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Die Erwartungen der neuen Clinton-Administration an Deutschland | APuZ 1-2/1997 | bpb.de

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APuZ 1-2/1997 Die neue Bedeutung des nationalen Interesses für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland Deutsche Außenpolitik: Vom Teilstaat mit begrenzter Souveränität zum postmodernen Nationalstaat Die Erwartungen der neuen Clinton-Administration an Deutschland Jenseits von „Normalisierung“ und „Militarisierung“: Zur Standortdebatte über die neue deutsche Außenpolitik Die Neuordnung Europas. Was leisten NATO und OSZE für die Kooperation mit Osteuropa und Rußland? Rußlands Erwartungen an Deutschland

Die Erwartungen der neuen Clinton-Administration an Deutschland

Robert Gerald Livingston

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der kürzlich wiedergewählte amerikanische Präsident Clinton wird sich in seiner zweiten Amtszeit primär dem Ausgleich des Bundeshaushaltes widmen. Deshalb ist es eher unwahrscheinlich, daß er sich kostspieligen außenpolitischen Aufgaben widmen wird. Die Clinton-Administration erhofft sich die Unterstützung Deutschlands bei der Osterweiterung der NATO. Auch erwartet man von Deutschland, daß es sich für die Aufnahme der osteuropäischen Staaten -insbesondere Polens -in die Europäische Union einsetzt. Besonders begrüßt man in Washington das stärkere militärische Engagement Deutschlands auf dem Balkan. Das amerikanische Verhältnis zu Deutschland ist besser als zu jedem anderen westeuropäischen Land, außer vielleicht zu Großbritannien. Die USA gehen von einem zunehmenden Einfluß Deutschlands auf die Europäische Union aus, insbesondere auf die Europäische Währungsunion.

Während des Präsidentschaftswahlkampfs 1996 spielte die Außenpolitik so gut wie keine Rolle. Die amerikanischen Wähler zeigten nicht das geringste Interesse daran. Die beiden Kandidaten, der demokratische Präsident Bill Clinton und sein republikanischer Herausforderer Bob Dole, unterschieden sich wenig voneinander in Fragen der auswärtigen Politik. Beide sind überzeugte Internationalisten.

In seiner einzigen Wahlkampfrede zur Außenpolitik trat Clinton in die Fußstapfen John F. Kennedys: „Wo immer ich bin, mit wem auch immer ich spreche, ich höre immer die gleiche Botschaft: ... Wir wollen die Führung Amerikas. Amerika muß führen... wir müssen dem Vermächtnis der Führungsrolle Amerikas Treue erweisen..., um sicher zu stellen, daß Amerika die unentbehrliche Nation bleibt... für alle Völker der Erde.“

Deutschland sollte keinen Zweifel mehr daran hegen, daß die USA ihr Zögern überwunden haben, sich auf militärische Unternehmen im Ausland einzulassen. Diese Zurückhaltung rührte von der Niederlage in Vietnam vor 20 Jahren und der mißlungenen Friedensmission in Somalia vor einigen Jahren her. Heute dagegen herrscht eher Zuversicht. Sie beruht hauptsächlich auf dem gegenwärtigen Wohlstand und einer starken Wirtschaft, aber auch auf dem Sieg Amerikas im Kalten Krieg und der daraus resultierenden Tatsache, daß unser Land nun die einzige Supermacht ist, ohne Gegner oder ernste Bedrohungen aus dem Ausland.

Amerika ist die einzige Nation, die in der Lage ist, in friedlich nicht zu lösenden Konfliktfällen Militär innerhalb von ein oder zwei Tagen überall einzusetzen. Es ist das Land, von dem die Welt Handeln erwartet, wenn es zu einer Katastrophe kommt, wie z. B. die Hungersnot der Flüchtlinge in Zaire, oder zu einer Gefahr, wie z. B. die Angriffe der Iraker auf die Kurden, oder zu schreiender Ungerechtigkeit, wie z. B. die Unterdrükkung Ost-Timors durch Indonesien, kurz: „eine unentbehrliche Nation“.

Den Amerikanern ist die hegemoniale Stellung ihres Landes durchaus recht. Eine ganz andere Frage ist, ob sie auch bereit sind, die Konsequenzen und die Kosten dafür zu tragen. Besonders fraglich ist, ob das Land es akzeptiert, sich der kollektiven internationalen Meinung in Fragen zu unterwerfen, die es selber für sehr wichtig hält. „Wir können nicht zulassen, daß andere Länder ein Vetorecht in unserer Außenpolitik haben“, erklärte Präsident Clinton in einer FernsehDebatte mit seinem republikanischen Gegner.

Wird Clinton in seiner zweiten Präsidentschaftsperiode seine Aufmerksamkeit auf die Außenpolitik konzentrieren? Einige Präsidenten haben das in ihrer zweiten Amtszeit getan. Sie hielten es für den besten oder wenigstens einfachsten Weg, ihr Denkmal in der Geschichte zu hinterlassen, in der Erkenntnis, daß der Kongreß -und besonders ein von der Mehrheit der Opposition beherrschter Kongreß, wie es derzeit der Fall ist -in Fragen der Innenpolitik mehr Kampfbereitschaft zeigt und in Fragen der Außenpolitik eher größeren Spielraum gewährt.

