I. Schwierige Annäherung an ein facettenreiches Thema
Das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland in den ersten Nachkriegsjahren und seine Einordnung in die Gesamtentwicklung der deutsch-französischen Beziehungen im 20. Jahrhundert gehört zu denjenigen Themen der Forschung, in denen seit der allmählichen Öffnung der Archive in den achtziger Jahren viele, zum Teil noch aus der Erinnerung mancher Zeitgenossen in die Forschung übernommene Stereotype tiefgreifend in Frage gestellt worden sind.
Traditionelle Stereotype Lange Zeit schien in der Forschung die deutschlandpolitische französische Linie von 1945 klar zu sein Paris habe schlicht seine alte destruktive Sicherheitspolitik der Zeit nach dem Ersten Welt-krieg wieder aufgelegt und fortgeführt. Es verlangte, so schien es, die Annexion der Saar -wenn nicht gar, manchen Forschern zufolge, des ganzen linken Rheinufers oder sogar der Ruhr -, zumindest die Internationalisierung des Ruhrgebietes, einen substantiellen Anteil an deutschen Reparationen und eine Zerschlagung des Reiches. Die auf der Potsdamer Konferenz beschlossene Wirtschaftseinheit Deutschlands sei der französischen Obstruktionspolitik im Kontrollrat zum Opfer gefallen, noch bevor der Kalte Krieg voll ausgebrochen sei. Die französische Besatzungszone habe man von den anderen Zonen isoliert und die Länder in ihr noch zusätzlich untereinander. Zersplitterungspolitik also auf allen Ebenen. Die Zone habe man ökonomisch extensiv genutzt durch massive Demontagen, durch eine an französischen und nicht deutschen Interessen orientierte Wirtschaftslenkung, durch exorbitante und nur teilweise bezahlte Exporte.
Eine Wende sei erst unter dem Druck der Anglo-Amerikaner erfolgt, welche insbesondere die amerikanische Wirtschaftshilfe für Frankreich als Pressionsmittel eingesetzt hätten. Auf der Moskauer Außenministerkonferenz im Frühjahr 1947 hätten sie endlich eine Abwendung Frankreichs von einer reinen Nutzungs-und Zersplitterungspolitik in Deutschland erreicht, bis Paris 1948/49 notgedrungen den Zusammenschluß der Westzonen und die Gründung der Bundesrepublik akzeptiert habe. Der Schuman-Plan zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl sei 1950 ein erstes Signal zum Aufbruch im Zeichen Europas gewesen. Noch das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in der französischen Nationalversammlung 1954 habe aber bewiesen, daß eine Kooperationspolitik in Paris auf sehr schwachen Füßen stand. Den wirklichen Neuanfang hätten daher erst Adenauer und de Gaulle 1962/63 gebracht.
Dieses jahrzehntelang fast unbestrittene Bild von einer zunächst unbarmherzigen französischen Sicherheits-und Reparationspolitik gegenüber Deutschland ist zwar nicht in allen Teilen unzutreffend Natürlich gab es in Frankreich wichtige Kräfte, für die es gültig ist. Es hat sich aber als so partiell erwiesen, daß es zur allgemeinen Charakterisierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern seit dem Krieg nicht mehr ausreicht. Vor allem trifft es in dieser Form nicht für die Regierungspolitik zu, und zwar einschließlich General de Gaulle.
Tatsächlich bildeten sich entscheidende Grundlagen für eine spätere Kooperation schon seit 1944/45 heraus und verstärkten sich in den Jahren bis 1948. Konzeptionelle Analysen und Wirkungen von Sachzwängen griffen dabei stets ineinander. Auf Regierungsebene ging es in Frankreich keineswegs primär um einen Idealismus der Völker-freundschaft. Vielmehr gewann unter maßgeblichen Entscheidungsträgern schon früh die Erkenntnis an Raum, daß beide Länder aufeinander angewiesen seien und weder der Wiederaufbau noch die Modernisierung Frankreichs zu realisieren waren, wenn man den östlichen Nachbarn nur ausbeutete, statt gerade auch zum französischen Nutzen langfristig auf -wie auch immer auszuformende -Kooperationsstrukturen zu setzen. Sowohl die Datierung der Etappen der deutsch-französischen Verständigung als auch die Analyse ihrer inneren Strukturen und Beweggründe sind daher zu überprüfen.
Gründe einseitiger historischer Interpretation Auch wenn Interpretationen sich als zu einseitig erweisen, müssen sie erklärt werden. Einige der Gründe seien skizziert: -Die französische Politik dieser Jahre ist in der historischen Analyse nur sehr mühsam zu erschließen. Schlagwortformulierungen sind immer besonders eingängig. Gerade mit ihnen kann eine Politik aber nicht erfaßt werden, die sich in einem komplexen Spannungsfeld von Rekonstruktions-und Modernisierungssachzwängen in Innenpolitik, Wirtschaft, Gesellschaft, internationaler Politik und „öffentlicher Meinung“ vor dem Hintergrund der vielschichtigen Erfahrungen in Kollaboration und Resistance ihren Weg suchen mußte.
