I. Einleitung
Das Thema „Direkte Demokratie“ hat Konjunktur. Was hat es eigentlich auf sich mit diesen von ihren Befürwortern so heiß umworbenen Politikinstrumenten? Wie steht es um die Position, die ein deutlicher Kritiker der Einführung der direkten Demokratie in das Grundgesetz, Rupert Scholz so formuliert hat: „Das Plebiszit stellt -zumindest auf Bundesebene -kein geeignetes Instrument zur Stärkung unserer Demokratie dar. Es ist nicht kompromißfähig. Es kennt nur Ja oder Nein, Schwarz oder Weiß. Daher entspricht es nicht einer pluralistischen Gesellschaft. Das Plebiszit wird auch der Parteienverdrossenheit nicht entgegenwirken, wie manche glauben. Denn wenn ich es einführe, werden sich die Parteien seiner bedienen. Und last, but not least: Das Plebiszit auf Bundesebene ist antiföderalistisch.“
Die Diskussion über Stärken und Schwächen direktdemokratischer Politikentscheidungen ist eingebettet in das spannungsreiche Geflecht von Offenheit und Resistenz demokratischer politischer Systeme. Hinzu kommt, daß diese Problematik durch die Fähigkeiten und Leistungen der Anpassung der politischen Institutionen und Akteure an neu auftauchende Entwicklungslinien weiter qualifiziert wird. Es geht um die Reaktions-und Aktionsmuster der relevanten politischen Entscheidungsträger und auch darum, plausible Politikkonzepte und -Strategien erneut oder neu zu kombinieren bzw. zu entwickeln. In diese Problemkonstellation ist die zentrale Frage des vorliegenden Aufsatzes einzuordnen: Welchen Beitrag vermögen direktdemokratische Instrumente zur Interessenvermittlung im politischen System der Bundesrepublik leisten? Aus dieser Frage läßt sich die folgende These ableiten: Die Forderung nach mehr Politikinstrumenten direkter Demokratie zielt erstens auf mehr politische Partizipation und Entscheidungstransparenz und zweitens darauf, entscheidungspolitisch verbindliche Politikinitiativen aus der Gesellschaft heraus zu initiieren und schließlich auch eine Vetokompetenz gegenüber der „etablierten“ Politik zu bewirken. Als erster Schritt zur Annäherung an das komplexe Phänomen der direkten Demokratie erweist sich der Bezug auf ein auf David Easton zurückgehendes Unterscheidungsmuster, das Input-Output-Muster, als hilfreich Gemäß diesem Muster läßt sich die Problematik der direkten Demokratie in funktioneller Hinsicht so darstellen: Auf der Input-Seite des politischen Entscheidungsprozesses wird der direkten Demokratie in der Form der Gesetzesinitiative die Aufgabe zugeschrieben, daß aus der Gesellschaft erwachsene politische Strömungen und Vorstellungen die Möglichkeit erhalten, eigene Initiativen neben den etablierten Politikakteuren zu lancieren und verbindlich durchzusetzen. Bezogen auf die Output-Seite des politischen Entscheidungsprozesses wird Instrumenten der direkten Demokratie in Gestalt des Referendums die Funktion zugewiesen, Regierungsentscheide und Gesetze zu verwerfen.
II. Demokratische Unterbilanz des repräsentativen Systems der Interessenvermittlung?
Unmittelbarer Bezugspunkt der Diskussionen für mehr direktdemokratische Politikentscheidungen ist das System der parteienpolitisch geprägten repräsentativen Form der Interessenvermittlung. Dieses für die Herstellung allgemeinverbindlicher politischer Entscheidungen in westlichen Demokratien besonders relevante System der Interessenvermittlung ist tragender Bestandteil dieser Gesellschaften, die als „organisierte Demokratien“ bezeichnet werden. Diese Demokratien sind durch voraussetzungsvolle und komplizierte Formen der Interessenvermittlung strukturiert. Einer der Kernpunkte der Kritik in der deutschen Debatte ist dabei das Argument, daß dieses für die politische Willensbildung und Entscheidungsfindung zentrale System weitgehend abgeschottet ist. Zur begrifflichen Erfassung und Beschreibung dieses Sachverhaltes werden Stichworte wie Politik-und Parteienverdrossenheit, Verselbständigung und Indifferenz der politischen Funktionseliten gegenüber den Bürgern, eine Mediatisierung der Bürger durch die parteienpolitischen Monopole sowie die Fixierung auf die repräsentativen Formen der bundesdeutschen Demokratie verwendet. Anders ausgedrückt stößt die -vielfach unterstellte -politische Monopolstellung der Parteien im Hinblick auf die Gestaltung von Politik nicht mehr auf eine unhinterfragte Legitimation und Akzeptanz. Dieser Sachverhalt