Nachdem er in den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit (1992-1994) in der Außenpolitik eher zurückhaltend gewesen war, gewann Clinton im Laufe der letzten beiden Jahre Interesse, Befähigung und Zuversicht und ließ sich von anderen Staatsmännern, wie z. B. Bundeskanzler Helmut Kohl, mit dem er sehr vertraut wurde, beraten. Noch wesentlicher dabei ist seine Feststellung, daß, wenn er den Mut aufbrachte, die öffentliche Meinung zu ignorieren und einen entschiedenen Standpunkt im Ausland bezog -z. B. bei der Entsendung amerikanischer Soldaten nach Bosnien und Haiti, was beides unpopuläre Aktionen waren -, er am Ende bei den Wählern an Ansehen gewann.

Trotzdem ist es eher unwahrscheinlich, daß Clinton sich zu einem Präsidenten der Außenpolitik wandeln wird -es sei denn, es kommt zu einer internationalen Krise, die ihn und seine Admini-stration fordert. Nach seiner Wiederwahl kündigte er an, daß es seine erste Priorität sei, den Haushalt durch Kürzung der Ausgaben zu konsolidieren. Dieses Ziel wird wenig Möglichkeiten für Projekte im Ausland lassen, die Geld kosten. Seit 1962 sind die Ausgaben für die Außenpolitik (alle internationalen Programme, einschließlich Verteidigung und Diplomatie) bereits um 50 Prozent gesunken und sinken weiter Bevor er seine Reden durch eine aktivere Außenpolitik untermauert, wird Clinton seine Aufmerksamkeit in den nächsten vier Jahren eher darauf lenken, innenpolitische Probleme, zumal im sozialpolitischen und Erziehungsbereich zu lösen und damit zugleich auch die Wahlchancen für seinen Vize-Präsidenten Al Gore für das Jahr 2000 zu verbessern. Um Gore mehr Ansehen und Erfahrung zu geben, die ihm helfen können, sich für die Präsidentschaft zu qualifizieren, überträgt ihm Clinton bereits heute Aufgaben in der Außenpolitik, die sonst ein Präsident selbst übernehmen würde.

Bei allem nationalen Selbstbewußtsein, das die Wahlkampagne kennzeichnete, ist es das Ziel Clintons und des republikanisch beherrschten Kongreses, zunächst den Haushalt auszugleichen. Daher erwartet Amerika Hilfe vor allem von den reicheren Alliierten, um mit für die Kosten der amerikanischen Außenpolitik aufzukommen, von der jene ja ebenfalls profitieren. Die Administration hat deutlich gemacht, daß sie an den 100 000 amerikanischen Soldaten, die zur Zeit in Europa stationiert sind, festhalten will, wie es unsere europäischen Alliierten auch wünschen. Man scheint bereit zu sein, für diese Kosten aufzukommen. Auch in anderen Fällen -sowohl innerhalb als auch außerhalb Europas -hat man deutliche Erwartungen an die Alliierten, insbesondere an Japan und Deutschland.

Clintons außenpolitische Berater sehen mit Blick auf Europa die alten Freunde Amerikas -Großbritannien und Frankreich -an Bedeutung verlieren und Rußland, den Feind aus dem Kalten Krieg, kurz vor dem Zusammenbruch. Skeptisch ist man auch, was die Europäische Union angeht. Aber das neue Deutschland hält man für bereits dominierend auf dem Kontinent und glaubt, daß es noch stärker werden wird. Die Bush-Administration, die die deutsche Einheit 1990 enthusiastisch unterstützte, dachte bereits an die strategische Notwendigkeit, ein vereintes Deutschland eng an die Vereinigten Staaten zu binden.

Die Erwartungen Amerikas an Deutschland sind hoch, wahrscheinlich zu hoch. Sein Verhältnis zur Bundesrepublik ist ungetrübt und unproblematisch im Vergleich zu Japan, mit dem die USA sich in ständigen Handelsstreitigkeiten über Autos, Halbleiter, Funktelephone, Reis und ein Dutzend anderer Produkte befinden und das sein Verhältnis zu einem nahen, großen und potentiell feindlichen China pflegen muß, das in nicht allzu ferner Zeit sich zu einem gefährlichen Rivalen, wenigstens in Asien, wandeln könnte.

Zwei Annahmen liegen der Haltung Washingtons Deutschland gegenüber zugrunde: erstens, daß amerikanische und deutsche Interessen für die voraussehbare Zukunft weitgehend übereinstimmen. Und zweitens -auch wenn dies selten ausgesprochen wird -, daß Deutschland den USA dankbar ist für die uneingeschränkte Unterstützung bei dem Prozeß der Wiedervereinigung vor sieben Jahren und deshalb auf viele Jahre hinaus loyal bleiben wird. Einen kleinen Hinweis dafür gibt die Bereitschaft des Weißen Hauses und des State Departement, den Botschafterposten in Bonn eher mit Berufsdiplomaten zu besetzen als mit „politischen Freunden“, wie es etwa in Tokio der Fall ist. Wenn wir nun das Verhältnis zu Deutschland nach der Wiederwahl Clintons untersuchen, so sollten wir versuchen, zwischen Erwartungen und Hoffnungen zu unterscheiden. Diese Trennungslinie zwischen Hoffnungen und Erwartungen wird oft verwischt werden, wenn man von den beiden oben erwähnten Annahmen über die Haltung Deutschlands ausgeht.

