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Gestörtes Gleichgewicht: Die Gefährdung der politischen Autonomie von Ländern und Gemeinden durch Kostenverlagerungen | APuZ 24/1997 | bpb.de

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APuZ 24/1997 Grundlagen und Gestaltungsmöglichkeiten des Föderalismus in Deutschland Die Auswirkungen der EU-Integration auf den Föderalismus in Deutschland Der Finanzausgleich im deutschen Föderalismus Gestörtes Gleichgewicht: Die Gefährdung der politischen Autonomie von Ländern und Gemeinden durch Kostenverlagerungen

Gestörtes Gleichgewicht: Die Gefährdung der politischen Autonomie von Ländern und Gemeinden durch Kostenverlagerungen

Thomas Kreuder

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Zusammenfassung

In der Bundesrepublik Deutschland nehmen Länder und Kommunen eine besondere Stellung ein. Sie bestanden bereits vor der Gründung des Bundes, und ihre Autonomie wird durch verschiedene Vorschriften des Grundgesetzes geschützt. Im Regelfall werden Bundesgesetze durch die Länder ausgeführt, die sich ihrerseits wieder zumeist der Verwaltungen von Gemeinden und Kreisen bedienen. Der grundgesetzlichen Aufgabenverteilung entsprechend sieht die Föderale Finanzverfassung vor, daß die staatlichen Einnahmen angemessen auf alle staatlichen Ebenen verteilt werden. Daneben bezwecken weitere Schutzvorschriften, daß bei einer Verlagerung von Aufgaben auf nachgeordnete Ebenen die damit verbundenen Kosten -zumindest teilweise -gedeckt werden. Seit einiger Zeit ist jedoch festzustellen, daß gesetzgeberische Entscheidungen, insbesondere auf Bundesebene, Ländern und Kommunen kaum noch Spielräume beim Verwaltungshandeln und damit für eine eigenständige Kostenkontrolle belassen. Zudem belasten Leistungsgesetze und der Rückzug des Bundes aus bislang erfüllten Verpflichtungen die Haushalte von Ländern und Gemeinden. Daneben hat seitens der EU eine ähnliche Entwicklung eingesetzt. Konsequenz dieser Entwicklung sind tendenziell schrumpfende Gestaltungsspielräume von Landes-und Kommunalparlamenten, die zudem nicht selten gezwungen sind, eigene Angebote einzustellen, um die ihnen übertragenen Aufgaben noch finanzieren zu können. Schließlich erwächst in Gestalt des „innerstaatlichen Stabilitätspaktes“ eine neue Gefahr für die Haushalts-und Gesetzgebungsautonomie von Ländern und Gemeinden.

I. Länder und Kommunen als Grundpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung

Die Bundesrepublik Deutschland ist nach Art. 20 Abs. GG ein Bundesstaat. Als sie am 23. Mai 1949 mit der Verabschiedung des Grundgesetzes gegründet wurde, existierten ihre Gliedstaaten -mit Ausnahme des Saarlands und der ostdeutschen Bundesländer -bereits. So wurden etwa die Verfassungen von Hessen und Bayern schon 1946 angenommen; sie sind die ältesten Konstitutionen des nach dem Zweiten Weltkrieg neu entstandenen demokratischen Deutschlands. Ausdruck der eigenen, nicht vom Gesamtstaat abgeleiteten Staatsgewalt der Länder ist Art. 30 GG. Diese Vorschrift enthält eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder, die in Art. 83 GG für die Verwaltung und in Art. 95 GG für die Rechtsprechung ergänzt wird.

Die Länder ihrerseits bestehen aus Kreisen und Gemeinden. In den Länderverfassungen ist ihre Autonomie -vergleichbar dem Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern -besonders geschützt. Auch fällt ihnen die Primärzuständigkeit für die Wahrnehmung aller öffentlichen Aufgaben zu. In Hessen und Rheinland-Pfalz ist nach den Landesverfassungen der Verwaltungsvollzug auf kommunaler Ebene der Regelfall, von dem nur bei „dringendem öffentlichen Interesse“ abgewichen werden kann 1. Die besondere Stellung von Kreisen und Gemeinden findet sich im Grundgesetz wieder. So enthält Art. 28 Abs. 2 GG eine sogenannte „institutionelle Garantie“ der kommunalen Selbstverwaltung.

