Der Rückblick auf das Verfassungsdenken der Weimarer Republik war in den Nachkriegsjahr-zehnten von eigentümlichen Zwiespältigkeiten geprägt. Einerseits verfiel ein Verfassungskonzept, das nur Verfahrensregeln statt einer Wertordnung vorgegeben habe, bei auch publizistisch einflußreichen Autoren wie dem Politikwissenschaftler Kurt Sontheimer einer weitreichenden Schuldzuweisung: „Der 30. Januar 1933 ist zum letzten Menetekel der positivistisch-formalistischen Staatsrechts-lehre geworden.“ Als „politische Indifferenz“, angesichts deren Weimar „der aggressivsten dieser totalitären Parteien erlegen“ sei, hat sogar das Bundesverfassungsgericht solche Traditionslinien verurteilt; dies „gilt bis in die jüngste Zeit als Stereotype der Staatsbürgerkunde“ Andererseits ließ sich nicht ignorieren, daß gerade Wortführer der antipositivistischen Zeitströmungen (mit Ausnahme des zum rechten SPD-Flügel zählenden Hermann Heller) kaum als engagierte Verfechter des parlamentarischen Systems hervortraten; sie gehörten vielfach zu den Exponenten eines „antidemokratischen Denkens“ der politischen Rechten und waren am ehesten noch „unter das Etikett einer antiliberalen Position zu bringen“ Die von Sontheimer als Fazit angedeutete „Möglichkeit eines fruchtbaren Kompromisses beider Anschauungen“, nämlich „die in ihren Grundzügen liberale Verfassung. .. mit den neuen Mitteln einer , antiliberalen Staatslehre zu verteidigen“ erscheint allzu konstruiert und offenbart Bewertungsprobleme.
Eine Neubesinnung auf die Weimarer Staatsrechtsdebatte soll in mehrfacher Hinsicht wesentliche Akzentverschiebungen erbringen: Zunächst gilt es, die häufigen Bezugnahmen auf Stichworte von Rudolf Smend bzw. Carl Schmitt auf ursprüngliche Proportionen zurückzuführen. Diesen beiden Staatslehrern ist mit ihren politischen Kernbegrif fen der Integration bzw. Freund-Feind-Entscheidungen nach 1945 nicht zuletzt aus der „persönlichen Pietät einer in beiden Fällen bemerkenswert großen Schülerzahl“ und deren Rivalitäten eine Vorrangstellung zugewachsen, gegen die unverzerrte Blicke auf Alternativen erst wieder freizulegen sind. Darüber hinaus kann jenes Fazit, daß berechtigte antipositivistische Erneuerung nur unbeabsichtigt die parlamentarische Demokratie in Frage stellte einer Korrektur unterzogen werden. Schließlich ist eine intensivere Beschäftigung mit verdrängten Gründungskonzeptionen der Weimarer Republik angezeigt; hingegen spiegelten Neuorientierungen seit der Staatsrechtslehrertagung 1926 auch eine geänderte Verfassungslage, die einem von 1930 bis 1932 forcierten Übergang zum Präsidialsystem vorausging.
Smend contra Schmitt -die Schein-alternative jenseits von Weimar?
Selbst bei „kritischen“ Rechtshistorikern findet sich bis heute -gegen konservativ etablierte „alte Nazis“ wie z. B.den (Schmitt-Schüler) Ernst Forsthoff -die Beschwörung eines positiven Erbes von „Professoren aus der demokratischen Tradition der Weimarer Republik wie Rudolf Smend“ Tatsächlich verharrte jedoch Smend -bis 1930 als Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) -in ausgeprägter Distanz zur neuen Ordnung. Ganz ähnlich wie beim antiliberalen Rechts-katholiken Schmitt blieb Parlamentarismus für den konservativen Protestanten Smend „die typische Staatsform der bürgerlich-liberalen Kultur des 1 Jahrhunderts“ 9. Indem auch Smend mit sei-ner meistzitierten Publikation das Pauschalurteil verbreitete: „liberale Staatsform, d. h. Parlamentarismus, ist keine Staatsform“, bekräftigte er bereits im Stabilisierungsjahr 1928 den „Unterschied der Verfassungspolitik von Weimar, ebenso wie der der Paulskirche, von der verfassungspolitischen Kunst Bismarcks“ Die Trennung von einer DNVP, die unter Hugenberg einen Kurs der „nationalen Opposition“ an der Seite der NSDAP steuerte, folgte schlüssig aus der Abneigung von (kaiserzeitlich geprägten) „alten Konservativen“ auch gegen Propaganda einer „Revolution von rechts“. Anstelle des Verfassungstags (11. August) blieb für Smend bis zuletzt der „Reichsgründungstag“ (18. Januar) der „große nationale Festtag“; damit wurde eine Tradition fortgesetzt, die stets das Kaiserreich „in leidenschaftlicher sittlicher Anspannung bejaht“ hatte, „wie in Heinrich v. Treitschkes historisch-politischer Lebensarbeit“ Letzterer war schon 1879 Stichwortgeber der Feinderklärung gegen das „Semitentum“ als Urheber von „Lug und Trug“ und einer „frechen Gier“, mit dem später vielzitierten Fazit: „Die Juden sind unser Unglück!