Fragt man, was sie sich von der Bundesrepublik erhoffen, so antworten die Beamten in Washington wie ihre Vorgänger seit dreißig Jahren: „Deutschland wird seinen Horizont erweitern.“ Damit, so erklären sie weiter, meinen sie, daß Deutschlands Elite allmählich „strategisch denken“ solle. In Wirklichkeit meinen sie damit, daß die deutsche politische Führung über folgende Fragen so wie die amerikanische denken sollte: Dies betrifft erstens die politischen Probleme innerhalb und außerhalb Europas und zweitens den Einsatz von oder die Drohung mit Militär als einem wirksamen Mittel der Diplomatie. Den Wunsch, daß Deutschland hier bald so wie Amerika denken möge, kann man lediglich als Hoffnung bezeichnen.

Clintons Beamte akzeptieren zum jetzigen Zeitpunkt noch, daß das Vermächtnis des Ersten und Zweiten Weltkriegs, als Deutschland strategisch dachte und seine Militärmacht bedenkenlos einsetzte, sowie das Vermächtnis des Kalten Krieges,als das Hauptinteresse der Welt auf dem militärischen und politischen Gleichgewicht in der Mitte Deutschlands lag, bedeutet, daß es noch einige Zeit dauern wird, ehe die Deutschen bereit sein werden, sich auch um Probleme außerhalb Zentraleuropas zu kümmern oder so selbstverständlich mit militärischer Macht umzugehen wie die Amerikaner.

Auf der ersten Pressekonferenz nach seiner Wiederwahl machte Clinton sein vorrangiges Ziel in der Außenpolitik deutlich: die Erweiterung der NATO. In seiner Rede in Detroit einige Wochen zuvor hatte er erstmals die Verpflichtung ausgesprochen, die „erste Gruppe“ (mit der er, so vermutet man in Washington, Polen, die Tschechische Republik und Ungarn meint) bis 1999 in die Allianz aufzunehmen. Die Republikaner unterstützen im allgemeinen dieses Ziel und wollen diese drei Länder eher noch früher in der Allianz sehen. Die Regierung der USA erwartet die volle Unterstützung Deutschlands für diese vorrangigen Ziele amerikanischer Außenpolitik.

Die Allianz nach Osten hin zu erweitern und damit eine Pufferzone zwischen Deutschland und Rußland zu schaffen erscheint den Strategen in Washington vorrangig auch in Deutschlands vitalem Interesse zu liegen. Im Gegensatz zu einigen Nachbarn Deutschlands ist Amerika durchaus zufrieden, wie die Bundesrepublik ihren Einfluß auf den angrenzenden Osten sowie auf die Nachfolgestaaten der Sowjetunion ausweitet. Die amerikanischen Beamten sind eher überrascht, daß die deutschen Unternehmen immer noch relativ wenig in Ländern wie Polen, der Ukraine, der Tschechischen Republik, der Slowakei und Ungarn investieren, die doch verhältnismäßig stabil zu sein scheinen, historisch immer nach Deutschland geblickt haben, niedrige Arbeitslöhne bieten und für die Zukunft ertragreiche Märkte für deutsche Produkte in Aussicht stellen.

Bisher gab es noch wenig öffentliche Diskussionen darüber, wer die Kosten tragen wird, die vom Kongreß auf 120 Milliarden US-Dollar in den nächsten fünfzehn Jahren geschätzt werden, um die neuen östlichen Mitglieder der NATO auf die militärischen Standards der Allianz zu bringen In Washington rechnet man damit, daß Deutschland einen großen Teil dieser Kosten mit übernehmen wird.

Clinton ist weniger besorgt als Kanzler Kohl (im Gegensatz zu seinem Verteidigungsminister Volker Rühe), ob die russischen Sorgen und Vorbehalte völlig beigelegt werden können, bevor die Erweiterung der NATO voranschreitet. In einer wichtigen Rede über die Europapolitik anerkannte der damalige Außenminister Warren Christopher, daß die russischen Bedenken berücksichtigt werden sollten und schlug vor, dies in Form einer Charta zu tun, die spezielle Absprachen in der Zusammenarbeit zwischen Rußland und der NATO enthalten solle. Er legte Pläne Amerikas für einen NATO-Gipfel im Frühsommer 1997 vor, bei dem über die Aufnahme der drei zentraleuropäischen Kandidaten entschieden und der Charta mit Rußland zugestimmt werden sollte. Eine neue Institution, genannt „Atlantic Partnership Council“, sollte gegründet werden, um weitere europäische Staaten, die nicht Mitglieder der Allianz sind, für Projekte wie militärische Übungen mit NATO-Ländern zu gewinnen.

Die USA erwarten von Deutschland nicht nur Unterstützung ihrer Pläne für die NATO, sondern auch, daß es im Umgang mit Rußland eine stärkere Rolle spielt als in den vergangenen zwei Jahren. Dies beruht auf der Freundschaft Kohls mit Präsident Boris Jelzin, und man erwartet Unterstützung, wann immer Bedarf besteht. Man hofft darauf, daß Deutschland schließlich große Summen darauf verwenden wird, die Demokratisierung und Privatisierung in der Ukraine, in Ruß-land und in anderen ehemaligen Sowjetländern zu unterstützen.

Daran schließt sich die Erwartung an, daß Bonn auf Paris einwirken könnte, die französische Kritik an der amerikanischen Außenpolitik, vor allem im Nahen Osten, einzuschränken oder ganz aufzugeben. Dies könnte allerdings zu einem besonders sensiblen diplomatischen Problem für Deutschland werden.

