Die „Globalisierung der Märkte“ beschäftigt die öffentliche Meinung seit Mitte der neunziger Jahre ähnlich wie die Debatte der vergangenen Jahre um die Standortschwäche der deutschen Wirtschaft. Um ein derart vielschichtiges Phänomen wirtschaftsethisch beurteilen zu können, bedarf es zunächst einer methodischen Eingrenzung. Danach soll der Begriff der Globalisierung präzisiert und auf den europäischen Kontext zugespitzt werden. Daraus lassen sich politische Handlungsorientierungen entwickeln.
I. Methodische Eingrenzung
1. Kohärenz von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsethik Die Kohärenz von Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsethik ist ein Wechselverhältnis: Die normativen Urteile werden als ein Moment der Analyse begriffen und die ökonomischen Analysen als ein Moment der ethischen Reflexion.
Das Verhältnis von Wirtschaft und Moral, von Wirtschaftstheorie und Ethik soll somit im Sinn einer Kohärenz, nicht einer Dominanz oder Trennung rekonstruiert werden. Folglich kann die Wirtschaftsethik nicht einfach die „wissenschaftlich sicheren Erkenntnisse“ etwa der Wirtschaftstheorie aufgreifen oder normativ zurückweisen. Die meisten Ökonomen begreifen sich ja nicht bloß als Sammler und Sortierer von Daten: Ihre Hypothesen enthalten wertende Annahmen. Umgekehrt schließt die ethische Reflexion eine Diagnose der wirtschaftlichen Lage und ein Urteil über deren Wirkungen ein. Sie muß die getroffene Auswahl der ökonomischen Hypothesen und Theorien begründen, ob deren Verfahren tauglich sind, ob die Wahrheit der Behauptungen gesichert ist und ob die Reichweite der Geltung genügt. Daß die wirtschaftsethische Reflexion plausibel ist, ergibt sich aus der Konvergenz von praktischem Standort, von ökonomischer Analyse und ethischer Option. 2. „Globalisierung“ -Wahrnehmungsmodell und Deutungsmuster In der „Globalisierungsdebatte“ geht es in erster Linie um Wahrnehmungsmodelle und Deutungsmuster, die mit der bezeichneten Wirklichkeit nicht identisch sind. Deswegen muß es nicht verwundern, daß sich nur wenige Ökonomen an dieser Debatte beteiligen und daß sie, wenn sie auf statistische Daten zurückgreifen, ein sehr vorsichtiges Urteil darüber fällen, seit wann und wie stark etwa das Ausmaß der weltwirtschaftlichen Verflechtung zugenommen hat und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Sozial-und Politikwissenschaftler finden es dagegen weniger problematisch, wenn eine öffentliche Debatte von der gesellschaftlichen Wirklichkeit abhebt und ein Eigenleben entfaltet. Tatsächlich läßt sich nachweisen, daß die aktuelle Globalisierungsdebatte in Deutschland nicht ursprünglich ist, insofern ihr eine vergleichbare Diskussion in den USA vorausgegangen ist, und daß sie außerdem mit denselben Argumentationsmustern gespeist wird, wie sie aus den Standortdebatten bekannt sind, die sich inzwischen erschöpft haben. Deshalb ist es keine zweitrangige Frage, inwieweit die Globalisierung eine „harte Tatsache“, eine modische Diskussion, ein ideologisches Konstrukt oder ein strategisches Instrument ist, das eingesetzt wird, um Verteilungskonflikte im eigenen Interesse zu entscheiden. 3. „Globalisierung“ aus abweichender Perspektive Unabhängig davon, wie die eben gestellte Frage zu beantworten ist, kann die „Globalisierung“ abweichend wahrgenommen und gedeutet werden, je nachdem welche Perspektive gewählt wird. So beschreibt etwa ein Einzelunternehmer der Textilindustrie aus einer ländlichen Region in Deutschland, der von einem Unternehmen in Ungarn, Polen oder Tschechien aus einem Markt für standardisierte Produkte verdrängt wird, die mit gering qualifizierten Arbeitskräften hergestellt werden, einen Wettbewerbsdruck, dem er und seine Belegschaft sich nicht gewachsen sehen. Beraterfirmen, die von bedrängten Unternehmen zu Hilfe gerufen werden, entdecken leicht Länder mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten in einer stagnierenden Welt, erfolgreiche Wirt- schaftszweige in Ländern, deren Wirtschaftsleistung sinkt, expandierende Unternehmen in schrumpfenden Branchen und erfolgreiche Abteilungen in Unternehmen, denen der Konkurs droht. Respräsentanten eines neu industrialisierten Schwellenlandes in Lateinamerika beschreiben das widersprüchliche Verhalten der Industrieländer, die erst private Geschäftsbanken angeregt haben, den Entwicklungsländern Kredite zu geben, damit sie diese im Verlauf einer wachsenden Weltmarkt-integration mit Exporten zurückzahlen könnten, gleichzeitig jedoch die eigenen Märkte gegen eben diese Exporte abriegeln. Die Verteidiger der internationalen Arbeitsteilung sehen in den wachsenden Einkommen und Vermögen der Deutschen die Vermutung bestätigt, daß der Weltmarkt allen daran beteiligten Ländern Vorteile bringt, ohne indessen zu garantieren, daß die Handelsgewinne zwischen den Ländern und innerhalb der jeweiligen Länder fair verteilt werden. 4. Inflationäre und diffuse „Globalisierung“
