Zum Föderalismus als Strukturprinzip staatlicher Organisation gehören die Existenz von zwei Ebenen -Gesamtstaat und Gliedstaaten die Zuordnung von Kompetenzen und Ressourcen auf diese beiden Ebenen sowie Regeln und Arrangements für ihr Neben-und Miteinander, also die rechtliche und politische Ausgestaltung ihrer Beziehungen. Föderalstaatliche Systeme sind, wie alle Erfahrungen bestätigen, diesbezüglich niemals statisch, sondern durch ein meist hohes Maß an Dynamik gekennzeichnet Die konkrete Ausgestaltung bundesstaatlicher Ordnung und die Beziehungen sowie das Gewichts-Verhältnis der beiden Ebenen wandeln sich, wobei solche Veränderungen auf interne wie externe Faktoren zurückgehen.
In der föderativen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland haben die Länder Staatsqualität; sie sind also weit mehr als nur nachgeordnete Verwaltungseinheiten. Zu ihrem Staatscharakter gehört zweierlei: Sie verfügen über eigene Kompetenzen, haben also einen eigenständigen politischen Gestaltungsspielraum; und sie wirken bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit, sind also an gesamtstaatlichen Entscheidungen beteiligt. Der Umstand, daß sich im Laufe der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland mehrere substantielle Verfassungsänderungen auf die Ausgestaltung der föderativen Ordnung bezogen, zeigt, daß diese veränderten Bedingungen angepaßt werden mußte. War der deutsche Föderalismus ursprünglich auf die möglichst klare Trennung der beiden Ebenen von Bund und Ländern ausgerichtet, haben schon frühzeitig Unitarisierungstendenzen eingesetzt und die föderale Balance unverkennbar zuungunsten der Länder verschoben. Mit Bezeichnungen wie „Der unitarische Bundesstaat“ „Politikverflechtung“ „Beteiligungs-Föderalismus“ und „Der verkappte Einheitsstaat“ wurde versucht, den jeweiligen Charakter der föderativen Ordnung auf den Begriff zu bringen.
Auch wenn sich die Ausgestaltung des deutschen Föderalismus und das Gewicht zwischen Bund und Ländern verändern, so garantiert Art. 79, Abs. 3 GG die Bundesstaatlichkeit als zentrales und unveränderbares Strukturprinzip. Im Licht dieser Verfassungsnorm muß immer wieder die Frage gestellt werden, wie weit sich die Balance zwischen Bund und Ländern verschieben darf, ohne die Bundesstaatlichkeit im Kern zu beeinträchtigen, also zu entleeren. In der fortschreitenden EU-Integration sehen insbesondere die deutschen Länder eine Herausforderung für ihren rechtlichen Status und ihre politische Qualität als Gliedstaaten und damit zugleich auch für die föderative Grundstruktur der Bundesrepublik Im folgenden soll dargestellt werden, worin diese Herausforderung im wesentlichen besteht, wie der deutsche Bundesstaat darauf reagiert hat wie diese Anpassungen und Reaktionen zu beurteilen sind und was daraus für die gegenwärtige Gestalt des deutschen Föderalismus und seine Entwicklung folgt.
I. Die Betroffenheit der deutschen Länder durch die EU-Integration
Die Europäische Union (EU) -diese Bezeichnung hat mit dem Vertrag von Maastricht von 1992/93 die bisher übliche Bezeichnung Europäische Gemeinschaft(en) (EG) abgelöst -hat ihr Aufgaben-und Funktionsspektrum im Laufe ihrer Entwicklung stetig ausgedehnt; zwei umfassendere Vertragsänderungen und -ergänzungen -die Einheitliche Europäische Akte (EEA) von 1986 und der 1992 unterzeichnete und im November 1993 nach einem längeren und schwierigen Ratifikationsprozeß in Kraft getretene Vertrag von Maastricht -haben diese Ausweitung vertraglich sanktioniert. Es handelt sich dabei nicht um einen gleichsam schematischen Kompetenztransfer von der Ebene der EU-Mitgliedstaaten auf die EU, vielmehr erhielt die EU eine Mitverantwortung und Mitgestaltungsmöglichkeiten in immer mehr Politikbereichen. Die Aktivitäten der EU reichen dabei von der Rechtssetzung -durch Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen -über Projekte und Maßnahmen mit zum Teil nicht unerheblichem Einsatz von gemeinsamen Haushaltsmitteln bis zur Anregung von mehr Kooperation und Koordination nationalstaatlicher Politik. Seit den Regelungen des Vertrags von Maastricht gibt es kaum einen Politikbereich, der nicht auch im Rahmen der EU behandelt wird.
Die erste Herausforderung für die deutschen Länder liegt dabei darin, daß einige dieser Politikbereiche nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung den Ländern Vorbehalten sind. Das gilt beispielsweise für den Kultur-und Medienbereich, das Bildungs-und Ausbildungswesen, die Gesundheitspolitik, Umweltpolitik, Forschungs-und Technologiepolitik und insbesondere regionale Strukturpolitik Das Wirken der EU auf diesen Gebieten und die Einbindung der deutschen Länder in diesen größeren Verflechtungszusammenhang schränken ihren eigenständigen Gestaltungsspielraum teilweise erheblich ein.