Bisherigen Anstrengungen Amerikas, besonders der Bush-Administration, Deutschland zu bewegen, Frankreich weniger oft nachzugeben, wich Deutschland aus. Dies ist nicht weiter überraschend, da im wesentlichen die Außenpolitik der alten und kleineren Bundesrepublik im vereinten Deutschland fortgesetzt wurde: nämlich sowohl mit Washington als auch mit Paris eine enge Beziehung aufrechtzuerhalten und nicht dazu gezwungen zu sein, zwischen beiden wählen zu müssen.

Aber was geschieht, wenn die beiden bedeutendsten Alliierten Deutschlands sich in einer Fragenicht einigen können, die beide für sehr wichtig halten, und wenn beide sich an Bonn um Unterstützung wenden? Während der ersten Amtszeit Clintons (1992-1996) wich die amerikanische Außenpolitik der Versuchung aus, über Bonn Druck auf Frankreich auszuüben, insbesondere in für Amerika interessanten Handelsfragen.

Daß die guten deutsch-französischen Beziehungen auch für Amerika von Vorteil sind, zeigt folgendes Beispiel: Deutsche Beamte behaupten etwa, daß ihr Einfluß auf die französischen Verbündeten die Entscheidung von Paris beschleunigte, sich wieder dem integrierten Kommando der NATO anzuschließen, aus dem de Gaulle sein Land dreißig Jahre zuvor zurückgezogen hatte.

Aber auf anderen Gebieten hat Frankreichs Präsident Jacques Chirac sich bewußt auf eine neo-gaullistische Politik eingelassen. Chirac spielt gern das alte gaullistische Spiel, mit dem Ziel, den Einfluß Amerikas in Europa zu mindern, und versucht, die Europäische Union für die Ziele der französischen Politik zu instrumentalisieren. Ganz anders als Deutschland sieht sich Chiracs Frankreich selbst als eine Weltmacht, die in der Lage ist, alleine zu handeln und Militärstreitkräfte ins Ausland zu schicken, wenigstens im Mittelmeerraum und in Afrika.

Unter Jacques Chirac hat Frankreich nun seit mehr als einem Jahr wiederholt amerikanische Interessen verletzt: Beispiele dafür sind Atomtests, die Haltung Frankreichs im Streit um den Generalsekretär der Vereinten Nationen Boutros-Ghali oder seine Einmischung in den israelisch-palästinensischen Friedensprozeß, bei dem die USA darauf bestanden, die Vermittlerrolle allein zu spielen. Außerdem verlangte Frankreich, daß ein Schlüsselkommandobereich der NATO, der sich für das südliche Europa und den Balkan in Neapel befindet, der amerikanischen Kontrolle entzogen wird. Washington ist jedoch entschlossen, den Posten in Neapel nicht aufzugeben. Präsident Clinton selbst hat in seiner NATO-Ansprache erklärt, daß die USA dies nicht tolerieren würden.

In den meisten dieser Herausforderungen an die USA und in einigen weniger wichtigen Fällen hat Frankreich sich immer an Deutschland um Unterstützung gewandt -und sie wohl auch bekommen. Deutsche Presseberichte zitieren Bundeskanzler Kohl, der seine Überraschung darüber zum Ausdruck bringt, daß die Amerikaner etwas zu einem Problem machen, was ihm von geringer Bedeutung erscheint. Verteidigungsminister Rühe berichtete Mitte Oktober, daß Deutschland Frankreich in dem Bemühen unterstütze, die amerikanische Dominanz innerhalb der NATO auszugleichen.

Die Clinton-Administration ist sich der Bedeutung des französisch-deutschen „Kerns“ für die Integration Europas bewußt und hegt wenig Hoffnung, daß Deutschland sich gegen Frankreich stellen wird in Fragen, die weniger wichtig scheinen als Fortschritte in der europäischen Einigung, wofür die Beteiligung Frankreichs absolut notwendig ist. Aber sie erwartet von Deutschland, daß es in Paris vermittelt, wenn in wichtigen Fragen kein französisch-amerikanischer Kompromiß gefunden wird.

Es liegt im Interesse Amerikas, daß Deutschland die Europäische Union davon überzeugt, Polen und den anderen östlichen Staaten, besonders den baltischen, den EU-Beitritt anzubieten. Für russische Nationalisten wäre eine Erweiterung der EU weit weniger bedrohlich und erniedrigend als eine Ausdehnung der NATO. Es würde eher die ökonomische Stabilisierung und politische Demokratisierung herbeiführen, die sowohl Bonn als auch Washington für Zentral-und Osteuropa wünschen. Einer Erweiterung der EU den Vorrang zu geben ist seit langem ein Lieblingsargument der amerikanischen Beobachter, die fürchten, daß eine Ausdehnung der NATO auf Ablehnung bei den russischen Nationalisten stoßen würde.

Hinter der Hoffnung Amerikas auf eine Osterweiterung der EU verbergen sich eine ambivalente Haltung gegenüber einer „Vertiefung“ sowie Bedenken, daß Europa zu einem internationalen Akteur werden könnte. Formal unterstützt Amerika wie in den vergangenen 40 Jahren weiterhin die europäische Integration. Aber amerikanische Beamte bezweifeln, daß das kohäsive Modell einer Europäischen Union, wie es sich Jean Monnet und die anderen Väter der EU in den fünfziger Jahren während des Kalten Krieges vorstellten, der komplexeren Welt nach dem Kalten Krieg in den neunziger Jahren gerecht wird.