Der Gliederung des Bundes in Länder und dieser wiederum in Kommunen entspricht ein dreistufiger Verwaltungsaufbau, wobei die Ausführung von Bundesgesetzen überwiegend auf der Ebene der Länder und der Kommunen erfolgt. Ebenso werden landesrechtliche Vorschriften durch die Kreis-und Gemeindeverwaltungen vollzogen. Neben ihren originären Selbstverwaltungsbefugnissen wie beispielsweise der Planungshöheit fallen somit in die Zuständigkeit der Kommunen Angelegenheiten des Schul-und des Gesundheitswesens, Verkehrsaufgaben, Sozialhilfe sowie andere öffentliche Einrichtungen wie Bibliotheken oder Schwimmbäder. Landesaufgaben sind u. a. Polizei, Kultus und Rechtspflege. Daneben steht es beiden Gebietskörperschaften frei, weitere Aufgaben zu übernehmen oder zusätzliche Leistungen zu gewähren, soweit die Kompetenz hierfür, wie etwa im Falle der Landesverteidigung, nicht ausschließlich beim Bund liegt. Die Bereitstellung eigenständiger Angebote für die jeweilige Bevölkerung macht den eigentlichen Kern der Selbstverwaltung im Sinne politischer Autonomie aus.

II. Das Konnexitätsprinzip: Wer bestellt, zahlt

Die Erledigung von Aufgaben kostet Geld. Konsequenterweise ist in Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG die allgemeine Erfahrung mit berücksichtigt, daß Autonomie ohne Bereitstellung entsprechender Mittel inhaltsleer bleibt: „Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung.“ Adressat dieses Verfassungsgebotes sind primär die Länder, denen Kreise und Gemeinden staatsrechtlich zugeordnet sind. In Hessen etwa bestimmt Art. 137 Abs. 5 HessVerf, daß den Kommunen zur Durchführung ihrer Aufgaben die erforderlichen Geldmittel im Wege eines Lasten-und Finanzausgleichs zur Verfügung zu stellen sind. Aber auch der Bund ist zur Beachtung der Selbstverwaltungsgarantie verpflichtet. Es wäre widersinnig, wenn das Grundgesetz den Ländern in Art. 28 Abs. 2 Gebote aufer31 legte und den aus diesen gebildeten Gesamtstaat von der Einhaltung dieser Normen freistellte

Der grundgesetzlichen Aufgabenverteilung entsprechend sieht die Föderale Finanzverfassung vor, daß die staatlichen Einnahmen nicht nur einer Ebene zufließen, sondern alle drei an den Steuereinnahmen beteiligt werden. Nach Art. 106 GG verteilt sich die Lohn-und Einkommensteuer auf Bund, Länder und Gemeinden. Weitere soge-nannte „Gemeinschaftsteuern“ sind die Körperschaft-und die Umsatz(Mehrwert) steuer, an denen Bund und Länder partizipieren Die Gemeinden erhalten ferner die Einnahmen aus der Gewerbe-und der Grundsteuer sowie aus weiteren Bagatellsteuern, die sie eigenständig erheben können (Hundesteuer, Getränkesteuer, Vergnügungsteuer etc.). Darüber hinaus fließen den Kommunen durch den jeweils landesrechtlich geregelten Finanzausgleich nach einem Verbund-system Mittel aus den Einnahmen der Länder zu. Wichtige Steuerquellen für jene sind neben ihrem Anteil an den Gemeinschaftsteuern die Kraftfahrzeug-und die Erbschaft-, die Grunderwerb-und die Biersteuer sowie die Spielbankabgabe. Dem Bund allein vorbehalten ist schließlich der Ertrag aus der Mineralöl-, der Tabak-und der Branntweinsteuer sowie aus anderen Verbrauchssteuern (z. B. Sektsteuer). Im Jahr 1995 nahmen nach diesem Verfahren der Bund 366 Mrd. DM, die Länder gut 312 Mrd. DM und die Gemeinden mehr als 95 Mrd. DM ein.