“ Über sonstige Differenzen zwischen „Entscheidungs-“ und „Integrations“ -Lehre hinweg konnte Smend insofern auch Gemeinsamkeiten mit anderen Gegnern des liberalen politischen Systems betonen: „Die zerstörende Wirkung dieses Pluralismus auf Staat und Verfassung hat C. Schmitt hinlänglich beschriebe Januar) der „große nationale Festtag“; damit wurde eine Tradition fortgesetzt, die stets das Kaiserreich „in leidenschaftlicher sittlicher Anspannung bejaht“ hatte, „wie in Heinrich v. Treitschkes historisch-politischer Lebensarbeit“ 12. Letzterer war schon 1879 Stichwortgeber der Feinderklärung gegen das „Semitentum“ als Urheber von „Lug und Trug“ und einer „frechen Gier“, mit dem später vielzitierten Fazit: „Die Juden sind unser Unglück!“ 13 Über sonstige Differenzen zwischen „Entscheidungs-“ und „Integrations“ -Lehre hinweg konnte Smend insofern auch Gemeinsamkeiten mit anderen Gegnern des liberalen politischen Systems betonen: „Die zerstörende Wirkung dieses Pluralismus auf Staat und Verfassung hat C. Schmitt hinlänglich beschrieben.“ 14 Die verfallgeschichtliche Parlamentarismuskritik Schmitts im Lichte eines Politikbegriffs, der irrationale Existentialität gegen Aufklärungsvernunft und Interessenkalküle ausspielte, ist bei Smend bereits im Gründungsjahr der Weimarer Republik vorformuliert worden: „Je mehr dem Rationalismus der Sinn für das irrationale Wesen des politischen Kampfes fehlt, um so mehr Gewicht legt er auf die Technik des Verfahrens, in der er die Gewähr richtiger Entscheidungen findet. . . Die parlamentarische Auseinandersetzung ist nicht mehr der schöpferische Geburtsvorgang der politischen Entscheidung, sondern wird mehr und mehr eine Fassade, hinter der die entscheidenden Auseinandersetzungen der Parteien in aller Stille vor sich gehen.“ 15 Die verbreitete Stilisierung von Schmitt zum geheimnisvollen Außenseiter, einem „Partisan“ des geistigen Kampfes, verkennt seine Einfügbarkeit in den breiten Negativkonsens von akademischen Milieus gegen „Weimar“. Umgekehrt war Smend entgegen der schulenbildenden Legende weit davon entfernt, „den politisch rechtsstehenden, dem alten monarchischen Staat innerlich verbundenen Kreisen eine Möglichkeit aufzuzeigen, wie sie den parlamentarisch-demokratischen Staat auch ohne Verleugnung ihrer politischen Ideale hätten bejahen können“ 16. Selbst mit Wertungen zurückhaltendere neuere juristische und theologische Fachstudien 17 liefern zusätzliches Material für ein akzentuiert kritisches Fazit über Smend, das in der Politikwissenschaft formuliert wurde 18 und einer zeitgenössischen Streitschrift Hans Kelsens entnommen werden kann: „Es ist der Kampf gegen die Verfassung der deutschen Republik, dem diese Lehre von der Wirklichkeit des Staates -ob sie es nun beabsichtigt oder nicht -schließlich dient.“
Nicht einmal im fachpolitischen Spektrum rechts von den Weimarer Verfassungsparteien können Smend und Schmitt als die maßgebenden Autoren gelten. In der konservativ-protestantischen Haupt-strömung war es vielmehr Erich Kaufmann, der um etliche Jahre früher und auch „klarer“ schon „im Kaiserreich die Bahnen des juristischen Positivismus verläßt“ und 1921 an der „neukantischen Rechtsphilosophie“ den Rückzug auf bloße „Relationen des formalen Sollens“ ohne Fundamente in einer Wertordnung bemängelt: „Die positive Rechtswissenschaft fängt haarscharf an dem Punkte an, wo Kelsen aufhört.“ Bemerkenswert ist die zeitgenössische Kritik des an Werte-und Verhaltensstabilität durch Institutionen orientierten Kaufmann am (Schmittschen) Politikbegriff der „Freund-und Feindeinstellung“ und der (Smendschen) „Integration menschlicher Einzel-willen zum einheitlichen Gemeinschaftswillen“ in deren Berufung auf „Dezision“ und „Kampf“ bzw. „Dynamismus“ sei ein „fortschreitendes Zerstörungswerk“ gegen die „Welt objektiver Werte“ angelegt Wenngleich er das „Bekenntnis zu einer konservativen Welt-und Staatsauffassung“ ablegte und dem Liberalismus „Staatsfremdheit und Staatsfeindschaft“ vorwarf hat Kaufmann -damit Stresemanns Außenpolitik unterstützend -schon 1925 Distanz zum „rein negativen Nationalismus“ der DNVP bekundet Dementsprechend ist gegenüber anderen Konservativen bei Kaufmann bis zuletzt insgesamt stärker „an den Verfassungsgrundlagen des Weimarer Staates festgehalten“ worden