Die zweite Herausforderung haben die deutschen Länder in den Modalitäten des Entscheidungsverfahrens in EU-Angelegenheiten gesehen. Wichtigstes Entscheidungs-und Rechtssetzungsorgan war -und ist immer noch -der Rat, in dem die Bundesrepublik durch die Bundesregierung vertreten ist. Sie hat dort also an Entscheidungen auch auf solchen Gebieten mitgewirkt, die nicht nur Auswirkungen auf Länderbelange hatten, sondern teilweise deren ausschließliche Kompetenzen betrafen. Während innerstaatlich hier die Bundesregierung überhaupt keine Entscheidungsund Gestaltungsmöglichkeiten hätte, ergibt sich in der EG/EU die Möglichkeit und die Pflicht zur Mitgestaltung durch die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts.
Hier sind die deutschen Länder noch in einer anderen Hinsicht betroffen. In der föderativen Ordnung der Bundesrepublik verfügen sie über recht umfassende Verwaltungsbefugnisse, und ihre Mitentscheidungsrechte bei der Gesetzgebung geben ihnen zudem die Möglichkeit, die Regeln für die Implementierung mitzubestimmen. Sie sind zwar auch für die Umsetzung europäischen Rechts verantwortlich, haben hier aber an der Rechtssetzung selbst nicht mitwirken können und unterliegen einer viel stärkeren Kontrolle der Bundesregierung, die ihrerseits gegenüber den EU-Organen für ordnungsgemäße Implementierung verantwortlich ist.
II. Die Reaktionen der deutschen Länder
Daß die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der EG Konsequenzen für die föderative Ordnung haben würde, wurde von allem Anfang an -wenn auch zunächst nur von wenigen Experten und unmittelbar Beteiligten -gesehen Die Länder haben sich deshalb auch von allem Anfang an bemüht, an der innerstaatlichen Behandlung von EG-Angelegenheiten -also insbesondere bei der Festlegung der Positionen die die Bundesregierung im Rat vertreten würde -mitzuwirken. Was sie erreichten, war, wie gleich zu zeigen sein wird, zwar überaus bescheiden, aber hinnehmbar, weil bis in die siebziger Jahre hinein die Tätigkeit der EG zunächst recht beschränkt und in ihren Auswirkungen auf der Ebene derLänder kaum wahrnehmbar war. Das änderte sich spätestens seit Mitte der siebziger Jahre -so wird 1975 der Regionalfonds eingerichtet, was zugleich den Beginn einer eigenständigen EG-Regionalpolitik markiert -und fand in den Vertragsänderungen und -ergänzungen der EEA und des Vertrags von Maastricht deutlichen Ausdruck.
Die Länder sahen sich mehr und mehr durch EG-Politik betroffen, und die ihnen zur Verfügung stehenden Mitwirkungsmöglichkeiten waren in ihren Augen unzulänglich und letztlich wirkungslos. Auf diese neue Situation versuchten die Länder, auf dreierlei Weise zu reagieren: -Durch Abwehr. Dazu gehörte, daß sie Brüsseler Aktionismus und „Regelungswut“ kritisierten und vor allem die Europäische Kommission zu mehr Zurückhaltung bei der Einleitung von Gemeinschaftsmaßnahmen, welcher Art auch immer, mahnten. Seit Ende der achtziger Jahre wird in diesem Zusammenhang kontinuierlich die strikte Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips verlangt -Durch Ausbau und Stärkung von Mitwirkungsmöglichkeiten. Dabei geht es einmal um die Verankerung von förmlichen Mitwirkungsrechten bei der innerstaatlichen Behandlung von EG-Angelegenheiten. Zweitens haben die Länder Initiativen mit dem Ziel ergriffen, am Entscheidungsprozeß auf Gemeinschaftsebene unmittelbar mitwirken zu können. -Durch Aufbau und Entwicklung eigenständiger EU-Aktivitäten. Dabei handelt es sich darum, daß die Länder -gleichsam unter Umgehung der Ebene des Bundes -Direktkontakte verschiedenster Art mit Institutionen und Akteuren auf der supranationalen Gemeinschaftsebene aufbauen und nutzen. Mit dem Hinweis auf die Entstehung und Existenz einer „europäischen Innenpolitik“ begegnen sie kritischen Vorwürfen der Bundesregierung, solche Direktaktivitäten wären rechtlich und politisch nicht erlaubte „Neben-Außenpolitik“
Alle drei Strategien tragen dem Umstand Rechnung, daß es sich bei der EG bzw.der EU -im Sinne der „doppelten“ Politikverflechtung -um ein Verbundsystem mehrerer Ebenen handelt, mit den Ländern als eigenständiger „regionaler“ Ebene, und daß es für die Länder notwendig und zugleich legitim ist, sich in dem immer mehr aus-differenzierenden Entscheidungsgefüge als Mitspieler zu etablieren. Die Erfahrungen aus dem föderativen Alltag der Bundesrepublik waren dabei für die deutschen Länder eine wertvolle Grundlage. Im folgenden werden die verschiedenen Strategien dargestellt und in ihrer Wirkung gewürdigt. 1. Die Verankerung innerstaatlicher Mitwirkungsrechte bei der Behandlung von EG/EU-Angelegenheiten bis Maastricht Die Bemühungen der deutschen Länder, den durch die europäische Integration verursachten Verlust an eigenständigem politischen Gestaltungsspielraum sowie an Mitwirkungsmöglichkeiten an der Gesetzgebung des Bundes durch innerstaatliche Beteiligungsrechte in europäischen Fragen zu kompensieren, reichen zurück bis zu den Gründungsverträgen. Die Erfolge der Länder waren zunächst sehr bescheiden; im Lauf der Entwicklung ist es den Ländern aber gelungen, ihre Position im Sinne einer Verstärkung des „Beteiligungs-Föderalismus“ zu verbessern
Das Zuleitungs-Verfahren (Bundesratsverfahren)
Bei der Ratifizierung der Römischen Verträge 1957 wurde die Bundesregierung verpflichtet, die Länder über Entwicklungen auf europäischer Ebene laufend zu unterrichten; der Bundesrat hatte auf dieser Grundlage die Möglichkeit, zu EG-Vorlagen Stellungnahmen abzugeben, wobei jedoch nicht gewährleistet war, daß die Bundesregierung diese bei den Beratungen in den EG-Gremien berücksichtigte. Ein Grund dafür war die fehlende Rechtsgrundlage.