Neben der Verteilung von Steuern regelt das Grundgesetz in Art. 104 a Abs. 3 ferner, daß bei Gesetzen, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden, die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist, sofern der Eigen-anteil der Länder 25 Prozent übersteigt. Die Vorschrift beinhaltet das sogenannte „Konnexitätsprinzip“, wonach der Bund bei der Zuweisung von Aufgaben an die Länder zugleich die Kostendekkung mitzuregeln hat. Allerdings wird der entstehende Aufwand nicht gänzlich abgedeckt. Auch in jenen Fällen, in denen die Länder die Gesetze nicht als eigene Angelegenheit, sondern im Auftrage des Bundes ausführen, übernimmt jener nur die Sach-, nicht jedoch die Personalkosten. Im Hintergrund dieser nur anteiligen Kostenübernahme steht die Erwägung, daß beim Gesetzesvollzug Spielräume bestünden, die den Ländern -und ebenso den Kommunen -Möglichkeiten eröffneten, die Entstehung und die Höhe der Ausgaben zu steuern. Im Verhältnis der Länder zu ihren Gemeinden findet sich das „Konnexitätsprinzip“ ebenfalls. In Hessen beispielsweise ist dieser Grundsatz in Art. 137 Abs.5 HessVerf geregelt.

III. Lastenverschiebung auf Kommunen und Länder

Rechtliche Vorgaben im Sinne einer „Lastenübertragungsbremse“ zwischen dem Bund und den Kommunen bestehen dagegen nicht. Aus Art. 104 a Abs.3 GG wird sogar gefolgert, daß der Bund Kreisen und Gemeinden Kostenerstattungen nicht einmal dann gewähren könnte, wenn er dies aus freien Stücken wollte Im Lichte der in Art. 28 Abs.2 GG enthaltenen Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen könnte der Bund sich jedoch durchaus verpflichtet sehen, die Interessen von Kreisen und Gemeinden auch ohne eindeutige Regelung zu wahren. Die tatsächliche Entwicklung der letzten Jahre deutet allerdings in eine andere Richtung.

So hat die mittlerweile entstandene Regelungsdichte den Kommunen eine enorme Aufgabenfülle zur Erledigung überantwortet. Allein im Bereich der Kreise sind rund 80 Rechtsgebiete mit über 800 Einzelzuständigkeiten zu bearbeiten Darüber hinaus verringern sich durch zunehmend engere gesetzliche Vorgaben die Einflußmöglichkeiten der Verwaltungen auf Landes-und kommunaler Ebene, durch Ausübung von Ermessensspielräumen die Entstehung und die Höhe der Ausgaben noch nennenswert zu beeinflussen

Ein anderes Beispiel liefert der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Diese Leistung ist sozialpolitisch zweifellos bedeutsam. Die Kosten für diesen bundesgesetzlich geregelten Anspruch belaufen sich auf etwa 20 Mrd. DM für Investitionen und rund vier bis sieben Mrd. DM jährlich für den laufenden Betrieb Diese Belastungen sind von den Gemeinden und -über Investitions-und Betriebskostenzuschüsse -von den Ländern zu tragen.

Zur Existenzbedrohung für die kommunale Selbstverwaltung hat sich in den letzten Jahren die Sozialhilfe entwickelt. Lagen die Ausgaben für die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz 1960 noch bei insgesamt 3, 6 Mrd. DM im Jahr, so haben die betreffenden Kosten mittlerweile die 50 Mrd. DM-Marke überschritten. Entsprechend stieg die relative Belastung der Sozialhilfeträger. Reichte 1963 in Baden-Württemberg noch weniger als die Hälfte der Kreisumlage zur Finanzierung der Szialhilfeausgaben, so genügt heutzutage zur Kostendeckung nicht einmal mehr die gesamte Umlage Ursache dieser Kostenexplosion ist eine deutlich erhöhte Inanspruchnahme der Sozialhilfe-leistungen, die ihrerseits wiederum durch eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und Kürzungen im Bereich der vom Bund zu finanzierenden Arbeitslosenhilfe ausgelöst wird Je mehr sich der Bund in diesem Bereich entlastet, desto höher wird der Aufwand auf der kommunalen Ebene. Die Stadt Frankfurt am Main hat hieraus die Konsequenz gezogen und den Bund deswegen vor dem Bundesverfassungsgericht verklagt