Zunächst hat also Kaufmann -im Rückgriff auf die noch integralen Staats-und Rechtslehren Stahls wie Hegels -gedankliche Anknüpfungspunkte für Gegenpositionen jener „Wiener Schule“ Kelsens bereitgestellt, die gemäß kantianischer Erkenntnis-kritik den realsoziologischen vom rechtsnormativen Staatsbegriff trennte. In dieser Hinsicht sind ihm Smend und auch Heller gefolgt, während Schmitt eigene methodische Ansätze vor 1933 hinter polemischen Kulissen eher im dunkeln ließ Unter dem Gesichtspunkt des fachinternen Einflusses ist zudem an erster Stelle Heinrich Triepel zu erwähnen Dieser war als langjähriger Herausgeber des „Archivs für öffentliches Recht“, Mentor der Staatsrechtslehrer-Vereinigung und Rektor der Berliner Universität eine Leitfigur, die auch Smend rückblickend als fachlich „weit überlegen“ anzuerkennen hatte Mit seiner Abqualifizierung von Parteibeschlüssen als, „vom Standpunkt des Rechts aus gesehen, unverbindliche und unmaßgebliche Äußerungen eines dem Staatsorganismus fremden sozialen Körpers“ verharrte Triepel auf dem traditionellen Anti-Parteien-Affekt, und dies trotz eigenen politischen Engagements (als Mitglied der DNVP und Publizist für deren parteinahes Organ „Der Tag“ bis 1930).
Eine besondere Pointe liegt darin begründet, daß mit Gerhard Leibholz der aus „Triepels engerem Schülerkreise“ am nachhaltigsten in die Bundesrepublik hineinwirkende Staatsrechtler eine Neubewertung des „Parteienstaates“ vorgenommen hat. So befürwortete Leibholz gleich Kelsen und dem Sozialdemokraten Gustav Radbruch die verfassungsrechtliche „Legalisierung der politischen Partei“ in Anerkennung einer Weimarer Realität; andererseits galt ihm solcher Typus des „massen-demokratischen Parteienstaates“ als Bruch mit dem repräsentativen System. Die Stimmenwerbung im Verhältniswahlrecht wurde „insoweit, wie schon sehr richtig Carl Schmitt bemerkt hat, in Wirklichkeit ein rein plebiszitärer, d. h.der unmittelbaren Demokratie zugehöriger Vorgang“; dafür hätten die „liberalistischen Elemente“ -unter denen er in zeittypischem Jargon sogar aktivistische Politiker der SPD und der katholischen Zentrumspartei wie Carlo Mierendorff und Joseph Wirth aufführte -eben kein Verständnis
Ganz ähnlich wie bei Schmitt beinhaltete auch für Leibholz ein vor allem zum Liberalismus kontrastierter Demokratiebegriff nicht etwa die Abgrenzung zu diktatorischen Regimen: „Der Faschismus hat z. B. in diesem Sinne die Intention, in Zukunft ein zwar antiliberales, aber doch demokratisches Staatsbild von total-autoritärer Prägung herauszustellen.“ Bereits in seiner Antrittsvorlesung aus dem Jahre 1928 hatte Leibholz der „faschistischen Staatstheorie auch im Smendschen Sinne“ einen integralen Charakter bescheinigt und sie von einer „Herrschaft des Positivismus“, der „eine Vernichtung der wichtigsten Lebenskräfte“ bedeutet habe, deutlich abgehoben: „Der Faschismus will Leben sein, will Leben spenden.“ Solche Phraseologie des lebensphilosophischen Irrationalismus zielte auf den italienischen Faschismus, der sich einer jüngeren Generation rechts von der Mitte gegenüber dem kaiserlichen Obrigkeitsstaat wie den westlichen Demokratien (und dem „Bolschewismus“) als interessante Alternative darbot. Hingegen konnte Leibholz als engagierter Protestant jüdischer Herkunft zur rassenantisemitischen NS-Diktatur trotz national-plebiszitärer Ideale in kein anderes Verhältnis als jenes gegenseitiger Feindstellung treten, die ihn zum Vertreter der „bekennenden Kirche“ um Dietrich Bonhoeffer werden ließ
Als Zwischenbilanz läßt sich festhalten, daß Rückblicke auf die Weimarer Staatsrechtsdebatte zu wenig aus damals vertretenen Positionen begründet wurden und damit personenzentrierte Aspekte ungeprüft hineinspielen: So war Schmitt durch seine NS-Kompromittierung und das universitäre Lehrverbot nach 1945 -im Unterschied zu Smend, der frühere Positionen „glättete“ -ein „Abtauchen“ in den Grundkonsens der Bundesrepublik versagt. Fernerhin ist Leibholz, der als profilierter Bundesverfassungsrichter der Jahre 1951 bis 1971 den größten Einfluß gewann, nicht einfach dadurch zum originären „Demokraten“ umzudeuten, daß ihn der NS-Rassenwahn noch als tiefgläubigen Protestanten verfolgte. Wenn schließlich Kaufmann und Triepel -entgegen ihrem zeitgenössischen Rang -heute nahezu vergessen sind, mag dies auch ihrem schon damals „unzeitgemäßen“ Denken zuzuschreiben sein. Dieser Traditionalismus konnte sie aber (im Unterschied zu Leib-holz, Smend und Schmitt) immerhin von Empfänglichkeiten für die faschistischen Zeitströmungen fernhalten.