-Der französische Regierungs-und Verwaltungsapparat war mit der Fülle von Problemen weltweit und im eigenen Land teilweise überfordert. Auch deshalb entsprach öffentlich proklamierten schlagwortartigen Zielen in der praktischen internen Entscheidungsbildung keineswegs immer eine konkrete Detailplanung, etwa hinsichtlich der Saar. Es fehlte nicht nur oft an klaren Konzepten und Organisationsstrukturen. Auch die daraus resultierende. bisweilen wenig systematische Akten-führung macht die Rekonstruktion der Entscheidungsprozesse schwieriger als bei Amerikanern und Briten. Die Verwaltungsprobleme eines vier Jahre lang besetzten und teilweise zerstörten Landes wirkten damit auf die historische Forschung lange Zeit indirekt zurück, ohne daß dies hinreichend wahrgenommen worden wäre. -Damit eng zusammen hängen methodische Probleme. Textinterpretation, Quellen der „öffentlichen Meinung“ und offizielle Regierungserklärungen standen zunächst im Mittelpunkt der Forschung. Unter dem Eindruck der kollektiven Erinnerung wurde in Texte dabei -zumal in Über-setzungen -bisweilen eine Eindeutigkeit hineingelegt, die sie nicht enthalten. Texte allein, so essentiell sie sind, reichen zur Analyse der französischen Politik dieser Jahre aber gerade aufgrund ihrer häufigen Ungenauigkeit nicht aus, und das zumal, wenn es sich um einzelne isolierte Belege handelt. Die Praxis der Politik muß in die Gesamt-interpretation einbezogen werden: Was ist realisiert worden, was dagegen blieb Planspiel? -Die Besatzungspolitik Frankreichs im deutschen Südwesten ist von der Forschung, vor allem aufgrund der Archivlage und der Blockierungen in der kollektiven Erinnerung, erst relativ spät in Angriff genommen worden. So wurde auch erst allmählich deutlich, daß die Realität dieser Besatzung weit vielfältiger war, als sie unter dem Eindruck einer „Ausbeutungskolonie“ erschien. In die Forschung auf der Ebene der Pariser Politik wurde die Besatzungspolitik zudem . zunächst vielfach auch nicht einbezogen, obwohl beides nicht von einander zu trennen ist. Bis Ergebnisse zur französischen Politik vorlagen, war die Forschung über die amerikanische und britische Politik aber schon weit vorangeschritten. Damit wurden unversehens auch politische Urteile der anderen Alliierten über die Franzosen übernommen und gelegentlich mit originär erarbeiteten Forschungsergebnissen zur französischen Politik verwechselt. So setzten sich Interpretationen fest, die zwar für die beiden anderen westlichen Besatzungsmächte vielfach auf Archivarbeit beruhten, für die Franzo-sen aber eher Stereotype der kollektiven Erinnerung und zeitgenössische politische Streitpositionen -z. B. zwischen den Amerikanern und de Gaulle -repräsentierten denn tatsächliche Forschungsergebnisse. Im übrigen hätte eine sorgfältige Auswertung der seit 1960 publizierten einschlägigen amerikanischen Akten schon viel früher auf die Spuren der jetzt bekannten Differenzierungen führen müssen -Das Verhältnis zwischen den Bevölkerungen Frankreichs und Deutschlands war seit Jahrhunderten weit komplizierter als das der Deutschen zu Briten und Amerikanern. Im deutschen Südwesten hatten sich eben nicht nur Liberale beider Seiten im 19. Jahrhundert zusammengefunden und waren napoleonische Reformen -zu Recht oder zu Unrecht -als Modernisierungsschub in Erinnerung geblieben. In Liedern, Geschichten und Ruinen blieben ebenso der Pfälzische Erbfolgekrieg lebendig und die Zwangsrekrutierungen zu Napoleons in Rußland untergegangener Grande Armee, wie Johann Peter Hebels „Kalendergeschichten“ sie schilderten. Und die Erfahrungen der harten französischen Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg und des Unterganges der deutschen Währung nach dem Ruhrkampf lagen nicht einmal eine Generation zurück. Franzosen begegnete man daher 1945 mit einer anderen Erwartungshaltung als Briten und Amerikanern und behielt auch später manche Erfahrung als „schon bekannt“ im Gedächtnis, die man gegenüber den anderen westlichen Besatzern leichter vergaß. -Zu den die Erinnerung prägenden Erfahrungen gehörten der Hunger und der Schwarzmarkt. Millionen von Menschen hatten in den besetzten Ländern während des Krieges gehungert, in Deutschland dagegen brach die Not in großem Ausmaß erst 1946/47 aus -und da hatten die Alliierten die Regierungsverantwortung übernommen. Doch Schwarzmarkt und Hunger waren nicht allein durch Kriegsverwüstungen und durch Zigaretten verkaufende alliierte Soldaten verursacht. Weit mehr noch gingen sie zurück auf die Zurückstauung der Inflation und die Verschleierung der gigantischen Staatsverschuldung sowie der Instrumente der Kriegsfinanzierung, mit denen das „Dritte Reich“ den wahren Preis für seine vielen als so erfolgreich erscheinende Wirtschafts-und Finanzpolitik verborgen hatte. Wie ein Kartenhaus brach dieses Gebilde gegen Kriegsende zusammen, als der Druck des Krieges und des Parteiterrors wegfielen. Viele Folgen wurden jetzt aber den Alliierten zur Last gelegt und nicht der tatsächlich dafür verantwortlichen deutschen Politik Wenn man hungerte, nahm man konstruktive Ansätze alliierter „Demokratisierungs“ -Politik aber wenig zur Kenntnis -auch das wirkt bis heute fort.
