I.
Das wesentliche Leitmotiv der bisherigen themenspezifischen Forschung bestand in dem Bemühen, den Beitrag der amerikanischen Nachkriegspolitik für die Demokratisierung der Bundesrepublik Deutschland zu benennen. Der Rahmen dieser Historiographie ist mit zwei Positionsbestimmungen grob abzustecken: Zum einen argumentieren die Vertreter der Restaurationsthese, daß traditionalistisch ausgerichtete, nationalkonservative Schichten sowie unbelehrbare Nazi-Elemente mit autoritären, intoleranten Einstellungen die Jahre nach dem Krieg prägten. Während der Kalte Krieg die Bedeutung restaurativer Kreise für die Entwicklung der bundesdeutschen Gesellschaft noch verstärkte, steuerte die Kommerzialisierung, der Kapitalismus zusätzlich zu einem negativen Urteil über die „Amerikanisierung“ Westdeutschlands bei Auf der anderen Seite wird ein radikaler Neuansatz erkannt, der den Grundstein für eine neue soziale Ordnung und politische Kultur legte. Der von der Vergangenheit fundamental unterschiedene Neubeginn wird in den Kategorien größerer Offenheit, weitgehender Liberalität, der Chancengleichheit und Mobilität beschrieben. Diese Position des Neuanfangs behauptet positiv bewertete Eingriffe, indem die eingeleiteten Modernisierungsprozesse den radikalen Bruch mit der Vergangenheit bewirkten und die Wende zu dem „besseren“, durch Wohlstand und Stabilität gekennzeichneten Deutschland markierten
Eine Wende in der wissenschaftlichen Diskussion bahnte sich an, nachdem seit den siebziger Jahren die relevanten Archivbestände geöffnet und der Forschung zugänglich gemacht wurden. Zwei Fakten sind für die nun veränderte Perspektive bedeutsam: Zum einen weitete sich die Demokratisierungsdebatte von den zuvor politisch und sozioökonomisch dominierten Strukturen aus auf die Mentalitäten und kulturellen Werte im Alltags-leben, die Rolle der Geschlechter, die regionalen und lokalen Dimensionen oder auf die gesellschaftliche Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen Zum anderen veranschaulichen die Ergebnisse, daß Demokratisierung und Konservativismus, restaurative Tendenzen, auf traditionalistische Besitzstandswahrung gerichtete Interessen einander überlagern und sich unter bestimmten Bedingungen und Konstellationen gegenseitig so verstärken können, daß sie einen stabilen, selbst Krisenzeiten überdauernden demokratischen Grundkonsens herbeiführen. Hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse in der (west-) deutschen Nachkriegsgeschichte begleiteten diese Interdependenzen in großem Maße den Wiederaufbau, der unter den extrem schlechten Bedingungen und mit dem vorhandenen Potential menschlichen Verhaltens gar nicht anders als vorwiegend traditionalistisch und konservativ orientiert sein konnte Bezogen auf die Historiographie zur amerikanischen Erziehungsreform ist festzustellen, daß sie den frühen Analysen der politischen Rahmenbedingungen weitgehend folgte und mehrheitlich das Dogma radikal einander ausschließender Politik-positionen vertritt Insbesondere wird die These zu untermauern gesucht, daß wegen ausgebliebener Reformen im Bildungssystem die Chance eines Neubeginns nach 1945 verspielt und durch restaurative Tendenzen ersetzt worden sei. Vereinzelte Untersuchungen zur amerikanischen Bildungspolitik vertreten zwar in der Bewertung eine Gegenposition; ihre Sichtweise ist jedoch eingeschränkt, weil sie entweder der eigenen Erinnerung verhaftet sind, sich ausschließlich auf die Entnazifizierung und das öffentliche Schulwesen konzentrieren oder die eng begrenzte Ära der Besatzungszeit nicht überschreiten
Damit wird noch einmal bewußt, daß im Vordergrund der bisherigen Erforschung der amerikanischen Erziehungspolitik und ihrer Bewertung die im Bildungssystem institutionalisierte Erziehung stand. Obwohl für das Scheitern der Schulreform in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone die Abneigungen und Widerstände auf deutscher Seite verantwortlich waren, erfuhren die amerikanischen Initiativen in der bildungshistorischen Forschung eine insgesamt skeptische Bewertung Im Visier kritischer Positionen zur amerikanischen Erziehungsreform steht meist die Direktive JCS (Joint Chief of Staff) 1067, die als Indikator für den Einfluß der Bemühungen des Finanzministers Henry Morgenthau auf die Deindustrialisierung Deutschlands und einen „Karthagofrieden“ angesehen wird Dabei wird eine Konstellation behauptet, die den Plänen der sogenannten Linken um Morgenthau ein totales Erziehungsparadigma zuordnet: Dem als verdorben klassifizierten deutschen Nationalcharakter könne nur die Sicherungsverwahrung eines Schwerverbrechers entsprechen. Auf die andere Seite wird die Gruppe der antikommunistischen Realpolitiker gestellt, die ein ökonomisch starkes, demokratisches Deutschland mit einem soliden Fundament individueller Freiheiten vor Augen gehabt hätten. Während im pädagogischen Credo der „Linken“ die sozialpsychologischen Ansätze von Kurt Lewin und Richard M. Brickner manifest gewesen wären, seien die „Realpolitiker“ den Lehren John Deweys und dem darin enthaltenen pädagogisch-milieutheoretischen Optimismus gefolgt.