Das Länderbeteiligungsverfahren Dieses 1979 in einem Briefwechsel zwischen dem Bundeskanzler und dem Vorsitzenden der Mini-sterpräsidenten-Konferenz vereinbarte Verfahren brachte zunächst eine Verbesserung: Die Bundesregierung verpflichtete sich zu umfassenderer und frühzeitigerer Information der Länder und erklärte sich zu strikterer Beachtung der Ländervoten bereit, falls Länderkompetenzen berührt wären und außen-und integrationspolitische Belange dem nicht entgegenstünden. Im Unterschied zum Bundesratsverfahren mußten die Länder aber hier untereinander Einvernehmen erzielen, wofür ein erheblicher Koordinationsaufwand erforderlich war. So erwies sich im Ergebnis das Bundesratsverfahren als überlegen, auch wenn ein einzelnes Land seinen Standpunkt dann nicht durchsetzen konnte
Die Verankerung von Mitwirkungsrechten der Länder im Ratifikationsgesetz zur EEA Die Länder nutzten das Ratifikationsgesetz zur EEA das die Zustimmung des Bundesrates erforderte, zur Erweiterung und vor allem rechtlichen Verankerung ihrer innerstaatlichen Mitwirkungsmöglichkeiten. Art. 2 dieses Gesetzes vom 28. Februar 1986 und die 1987 dazu getroffene Bund-Länder-Vereinbarung erweiterten zum einen die Informationspflicht der Bundesregierung und sah abgestufte Beteiligungsrechte der Länder vor, je nachdem, wie stark diese in ihren Zuständigkeiten und Interessen von den geplanten Maßnahmen der EG betroffen waren. Die Bundesregierung wurde verpflichtet, vor ihrer Zustimmung zu Beschlüssen der EG Stellungnahmen des Bundesrates einzuholen und diese in den Verhandlungen zu berücksichtigen. Bei Abweichen von einem solchen Votum war die Bundesregierung dem Bundesrat gegenüber erklärungs-und rechenschaftspflichtig. Das Gesetz sah weiterhin die Möglichkeit vor, daß Vertreter der Länder zu den Verhandlungen in den Beratungsgremien der Kommission und des Rates hinzugezogen werden, wobei die Verhandlungsführung aber nach wie vor bei der Bundesregierung lag. Obwohl die Länder die Erfahrungen mit dem neuen Beteiligungsverfahren positiv bewerteten, wie der Erfahrungsbericht der Bevollmächtigten der Länder beim Bund vom 16. Mai 1990 belegt versuchten sie, ihre Position innerstaatlich noch zu verstärken. Die Gelegenheit dazu bot sich im Zusammenhang mit dem Vertrag von Maastricht, dessen Ratifizierung und Inkrafttreten Verfassungsänderungen erforderlich machten. 2. Der neue Artikel 23 GG („Europa-Artikel“) Die Bestimmungen des neuen Artikels stärken die Position der Länder und damit die föderative Struktur der Bundesrepublik Deutschland in mehrfacher Hinsicht
Struktursicherungsklausel Der Artikel bestätigt, daß die Bundesrepublik Deutschland weiterhin dem Ziel verpflichtet ist, den Integrationsprozeß zu fördern, also an der Weitergestaltung der EU aktiv mitzuwirken und ihr anzugehören. Durch die „Struktursicherungsklausel" wird dabei festgelegt, daß diese EU bestimmte Strukturmerkmale aufweisen muß: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit, Föderalismus, Beachtung des Subsidiaritätsprinzips und angemessenen Grundrechtsschutz. Implizit wird auch die föderative Struktur Deutschlands nochmals bestätigt.