Gründe für eine vereinfachende Sicht französischer Politik nach Kriegsende sind also einsichtig. Dennoch wissen wir heute mehr.
II. Ausformung einer ambivalenten Politik
Grandeur -charbon -securite, Größe -Kohle -Sicherheit: So lassen sich die Kernziele französischer Außenpolitik 1945 umreißen Scheinbar handelte es sich um eine Wiederauflage der alten militärischen und ökonomischen Sicherheitspolitik von 1919. Tatsächlich wandelten sich aber jetzt die Inhalte der alten Schlagworte, und zwar grundlegend.
Entwurf einer neuen Sicherheitspolitik 1944/45
Bei aller Unterschiedlichkeit der Konzeptionen französischer politischer Kräfte für die Deutschlandpolitik nach Kriegsende bestand Einigkeit über das Ziel, die deutschen Ressourcen für den französischen Wiederaufbau zu nutzen Doch wie war das ins Werk zu setzen? In der öffentlichen Diskussion läßt sich idealtypisch ein „Dominanzkonzept“, das an Frankreichs Vorherrschaft über Deutschland orientiert war, unterscheiden von einem „Integrationskonzept“, das Sicherheit durch eine Integration Deutschlands in einen größeren Verbund suchte Für die Regierungsebene trifft eine solche Unterscheidung den Kern der Problematik allerdings nicht, denn hier war die Politik gerade durch eine komplizierte Verbindung solcher scheinbar entgegengesetzter Vorstellungen gekennzeichnet. Schon seit der Exilregierung in Algier 1943 und verstärkt seit 1944 bildete sich in Umrissen eine neue Konzeption heraus; sie erschien für die französische öffentliche Meinung gerade deshalb akzeptabel, weil sie die alte Sprache von 1919 verwendete, entwickelte sich in ihren Inhalten tatsächlich aber rasch weiter. Die Sprache verdeckte diesen Wandel -bis weit hinein in die Forschung. Schon die Schlüsselbegriffe spiegeln ihn aber wider:
Grandeur, die Wahrung oder Wiederherstellung der seit dem Ersten Weltkrieg im Niedergang befindlichen Weltmachtposition Frankreichs, war quer durch alle politischen Lager ein zentrales Ziel. Wie war das deutsche Potential dafür einzusetzen? Charbon beleuchtete die essentielle Rolle des Energiesektors für den französischen Wiederaufbau, seinerseits eine der Voraussetzungen für die Großmachtstellung. Rekonstruktion nach den Kriegszerstörungen und der Ausbeutung französischen Wirtschaftspotentials durch die deutsche Besatzung und Kriegführung war aber nur ein Teil des Gesamtproblems. In Führungspositionen rückten inzwischen jüngere Nachwuchsbeamte und Politiker wie Jean Monnet ein, die bereits in der Zwischenkriegszeit ausführlich über das Problem der nach dem Ersten Weltkrieg ausgebliebenen ökonomischen Modernisierung Frankreichs reflektiert hatten und die Öffnung des Landes zu internationalen Märkten sowie den Zwang für seine Industrie, sich internationaler Konkurrenz zu stellen, als zentrale Aufgaben der Nachkriegszeit einschätzten.
Daß weder der Wiederaufbau noch gar die Modernisierung des Landes durch Reparationen aus Deutschland bewerkstelligt werden konnten, wie mancher das in der aufgewühlten innerfranzösischen Öffentlichkeit glauben mochte, war unter maßgeblichen politischen Kräften bereits 1944 klar: Sowohl grandeur als auch charbon konnten nur dann dauerhaft gesichert werden, wenn die französische Politik auch zu grenzüberschreitenden integrativen Lösungen fand. Der Weg zum Schuman-Plan war hier bereits vor Ende des Krieges in Umrissen vorgezeichnet; er war keineswegs eine Überraschung des Jahres 1950. Integrative Konzepte, deren Grundzüge auf Regierungsebene sehr früh vorlagen, beschränkten sich daher auch weder auf sozialistische Kräfte, noch wurden sie den Franzosen 1947/48 von den Amerikanern aufgezwungen. Eng mit Großmachtstellung und Energieversorgung verflochten, ging jetzt auch die Reflexion über die securite über ältere Vorstellungen hinaus. Wenn der Nationalsozialismus -wie dies das „Dritte Reich“ selbst beansprucht hatte und wie es viele politische Analytiker auf alliierter Seite konstatierten -die Erfüllung der deutschen Geschichte und die Folge eines undemokratischen, militaristischen, obrigkeitsstaatlichen Geistes der Deutschen gewesen war, so mußte man diese Mentalität ändern. Es geht hier nicht um die historische Fragwürdigkeit solcher Interpretation, sondern um ihre politische Wirkung. Im Grundkonzept beruhte Sicherheit gegenüber Deutschland im Verständnis maßgeblicher französischer Entscheidungsträger jetzt nicht mehr nur -wie nach dem Ersten Weltkrieg -auf militärischen und ökonomischen Maßnahmen. Hinzu kam als drittes Element eine als „Demokratisierung“ bezeichnete Einwirkung auf die deutsche Gesellschaft, um ihr das vermutete Aggressions-und Expansionspotential zu nehmen.