Positivismus als Liberalismus -ein undifferenziertes Klischeebild?
Während sich Carl Schmitt den autoritären Präsidialregimen zu Beginn der dreißiger Jahre und dem frühen Dritten Reich als politischer „Kron-jurist“ anzudienen bemühte, wird als repräsentativster Staatsrechtler der Weimarer Republik gemeinhin Gerhard Anschütz betrachtet. Tatsächlich mußten sich beide im Verfassungsstreit gegenübertreten, als Schmitt 1932 die Position der rechtskonservativen Reichsregierung Franz von Papens nach deren „Exekution“ gegen das preußische Kabinett aus SPD, Zentrumspartei und liberaler Deutscher Demokratischer Partei (DDP) vertrat, das Anschütz und Heller aufbieten konnte. Doch zur Konstrastfigur eines „AntiSchmitt“ wird der eine wie der andere nicht schon durch Bejahung der Weimarer Legalitätsbasis. So wollte Heller sich bei aller politischen Distanz von „Schmitts Kritik an der herrschenden Lehre“ und dem vielzitierten Lehrsatz: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“, als „in vieler Hinsicht vorbildlich“ ursprünglich durchaus inspirieren lassen Im Briefwechsel mit Schmitt hat ebenso Anschütz von einer „bedauerlichen Pluralisierung“ deutscher Staatlichkeit gesprochen und darin Schmittschen Thesen über das Spannungsverhältnis von „Staatsethik und pluralistischem Staat“ aus dem Jahre 1930 beigepflichtet In seiner neuerdings vorliegenden Autobiographie bestätigt Anschütz, „der Monarchie wie der Republik mit gleicher Überzeugungstreue als Staatsrechtslehrer gedient“ zu haben; auch 1933 konnte sich ihm noch ernstlich die Frage stellen, „ob ich die Befähigung und innerliche Bereitschaft aufbringen könne, dem neuesten, dritten Deutschland dieselben Dienste zu leisten, ob ich beweglich genug sei, mich entsprechend umzustellen“ Die im Emeritierungsgesuch sich ausdrückende Ablehnung erneuten „Umlernens“ hatte -bei einem ohnehin 65jährigen -wiederum politische Differenzen überlagernde biographische Aspekte
Die eigene Position hat Anschütz rückblickend damit gekennzeichnet, daß er „stets bestrebt“ war, „das Werk von Weimar nicht so sehr als einen Umsturz denn als eine Fortentwicklung, Fortbildung der Verfassung des Kaiserreichs“ darzustellen Tatsächlich durchzieht solche Tendenz zur Harmonisierung mit dem positiven Erbe des Bismarckreiches sein Kommentarwerk zur Weimarer Verfassung, dessen mehrfache Auflagen den Ruf von Anschütz als deren führender Textinterpret begründeten. Sogar in der Wirtschafts-und Sozialordnung erblickte er keine Akzentverschiebung zu mehr Gerechtigkeit: „Daß hierin ein neuer Geist wehe, von dem das alte Staatswesen nichts gewußt habe, kann nur behaupten, wer unser altes Staatswesen nicht kennt“; ohnehin kam es ihm mehr darauf an, daß sämtliche „Grundpfeiler unserer bürgerlichen Rechts-, Gesellschafts-und Wirtschaftsordnung“ und nicht zuletzt „das Privateigentum als Institution eine verfassungsmäßige Sicherung erfahren“ Bei der Gewährleistung rechtsstaatlicher Verhältnisse im Preußen des Kaiserreichs habe die „folgende parlamentarische Demokratie... nichts Wesentliches vorgefunden, was zu verbessern gewesen wäre“ Immerhin war Anschütz schon 1914 auf dem Wege zu einem „Kronjuristen“ der konstitutionellen Monarchie, nachdem sein Kommentar zu der -aus dem Restaurationsjahr 1850 stammenden -preußischen Verfassung erschienen war
Neben dem Werk von Anschütz gilt auch das von ihm gemeinsam mit Richard Thoma verantwortete zweibändige „Handbuch des Deutschen Staatsrechts“ (Tübingen 1930/32) als Zeugnis einer herrschenden Meinung. Wenn Schmitt darin einen Beitrag über den Grundrechtskatalog der Verfassung einbringen konnte (Bd. 2, S. 572-606), bedeutete dies offenkundig zweierlei: Einerseits gehörte er vor seinen politischen Rechtfertigungsdiensten für die (zunächst präsidiale) Diktatur nach rechts hin bei den Herausgebern der „Mitte“ ebenso zum tolerierten Spektrum wie nach links hin der gemäßigte SPD-Politiker Radbruch; letzterer formulierte in dem Sammelwerk das vielzitierte Urteil zur Ideologie der „Überparteilichkeit“ als einer „Lebenslüge des Obrigkeitsstaates“ (Bd. 1, S. 289). Andererseits zeigte der Verzicht auf Beiträge der antipositivistischen Strömung (jüngerer Gelehrter wie Heller und Leibholz oder etablierter wie Kaufmann oder Smend), daß Schmitt vor Erscheinen seiner Streitschrift „Legalität und Legitimität“ noch kaum als exponierter Positivismusgegner eingestuft wurde.