wird begleitet von gewichtigen sozialstrukturellen Veränderungen, Prozessen eines Wertewandels, qualitativer Veränderungen innerhalb der Präferenzordnungen der Bürger und Bürgerinnen sowie einer beträchtlichen Zunahme des Wechselwähler-und Nichtwählerpotentials in den verschiedenen westlichen Ländern dies gilt gleichermaßen für Deutschland. Schließlich wird den zentralen Politikakteuren, vor allem den sozialen Verbänden und politischen Parteien, eine abnehmende Rolle und Bindungswirkung im Hinblick auf die Verarbeitung vorhande-ner und neu auftauchender Politikprobleme sowie bezüglich der politischen Integration sich differenzierender Gesellschaften zugeschrieben
Als Therapie und als eine wichtige institutioneile und politische Reform wird in diesem Kontext die Einführung von Formen direkter Demokratie gefordert. Dabei wird zugleich der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß durch eine entsprechende institutionelle Ausweitung und eine politische Praxis vor allem das institutionell verkrustete und politisch abgeschottete sowie entscheidungsschwache System der repräsentativen Interessenvermittlung deblockiert wird. Zielvorstellung ist es, daß durch ein qualitatives Mehr an Partizipation, Transparenz und Responsivität wieder stärker die Belange der Bürger und Bürgerinnen ins Auge gefaßt werden Die Politikmuster der direkten Demokratie werden als notwendige Elemente nicht nur des deutschen Politiksystems, sondern, genereller gehalten, heutiger westlicher Demokratien gedeutet. Sie werden ferner als eine Bereicherung der Interessenvermittlung interpretiert, und schließlich werden ihnen die funktionellen Eigenschaften der Lösung von politischen Problemen zugeschrieben.
Die positive Bewertung direktdemokratisch organisierter Politikentscheidungen führt in der Konsequenz erstens dazu, eine Reform der verschieden gestalteten politisch-institutionellen Systemebenen im Sinne der Ergänzung der repräsentativen Formen und Entscheidungsarenen um die direkt-demokratische Komponente zu fordern. Zweitens werden in der Regel diejenigen westlichen Politik-systeme, die über mehr oder weniger differenziert ausgestaltete direktdemokratische Politikinstrumente verfügen als in der Tendenz zumindest institutionell und partizipativ „offener“ interpretiert Diese Deutung begreift Instrumente direkter Demokratie als systemnotwendige Bestandteile einer „partizipativen Demokratie“ deren Zielsetzung sowohl von der Vorstellung „mündiger“ und politisch aktiver Bürger als auch von dem reflexiven Bezug staatlichen Handelns auf dieselben und auf die Gesellschaft ausgeht.
III. Repräsentative Demokratie und Formen direkter Demokratie
Die mit dem Plädoyer für mehr Politikinstrumente direkter Demokratie verbundene Kritik am parteienpolitisch-repräsentativen System der Interessen-vermittlung zielt darüber hinaus -teilweise -auch darauf, daß die repräsentative Form der Demokratie selbst nicht nur behebbare Funktionsschwächen, sondern im Kern strukturelle Defizite und Schwächen hat, deren irreversibler Charakter als evident unterstellt wird. Die für den vorliegenden Argumentationszusammenhang grundsätzlich bedeutsame These, daß das parlamentarisch-repräsentative System entscheidend durch eine „Institutionalisierung von Lernfähigkeit“ gekennzeichnet ist, also in sich selbst auch maßgebliche Potenzen für eine weitere Reformfähigkeit beinhaltet, wird insbesondere von Vertretern sich grundsätzlich verstehender Positionen bestritten. Denn die Auffassung, daß jedwede Formen unmittelbarer, direkter Demokratie aus sich selbst heraus über eine, definitorisch absolut gesetzte, demokratietheoretisch begründbare höhere Prämie oder einen höheren Mehrwert im Vergleich zu den mittelbar bzw. indirekt legitimierten politischen Institutionen und Organisationsformen verfügen, zielt exakt in diese Richtung. Diese Vorstellung unterstellt nämlich, daß es einen von politischen Institutionen und Verfahren unabhängigen, diesen faktisch vorgeschalteten „Volkswillen“ gibt, der eben in Formen direkter Demokratie unverfälscht zum Ausdruck gelangt. Theoretisch wird damit einer gewichtigen und folgenreichen Verkennung der Konstituierung des „Volkswillens“ und des Verhältnisses von Demokratie und politischen Institutionen und Verfahren Vorschub geleistet: „Der Volkswille besteht nicht vor diesen Verfahren und unabhängig von ihnen, sondern er entsteht in ihnen.