I. „Cabinet“ versus „Prime Ministerial Government“
Die Diskussion über die relative Machtstellung md die Kompetenzen des Premiers im britischen Regierungssystem ist nicht neu. Sie entspricht der nodernen Vorstellung von der stetigen, durch die Funktionsbestimmungen der Parteien als Macht-Beschaffer zugewiesenen und im Zuge der Nationalisierung" der Politik implizierten Machtikkumulation des Premierministers, der Entwickung von der „party“ zur „political leadership“, vie sie seit der Jahrhundertwende bereits vielfach hematisiert wurde. Lloyd George und schließlich Churchill prägten diese Vorstellung von Downing Street No. 10 als Schalthebel der Politik -freilich, vie seinerzeit William Pitt, zunächst als „political eaders in wartime“.
Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Macht des Prenierministers mit der Bedeutung seiner Präsenz in Jen Medien und durch die zunehmende Personalisierung von Politik systematisch zum zentralen Regierungsprinzip hochstilisiert worden. Die oreite Zustimmung zum Wohlfahrtsstaat, zur 'Ttixed economy und zur Vollbeschäftigung suggeriert dabei -je nach Führungsstil und äußeren Umständen -den Eindruck vom „political leader“ als Verkörperung einer nationalen Interessenpolitik entweder im Sinne des (Cabinet) Chairman oder des Chief Executive, wie er wohl eher der Vorstellung vom amerikanischen Präsidenten entspricht. Haben sich seither qualitative Veränderungen in der Stellung des britischen Premiers ergeben, die es angezeigt erscheinen lassen, neuerdings nicht nur von einer „premiership“, sondern sogar von „presidential government“ zu sprechen? Zumindest suggeriert die These, daß das „cabinet government“ in jedem Fall durch ein „prime ministerial government“ abgelöst worden sei, so etwas wie die „präsidentielle Wendung“. Sie gewinnt ihre Spitze durch die Annahme einer strukturellen Konvergenz der Ämter von Präsident und Premier und hat damit die alte Debatte um das britische Regierungsamt auf eine neue Ebene gehoben.
Die Interpretation von der wachsenden Dominanz des Premierministers hat zweifelsohne mit der Aufarbeitung der Thatcher-Ära ihren Höhepunkt erfahren; sie hat aber, wie erwähnt, einen älteren, systematischen Hintergrund. In den sechziger Jahren haben vor allem John Mackintosh mit seinem einflußreichen Werk „The British Cabinet“ und Richard Crossman in seinem Einführungskommentar zu Walter Bagehots „English Constitution“ die These aufgestellt, daß die Kabinettsregierung im britischen Regierungssystem endgültig durch ein Premierministersystem abgelöst worden sei. Zwar schränkt Mackintosh ein, daß man deshalb noch nicht von einem „presidential government“ sprechen könne, da der Premier unter bestimmten Umständen gestürzt werden kann und im Falle des Vertrauensentzugs durch seine Kabinettskollegen oder die Partei ohnehin zum Scheitern verurteilt ist Dennoch weist er auf die Überlegenheit des Premiers gegenüber dem Kabinett durch eine Reihe von Machtbefugnissen hin: So bestimme allein er die Kabinettsmitglieder, deren Geschäftsbereich, die Tagesordnung von Kabinettssitzungen oder den Vorsitz von Ausschüssen und Ad-hoc-Komitees; nur der Premierminister könne Zuständigkeiten verändern, verfüge über einen Apparat, der es ihm ermögliche, die Regierung wie die eigene Partei durch sein Patronagepotential zu kontrollieren und sich einen Informationsvorsprung über ein ausgeklügeltes Informationsnetzwerk im Kabinettssekretariat zu sichern; einzig der Premierminister habe schließlich prioritär den Anspruch, für die Regierung zu sprechen, diese in der Öffentlichkeit und durch die Medien zu vertreten.
Kurzum; Die strategische Position inmitten einer zunehmend monolithischeren parlamentarischen Parteienmaschinerie und eines zentralisierten Civil Service statte das Amt des Premierministers mit einer strukturellen Vorrangigkeit und zwingenden politischen Überlegenheit aus. Richard Crossman hat Mackintoshs These 1963 aufgegriffen und weiterentwickelt. In seinem viel-zitierten Kommentar zu Bagehots „English Constitution“ schreibt er in Anlehnung an dessen Text, daß die Machtverschiebung zugunsten des Premierministers mittlerweile so eklatant sei, daß sie gar präsidentielle Merkmale habe: Wenn man, so Crossman, das präsidentielle System als Ausübung der Regierung durch ein direkt gewähltes oberstes Amt definiere, dann besitze auch England wahrhaft einen Präsidenten ebenso wie die Vereinigten Staaten Im übrigen, so Crossman weiter, habe der Premier bereits zu Bagehots Zeit über „quasipräsidielle Machtkompetenzen“ verfügt.