Die quälend langsamen und schrecklich komplizierten Entscheidungsprozesse in der EU nähren solche Zweifel. Wie kann sich die EU mit so einer „byzantinischen Maschinerie“ zu einer internationalen problemlösenden Institution wandeln? Wie kann unter diesen Bedingungen eine gemeinsame europäische Außen-und Sicherheitspolitik entwikkelt werden? Man betrachte nur, wie sehr die EU in den Anfängen des bosnischen Bürgerkriegs darin versagte, sich zu einer wirksamen und gemeinsamen Aktion zusammenzufinden! Ein auswärtiger Beamter bezeichnet das Verhalten der EU-Mitgliedstaaten, als es darum ging, ein Risiko in der Außenpolitik auf sich zu nehmen, als „kraftlos“.Symptomatisch für Washingtons Haltung gegenüber der EU ist die mangelnde Aufmerksamkeit, die bisher dem entscheidenden Schritt zur Verwirklichung der EU-Integration geschenkt wurde, der Schaffung der Europäischen Währungsunion (EWU). Doch diese Gleichgültigkeit weicht allmählich, und Washington beobachtet, wie Deutschland, Frankreich und sogar Italien die erforderlichen, schmerzlichen Schritte im Haushalt unternehmen, um die Kriterien von Maastricht für den Beitritt in die EWU zu erfüllen. Die Einstellung der Clinton-Administration zur EWU kann -wie allgemein zur EU -nur als widerwillige Zustimmung charakterisiert werden. Obwohl es Nachteile für Amerika mit sich bringt, insbesondere eine Schwächung des Dollars, werden die USA sich kaum einem Schritt entgegenstellen, der sich in jedem Fall bald als unaufhaltsam erweisen wird

Während sich die EU-Mitgliedstaaten enger zusammenschließen, plant Amerika, sich prinzipiell auf Deutschland als Fürsprecher für offene Märkte und eine liberale Handelspolitik innerhalb der Union zu verlassen. Diese Rolle hätte Amerika von Großbritannien erwartet, wäre Großbritannien ein vollwertiges Mitglied der EU.

In den ersten drei Jahren der Clinton-Administration hatte die „Exportförderung“ oberste Priorität in der amerikanischen Außenpolitik. In Wirtschaftsverhandlungen vertrat man eine harte Linie, vor allem Japan gegenüber, aber auch gegenüber der EU. Nun, da die amerikanische Wirtschaftskraft ständig zunimmt und die Arbeitslosigkeit vergleichsweise niedrig ist, könnte sich diese harte Linie ein wenig lockern. Die wiederholten Rufe der Administration nach „freiem und fairen“ Handel lassen vermuten, daß man von Deutschland erwartet, innerhalb der EU-Ausschüsse darauf zu drängen, die europäischen Märkte für amerikanische Dienstleistungen und sogenanntes geistiges Eigentum, wie z. B. Filme, zu öffnen. In solchen Fragen hofft Washington, daß Deutschland sich gegenüber Frankreich behauptet, das entschlossen ist, europäische Politik so zu gestalten, daß sie französischem Interesse genügt.

Die USA sehen sich als eine Supermacht mit weltumfassenden Interessen und Möglichkeiten. Man ist stolz darauf. Deutschland sieht sich selbst als eine bestenfalls regionale Macht, deren Interessen bis vor kurzem auf das Europa nördlich der Alpen und der Karpaten beschränkt waren. Es hält seine Handlungsmöglichkeiten für begrenzt und übt sie, wenn überhaupt, sehr zurückhaltend aus. Die amerikanischen Erwartungen basieren auf einer realistischen Einschätzung dieser Ungleichheit. Aus der Sicht der USA sollte Deutschland -gemessen an seiner offensichtlichen ökonomischen Stärke -größere politische Verantwortung übernehmen und bereit sein, bald eine größere Rolle außerhalb Europas zu spielen.

Die Entscheidung Deutschlands vor zwei Jahren, Bundeswehreinheiten auf den Balkan zu schicken, und die Bereitschaft, selbst Kampftruppen als Teil einer NATO-Streitmacht für 1997 nach Bosnien zu entsenden, sind in Amerika auf positive Resonanz gestoßen. Diese neue Haltung, umfassend an der Friedenserhaltung auf dem Balkan teilzunehmen, war nur möglich aufgrund eines Wandels der öffentlichen Meinung in Deutschland.

Die militärische Beteiligung war gekoppelt mit aktiver deutscher Diplomatie in der sogenannten Kontaktgruppe, bestehend aus den wichtigsten Ländern, die an der Friedenserhaltung in Bosnien beteiligt waren. Der erstmalige Einsatz von Bundeswehr-Kampftruppen im Ausland bedeutet einen deutlichen Bruch mit der bisherigen Politik Deutschlands. Washington hofft, daß das Engagement der Bundesrepublik auf dem Balkan die Bereitschaft signalisiert, auch an anderen Missionen der Friedenserhaltung außerhalb Europas teilzunehmen. Viele dieser Krisenherde befinden sich im Nahen Osten, einer Region, in der die Unterstützung von Israel und das Vorkommen großer Ölreserven eine starke, aktive und andauernde Einmischung Amerikas erfordern.