“ Des weiteren wird eine systematisch betriebene Aufspaltung sich institutionell verschieden darstellender und durchaus einer unterschiedlichen Funktionslogik folgender, sich allerdings auf die gleiche Legitimationsquelle, nämlich die Volkssouveränität beziehender institutioneller Ausgestaltungen vorgenommen. Vertreter einer solchen -ob nun bewußt vorgenommenen oder implizite in der Argumentation selbst angelegten -Auffassung begreifen nicht, daß es politiktheoretisch nur sinnvoll ist, sowohl die mittelbaren als auch die unmittelbaren Politikformen und Verfahren als „verschiedene Organisationsformen derselben Legitimität“ zu interpretieren Dies bedeutet ferner, daß idealtypische Gegenüberstellungen im Sinne eines „rein“ konstruierten repräsentativen bzw. plebiszitären Regierungs-oder Politiksystems in eine falsche Richtung führen müssen. Demgemäß ist die bekannte These von Ernst Fraenkel, beide „Systeme“ beruhten auf „verschiedenartigen Legitimitätsprinzipien“ unzutreffend. Eine weiterführende Analyse des Verhältnisses von repräsentativer Demokratie und Formen direkter Demokratie basiert demgegenüber auf den folgenden Struktur-und Funktionsvoraussetzungen: Das repräsentative Politikmuster fungiert als ein jede komplexe Demokratie strukturprägendes Basisprinzip, während es sich bei Institutionen direkter Demokratie um ein strukturgestaltendes Funktionselement handeln kann. Gerade komplexe Demokratien sind nicht nur durch einen hohen Grad an Arbeitsteilung und durch ein institutioneil höchst differenziertes und voraussetzungsvolles Arrangement an institutioneilen Formen und Verfahrensregeln geprägt. Hinzu kommt vor allem auch, daß der „Bedarf“ an verbindlichen politischen Entscheidungen erheblich ist. Von daher sind die Verfahrens-und Organisationsprinzipien einer demokratisch legitimierten Delegation und Repräsentation unverzichtbar und durch keine anderen Integrations-und Entscheidungsmuster zu ersetzen Hieraus leiten sich weitreichende Folgen für notwendig erachtete institutioneile Reformen ab
Bezogen auf den vorliegenden Diskussionskontext folgt daraus, daß jedwede antithetische Gegenüberstellung von mittelbaren und unmittelbaren Formen der Demokratie, wie schon angedeutet, prinzipiell in die Irre führt. Eine nicht nur in der deutschen, sondern auch in der internationalen Diskussion favorisierte Erweiterung der politisch-institutionellen Systemkontexte um eine -mögliche -„Ergänzung“ repräsentativer Politik-und Entscheidungsmuster durch eine partielle „Einfärbung“ und Institutionalisierung direktdemokratischer Politikinstrumente ist auf einer analytisch und politisch völlig anderen Ebene angesiedelt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß weder begrifflich noch theoretisch im vorhinein abschließend präjudiziert werden kann, „unter welchen Bedingungen zusätzliche Einflußmöglichkeiten des Volkes geschaffen werden sollen“
Eine weitere relevante Voraussetzung ist zu erwähnen: Entscheidungsmuster direkter Demokratie können Wahlen weder ersetzen noch ihre bedeutsamen Selektions-und Entscheidungsfunktionen übernehmen. Wahlen und die verschiede nen Formen direkter Politikbeteiligung sind sowohl ihrer Struktur und als auch ihren Funktionen nach deutlich unterscheidbare politische Verfahrensregelungen Politikentscheidungen direkter Demokratie beziehen sich prinzipiell auf einzelne, ausgewählte Sachthemen oder -bei einem Personalvotum -auf die direkte Wahl einer Person. Schon dieser Sachverhalt verdeutlicht die begrenzte Entscheidungsrelevanz der direkten Demokratie.
Neben dem schon angesprochenen gewichtigen Unterschied zu den Wahlen ist ebenfalls evident, daß sich Politikentscheidungen direkter Demokratie qualitativ von Meinungsumfragen, auch von kontinuierlich durchgeführten, unterscheiden. Letztere sind aufgrund ihrer strukturellen Unterschiedlichkeit keineswegs als ein funktionales Äquivalent für diese Politikentscheidungen zu rezipieren alleine schon der Umstand der in Abstimmungen angelegten Entscheidungsverbindlichkeit verdeutlicht dies. Allerdings ist dabei gleichzeitig unbestritten, daß solche kontinuierlich durchgeführten Meinungsumfragen im Sinne einer „gesellschaftlichen Dauerbeobachtung (...) ein unverzichtbares Instrument der Selbstbeobachtung und Aufklärung über sich selbst“ in heutigen Gesellschaften darstellen.