Verfahren zur Übertragung von Hoheitsrechten Eine weitgehende Neuerung stellen die Verfahrensbestimmungen für die Fortentwicklung der EU dar. Grundlage für solche Kompetenzübertragungen war bislang Art. 24, Abs. 1 GG („Der Bund kann durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen.“) Im Parlamentarischen Rat war dazu diskutiert worden, ob für die Übertragung von Hoheitsrechten verfassungsändernde Mehrheiten verlangt werden sollten. Mit der Begründung, man wolle es ganz bewußt leicht machen, Hoheitsrechte zu übertragen, wurde dies ausdrücklich verworfen. Der neue Europa-Artikel schreibt nun generell die Zustimmungspflicht fest. Bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, wenn nämlich durch entsprechende Regelungen das Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen und Ergänzungen möglich werden, ist eine verfassungsändernde Zweidrittel-Mehrheit im Bundesrat (und im Bundestag) erforderlich. Dem einfachen Gesetzgeber bleiben damit ausdrücklich nur Änderungen des Unions-Vertrages ohne materielle Grundgesetzänderungen überlassen. Daß diese Bestimmung im Einzelfall interpretationsbedürftig ist, also Anlaß zu Konflikten zwischen Bundesregierung (und der sie stützenden Bundestags-Mehrheit) und dem Bundesrat geben kann, zeigen konkrete Vorgänge aus jüngster Zeit
Mitwirkungsrechte der Länder in EL-Angelegenheiten Aufbauend auf den Bestimmungen des Ratifikationsgesetzes zur EEA regelt der neue Europa-Artikel sehr ausführlich die Mitwirkungsrechte der Länder in Angelegenheiten der EU. Ergänzt werden die Verfassungsvorschriften durch das „Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union“ vom 12. März 1993 sowie die dazu abgeschlossene Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Länder vom 29. Oktober 1993 Bundesregierung und Länder versuchen mit diesen sehr ausführlichen Bestimmungen, einen Modus vivendi zu finden und verfassungsgerichtlichen Streit -wenn irgend möglich -zu vermeiden. Die von den Ländern im Februar 1997 vorgenommene Überprüfung der Bund-Länder-Vereinbarung stellt zwar einerseits fest, „daß sich die Regelungen der Bund-Länder-Vereinbarung durchweg bewährt haben und einen geeigneten Rahmen für eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit darstellen“. Sie weisen allerdings auch darauf hin, daß in den mit dem Bund im Herbst 1996 geführten Verhandlungen über diese Fragen einige Punkte offen geblieben sind. Die neuen Regelungen sehen folgendes vor: -Informationspflicht der Bundesregierung. Hier wird im wesentlichen die bisherige Praxis bestätigt. Die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium der Wirtschaft und dem Bundesrat wird von den Beteiligten als gut bezeichnet. -Stellungnahmen des Bundesrates. Die ebenso detaillierten wie komplizierten Bestimmungen legen der Bundesregierung abgestufte Pflichten bei Beachtung der Stellungnahmen des Bundesrates auf. Generell gilt, daß die Bundesregierung dem Bundesrat in den Fällen, in denen Interessen der Länder berührt sind, rechtzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme binnen angemessener Frist gibt. „Rechtzeitig“ bedeutet, daß ein Votum des Bundesrates in den weiteren Verhandlungen in den EU-Gremien noch angemessen berücksichtigt werden kann. Bezieht sich die beabsichtigte EU-Maßnahme auf einen Bereich, der in die Zuständigkeiten des Bundes fällt, ist die Bundesregierung gehalten, das Votum zu berücksichtigen. Sie muß hingegen Bundesratsvoten „maßgeblich“ berücksichtigen, wenn die in Frage stehende EU-Maßnahme in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt. Die Bund-Länder-Vereinbarung schreibt vor, daß bei gegensätzlichen Auffassungen beide Seiten zunächst versuchen, doch noch eine Verständigung zu erzielen. Scheitert dies und bestätigt der Bundesrat seine Auffassung mit Zweidrittelmehrheit, ist die Bundesregierung verpflichtet, sich an dieses Votum zu halten. Die Bundesregierung hat ihrerseits das letzte Wort in all den Fällen, wenn Entscheidungen zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmenminderungen für den Bund führen können. -Besonders brisant und letztlich ungeklärt ist das Verfahren in allen Fällen bei Vorhaben nach Art. 235 EGV. Diese vielfach „Kompetenz-Kompetenz“ genannte Vertragsnorm soll ein Tätigwerden der EU auch dann erlauben, wenn der Vertrag zwar keine ausdrückliche Ermächtigung dafür enthält, die Mitgliedsregierungen im Rat aber einstimmig die Auffassung vertreten, daß die in Frage stehende Maßnahme zur Verwirklichung der im Rahmen des Gemeinsamen Marktes erforderlichen Ziele ergriffen werden sollte. Für diese Fälle bindet die neue Regelung die Zustimmung der Bundesregierung an das Einvernehmen mit dem Bundesrat, wobei strittig ist, ob dieses Einvernehmen auch im Falle einer Stimmenthaltung der Bundesregierung im Rat -die die Maßnahme nicht verhindern würde -erforderlich ist. Nur die Praxis kann erweisen, ob sich Bund und Länder hier jeweils politisch verständigen können oder ob ein Konflikt vor dem Bundesverfassungsgericht ausgetragen werden muß. -Länder-Vertreter in EU-Gremien. Die Regelungen zu dieser Frage sollen es den Ländern ermöglichen, an den Verhandlungen in EU-Gremien direkt mitzuwirken. Zu diesem Zweck benennt der Bundesrat Ländervertreter -bislang waren es etwa 400 -, die dann von Fall zu Fall der deutschen Verhandlungsdelegation angehören. Wie effizient diese Mitwirkung im Einzelfall ist, wird sicher von der sachlichen Qualifikation der Ländervertreter für die zur Behandlung anstehende Frage abhängig sein. Während die Mitwirkung als solche unstrittig ist. wirft die Frage der Übertragung der Verhandlungsführung an Länder-Vertreter Pro-bleme auf. Als Voraussetzung dafür formuliert die Bund-Länder-Vereinbarung, daß das Vorhaben „im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betrifft“. Daß hier immer wieder Auffassungsunterschiede und gegebenenfalls Konflikte auftreten können, ist absehbar. Eng verknüpft mit der eben genannten Frage ist die Beteiligung von Länder-Vertretern bei den Beratungen zur Bestimmung der deutschen Verhandlungsposition in den EU-Gremien. Auch hier wird es immer wieder Fälle geben, in denen die Länder mit dem Ausmaß der ihnen eingeräumten Mitwirkungsmöglichkeiten nicht zufrieden sind.