Im selben Umfang, wie der aus Entscheidungen des Bundesgesetzgebers resultierende Kostenanstieg die Haushalte von Kreisen und Gemeinden belastete, schrumpfte deren Spielraum für eigene politische Gestaltung. Demgemäß müssen auf derjenigen Ebene, auf der -nicht zuletzt durch die verbreiterte Einführung von Direktwahlen von Bürgermeistern und Landräten -das Element direkter Bürgerbeteiligung am stärksten ist die vorhandenen Mittel für Maßnahmen verwendet werden, die nicht vor Ort, sondern im Bundestag entschieden werden. Als Folge der Finanznöte werden nicht selten, da eben von den Selbstverwaltungsgremien zu beeinflussen, kommunale Einrichtungen wie Schwimmbäder oder Bibliotheken geschlossen. Ähnliche, wenn auch quantitativ weniger gravierende Auswirkungen finden sich auf Seiten der Länder, die durch besondere Unterstützungsleistungen für die Kommunen ebenso die gestiegenen Belastungen spüren. Zudem haben die Länder die „politischen Kosten“ dieser Entwicklung zu tragen. So können sich jene zum einen nicht in dem Umfang aus von ihnen mitfinanzierten Kommunalaufgaben zurückziehen, wie dies aufgrund ihrer eigenen Haushaltsschwierigkeiten notwendig wäre. Auch andere Einschränkungen, etwa im Falle der Kostenerstattung für die Aufnahme von Asylbewerbern, sind in den Ländern politisch nur schwer durchsetzbar, weil die Gemeinden und Kreise bereits über die durch die Bundesgesetzgebung verursachten Belastungen klagen und -aus ihrer Perspektive nachvollziehbar -nicht bereit sind, Leistungskürzungen von Landesseite unwidersprochen hinzunehmen. Schließlich überantwortet der Bund die gesetzgeberischen Umsetzungsschritte infolge von Rechtsänderungen ebenfalls den Ländern. Zuletzt machte der vom Bund entschiedene Wegfall der Vermögensteuer, einer Ländersteuer, und die zur Kompensation der Einnahmeausfälle angehobene Grunderwerbsteuer in denjenigen Ländern, in denen die Vermögensteuer zum Steuerverbund des Kommunalen Finanzausgleichs gehörte, entsprechende Anpassungen erforderlich.

Angesichts der finanziellen Zwänge der Kommunen versuchen diese wiederum, derartige Änderungen für Forderungen zur Anhebung der Zuweisungen zu nutzen. Weitere Auseinandersetzungen sind vorprogrammiert, sollte sich der Bund mit seinem Vorhaben durchsetzen, die den Gemeinden zufließende Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen. Als Ausgleich wird den Kommunen ein Anteil an der Umsatzsteuer angeboten, der nach den Vorstellungen des Bundes von demjenigen der Länder abgezogen werden soll Überdies wird der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer für wirtschaftsstarke Gemeinden katastrophale Folgen haben, da die vorgesehene Kompensation an die gegenwärtigen Einnahmen bei weitem nicht heranreicht. Weitere Mindereinnahmen befürchten Kommunen und Länder im Zuge der anstehenden Steuerreform. Allein für Hessen wird mit Ausfällen in Höhe von vier Mrd. DM gerechnet

Im Laufe der beschriebenen Entwicklung haben sich die finanziellen Möglichkeiten von Kommunen und Ländern, jeweils selbstverantwortete Politik zu gestalten, um beispielsweise durch eine verbesserte Infrastruktur, die Förderung vonIndustrieansiedlungen oder zusätzliche Anstrengungen in Forschung und Lehre ihre Position im Wettbewerb der Standorte zu stärken oder auch um politische Akzente zu setzen, etwa in den Bereichen Umwelt und Soziales, erheblich verringert. Mancherorts kann von Selbstverwaltung im Sinne politischer Autonomie kaum noch die Rede sein. Ein weiterer Aspekt der faktisch eingeschränkten Selbständigkeit ist, daß finanzschwache Länder sich ihre Zustimmung zu Maßnahmen des Bundes „abkaufen“ lassen und im Bundesrat Regelungen zustimmen, die die Stellung der Ländergesamtheit gegenüber dem Bund schwächen