In den siebziger und achtziger Jahren wurde diese Thematik behandelt vor allem in der Arbeit von Brian Sedgemore, „The Secret Constitution“ aus dem Jahr 1980, in der dieser die Personalisierung der Politik am Beispiel James Callaghans nachzuweisen sucht, und in den Studien von Tony Benn, der 1979/80 bzw. 1985 in „The Case for a Constitutional Premiership“ die Reformdiskussion belebt, als er die aus der traditionellen Regierungspraxis der Geheimhaltung bestimmter Kabinettszirkel und -ausschüsse resultierende organisatorische Flexibilität des Premierministers als entscheidende Ursache für dessen unumstrittene Machtposition interpretiert Ebenfalls 1979 erschien James Margachs Buch „The Anatomy of Power“. Der Journalist beschreibt die Machtverschiebung von Westminster zu den „geheimen Korridoren“ Whitehalls und versteigt sich schließlich zu der Schlußfolgerung, daß der britische Premier tatsächlich mächtiger sei als der amerikanische Präsident Zu dem gleichen Ergebnis kommt schließlich Martin Burch in einem Artikel aus dem Jahr 1985: „The Demise of Cabinet Government?“
Die These von der „prime ministerial power“ ist also nicht neu. Ursprünglich ausgelöst durch das öffentliche Erscheinungsbild und den persönlichen Stil Harold Macmillans und fortlaufend weiterentwickelt durch die Politikerkarrieren von Alec Douglas-Home, Harold Wilson, Edward Heath und James Callaghan war sie Gegenstand der akademischen wie politischen Diskussion, lange bevor die dezidierte Interpretation des Amtes durch Margret Thatcher erneut die Frage aufwarf, ob der britische Premier nunmehr endgültig eine Art amerikanischer Präsident oder Wahldiktator -elective dictatorship, wie das bei Lord Hailsham 1978 hieß -sei. Das unterstreicht auch deren prominentester Vertreter Anfang der neunziger Jahre, Michael Foley, in seiner provokanten Studie „The Rise of the British Presidency“ Die Frage ist jedoch, inwieweit die Zuspitzung dieser These zu dem aus den verfassungsmäßigen Kompetenzen heraus abgeleiteten Analogieschluß von Präsident und Premier legitim bzw. möglich ist, oder ob ihr nicht eine völlig falsche Auffassung von der verfassungsmäßigen Stellung des Präsidenten zugrunde liegt?
II. Der kontinuierliche Macht zuwachs des Premiers
1. Die verfassungsmäßige Stellung im internationalen Vergleich Ein kurzer Blick auf beide Regierungssysteme zeigt, daß jede Analogie auf der Basis verfassungsmäßiger Bestimmungen bzw. Konventionen unhaltbar ist. Den umfangreichen Kompetenzen des Premierministers steht in der amerikanischen Verfassung gerade einmal ein Artikel (II) mit drei Unterpunkten gegenüber: Danach ist der Präsident Oberbefehlshaber der Streitkräfte; er hat das Recht auf schriftliche Unterrichtung durch jeden Minister und, vorbehaltlich der Zustimmung des Senats, Verträge abzuschließen und Botschafter zu ernennen bzw. zu empfangen; er besitzt außerdem das suspensive Vetorecht gegen Gesetzesvorlagen des Kongresses; schließlich soll er den Kongreß von Zeit zu Zeit über seine Regierungspläne unterrichten.
Aus diesen mageren Verfügungen der Verfassung entwickelte sich zwar im Laufe der Jahre unter Bezug auf die sogenannten „implied" oder „inherent powers“ des Präsidenten eine nahezu zwangsläufige Doktrin präsidentieller Vorherrschaft vor allem in der Außenpolitik; ungeachtet dessen aber ist an der grundsätzlich überlegenen verfassungsmäßigen Autorität des Premierministers nicht zu rütteln: Das gewaltenteilige System der USA trennt die Exekutive strikt vom Kongreß und regelt deren Beziehungen zueinander, während der Premierminister aus dem Parlament hervorgeht. Dies macht ihn zwar abhängiger und gegenüber dem Parlament verantwortlich, im Normalfall aber handelt es sich bei diesem um ein von der Mehrheitspartei -der er selbst vorsteht -kontrolliertes Organ; seit Mitte der sechziger Jahre gilt in Großbritannien die Verfassungsregel (anders als in der Bundesrepublik), wonach der Bewerber umdas Amt des Regierungschefs bereits Vorsitzender der Mehrheitspartei im Unterhaus sein muß, wenn er ins Amt kommt (Personalunion) Außerdem besitzt der Premier im Gegensatz zu seinen Amtskollegen in allen westeuropäischen Systemen außer Irland das alleinige faktische Recht zur Parlamentsauflösung Präsident und Kongreß werden schließlich unabhängig bzw. getrennt voneinander gewählt, der Premier und das Parlament hingegen auf der Basis des gleichen Wahlsystems, d. h. in einem Wahlverfahren. Den wenigen spezifischen verfassungsmäßigen Machtbefugnissen des Präsidenten steht der allgemeine, unspezifische Charakter der Einrichtung des Premiers gegenüber, die es diesem erlaubt, über die Partei als machtverstärkendes Instrument in nahezu allen Politikbereichen seinen Einfluß geltend zu machen.