Im Zusammenhang mit den eben genannten neuen Regelungen ist auch die Einrichtung der sogenannten „Europa-Kammer“ des Bundesrates zu sehen Sie stellt insofern ein verfassungsrechtliches Novum dar, weil sie, anders als die Ausschüsse des Bundesrates, nicht lediglich ein Beratungs-, sondern ein eigenständiges Beschlußgremium ist; Beschlüsse der Europa-Kammer haben die Wirkung von Entscheidungen des Bundesratsplenums. Der Einrichtung dieser neuen Institution lagen folgende Überlegungen zugrunde: Weil EU-Vorlagen häufig eilbedürftig sind, das Plenum des Bundesrates aber nicht häufig genug tagt, soll die Europa-Kammer eine prompte Reaktion der Länder über den Bundesrat ermöglichen. In der Praxis hat sich der normale Sitzungsrhythmus des Bundesrates als ausreichend erwiesen; die Europa-Kammer ist weitgehend inaktiv geblieben. Ein zweiter Grund für die Einrichtung des neuen Gremiums bezog sich auf die eventuell notwendige Vertraulichkeit von Bundesrats-Voten als Teil der deutschen Verhandlungsposition. Wie stark europäische Angelegenheiten den Alltag des Bundesrates bestimmen, zeigen die überaus umfangreichen Tagesordnungen des Bundes-rats-Ausschusses für Fragen der EU; er tagt alle drei Wochen und hat dabei bis zu 40 Tagesordnungspunkte zu erledigen. 3. Eigenständige EU-Aktivitäten der Länder Parallel zu ihren Bemühungen um die Verankerung von Mitwirkungsrechten in Angelegenheiten der EU haben die Länder eigenständige Aktivitäten entwickelt. Sie sind recht vielfältig und dienen zusammengenommen dem Ziel des Erwerbs von „Europa-Fähigkeit“ sich in der weiten Arena europäischer Politikgestaltung als „Mitspieler“ zu etablieren, um dann eigene Belange möglichst wirkungsvoll vertreten und durchsetzen zu können.
Organisationsinterne Maßnahmen der Landesregierungen In den Ministerien der Landesregierungen sind seit Mitte der achtziger Jahre fast überall eigene Europa-Referate eingerichtet worden. In den Staatsministerien bzw. Staatskanzleien wurden Koordinierungsstellen-geschaffen, die eine möglichst optimale Abstimmung europapolitischer Positionen des betreffenden Landes sicherstellen sollen. Der besseren Qualifikation von Beamten der Länder dient die Einbeziehung von europapolitischen Fragen in der Aus-und Fortbildung. Europa-Kompetenz spielt bei Entscheidungen über Einstellung und Beförderung von Beamten bereits eine Rolle. Die Landesvertretungen in Bonn haben als neue zusätzliche Zuständigkeit ausdrücklich EU-Angelegenheiten zugewiesen bekommen. Ihre Veranstaltungen widmen sich regelmäßig auch Fragen der Europapolitik.
Europapolitik in der Länder-Länder-Kooperation Im deutschen Föderalismus kommt den Beziehungen der Länder untereinander eine besonders wichtige Rolle zu. Konferenzen der Ministerpräsidenten sowie der Ressortminister sind wichtige institutionalisierte Kooperationsformen. Sie befassen sich mehr und mehr auch mit Angelegenheiten der EU und tragen damit dem Umstand Rechnung, daß europäische Politik immer stärker in die verschiedensten Politikbereiche eingreift. 1993 wurde mit der Europa-Minister-Konferenz eine neue und speziell auf die EU-Politik ausgerichtete Institution geschaffen Sie tagt jährlich etwa dreimal; auf der Arbeitsebene ist die Kooperation sehr viel intensiver. Tagesordnungspunkte sind u. a. Fragen im Zusammenhang mit der europapolitischen Rolle der Länder, Überlegungen und Beiträge zum Vorhaben der Vertragsreform („Maastricht II“) sowie ausgewählte Probleme der Europapolitik; speziellere Politikbereiche werden von den jeweiligen Ressort-Minister-Konferenzen behandelt.Informationsbüros der Länder in Brüssel Zwischen 1985 und 1987 haben die Länder der Bundesrepublik solche Einrichtungen geschaffen; die neuen Länder sind diesem Beispiel später gefolgt. Während zunächst aus der Sicht der Bundesregierung die kritische Frage gestellt wurde, ob diese Büros Instrumente einer „Neben-Außenpolitik“ der Länder sein sollten, werden sie mittlerweile ganz unbefangen gesehen und behandelt. In der Bund-Länder-Vereinbarung von 1993 verpflichtet sich die Bundesregierung sogar, die Länderbüros insbesondere über die Ständige Vertretung in Brüssel zu unterstützen. Die Funktionen der Informationsbüros sind vielfältig sie dienen der Informations-Gewinnung und -Vermittlung; sie wirken an der Wirtschaftsförderung ihres Landes mit und helfen Unternehmen oder anderen Einrichtungen bei der Projektbearbeitung, sofern EU-Instanzen eine Rolle spielen; sie dienen der Repräsentation des Landes und stellen ein nützliches Diskussionsforum dar. Ihre personelle Ausstattung ist insgesamt gewachsen, und sie erfreuen sich als Anlaufstelle des jeweiligen Landes in Brüssel eines regen Zulaufs.