Die inflationäre Verwendung des Begriffs der Globalisierung macht dessen Semantik diffus. Von „Globalisierung“ wird erstens gesprochen, wenn es darum geht, die globale Reichweite der Umweltrisiken zu charakterisieren. Umweltschäden sind weder räumlich begrenzt noch zeitlich umkehrbar, weder klassenbezogen noch an den Ort ihrer Entstehung gebunden. Sie sind global wirksam, bilden Risikonetze und Risikoketten, stellen eine weltweite Solidarität zwischen Tätern und Opfern her. Zweitens wird unter „Globalisierung“ die expansive Eroberung der Entwicklungsländer durch das westliche Wohlstandsmodell verstanden, in deren Verlauf traditionelle Kulturen verschwinden, die Systeme einer kapitalistischen Marktwirtschaft und einer formalen Demokratie sich ausbreiten und die Einbindung der weniger entwickelten Wirtschaften in den von den Industrieländern dominierten Weltmarkt erzwungen wird. Ein „Globalisierungsdruck“ der Industrieländer wird auf die „kolonisierten“ Länder des weltwirtschaftlichen Südens ausgeübt. Drittens bedeutet „Globalisierung“ die Rückwirkung jener Expansion der Industriewirtschaften in die Entwicklungsländer -eine zunehmende Weltmarkt-integration und Wettbewerbsfähigkeit der neu industrialisierten Schwellenländer sowie einen verschärften Anpassungsdruck auf einzelne Unternehmen, Branchen und Regionen in Industrieländern. Dieser „reaktiven“ Globalisierung ist eine „aktive“ vorausgegangen, der ursprüngliche Globalisierungsdruck hat einen Globalisierungsgegendruck hervorgebracht. Ökonomische Aktion und Reaktion, politischer Druck und Gegendruck verlangen eine differenzierte ethische Bewertung, die vermeidet, die Chancen und Risiken einseitig zu verteilen. 5. Plurale Wirtschaftsethik Wirtschaftsethische Reflexionen sind ebenso vielgestaltig wie wirtschaftstheoretische Analysen. Sie können etwa bei der Kaufentscheidung des einzelnen Wirtschaftssubjekts ansetzen. Da der real existierende Konsument jedoch weniger souverän ist, als in den Lehrbüchern unterstellt wird (der Kauf eines in Deutschland hergestellten Autos allein wird die internationale Verflechtung nicht ernsthaft beeinflussen), käme eher der Unternehmer als Adressat einer wirtschaftsethischen Reflexion in Frage. Er könnte sich an den Beschäftigungswirkungen etwa einer Produktionsauslagerung orientieren und bei der Einführung eines neuen Fertigungsverfahrens Verantwortung für globale Lebenszusammenhänge übernehmen. Allerdings sind die Grenzen einer solchen Individualethik schnell gezogen. In der Regel ist der Handlungsspielraum eines einzelnen Unternehmers als eines „Mengenanpassers“ eingeschränkt; er kann auf Marktsignale lediglich reagieren, sein wirtschaftliches Handeln ist weitgehend fremdgesteuert. Eine Individualethik könnte einen Gewissensspiegel für Unternehmer erstellen, der sich in den vorgegebenen Rahmen des Wettbewerbs und der gesetzlichen Regelungen einfügt. Die Grenze einer solchen Moral zu überschreiten und sich an gesellschaftlichen Erwartungen jenseits der Marktsteuerung und der gesetzlichen Vorschriften zu orientieren, ohne daß der Gleichschritt der anderen Unternehmen gewährleistet ist, verlangt vom einzelnen Unternehmer ein heroisches Handeln, das ihn überfordert. Moralischer Rigorismus würde ihn vom Markt verdrängen.
Eine „Unternehmensethik“ greift über den Engpaß der individuellen Tugendethik hinaus. Sie ist weithin unter dem Namen „Unternehmenskultur“ verbreitet. Zum einen versuchen Unternehmen, auf den veränderten Arbeits-und Lebensstil der jüngeren Generation einzugehen. Zum anderen bemühen sie sich um eine Unternehmensidentität, die sich in Normen, Symbolen und einer Betriebs-atmosphäre verkörpert. Außerdem üben sie einen kommunikativen Führungsstil ein. Der Bewährungstest solcher Experimente 'liegt wohl darin, daß sie sich in strukturelle Veränderungen, etwa Formen der Beteiligung und Mitbestimmung überführen lassen, daß sie das Unternehmen nicht als Vermögensmasse, die zum Kauf und Verkauf ansteht, sondern als Vertragsnetz oder Personen-verband rekonstruieren und sich gegen Unternehmenskonzepte behaupten, die ausschließlich am Börsenwert eines Unternehmens orientiert sind.Vieles spricht indessen dafür, eine wirtschaftsethische Reflexion vorrangig bei der Formulierung der Marktregeln zu verorten, die das Handeln der Wirtschaftssubjekte steuern. Dabei wird eine wechselseitige Vereinbarung der Marktteilnehmer unterstellt, die verbindlich zusagen, die eigenen Handlungsmöglichkeiten regelrecht zu beschränken, also moralisch zu handeln. Der Vorteil einer solchen Regelbindung für alle besteht darin, daß die Handlungserwartungen sicherer werden und die Handlungsfreiheit erweitert wird. Nun wurde weithin der Staat als Träger und Garant einer solchen Vereinbarung angesehen, weil er partikulären Interessen enthoben war und diese notfalls gegen Widerstand durchsetzen konnte. Abgesehen davon, daß der „Globalisierungsdruck“ die Handlungskompetenz der Nationalstaaten schmälert, kommt in pluralen Gesellschaften und repräsentativen Demokratien ein solcher „Gesellschaftsvertrag“, der eine Marktwirtschaft in gesellschaftliche Überzeugungen, Werte und Normen einbettet, wohl nur unter „Druck und Gegendruck“ zustande. Er läßt sich allenfalls als Resultat heftiger Interessenkonflikte und schwerfälliger Lernprozesse rekonstruieren. Bei der prozeßhaften Formulierung von Regeln im allgemeinen Interesse spielen innovative Unternehmen, staatliche Entscheidungsorgane und zivilgesellschaftliche Akteure eine gleichrangige unverzichtbare Rolle.