Der repräsentativ organisierte Politikprozeß, in der Bundesrepublik im wesentlichen parlamentarisch legitimiert, erweist sich als Prozeß der politisch-institutionellen Normalität; der direktdemokratisch organisierte Politikprozeß hingegen stellt auch in vergleichender Perspektive eher, wenngleich mit deutlichen Akzentunterschieden in verschiedenen Ländern (Schweiz; teilweise Italien), die demokratisch legitimierte Ausnahme dar. Die Wirkungsweise und der Wirkungsgrad von Politik-entscheidungen direkter Demokratie werden durch die politisch-institutionellen Rahmenbedingungen, die politisch-kulturellen Kontexte und vor allem durch die in den heutigen Gesellschaften wirksamen maßgeblichen Einflußfaktoren wie Regierungen, Parlamente, politische Parteien, soziale Verbände, Verwaltungen etc. und deren legitime Möglichkeiten der Einflußnahme auf direktdemokratisch legitimierte Politikentscheidungen beeinflußt und geprägt. Die Berücksichtigung dieser Ausführungen wird vermeiden helfen, daß sowohl übergroße Hoffnungen in die vermehrte Institutionalisierung direktdemokratischer Politikinstrumente und ihre Handhabung gesetzt als auch umgekehrt sie zu Instrumenten der Erosion und Zerstörung demokratisch-rechtsstaatlicher Gesellschaften verteufelt werden
Der Ausdruck der „direkten Demokratie“ ergibt also nur dann einen Sinn, wenn er nicht als Alternativbegriff zur „repräsentativen Demokratie“ verstanden wird. Der Begriff „direkte Demokratie“ ist zwar ein höchst schillernder und für unterschiedliche Zwecke instrumentalisierbarer Terminus: Er läßt sich jedoch präziser bestimmen, wenn unter ihm, wie angedeutet, institutionalisierte Politikinstrumente verstanden werden, mittels derer Chancen politischer Beteiligung für die Bevölkerung ermöglicht werden. Solche politischen Beteiligungsmöglichkeiten können punktuell Politikentscheidungen initiieren, insbesondere dann, wenn nicht nur subjektiv, sondern auch faktisch relevante Themen seitens der repräsentativen Entscheidungsträger nicht beachtet und beiseite geschoben werden oder schlicht und einfach im politischen Routinebetrieb verschwinden. Deutlich wird in diesem Zusammenhang besonders, daß die direkt-demokratisch initiierten Politikinitiativen als Warn-und Thematisierungsinitiativen zu interpretieren sind. Damit korrespondiert die These, daß in gut funktionierenden palamentarisch-repräsentativen Politiksystemen die Anzahl von Gesetzesinitiativen in der Regel begrenzt sein wird. Allerdings können diese Initiativen ebenfalls als Ausdruck eines sich wandelnden Politikverständnisses innerhalb breiter Bevölkerungsschichteji gedeutet werden, die, ergänzend zum parlamentarischen Routinebetrieb, anders gestaltete politische Willensbildungs-und Entscheidungsprozesse mit favorisieren. In der Sache besteht jedoch die Hauptfunktion von Instrumenten direkter Demokratie in den größeren Systemebenen darin, als Veto-und Blockade-macht zu fungieren. Die vielfach überschätzte Vetoposition ist dabei allerdings nicht automatisch deshalb als positiv einzuschätzen, weil dadurch politische Vorhaben und Entscheidungsprozesse blockiert werden. Maßgeblich ist vielmehr der konkrete politische Gegenstand, auf den sich die Anwendung direkt-demokratischer Politikinstrumente bezieht. Spricht die vorliegende Argumentation, die in der Tat konsequent analytisch von der politischen und gesellschaftlichen Realität und nicht von einem fiktiven Wunschdenken geleitet wird, nun gegen Politikinstrumente der direkten Demokratie? Die Beantwortung dieser Frage läßt sich durch eine Skizzierung der jün geren, sich auf die Formen der direkten Demokratie im deutschen Politikkontext beziehenden Entwicklungslinien präzisieren.
IV. Aspekte der Politikentwicklung der direkten Demokratie in Deutschland
In der deutschen Diskussion votieren mittlerweile zahlreiche Politiker und Wissenschaftler für eine stärkere Ausweitung der verschiedenen institutioneilen Systemkontexte durch Politikinstrumente direkter Demokratie: Als reformbedürftig und -fähig werden sowohl die Kommunal-und Landes-verfassungen als auch -teilweise -das Grundgesetz angesehen. Auf empirischer Basis läßt sich in diesem Zusammenhang die Feststellung treffen, daß zwar das Grundgesetz -bis auf einige Ausnahmen - nach wie vor von einer direktdemokratischen Abstinenz bestimmt ist. Alle Landesverfassungen in den alten und den neuen Bundesländern verfügen hingegen über unterschiedlich ausgeprägte institutioneile Formen direktdemokratischer Beteiligung Hinzu kommt ferner, daß auch eine erhebliche Bewegung in die Reform der Kommunalverfassungen gekommen ist Schließlich zeigen auch die Debatten und die Praxis von „Urwahlen“ zur Stärkung und Ausweitung der innerparteilichen Demokratie, daß das Phänomen unmittelbarer politischer Beteiligung in der deutschen Gesellschaft mittlerweile auf eine breite Resonanz und Praxis stößt. Formen direkter Demokratie wird mithin ein offenkundig gewichtiger Platz im breiten Spektrum politischer Partizi pation zugewiesen: In vergleichender Perspektive ist die deutsche Debatte dabei nicht als ein singuläres Phänomen anzusehen, sondern als ein Bestandteil einer breitgefächerten internationalen Diskussion zu rezipieren.