Im Unterschied zu dieser Position beweist die Autorisierung der Direktive JCS 1067 am 14. Juli 1945 lediglich, daß die Rooseveltsche Deutschlandpolitik dem Prinzip einer möglichst späten Festlegung folgte Bereits die Konferenz von Jalta bedeutete die Niederlage der Position von Morgenthau, dessen Intervention allenfalls direkte Auswirkungen auf die Goebbelsche Propaganda hatte Die Direktive JCS 1067 schrieb neben der Eliminierung des Nationalsozialismus, der Bestrafung von Kriegsverbrechern, der Entmilitarisierung und der Vernichtung der Rüstungsindustrie die eventuelle Rekonstruktion des politischen Lebens auf demokratischer Grundlage fest. Die parallel verordnete Kontrolle der deutschen Erziehung war jedoch als Anweisung zu dürftig, um erziehungspolitische Konturen erkennen zu lassen. Zudem hatte JCS 1067 rein technisch nur eine zweiwöchige Geltung bis zur Veröffentlichung der Potsdamer Erklärung vom 2. August 1945, die im übrigen für die Erziehung noch weniger als JCS 1067 zu verkünden wußte. Der Eliminierung des Nationalsozialismus war hier die Entfaltung demokratischer Ideen gegenübergestellt. Bereits die Besetzung Deutschlands durch amerikanische Streitkräfte hatte erwiesen, daß JCS 1067 mitnichten alleiniges Orientierungsmuster war. Den Geist und die Praxis der Besatzung prägten das Verantwortungsgefühl und die Tradition der Streitkräfte, wonach eine Militärverwaltung strikt, aber human und gerecht zu sein hab
Gegenüber skeptischen oder pessimistischen Urteilen ist zu behaupten, daß schon bald nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg die Konturen der später geltenden Erziehungsrichtlinien vorgezeichnet waren, daß der Prozeß der Politikgestaltung selbst keinen allzu großen Schwankungen unterlag und daß die Intention anders und die Wirkungen größer waren als unterstellt. Diese Zusammenhänge werden freilich erst sichtbar, wenn man sich von der Fixierung auf das Schulwesen löst, das breite Spektrum der „Reeducation" -Politik in den Blick nimmt und die Aussagen über die Wirkungen nicht ausschließlich auf die relativ kurze Besatzungszeit begrenzt. Darüber hinaus ist die amerikanische Erziehungsreform in den gesellschaftlichen Kontext traditionsorientierter Werthaltungen zu stellen, die insgesamt einen retardierenden Einfluß ausübten. Unter diesen Prämissen wird im folgenden die Entstehung der amerikanischen Erziehungspolitik untersucht und ihre Umsetzung in der westdeutschen Gesellschaft nach 1945 an ausgewählten Beispielen illustriert.
II.
Die Wurzeln der amerikanischen Erziehungspolitik sind im wesentlichen von dem Selbstverständnis der amerikanischen Demokratie und den daraus resultierenden Hoffnungen auf einen dauerhaften Frieden nach dem Weltkrieg abgeleitet. Namentlich die von Roosevelt vertretenen vier Freiheiten -das Selbstbestimmungsrecht der Völker; freier Zugang zum Welthandel und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit; das Schaffen von Verhältnissen, in denen Menschen frei von Furcht und Not leben können; die Freiheit der Meere sowie Gewaltfreiheit und Abrüstung nach der Etablierung eines umfassenden, dauerhaften Sicherheitssystems -stellen bereits die Eckpunkte dar, die in der Atlantik-Charta und der „Declaration by United Nations“ 1941 ihren institutionellen Rahmen fanden und das Kernstück der UNO-Charta von 1945 bildeten. Die liberal-demokratischen Intentionen und der universelle, von Selbstbewußtsein und Sendungsbewußtsein getragene Führungsanspruch ist zu Recht auf die prägnante Formel von „Machtstreben und Vision“ reduziert worden
Spätestens seit der deutschen Kriegserklärung an die USA vom 11. Dezember 1941 stand Präsident Roosevelts demokratisch-freiheitlicher Gesellschaftsentwurf mit einem christlich-humanistisch fundierten Menschenbild und einer privatkapitalistisch orientierten Wirtschaftsordnung der menschheitsfeindlichen, rassistisch-totalitären Willkürdoktrin des Nationalsozialismus unversöhnlich gegenüber. Das am 24. 1. 1943, dem letzten Tag der Konferenz von Casablanca, verkündete Kriegsziel der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands ist konsequenter Ausdruck der Grundüberzeugung Roosevelts, keine Wiederholung der Geschichte zuzulassen. Den Deutschen sollte klar vor Augen geführt werden, daß sie den Krieg angefangen und verloren hatten
Die Gründung der UNESCO Die UNESCO hatte zwar nur mittelbare Bedeutung für die Praxis der späteren Militärregierung in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands; ihre Relevanz für die Erziehungsreform entwickelte sich jedoch rapide in dem Maße, wie die Bundesrepublik in internationale Strukturen eingebunden wurde. Daneben macht die Vorgeschichte der UNESCO einen wichtigen Meilenstein für die internationalen Kulturbeziehungen der USA kenntlich, die durch die Konferenz der alliierten Erziehungsminister (CAME) beeinflußt waren. Seit Oktober 1942 tagte die Konferenz unter dem Vorsitz von R. A. Butler (British Board of Education) in London und versammelte Vertreter von Exilregierungen aus Polen, den Niederlanden, Belgien, Norwegen, Griechenland, Jugoslawien und der Tschechoslowakei. Im Sommer 1943 drängte die Konferenz auf konkrete Pläne für die Nachkriegszeit. Die britische Seite wollte jedoch keine Entscheidung treffen, ohne die USA, China und die Sowjetunion zu konsultieren
Parallel zur britischen Entwicklung tagten in West-Virginia vom 14. bis 17. September 1943 auf der Harpers Ferry Konferenz Vertreter 30 amerikanischer Interessenvertretungen aus Bildung und Erziehung und weitere Repräsentanten aus 29 Nationen. Nach der Devise „uneducated people are unable to meet their obligations of citizenship in a democratic society“ setzte sich die Konferenz unter dem Vorsitz von Grayson Kefauver, Dekan des College for Education an der Universität Stanford, für die bald September 1943 auf der Harpers Ferry Konferenz Vertreter 30 amerikanischer Interessenvertretungen aus Bildung und Erziehung und weitere Repräsentanten aus 29 Nationen. Nach der Devise „uneducated people are unable to meet their obligations of citizenship in a democratic society“ 15 setzte sich die Konferenz unter dem Vorsitz von Grayson Kefauver, Dekan des College for Education an der Universität Stanford, für die baldige Einrichtung einer internationalen Erziehungsorganisation ein. Das State Department gewahrte schnell, daß seine Abteilung für kulturelle Beziehungen auf externe Kompetenzen und Expertisen nicht verzichten konnte. Bis zum Ende des Jahres 1943 gelang es, eine Reihe prominenter Persönlichkeiten entweder in Beratungsgremien einzubinden oder sich ihre Sachkenntnis auf andere Weise zu sichern. Zu ihnen gehörten unter anderem der Professor für vergleichende Erziehungswissenschaft, Walter Kotschnig; der Präsident der Harvard Universität, James B. Conant; der Direktor des Institute of International Education, Stephen Duggan; der Direktor des American Council of Learned Societies, Waldo G. Leland; der Direktor der Library of Congress, Archibald MacLeish; der Commissioner of Education, John W. Studebaker; der Präsident der Cornell Universität, Edmund Day, und der Präsident des American Council on Education, George F. Zook.