II. Begriffliche Präzisierung
Die Globalisierungsdebatte verweist auf eine zeitliche und räumliche Wirklichkeit. Deren zeitliche Erstreckung wird extrem abweichend markiert. Als Referenzgröße einer „Globalisierung“, die seit dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch der Dynastien einsetzte und nach dem Zusammenbruch des Sowjetblocks ihren definitiven Durchbruch erzielte, dient wahlweise die Epoche der griechisch-römischen Antike, die Blütezeit der Hanse oder die Eroberung Amerikas durch die iberischen Mächte. Andere vergleichen die Zeit des Goldstandards mit der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Währungssystem von Bretton-Woods etabliert war. Wieder andere sehen die Phase fester, aber anpassungsfähiger Wechselkurse seit 1971/73 durch die Zeit floatender Wechselkurse abgelöst. Manche verweisen auf die abweichenden Reaktionsweisen der Unternehmen und Staaten nach den beiden Ölpreisschocks von 1973 und 1980. Ein säkularer ökonomischer und gesellschaftlicher Schnitt wird in den Veränderungen des Jahres 1989, im Zusammenbruch jener Kommandowirtschaften und jener um eine einzige Partei organisierten Gesellschaften des real existierenden Sozialismus gesehen. In den europäischen Ländern und insbesondere in Deutschland wird die härteste Nachkriegsrezession 1993/94 zum Beginn eines unvergleichlichen Aufbruchs in den Weltmarkt und in die Weltgesellschaft stilisiert. Wenn der Begriff der „Globalisierung“ eine zeitlich derart gestreute Verwendung zuläßt, kann seine Aussagekraft nicht hoch sein. Tatsächlich wird das Ausmaß der gegenwärtigen Globalisierung häufig weit überschätzt. So lag 1987 der Anteil der Warenexporte am Bruttosozialprodukt im heutigen OECD-Raum nur geringfügig über dem Wert am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Um so notwendiger ist es, den diffusen Begriff auszudifferenzieren. 1. Internationale Handelsverflechtung Die Reichweite der internationalen Handelsverflechtung ist nicht global. Zum einen werden bloß 20 Prozent der Güter international gehandelt. Allenfalls 30 Prozent der Weltbevölkerung, davon zehn Prozent der Bevölkerung der Entwicklungsländer, sind direkt in die Weltwirtschaft integriert. Der „Globalisierung“ der Märkte steht eine „Fragmentierung“ der Weltgesellschaft gegenüber; 87 Prozent des Welthandels konzentrierten sich 1990-1994 auf die Weltregionen Nordamerika, Westeuropa und Asien (Japan, China und die „Tigerstaaten“); davon entfiel die Hälfte auf Westeuropa. Zwei Drittel des Welthandels verlaufen innerhalb der drei großen Handelsblöcke, die sich nach dem Ende der Blockkonfrontation herausgebildet haben und die von den Zentren Westeuropa, USA und Japan und den Peripherien Lateinamerika, Naher und Mittlerer Osten sowie den asiatischen und pazifischen Satelliten gebildet werden. 60 bis 70 Prozent des deutschen Außenhandels werden mit den westeuropäischen Industrieländern abgewickelt. Dabei ist die Wettbewerbsposition gegenüber den reifen Industriestaaten durch ein ähnliches Sortiment, insbesondere durch qualitativ profilierte Produkte und Produktionsverfahren im Bereich der Hochtechnik, gekennzeichnet. Schwächen und Stärken in verschiedenen Segmenten dieser Technik, etwa der Mikro-bzw. Unterhaltungselektronik oder des Umweltschutzes, halten sich mehr oder weniger die Waage. Ein abnehmender, vielleicht nur schwankender Anteil der deutschen Wirtschaft am Welthandel muß kein Alarmzeichen sein, wenn dieser bloß die vereinigungsbedingte Erweiterung der Außen-grenzen und die hohe wirtschaftliche Dynamik der neu industrialisierten Länder spiegelt. Die derzeitbeobachtete wachsende Exportnachfrage, die gar zum Motor der inländischen Belebung wird, widerlegt jedenfalls die Behauptung eines Globalisierungsdrucks, der auf der deutschen Wirtschaft als Ganzes laste.
Nicht völlig anders, wohl aber differenziert ist der „Globalisierungsdruck“ einzuschätzen, von dem einzelne Unternehmen, Branchen und Regionen heftig betroffen sind, die im Niedriglohnbereich mit den neu industrialisierten Ländern in Südostasien und mit den „Reformstaaten“ in Mitteleuropa konkurrieren. Einem vergleichbaren, im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung und im Verlauf einer wachsenden Weltmarktintegration der Schwellenländer unvermeidlichen Anpassungsdruck sind seit dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Wirtschaftszweige in Deutschland, etwa die Spielwaren-, Uhren-, Schuh-, Bekleidungs-und Textilindustrie, ausgesetzt gewesen. Dennoch darf dieser partikuläre „Globalisierungsdruck“ nicht auf die Volkswirtschaft hochgerechnet werden. Denn der deutsche Export in diese Länder ist nach dem Ausweis der Bundesbank in den letzten beiden Jahren überdurchschnittlich gestiegen, die Handelsbilanzen mit diesen Ländern sind ausgeglichen. Sollte ein rasanter Arbeitsplatzexport in diese Länder stattgefunden haben, dann wäre er von einer zusätzlichen Exportnachfrage nach deutschen Investitionsgütern, von zusätzlichen Einkommen und einem entsprechenden Kaufkraftzuwachs in diesen Ländern begleitet gewesen. Allerdings sind asymmetrische Wirkungen auf die Einkommensverteilung und den Arbeitsmarkt nicht auszuschließen, wenn nämlich der Auslagerung arbeitsintensiver Produktionsformen eine Exportnachfrage entspricht, die auf solche Produkte gerichtet ist, die kapitalintensiv hergestellt werden. Doch liegt der Anteil der in Niedriglohnländer gelieferten deutschen Waren am Gesamtexport bei 10 bis 15 Prozent, das entspricht etwa drei Prozent des Volkseinkommens. Der Produktionswert der in Niedriglohnländer ausgelagerten Produktionsstätten liegt etwa bei sechs Prozent aller industriellen Produktionsstätten deutscher Unternehmen im Ausland. Werden die durchschnittlichen Arbeitsproduktivitäten der Lederverarbeitung sowie der Schuh-und Bekleidungsindustrie, wie sie in Deutschland und in den Niedriglohnländern erreicht werden, miteinander verglichen, beträgt der Abstand derzeit noch 10: 1. 2. Ausländische Direktinvestitionen Der Saldo ausländischer Direktinvestitionen wird neuerdings als Beleg für den „Globalisierungsdruck“ herangezogen. Die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Ausland übertreffen -allerdings bereits seit den späten sechziger Jahren -die Investitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland. Nun machen die ausländischen Direktinvestitionen beispielsweise der G-7-Länder einschließlich der Niederlande nur etwa vier Prozent ihrer Bruttoinvestitionen aus. Die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Ausland betrugen 1995 sechs Prozent der Bruttoanlageinvestitionen, während in Ländern wie Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden höhere Anteile ausgewiesen wurden. Außerdem werden ausländische Direktinvestitionen zu 80 bis 90 Prozent in entwickelten Industrieländern, deutsche Direktinvestitionen zu mehr als 60 Prozent in westeuropäischen Ländern getätigt, um Märkte zu erschließen oder zu sichern. Und schließlich werden unter den Direktinvestitionen alle Finanzbeziehungen zu in-und ausländischen Unternehmen verstanden, an denen der Investor mehr als 20 Prozent der Anteile oder Stimmrechte unmittelbar hält; neben den Realinvestitionen gehören dazu der bloße Erwerb von Beteiligungen und die Übernahme von Unternehmen.