Der Befund von der strukturellen Überlegenheit des Premiers relativiert sich indes, wenn man berücksichtigt, daß das gewaltenteilige System der USA dem Präsidenten ein grundsätzlich schwächeres „Kabinett“ an die Seite stellt. Im britischen System ist die Abhängigkeit des Premiers vom Kabinett größer bzw. die Stellung des Kabinetts ungleich stärker, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, daß seine Mitglieder aus der Mehrheitsfraktion heraus verantwortlich eigene Politik gestalten (Prinzip der Ministerverantwortlichkeit) und die des Premiers kontrollieren können. Die Frage des Timings, der Form eines politischen Vorstoßes über informelle Ad-hoc-Gruppen, Cabinet Committees oder Legislation Committees ist nach wie vor Ministerangelegenheit, wenn auch der Premier verstärkt in kleineren Beraterzirkeln die Möglichkeit der persönlichen Einflußnahme im politischen Entscheidungsprozeß nutzt. Selbst in den Kabinetten M. Thatchers jedoch wehrten sich Minister wie Tom King, Norman Tebbit oder Mark Carlisle erfolgreich gegen die Angriffe der Premierministerin. Mit anderen Worten: Im amerikanischen Regierungssystem ermöglicht die geringere Abhängigkeit dem Präsidenten die Formulierung eigener Politikziele, keinesfalls aber immer deren Durchsetzung; im britischen kann sich je nach politischer Konstellation die größere Abhängigkeit machtverstärkend oder auch machthemmend bzw. -lähmend auswirken.
Letzteres ist gerade in den neunziger Jahren verstärkt in Großbritannien der Fall gewesen. Die alleinregierende Konservative Partei hat unter Premierminister John Major ein Ausmaß an innerer Spaltung gezeigt, welches -wie Ludger Helms zu Recht bemerkt hat sogar „über die übliche Intensität des koalitionsinternen Wettbewerbs in der Bundesrepublik und anderen auf Koalitionsbildung angewiesenen Systemen zeitweilig“ hinausgeht Selbst die Tatsache, daß Mitte der neunziger Jahre rund 40 Prozent der Parlamentarier der Mehrheitspartei im Unterhaus zugleich ein Regierungsamt bekleideten -was grundsätzlich größere Steuerungsmöglichkeiten des Regierungschefs vermuten ließe -, ändert nichts daran, daß die Unterhausfraktion der Konservativen Partei vor allem während der Amtszeit Majors dem Regierungschef erheblich zusetzte und letztlich die Rückkehr zum „cabinet government“ bewirkte.
Der Vergleich von Präsident und Premier unter formalen und strukturellen Aspekten ist daher wenig tauglich. Er wird auch keinesfalls plausibler durch Crossmans Hinweis auf den strukturellen wie personellen Ausbau der Regierungszentrale in Downing Street. Der US-Präsident besitzt die Unterstützung eines gewaltigen, im White House Office zentrierten persönlichen Beraterstabs, der Premier dagegen lediglich die von einigen Dutzend persönlichen Berater(stäben). Allenfalls gilt, daß in beiden Systemen das mit der Personalkompetenz der Regierungschefs einhergehende Patronagepotential gleich groß und ausgeprägt ist. Anders als in der Bundesrepublik, wo der Bundeskanzler bei der Bestellung der parlamentarischen Staatssekretäre lediglich mitwirkt und die politischen Beamten aus der Ministerialbürokratie vom jeweiligen Ressortminister bestimmt werden, besitzt der Premier (ähnlich wie der amerikanische Präsident) außer im Hinblick auf die Kabinettsmitglieder ein alleiniges Ernennungsrecht auch für höhere Positionen in der Verwaltung, d. h. für Ressortminister ohne Kabinettsrang und nachgeordnete Ministerialbeamte.
Eine zweite Kritiklinie verweist auf die kulturelle und historische Andersartigkeit des britischen politischen Systems sowie die daraus resultierende formale Kontinuität seiner Institutionen bzw. nicht kodifizierten Verfassung. Jeder Versuch der Einflußnahme einer fremden Verfassung auf das britische Regierungssystem bzw. die Generalisierung der Tatsache, daß bestimmte Premierminister durch ihren persönlichen Stil die britische Verfassung in eine andere Richtung drängten, wird als Penetrierung der britischen Staatsordnung und zudem als der historischen Erfahrung und Evolution dieses Systems zuwiderlaufend interpretiert. Überhaupt wird die Frage nach der relativen Macht des Kabinetts wie des Premiers in der britischen Gesellschaft eher als abstrakte, als quasi „Metafrage“ empfunden, die laut eines klugen Analytikers der britischen Regierungspraxis wie Anthony King zumindest bis in die siebziger Jahre hinein nur selten Gegenstand britischer Studien gewesen ist Mit anderen Worten: Britische Politologen beschäftigten sich lieber mit der Empirie als mit abstrakter Verfassungsinterpretation in bezug auf das Kräfteverhältnis zwischen Premier und Kabinett.