Bereits in der ersten, unter de Gaulles Vorsitz beschlossenen Geheimdirektive für die Oberkommandierenden in Deutschland und Österreich kam diese neue Sicherheitspolitik zum Ausdruck, wenn beispielsweise die „Zerstörung des preußischen Werkes“, das man als Grundlage des „Werkes Hitlers“ betrachtete, ebenso zu den Kernzielen zählte wie die Wiedereröffnung der deutschen Universitäten und der Wiederaufbau eines qualitativ hochwertigen Pressewesens Paradoxerweise resultierten damit Grundlagen einer künftigen deutsch-französischen Kooperation zunächst gerade aus dem Sicherheitsbestreben Frankreichs -aber einem Bestreben, dessen Umsetzung den politischen, ökonomischen und sozialen Bedingungen Europas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weit mehr angepaßt wurde, als es einer weithin auf Revanchepolitik fixierten Öffentlichkeit zunächst deutlich gemacht werden konnte. Ein solches Sicherheitskonzept erforderte gegenüber Deutschland Kontrolle und Kooperation zugleich. So war vom Kern des Selbstverständnisses her darin bereits eine grundlegende Ambivalenz der praktischen Politik angelegt. Dietmar Hüser geht in seiner Analyse noch weiter, wenn er eine „doppelte Deutschlandpolitik“ konstatiert von einerseits gegenüber der Öffentlichkeit und den Alliierten mehr oder weniger klar proklamierten Zielen, unter denen aber vor allem der Zugriff auf die Ruhrkohle und die Dezentralisierung Deutschlands die eigentlichen Kernziele bildeten, und andererseits einer bereits früh differenzierter vorgehenden, Konzessionen an die Alliierten von vornherein einplanenden praktischen Politik.
Besatzungspolitik zwischen Nutzung und Demokratisierung Vor dem Hintergrund der jetzt bekannten Konzepte auf der Spitzenebene werden auch manche neuen Forschungsergebnisse zur Besatzungspolitik verständlicher. In der Grundtendenz erweist sich, daß diese Besatzung sehr vielschichtig war und neben ihren Härten zugleich höchst wirkungsvolle konstruktive Neuordnungsansätze aufwies Das war teilweise eine Folge unterschiedlicher Konzepte, von persönlichen oder administrativen Gegensätzen im Apparat der Militärregierung von Auswirkungen der Fülle zu bewältigender Schwierigkeiten in einem partiell zerstörten Land, die auch Handlungsspielräume für Neuordnungsansätze eröffneten. Das Gewicht vor allem der Kulturpolitik und der Sozialpolitik erklärt sich aber ebensosehr daraus, daß sie integrale Teile der 1944/45 allmählich entwickelten neuen Sicherheitspolitik wurden. Manche Bereiche der „Demokratisierungspolitik“ erhielten ein solches Gewicht, daß sie auch zu Lasten der ökonomischen Interessen der Besatzungsmacht durchgesetzt wurden, welche die ältere Forschung irrtümlich für absolut prioritär hielt. Einige dieser Leistungen der französischen Besatzungsmacht gingen erheblich über diejenigen der Briten und Amerikaner in ihren Zonen hinaus. Aber auch in der Wirtschaftspolitik, für welche bis vor kurzem das Bild einer reinen Reparations-und antiquierten Sicherheitspolitik noch zuzutreffen schien, zeigen sich inzwischen grundlegende Ambivalenzen, wenn nicht gar Korrekturen.
General de Gaulle hat diese Ambivalenzen bereits Anfang Oktober 1945 bei seiner Reise durch mehrere Städte der Besatzungszone offensiv angesprochen Es ging ihm hier einerseits um die langfristige Absicherung französischen Einflusses in Deutschland. Zugleich rief er aber, zur größten Überraschung seiner Zuhörer, zur deutsch-französischen Zusammenarbeit beim Wiederaufbau auf, den er etwa in Freiburg präzisierte „im materiellen Sinn der Bausubstanz, der Ernährung, der allgemeinen Wirtschaftsaktivität; doch ebenso ... in der Erziehung, der Justiz, dem Religionswesen und der Verwaltung“. In der Führung der Baden-Badener Militärregierung wurden diese Reden intern als Direktiven des Regierungschefs gewertet, so etwa, wenn Zivilverwaltungschef Emile Laffon daraufhin die Landesgouverneure anwies, die „Verwaltungspolitik“ müsse „ein Wiederaufleben des Geistes öffentlicher Verantwortung erlauben“ und die Deutschen „an das Funktionieren demokratischer Institutionen“ gewöhnen. Wieder blieb dies ambivalent: Die französische Politik sei insgesamt durch „ihren doppelten Charakter von Bestimmtheit und Humanität“ zu definieren Trotz aller Härten der Besatzungszeit bedeutet dies, daß konstruktive Ansätze auf den höchsten Ebenen in Paris und in der Besatzungszone Rückhalt hatten, wenn sie nicht sogar von ihnen ausgingen. Mit einer reinen „Ausbeutungskolonie“, die viele Kräfte innerhalb der Militärverwaltung natürlich für legitim hielten, hatten solche Direktiven schon 1945 nichts mehr zu tun.
