme im Betrieb sind signifikant: Mit 18 Prozent liegt der Anteil der Mädchen, die davon ausgehen, auf keinen Fall übernommen zu werden, doppelt so hoch wie bei den Jungen (w: 18 Prozent, m: 9 Prozent). Der Anteil der männlichen Jugendlichen, der von einer sicheren bzw. wahrscheinlichen Übernahme ausgeht, liegt mit 60 Prozent deutlich über den Übernahmeerwartungen der weiblichen Auszubildenden (52 Prozent).Im Vergleich zu männlichen Jugendlichen erhalten junge Frauen überproportional häufig eine außer-betriebliche Ausbildung, die von vornherein eine direkte Übernahmemöglichkeit ausschließt (m: 8Prozent; w: 18 Prozent). Nur 17 Prozent der jungen Frauen, die hier ausgebildet werden, gehen davon, aus, -sicher oder wahrscheinlich -eine Anstellung als Fachkraft zu finden, während 60 Prozent der (männlichen und weiblichen) Jugendlichen, die eine betriebliche Ausbildung erhalten, damit rechnen Das dritte Ausbildungsjahr hat -im Hinblick auf die Übernahme für die Jugendlichen -keine größere Planungssicherheit gebracht: Die Übernahmeerwartungen haben sich seit der Befragung im zweiten Ausbildungsjahr nicht wesentlich vergrößert.
Auch Auszubildende in Westdeutschland äußern sich vergleichsweise pessimistisch zu ihren Übernahmechancen: 22 Prozent der Jugendlichen gehen von einer „sicheren“, 38 Prozent von einer „wahrscheinlichen“ Anschlußbeschäftigung aus. 8 Prozent wissen und 13 Prozent vermuten, daß sie nicht übernommen werden, während jeder fünfte sich ungewiß ist.
Optimistische bzw. pessimistische Erwartungen wirken sich bei Jugendlichen in Ost und West unterschiedlich auf ihre Gemütslage und ihre Lebenszufriedenheit aus. Obgleich Jugendliche in den alten Bundesländern in ihren Einstellungen und Bewertungen eine größere Distanz zu Arbeit und Beruf kundtun, sind sie von schlechten Berufs-aussichten emotional stärker betroffen als Jugendliche in den neuen Ländern. Diese sind in ihrer Wertehaltung zwar deutlich stärker an Arbeit und Beruf orientiert, lassen sich aber von ungünstigeren Berufsaussichten weniger schnell in ihrem allgemeinen Wohlbefinden beeinflussen. Dies könnte auch damit in Zusammenhang stehen, daß Jugendliche in den neuen Bundesländern bereits seit der Wende mit einer hohen Arbeitslosigkeit und schlechten Arbeitsmarktchancen in ihrer Umgebung konfrontiert sind.
Berufsarbeit steht bei ostdeutschen Auszubildenden auf Platz eins ihrer Lebensziele: Die hohe Zustimmung zu sicherheits-und leistungsorientierten Werten wird vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen im Transformationsprozeß nachvollziehbar. Auch wenn westdeutsche Auszubildende diese Wertung nur bedingt teilen, so zeigt sich an ihrem emotionalen Umgang mit pessimistischen bzw. unsicheren beruflichen Zukunftsaussichten, daß Berufs-und Erwerbsarbeit auch in ihrem Leben eine zentrale Bedeutung haben. „Den Raum Rostock und Mecklenburg-Vorpommern kann man total vergessen als Bürokauffrau. Ich habe mich jetzt in Hamburg und Berlin beworben und heute hat mir das Arbeitsamt eine Stelle in M. vermittelt. .. Das ist ein bißchen weit weg. Ich würde schon hingehen, es bleibt einem ja nichts anderes übrig, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit möchte ich gerne eine Stelle haben, egal wo.“ (w, Ost).
Angehende Fachkräfte in den neuen Bundesländern nehmen die zu erwartenden, zum Teil geringen Übernahmechancen in eine qualifizierte Berufstätigkeit nicht resigniert hin, sondern versuchen, sich flexibel auf die von ihnen eingeschätzten Berufsaussichten einzustellen und entwickeln (gezwungenermaßen) alternative Handlungsperspektiven, um den schwierigen Übergang ins Berufsleben zu meistern. Dabei hat, neben Überlegungen zu einer Verlängerung der Bildungs-bzw. Qualifizierungsphase auch die Möglichkeit eines Wohnortwechsels eine B 1 edeutung.