Ein Beispiel ist die Türkei, ein NATO-Mitglied, dessen Lage strategisch kritisch ist -da es an militante islamische Staaten wie Iran, Irak und Syrien angrenzt und nahe an den instabilen Transkaukasischen Republiken Georgien, Armenien und Aserbeidschan liegt. Angesichts einer schwachen Regierung, die von einer religiösen Partei geführt wird, und angesichts der angespannten Wirtschaftslage, ist die Zuverlässigkeit der Türkei als Verbündeter und ihre Stabilität in Frage gestellt. Die Politik der USA, die Türkei zu stützen, ist jedoch beeinträchtigt durch griechisch-amerikanische und armenisch-amerikanische Lobbyisten-gruppen, die Einfluß im amerikanischen Kongreß haben.

Mit zwei Millionen türkischen Arbeitern und ihren Familien, die in Deutschland leben, einem regen Handel und traditionellen Verbindungen, die bis in das Reich der Ottomanen zurückgehen, bringt Deutschland alle Voraussetzungen mit, eine weitaus aktivere Rolle dabei zu spielen, der Türkei zu mehr Stabilität zu verhelfen. Amerikas größte Hoffnung ist, daß Deutschland die EU-Mitgliedschaft für das Land unterstützen wird.

Abgesehen von der Türkei und ausgenommen in Krisenzeiten sind die Hoffnungen Amerikas auf ein Engagement Deutschlands außerhalb Europas eher gering. Neben der Erweiterung steht die Unterstützung der israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen an erster Stelle der auswärtigen Politik der Clinton-Administration. Die jüdischen Wähler, die zu über 80 Prozent bei den Wahlen in diesem Jahr ihre Stimmen für Clinton abgegeben haben, üben Druck auf jede Administration aus, Israel zu beschützen und zu unterstützen. Die Garantie, daß Amerikas sechste Flotte im Mittelmeer zu jeder Zeit bereit ist, Israel zur Hilfe zu kommen, ist der Hauptgrund dafür, daß die USA der Forderung Frankreichs, diesen südlichen Stützpunkt der NATO aufzugeben, nicht nachkommen wird. Um Israels Verhandlungen mit den Palästinensern und schließlich mit Syrien unter Kontrolle zu halten, werden die USA keine Schmälerung ihrer Funktion als einziger Vermittler bei diesem Prozeß dulden.

Washington erwartet, daß die europäischen Länder sich aus den Verhandlungen heraushalten, aber Israel sofort Hilfe leisten, falls es von den arabischen Staaten angegriffen werden sollte. Als im Januar 1991 während des Golfkriegs irakische Skud-Raketen auf Tel Aviv abgefeuert wurden, hatte Deutschland keine andere Wahl, als Israel zu unterstützen. Die Geschichte und 40 Jahre enge deutsch-israelische Beziehungen machen dies zwingend. Solange die israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen weitergehen, bleibt jedoch die vordringliche Erwartung Washingtons an Deutschland, daß es weiterhin sowohl durch die EU als auch direkt zum Aufbau der Wirtschaft in den palästinensischen Gebieten der West Bank und des Gazastreifens beiträgt. Öl ist ein weiterer wesentlicher Faktor der amerikanischen Politik im Nahen Osten. Zentral für diese Politik ist der Persische Golf, wo Amerika den letzten Krieg führte, indem es die Expedition gegen den Irak 1991 anführte, und wo es heute eine Politik der „doppelten Eindämmung“ gegen den Irak und den Iran verfolgt. Wie bei den israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen, so verwahren sich die USA auch hier gegen europäische Initiativen, die in diesem Fall ihre eigenen Anstrengungen konterkarieren könnten, die beiden großen Golf-Staaten zu isolieren, die Washington verdächtigt, den Terrorismus gegen pro-westliche arabische Regime zu unterstützen.

Gäbe es einen erneuten Angriff des Irak oder des Iran, erwartet Amerika die Hilfe der Japaner und der Europäer. Amerikanische Spezialisten weisen darauf hin, daß es mehr als 50 Milliarden US-Dollar im Jahr kostet, US-See-und Luftstreitkräfte am Persischen Golf zu halten. Selbst in Friedenszeiten sollte ein Teil dieser Kosten von den europäischen Nationen getragen werden, die 30 Prozent ihres gesamten Ölbedarfs-vom Golf und damit einen größeren Anteil als die USA mit nur zehn Prozent von dort beziehen.

Der Rückgriff Amerikas auf Handelssanktionen gegen den Iran, den Irak und andere Staaten, die es als Paria-Staaten bezeichnet, war der Hauptgrund für die einzig wirkliche Irritation in den Beziehungen zu Deutschland. Da Deutschland wie seine europäischen Partner den amerikanischen Sanktionen gegen alle Staaten -außer dem Irak -nicht folgte, . kam es im Fall des Iran zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den USA und Deutschland.