Ein dritter Argumentationsstrang schließlich empfindet jede Analogie von Präsident und Premier als politisch motivierten Frontalangriff auf die Institution des Premiers, respektive der Gesamtregierung: Es wird eine Instrumentalisierung des Präsidialsystems unterstellt zum Zwecke der Aushöhlung von Regierungsmacht im eigenen System -einem System, das ohne gesetzliche Systematisierung und Hierarchisierung auskommt, in dem die Gesetzesbindung auch der politischen Macht, die rule of law eines der zwei zentralen Grundprinzipien der britischen Verfassung darstellt (neben dem der Parlamentssouveränität), in dem Gesetz und Regierung sich aber auf Inhalt und Auswirkung der jeweiligen Machtbeziehungen reduzieren lassen.
Die Idee vom „prime ministerial“ oder „presidential government“ geht daher für die Verteidiger der konventionellen „cabinet government" -These als intellektuelle Konstruktion an der Realität vorbei. Die Machtproportionen im britischen System seien aufgrund interner Konflikte, der Herausforderung der „political leadership“ durch parteiinterne Konkurrenten sowie innerfraktionelle Auflehnung und der Notwendigkeit einer breiten Zustimmung für den Kurs des Premiers durch sein Kabinett zugunsten eines insgesamt ausbalancierten Ansatzes zurechtzurücken. 2. Machtkonzentration in der Ära Thatcher Nun hat aber mit der Amtszeit Margret Thatchers eine Wiederbelebung der im Grunde alten Debatte eingesetzt: Mit der Ära Thatcher verbinden die meisten Analytiker zunächst einen graduellen Machtzuwachs des Premierministers gegenüber dem Kabinett. Sogar George Jones, in den sechziger Jahren einer der größten Kritiker jedweder Behauptungen einer „presidential leadership“, ist nunmehr der Meinung, Mrs. Thatcher habe das traditionelle institutionelle Gleichgewicht empfindlich von der „kollektiven“ zu einer „präsidentiellen" Regierungsform ausschlagen lassen Das britische Regierungssystem, so Jones, bewege sich seit Anfang der achtziger Jahre unaufhaltsam in Richtung des amerikanischen Präsidialsystems.
Sicherlich ist die These von der „imperial premiership“ (in Analogie zu Schlesingers „imperial presidency“) vertretbar. Andererseits aber hat Mrs. Thatcher doch insgesamt wenig zur Machtausweitung des eigenen Apparates getan. Auch die Manipulation des Kabinetts nach ihrem politischen Gusto durch ständige Umbesetzungen oder Entlassungen setzte im Grunde erst mit Beginn der dritten Amtsperiode ein -also in dem Moment, da sich das allmähliche Ende der Ära Thatcher ankündigte. Mit diesem Ende, so kann man bei Jones 1990 lesen, kehrte auch das „cabinet government“ wieder zurück. Nachdem er den Absolutheitsanspruch seiner These von 1987 selbst entschärft hat, bemüht er sich nunmehr um eine plausiblere Erklärung: Struktur und Symbolgehalt setzten zwar die Parameter im britischen politischen System, abgesehen davon aber bestimmten Persönlichkeitsprofil und Regierungsstil die machtpolitische Stellung des Premiers im Institutionengefüge. Mrs. Thatcher habe gezeigt, daß das Amt des Premiers wie ein „elastisches Band“ funktioniere, das sie in der Phase ihres Aufstiegs bis zum äußersten gedehnt, schließlich aber über-dehnt habe
Paradoxerweise haben sich nun auch Anhänger der „presidential thesis“ dieser Auffassung angeschlossen und artikulieren damit eine Interpretation des Amtes, die jede Analogie insofern diskreditiert, als Präsidentialismus gleichgesetzt wird mit absoluter Machtdominanz und damit einer potentiellen Gefahr des Machtmißbrauchs -eine erstaunliche Verkennung bzw. einseitige Interpretation des amerikanischen Präsidialsystems. Der präsidentielle Charakter des Amtes ermöglicht demnach die Umsetzung von Politik oder bestimmten Politiken in eine personalisierte Diskussion über die individuelle Anwendung von Regierungsautorität. Regierungsmacht bzw. -politik wird politischen Argumenten insgesamt zugänglicher gemacht, indem sie auf die persönliche Ebene transportiert wird. Britische Politik in den achtziger Jahren bedeutete demnach Thatcher-Politik, bedeutete die Kultivierung des Image vom„national leader“, der auch in seinen ersten Kabinetten, in denen er mit seinem radikalen sozial-und wirtschaftspolitischen Kurs (Thatcherism) in der Minderheit war, in der Lage war, diesen durchzusetzen, indem er konsequent die Möglichkeit der Vorentscheidung in Kabinettsausschüssen (Cabinet Committees) -mit nur wenigen Mitgliedern und unter dem eigenen Vorsitz -nutzte.