Die deutschen Direktinvestitionen haben die gleichen Zielländer wie die Warenexporte, auch wenn erstere überdurchschnittlich im Dienstleistungssektor angestiegen sind. Bloß ein kleiner Prozentsatz von ihnen entfällt auf Steueroasen bzw. auf Niedriglohnländer mit geringen Sozial-und Umweltstandards sowie niedriger Regelungsdichte. Ausländische Direktinvestitionen sind zum einen die Begleiterscheinung eines Exportüberschusses, um die Leistungsbilanz auszugleichen, zum anderen ein Ersatz für den Export, um protektionistischen Maßnahmen zuvorzukommen. Der positive Saldo der deutschen Direktinvestitionen im Ausland kann nicht als Indikator einer Schwäche der deutschen Wirtschaft angesehen werden. Denn zum einen übertraf die Investitionsquote, der Anteil der Bruttoanlageinvestitionen am Bruttosozialprodukt, in Deutschland 19911994 die in Frankreich, Großbritannien und den USA. Zum andern wirkt eine stagnierende Binnennachfrage in einem tendenziell aufwertungsverdächtigen Land mit einer Notenbank, die eine rigide Geldpolitik verfolgt, für Unternehmen aus abwertungsverdächtigen Ländern, die beabsichtigen, ausländische Direktinvestitionen vorzunehmen, nicht gerade einladend. Und schließlich machen die ausländischen Direktinvestitionen nur einen geringen Teil der jährlichen Kapitalbewegungen mit dem Ausland aus. 3. Transnationale Unternehmen Als die eigentlichen Akteure der „Globalisierung“ gelten die transnationalen Unternehmen. Ihre Zahl hat sich seit den siebziger Jahren verfünffacht. Sie wickeln zwei Drittel des Welthandels ab,ein Drittel des Welthandels ist konzerninterner Handel -mit wachsender Tendenz. Die „Internationalisierung der Produktion“ weltweit operierender Konzerne ist eine Strategie, die in mehreren Schüben unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton-Woods und den drastischen Ölpreiserhöhungen, dann seit Mitte der achtziger Jahre und seit 1993 mit der Vollendung des europäischen Binnenmarkts propagiert und verwirklicht worden ist.
So können Konzernleitungen einzelne Betriebe oder Unternehmensteile in verschiedenen Ländern gegeneinander ausspielen, damit diese sich wechselseitig unterbieten. Der Konzern erweckt den Anschein eines virtuellen Gebildes und erzeugt die Illusion einer paritätischen Marktbeziehung, während in Wirklichkeit die Situation eines ungleichen, umkämpften Tausches vorliegt, da eine Vielzahl von Anbietern einem einzigen Nachfrager bzw. eine Vielzahl von Nachfragern einem einzigen Anbieter gegenübersteht. Eine vergleichbare Ausbeutungssituation kann die Konzernleitung auch gegenüber nationalen Regierungen herstellen. Die Konzernleitung kann auch Unternehmen und Betriebe, die als Geld-und Sachanlagen gehalten werden, übernehmen, deren profitable Kerne ausschlachten und den Rest wieder verkaufen oder verschrotten.