Wie Anschütz war auch Thoma von einem nationalliberalen Standpunkt im Kaiserreich zur Weimarer DDP gelangt und rechtfertigte demokratische Grundsätze zunächst primär als „nationalpolitische“ Aufgabe und „das wahrhaft konservative Prinzip unserer Tage“ Schon 1926 antwortete er auf Schmitts Parlamentarismuskritik und interpretierte dessen Unbehagen an dem „zerstörenden Pluralismus“ als möglicherweise geleitet von der Perspektive, „ein Bündnis des nationalen Diktators mit der katholischen Kirche könne die eigentliche Lösung und die endgültige Wiederherstellung von Ordnung, Disziplin und Hierarchie bewirken“ Für das erwähnte staatsrechtliche „Handbuch“ bekannte sich Thoma zur „Liberaldemokratie“ (Bd. 1, S. 199) und formulierte zu deren gewaltenteiliger Organisation andere Prioritären als Schmitt: „So werden die Gefahren des Pluralismus und der Lähmung der Staatsgewalt in Kauf genommen, um den Gefahren des Monismus und seiner Entartung zum Despotismus zu entgehen“ (Bd. 2, S. 112). Gegenüber dem noch im Vorkriegssinne „bürgerlichen“ Anschütz war bei Thoma ein in die Gesellschaftspolitik hineinragendes Demokratieverständnis zu verzeichnen, das auch die Begegnung mit Gedanken Hellers nicht scheute: „Demokratisierung ist der Name für das welthistorisch epochemachende Wagnis der abendländischen Zivilisation, die handarbeitenden Klassen trotz oder wegen ihrer gewachsenen, ja vielleicht alle andern Klassen und Gruppen überwachsenden Zahl zu gleichem Rechte in den Staat hineinzunehmen. Es ist der Versuch, die ordnende Herrschergewalt aus einem Herrn und Bändiger über einer interessengespaltenen Gesellschaft zum Geschöpf und Diener einer irgendwie im Grunde doch als interessensolidarisch begriffenen Nation zu machen“ (Bd. 1, S. 189). Das letzthin national-demokratische Einheitsdenken blieb noch eine Barriere zu pluralistischen Staatsauffassungen, die auch Heller recht abfällig zum „Demoliberalismus angloamerikanischer Prägung“ stempeln wollte
Kelsen und Preuß -als demokratische Verfassungsautoren unbequem?
Ein breites Spektrum akademischer Schulenbildungen -mit Bezugsautoren von Schmitt und Smend bis zu Heller -verbindet das Klischeebild, daß Staatsrechtspositivismus überlebtes Erbe des Liberalismus aus dem 19. Jahrhundert sei. Dieser Legende hätte schon die nähere Beschäftigung mit demjenigen Fachvertreter Vorbeugen können, auf dessen Textentwurf die Weimarer Verfassungsordnung zurückgeht: Hugo Preuß war gewiß ein „in der Wolle gefärbter“ Gesinnungs-und Verfassungsliberaler, gegenüber dem kaiserlichen „Obrigkeitsstaat“ stets ein Anhänger des Über-gangs zum parlamentarischen System. Deshalb übergab ihm die im November 1918 an die Regierungsmacht gelangte Sozialdemokratie die Verfassungsredaktion Als sich unter Mitwirkung des weltbekannten Chefredakteurs Theodor Wolff im „Berliner Tageblatt“ der Aufruf zur Gründung einer „Demokratischen Partei“ (der entstehenden DDP) fand, gehörte zum engsten Gründerkreis auch Preuß. Auf die politische Tätigkeit hatte sich Preuß zunehmend konzentriert, weil ihm ein universitärer Lehrstuhl trotz Respekt selbst bei konservativen Fachkollegen „gesinnungspolizeilich“ versagt blieb Mit seiner gedankenreichen Habilitationsschrift zur „genossenschaftlichen“ Staats-theorie und einem Buch noch größeren Umfangs zum preußischen Kommunalverwaltungsrecht hat er Werke hinterlassen, deren akademisches Niveau von mehr essayistischen bzw. lehrbuchartigen Darstellungen vieler Weimarer Autoren keinesfalls übertroffen wurde.