Tatsächlich ist eine deutliche Verlagerung der Entscheidungsstrukturen aus dem Kabinett in kleine, hochspezialisierte und informell arbeitende Kabinettsausschüsse festzustellen. In verfassungsrechtlicher -nicht funktionaler -Hinsicht wirkt diese Verlagerung im britischen Fall vergleichsweise stärker zugunsten des Premiers als beispielsweise im deutschen Fall, da hier Beschlüsse der zahlreichen Kabinettsausschüsse rechtlich genauso bindend sind wie Entscheidungen des Kabinetts selbst Ganz abgesehen davon aber, daß Mrs. Thatcher damit erfolgreich eine einschneidende Wende in der britischen Politik einleitete, wohl orchestriert durch das Cabinet Office bzw. das Büro des Premierministers, gehörte die Existenz von solchen Kabinettszirkeln und -ausschüssen natürlich zur traditionellen Regierungspraxis; ihre Geheimhaltung -niemand konnte Auskunft über die Gründe für das Entstehen oder Verschwinden bestimmter Strukturen der Regierungsorganisation verlangen -ermöglichte die organisatorische Flexibilität, die der Premier in diesem Gefüge von jeher zugunsten seines politischen Kurses nutzten konnte. Im übrigen ist diese Verlagerung mit Blick auf das westliche Ausland ein genereller Trend am Ende dieses Jahrhunderts: In nahezu allen Systemen zeigt sich, daß die funktionalen Erfordernisse des Regierens differenzierende und informalisierte Entscheidungsstrukturen erfordern.
Sicherlich hat Mrs. Thatcher das Machtgefälle zwischen Premier und Kabinett bis auf die persönliche Diffamierung von Kabinettsmitgliederp mit abweichenden Meinungen ausgedehnt. Ganz abgesehen davon, daß diese Kunst auch andere vor ihr beherrschten -so Lloyd George und Attlee -, sind die Grenzen dieser Politik jedoch ebenso deutlich dort geworden, wo die Premierministerin am Ende mit einem explizit konsensfeindlichen Kurs das durch informelle Übereinkunft, ungeschriebene Regeln und Traditionen gekennzeichnete Westminster-Modell durch ihre „Revolution von oben“ in Frage stellte. Zu Recht wird in der Literatur darauf verwiesen, daß in dem Moment, da Frau Thatcher, wie im Falle der einkommensunabhängigen Personensteuer (poll tax), diese Grenzen überschritten hatte, auch äußere Ablenkungen durch den Typus des „Überzeugungspolitikers“, zu dem Frau Thatcher sicherlich gehörte, nichts mehr halfen. Unbestritten aber ist, daß der persönliche Stil der Premierministerin Züge enthielt, die zwar nicht neu waren in der britischen Politik, die aber bei keinem anderen Premierminister des 20. Jahrhunderts -gleich ob Wilson, Gaitskell oder Macmillan -derart markant in kombinierter Weise in Erscheinung getreten sind: Das heroische Pathos eines Churchill verband sich bei der „eisernen Lady“ mit einem Autoritarismus, der ein stark ideologisch geprägtes Programm -enterprise culture, Monetarismus, Rückkehr zu den „viktorianischen Werten“ -um jeden Preis, allerdings auch mit gelegentlichen taktischen Konzessionen, zu realisieren versuchte. Nicht die Rolle des Chairman, sondern des Chief Executive war auf Mrs. Thatcher zugeschnitten: Entschlossene leadershipRolle, aktiv, interventionistisch, mit klaren Zielvorstellungen, bestimmend. Die Rolle des Chairman ohne leadership-Qualitäten hingegen -keiner verkörperte sie so wie Harold Wilson -entsprach nicht dem Temperament der Lady
III. Das Phänomen der „political leadership“ in den achtziger und neunziger Jahren
1. üie Abkehr von der Konsenspolitik Die Frage: Starke premiership mit präsidentiellen Zügen oder cabinet government scheint also in erster Linie eine Frage der jeweiligen leadershipQualitäten, deren klassische Funktionen das Festlegen und Durchsetzen der politischen Agenda sowie der Gewinn bzw. Erhalt einer möglichst breiten öffentlichen Unterstützung für den politischen Kurs sind. In den achtziger und neunziger Jahren jedoch ist die moderne „political leadership“ nicht mehr nur eine Frage der Nutzung der zur Verfügung stehenden Machtmechanismen oder der Instrumentalisierung der Medien; sie ist wieder so intellektuell, ideologisch und moralisch überhöht -sowohl mit Blick auf das Individuum wie auch auf die Gesellschaft -wie die radikale Politik der Liberalen und von Labour um die Jahrhundertwende. Und beides -Machtmechanismen wie Ideologisierung -wird sowohl von Labour-Führern als auch von konservativen Parteiführern für eine aktive Politikgestaltung instrumentalisiert.Damit geht auch die Herstellung präsidentieller Analogien mit Blick auf Führungsstil und Nutzung bzw. Ausweitung der Machtmechanismen an der politischen Realität insofern vorbei, als die Rolle des Chief Executive im amerikanischen System eben nicht nur die „power to lead“, sondern gerade und vor allem auch die Qualitäten erfordert, die Richard Neustadt in seiner klassischen Studie „Presidential Power“ als die Fähigkeit zum „bargaining“ und „persuading“ beschrieben hat Sicherlich gilt dies heute auch im Falle des britischen Premierministers, wo die permanenten Erosionserscheinungen innerhalb der Mehrheitsfraktion mehr denn je ein vorsichtiges Austarieren der verschiedenen politischen Strömungen durch den Regierungschef erfordert. Von einer vergleichbaren Ambiguität der Machtposition des Chief Executive, die den Charakter des amerikanischen Präsidialsystems ausmacht, läßt sich im Falle des britischen Regierungssystems aber noch nicht sprechen. Der Präsident ist Führungs-und Integrationsfigur zugleich. Amerikanische Politik verläuft daher eher gradualistisch, die gegenseitige Blokkade der politischen Gewalten wird häufig unterschätzt, ist aber vor allem seit Mitte der fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts, als das Phänomen des divided government zum Normalfall in den USA wurde, ungeachtet der gleichsam aufsteigenden imperial presidency durch allseits interventionsbereite Präsidenten in der Außenpolitik nicht wegzuleugnen. Der Vergleich Premier-Präsident muß also umgekehrt gerade von dieser Komponente des persönlichen Führungsstils im Sinne von Regierungsmanagement angehoben und auf die Ebene einer breiteren, wesentlich abstrakteren Definition der „political leadership“ transponiert werden.