IV. Auswirkungen der europäischen Integration auf die Haushalte von Ländern und Kommunen

Neben den Ausgaben für den Vollzug von Bundes-gesetzen entstehen Ländern und Gemeinden auch Kosten durch die Ausführung von Vorschriften der Europäischen Union. Hierzu zählen etwa die Ausgaben für die Verwaltung von Subventionen. In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zum Beispiel werden jeweils rund 1 000 Arbeitskräfte beschäftigt, nur um die Getreidemarktordnung zu administrieren. Ferner haben Länder und teilweise auch Kommunen Stellen geschaffen, um maximal an den Förderprogrammen zu partizipieren. Deren Zuweisungen waren allerdings nach den Vergabe-vorschriften auf einen Anteil von 50 Prozent begrenzt. Die andere Hälfte war von den Landes-haushalten zu tragen, in denen die -verniedlichend -als „Komplementärmittel“ bezeichneten Aufwendungen nicht selten an anderer Stelle fehlten bzw. dazu beitrugen, daß letztlich die Verschuldung stieg. Seit einiger Zeit zwingen die überwiegend durch Steuermindereinnahmen ausgelösten schwierigen Haushaltslagen die Länder dazu, die Zuzahlungen zu streichen und damit zu einem Verzicht auf die EU-Förderung. Dem Aufwand für die Ausführung von EU-Recht steht somit nicht einmal mehr eine anteilige Gegenleistung gegenüber. Zu den Kosten gesellen sich schließlich die Belastungen aus Vorgaben der EU, mit denen bestimmte Standards verbindlich gemacht werden So belaufen sich etwa die Kosten für die Aufrüstung von Kläranlagen gemäß der 3. Trinkwasserrichtlinie allein in Hessen auf rund 900 Mio. DM. Der Betrag ist von den Kommunen aufzubringen, die dabei vom Land unterstützt werden. Ebenso wie im Falle des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz handelt es sich bei der betreffenden Regelung um eine durchaus sinnvolle Vorschrift. Allerdings waren auch hier diejenigen, von denen die Finanzierung der notwendigen Maßnahmen verlangt wird, am Zustandekommen der Bestimmung nicht beteiligt. Und überdies resultiert zumindest ein Teil der durch verbesserte Kläranlagen zu beseitigenden Verschmutzung des Wassers aus einer mittels Dünge-und Pflanzenschutzmitteln intensivierten Landwirtschaft, wie sie nicht zuletzt durch EU-Subventionen gefördert wird

V. Die Europäische Wirtschaftsund Währungsunion und mögliche Folgen eines „innerstaatlichen Stabilitätspakts“

Eine Teilnahme an der Europäischen Wirtschaftsund Währungsunion setzt neben relativer Preisstabilität und durchschnittlich niedrigen Kapital-marktzinsen nach Art. 104 c EG-Vertrag voraus, daß die jährliche Nettoneuverschuldung drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreitet und die Gesamtverschuldung aller öffentlichen Haushalte 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigt. Entgegen früherer Erwartungen hat auch die Bundesrepublik Deutschland ernstliche Probleme, die Richtwerte zur Verschuldung einzuhalten. 1995 und 1996 überstieg das. Haushaltsdefizit mit 3, 5 bzw. 4, 2 Prozent die vorgegebene 3-Prozent-Marke Das Bundesministerium der Finanzen erwartet für 1997, daß die Nettokreditaufnahme auf 2, 9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt werden kann. Gegenwärtig muß allerdings davon ausgegangen werden, daß das Defizit 3, 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen wird. Der Gesamtschuldenstand wird vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung für 1997 auf 66 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit deutlich über dem betreffenden „Maastricht-Kriterium“ geschätzt Es nimmt daher nicht wunder, daß der Bund alles daransetzt, sein Defizit zu reduzieren und unter Berufung auf die notwendige Einhaltung der Vorgaben eigene Leistungen einschränkt. Bezogen auf die Bundesrepublik wären allerdings Kürzungen im Sozialbereich alles andere als eine tatsächliche Entlastung der öffentlichen Haushalte. Am Ende aufkommen müßten für die Leistungsreduzierungen des Bundes die Träger der Sozialhilfe und damit die kreis-freien Städte und Landkreise