Die europapolitische Rolle der Landesparlamente Im Vergleich mit der Länder-Exekutive spielen die Landesparlamente europapolitisch bislang nur eine Nebenrolle Die Konferenz der Präsidenten der deutschen Landesparlamente hat zwar wiederholt die Einbeziehung der Landesparlamente in den europapolitischen Entscheidungsprozeß verlangt, wobei es insbesondere um einen Informationsanspruch gegenüber der Landesregierung sowie um die Möglichkeit geht, auf die Formulierung der von der Landesregierung im Bundesrat vertretenen Position Einfluß zu nehmen. Auch wenn in einer Reihe von Ländern die Unterrichtung des Landtags mittlerweile praktiziert wird, Landtage Stellungnahmen zu Angelegenheiten der
EU abgeben und in einzelnen Landtagen bereit spezielle Europa-Ausschüsse eingerichtet wurden bleibt die Rolle der Landesparlamente marginal.
Lobbytätigkeit im Rahmen der VRE Die Versammlung der Regionen Europas (VRE) wurde Anfang 1985 zur Repräsentation spezifi scher regionaler Interessen auf europäische!
Ebene gegründet. Wichtigster Adressat der VRE Aktivitäten ist die EU. Ziel ist laut Satzung, „die Vertretung der Regionen bei den europäischer Institutionen zu verstärken und ihre Beteiligung beim Aufbau Europas sowie am Entscheidungsprozeß auf Ebene der Gemeinschaft in allen ihren Belangen zu erleichtern“. Die deutschen Ländei standen der neuen Organisation zunächst distanziert gegenüber; Baden-Württemberg trat 1987 als erstes deutsches Land bei. Ursache für die Distanz war zweifellos die Heterogenität in der Zusammensetzung der VRE. Die mit Staatsqualität ausgestatteten Bundesländer sahen in der Zusammenarbeit mit territorialen Einheiten ganz unterschiedlicher und ihnen gegenüber geringerer rechtlicher und politischer Qualität zunächst keine Vorteile. Erst als sich die Erkenntnis durchsetzte, daß zur Durchsetzung spezifischer Länderbelange grenzüberschreitende Interessenkoalitionen mit anderen subnationalen territorialen Einheiten nützlich sind, engagierten sie sich in der VRE. Diese hat sich zur sicherlich umfassendsten europäischen Interessenvertretung der Regionen entwickelt. Der Einfluß der deutschen Länder auf die Arbeit der VRE war teilweise beträchtlich; von deutscher Seite formulierte Forderungen im Vorfeld des Vertrags von Maastricht wurden von der VRE übernommen. 4. Institutionalisierte Mitwirkung auf EU-Ebene Die deutschen Länder haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie dem europäischen Integrationsprozeß gegenüberstehen und die Weiterentwicklung in Richtung auf eine sich immer mehr vertiefende Europäische Union nachdrücklich unterstützen. Sie haben dieses generelle Bekenntnis aber mit sehr konkreten Aussagen ergänzt, wie diese Union beschaffen sein und auf welchen Strukturprinzipien sie beruhen müsse; dazu gehörten Aussagen über die Stellung territorialer Einheiten unterhalb der Ebene der Nationalstaaten -im Fall Deutschlands also der Länder -in dem zu errichtenden Gebilde einschließlich der wirksamen Beteiligung dieser Regionen am Rechtsetzungsprozeß der Union. Ihre diesbezüglichen Vorstellungen haben die Länder mit Blick auf die anstehende Vertiefung der EG im Rahmen von Regierungskonferenzen nach Inkrafttreten der EEA systematisch entwickelt und -in erster Linie an die Adresse der Bundesregierung gerichtet -in die europapolitische Diskussion eingebracht
Ausgangspunkt dieser neuen Runde von Initiativen war der Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz vom Oktober 1987 in München, wo „ein Europa mit föderativen Strukturen“ als Ziel formuliert wurde Zwei Jahre später setzten die Ministerpräsidenten der Länder eine Arbeitsgruppe der Staats-und Senatskanzleien mit dem Auftrag ein, über die Stellung der Länder und Regionen bei der Weiterentwicklung der EG zu berichten. Der im Mai 1990 vorgelegte, sehr ausführliche Bericht enthält konkrete Vorschläge für eine Änderung der Gemeinschaftsverträge, die sich auf vier Punkte beziehen: die Einfügung des Subsidiaritätsprinzips, Modelle für die Beteiligung von Ländern und Regionen an der Arbeit des Ministerrats, die Schaffung eines „Regionalorgans“ auf Gemeinschaftsebene sowie die Einführung eines eigenständigen Klagerechts der Länder und Regionen beim Europäischen Gerichtshof. In einem Beschluß der Ministerpräsidenten vom 7. Juni 1990 und in einer Entschließung des Bundesrates vom 24. August 1990 wurden diese Forderungen bestätigt. Die Bundesregierung wurde in der Entschließung des Bundesrates darüber hinaus aufgefordert, die Länder an den Arbeiten der Regierungskonferenz, einschließlich der Vorbereitungen, auf denen die deutsche Verhandlungsposition erarbeitet wird, zu beteiligen. Die Bundesregierung erfüllte diese letztere Forderung der Länder, lediglich in den abschließenden Verhandlungen in Maastricht blieben die Staats-und Regierungschefs mit den Außenministern unter sich. In der Phase der Verhandlungsvorbereitungen hat sich das Verhältnis der Länder zur Bundesregierung als ausgesprochen kooperativ entwikkelt.