Eben die Zentralisierung der Macht um die politische Führungsfigur, das Bedürfnis nach einer substantiellen Verschiebung in der Politik bedeutet, daß politische Führungspersönlichkeiten -gleich ob sie nun Thatcher, Blair oder Major heißen -eine insgesamt aktivere Rolle übernehmen bei der Politikgestaltung und dabei ihre Zielvorstellungen gewissermaßen ideologisch überhöhen -ganz im Sinne des amerikanischen Diktums „you got to have a vision“, oder: „get this nation moving again“.
Tony Blair hat unlängst seine Bewunderung für Mrs. Thatcher zum Ausdruck gebracht. Die „eiserne Lady“ sei eben eine Überzeugungspolitikerin gewesen, die ihre Ideologie auf der monetaristischen Lehre und den neoliberalen Ideen von Friedrich August von Hayek, Enoch Powell, Keith Joseph, Milton Friedman und Alfred Sherman aufbaute. Wichtiger aber noch: Sie sei für feste Prinzipien und einen an den „viktorianischen Werten“ orientierten Moralismus eingetreten, der auf Förderung des Individualismus und der Marktgesetze setzte. Daß sie dabei freilich die philanthropische Seite des Viktorianismus verkannte, die ein Normensystem propagierte, das der gesellschaftlich auflösenden Tendenz von Markt und Wettbewerb entgegenwirken und soziale Kohäsion bewirken sollte, ist eine andere Sache, in diesem Kontext aber nicht relevant. Fest steht, daß sich auch ihr Nachfolger den Auswirkungen dieses ideologischen Kreuzzuges nicht entziehen konnte, unabhängig von dem starken Kontrast zwischen öffentlichen Zielen und privatem Führungsstil.
Das eigentliche Phänomen ist, daß Mrs. Thatchers radikale Abkehr von der „Konsenspolitik“, wie sie 1981 noch Edward Heath gefordert hatte, und die Politik, mit der sie ihre Vision, „den britischen Niedergang“ rückgängig zu machen, umzusetzen gedachte, weder im Kabinett, noch in der Partei oder in der Öffentlichkeit mehrheitlich getragen wurde -und sie dennoch beides durchsetzte. Insofern ist ihr Bestreben, einen Wertewandel zu erzwingen, die Gesellschaft und Wirtschaft des Landes wieder zu dynamisieren und aus der Stagnation herauszuführen, von Dennis Kavanagh nicht zu Unrecht als „Kulturrevolution“ charakterisiert worden 16. Das kämpferische Temperament, der politische Mut, gegen alle Kritik an den eigenen politischen Zielen festzuhalten und sich von „schändlichen Sentimentalitäten“ abzuwenden, war das, was die Massen in ihren Bann zog, was die Premierministerin schließlich zu einer dem amerikanischen Präsidenten sehr ähnlichen Integrations-und nationalen Identitätsfigur machte. Mrs. Thatchers persönlicher Stil, die Verkörperung jenes von Weber als „charismatischer Führer“ bezeichneten ambivalenten Typus zur Legitimation der Herrschaftsform „Führungsdemokratie“, hob sie -so schreibt ein anderer kluger Beobachter der Ära Thatcher, Duncan Tanner -in den Rang eines „demi-God“.