Bemerkenswert an der jüngeren deutschen Diskussion ist dabei, daß sich im Vergleich zu früher die kontroversen Debatten wesentlich versachlicht haben Insbesondere nach 1945 wurde den im Weimarer Verfassungsgefüge normierten Elementen direkter Demokratie immer wieder zum Vorwurf gemacht, sie seien ein mitbestimmender politischer Faktor bei der Erosion des Weimarer Verfassungs-, Demokratie-und Gesellschaftssystems gewesen Diese Kritik, von Theodor Heuss in den Beratungen des Parlamentarischen Rates in die zwar griffige, jedoch verzerrte und empirisch nicht haltbare Formel gebracht, Instrumente direkter Demokratie stellten eine „Prämie für Demagogen“ dar, wurde vor allem nach 1949 zu einem gängigen Allgemeinplatz der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion. Sowohl die von Heuss und seinen Nachfolgern inaugurierte spezifische Art eines „Verfassungsfetischismus“ als auch die des weiteren damit verbundene „Plebisphobie der Nachkriegsära“ (Rudolf Steinberg) ist an ihr Ende gelangt. Die heutige Debatte ist vielmehr seit längerem sowohl durch differenzierte institutionelle, empirische und methodische Ausführungen als auch durch einen „demokratie-theoretischen Tiefgang“ geprägt.
Nach 1945 wurden in den westlichen Besatzungszonen in Deutschland zwischen 1946 und 1952 elf Landesverfassungen neu konzipiert. Viele von diesen enthielten, in formeller Anlehnung an die Regelungen in der Weimarer Verfassung, unterschiedliche Formen von Institutionen direkter Demokratie. Die Aufnahme dieser Instrumente in die Kontexte der Landesverfassungen läßt sich am Beispiel von zwei Sachverhalten weiter konkretisieren: Erstens kann man eine Unterscheidung zwischen denjenigen Landesverfassungen vornehmen, die de jure bzw.de facto vor, und jenen, die nach der Verabschiedung des Grundgesetzes konstituiert und legitimiert worden sind. Diejenigen Verfassungen, die vor der Verabschiedung des Grundgesetzes in Kraft traten, zeichnen sich durch eine „größere Unbefangenheit“ im Hinblick auf die Aufnahme dieser Instrumente aus (z. B. Hessen; Bayern); dies gilt auch für die Verfassung von Nordrhein-Westfalen, deren maßgebliche Entscheidungen vor 1949 getroffen, die jedoch erst 1950 verabschiedet wurde.
Dieser Sachverhalt korrespondiert zweitens mit der Politik und den Vorstellungen der damaligen drei Westalliierten. In den Ländern der amerikanischen und der französischen Besatzungszone bestand, im Vergleich zu den Ländern der britischen Besatzungszone, eine deutlichere Affinität zu den verschiedenen Formen von Referenden sowie gleichfalls zur generellen Legitimation der Landesverfassungen durch die Landesbevölkerung. Einige dieser Landesverfassungen wurden einem Referendum unterworfen Der Prozeß der Verfassungsgebung in den westdeutschen Ländern erwies sich als ein „pluralistisch angelegtes Konstituierungsverfahren“ Dies erklärt auch zum Teil die Einbeziehung wie die Ablehnung unterschiedlicher Formen der direkten Demokratie in bestimmten Landesverfassungen.
Bezogen auf die Verabschiedung des Grundgesetzes wurde zwar diskutiert, es vorher einem Referendum zu unterwerfen (Londoner Schlußkommunique vom 1. Juni 1948). Allerdings wurde davon Abstand genommen, um dem als „Provisorium“ gedeuteten Grundgesetz nicht die rechtliche Qualität einer Verfassung zuzuweisen und damit möglicherweise zukünftige politische Entscheidungen zu präjudizieren. Im Schreiben der Koblenzer Ministerpräsidenten-Konferenz vom 10. Juli 1948 an die Westalliierten wird dies so festgehalten. Von daher entschieden sich die westdeutschen verfassungspolitischen Funktionseliten, das Grundgesetz nur durch die Bundesländer mit Zweidrittelmehrheit ratifizieren zu lassen. Allerdings hatten seitens der westlichen Alliierten (vor allem bei den USA und Frankreich) keine prinzipiellen Bedenken gegen ein Referendum bestanden
Es ist angedeutet worden, daß sich die die frühere westdeutsche Diskussion mehrheitlich durchziehende negative Bewertung von Politikinstrumenten direkter Demokratie seit einiger Zeit qualitativ verändert hat. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang vor allem, daß man im Hinblick auf die Ausweitung aller Landesverfassungen in den alten und in den neuen Bundesländern von einem Trend zur Aufnahme von Instrumenten direkter Demokratie sprechen kann. In institutioneller Hinsicht enthalten alle Landesverfassungen in den alten und in den neuen Bundesländern mittlerweile unterschiedliche Instrumente direkter Demokratie. Die Kommunalverfassungen in Niedersachsen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Thüringen, Brandenburg und, neuerdings, auch in Bayern enthalten Elemente direkter Demokratie in Form von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Nach dem Modell der in Baden-Württemberg praktizierten süddeutschen Ratsverfassung ist es nunmehr zusätzlich möglich, daß die aufgrund der Zusammenlegung der dualen Verwaltungsspitze (Schleswig-Holstein;
Niedersachsen; Nordrhein-Westfalen) vorgenommene Verwaltungsreform mit zur Folge hat, daß die (Ober-) Bürgermeister direkt von der Kommunalbevölkerung gewählt werden.