Konstruktive Ansätze der französischen Politik wurden von deutscher Seite im Kultursektor am ehesten anerkannt. Abgesehen von der erst jüngst genauer untersuchten Kirchenpolitik ist er auch der am besten erforschte Bereich Manchen Historikern erschien er nur als eine Art Palliativ, um die Härten der Besatzung zu überdecken. Im Rahmen der skizzierten neuen Sicherheitspolitik sind sein Gewicht und seine Aufgabe allerdings weit höher anzusetzen, und das erklärt auch die großen Finanzmittel, die Frankreich hier einsetzte. Gerade deshalb erfaßte die Ambivalenz der französischen Politik aber auch die Kulturpolitik. Wenngleich etwa unter Vorsitz von de Gaulle bereits im Herbst 1945 in Paris ausführliche Direktiven für Schulreformen in der Zone und für eine „neue Pädagogik“ im Gegensatz zur „nationalsozialistischen Pädagogik“ verabschiedet wurden war die Umsetzung unter der temperamentvollen Ägide des sehr eigenständigen Baden-Badener Erziehungsdirektors Raymond Schmittlein von einem fast jakobinischen Missionarimus geprägt: Frankreich sollte durch Schulreformen nach französischem Vorbild den Deutschen Demokratie und humanitäre Werte bringen.
Dieser Missionarismus, der sich unter anderem scharf gegen das elitär betrachtete humanistische Gymnasium richtete, traf bald auf immer größeren deutschen Widerstand. In anderen Bereichen waren die französischen Erfolge größer. So behielten die Universitätsgründungen in Mainz und im Saarland ebenso Bestand wie die Gründung der -ursprünglich allerdings als eine Art deutsche ENA (Ecole Nationale d’Administration) konzipierten -Verwaltungshochschule Speyer und des Dolmetscherinstituts Germersheim. Treffen unter Studierenden und unter Multiplikatoren beider Seiten wurden früh eingeleitet und schufen ein Netz persönlicher Verbindungen, die später ihre Wirkungen in den politischen und intellektuellen Eliten beider Länder entfalteten. Namen wie Emmanuel Mounier, Pere du Rivau, Alfred Grosser, Joseph Rovan -der in der Militärregierung für die Erwachsenenbildung zuständig war -stehen für solche zukunftsweisenden Initiativen. Die vielfältigen Aktivitäten in Theater, Film, Ausstellungen und Buchproduktion trafen auf ein oft enthusiastisches Echo. Einige der intellektuell anspruchsvollsten Zeitschriften der deutschen Nachkriegsjahre erschienen in der französischen Zone. Ähnliches galt für Presse und Rundfunk Die Militärregierung war im Medienbereich um Chancengleichheit für alle als demokratisch betrachteten politischen Kräfte besonders bemüht, bis hin zur politisch ausgewogenen Papierzuteilung. Von deutscher Seite sah man allerdings vorwiegend die mit diesem Konzept natürlich wiederum verbundene Kontrolle. Als nur an öffentlichkeitswirksamen Effekten orientierte Willkür erschien manchen Zeitgenossen und zunächst auch der Forschung die französische Entnazifizierungspolitik. Auch hier erwies sich inzwischen, daß die Franzosen tatsächlich im Gegenteil das differenzierteste Entnazifizierungskonzept aller Alliierten entwickelten und sich unter Ablehnung des amerikanischen Schematismus um die Feststellung individueller Verantwortung unter politischen Gesichtspunkten bemühten, wenngleich diese eigenständige Linie sich nur bis 1947 durchhalten ließ
Bis zur Schikane reichende Kontrolle schien aus deutscher Sicht auch den Wiederaufbau von Parteien und Gewerkschaften zu kennzeichnen Tatsächlich galt auch hier ein Konzept des stufenweisen Aufbaus politischer Institutionen von der lokalen Ebene aus, wobei man den Parteien aufgrund des Scheiterns der Weimarer Republik besonderes Mißtrauen entgegenbrachte. Wie die Analyse der Entscheidungsprozesse zeigt waren Gewerkschaftler in den Anfangsjahren politisch daher mitunter sogar einflußreicher als die Parteien -und als sie es selbst anerkannten. Gewerkschaften wurden zugleich als Ordnungskraft in den Betrieben genutzt: Wieder zeigte die Demokratisierung ihr doppeltes Gesicht von Kontrolle und Neuordnung. Beides traf ebenfalls zusammen in der auf breite Fundierung in der Bevölkerung bedachten französischen Verfassungspolitik in den Ländern
In der Sozialpolitik kollidierte die Demokratisierungspolitik am unmittelbarsten mit den ökonomischen Interessen der Besatzungsmacht. 1945/46 setzte die Militärregierung in Kooperation mit christlichen Gewerkschaftlern eine tiefgreifende Reform der Sozialversicherung durch, in der sie vor allem die in der Entstehung des deutschen Sozialversicherungssystems nach 1884 begründeten sozialen Ungerechtigkeiten zwischen den Lebensbedingungen insbesondere von Arbeitern und Angestellten durch die Schaffung einer regional gegliederten Einheitskrankenkasse und eine Zusammenfassung der Rentenversicherungen weitgehend ausglich. Die Wiederherstellung der von den Nationalsozialisten aufgelösten Selbstverwaltung in der Sozialversicherung -traditionelles politisches Sozialisierungsfeld für Politiker aus der Arbeiterbewegung -setzte die Militärregierung in ihrer Zone bereits 1947/48 durch, während die Länder der anderen Westzonen darauf bis 1952/53 warten mußten. In der Kriegsopferversorgung, die direkt aus dem Staatshaushalt finanziert wurde und daher ebenso wie die Finanzkompetenz der sozialen Selbstverwaltung das Interesse der Besatzungsmacht an hohen Besatzungskostenpauschalen unmittelbar tangierte, wurden in der französischen Zone die höchsten Leistungen aller Besatzungszonen gewährt. Die betriebliche Mitbestimmung war vielfach erheblich weiter gefaßt als später in der Bundesrepublik.