In London hatten die alliierten Erziehungsminister ihre Besorgnis über die geistig-materiellen Folgen der NS-Besatzung zum Ausdruck gebracht und im Hinblick auf die Vernichtung intellektuellen Lebens, die Verschleppung kultureller Güter, das Verschwinden traditioneller Werte und die Entfremdung zwischen Familie und Jugend ein konstruktives Programm gefordert. Dieser Forderung wollte das State Department ab Anfang 1944 nachkommen. Im Frühjahr 1944 sandte das US-Außenministerium eine Delegation unter der Leitung des späteren Senators J. William Fulbright nach Lon-don, um die Realisierungschancen der amerikanischen Intentionen zu sondieren. Außenminister Cordei Hull hatte der Kommission den Auftrag erteilt, den in der Nachkriegszeit auf dem europäischen Kontinent zu erwartenden Zerstörungen und der damit verbundenen ökonomischen Instabilität und politischen Unsicherheit, die auch Auswirkungen auf die USA haben würden, ein internationales Hilfsprogramm entgegenzustellen 16. Im einzelnen sahen die beabsichtigten Maßnahmen vor, Programme für Lehr-und Unterrichtsmaterialien, wissenschaftliche Geräte, Ausstattung und Schulbauten zu entwickeln. Pädagogen für die im Krieg in Mitleidenschaft gezogenen Länder in den USA auszubilden, den ungehinderten Austausch von Wissen und chancengleiche Zu-und Über-gänge im Bildungssystem zu sichern, Bibliotheken auf-und auszubauen sowie für die Rückgabe geraubten Kulturgutes zu sorgen.
Die amerikanische Delegation ließ in London G. Kefauver und R. Turner vom State Department zunächst nur als ständige Beobachter zurück, weil der sowjetische Beobachter Kuravaev um diesen Schritt gebeten hatte 17. Außerdem machte die sowjetische Position aus ihrer Abneigung gegen den britischen Alleingang, die CAME überhaupt ins Leben gerufen zu haben, keinen Hehl. Zwar räumte die sowjetische Seite ein, auf der Basis rein technischen Informationsaustauschs bei einer künftigen Kulturorganisation mitzuarbeiten; jedoch lehnte sie eine Agentur ab, die mit nationalen Curricula in Schulen befaßt sein könnte. Zwei weitere Schwierigkeiten waren aus amerikanischer Sicht noch zu überwinden, ehe die UNESCO offiziell gegründet werden sollte: Zum einen existierte nach der Befreiung 1944 in Paris das 1939/40 gegründete International Institute of Intellectual Cooperation wieder, das die französische Interessenvertretung um Henri Bonnet zur künftigen UN-Organisation ausgebaut sehen wollte Der Plan stieß auf konsequente Ablehnung, weil die extrem auf intellektuelle Themen zugeschnittene Elitenpolitik den amerikanischen Intentionen entgegenstand. Die Franzosen sollten dagegen ihrInstitut auflösen und dafür den Sitz der UN-Organisation in Paris erhalten. Mit dem späteren englischen Generaldirektor Julian Huxley wurde ebenfalls deutlich, daß kein Franzose in Frage kam. Die andere Schwierigkeit, die Organisation erst nach der Gründung der UNO im Sommer 1945 in San Francisco zu etablieren, konnte vergleichsweise einfach gelöst werden. Der amerikanische Vertreter in London, W. Kotschnig, erreichte mit Hilfe von Sir Alfred Zimmern aus dem britischen Erziehungsministerium, daß zwar im November 1945 Statuten und Verfassung verabschiedet wurden, die eigentlich konstituierende Sitzung der UNESCO aber nicht vor 1946 zustande kam
Erziehungsdirektiven für Deutschland Schon seit dem September 1943 existierten im State Department Überlegungen, auf die deutsche Erziehung nach dem Kriege einzuwirken Danach sollten im Interesse einer fundamentalen Veränderung der deutschen Einstellungen zu Krieg und Chauvinismus demokratische Prinzipien gefördert werden Im April 1944 hatte sich bereits das Kriegsministerium an das State Department gewandt, um Erziehungsdirektiven für Deutschland zu erhalten. Der eigentliche Anstoß erfolgte jedoch erst mit dem Eingreifen des Assistant Secretary für kulturelle Fragen im Außenministerium, Archibald MacLeish. Auf sein Betreiben entschloß sich im März 1945 das amerikanische Außenministerium, die Frage der deutschen Erziehung einem speziellen Beratungsgremium anzuvertrauen, das am 12. /13. Mai 1945 seine Arbeit aufnahm. Teilnehmer waren Eduard C. Lindemann von der New York School of Social Work, Columbia University, Martin McGuire von der Catholic University of America, Reinhold Niebuhr vom Union Theological Seminary, New York, und John Milton Potter, Präsident des Hobart College, Geneva, sowie Vertreter des Außen-und Kriegsministeriums und des Office of War Information. In einer Folgesitzung am 28. /29. Mai 1945 wurde der Beirat noch durch Edmund E. Day, Präsident der Cornell University; Frank Graham, Präsident der University of North Carolina, und George Shuster, Präsident des Hunter College, erweitert und die Richtlinien zur deutschen Erziehung verabschiedet Kurz darauf wurde die empfohlene Direktive mit Staatssekretär John J. McCloy und General Hilldring vom Kriegsministerium diskutiert und informell akzeptiert.