Neben den mittelbaren Folgen einer Anpassung der Bundesrepublik Deutschland an die Konvergenzkriterien können sich für die Haushalte von Ländern und Gemeinden weitere Belastungen ergeben. Nach den vorliegenden Daten müßte die Bundesrepublik bei einer Teilnahme an der Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion nämlich damit rechnen, mit Sanktionen nach Art. 104 c EG-Vertrag belegt zu werden. Zwar wenden sich die haushaltspolitischen Vorgaben des Vertrages von Maastricht an die Bundesrepublik Deutschland als Gesamtstaat. Dem föderalen Staatsaufbau entsprechend wird jedoch ein innerstaatliches Verfahren zu entwickeln sein, um das maximal zulässige Defizit auf die einzelnen Ebenen und Gebiets-körperschaften zu verteilen. Darüber hinaus muß eine Regelung für die anteilige Übernahme eventueller Sanktionslasten gefunden werden.

Mittlerweile ist das Kriterium des Gesamtschuldenstands in den Hintergrund getreten; wahrscheinlich deshalb, weil wegen einer Verfehlung dieser Vorgabe die Teilnahme der Bundesrepublik an der Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion nicht gefährdet zu sein scheint. Dies mag darin begründet sein, daß diese Quote kurzfristig kaum veränderbar und überdies zu einem Gutteil auf die besonderen Belastungen im Zuge der Deutschen Einigung zurückzuführen ist Mindestens mittelfristig bedarf es allerdings einer Absenkung der laufenden Defizite aller Gebietskörperschaften erheblich unter die Höchstgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, damit ein Rückgang der Schuldenstandsquote erreicht werden kann.

Das Bundesministerium der Finanzen hat im Juni 1996 seine Vorstellungen zur innerstaatlichen Umsetzung der Maastrichter Fiskalkriterien in Form eines „nationalen Stabilitätspakts“ den Ländern übermittelt. Als Grundlage für den „Stabilitätspakt“ hält der Bund eine einfachgesetzliche

Regelung für ausreichend. Die Länder haben diesen Vorschlag wegen verfassungsrechtlicher Bedenken zurückgewiesen. Sie bezweifeln, ob Art. 109 Abs. 4 GG, auf den sich das Bundesministerium der Finanzen stützt, eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die mit einer Zuweisung von Defizitlimits verbundene Einschränkung der Haushaltsautonomie der Länder darstellt. Die Länder fordern daher eine entsprechende Verfassungsänderung. Keine Einigung gibt es bislang auch hinsichtlich des Verfahrens, mit dem die Höhe der anteiligen maximalen Verschuldung ermittelt und eine eventuelle Sanktion anteilig zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern untereinander verteilt werden soll

Bei der Zuordnung der maximal zulässigen Defizite auf Bund und Ländergesamtheit ist zunächst unstreitig, daß dem Bund die Sozialversicherungen und den Ländern die Kommunen zuzurechnen sind. Allerdings fordert das Bundesministerium der Finanzen eine pauschale hälftige Aufteilung des zulässigen Defizits auf Bund und Ländergesamtheit, wobei für den Bund zusätzlich eine soge-nannte „Konjunkturgutschrift“ im Falle einer Rezession vorgeschlagen wird.

Diese Position wird von allen Ländern abgelehnt. Maßgebliche Gründe hierfür sind die deutlich größeren Ausgabenanteile, ein mangels eigener Steuergesetzgebungskompetenz erhebliches Autonomiedefizit auf Länderseite und eine mindestens ebenso starke Betroffenheit durch Konjunkturschwankungen wie dies beim Bundeshaushalt der Fall ist.

Insgesamt wäre deshalb aus Sicht der Länder derzeit eher eine Verteilung der zulässigen Defizite auf Bund und Länder im Verhältnis von 40 zu 60 angebracht. Wegen der größeren Dynamik der Ausgaben auf Länder-und Gemeindeebene dürfte darüber hinaus diese Relation nicht einmal dauerhaft festgeschrieben werden. Um relativ bald zu abschließenden Vereinbarungen zu gelangen, wird als zwischen Bund und Ländern kompromißfähige Lösung etwa von Hessen vorgeschlagen, den jährlichen Fehlbetrag der öffentlichen Haushalte nach einem noch näher auszuhandelnden Schlüssel nach dem Muster von 45 -x auf Seiten des Bundes und von 55 + x auf Seiten der Länder zu verteilen.