Der Prozeß der Vereinigung der beiden deutschen Staaten hat das Thema direktdemokratische Betei-ligung erneut auf die Tagesordnung der Politik gesetzt. Zum einen ging es dabei um die Frage der politisch-institutionellen Ausgestaltung der fünf neuen Landesverfassungen. Trotz interner Kontroversen wurden Formen direkter Demokratie in alle neuen Landesverfassungen aufgenommen. Dieser Vorgang konnte sich teilweise an Landes-verfassungen in den alten Bundesländern anlehnen. Hierbei spielte vor allem die schleswig-holsteinische Landesverfassung eine wichtige Rolle, die durch ihren institutioneilen Dreischritt: Volks-initiative, Volksbegehren und Volksentscheid als eine Art Schrittmacher fungierte. Zum anderen erhielten in den alten Bundesländern schon seit längerem geführte Diskussionsprozesse um die Ergänzung der Landesverfassungen mit Formen der direkten Demokratie einen weiteren Auftrieb.
Welche Auswirkungen haben die innere Erosion der DDR und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten auf das Problemfeld „mehr direkte Demokratie“? Innerhalb der damaligen DDR kristallisierte sich im Zeitraum zwischen Anfang November 1989 (u. a. Öffnung der Mauer in Berlin) und Ende Februar 1990 ein Politikprozeß heraus, dessen Eckpunkte durch zwei Formeln bestimmt werden können: „Wir sind das Volk“ und „Wir sind ein Volk“. Die beiden Formeln dokumentieren Ausschnitte aus einer politischen Entwicklung, die vor allem auf seiten der sich umgehend etablierenden politischen Opposition durch eine Vielfalt von Vorschlägen, Konzeptionen etc. geprägt gewesen ist. Zu Beginn ging es für verschiedene Initiativgruppen noch um eine prinzipielle demokratische Erneuerung der DDR, deren politische und institutioneile Selbstständigkeit gewahrt bleiben sollte: Dies verdeutlichte sich in der Form des „Rundes Tisches“ Verfassungspolitischer Ausdruck -von bestimmten Gruppen -des Rundes Tisches war der im April 1990 vorgelegte Entwurf für eine neue Verfassung der DDR Dieser Verfassungsentwurf erschien allerdings zu einem Zeitpunkt, in dem maßgebliche Entscheidungen schon gefallen waren. Vor diesem Hintergrund figuriert er als eine Art zeithistorisches Vermächtnis dieser Gruppen des Runden Tisches Der extrem schnelle Verlauf des Vereinigungsprozesses und seine innere politische Dynamik führten dazu, daß in der Diskussion zirkulierende Begriffe wie Vertragsgemeinschaft (Art. 24 GG) und Konföderation de facto keine Aussicht auf eine Realisierung hatten. Sowohl von den etablierten Politikakteuren in der alten Bundesrepublik als auch vom übergroßen Teil der DDR-Bevölkerung wurde letztlich eine schnelle Vereinigung der beiden deutschen Staaten favorisiert. Diesbezüglich rückte die Frage nach der formellen bzw. prozeduralen Seite der Vereinigung unmittelbar in das Zentrum der Kontroverse: Es ging darum, ob Art. 23 oder Art. 146 GG verfahrensrechtlich angewendet werden sollten. Diese Kontroverse wurde schließlich, auf der Basis eines die Vereinigung reflektierenden politischen Pragmatismus, zugunsten der in Art. 23 GG normierten, legitimationssichernden Lösung entschieden Allerdings hatte im Grunde genommen nie eine reale entscheidungspolitische Alternative zwischen beiden Optionen bestanden. Damit war allerdings noch nicht, wie in der Diskussion betont wurde, die Frage endgültig entschieden worden, ob aus dem Sachverhalt der Vereinigung der beiden deutschen Staaten nicht doch die Ausarbeitung einer neuen, mittels eines Verfassungsreferendums legitimierten Verfassung erfolgen kann bzw. muß. Die damit angesprochene Möglichkeit eines zweistufigen Verfahrens: Beitritt nach Art. 23 GG, Verfassungsgebung nach Art. 146 GG, schien eine innere Logik und, angesichts der politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Bedeutung der Vereinigung der beiden deutschen Staaten für den gesamten Komplex der Verfassungsgebung, auch eine erhebliche Plausibilität zu enthalten.