Während die USA versuchen, Teheran völlig zu isolieren, besteht Deutschland darauf, den Handel aufrechtzuerhalten und den „kritischen Dialog“ mit den Iranern weiterzuführen. Es handelt sich dabei um gravierende Differenzen „Und unsere Alliierten müssen uns beistehen“, betonte Präsident Clinton in einer Wahlkampfrede in Detroit. „Wir können nicht bei Tag mit Leuten zu tun haben, die Terroristen unterstützen, die uns bei Nacht töten. Das ist falsch.“

Deutschlands Handels-und Geschäftsbeziehungen mit Ländern wie dem Iran, den die USA als feindlich ansehen, können der Reputation Deutschlands in Washington schaden. Die offizielle amerikanische Auffassung ist, daß der umfangreiche Handel Deutschlands der Grund dafür ist, weshalb Außenminister Kinkel am „kritischen Dialog“ mit dem Iran festhält. Die Beamten des Weißen Hauses werfen Deutschland vor, daß es „riesige Summen“ in Ländern wie dem Iran und Libyen investiert, die Außenminister Christopher „aggressive Tyrannen“ nennt. Die amerikanische Presse behauptet von Zeit zu Zeit, daß führende deutsche Firmen sowie deutsche Ingenieure und Techniker an Projekten im Iran, Irak und Libyen beteiligt waren, um Kernenergieanlagen oder chemische Waffen zu entwickeln.Geschäfte Deutschlands mit Regimen, denen sich die USA entgegenstellten, haben eine lange Tradition. Schon in den sechziger Jahren kam es zwischen beiden Staaten zu Spannungen, als Deutschland eine Ölpipeline in die Sowjetunion exportierte. Es liegt aber auch im Bereich des Möglichen, daß den USA eines Tages Deutschlands Beziehung zum Iran nützen könnten. Würde Washington die Politik der doppelten Eindämmung aufgeben oder modifizieren -etwas, das man nicht ausschließen kann, da diese Politik bisher nicht besonders erfolgreich war so könnten Bonns offizielle Handelskanäle nach Teheran sich als positiv für die USA erweisen. Tatsächlich hat der „kritische Dialog“, so behauptet das Auswärtige Amt, schon einige Ergebnisse gebracht.

Wenn auch nicht im Persischen Golf, so gibt es doch eine große Palette der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA auf anderen Gebieten wie z. B. bei der Bekämpfung des Terrorismus, der Verhinderung bei der Verbreitung von Atomwaffen, dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen und den Drogenhandel sowie dem Schutz der Umwelt. Da es selbst ein Staat ohne Atomwaffen ist, hat Deutschland großes Interesse daran, ihre Weiterverbreitung zu verhindern. In keinem Land ist das Umweltbewußtsein so hoch wie in Deutschland. Es ist auch das einzige Land, in dem die grüne Partei eine wirkliche parlamentarische Kraft ist. In all diesen Fragen entspricht die Bundesrepublik den Erwartungen Amerikas, und im Fall des Umweltschutzes übertrifft es diese sogar.

Trotz einiger Irritationen steht außer Zweifel, daß Amerikas Beziehungen zu Deutschland gut sind, besser als zu jedem anderen größeren Land, außer vielleicht Großbritannien. Aber die engen Beziehungen während der Zeit des Kalten Krieges gibt es nicht mehr. Es herrscht zwar keine Gleichgültigkeit -jedes der beiden Länder ist dazu für das andere zu wichtig -, aber es hat sich Routine breit-gemacht.

Die enge politische Anlehnung geht einher mit Handelsrivalitäten, einem Wettbewerb, der zunehmen wird, da die Regierung der USA versucht, den Export auszudehnen und Deutschland vermehrte Anstrengungen unternimmt, Märkte außerhalb Europas zu erschließen und nach Asien und Lateinamerika drängt, wo die USA seit jeher einen großen Anteil hatten.

Ehe wir Schlußfolgerungen ziehen, sollten wir einige grundlegende Erwartungen ansprechen, die für die deutsch-amerikanischen Beziehungen so selbstverständlich sind, daß man sie selten diskutiert. Die wichtigsten dieser selbstverständlichen Erwartungen sind folgende:

Erstens rechnen die USA weiterhin mit der uneingeschränkten Nutzung ihrer militärischen Hauptquartiere, Basen, Übungsplätzen und ihrer ausgebauten Infrastruktur in Hessen, Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, die für Operationen der amerikanischen Armee auf dem Balkan und im Nahen Osten wichtig ist.

Zweitens erwarten das amerikanische Finanzministerium und die amerikanische Notenbank weiterhin, daß die Bundesbank und die deutschen privaten Investoren amerikanische Wertpapiere erwerben und somit dazu beitragen, den Bundeshaushalt der USA auszugleichen. Auch von der deutschen Bundesbank erwarten die USA, wenn sie dazu aufgefordert wird, zur Stützung des Dollars zu intervenieren, was dazu beiträgt, die Zinsen niedrig zu halten.

Drittens soll Deutschland, wenn es gebraucht wird, seinen Beitrag leisten für die Unterstützung der Stabilität und der Reform in Ländern wie z. B. Rußland, der Ukraine und anderen Ländern außerhalb Europas, die mit ökonomischen Problemen zu kämpfen haben. Die großzügigen Zahlungen Deutschlands für die von Amerika geführte Koalition im Golfkrieg bestärkte den Glauben, daß Deutschland bei Bedarf wieder seinen finanziellen Beitrag leisten würde.

Seit Helmut Schmidts Kanzlerschaft versucht die deutsche Führung die Erwartung zu zerstreuen, daß Deutschland immer nur die Kosten tragen würde. Die finanziellen Lasten der Vereinigung und die Anforderungen einer wachsenden EU belasten die deutschen Finanzen erheblich. Von den drei grundlegenden Erwartungen ist die dritte zur problematischsten geworden, obwohl man in Washington offenbar immer noch daran festhält.