» Ostdeutsche Auszubildende, die davon ausgehen, keine -bzw. wahrscheinlich keine -Arbeitsstelle in ihrem Ausbildungsbetrieb zu erhalten, sind signifikant häufiger als Jugendliche mit positiver Übernahmeperspektive bereit, aus beruflichen Erwägungen nach Westdeutschland zu gehen. Die höhere innerdeutsche Mobilitätsbereitschaft der Jugendlichen mit pessimistischen Berufsaussichten bezieht sich allerdings nur auf Ost-West-Wanderungen: Von einem Umzug innerhalb der neuen Bundesländer versprechen sich die Jugendlichen keine Verbesserung ihrer Arbeitsmarktchancen.
Umgekehrt werden von westdeutschen Auszubildenden West-Ost-Wanderungen nur selten erwogen. Für 5 Prozent kommt ein Umzug in die neuen Länder aus beruflichen Erwägungen grundsätzlich nicht in Frage. Bei dieser Ablehnung spielen Übernahmeerwartungen kaum eine Rolle, denn auch (westdeutsche) Jugendliche mit pessimistischen 8 Übernahmeerwartungen lehnen einen beruflich bedingten Umzug in die neuen Länder ab (60 Prozent); lediglich 12 Prozent von ihnen würden auf jeden Fall, weitere 28 Prozent „vielleicht“ aus beruflichen Erwägungen in die neuen Bundesländer gehen, das heißt, innerdeutsche Mobilität bietet für die Mehrheit keine Handlungsalternative, um den Übergang an der zweiten Schwelle doch noch erfolgreich zu bewältigen.
„Man hat die Prüfung bestanden, freut sich, und am nächsten Tag war ich arbeitslos. Die Sprüche vom Vermittler: , Nicht den Mut verlieren. .. Den meisten von uns fehlt die Berufserfahrung, die sie alle wollen.“'(w, Ost).
Die pessimistischeren Erwartungen der Mädchen hinsichtlich ihrer Berufsstartchancen erweisen sich als realitätsnahe Einschätzung Vergleicht man diese mit Untersuchungsergebnissen zur Lage junger Fachkräfte am Übergang zwischen Ausbildung und Beruf, so zeigt sich, daß die geäußerten Erwartungen zu optimistisch sind: Rund 40 Prozent der ostdeutschen Ausbildungsabsolventen des Jahres 1993 konnten eine Beschäftigung als Fachkraft finden, der gleiche Anteil wurde nach Abschluß der Ausbildung arbeitslos 1995 wurde über ein Drittel der ostdeutschen Ausbildungsabsolventen nach der Lehre arbeitslos; auch 1996 hat sich die Lage nicht entspannt, sondern entwickelt sich für die Jugendlichen noch ungünstiger Es ist davon auszugehen, daß die berufliche Motivation der jungen Fachkräfte in der Bundesrepublik Deutschland -insbesondere in den neuen Ländern -und die Übernahmeangebote bzw. die tatsächlich vor-findbaren Beschäftigungsmöglichkeiten deutlich auseinanderklaffen. Das heißt, die beruflichen Integrationschancen entsprechen bei weitem nicht dem beruflichen Engagement und dem Stellenwert, den der Beruf im Leben Jugendlicher einnimmt.
V. Bedeutung von Elternhaus und Familie
In der ersten Welle im Jahre 1992/93 wurden alle Teilnehmer des Panels danach gefragt, wie sie denn die häuslichen, familiären Verhältnisse, in denen sie aufgewachsen sind, in Erinnerung haben. Die große Mehrzahl der ostdeutschen Befragten nämlich 89 Prozent, charakterisierte ihre familiären Verhältnisse als harmonisch oder sogar sehr harmonisch. Nur 7 Prozent fanden dies nicht so. 4 Prozent haben ein eher gespanntes und konfliktbeladenes Zuhause in Erinnerung. Dieses Ergebnis bestätigt den Eindruck des besonderen Stellenwerts der Familie in der DDR, wie er in anderen Untersuchungen schon herausgestellt werden konnte.