Die naheliegende Erklärung, daß solche wissenschaftlichen Anfänge schlicht in Vergessenheit geraten waren, vermag nicht zu überzeugen. Immerhin hat Anschütz nach dem Tod von Preuß (1925) aus dem Nachlaß die fertiggestellten Teile eines stärker ursprüngliche Motive beleuchtenden Verfassungskommentars zum Druck gebracht- ohne daß seither die positive Berufung auf ihn zugenommen hätte. Offensichtlich war Preuß nicht in das Debattenschema einzufügen, indem er als Kritiker des kaiserzeitlichen Rechtspositivismus hervorgetreten war, jedoch für den geistigen „Frontenverlauf“ unter den Weimarer Staatsrechtlern von „falscher“ Seite attackiert hatte: In der Sicht von Preuß blieb ein „bezeichnendes Symptom“ für den „Sieg des staatsrechtlichen Positivismus“, wenn Fachkollegen „die Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre aus den Reden Bismarcks destillieren“ wollten Diese Kritik mußte Anschütz treffen, der 1899 in seiner Antrittsvorlesung solche akademischen Kniefälle vor dem verstorbenen Reichskanzler ernstlich als Zeugnis betrachtete, „wie sich aus Bismarcks Reden und politischen Schriftstücken das in sich geschlossene System einer allgemeinen Staatslehre zusammenstellen läßt“ Im Kontrast dazu wollte aber Preuß den Namen des antidemokratischen Reichskanzlers „nur in eminent negativem Sinne“ mit der Staatsrechtslehre verknüpfen, denn einer äußeren und inneren Machtfixiertheit „der Herrschaft seiner Realpolitik'entspricht die Herrschaft des staatsrechtlichen Positivismus“
Wie aus eigener demokratischer Sicht eine nationalliberale Staatslehre des Bismarckreiches fachlich-politisch einzuordnen war, hat Preuß im Hinblick auf den Preußen-Kommentar von Anschütz differenzierend vermerkt: „Bei uns wird man seine Anschauung als liberal bezeichnen dürfen; in anderen Verfassungsstaaten wäre sie gut konservativ.“ Immerhin bekannte sich Anschütz rückblickend offen dazu, mit diesem Werk „nicht nur rein rechtswissenschaftliche, sondern auch politische Zwecke und Ziele“ verfolgt zu haben. Dabei setzte er den eigenen „gemäßigt liberalen“ Standpunkt von jedem „radikalen (linksliberalen, demokratischen, sozialistischen)“ ab und betonte die übergeordnete „Leidenschaftlichkeit meiner nationalen Gesinnung“ Diese Selbstzeugnisse und gegenseitigen Einschätzungen sind einem zu Weimarer Zeiten konturenlos verfließenden Klischeebild „des Liberalismus“ entgegenzuhalten: Gemessen an der für Preuß urteilsprägenden politischen Kultur westlicher Demokratien war ein deutscher Nationalliberaler wie Anschütz nur „gut konservativ“, d. h. weder fortschrittlich noch reaktionär, sondern Vertreter eines fortzuschreibenden Status quo. Umgekehrt war Preuß aus dergestalt „gemäßigtem“ Blickwinkel von Anschütz zu „radikal“, und zwar als demokratischer Sozialliberaler noch über den gewöhnlichen Linksliberalismus hinausgehend. Ohne damit politische Feinde zu sein, hatten Vertreter solcher Pösitionen zumindest wechselseitig nicht die richtigen Freunde: Aus demokratischer Sicht waren Nationalliberale die Verbündeten der Konservativen, in nationalliberaler Perspektive irritierte umgekehrt sozialliberale Nachbarschaft zu Reformsozialisten.