Der Zuordnung eventueller von der Ländergesamtheit zu tragenden Sanktionen geht die Festlegung „Maastricht-konformer“ Verschuldungsobergrenzen voraus. Hierzu werden drei Schlüsselgrößen diskutiert: die Einwohnerzahl, das bisherige Finanzierungsdefizit und die Steuerkraft.

Für den Einwohnerschlüssel, der zunächst auch vom Bundesministerium der Finanzen vorgeschlagen wurde, spricht die einfache Handhabbarkeit. Zudem ist die Einwohnerzahl eine wesentliche Bestimmungsgröße des Finanzbedarfs. Allerdings finden die unterschiedlichen Ausgangssituationen der Länder -insbesondere die unterschiedliche Pro-Kopf-Verschuldung -bei dieser Vorgehensweise keinen Niederschlag.

Alternativ hierzu wird eine Verteilung nach den Finanzierungsdefiziten in einer Referenzperiode diskutiert. Dieser Schlüssel wird -nicht zufällig -von den finanzschwachen Ländern favorisiert. Er begünstigt nämlich diejenigen Länder, die im Referenzzeitraum hohe Defizite realisiert haben. Dagegen wird die Haushaltsautonomie gerade jener Länder eingeschränkt, die bisher geringe Defizite aufweisen.

Sachgerecht wäre wegen des engen finanzwirtschaftlichen Bezugs eine Verteilung der Verschuldung nach der Finanzkrafi. Problematisch hieran ist jedoch, daß einige Länder kaum in der Lage sein werden, diese Verschuldungsgrenzen einzuhalten.

Die unterschiedlichen Interessenlagen der einzelnen Länder lassen sich am besten durch einen Mischschlüssel in Einklang bringen, bei dem die Schlüsselkriterien Finanzierungsdefizit und Einwohnerzahl bzw. Finanzkraft angemessen gewichtet werden. Ferner sollte das „Kombinationsmodell" so ausgestaltet sein, daß zumindest langfristig eine Ausrichtung der Verschuldung an der finanziellen Leistungsfähigkeit gewährleistet wird. Dies ist möglich durch eine degressive Ausgestaltung des Elements Finanzierungsdefizit in einem Zeitraum von etwa 20 Jahren.

Primäres Ziel eines „nationalen Stabilitätspaktes" ist die Einhaltung der Konvergenzkriterien durch den Gesamtstaat. Sollte es zu Sanktionen gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung der Stabilitätskriterien kommen, stellt sich erneut ein Verteilungsproblem. Angesichts der möglichen finanziellen Größenordnungen -bei einer derzeitigen Überschreitung der Defizitgrenze um 0, 2 Prozent wären dies rund sieben Mrd. DM -wäre jedes einzelne Land finanziell überfordert, wenn es die Sanktionslasten allein tragen müßte, weil es als einziges seine Verschuldungsobergrenze verletzt hat. Zugleich ist ebensowenig vertretbar, daß eine Ebene oder ein Land prinzipiell für das eventuelle Fehlverhalten anderer Länder mithaftet. Eine verursachergerechte Zuordnung der Sanktionen wäre demgegenüber das angemessene Mittel, um die Einhaltung der Defizitgrenzen durch alle Gebiets-körperschaften und damit durch den Gesamtstaat auf lange Sicht zu gewährleisten.

Demgemäß hätte jede Gebietskörperschaft, die das für sie festgelegte Defizitlimit überschritten hat, für jedes Jahr der Sanktionsverhängung den Betrag zu erbringen, um den sie ihre Verschuldungsobergrenze überschreitet. Ausnahmen sollten nur dann gestattet werden, wenn ein Land wegen einer Haushaltsnotlage durch die Sanktionszahlung übermäßig belastet würde. Der verbleibende Sanktionsbetrag wird von Bund und Ländern durch Vorabentnahme aus dem Umsatz-steueraufkommen gemeinsam getragen. Auch im Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern wäre eine „verursacherbezogene“ Aufteilung eventueller Sanktionen angemessen, da hierdurch mitberücksichtigt wird, daß der Großteil der Defizitüberschreitung der Bundesrepublik Deutschland insgesamt in den Verantwortungsbereich des Bundes fällt

Fussnoten

Fußnoten

  1. Art. 137 Abs. 1 HessVerf; Art. 49 VerfRhPf.

  2. Vgl. Hartmut Maurer, Verfassungsrechtliche Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung, in: Deutsches Verwaltungsblatt (DVB 1.), (1995), S. 1038 ff.