Das Gewicht der transnationalen Unternehmen auf der Waage der „Globalisierung“ ist jedoch aus drei Gründen zu relativieren. Erstens entfallen auf sie weniger als fünf Prozent der erwerbsfähigen Weltbevölkerung, in den Industrieländern 20 Prozent und in den Entwicklungsländern zehn Prozent der abhängig Beschäftigten. Zweitens können bei der Internationalisierung der Produktions-und Wertschöpfungsketten zwei Tendenzen unterschieden werden: Entweder werden homogene Produkte mit standardisierten Produktionsverfahren für die ganze Welt angestrebt (Weltauto), die Entscheidungsprozesse sind stark konzentriert, die Entscheidungsregeln orientieren sich an den Kostenvorteilen der jeweiligen nationalen Standorte, die Produktionsstätten und Betriebseinheiten haben die zentral gefällten Entscheidungen auszuführen. Diese Strategie ist in den siebziger Jahren vorwiegend von japanischen Unternehmen gewählt worden. Oder es wird eine differenzierte, innovative Produktpalette, die stärker an den Besonderheiten regionaler Märkte orientiert ist, angestrebt. Auf der Grundlage einer dezentralen und enthierarchisierten Konzernstruktur wird das transnationale Unternehmen wie ein Netzwerk teilautonomer Betriebsteile, die über eine hohe marktnahe regionale Kompetenz verfügen, konzipiert. Beide Strategien müssen die Vor-und Nachteile der Integration und Ausdifferenzierung bzw. der Effizienz globaler Entscheidungsprozesse und der Beteiligung regionaler Entscheidungsträger daran in der Nähe des Marktes ausbalancieren. Und drittens schließlich bleiben transnationale Unternehmen wie Daimler-Benz, Sony und IBM an ihren Ursprung in Hochlohnländern gebunden und pflegen in ihren Unternehmenskulturen weithin nationale Traditionen. 4. Internationale Finanzmärkte Nationale Regierungen und Notenbanken sehen sich durch das „Diktat“ der internationalen Finanzmärkte diszipliniert und in ihren wirtschaftspolitischen Entscheidungen erheblich beeinträchtigt. Tatsächlich haben sich die internationalen Finanzgeschäfte im Verhältnis zum Welthandel, der ebenfalls mehr als die Weltproduktion gewachsen ist, explosionsartig entwickelt. Noch stärker sind die derivativen Finanzgeschäfte (Swaps, Futures, Optionen) angestiegen; nach dem Ausweis der Deutschen Bundesbank übertrafen sie in den letzten eineinhalb Jahren die Wachstumsrate des Volkseinkommens um das 16fache; bei den deutschen Geschäftsbanken erreichte ihr Volumen in der Regel das 20fache der bilanzwirksamen Finanzgeschäfte. Einer Studie des Ifo-Instituts zufolge können von den täglichen weltweiten Devisenbewegungen nur zwölf Prozent durch den Warenhandel und den langfristigen Kapitalverkehr erklärt werden. In der hohen Flatterhaftigkeit der Renten-, Aktien-und Devisenkurse, in den überwiegend kurzen Laufzeiten, in technischen Rückkopplungen, irrationalen Stimmungsreflexen und kollektiven „Infektionen“, in der Risikokonzentration bei den Derivaten, in den erheblichen Wechselkursschwankungen, Turbulenzen auf den Währungsmärkten und der plötzlich einsetzenden Währungsflucht, wie z. B. aus dem mexikanischen Peso Anfang 1995, werden massive Gefahren gesehen, die sich negativ auf die Planungssicherheit der Unternehmen auswirken, wenn diese auf dem Kapitalmarkt langfristige Investitionsentscheidungen treffen und Neueinstellungen auf lange Sicht vornehmen wollen, die den Arbeitsmarkt wirksam entlasten. Andererseits bestehen auch auf den Finanzmärkten Grade der „Globalisierung“: Die Aktienmärkte sind weniger internationalisiert als die Rentenmärkte, das Realkapital und die Investitionen bleiben an den heimischen Standort gebunden, die inländischen Investitionen korrelieren mit den inländischen Ersparnissen. Die charakteristischen Merkmale der Finanzsysteme, beispielsweise die starke Dominanz der Aktienmärkte in den USA bzw. das starke Gewicht der Kreditbeziehungen zwischen Industriefirmen und Geschäftsbanken in Deutschland, machen die regio nalen Finanzplätze vermutlich nicht dadurch effizienter, daß ihr Profil abgeschliffen wird, sondern eher dadurch, daß es neue Akzente erhält. Total globalisiert sind wohl die Geld-und Devisenmärkte -nicht ohne die Vermittlung der modernen Informationstechniken.
III. Europäische Zuspitzung
Aus der Analyse dieser vier Dimensionen der „Globalisierung“ kann geschlossen werden, daß der „Globalisierungsdruck“, dem sich die deutsche Wirtschaft ausgesetzt sieht, auf die Risiken der europäischen Integration, der transnationalen Unternehmen als „global players" sowie der internationalen Geld-und Devisenmärkte konzentriert bleibt. Eine derart weithin auf Europa beschränkte „Globalisierung“ ist indessen kein Sachzwang, sondern ein durch politische Entscheidungen mitverursachter Prozeß.
Diese Folgerung ist zwar nicht unumstritten, kann aber durch folgende Argumente plausibel gemacht werden. Erstens ist der offensichtlich eingeschränkte nationale Blickwinkel durch die deutsche „Globalisierungsdebatte“ nahegelegt. Zweitens sind die statistischen Daten der Vergangenheit und der Gegenwart einschließlich der ablesbaren Trends nicht weniger geeignet, die wirtschaftliche Zukunft zu erschließen, als die nach jedem Konjunktureinbruch geschürten Zukunftsängste, deren Wirklichkeitsnähe sich im nachhinein als äußerst dürftig herausgestellt hat. Drittens unterscheiden sich die aggregierten Daten einer makroökonomischen Kreislaufbetrachtung von den Leistungsdefiziten, die Beraterfirmen bei einzelnen Unternehmen und Betrieben entdecken, nicht darin, daß in einer nachträglichen Aufsummierung die Frühwarnanlagen zugeschüttet würden. Vielmehr unterliegen einzelwirtschaftliche Beobachtungen, wenn sie auf eine Gesamtmenge hochgerechnet werden, einem systemischen Fehlschluß: Ein System wird nicht durch die einzelnen Elemente und deren Summe erklärt, sondern durch seine Selbstreferenz. Das gilt indessen für das System einer nationalen Wirtschaft nur relativ. Deshalb wird viertens mit dem Hinweis auf kollektive Akteure gerade jenes Dilemma überwunden, entweder einzelnen Wirtschaftssubjekten, etwa den Beziehern von Sozialleistungen, Arbeitslosen und abhängig Beschäftigten, die Anpassungslasten der „Globalisierung“ zuzumuten oder auf die Selbstreferenz des Systems zu vertrauen. 