Die Auslöschung des Nationalsozialismus und Militarismus definierte den Charakter der Besatzungszeit. Den Deutschen sollte deutlich vor Augen geführt werden, daß sie den Krieg verloren hatten und für die Verbrechen des Nationalsozialismus verantwortlich waren. Der ökonomischen Reorganisation kam die Funktion zu, das Überleben der Deutschen und ihre aktive Beteiligung am Wiederaufbau sicherzustellen. Die prinzipielle Transformation der Sozialstruktur lag in der Notwendigkeit begründet, den demokratischen Wandel zu ermöglichen. Langfristiges Ziel war die Mit-und Selbstbestimmung in einer pluralistisch verfaßten Demokratie, die den Frieden sichere. Das Komitee betonte auch die Notwendigkeit der Maxime alliierter Eintracht und betrachtete einen möglichen Dissens als große Gefahr, weil er die Deutschen erneut in ideologische Kontroversen stürze
Die Direktive sah vor, Deutschland wieder in die Gemeinschaft friedliebender, kooperativer, Recht und Gesetz achtender Nationen einzugliedern. Die universell gültigen Prinzipien von Würde, Gerechtigkeit und Freiheit, der Gleichheit vor dem Gesetz, die Einhaltung moralischer Normen und die Verantwortung gegenüber dem Staat wurden betont. Weitere Prinzipien wie Meinungsfreiheit und Toleranz als Voraussetzung sozialen Friedens machten den Einfluß der Menschenrechtskonvention und der Charta der Vereinten Nationen kenntlich. Demzufolge könnten die Deutschen wählen, entweder von fremden Nationen gegängelt zu werden oder die universell gültigen Normen der Menschheit wieder zur Geltung zu bringen. Die Verantwortung dafür sollte sobald wie möglich in deutsche Hände gelegt werden, wobei die folgenden Leitlinien zu beachten waren: Neue Programme auf demokratischer Grundlage sollten gefördert, vertrauenswürdige Deutsche einbezo-gen, ermutigt und unterstützt werden, so daß sich die Erziehungsreformen auf primär lokaler Basis entfalten könnten. In einem zweiten Schritt sollten internationale Kulturbeziehungen wiederhergestellt werden. Obwohl das Long-Range Policy Statement for German Re-Education (SWNCC 296/5) im November 1945 von Außenminister Byrnes genehmigt und an den politischen Berater von General Clay, Robert Murphy, nach Deutschland geschickt worden war, erlangte es erst am 21. August 1946 Geltung
Um nicht, wie bei der Besetzung Süd-Italiens, den Fehler zu begehen, die amerikanischen Erziehungsoffiziere ohne Anweisungen vorgehen zu lassen, mußten im Zuge der militärischen Besetzung Deutschlands klare Regelungen für erste Maßnahmen verfügbar sein. Seit dem Frühjahr 1943 hielten sich im englischen Shrivenham Offiziere des Planungsstabes im alliierten Hauptquartier (G-5, SHAEF) auf, die an den amerikanischen Schulen für zivile Angelegenheiten in Charlotteville und Camp Custer auf ihren Einsatz vorbereitet worden waren Die für das deutsche Erziehungswesen zuständige Arbeitsgruppe stand unter der Leitung des britischen Lt. Col. G. R. Gayre und seines amerikanischen Stellvertreters Capt. John W. Taylor. Da aus Washington keine Anweisungen eintrafen, begannen Taylor und der als Beobachter an die CAME delegierte G. Kefauver unter dem Dach der European Advisory Commission eigene Direktiven zu verfassen, die an die Wiederherstellung von Weimarer Traditionen anknüpften. Trotz Militärregierung sollte deutschen Reichsverwaltungen freier Gestaltungsspielraum zukommen und emigriertes Lehrpersonal nur dann eingesetzt werden, wenn deutsche Stellen dies ausdrücklich wünschten. Hierbei fiel auch die Entscheidung, Weimarer Lehrbücher für den Unterricht an Schulen nachzudrucken.
Als schließlich die Planungsgruppe die Entwürfe nach Washington zur Genehmigung einreichte, zogen sie Präsident Roosevelts Kritik auf sich, da die schärfere Gangart der amerikanischen Deutschlandpolitik nicht einkalkuliert worden war. Als Konsequenz mußte das Handbuch im Winter 1944/45 auf der Grundlage der Dezentralisierung Deutschlands und weit weniger komfortabler Aussichten umgeschrieben werden. Bereits im August 1944 hatten sich die zuvor gemeinsamen britischen und amerikanischen Arbeitsgruppen voneinander getrennt, um bei den Sowjets keine Isolationsängste aufkommen zu lassen. Im Januar 1945 schritten die inzwischen nach Versailles umgezogenen Planungsgruppen zur endgültigen Fassung der Direktiven, die für Erziehungfragen die Briten Don Riddy, Col. Percival und die Amerikaner Taylor, Geyer und Knappen verfaßten In Druck ging dieser Teil des Handbuchs Germany Prior to Defeat or Surrender als SHAEF Technical Manual for Education and Religious Affairs. Damit zeichneten sich die ersten Maßnahmen ab: Auflösung aller NS-Organisationen und zentraler Reichsverwaltungen, die Schließung von Bildungsinstitutionen und deren Wiedereröffnung nach gründlicher Entnazifizierung.