Die Mitgliedschaft in der Weimarer DDP überdeckte also nur äußerlich die Herkunft beider „liberalen“ Staatsrechtler aus gegenläufigen Richtungen. Noch mehr als der erhebliche Abstand auf einer Links-rechts-Skala trennte Preuß von Anschütz die konträre Haltung zum Bismarck-reich. An die Stelle des obrigkeitlichen Fürsten-bundes eine demokratische Ordnung des „selbstorganisierenden Staatsvolkes“ zu setzen, rückte Preuß in seiner Verfassungsdenkschrift in den Mittelpunkt eines Neubeginns: „Der neue Bau des Deutschen Reiches muß also ganz bewußt auf den Boden gestellt werden, den Bismarck bei seiner Reichsgründung ganz bewußt nicht betreten hat.“ Im Gegensatz zu Anschütz betonte Preuß mit gleichem Nachdruck gerade nicht Kontinuitätselemente zur Vorkriegsordnung, sondern den vollzogenen Bruch mit der Vergangenheit: „Die Reichsverfassung der Deutschen Republik vom 11. August 1919 ist der staatsrechtliche Niederschlag der Revolution vom 9. November 1918.“ Mit dieser Grundhaltung blieb Preuß noch als Verfassungsautor für die nationalliberale Haupt-strömung des Weimarer Positivismus letztlich ein unbequemer Außenseiter: mangels prominenter Sozialisten zunächst „wohl der am weitesten links gerichtete Staatsrechtslehrer des damaligen Deutschlands“. In diesem Sinne wurde ihm von Walter Jellinek -nach Anschütz und Thoma eine dritte Fachautorität -die „unverhohlen zum Ausdruck gebrachte Abneigung gegen Bismarcks Werk“ noch im Staatsrechts-Handbuch angekreidet: „Der Entwurf Preuß hat Gedanken aus der Verfassung der Paulskirche, aus England, aus Amerika, aus der Schweiz und aus Frankreich übernommen. . . Von Bismarcks Reichsverfassung hat Preuß absichtlich wenig in den Entwurf hinein-verarbeitet.“ Das Bekenntnis zur Revolution von 1918/19 als der Vollendung jener von 1848/49 und der Anschluß an das Verfassungsdenken der westlichen Demokratien zielte auf den Ausbruch aus deutschen „Sonderwegen“. Zugleich griff Preuß schon 1919 weit über den traditionellen Liberalismus hinaus, so daß Konzepte eines demokratischen und sozialen Rechtsstaats nicht allein von Heller ausgingen: „Der demokratische Rechtsstaat darf sich nicht und kann sich nicht damit genügen lassen, nur eine formale Rechtsgleichheit herzustellen, sondern er muß das formal demokratische Recht mit sozialem Geiste erfüllen.“ Die so verstandene Tendenz zu „Freiheit“, „Gerechtigkeit“, „Frieden“ und „Fortschritt“ -wie die nicht etwa „indifferente“ Weimarer Verfassung in der Präambel ihre Leitwerte formulierte -zu bremsen, daran war auch die etablierte „liberale“ Staatsrechtslehre im Verein mit konservativen Autoren beteiligt.
Auf einen verfassungspolitischen Kern des Weimarer Richtungsstreites, der von ideologieträchtigen „Positivismus = Liberalismus“ -Thesen mehr verhüllt wurde, verweist auch eine von gegnerischen Zerrbildern entlastete Beschäftigung mit Kelsen. Dieser war als österreichischer Verfassungsautor das Wiener Gegenstück zu Preuß: gleichfalls jüdischer Herkunft, sozialliberaler Demokrat und nach der Revolution von einer sozialdemokratisch geführten Regierung mit der fachlichen Betreuung des Prozesses der Verfassungsgebung beauftragt. Indem Kelsen als rechtswissenschaftlicher Positivist bezeichnet werden kann, bei Preuß aber ein nichtpositivistischer Standpunkt anzutreffen ist, hatte deren fachmethodisch bzw. philosophisch unterschiedlicher Zugang offenbar nur wenig Einfluß auf ihre verfassungsdemokratischen Beiträge. Als 1925 Verstorbenem war Preuß (Jg. 1860, d. h. als einziger genannter Autor schon Zeitgenosse der Bismarckära) die Teilnahme an den großen Weimarer Staatsrechtsdebatten versagt; zufällig genau in seinem Todesjahr erschien aber Kelsens „Staatslehre“ die nach eindeutigen Bekenntnissen seiner Kontrahenten erst den Anstoß zum offenen Richtungsstreit gab. Nicht allein Smend polemisierte heftig gegen den „Nullpunkt von Kelsens Allgemeiner Staatslehre von 1925“ Ebenso darf Schmitts „Verfassungslehre“ (1928) als Gegenentwurf zu Kelsen gelesen werden, und auch Heller klagte -nicht ohne Bezugnahme auf „die glänzende Kritik des Kelsenschen Souveräni tätsbegriffs bei C. Schmitt“ -über eine „Staatslehre ohne Staat“