1. Europäisierung „Globalisierung“ heißt aus deutscher Sicht Europäisierung. Denn mehr als zwei Drittel sowohl des Außenhandels als auch der Direktinvestitionen deutscher Unternehmen werden innerhalb Westeuropas abgewickelt. Die wirtschaftliche Integration Europas ist indessen immer politisch flankiert gewesen. Der Vollendung des Binnenmarkts sowie der Verwirklichung jener vier Freiheiten der Waren und Dienste, der Arbeit und des Kapitals gingen politische Entscheidungen voraus, die dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb in Europa den Weg bereitet haben. Das Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes, der systematische Rückzug des Staates aus der Regulierung der Wirtschaft, die Privatisierung öffentlicher Dienste und die Unterordnung einer europäischen Beschäftigungs-und Sozialpolitik unter die Wettbewerbspolitik waren über Jahre hinweg ein politisch verbindliches Programm. 2. „Global Players“
Transnationale Konzerne können zwar gegenüber nationalen Regierungen und Belegschaften die „Abwanderungskarte“ ziehen und mit der Verlagerung von Betrieben drohen, falls ihre Standort-wünsche nicht erfüllt werden. Damit wird die asymmetrische Verhandlungsposition zwischen der Unternehmensleitung und Betriebsräten, Gewerkschaften und nationalstaatlichen Organen weiter zugunsten der Unternehmen verschoben. Aber die meisten transnationalen Unternehmen erzielen ihr Hauptgeschäft weiterhin in der jeweiligen Ursprungsregion, ihrer „Heimatbasis“. Von den strategischen Allianzen, die in den vergangenen zehn Jahren zwischen Unternehmen mit deutscher Beteiligung eingegangen wurden, blieben zwei Drittel auf europäische Kooperationen beschränkt. Es ist damit zu rechnen, daß die „global players“ neben der globalen Integration auf regionale Sensibilität und neben dem homogenen Unternehmensprofil auf eine Kultur räumlicher Identität setzen. Umgekehrt haben die nationalen Regierungen und supranationalen Organe die Konzentrationsprozesse und Fusionen, die in der Erwartung des europäischen Binnenmarktes eingefädelt worden sind, mit ihrem Wachstumsimperativ systematisch begünstigt und beim Schmieden strategischer Allianzen und Systemführerschaften aktiv geholfen. Auf eine wirksame Kontrolle marktbeherrschender Unternehmen und insbesondere der Muttergesellschaften in den jeweiligen Mitgliedsländern wurde verzichtet. Eher haben sich nationale Regierungen mit transnationalen Konzernen, die auf ihrem Staatsgebiet angesiedelt waren, verbündet und sind als deren Anwälte vor den europäischen Organen aufgetreten.3. Internationale Geld-und Devisenmärkte Die als instabil erachteten internationalen Geld-und Devisenmärkte spiegeln nicht unerheblich die unstetige und vor allem nicht abgestimmte Geld-und Währungspolitik der nationalen Regierungen und Notenbanken wider. Zwar wird man jeder einzelnen Zentralbank zubilligen, daß sie den Ziel-konflikt zwischen der Stabilisierung des Preisniveaus und des Wechselkurses sowie den Konflikt zwischen Geldwertstabilität und mehr Beschäftigung eigenständig gewichtet und bewältigt. Aber eine rigide Politik des knappen Geldes sowie permanente Leistungsbilanzüberschüsse, die nicht durch das Spiel des Weltmarkts, sondern auf Grund politischer Optionen zustande kommen, belasten stark die Kooperationsbereitschaft der Partner. So ist das Europäische Währungssystem 1992/93 wohl auf Grund des fehlenden Kooperationswillens der europäischen Notenbanken einschließlich der Deutschen Bundesbank geplatzt, während umgekehrt der Versuch, gegen den französischen Franc wie vorher gegen die Lira und das englische Pfund zu spekulieren, am Kooperationswillen der betroffenen Notenbanken zerbrechen mußte. Ähnlich konnte 1995 der totale Absturz der mexikanischen Währung durch eine konzertierte Aktion der Zentralbanken der Leitwährungsländer ausgebremst werden. Sollte die Europäische Währungsunion mit vielen Mitglieds-ländern starten, wäre die Währungsspekulation erst einmal entmutigt. Die destruktive Dynamik der internationalen Geld-und Devisenmärkte ist also kein Beleg für die Ohnmacht nationaler Geld-und Währungspolitik.
IV. Politische Handlungsorientierungen
Die deutsche Wirtschaft, deren zentrale Indikatoren beispielsweise des Pro-Kopf-Einkommens, der Weltmarktanteile, der Arbeitsproduktivität, des Bildungsstandes und der Lebensqualität, der Investitionsquote und einer weltweit geschätzten Reservewährung, die zugleich die Ankerwährung Europas ist, eine extrem hohe Leistungsfähigkeit belegen, ist kein Opfer der „Globalisierung“, sondern deren Motor und vorrangiger Gewinner. Das gilt selbst für jenes Segment der internationalen Arbeitsteilung im Niedriglohnbereich, in dem die neu industrialisierten Schwellenländer mit den reifen Industrieländern konkurrieren. Der gegenteilige Eindruck eines „Nullsummenspiels“ kann nur deshalb entstehen, weil der Handelsgewinn intern asymmetrisch verteilt wird und den gering qualifizierten Arbeitskräften keine oder nur eine unangemessene Kompensation zugebilligt wird. Noch weniger ist die Europäische Union ein Opfer der „Globalisierung“. In einer regionalen Integration lassen sich nämlich die transnationalen Konzerne, die internationalen Finanzmärkte und die politischen Funktionseliten bändigen, indem zivilgesellschaftliche Akteure mit staatlichen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern kooperieren. 