Die Einbeziehung der Kirchen In das Spektrum der amerikanischen Erziehungspolitik sind noch die Kirchen einzubeziehen, obwohl mit ihnen kein wirklicher Neubeginn zu bewerkstelligen war. Die Kirchen hoben schlichtweg auf die Fortsetzung bewährter Traditionsstränge ab und stellten sich damit außerhalb der Politikpole Restauration und Neubeginn. Auch können die Erziehungskonzepte der Kirchen nicht in die Nähe der amerikanischen Demokratisierungsziele gerückt werden. Dieser Sachverhalt warf in der einschlägigen Literatur die Frage auf, warum dann die amerikanischen Besatzungsoffiziere in der Zeit der Militärregierung so nachhaltig auf die Kirchen setzten
Ende 1944 hatte der in Genf ansässige Weltkirchenrat dem State Department eine ausführliche Analyse zur Situation der protestantischen Kirche in Deutschland zukommen lassen. Danach täusche der allgemeine Eindruck, die Verfolgungen in Deutschland hätten zu einer geschwächten Stellung der Kirche geführt Obwohl die Kirche aus dem nationalsozialistisch kontrollierten öffentlichen Leben weitgehend verbannt bleibe, die Zahl der Pfarrer, Theologen und Theologiestudenten in keiner Weise mehr der gesellschaftlichen Bedeutung der Kirche entspreche, christliche Literatur im Handel nicht mehr zugänglich sei und große Teile der Bevölkerung dem christlichen Denken fern stünden, hätten diese Prüfungen die Position der Kirche im Gegenteil gestärkt. Neue Energien seien geweckt und die innere Dynamik reorganisiert und verbessert worden. Es sei davon auszugehen, daß nach dem Kriege klare Antworten auf Sinnfragen gegeben werden müßten und der starke Wunsch bestehe, das nihilistische Vakuum mit geistiger Substanz aufzufüllen. Von den Kirchen sei eine Kraft gesellschaftlicher Integration zu erwarten, die den absehbaren Kollaps des NS-Systems auffangen könnte. Aus dieser Betrachtung folgerte der Weltkirchenrat die außerordentlich bedeutsame Funktion der Kirche in der Nachkriegszeit und empfahl, sie an allen wesentlichen gesellschaftlichen Entscheidungen zu beteiligen:
„When it comes to finding the men who can and should accept political responsibility for the political re-orientation of the country, no other Institution will be better placed to propose reliable men of character than the Church.“
Diese Hinwendung zu den Kirchen endete zunächst auf der Krimkonferenz im Februar 1945, obwohl diese Politik niemals offiziell verlautbart wurde. Im Hintergrund rangierte der von Goebbels verkündete „totale Krieg“, der den Widerstandsgeist bis zum bitteren Ende wecken sollte. Um der deutschen Bevölkerung jede Begeisterung für einen sinnlosen Endkampf zu nehmen und zugleich deutsche Hoffnungen auf die Zukunft zu wecken, hatten die Amerikaner und Briten jedoch eine Gegenstrategie verabredet. So waren ihre Gesandten beim Heiligen Stuhl angewiesen, in den diplomatischen Kreisen des Vatikans vertraulich und inoffiziell die Information zu streuen, daß sich die Kirchen im Nachkriegsdeutschland frei entfalten könnten und eine wichtige Rolle bei der Beseitigung des zu erwartenden Chaos und der Erziehung spielen würden
III.
Die Umerziehung von Kriegsgefangenen Eine der ersten Maßnahmen zur demokratischen Erziehung Deutscher wurde noch auf dem amerikanischen Kontinent durchgeführt. Nahezu 380 000 deutsche Kriegsgefangene, die von 1943 bis 1946 auf etwa 200 Camps in den gesamten USA verteilt waren, bildeten den Rahmen. Mit dem amerikanischen Zwangsaufenthalt korrespondierte ein bis Mitte 1945 geheim gehaltenes Erziehungsprogramm, das auf seinem Höhepunkt ab dem Herbst 1945 23 000 deutsche Kriegsgefangene einbezog, die in einwöchigen Schnellkursen zu Demokraten geformt werden sollten Unter der Aufsicht des Chefs der Militärpolizei wurde eine besondere Abteilung mit der Aufgabe betraut, die Deutschen der NS-Ideologie zu entwöhnen. Neben einem zweimonatigen Pilotprojekt für die späteren Demokratiekurse waren die praktischen Maßnahmen ferner auf die Zeitung „Der Ruf“, die in den Lagern aufgebauten Büchereien und auf das den Kriegsgefangenen angebotene Film-und Literaturprogramm gerichtet.
Das Programm enthält zahlreiche Inkonsistenzen, die zu einer zwiespältigen Einschätzung führen. Bereits der Lageralltag läßt staunen, welche Freiheiten den Kriegsgefangenen eingeräumt wurden und in welchem Umfang sich ein Mikrokosmos des totalitären NS-Staates reproduzieren konnte. Trotz weitgehender Autonomie der Lagerzeitung „Der Ruf“ gelang es den deutschen Herausgebern nicht, dem Bedürfnis des einfachen Soldaten nach Information und Unterhaltung zu entsprechen. Statt dessen symbolisierten die verschiedenen Kontroversen das Dilemma, einerseits mit dem Feind zu kooperieren und gleichzeitig den deutschen Landsleuten loyal zu erscheinen. Schwierigkeiten tauchten ebenfalls beim Hauptteil des Programms, den Demokratieseminaren, auf. Obwohl die nach strengen Kriterien ausgewählten Teilnehmer das amerikanische Gesellschaftssystem als Modell und politische Alternative für Deutschland kennenlernen sollten, wies die Evaluation keine grundlegenden Einstellungsänderungen nach. Inwieweit das Bildungsprogramm auf die Kriegs-gefangenen ausstrahlte, müßten ihre Biographien in Deutschland erweisen. Die erzieherische Mission implizierte unverkennbar, amerikafreundliche Einstellungen zu wecken. Ob die am Lehrprogramm beteiligten Kriegsgefangenen zum Aufbau eines positiven Amerikabildes beitrugen, war zumindest in den ersten Jahren der Besatzungszeit nicht festzustellen. Nachdem das Programm im Juli 1946 auslief, waren zwar vereinzelte Versuche zu beobachten, etwaige Ergebnisse durch Folge-studien zu dokumentieren. Die Untersuchungen lagen jedoch in den Jahren unmittelbar nach der Gefangenschaft und konnten wenig mehr zutage fördern, als daß die früheren Kriegsgefangenen den generellen katastrophalen sozialen und ökonomischen Bedingungen ebenso Tribut zollen mußten wie ihre Landsleute Zumindest kam mit der „Gruppe 47“ eine Entwicklung sichtbar zur Entfaltung: ein Kreis von Schriftstellern, der für die Entwicklung des intellektuellen Lebens der Nachkriegsjahre und für das kulturelle und geistige Klima der frühen Bundesrepublik erhebliche Bedeutung erlangte