Viele solche Reformen nahm die Bundesrepublik zunächst wieder ganz oder weitgehend zurück; sie realisierte einige von ihnen allerdings später auf anderem Wege, so die Rentnerkrankenversicherung 1956 und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall 1970. Ein Ausgleich der sozialen Ungerechtigkeiten im deutschen Krankenversicherungssystem wurde grundlegend aber erst 1994 wieder in Angriff genommen -ein halbes Jahrhundert nach der Pionierarbeit der französischen Militärregierung.
Ebenso ambivalent in ihrer Wirkung wie die demokratisierende Sicherheitspolitik waren die Wirtschaftsinteressen, deren Ziel zifnächst eine reine Ausbeutung zu sein schien. Um die Zone für den französischen Wiederaufbau langfristig zu nutzen, mußte man ihren Produktionsapparat aber erst einmal wieder in Gang setzen, und dies geschah mit vielfach bemerkenswerter Geschicklichkeit durch oft hochqualifizierte Fachleute.
Wiederaufbauprioritäten und Nutzung in französischem Interesse sind von den Rekonstruktionseffekten für die deutsche Wirtschaft nicht immer klar zu trennen -auch hier lag aber nicht Raubbau, sondern Wiederaufbau im ureigensten französischen Interesse Von deutscher Seite wurden die hohen französischen Exporte und die dafür u. a. vorgenommene Abholzung von Teilen des Schwarzwaldes kritisiert -man sah aber nicht, daß die für sich allein nicht lebensfähige kleine Zone zur Bezahlung der Lebensmitteleinfuhren auf die Exporte angewiesen war und Frankreich diese auch größtenteils und ab 1947 ganz in Dollar bezahlte, um die Zone nicht aus dem eigenen Staatshaushalt subventionieren zu müssen wie die Amerikaner. Möglicherweise hat Frankreich sich damit sogar sozusagen selbst ausgebeutet, denn für die in der Zone aufgewandten Dollar hätte es auf dem Weltmarkt Güter erwerben können, die das Land weit dringender gebraucht hätte
Die Demontagen in der Zone waren ökonomisch größtenteils sinnlos und gingen politisch auf Entscheidungen nicht der Franzosen allein, sondern des Alliierten Kontrollrates zurück; in ihrer verheerenden politischen Wirkung unterminierten sie allerdings besonders nachhaltig die möglichen Erfolge der französischen Politik. Gleiches gilt für die -häufig von Militärs gegen die für die Zivilverwaltung zuständigen französischen Stellen verfügten -Requisitionen; bei Lebensmitteln vermittelten sie der deutschen Bevölkerung den irrtümlichen Eindruck, daß ihr Hunger allein auf Entnahmen der Besatzungsmacht zurückging. Frankreich hat für die von deutscher Seite während der Kriegsjahre entnommenen Güter bis 1954 wahrscheinlich sogar nur einen Gegenwert von1,42 Prozent als Restitutionen zurückerhalten
In solchen Auseinandersetzungen liegen weitere Erklärungen dafür, daß die konstruktiveren Leistungen der Besatzungsmacht auf deutscher Seite nicht stärker rezipiert wurden. Die skizzierten Grundzüge der Besatzungszeit sind natürlich in vielerlei Hinsicht zu differenzieren und zu ergänzen, wozu hier der Raum fehlt. So setzte die französische Politik in Rheinland-Pfalz oft andere Akzente als in Baden und Württemberg-Hohenzollern, welche man weniger eng an sich binden wollte. Mancher zunächst eher auf Revanche bedachte Besatzungsoffizier wurde durch die Erfahrung der Zusammenarbeit mit den Deutschen zu deren Sachwalter gegenüber vorgesetzten Stellen. Politische Fronten gingen häufig quer durch deutsche und französische Verwaltungen hindurch. Auch wo Kontrolle, autoritäres Auftreten und Interessengegensätze vorherrschten, wurden so in der Praxis bereits vielfache Grundlagen für eine Kooperation gelegt, die Jahre später ihre Früchte tragen sollte.