1. Regionale Integration Angesichts der Konzentration der „Globalisierung“ auf die großen Handels-und Währungsblöcke erweist sich die regionale Integration als Alternative zu einer „Triadisierung“ (USA, Japan, Europa) der Welt. Eine solche „pax triadica“ würde nämlich fast ausschließlich den wirtschaftlichen Austausch der Zentren steigern, während die peripheren Länder insgesamt von der Wohlstands-entwicklung abgekoppelt und untereinander zersplittert blieben. Eine regionale Integration dagegen könnte sowohl freundliche Beziehungen zwischen den regionalen Blöcken als auch innerhalb der Blöcke gewährleisten. Eine regionale Integration kann so gestaltet werden, daß sie den existierenden Formen der globalen Integration nicht widerspricht, daß beide miteinander verflochten sind und daß die regionale Integration eine Vorstufe der globalen sein kann. Diese Ansicht läßt sich belegen zum einen durch Vereinbarungen, auf denen die Existenz des Internationalen Währungsfonds, der Welthandelsorganisation und der Gruppe der sieben stärksten Wirtschaftsmächte gründet, zum andern durch das komplizierte Zusammenspiel nationalstaatlicher Entscheidungen, supranationalen Engagements und friedenssichernder UN-Einsätze, und schließlich durch die fünf Weltgipfel, die in der vergangenen Dekade von den Vereinten Nationen zu den Themen: Umwelt und Entwicklung, Bevölkerung, Menschenrechte, Benachteiligung der Frauen sowie Arbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung veranstaltet wurden. In der regionalen Integration Europas liegt eine Chance, den Binnenmarkt zu einem europäischen „Sozialraum“ auszugestalten. Soziale Sicherungssysteme konkurrieren nicht mit der „Globalisierung“, weil es kein Zufall ist, daß die Länder mit sehr hohen sozialen Standards zu den am meisten weltwirtschaftlich verflochtenen Ländern gehören, und weil die sozialstaatliche Absicherung individuell nicht verursachter Lebensrisiken die Alternative zum Protektionismus oder zum globalen Chaos ist. Und weltweit häufen sich die Hinweise darauf, daß die menschliche Entwicklung und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landessich langfristig aufeinander zu bewegen und gegenseitig verstärken. Zwar läßt sich der europäische Sozialraum bisher noch nicht nach dem Maastricht-Vertrag, sondern allenfalls nach dem sozialpolitischen Protokoll der Mitgliedsländer unter Ausschluß Großbritanniens verwirklichen. Aber die Gemeinschaftsorgane haben bereits weitreichende Kompetenzen bei beschäftigungspolitischen Initiativen mit regionalen Schwerpunkten. Außerdem haben die nationalen Debatten über die „Globalisierung“ die sozialpolitische Reflexion in der Europäischen Union angeregt und offensive Reaktionen ausgelöst. Ein 1993 veröffentlichtes Grünbuch über die europäische Sozialpolitik löste eine lebhafte Diskussion aus und war 1994 nach einem interdisziplinären Seminar in ein Weißbuch der Kommission übertragen worden. In ihm ist die notorische Engführung der bisherigen europäischen Sozialpolitik auf Arbeitsschutz, Gleichstellung, Beschäftigung und regionale Entwicklung durchbrochen worden. Jacques Delors hat sich zum Anwalt gemacht für das „Europäische Gesellschaftsmodell" als unverzichtbares Element der Europäischen Union.
Die regionale Integration Europas bietet schließlich die Chance einer integrierten Wirtschaftspolitik, die den Zielen des Wachstums, der Vollbeschäftigung, der Geldwertstabilität und der außenwirtschaftlichen Absicherung näherkommt. In der nationalen Öffentlichkeit werden der Arbeitsmarkt und das Lohnniveau zu Schlüssel-größen erklärt, durch die die wirtschaftliche Krise gelöst werden könne. Nach der gängigen Arbeitsteilung und der eingespielten Kompetenzverteilung, derzufolge die Bundesbank für die Geldwertstabilität, der Finanzminister für die Umverteilung und die Tarifpartner für das Lohn-niveau zuständig sind, fällt das Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt in die Verantwortung der Tarifparteien, wenngleich diese nur die Nominallöhne vereinbaren können und wenig Einfluß auf die reale Kaufkraft der abhängig Beschäftigten haben. Denn diese hängt von der Produktivitätsentwicklung, von der Preisüberwälzungsmacht der Unternehmen, von der Entwicklung des Preisniveaus, des Wechselkurses und der Zinsen sowie von dem Anteil der Steuern und Abgaben ab, die zu entrichten sind. Um so mehr hat die gesellschaftliche Kooperation jener Akteure, die über die Geld-, Finanz-und Einkommenspolitik entscheiden, eine herausragende Bedeutung für die Belebung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, nämlich des privaten Verbrauchs, der Investitionen, des Exports und der Staatsausgaben. Mit der regionalen Integration Europas könnten gemeinsame Wachstums-und beschäftigungspolitische Entscheidungsträger etabliert werden. Diese müßten sich weder in erster Linie auf den Export noch vorrangig auf die Industrie verlassen, sondern könnten auf die ökologische Konversion von Produkten, die Produktionsverfahren, auf Arbeits-und Lebensformen, auf die europäische Binnennachfrage, auf das Angebot einer öffentlichen Infrastruktur, auf unternehmens-und haushaltsbezogene Dienste sowie auf die Erschließung personenbezogener kultureller Dienstleistungen setzen. 2. Bändigung transnationaler Konzerne Da bei einer Konfrontation der „global players" mit den nationalen Regierungen oder Gewerkschaften die transnationalen Unternehmen über die günstigeren Bedingungen verfügen, liegt kooperatives Handeln nahe. Deshalb sind die Möglichkeiten einer Allianz zwischen Unternehmen und nationalstaatlichen bzw. supranationalen Entscheidungsträgern und Gewerkschaften zu erkunden. Vielleicht läßt sich die Kooperationsbereitschaft, die transnationale Unternehmen signalisieren, wenn es um die globale Verantwortung für die Umwelt geht, auf die beschäftigungs-und sozialpolitische Verantwortung übertragen. Konzernbetriebsräte bzw. Euro-Betriebsräte können wohl die Informationskanäle ihrer Firmen zum Aufbau von Gegenmacht und zur Verständigung mit der Konzernleitung benutzen. Die Verletzbarkeit der grenzüberschreitenden Transportwege hat die Verhandlungsposition der Gewerkschaften am Ort der Muttergesellschaft verbessert. Die nationalen Regierungen, wenn sie kooperieren, und noch mehr die supranationalen Entscheidungsträger können mit den Konzernleitungen die Konditionen der Infrastruktur, der Bildungseinrichtungen, der gesetzlichen Regeln, der Rechtsgarantien und der öffentlichen Aufträge vereinbaren. Den Interessen der Unternehmen werden sie das politische Interesse an sozialen und ökologischen Mindeststandards, an einem funktionsfähigen Wettbewerb zugunsten der Verbraucher und der Umwelt entgegenhalten und so einen Kompromiß aushandeln. Der unvermeidliche Abschied von staatlichen Entscheidungsträgern, die jenseits partikularer Interessen das allgemeine Interesse verfolgen, erleichtert die Anerkennung real existierender Allianzen zwischen nationalstaatlichen, supranationalen und unternehmerischen Entscheidungsträgern. 