Schulpolitik und Erziehungsreform Nach der Auflösung der Adolf-Hitler-Schulen, der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (Napolas) und der NS-Ordensburgen sowie dem Verbot von Hitler-Jugend und BDM begann am 1. Oktober 1945 der reguläre Unterricht an den Volksschulen, wenig später der an den höheren Schulen in den Ländern der amerikanischen Besatzungszone. Die erste Entnazifizierung des Lehrpersonals schlug mit bis zu 60 Prozent Entlassungen zu Buche, die durch provisorische Schnellkurse notdürftig und später in zunehmendem Maße durch Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen Ostgebieten und der SBZ ausgeglichen werden konnten. Nach dem Potsdamer Abkommen trafen sich seit August 1945 im Alliierten Kontrollrat die Vertreter der Erziehungsabteilung der Militärregierungen als Arbeitsausschuß des Internal Affairs & Communication Directorate in Berlin. Die Vertreter der westlichen Siegermächte, Riddy (England), Taylor (USA) und Col. G. H. Bousquet (Frankreich), hatten hier den ersten Kontakt mit dem sowjetischen Vertreter, P. V. Solotuchin, dessen Position zu entnehmen war, daß gemeinsame Verabredungen nur dann Bestand haben würden, wenn sie auf der Ebene der Zonenbefehlshaber einstimmig beschlossen worden waren Die daraus resultierende zonenspezifische Politik der folgenden Jahre trug überwiegend dem Ost-West-Gegensatz Rechnung.
Die Rekonstruktion des Schulwesens in der US-Zone folgte den einschlägigen Anweisungen Neben der raschen Wiedereröffnung und strengen Entnazifizierung der Schulen sollte dem Prinzip der indirekten Gewaltausübung zufolge den lokalen Instanzen und Länderverwaltungen Entscheidungsbefugnis übertragen werden. Mit der weiteren Maßgabe, die Reorganisation auf die Grundlage vorhandener intellektueller und geistiger Ressourcen zu stellen und die Errichtung von Bekenntnisschulen nicht zu behindern, war die Entscheidung für einen traditionellen Schulaufbau im Grunde unabwendbar. Auf der Basis des schon in der Weimarer Republik geschlossenen Schulkompromisses kamen mit der weltlichen, der Bekenntnisschule und der Gemeinschafts-oder Simultanschule drei verschiedene Schultypen in den Ländern der US-Zone zum Vorschein, die in regional unterschiedlichem Maße allen weitergehenden Reformansprüchen trotzten. Zwar stellte die Militärregierung in den ersten Monaten der Besatzungszeit wegen des eklatanten Mangels an funktionsfähigen Schulgebäuden bevorzugt auf den Typus Gemeinschaftsschule mit getrenntem Religionsunterricht ab, in der Folgezeit kehrte sich diese Entwicklung insbesondere im katholischen Milieu Bayerns aber völlig um
Die bescheidene personelle Ausstattung und untergeordnete Wertigkeit der Erziehungsabteilung innerhalb der Hierarchie der Militärregierung leistete ein übriges, die vorhandene Ordnung eher abzusichern. Die zeitweise heftige Kontroverse um veränderte Schulstrukturen des in der Nachfolge Taylors zum Leiter der Erziehungsabteilung bestellten Richard T. Alexander mit dem bayerischen Kultusminister Aloys Hundhammer schadeteten mehr dem Ansehen der Militärregierung, als daß sie nennenswerte Resultate erzielte. Seine frühzeitige Demission 1948 war deutlicher Ausdruck einer defizitären Interpretation entsprechender Anweisungen. Trotz vorliegender Empfehlungen der „Zook-Kommission" und der Direktive 54 des Alliierten Kontrollrats für eine umfassende Erziehungsreform bilanzierte die Militärregierung auf ihrer Berchtesgadener Tagung im Herbst 1948, daß jede Reform im Schulwesen von den Deutschen selber ausgehen müsse. Wichtiger als eine veränderte Schulstruktur sei, was von wem und wie unterrichtet würde: die Grundlegung einer demokratischen Erziehungsphilosophie
Jugendpädagogische Konzepte Obwohl das Beharrungsvermögen einer konservativen, oft gegen den Nationalsozialismus eingestellten intellektuellen Gerontokratie den amerikanischen Experten mitunter Rätsel aufgab entwickelten die zuständigen Stellen in der Militärregierung Programme, die selbst für den begrenzten Zeitraum der Besatzung optimistische Perspektiven begründeten. Seit Oktober 1945 konnten Jugendausschüsse auf Kreis-und später auf Länderebene lizenziert werden. Bis zum Ende der Besatzungszeit sollten etwa 25 Prozent aller 10-bis 25jährigen Leistungen erhalten, die als Freizeit-oder Bildungsangebote Nutzen versprachen Obwohl sich die geistig-moralische und materiell-existentielle Umbruchsituation für Jugendliche kompliziert gestaltete, waren doch die Zerstörung des Vergangenen und der angemahnte Neubeginn eine günstige Situation, um reformpädagogisches Gedankengut der Weimarer Republik neu zu beleben. Schon das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) von 1922 hatte den Erziehungsanspruch des Einzelnen festgeschrieben, die Praxis der Notverordnungen und die gesellschaftliche Krisensituation der Weimarer Republik verurteilten hingegen jeden Versuch der gleichzeitig geschaffenen Jugendämter zum Scheitern, über eine öffentliche Jugendarbeit auch nur nachzudenken. Die Arbeit des Jugendamtes reduzierte sich weitgehend auf die Fürsorgeerziehung, auf die
Beschäftigung mit devianten bzw. latent kriminellen Jugendlichen und gelangte unter dem Druck des NS-Systems in das Fahrwasser der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), die ausschließlich das Recht und die Pflicht der Volksgemeinschaft zur Erhaltung und Förderung des gesunden Nachwuchses vertreten hatte Nach 1945 setzte das Jugendamt mit den prinzipiell gleichen Leitvorstellungen einer verwaltungsmäßig organisierten Sozialarbeit und unveränderten beruflichen Standards zufällig an und war deshalb aus amerikanischer Sicht für ein neu zu schaffendes Verständnis von Erziehung entbehrlich.