Die Macht konzentrierte sich daher gerade zwangsläufig in zunehmendem Maße im Amt des Premiers und seinem Private Office. Daß diese Machtkonzentration im Zeichen des Einsatzes von Massenmedien und moderner Technologien ebenso rasch in die Kritik gerät, ist die logische Konsequenz aus einer solchen Personalisierung von Politik. Sie erfordert jedoch den aktivistischen Politikertyp, der politischen Moralismus mit der Hoffnung auf Prosperität zu verbinden weiß. Indiesem Fall unterscheidet sich die Entwicklung der britischen Regierungsverhältnisse in den achtziger Jahren wenig von der in anderen westlichen Systemen. Auch Kohl sieht sich mehr als „Generalisten“, als politischen und moralischen Führer, und nicht als „Topmanager“ der Regierung. Dabei nutzt auch er das Kanzleramt als entscheidende Informations-und somit als Machtquelle. Unabhängig von Rang und Position kontaktiert auch er im Kanzleramt nur wenige Personen seines Vertrauens im Sinne des „kitchen cabinet“
Exakt dieses Image vom aktivistischen Politiker-typ hat das Amt des amerikanischen Präsidenten im Verlauf der über 200jährigen Geschichte der USA zu einem, wie es scheint, der mächtigsten überhaupt gemacht. Die Zuspitzung des öffentlichen Lebens auf das Weiße Haus hat dazu geführt, daß dort gut 2000 Journalisten akkreditiert sind, denen nichts Schlimmeres passieren könnte, als eine Regung des Präsidenten zu verpassen. Gemeinsam ist ihnen die Überzeugung, daß die Persönlichkeit des Präsidenten kräftig auf die Politik und den „Regierungsstil“ durchschlägt. Politischer Erfolg wird vornehmlich danach bestimmt, ob dieser Stil und die augenblickliche Gefühlslage des Volkes zusammenpassen. Aus diesem Stoff wird in den USA „political leadership“ gemacht, werden Machtstellung bzw. Dominanz des Regierungschefs abgeleitet. Und keiner verkörperte dieses Image besser als Ronald Reagan in den achtziger Jahren. 2. „The rise of the British presidency“?
Michael Foley setzt mit seiner Studie „The Rise of the British presidency“ exakt an diesem Punkt an und liefert insofern einen neuen Ansatz zu der Debatte um „cabinet government“ versus „prime ministerial/presidential government“. In bewußter Abgrenzung von bisherigen Ansätzen, die den Analogie-Nachweis zu führen suchten, spricht er eher von einer schleichenden Veramerikanisierung der „political leadership“ im britischen System -ein Phänomen, das er im übrigen auch in anderen modernen Demokratien konstatiert. Signifikante Merkmale dieser „British Presidency“ sind: -„spatial leadership“ bzw. Kult des „Outsider" -
Status, das Phänomen einer zunehmenden Kultivierung von politischer Autorität und interventionistischem Regierungsstil durch teilweise bewußtes Absetzen von Regierung und Partei-organisation als wesentliche Imagekomponenten;
-„designer populism“ in Form gut inszenierten Politikmanagements, nicht im Sinne des Chief Executive, sondern des Deus ex machina, der die Massenmedien instrumentalisiert und in öffentlichen Auftritten brilliert;
-die wachsende Unterscheidung zwischen leadership und Politik bzw. zwischen dem Grad an öffentlicher Unterstützung für den britischen Premier auf der einen und dem Grad der Zustimmung für die Politik seiner Partei auf der anderen Seite;
-durch Personalisierung der Politik bedingte Förderung des Typus des Überzeugungspolitikers, der sein mehr oder weniger stark ideologisch geprägtes Programm im nationalen Interesse durchzusetzen sucht;
-die daraus erwachsende Bedeutung des außen-politischen Terrains als entscheidendes Betätigungsfeld zur Förderung der Identität des Premiers als „national leader“;
-schließlich die Anwendung von Regierungsmacht als Test zur Beurteilung der Wirksamkeit des Verfassungsideals vom „government under law“
Was Foley als „leaderland“ beschreibt, ist das Ergebnis einer Reihe von generellen Entwicklungen und der ihnen zugrundeliegenden Dynamik, die geradezu zwangsläufig auf ein „presidentialstyle System“, wohlgemerkt nicht „presidential System“, hinauslaufen. Die neuerliche theoretische Beschäftigung mit Natur und Rolle von „political leadership“ in Großbritannien -ein Phänomen, das in den achtziger Jahren in westlichen Demokratien in dem Maße zu beobachten ist, wie Parteien-und Politikverdrossenheit zunehmen -ist dafür symptomatisch. „Political leaders“, so Foley, müßten „leadership“ -Qualitäten besitzen, die Gelegenheit erhalten, diese unter Beweis zu stellen, und sie von der Öffentlichkeit anerkannt bekommen. Die Quintessenz dieser Imperative wiederum sei eine Strategie, bei der der Premier seine Erfolgschancen durch größtmögliche Volks-nähe zu maximieren suche.
Sicherlich ist Foley insofern zuzustimmen, daß sich unter Mrs. Thatcher Anfang der achtziger Jahre in Großbritannien eine Entwicklung beobachten läßt, die neben der Einordnung in ein allgemeines Muster und eine bestimmte konservative Traditionslinie die Konzentration auf eine Ideologie (Thatcherismus) mit sich bringt, die vor allem als das Produkt einer besonderen Situation und Persönlichkeit erscheint. Der Premier wird im Zugeder starken Personalisierung von Politik zum Inbegriff von „Regierung“ stilisiert. Inwieweit diese Züge des amerikanischen Präsidialsystems trägt, ist wiederum fraglich. Aus den klassischen Analysen zum amerikanischen Präsidialsystem läßt sich freilich jenes Grundmuster herauslesen, wonach die Stellung des Präsidenten im amerikanischen System zunächst eine Frage des Persönlichkeitsprofils und des Charakters und nicht der formalen Kompetenzen ist.