Nachdem Anfang 1992 die „Gemeinsame Verfassungskommission“ von Bund und Ländern konstituiert worden war und ihre Tätigkeit aufgenommen hatte, konnte der Eindruck vermittelt werden, daß als Ergebnis ein Entwurf für eine neue Verfassung präsentiert würde, dessen Normen auch neue, relevante Themen reflektieren würden. Allerdings bot schon die Zusammensetzung der Kommission hinreichend Anlaß dafür, an bestimmten Perspektiven zu zweifeln In die Kommission wurden nur Vertreter der politischen Parteien aus Bund und den Ländern berufen, die somit auch über sich selbst und zum Beispiel mögliche Begrenzungen des parteienpolitischen Einflusses zu entscheiden hatten. In der Sache blieben sowohl die personalpolitische Zusammensetzung als auch die inhaltlichen Perspektiven dem politischen Routinebetrieb überantwortet. In bezug auf die Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksabstimmung stellte sich heraus, daß ihre Befürworter, die Vertreter von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, zwar in der Mehrheit waren, jedoch die für Verfassungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit nicht erzielen konnten Das abschließende Ergebnis der Kommission ist mittlerweile bekannt: Formen direkter Demokratie wurden nicht in das Grundgesetz eingeführt. Dieses definitive Ergebnis läßt sich mit folgenden Faktum konfrontieren: Von den über 700 000 Zuschriften, die bis etwa Mitte April 1993 bei dem Sekretär der Verfassungskommission, dem SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel, eingegangen sind, bezogen sich 266 000 Eingaben auf die Forderung nach Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid In der Diskussion ist weitgehend unbestritten, daß die verstärkte Aufnahme von Instrumenten direkter Demokratie in die Landes-und Kommunalverfassungen der neuen Bundesländer wesentlich mit auf die „friedliche Revolution“ von 1989/90 zurückzuführen ist. Dennoch zeigt sich bisher, daß gerade in den neuen im Vergleich zu den alten Bundesländern sowohl auf der kommunalpolitischen als auch auf der landespolitischen Ebene nur ein relativ geringer Gebrauch davon gemacht wird. Damit wird auch deutlich, daß die Handhabung der direkten Demokratie abhängig ist von einem eingeübten und durch den Faktor Zeit mit bestimmten Gewöhnungseffekt.
V. Ergebnis und Perspektiven
Vor dem Hintergrund der dargelegten Argumentation werden nunmehr das Ergebnis und die darin eingearbeiteten Perspektiven formuliert: 1. Politikinstrumente direkter Demokratie sind keine eigenständigen, über den jeweiligen politisch-institutionellen Rahmenbedingungen frei schwebenden Beteiligungsformen „des Volkes“. Bei ihnen handelt es sich vielmehr um institutioneil gefaßte Politikinstrumente innerhalb der repräsentativen Demokratie. Wesentlich in diesem Zusammenhang ist ferner, daß stets die politisch-kulturellen und institutioneilen Systemkontexte sowie die relevanten politischen und sozialen Faktoren -wie etwa die medial vermittelte politische Öffentlichkeit -bei der Analyse mit berücksichtigt werden.
2. Instrumente, Politikprozesse und Politikentscheidungen direkter Demokratie werden offenkundig insbesondere unter bestimmten politischen Randbedingungen favorisiert und substantiell für notwendig erachtet, gefordert, benutzt und in die Wege geleitet, wenn es darum geht, Vetomacht zu mobilisieren, von den organisierten Politikakteuren und Institutionen vernachlässigte, aber für relevant erachtete politische Themen gegen eben diese zu initiieren und durchzusetzen. Diese Bedeutung variiert jedoch stark nach den verschiedenen institutioneilen Systemebenen.
3. Politische Partizipation und relative Transparenz politischer Entscheidungen sind, dies hat die Partizipationsforschung differenziert herausgearbeitet bedeutsame Postulate und Formen demokratischer Gesellschaften. Partizipation ist legitimations-und akzeptanzstiftend; allerdings ist politische Partizipation als zweck-und zielorientiertes politisches Handeln zu verstehen und zugleich abhängig von den jeweiligen politisch-institutionellen Kontexten. Dort werden die konventionellen und unkonventionellen Formen politischer Partizipation und die darüber vermittelten Handlungsspielräume näher festgelegt. Entsprechend dieser Auffassung ist also politische Partizipation keine freischwebende, einen „Eigenwert“ darstellende handlungspolitische Betätigung von Individuen und Gruppen.
4. Die im Zusammenhang mit der Implementation von Instrumenten der direkten Demokratie immer wieder vorgetragenen Argumente von einer „Krise“ der repräsentativen Demokratie, des Parteiensystems, der Parteien usw. sind keineswegs stichhaltig. Der herangezogene Begriff der „Krise“ ist mehr als diffus und im verwendeten Sinne weder analytisch noch empirisch operationalisierbar. Auch der vielstrapazierte und längst zu einem Allerweltsbegriff gewordene Terminus der „Politikverdrossenheit“ gibt analytisch nicht viel her: Dieser Begriff sagt „mehr über öffentliche Befindlichkeiten als über die Realität der politischen Institutionen, Akteure und Prozesse“ aus, wie dies Max Kaase zutreffend formuliert hat. Die nicht zu bestreitenden Prozesse eines gravierenden sozialen Wandels und die des öfteren keineswegs klaren und eindeutigen Reaktionen der etablierten Politik auf diese Wandlungsprozesse sind jedoch analytisch anders zu bearbeiten.