Die Ergebnisse der Regierungskonferenz, die im Vertrag von Maastricht ihren Niederschlag fanden, können, was den Ertrag für die Länder betrifft, wie folgt zusammengefaßt werden:
Das Subsidiaritätsprinzip nach. Artikel 3 b EGV Mit den in Artikel 3 b des Vertrags von Maastricht enthaltenen Bestimmungen zum Subsidiaritätsprinzip konnten die Länder nur teilweise zufrieden sein. Das im Absatz 1 bekräftigte „Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung“ kommt der Position der Länder insoweit entgegen, als diese Initiativen der Europäischen Kommission mit dem Argument fehlender Rechtsgrundlagen kritisiert hatten. Und: Wenn die Regierungen von Artikel 235 EGV, einer „Generalermächtigung zur Vertragsabrundung“ künftig Gebrauch machen wollten, müßten sie dies jetzt noch viel sorgfältiger begründen. Auch die in Absatz 3 erfolgte Unterstreichung des Gesichtspunktes der Verhältnismäßigkeit von Gemeinschaftsmaßnahmen liegt ganz auf der Linie der deutschen Länder.
Die in Absatz 2 enthaltenen Aussagen zum Subsidiaritätsprinzip im engeren Sinne blieben hingegen für die Länder unergiebig. Vor allem: Die Regelung stellt auf das Verhältnis Gemeinschaft -Mitgliedstaaten ab und läßt die regionale Ebene, im deutschen Fall also die der Länder, ganz und gar unberücksichtigt. Sodann bezieht sich die Regelung auf das Verhältnis der Gemeinschaft zur Gesamtheit der Mitgliedstaaten, nicht jedoch auf das Verhältnis der Gemeinschaft zu einem einzelnen Mitgliedstaat. Die in der Formulierung enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe „nicht ausreichend“ sowie „besser“ ließen im übrigen begründete Zweifel entstehen, ob das Subsidiaritätsprinzip in dieser Formulierung als justitiable Berufungsgrundlage überhaupt tauglich ist oder ob es letztlich doch nur -wenn überhaupt -politische Wirkung entfalten kann. Die bisherige Praxis verweist auf die letztere Funktion Direkte Mitwirkung der Länder im Rat Die Neufassung von Artikel 146 EGV, der die Zusammensetzung des Rates regelt („Der Rat besteht aus je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene, der befugt ist, für die Regierung des Mitgliedstaats verbindlich zu handeln“), gibt den Ländern die Möglichkeit, die Bundesrepublik im Rat zu vertreten. Über die Erfahrungen mit dieser neuen Vorschrift liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse vor; ein Bericht im Rahmen der Europa-Minister-Konferenz ist in Vorbereitung.
Die Schaffung des Ausschusses der Regionen
Mit dieser neuen Institution ist den Forderungen der Länder nach einem Regional-Organ nur sehr unvollkommen entsprochen worden. Zum einen ist die neue Institution auf lediglich beratende Funktionen beschränkt. Ihre organisatorische Infrastruktur sowie die finanziellen Ressourcen sind überaus bescheiden, was die Effektivität der Arbeit negativ beeinflussen muß. Hauptschwäche der neuen Institution ist aber die große Heterogenität in der Zusammensetzung. Die dort vertretenen Regionen unterscheiden sich nach rechtlichem Status und politischer Qualität ganz erheblich. Der AdR wird es deshalb schwer haben, bald ein eigenständiges Profil zu entwickeln und zu einem allseits beachteten Mitspieler im gemeinschaftlichen Entscheidungsgefüge zu werden.
Entgegen den Vorstellungen und Forderungen der Länder wurden nicht alle 24 für Deutschland vorgesehenen Sitze für Vertreter der Länder reserviert; drei Sitze gehen an die drei kommunalen Spitzenverbände. Jedes Land ist mit einem Mitglied vertreten; in der ersten Amtsperiode entsenden die sechs größten Länder ein weiteres Mitglied. Die Dominanz der Exekutive ist unverkennbar; lediglich unter den stellvertretenden Mitgliedern und den zweiten Repräsentanten der großen Länder sind auch Parlamentsvertreter. Bereits nach über zwei Jahren ist unverkennbar, daß die Länder ihre an das Regionalorgan gerichteten Erwartungen erheblich reduziert haben.