Dies traf sicherlich auch auf die Ära Thatcher zu. Politischen Erfolg verspricht in dem gewaltenteiligen System der USA aber vor allem die Kunst, Koalitionen zu schmieden, Kompromisse auszuhandeln und die zentrifugalen Kräfte des Systems zusammenzuführen. Mrs. Thatchers Politik der Konfrontation erforderte zwar gerade in den beiden ersten Amtsperioden das Schmieden solcher Koalitionen, war aber keinesfalls auf Konsens, sondern konfrontativ ausgelegt. Auch Mrs. Thatcher bekam so etwas wie das System der „checks and balances" in der Fraktion wie im Kabinett zu spüren. Es gelang ihr jedoch, ihr Programm weitestgehend durchzusetzen -und das, obgleich die Bevölkerung nahezu über ihre gesamte Amtszeit hinweg skeptisch hinsichtlich des von ihr eingeschlagenen Kurses blieb.
Ein Punkt, der in der Tat die Assoziation mit dem amerikanischen Präsidialsystem nahelegt, ist die Bedeutung der „national leadership“. Außen-und Sicherheitspolitik gelten gemeinhin als unbestrittene Domänen des Präsidenten; auf beiden Feldern sammelt er nach wie vor die entscheidenden Punkte für seine Erfolgsbilanz. Es ist bemerkenswert und entbehrt nicht der Ironie, daß Mrs. Thatcher ihre erste Wiederwahl dem siegreichen Falkland-Krieg 1982 gegen Argentinien verdankt, obwohl die Besetzung der Inselgruppe durch argentinische Truppen auf eine unklare Außenpolitik der eigenen Regierung zurückzuführen war. Hier aber verbanden sich nationale Aufwallungen der Öffentlichkeit, wie sie in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in periodischen Abständen auftraten, mit der entschlossenen Haltung der Premierministerin, den Kampf um die ökonomische Gesundung des Landes geschickt mit der Vision eines gegen Argentinien wiedererstarkten Volkes zu verbinden -tatsächlich eine frappante Ähnlichkeit mit der Situation in den USA Anfang der achtziger Jahre, als Präsident Reagan eben jene gleiche Aufbruchsstimmung einer von „imperial overstretch“ und „economic overburdening" geplagten Nation vermittelte.
Foleys vielleicht zentrale These schließlich, die eng mit den beiden vorangestellten zusammenhängt, ist die von der bewußten Kultivierung eines von der Regierung abgesetzten politischen Kurses -das, was er „spatial leadership“ nennt. Mrs. Thatchers Version einer solchen „spatial leadership“ basierte auf dem Inhalt ihres persönlichen politischen Manifests für die Partei. Sie bewegte sich damit nicht nur außerhalb der „mainstream“ -Konventionen traditioneller programmatischer Vorstellungen der Konservativen Partei, sondern suchte ihre Position darüber hinaus dazu zu nutzen, diese permanent herauszufordern.
Ganz abgesehen davon, daß ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat im Wahlkampf in aller Regel als programmatischer „mainstream“ -Politiker seiner Partei Erfolg hat, ist er auch und gerade im Verlauf seiner Amtszeit gezwungen, Abstriche von seinem Programm zu machen und auf unpopuläre Maßnahmen zu verzichten, wenn sie nicht von einer Mehrheit des Kongresses getragen werden, der in weit stärkerem Maße die Stimmungen im Lande widerspiegelt. Sicherlich ermöglicht das Bestellungsverfahren im amerikanischen System heute im Zeichen der Mediakratie und der reduzierten Rolle der Parteiorganisationen im Wahlkampf das Auftauchen und sogar Reüssieren von „Außenseitern“ (Carter); und tatsächlich begünstigten besondere Umstände wie in Großbritannien im Jahre 1979 -„winter of discontent“, hohe Inflationsrate, schrumpfende Wirtschaft -auch die Übernahme der Regierungsverantwortung durch solche „Außenseiter“. Alles in allem aber setzt sich der Bewerber durch, der sich mit der momentanen Stimmung der Bevölkerung am ehesten im Einklang befindet.
Diese These von der „präsidentiellen Analogie“ ist daher auch vor dem Hintergrund der von Foley vorgetragenen Überlegungen zurückzuweisen. Allenfalls läßt sich von bestimmten Entwicklungen und Tendenzen in der Ära Thatcher sprechen, die wie im amerikanischen System auf eine generelle starke Personalisierung der Politik und Fokussierung auf den Regierungsstil des Premiers hinauslaufen. Majors bisherige Amtszeit hat indes rasch gezeigt, daß das Lavieren einer Regierung, bei der der Premier nicht selten einer rebellierenden Minderheit in der eigenen Fraktion nachgeben muß, eher die Regel denn die Ausnahme ist.