  3. Zum Steuer-(Zerlegung und Umsatzsteuervorwegausgleich) und zum Länderfinanzausgleich vgl.den Beitrag von Bernd Huber in diesem Heft.

  4. Die " -eise finanzieren sich im wesentlichen durch die so-genannte „Kreisumlage", die alle kreisangehörigen Gemeinden zu entrichten haben.

  5. Vgl. Friedrich Schoch, Die Reformbedürftigkeit des Art. 104 a GG, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP), (1995), S. 387.

  6. Vgl. Eberhard Schmidt-Aßmann, Perspektiven der Selbstverwaltung der Landkreise, in: DVBL, (1996), S. 534 ff.

  7. Vgl. F. Schoch (Anm. 5), S. 388 f.

  8. Vgl. ebd., S. 387.

  9. Vgl. Friedrich Schoch/Joachim Wieland, Die Verfassungswidrigkeit des § 96 Abs. 1 Satz 1 BSHG, in: Juristenzeitung (JZ), (1995), S. 982 ff.

  10. Vgl. Der Bund will bei Arbeitslosenhilfe sparen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 3. 11. 1995.

  11. Vgl. Stadt Frankfurt verklagt die Bundesregierung, in: Frankfurter Rundschau vom 20. 2. 1996.

  12. Vgl. Eberhard Schmidt-Aßmann, Perspektiven der Selbstverwaltung der Landkreise, in: Deutsches Verwaltungsblatt (DVB 1.), (1996), S. 534 ff.

  13. Vgl. Kommunen wollen ihren Besitzstand im Grundgesetz festschreiben, in: Handelsblatt vom 14. 2. 1996.

  14. Vgl. Steuerreform. Vier Milliarden Verlust für Land und Kommunen, in: Frankfurter Rundschau vom 18. 2. 1997.

  15. Vgl. Ost-Finanzminister binden Steuerreform an Hilfen für ihre Länder, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. 5. 1997.

  16. Vgl. Gisela Färber, Regionen in der Finanzverfassung der Europäischen Union -Probleme und Reformvorschläge, in: Steuern und Wirtschaft (StuW), (1996), S. 383 f.

  17. Vgl. ebd., S. 384.

  18. Vgl. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1996/97, Nov. 1996, Rdnr. 197 ff.

  19. Vgl. Bonn verfehlt Maastricht-Ziel, in: Handelsblatt vom 15. 11. 1996

  20. Vgl. Peter Thelen, Waigel treibt ein gefährliches Spiel, in: Handelsblatt vom 25. 3. 1997; Waigel wirft eine Nebel-kerze, in: ebd.

  21. Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 1997.

  22. Zum folgenden vgl. Streit um Euro-Strafgelder, in: DIE WELT vom 12. 5. 1997; Schleußer macht sich für eine Grundgesetzänderung stark, in: Handelsblatt vom 13. 5. 1997.

  23. Euro-Sanktionen. Sparen oder zahlen, in: DER SPIEGEL, Nr. 20/1997, S. 16.

Weitere Inhalte

Thomas Kreuder, geb. 1960; Studium der Rechtswissenschaft, Germanistik und Politik in Berlin und Frankfurt a. M.; 1991-1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeits-, Wirtschafts-und Zivilrecht der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt a. M.; seit 1995 Regierungsdirektor im Hessischen Ministerium der Finanzen. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg. zus. mit Hanno Loewy) Konservativismus in der Strukturkrise, Frankfurt a. M. 1987; (Hrsg. zus. mit Leo Kißler) Der halbierte Fortschritt, Marburg 1989; (zus. mit Joachim Weyand) Die Arbeitsbeziehungen in der Bundesrepublik Deutschland, Dublin 1991; (Hrsg.) Der orientierungslose Leviathan, Marburg 1992; Desintegration und Selbststeuerung -Betriebsverfassung in der Fraktalen Fabrik, Baden-Baden 1997 (i. E.).