Frankreich und die deutsche Einheit Hat Frankreich die Chancen für die deutsche Einheit 1945/46 blockiert? Nach heutiger Kenntnis war grundlegend für das Verständnis der französischen Politik 1945, für ihre Entwicklung, aber auch für ihre Unsicherheiten und inneren Widersprüche der Versuch, zwischen politischer und ökonomischer Einheit Deutschlands zu unterscheiden und eine politische Dezentralisierung bei wirtschaftlicher Einheit zu erreichen. Das war konzeptionell ein nicht immer überzeugend gelungener Drahtseilakt, denn wie man politische und ökonomische Gewichte jeweils einschätzte, konnte im einzelnen sehr unterschiedliche Maßnahmen zum Ergebnis haben. De Gaulle neigte durchgehend zu politischen Prioritäten, seine Fachministerien betonten je nach Aufgabenbereich mehr oder weniger eindringlich die Sachzwänge der politischen oder der ökonomischen Lage. Erst die jüngere Forschung hat erkannt, daß politische Dezentralisierung bei ökonomischer Einheit 1945 auch das Konzept der britischen Regierung war Diese teilte mit den
Franzosen insbesondere das tiefe Mißtrauen gegenüber den Sowjets und die Furcht vor deren Ausgreifen bis an den Rhein unter dem Mantel gesamtdeutscher Institutionen. Die zitierte erste französische Geheimdirektive vom 20. Juli 1945 verwies ausdrücklich darauf, daß eine „alliierte Einheitsfront“ -bei „politischer Dezentralisierung“ -eher im französischen Interesse liege als eine „Zersplitterung“ („dislocation") Deutschlands. In der Tat war für den französischen Wiederaufbau aus der kleinen eigenen Besatzungszone nicht viel zu gewinnen.
So radikale Entindustrialisierungs-und Zersplitterungskonzepte wie der Morgenthau-Plan, den immerhin sowohl Roosevelt als auch Churchill zunächst amtlich gutgeheißen hatten, sind aus den französischen Akten, zumal als Regierungsbeschlüsse, auch nicht bekannt. Tatsächlich war die französische Politik 1945 zugleich unpräziser und flexibler, als Schlagworte sie erscheinen lassen. Vor allem de Gaulle nahm Rücksicht auf eine öffentliche Meinung, angesichts deren tiefer innerer Zerrissenheit eine Revanche-Politik gegenüber Deutschland fast der einzige gemeinsame politische Nenner im Lande war, und ließ sich die Möglichkeit offen, je nach innen-und außenpolitischer Situation unterschiedliche deutschlandpolitische Varianten zu realisieren viele seiner Reden waren bei genauerer Betrachtung sehr offen formuliert -so die vielzitierte Forderung „kein zentralisiertes Reich mehr“, die oft als Aufteilung des Reiches interpretiert wird, aber ebenso Dezentralisierung meinen konnte.
Daß Maximalziele wie eine Abtrennung des Rheinlandes von Deutschland politisch nicht durchzusetzen sein würden, erkannte man im Quai d'Orsay spätestens im Herbst 1945 Um so stärker trat in den Mittelpunkt das Ziel einer Partizipation an der Ruhrkohle -die weit wichtiger erschien als die qualitativ geringerwertige Saarkohle -, das Streben nach einer politischen Dezentralisierung in Deutschland und der Wunsch nach einer langfristigen Sicherung französischen Einflusses im Nachbarland, insbesondere im Rheinland -unter welchen praktischen Formen auch immer. Zur Erhaltung der deutschen Wirtschaftseinheit ohne Präjudizierung einer zentralen deutschen Regierung entwarf man im Verlauf des Herbstes 1945 das Konzept sogenannter „bureaux allies“, deutscher Verwaltungsstellen unter Aufsicht des Alliierten Kontrollrates, das sich jedoch nicht durchsetzte Immerhin erklärt es, warum Frankreich im Alliierten Kontrollrat zwar einerseits einer politischen Zentralisierung Deutschlands nicht zustimmte, andererseits aber in vielen Einzelfragen konstruktive Arbeit leistete und manche Kontrollratsdirektiven -etwa in der Sozialpolitik -in seiner Zone auch weitergehend umsetzte als Briten und Amerikaner. Das ursprünglich besonders von General Clay aus politischen Gründen verbreitete und von der Forschung lange Zeit übernommene Bild einer generellen französischen Obstruktionspolitik im Kontrollrat trifft so nicht zu.
Besonders unklar blieb die französische Politik zunächst in der Saarfrage. Erst Anfang 1947 wurden in Paris dafür detailliertere politische Konzepte entworfen. Die Verwaltung vor Ort sah sich gezwungen, im wesentlichen selbst zurechtzukommen Auch hinsichtlich der in der französischen Öffentlichkeit vehement diskutierten Annexion der Saar liegen bislang keine eindeutigen Beweise dafür vor, daß dies zumindest ab Sommer 1945 noch das Ziel der Regierung gewesen wäre Vielmehr strebte man schon früh eine wieder nicht klar definierte langfristige „Assimilation“ des Landes und eine 1947 dann auch durchgeführte wirtschaftliche Angliederung an den französischen Wirtschaftsraum an, die in der Saar-Bevölkerung bis in die frühen fünfziger Jahre auch durchaus Rückhalt hatte. Diese Angliederung gestanden die Westalliierten Paris intern bereits im Frühjahr und offiziell im Herbst 1946 zu, während Stalin sie strikt ablehnte.