Klagerecht beim Europäischen Gerichtshof (EuGH)
Weder einzelne Regionen, im deutschen Fall alsc die Länder, noch der AdR erhielten im Vertrag vor Maastricht ein eigenständiges Klagerecht beim EuGH. Wollen die Länder den Klageweg beschreiten -etwa gegen Entscheidungen der Kommission -, sind sie auf die Mitwirkung der Bundesregierung angewiesen. Das Zusammenarbeitsgesetz und die Bund-Länder-Vereinbarung haben hierfür die Voraussetzungen geschaffen, wobei jedoch Verfahrens-Fragen offengeblieben sind.
III. Zusammenfassende Würdigung
Beim Versuch einer zusammenfassenden Würdigung der von den Ländern ergriffenen Maßnahmen und Initiativen muß berücksichtigt werden, daß die Erfahrungen sich auf einen so kurzen Zeitraum beziehen, daß abschließende Schlußfolgerungen nicht möglich sind. Die unter dieser Einschränkung stehenden Schlußfolgerungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Die Länder haben auf die mit der fortschreitenden europäischen Integration verbundenen Herausforderungen kreativ und konstruktiv reagiert und sich als anpassungsfähig erwiesen.
Sie sind sicherlich nicht die Verlierer der fortschreitenden europäischen Integration. Vielmehr haben sie im Verhältnis zum Bund ihre Position nicht nur behauptet, sondern ihr Gewicht ist im Rahmen der föderalen Balance stärker geworden.
2. Auch der Bund, vertreten durch die Bundesregierung, hat sich an diesem Anpassungsprozeß beteiligt und ist den Ländern in einer Reihe von Punkten entgegengekommen.
3. Indem Bund und Länder in ihrem jeweiligen Verhalten sowie im Zusammenwirken dem Grundsatz der sogenannten Bundestreue entsprechen wie sich beide Seiten gegenseitig bescheinigen, ist auch die föderative Ordnung der Bundesrepublik Deutschland insgesamt im Zuge der fortschreitenden EU-Integration nicht beschädigt worden, sondern hat eine erneute Bewährungsprobe bestanden. Der Charakter des Beteiligungsföderalismus mit dem Charakteristikum intensiver werdender Verhandlungsprozesse im Rahmen der (doppelten)
Politikverflechtung ist allerdings ausgeprägter geworden.
4. Die Länder haben ihr Gewicht auch insofern gestärkt, als sie sich auf EU-Ebene als Mitspieler etabliert haben. Es ist aber unverkennbar, daß sie für ihre europapolitische Rolle den Vorrang deutlich im innerstaatlichen Bereich sehen, nicht so sehr in der Etablierung institutionalisierter Mitwirkungs-und Mitentscheidungsmöglichkeiten auf EU-Ebene, etwa im Rahmen eines Regionalorgans.
5. Ergänzend muß noch darauf hingewiesen werden, daß sich den deutschen Ländern im Rahmen der europäischen Integration und der EU-Politik neue und zusätzliche Handlungsmöglichkeiten eröffnen, die sie im übrigen bereits begonnen haben auszuschöpfen:
-Da ist zum einen die Chance eigenständiger und von der Ebene des Bundes relativ unabhängiger Politik auf dem Gebiet der EU-Regional-
und Strukturpolitik. Das neue Konzept der Europäischen Kommission bei regionaler Strukturpolitik setzt stark auf direkte Kooperation mit territorialen Einheiten unterhalb der Ebene des Gesamtstaates. Das von der Kommission favorisierte Partnerschafts-Prinzip eröffnet gerade auch den deutschen Ländern neue autonome Handlungsmöglichkeiten. -Ein weiteres Feld autonomer Handlungsmöglichkeiten der Länder bietet die Kooperation von Regionen, insbesondere zwischen benachbarten Grenzregionen. Der zusammen mit dem „Europa-Artikel“ 23 GG neu in die Verfassung aufgenommene Artikel 24, Absatz 1 a erlaubt den Ländern ausdrücklich, Hoheitsrechte auf grenznachbarschaftliche Einrichtungen zu übertragen -mit Zustimmung der Bundesregierung -, sofern die Länder auf den betreffenden Gebieten zuständig sind. Welche Möglichkeiten sich hier für die Länder ergeben, läßt sich dem im Januar 1996 unterzeichneten Übereinkommen zwischen den Regierungen Deutschlands, Frankreichs, Luxemburgs und der Schweiz über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und örtlichen öffentlichen Stellen entnehmen Der Umstand, daß das Abkommen auf deutscher Seite von der Bundesregierung und nicht von den Landesregierungen Baden-Württembergs, Rheinland-Pfalz und des Saarlands unterzeichnet wurde, geht auf die französische Position zurück, ein solches Abkommen nur mit den nationalen Regierungen abzuschließen.
Nach Inkrafttreten des Abkommens wird abzuwarten sein, welche konkreten Handlungs-
und Gestaltungsmöglichkeiten sich für die deutschen Länder ergeben.