Zum Zeitpunkt der dritten Welle im Jahr 1995 wohnten noch immer vier von fünf der ostdeutschen Jugendlichen bei den Eltern. Verschiebungen in den anderen Kategorien der Wohnfrage ergaben sich zugunsten einer eigenen Wohnung bzw.des Zusammenwohnens mit einem/einer festen Freund/Freundin. Schon 1992/93, beim Start des Panels, hatte die DDR-typische Unterbringung in Lehrlingswohnheimen kaum noch eine Rolle gespielt. Alterstypisch nabeln sich junge Frauen auch räumlich eher von den Eltern ab, während die jungen Männer häufig erst noch den abzuleistenden Wehr-bzw. Zivildienst abwarten. 1. Die Wertschätzung der Eltern Überlieferte jugend-und entwicklungstheoretische Ansätze, nach denen zum Beispiel rapider sozialer Wandel zu einer Potenzierung von Generationskonflikten führen müsse, da die jungen Generationen befähigter zur Aufnahme von Innovationen seien, während die Älteren eher zur Verteidigung von Traditionen neigten und durch Wandel verunsichert würden sind auf die Situation der ostdeutschen Jugendlichen nur bedingt übertragbar. Von den Jüngeren werden die Innovationen der vergangenen fünf Jahre, auch wenn sie mit Friktionen verbunden sind, überwiegend begrüßt und akzeptiert. Mehr als 90 Prozent der hier Befragten stimmten etwa Parolen, die die „gute alte Zeit“ heraufbeschwören, fast einstimmig nicht zu (z. B.: „Vor der Wende war alles besser“ -93 Prozent Ablehnung; „Man sollte die Mauer wieder aufbauen“ -98 Prozent Ablehnung: „Freiheit durch die Wende hat mir nichts gebracht“ -90 Prozent Ablehnung). Doch -so sehr die alten Verhältnisse hier abgelehnt werden, so sehr ist zu beachten, daß das Verhältnis zu den neuen, westlich-demokratischen Verhältnissen keineswegs gefestigt ist. So meinen zum Beispiel 37 Prozent, daß „die Demokratie nicht unsere Probleme löst“, und gar 45 Prozent stimmen der Aussage zu, daß „ein starker Mann her muß, um die Probleme zu lösen“.
Vertrauen und Wertschätzung der Eltern, aber auch anderer sozialer Bezugspersonen der Jugendlichen lassen sich zum Beispiel durch die Akzeptanz dieser Personen als Vertrauens-und Beratungspartner messen. Die Panelteilnehmer wurden in der zweiten und dritten Befragungswelle jeweils danach gefragt, mit welcher Person ihres Vertrauens sie zum einen schulisch-berufliche Probleme, zum anderen solche privater Natur meistens beredeten.
Im Ergebnis ist festzuhalten, daß den Vätern offensichtlich zunehmend weniger Kompetenz zugebilligt wird. Waren es 1994 noch 19 Prozent der Jugendlichen, die sich mit ihren schulischen Problemen an die Väter wandten, so sank der Anteil ein Jahr später auf 14 Prozent. Relativ stabil blieb der Anteil der der Mutter zugestandenen Kompetenz in diesen Fragen. 1995 waren es knapp 30 Prozent, etwas mehr noch als im Vorjahr. Mitschülern und Kollegen kommt im Verlauf der Erhebung mehr Bedeutung in der Beratung beruflicher und schulischer Fragen zu, 1994 bereits 23 Prozent, ein Jahr später 26 Prozent. Dagegen bleibt der erstaunlich geringe Anteil Jugendlicher, die ihren Lehrern bzw. Vorgesetzten, Meistern und Ausbildern schulische und berufliche Beratungskompetenz zugestehen, fast konstant. Zunehmend wird der feste Freund/die feste Freundin als Beratungsinstanz in Anspruch genommen (1995 von 18 Prozent). Sonstige Personen, damit sind zum Beispiel Geschwister und Großeltern aber auch der Gemeindepfarrer gemeint, haben nur eine geringe Bedeutung.
Ein anderes Bild ergibt sich bei Betrachtung der Antworten auf die Frage nach der Beratungskompetenz bei privaten Problemen. Hier dominiert eindeutig die mütterliche Beratungskompetenz, mit steigender Tendenz (1995: 41 Prozent), insbesondere bei den jungen Frauen. 30 Prozent vertrauen ihrer/ihrem festen Freund/Freundin am meisten. Der väterliche Rat ist eher nicht erwünscht. Nur etwa jeder dreizehnte Jugendliche wendet sich in privaten Dingen an ihn. Auch den meist gleichaltrigen Mitschülern bzw.den Kollegen wird wenig private Beratungskompetenz zugetraut, ebenso Lehrern und Vorgesetzten.