Neben dem Anspruch auf öffentliche Erziehungshilfen legte die amerikanische Militärregierung einen Schwerpunkt auf die Professionalisierung der eng mit Sozialarbeit verzahnten Jugendarbeit. Die in Jugendleiterschulen institutionalisierte Ausbildung sollte für die flächendeckende Verbreitung öffentlicher Erziehung beträchtliche Wirkung erzielen. Mit der nach neuesten Erkenntnissen aus den Sozialwissenschaften professionalisierten Sozialpädagogik konnten die zuvor politisierten oder von Gruppeninteressen überlagerten Ansätze der traditionellen Jugendverbände überwunden werden, auch wenn die Jugendorganisationen sich alles andere als erfreut über diese Entwicklung zeigten. Auf der anderen Seite hatte das von L. E. Norrie beaufsichtigte amerikanische Jugendprogramm erfolgreich demonstriert, daß der Anspruch auf öffentliche Erziehung unverzichtbarer Bestandteil einer modernen demokratischen Gesellschaft ist. Das in zunehmendem Maße gewachsene öffentliche Verständnis für die Notwendigkeit einer breit angelegten und staatlich unterstützten Erziehung war erkennbar von den amerikanischen Initiativen beeinflußt und bewirkte im Verlauf der bundesdeutschen Geschichte, daß sich die Jugend-und Sozialarbeit in einem vorher nicht gekannten Ausmaß quantitativ und qualitativ entfaltete.
Internationaler Austausch Bereits im Prozeß der vorbereitenden Politikformulierung hatte das amerikanische Außenministerium konstatiert, daß die internationale Isolation Deutschlands während der NS-Zeit einen kulturellen Austausch erfordere, um die Deutschen wieder in die Gemeinschaft der friedliebenden Völker zu integrieren. Die wegweisenden Richtlinien der USA für den kulturellen Austausch mit Deutschland waren bereits seit Mitte 1946 in Kraft getreten das Ende der Besatzungszeit zeigte die ganze Bedeutung des Austauschprogramms. Auf seinem Höhepunkt in den fünfziger Jahren erreichte das Austauschprogramm mit Deutschland schließlich eine Dimension, die es zum größten je zuvor mit einem anderen Land durchgeführten Programm der USA werden ließ. Bei der 1956 gezogenen Bilanz blickten die USA auf über 10000 Deutsche zurück, die in Zeiträumen von einem Monat bis zu einem Jahr die USA besucht hatten, wobei ein deutlicher Schwerpunkt des Programms im Bereich der sozialen und Gemeinwesenarbeit gesetzt worden war
Unter der Militärregierung war das Austauschprogramm organisatorisch der inzwischen zur Division avancierten Erziehungsabteilung anvertraut und erhielt zunehmende Eigenständigkeit. In Washington betreute das Programm die Area Division for Occupied Area, die später von Henry J. Kellermann geleitet wurde. Seit dem Herbst 1948 kam ein ständiger Beratungsausschuß unter dem Dach des American Council on Education hinzu, dessen Tätigkeit von der Rockefeller-Stiftung mitfinanziert wurde. Dieses Commission on the Occupied Areas (COA) genannte Gremium hatte die Aufgabe, das Programm zu begleiten und zu koordinieren. Den Vorsitz übernahm Hermann B. Wells, der frühere Kulturberater von General Clay. Seit dem Herbst 1949 war im amerikanischen Außenministerium James W. Riddelberger zuständig, in Deutschland das Office of Public Affairs unter Ralph Nicholson, später Shepard Stone.
Noch zu Zeiten der Militärregierung wollte das amerikanische Austauschprogramm über die Vermittlung politisch-demokratischer Wertvorstellungen und Kenntnis institutioneller Zusammenhänge Einstellungsänderungen herbeiführen, die im Endeffekt eine breit angelegte Gesellschaftsreform nach sich ziehen sollten. Der Terminus „Neuorientierung“ verwies auf die indirekten Methoden erzieherischer Einflußnahme, auf Fähigkeiten wie Partizipation, die Übernahme von Verantwortung und die Erziehung zu Toleranz, die in besonderem Maße von jüngeren Zielgruppen erworben werden sollten.