3. Bändigung der Finanzmärkte In dem Maß, wie die Wechselkurs-und Währungsspekulation von der nicht abgestimmten Geld-und Währungspolitik der nationalen Regierungen und Notenbanken alimentiert wird, kann sie durch die Kooperation der Zentralbanken und Aufsichtsbehörden entschärft werden. Diese Kooperation hat sich im „Basler Komitee“, das von der Zehner Gruppe einschließlich Luxemburgs und der Schweiz 1975 gebildet wurde, im „Plaza-Agreement“ 1985, im „Louvre-Akkord“ 1987 und im „Basler-Abkommen“ 1988 sowie in der informellen Intervention der Notenbanken der Währungsblöcke zur Sicherung der mexikanischen Währung 1995 bereits bewährt. Die Europäische Währungsunion bietet eine beispiellose Chance, diese Kooperation institutionell zu verankern und damit die Erwartungssicherheit der Unternehmen zu festigen. Der Erfolg der Europäischen Währungsunion ist jedoch an vier Voraussetzungen gebunden: Erstens sollte die rigorose Deutung der Konvergenzkriterien des Maastrichter Vertrages durchbrochen werden. Denn diese Kriterien sind ökonomisch nicht plausibel, einseitig und willkürlich ausgewählt, teils widersprüchlich und teils überflüssig. Der Vertrag selbst läßt eine offene Interpretation zu. Zweitens sollte die Zahl der Mitglieder möglichst groß sein. Denn in einer Währungsunion mit zwei Geschwindigkeiten würden bloß diejenigen reichen Länder einen Währungsclub bilden, deren Wechselkurse bisher schon fest aneinander gekoppelt waren, während die Wechselkurserwartungen der Unternehmen riskant, die Gewinnerwartungen der Spekulanten gesichert blieben. Drittens sollte die Asymmetrie der Verhandlungsposition der Länder mit dominanten Währungen und der Länder mit abhängigen Währungen sowie der soge-nannten Mitgliedsländer und Noch-Nichtmitgliedsländer beseitigt werden. Und viertens sollte die Geld-und Währungspolitik der Europäischen Zentralbank in eine umfassende Wirtschafts-und Finanzpolitik der Europäischen Union eingebunden sein. Denn wie ein Zielkonflikt zwischen der Stabilität des Binnenwerts einer Währung und der Stabilität ihres Außenwerts auftreten kann, so ist ein Konflikt zwischen der Geldwertstabilität und höheren Wachstumsraten einschließlich mehr Beschäftigung nicht ausgeschlossen. Und da der Arbeitsmarkt ein von den Güter-und Finanzmärkten abgeleiteter Markt ist, spielen die für Geld-und Währungspolitik Verantwortlichen eine Hauptrolle, um die verfestigte Massenarbeitslosigkeit abzubauen. 4. Bändigung politischer Funktionseliten In den westlichen nationalstaatlichen Demokratien schieben sich Parteien, Verbände und Verwaltungen zwischen die gewählten Repräsentanten und das Volk. Sie bündeln einerseits die Vielzahl der gesellschaftlichen Interessen und vermitteln sie den staatlichen Entscheidungsträgern. Andererseits legen sie die komplizierten staatlichen Entscheidungsprozesse, an denen sie indirekt beteiligt sind, der Öffentlichkeit dar. Die bereits vorhandene Gefahr, daß solche Funktionseliten die Solidarität innerhalb der politischen Klasse höher einstufen als die Solidarität mit denen, die sie zu vertreten haben, wiederholt sich und wächst auf der europäischen Ebene.
Sie wiederholt sich insofern, als die transnationalen Unternehmen einer Kooperation mit den supranationalen Organen innerhalb der regionalen Integration ausweichen können, indem sie auf der nächsthöheren Ebene die Karte der „global players" ausspielen. Dort können sie zunächst agieren, ohne in eine Allianz mit einem supranationalen Entscheidungsträger eingebunden zu sein. Die Gefahr einer Komplizenschaft politischer Funktionseliten wächst insofern, als die supranationalen Organe der europäischen Integration eine bloß geringe demokratische Legitimation aufweisen. Weder der Binnenmarkt noch das Zentralbankensystem, noch die Währungsunion, noch die Politische Union stellen ein demokratisches Europa dar. Der Maastricht-Vertrag hat zwar die Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments marginal erweitert, aber es bleibt vorerst bei dem Übergewicht der politischen Funktionseliten in der Kommission und im Ministerrat.
Gegen die repräsentative Verkrustung wirtschaftlicher und staatlicher Funktionseliten sind in den westlichen Demokratien zivilgesellschaftliche Akteure aufgetreten. Soziale Bewegungen haben die Öffentlichkeit mit verdrängten Themen aufgerüttelt, Gegenmacht aufgebaut, gesellschaftliche Konflikte entfesselt und eine politische Verständigung beispielsweise über die Gleichstellung der Frauen oder ein umweltverträgliches Wirtschaften erzielt. Ähnlich könnte die Komplizenschaft europäischer Funktionseliten von zwei Seiten in die Zange genommen werden: durch lokale und regionale demokratische Initiativen und durch globale Nicht-Regierungsorganisationen. In Zukunft wird der Primat des Volkes gegenüber den Volksvertretern sowie der Gesellschaft gegenüber der Wirtschaft und dem Staat von Unternehmensleitungen und Organen der regionalen Integration, von Basisbewegungen der direkten Demokratie sowie von Anwälten einer globalen Entwicklung eingeklagt werden.Literaturhinweise:
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