Der sinkende Anteil der väterlichen Beratungsakzeptanz und der eher marginale Anteil, welcher den Beratungsinstanzen in Schule und Beruf zugestanden wird, ist zumindest bemerkenswert. Hinter diesem Ergebnis lassen sich Konfliktpotentiale zwischen den Jugendlichen und den männlichen Vertretern der älteren Generationen, die ja auch meist die Leistungsträger der alten Gesellschaftsform waren, vermuten. Eine Besonderheit stellt die Beziehung der ostdeutschen Jugendlichen zur Mutter dar, auch im Vergleich mit den Einstellungen der in der Kontrollgruppe befragten westdeutschen Jugendlichen Deutlich wird aber, daß -vom mütterlichen Rat abgesehen -die ostdeutschen Jugendlichen sich eher untereinander beraten -sowohl bei beruflich-schulischen als auch in privaten Fragen -und daß sie einander mehr Vertrauen entgegenbringen als den Vertretern der älteren Generationen. 2. Trotzdem: Ein gutes Verhältnis zu den Eltern Eine solche Abnahme des Vertrauens und wohl auch der Vorbildfunktion der älteren Generationen bei den ostdeutschen Jugendlichen ist sicherlich ein Indiz für die zunehmende Sicherheit der Jugendlichen im Umgang mit den neuen Lebensverhältnissen, zeugt aber auch davon, daß die hier befragten jungen Frauen und Männer sowohl Realitätssinn als auch eine gehörige Portion Selbstvertrauen besitzen, und daß sie ihre Lebensverhältnisse differenziert betrachten können. So ist es denn auch nicht weiter verwunderlich, daß sie das Verhältnis zu ihren Eltern überwiegend positiv einschätzen (Vater: 76 Prozent, Mutter: 85 Prozent). Es ist eben eine Sache, neue Handlungsstrategien und neue Lebenspläne unter den neuen Verhältnissen zu entwerfen, mit denen die Älteren -die Eltern -vielleicht weniger gut zurechtkommen. Eine andere Sache ist es, trotzdem ein gutes Verhältnis zu ihnen zu haben, weil es eben die Eltern sind, mit denen man überwiegend noch unter einem Dach zusammenlebt und auskommen will.
Dagmar Beer, Dr. phil., geb. 1950; Studium der Politologie an der FU Berlin; Mitarbeiterin am Bundesinstitut für Berufsbildung, Berlin (BIBB). Veröffentlichungen u. a.: Lern-und Integrationsprozeß ausländischer Jugendlicher in der Berufsausbildung, Berlin 1992; Schulbildung junger Migranten, Berlin 1992 (alle hrsg. vom BIBB). Bernhard Dresbach, geb. 1953; Studium der Soziologie an der FU Berlin; Mitarbeiter am BIBB. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Uwe Grünewald, Ulrich Degen u. a.) Zur Struktur der betrieblichen Ausbildungsgestaltung, Berlin 1988; (zus. mit Uwe Grünewald, Ulrich Degen u. a.) Evaluierung der neugeordneten Metall-und Elektroberufe, Berlin 1989 (alle hrsg. vom BIBB). Mona Granato, M. A., geb. 1960; Studium der Politischen Wissenschaft, Volkswirtschaft, Islamwissenschaft an der Ruprecht-Karl-Universität Heidelberg; Mitarbeiterin und Leiterin des Forschungsprojekts „Jugend-und Berufsausbildung in Deutschland“ am BIBB. Veröffentlichungen u. a.: Bildungs-und Lebenssituation junger Italiener, Berlin -Bielefeld 1994; (zus. mit Vera Meissner) Hochmotiviert und Abgebremst. Junge Frauen ausländischer Herkunft in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin -Bielefeld 1994. Klaus Schweikert, Dr. rer. pol., geb. 1941; Leiter der Abteilung „Sozialwissenschaftliche Grundlagen der Berufsbildung“ und Stellvertretender Hauptabteilungsleiter beim BIBB. Veröffentlichungen u. a.: Ganz die alten? Was Auszubildende meinen, was Auszubildende tun, Berlin 1989; Ausländische Jugendliche in der Berufsausbildung. Strukturen und Trends, Berlin 1993 (alle hrsg. vom BIBB).
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