5. Sowohl die Praxis direkter Demokratie als auch die Forderung nach mehr direkter Demokratie sind von Politikkonjunkturen, neuen oder als neu definierten politischen Themen, neu in den verschiedenen Politikarenen auftauchenden Akteuren oder aber sich punktuell verändernden politischen Strategien etablierter Akteure bestimmt. Allerdings hat sich auch gezeigt, daß die Änderung aller Landesverfassungen in Deutschland in Richtung einer Aufnahme der direkten Demokratie als qualitativer Schritt zu bewerten ist. Für die Praxis der direkten Demokratie gilt unter den Bedingungen einer nach wie vor vorhandenen „organisierten Demokratie“ auf der Ebene der Länder, daß dort vor allem die organisierten politischen Interessen eine gewichtige Rolle spielen werden. Es ist dabei jedoch keineswegs ausgemacht, daß direktdemokratisch organisierte Politikentscheidungen stets zur Stärkung der politischen Parteien führen bzw. diese Entscheidungen von den Parteien majorisiert werden. Daß hingegen die direkte Demokratie auf der Systemebene des Grundgesetzes „antiföderale“ und insbesondere „unitarische“ Tendenzen beinhaltet, ist vor allem dann evident, wenn ein differenzierter Föderalismus mit größerer Unterschiedlichkeit als wünschenswert erachtet wird. Eine empirische Beobachtung zeigt zudem, daß Politikinstrumente direkter Demokratie als ein traditioneller Bestandteil pluralistischer Demokratien des westlichen Systemtypus aufzufassen sind.
6. Direktdemokratische Politikentscheidungen müssen nach der Mehrheitsregel getroffen werden. Die Ja-nein-Logik ist grundsätzlich nicht aufhebbar; dies bedeutet gleichzeitig, daß solche Entscheidungen stets durch eine fehlende Reflexivität bestimmt sind. Hinzu kommt ferner eine fehlende Responsivität und Zuordnungsfähigkeit: Die Entscheidungen lassen sich keiner identifizierbaren Person, Gruppe, Partei oder politische Institution zuordnen, die für das Ergebnis die Verantwortung übernimmt. Es müßte allerdings institutionell möglich sein, daß das relevante Prinzip der Verantwortung und der Zuordnungsfähigkeit systematisch in den Blick genommen wird und dementsprechend institutionelle Differenzierungen vorgenommen werden. Allerdings ist damit vor allem auf der kommunalpolitischen Ebene keineswegs ausgeschlossen, daß gut organisierte Sondergruppeninteressen Bürgerbegehren und Bürgerentscheid für die Durchsetzung ihrer Partialinteressen benutzen.
7. Der Beitrag der direkten Demokratie zum parlamentarisch-repräsentativen System der Interessenvermittlung ist keineswegs eindeutig zu bestimmen. Wesentlich ist in diesem * Zusammenhang, über welche entscheidungspolitische Festigkeit die etablierten Akteure. verfügen, wie im einzelnen eine institutionelle Balance hergestellt wird und vor allem auch, welche Themen mit welcher Konfliktintensität in die politischen Arenen eingebracht werden. Auf jeden Fall als positiv für den „rationalisierten Parlamentarismus“ ist die in Deutschland in den meisten Landesverfassungen vorgenommene Regelung zu begrüßen, daß die Parlamente, wenn sie es denn wollen, im Vorfeld eines Volksentscheides einen eigenen Gegenentwurf in den Entscheidungsprozeß einbringen können. Dadurch wird die Gefahr einer strikten Konfrontation zwischen repräsentativen Entscheidungsträgern und den Initiativgruppen umgangen. Die deutschen Regelungen zielen mithin in der Sache erstens auf die grundsätzliche Anerkennung der Suprematie des parlamentarischen Entscheidungsprozesses ab. Zweitens wird jedoch -dies kommt ebenfalls in der institutioneilen Logik zum Tragen -auf eine spannungsreiche kooperativkonfliktorische Synthese zwischen den parlamentarischen Entscheidungsträgern und den Initiativgruppen verwiesen.
8. Sollte zukünftig das Grundgesetz in Richtung einer Aufnahme von Politikinstrumenten direkter Demokratie geändert werden, so ist nur eine Lösung zu favorisieren, die diesen Grundsatz zur Ausgangsbasis nimmt. Entscheidend ist bei dieser als gewichtig einzuschätzenden institutionellen Systemreform, daß die nach 1945 so mühsam etablierten politischen Institutionen in ihren Strukturen, Funktionen und in ihrer Leistungsfähigkeit nicht qualitativ nachhaltig beeinträchtigt werden oder gar grundsätzlichen Schaden erleiden.