In Saarbrücken verfolgte Verwaltungschef Gilbert Grandval in Kooperation mit der Regierung Johannes Hoffmann die Politik eines autonomen Staatswesens unter französischer Ägide, während in Paris zunächst eher protektoratsähnliche, ab 1947 von Saarkommissar Michel Debre geprägte Vorstellungen vorherrschten. Zwischen Bonn und Paris wurde die Saarfrage nach 1949 bekanntlich zum wichtigsten Hindernis auf dem Weg zu einer Annäherung, ihre Lösung dann zu einem zentralen Erfolg für Robert Schuman, Konrad Adenauer und Pierre Mendes France. Daß die Saar ökonomisch allerdings nicht so viel für Frankreich erbringen würde, wie man in der Öffentlichkeit erwartete -und zudem erhebliche Konkurrenzprobleme mit Lothringen schuf erkannten manche Wirtschaftsexperten schon früh. Das bereitete auch den Boden dafür vor, däß Frankreich, ohnehin mit einer Fülle von Problemen in der Innenpolitik und im Kolonialreich konfrontiert, 1955 nach dem Referendum über das von der Bevölkerung mit Zwei-Drittel-Mehrheit abgelehnte europäische Statut der Saar schließlich einer Eingliederung in die Bundesrepublik zustimmte. Trotz der konfliktgeladenen Atmosphäre, die an der Saar bis heute spürbar ist, wurden hier vielfältige Institutionen und Kooperationsstrukturen geschaffen, welche bis in die Gegenwart als Brücke zwischen Frankreich und Deutschland dienen.
Aus der frühen Erkenntnis, daß eine Zersplitterung des Reiches nicht eindeutig im Interesse Frankreichs lag und ohnehin bei den anderen Alliierten nicht durchzusetzen sein würde, zog die französische Verwaltung intern schon 1946 die Konsequenz, detaillierte Konzepte für das Bund-Länder-Verhältnis und eine möglichst schwache Zentralgewalt in einer künftigen deutschen Bundesverfassung zu entwerfen. Auch die Gründung des Landes Rheinland-Pfalz im August 1946 gehörte in diesen Kontext; sie konnte intern in Paris sowohl die Anhänger einer Abtrennung des Rheinlandes im Sinne eines Staatenbund-Konzeptes zufriedenstellen als auch eine starke Stellung der Länder in einem künftigen deutschen Bundesstaat vorbereiten
Das offizielle Einschwenken der Franzosen auf die verfassungspolitischen Forderungen der anderen Westalliierten während der Moskauer Außenministerkonferenz im Frühjahr 1947 war nicht plötzlichem amerikanischem Druck zuzuschreiben, sondern stellte den Endpunkt einer intern in Paris bereits 1946 weit gediehenen Entscheidungsfindung dar Im Grundgesetz erhielt die Bundesrepublik eine föderale Struktur, welche zwar nicht so weitgehend dezentralisiert wurde, wie man das in Paris 1945 erhofft hatte, die aber dennoch einem Pariser Kernziel grundsätzlich entsprach. Hier waren Amerikaner und Franzosen 1945 wie 1948 tatsächlich weniger weit voneinander entfernt, als es die oft scharfen Formen interalliierter Auseinandersetzungen erscheinen ließen.
Schwieriger war der Zugriff auf die Ruhrkohle in einem sich wandelnden internationalen Umfeld zu sichern. Mit dem Schuman-Plan für eine Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl griff man 1950 auf die seit 1943 entwickelten Konzepte zurück, die innenpolitisch mit dem Monnet-Plan für eine Modernisierung des Landes umgesetzt worden waren und jetzt um ihre integrativ-grenzüberschreitenden Komponenten erweitert wurden. In der Öffentlichkeit als enthusiastischer Auftakt zur Integration Europas eingeschätzt, lag der Plan tatsächlich im ureigensten französischen Interesse. Auch wenn nationalstaatliche Elemente sich in der Ausformulierung 1951 stärker behaupteten als im Plan von 1950 und die Bundesrepublik die Kontrolle über die Ruhr-Kohle zurückerhielt, machte dies den seit 1945 eingeleiteten Wandel im deutsch-französischen Verhältnis offenbar und schuf zukunftsweisende internationale Organisationsstrukturen
Der Umbruch in der Forschung der letzten Jahre zeigt gegenüber bisherigen Vorstellungen im Ergebnis stärkere Kontinuitäten im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich seit 1945. Die Erfolge der Annäherung waren weniger angloamerikanischem Druck zu verdanken, der -zumal mit dem Marshall-Plan -allerdings als zusätzlicher Faktor wirkte, als vielmehr der inneren Dynamik der beiderseitigen Interessen. Die Behandlung Deutschlands als „Reparationsgut“ paßte nicht mehr in die politische und ökonomische Wirklichkeit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts -von partnerschaftlichen Strukturen profitierten beide Seiten mehr, und das wurde auf der Führungsebene früh erkannt. Durch ihr oftmals hartes Auftreten und ihre Absonderungspolitik in der Zeit der Weichenstellungen vor Gründung der Bundesrepublik beraubten die Franzosen sich allerdings auch selbst mancher Chancen, ihre vielfach durchaus beachtenswerten Leistungen im deutschen Südwesten nach 1949 auch auf Bundesebene stärker zur Wirkung zu bringen.
Konfliktreich blieb das Verhältnis auch in späteren, an sich weniger spannungsreichen Epochen. Die harten Debatten um die deutsche Vereinigung nach 1989 zeigten das erneut. Die Untrennbarkeit von Kooperation und Kontrolle, die Ambivalenz von „mise en valeur" und gemeinsamer Rekonstruktion, das Spannungsverhältnis von Völkerverständigungs-Idealismus und gegenseitiger Interessenverflechtung entfalteten aber nicht nur ihre negativen Seiten, sondern gerade auch ihre konstruktiven Wirkungen bereits seit der frühen Nachkriegszeit.