Nachdem Anfang 1948 in den USA die gesetzlichen Grundlagen für ein weltweit angelegtes Kulturprogramm geschaffen waren, konnte das Austauschprogramm mit Deutschland zur vollen Entfaltung gebracht werden. Für die deutschen Teilnehmer galten zunächst die Kriterien fachlicher Qualifikation, der ausgereiften Persönlichkeit und Anpassungsbereitschaft, sodann Englisch-kenntnisse, eine unbelastete Vergangenheit sowie erhoffte Wirkungsmöglichkeiten nach der Rückkehr aus den USA. Im Vordergrund stand die Erwägung, inwieweit der Austauschkandidat nach seiner Rückkehr als potentieller Multiplikator die in Amerika gemachten Erfahrungen auch anwenden und verbreiten würde. Von der amerikanischen Hohen Kommission 1952 durchgeführte Meinungsbefragungen bilanzierten den beeindrukkenden Erfolg des Austauschprogramms Andere Untersuchungen dagegen berichten von zurückgekehrten Teilnehmern, die ihre Ausländserfahrungen in Deutschland umsetzen wollten, für ihr spezialisiertes Fachwissen aber keinen Markt fanden
Internationale Beiträge zur Erziehungsrefonn J. W. Taylor, der erste Leiter der Erziehungsabteilung bei der amerikanischen Militärregierung, diente seit 1951/52 als stellvertretender und danach als amtierender Generaldirektor der UNESCO, in der die Bundesrepublik ab 1951 Mitglied war. Frieden durch Verständigung lautete die Maxime, unter der die UNESCO schon seit dem Winter 1947/48 die deutsch-französische Versöhnung mit einer Kommission zur Revision der Lehrbücher und der Reform des Unterrichts im Fach Geschichte förderte Intensiver gediehen die Beziehungen zur Bundesrepublik, als die UNESCO ab 1950 einen Beitrag zur Gründung von drei Institutionen leistete, die für die wissenschaftliche Erforschung der gesellschaftlichen Grundlagen einer Erziehungsreform Bedeutung erlangten. Das sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut in Köln konzentrierte seine Arbeit ab Juli 1951 auf die außergewöhnlichen ökonomischen, politischen und sozialen Belastungen der Nachkriegszeit. Das Deutsche Jugendinstitut in Gauting bei München sollte seit Januar 1952 einen Beitrag dazu leisten, die Jugend zur Übernahme von Verantwortung und im internationalen Geist zu erziehen. Dem Hamburger UNESCO-Institut für Pädagogik fiel von März 1952 an die Aufgabe zu, nationalistische und chauvinistische Tendenzen in den Lehrplänen der Schulen zu überprüfen und mit Vorschlägen zur Revision bestehender Curricula auch die bildungspolitische Reformdiskussion anzuregen. Die internationale Dimension des Instituts wurde bei zahlreichen Gelegenheiten transparent. So führte das Hamburger Institut auf Vorschlag Maria Montessoris eine viel beachtete internationale Konferenz zur Erziehung in der frühen Kindheit durch. Spätere Unternehmungen zielten auf die Einrichtung des schulpsychologischen Dienstes oder die Reform der Lehrerbildung.
IV.
Die im Frühjahr 1944 getroffene Entscheidung des amerikanischen State Department, die internationalen Beziehungen nach dem Kriege auch auf die Grundlage aktiver Kulturpolitik zu stellen, konnte im Interesse einer dauerhaften Friedenssicherung über kurz oder lang die deutsche Beteiligung gar nicht ausschließen. Folgerichtig waren die jeweiligen Maßnahmen in Deutschland nach der Auslöschung des Nazismus auf die systematische Einbindung in internationale Konstellationen und Strukturen gerichtet und abgestuft, um die angebahnte Demokratisierung zu konsolidieren. Die den Deutschen gewährten Unterstützungen boten zwar ein einzigartiges Spektrum an Hilfsangeboten, die kulturelle Mission der USA blieb jedoch keineswegs auf Deutschland beschränkt. Wenn die USA in Deutschland auf eine grundlegende Demokratisierung durch eine Erziehungsreform setzten, kommt zugleich das optimistische Sendungsbewußtsein der amerikanischen Demokratie zum Vorschein, ein universell gültiges Modell zu repräsentieren. In diesem Modell ist die Erziehung zentral, weil ihr die Funktion zukommt, Moral, Charakter und politische Einstellungen zu verändern
Das Verhältnis von kulturellem Sendungsbewußtsein, Politik und Wissenschaft deutet darüber hinaus auf die spezifischen Folgen, die das amerikanische Verständnis von Sozialwissenschaften für den geistigen, sozialen und institutionellen Wandel in der Bundesrepublik Deutschland hatte. Unverkennbar bedienten sich die USA der Sozialwissenschaften als Medium für eine säkulare Mission, um das emanzipatorische Ziel einer Selbstaufklärung des Menschen zu verfolgen und den sozialen Fortschritt zu steuern. Wenn im Ergebnis für die Bundesrepublik Deutschland eine beispiellose Expansion der Sozialwissenschaften seit 1945 zu verbuchen ist, kam damit auch die Verheißung Amerikas zur Geltung, eine wissenschaftliche Weltgesellschaft zu gründen, die gesellschaftliche Reformen rational zugänglich macht und sie zugleich wissenschaftlich fundiert
Bereits seit dem militärischen Debakel von Stalingrad hatten sich große Teile der deutschen Bevölkerung vom Nationalsozialismus abgewandt. Die massenhaften Vertreibungen und Flüchtlingswellen zum Ende des Dritten Reichs trugen unübersehbar zum raschen Wandel sozialer Milieus bei Sogar die amerikanische Besetzung bewirkte, daß nicht wie in Ostdeutschland unüberwindbare Barrieren und Traumata errichtet wurden, sondern im Gegenteil die deutsche Bereitschaft anstieg, amerikanische Normen und Werte zu tolerieren Dennoch bot die deutsche Gesellschaft der Nachkriegszeit keinen idealen Nährboden für Reformen. Trotz der enttäuschten Abwendung von der nationalsozialistischen Ideologie war die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung noch weitgehend von autoritären Vorstellungen durchdrungen. 65 Prozent der 1947 in der amerikanischen Besatzungszone Befragten stimmten der körperlichen Züchtigung an den Schulen als Mittel pädagogischer Intervention bedingungslos zu Gerade die von Deutschen in eigener Verantwortung wiederaufgebauten Institutionen wie das allgemeinbildende Schulwesen widersetzten sich allen Ansprüchen auf eine Erziehungsreform am nachhaltigsten. Ergiebiger waren denn auch amerikanische Initiativen, wenn sie im institutioneilen Neuland agierten -die wiederbelebte Jugendpäd-agogik und Sozialarbeit, ihre Professionalisierung und die Verwissenschaftlichung der sie fundierenden Fachdisziplinen sind geeignete Belege hierfür. Ansonsten galt besonders nach der Etablierung der Kirche als Erziehungsmacht die Regel, daß innovative, demokratische Fermente sich in der Auseinandersetzung mit traditionsorientierten, konservativen und autoritär fixierten Einstellungen behaupten mußten. Eine gewiß zermürbende Aufgabe, die -wie der letzte Leiter der Erziehungsabteilung bei der amerikanischen Militärregierung, Alonzo G. Grace, vorausschauend einschätzte -viele Jahre dauern würde, bis das ganze Ausmaß des amerikanischen Einflusses zu überblicken sei