Clintons Versprechungen, den Führungsanspruch der USA weltweit aufrechtzuerhalten, stoßen auf eine harte Realität, die sie zunichte machen könnten: die fortschreitende Reduzierung von Haushaltsmitteln für auswärtige Angelegenheiten. Unter dieser angespannten Finanzlage wendet sich die amerikanische Regierung ohne Zögern an die Bundesrepublik, wenn es um die Finanzierung dieser Einsätze außerhalb Europas geht, an denen die USA ein Interesse haben. Man sucht die finanzielle Beteiligung Deutschlands z. B. an der KEDO (Korean Energy Development Organization), die das Atomprogramm Nordkoreas auf den Weg zur friedlichen Energienutzung führen soll.Wenn es den USA gelingt, den Plan von Außenminister Christopher umzusetzen, eine African Crisis Response Force (ACRF) zu schaffen, also eine militärische Interventionseinheit von afrikanischen Soldaten, so entstehen Kosten in Höhe von rund 40 Millionen US-Dollar, die, so erklärte Christopher, zum Teil von den USA und zum Teil von den „europäischen Alliierten“ getragen werden würden.

Die republikanischen Gegner des Präsidenten beschuldigen ihn, eine Außenpolitik zu betreiben, die nur reagiert und die größere, langfristige Probleme, die man schon voraussehen kann, nicht einplant. Dazu zählen die wachsende Macht Chinas, das Wiedererstarken Rußlands und der mögliche Zusammenbruch der feudalen saudiarabischen Monarchie. Vor allem im Fall Rußlands können die USA von der Beratung und Unterstützung Deutschlands profitieren. Das Hauptinteresse der USA an Rußland steht im Zusammenhang mit dem großen Atomwaffenlager des Landes. Die anderen Interessen Amerikas sind weniger dringlich und werden vielleicht allmählich in den Hintergrund treten. Die USA werden vielleicht eines Tages bereit sein, es Deutschland zu überlassen, die Vereinbarungen zu treffen, die Demokratie und Wohlstand in Rußland gewährleisten.

Mit der fortschreitenden europäischen Integration läßt sich immer schwerer unterscheiden zwischen dem, was man von den Deutschen, und dem, was man von den Europäern erwartet. Aber solange die europäischen Entscheidungsabläufe so kompliziert sind und solange Steuern und Ausgaben eher nationale als europäische Aufgaben bleiben, wird Amerika sich an London, Paris und Bonn/Berlin wenden, wenn es Unterstützung und Hilfe braucht.

Sowohl Deutschlands Bereitschaft, Kampftruppen nach Bosnien zu senden, als auch der „kritische Dialog“ mit dem Iran sind Zeichen dafür, daß die Führung der Bundesrepublik tatsächlich ihren „Horizont“ erweitert, wie es das Weiße Haus, das State Departement und das Pentagon so lange gehofft haben. In dem einen Fall gefällt Amerika das Ergebnis, im andern mißfällt es ihm. In beiden Fällen jedoch war Deutschland so bedachtsam, nicht allein zu handeln, wie es vielleicht Amerika getan hätte, sondern im Einklang mit seinen europäischen Partnern. Das ist ein Muster, an das sich Washington gewöhnen muß. Es kann jedoch erwarten, daß ein immer stärker werdendes Deutschland in zunehmendem Maße die Politik der Europäischen Union und deren Institutionen auf eine Weise gestaltet, die deutsche Interessen und Sichtweisen begünstigt, wie es bei der Europäischen Währungsunion derzeit der Fall ist. Die Bundesrepublik ist zu einem europäischen Deutschland geworden. Aber ebenso sicher ist, daß Europa in gleichem Maße deutsch wird. Die Clinton -Administration sollte darauf hoffen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Übersetzung aus dem Englischen: Uta Mayer, Rheinbreitbach. Remarks of the President to the people of Detroit, White House Press Release vorn 22. Oktober 1996.

  2. Vgl. Joshua Muravchik, Affording Foreign Policy, in: Foreign Affairs. 75 (1996) 2, S. 8-13.

  3. Vgl. Ronald Steel. Mission Creep, in: The New Republic vom 25. November 1996, S. 29.

  4. Speach by Secretary of State Warren Christopher in Stuttgart, Germany, Press Release, Office of the Spokesman vom 6. September 1996.

  5. Vgl. C. Randall Henning, Europe’s Monetary Union the United States, in: Foreign Policy, 102 (1996), S. 83-100.

  6. Vgl. Charles Lane, Germany’s New Ostpolitik, in: Foreign Affairs, 74 (1995) 6, S. 77-89.

Weitere Inhalte

Robert Gerald Livingston, Ph. D., geb. 1927; von 1971 bis 1973 Mitglied des von Henry Kissinger geführten Nationalen Sicherheitsrats; Präsident des German Marshall Fund; von 1983 bis 1994 Direktor des American Institute for Contemporary German Studies an der Johns Hopkins Universität, von 1994 bis 1996 Chief Development Officer; ab 1997 Senior Visiting Fellow am Deutschen Historischen Institut in Washington, D. C. Zahlreiche Veröffentlichungen zur amerikanischen Außenpolitik und zur Geschichte Deutschlands.