Tatsächlich hatte Kelsen schon 1923 in einem ideologiekritischen Beitrag zum Befremden sämtlicher Vertreter politischer Theologien nicht allein dargelegt, wie sehr das überkommene Staatsverständnis analog zum „Begriff Gottes“ lediglich ein „Denkbehelf“ sein konnte; wem der naive Glaube an eine Realsubstanz solcher Kategorien fehlt, für den resultierte dann wirklich „eine Staatslehre -ohne Staat“, die erst den Schritt „aus dem Niveau der Theologie in die Linie der modernen Wissenschaft bedeutete“. Zur Erläuterung dieser These gab Kelsen zu bedenken, daß z. B. auch nur der Abschied vom „Begriff der Seele in der alten Psychologie“ diese Wissenschaft vom Menschen aus theologischer Erblast befreit hatte, weil nämlich jede „moderne Wissenschaft alle Substanz in Funktion aufzulösen strebt“ Als Gelehrter, der sich geistige Nahrung auch vom Baume der Erkenntnis moderner Relativitätstheorie genommen hatte, maß Kelsen der Bereinigung von allem staatstheologischen Ballast sogar verfassungspolitischen Stellenwert bei: „Der metaphysisch-absolutistischen Weltanschauung ist eine autokratische, der kritisch-relativistischen die demokratische Haltung zugeordnet“ denn jeder verabsolutierte Wahrheitsanspruch konnte sich letztlich Mehrheitsentscheiden verschließen. Entgegen dem Vorurteil, daß seine Abkehr von allen quasi-theologischen Substanzbegriffen in hochabstraktem und inhaltsleerem Formalismus münde, gelangte Kelsens „Staatslehre“ durchaus zu klaren Aussagen: Im Gegensatz zu Schmitts Verfallstheorie war z. B. für ihn „der objektive Sinn des kontradiktorischdialektischen Verfahrens des Parlamentarismus keineswegs die Erreichung einer -stets unerreichbaren -absoluten Wahrheit, eines absolut richtigen staatlichen Willens“, sondern letztlich der „politische Kompromiß“. Diesen wiederum bezog er auf die „tatsächlichen sozialen Machtverhältnisse“, und so war ihm seinerzeit „die parlamentarisch-demokratische Staatsform mit ihrem eine wesentliche Zweigliederung konstituierenden Majoritäts-Minoritätsprinzip der , wahre‘ Ausdruck der heutigen wesentlich in zwei Klassen gespaltenen Gesellschaft“
Den verbreiteten Mißverständnissen seiner Lehre hielt Kelsen entgegen, „daß sich der kritische Positivist durchaus bewußt bleibt, wie sehr der Inhalt der von ihm zu erfassenden rechtlichen Ordnung selbst nur das Ergebnis politischer Bestrebungen ist“ Daß seine kritische Grundeinstellung nicht allein die Erkenntnishaltung meinte, beleuchten Stichworte im Staatsrechtshandbuch zum Vergleich mit Weimarer Richtungskämpfen: „Jede Verfassung ist der Ausdruck eines politischen Kräfteverhältnisses. Die österreichische Verfassung zeigt das deutliche Übergewicht der an einer demokratischen Staatsform interessierten Gruppen, vor allem der sozialistisch orientierten Arbeiterschaft“, und so ertöne „von bürgerlicher Seite der Ruf nach einer Änderung der Verfassung“ zugunsten einer „Verstärkung der Präsidialgewalt und Einschränkung oder Ersetzung des demokratisch-parlamentarischen durch ein berufsständisches System“ Gegen Theoretiker des Ausnahmezustandes (wie Schmitt) und die Überhöhung staatlicher Ordnungsmacht (z. B. auch bei Smend) wußte Kelsen frühzeitig pointierte Ideologiekritik aufzubieten: „Hinter der treuherzigen Versicherung, daß der Staat , leben'müsse, verbirgt sich meist nur der rücksichtslose Wille, daß der Staat so leben müsse, wie es diejenigen für richtig halten, die sich der Rechtfertigung des , Staatsnotrechts'bedienen.“ Selbst Heller mußte sich vom kosmopolitischen Humanisten Kelsen fragen lassen, ob die Berufung auf eine -„ach, so romantische -, Lebensgefährlichkeit des Lebens“ nicht von Befangenheit in antirationalistischer Mentalität einer Kriegsgeneration zeuge -und damit ein pseudolinkes Gegenstück zum jungkonservativen Nationalismus darstelle.
Verfassungskritik in der Endkrise von Weimar: Fraenkel und Kirchheimer
Gegenüber Autoren, die in der Weimarer Republik als Professoren etabliert waren, konnten Ernst Fraenkel und Otto Kirchheimer nicht als unmittelbar Beteiligte an Kontroversen der Staatsrechts-lehre gelten. Mit seiner Herkunft aus der akademischen Schule des Arbeitsrechtlers Hugo Sinzheimer und besonders aufgrund seiner Berufs-tätigkeit in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit und als Syndikus des Metallarbeiterverbandes stand Fraenkel mehr in Praxisbezügen, bevor er nach 1933 die erzwungene Muße für eine Gesamt analyse des NS-„Doppelstaats“ fand. Allerdings ist erwähnenswert, daß Fraenkel in seiner 1927 erschienenen Studie „Zur Soziologie der Klassen-justiz“ zugunsten „einer formalistischen Methode der Rechtsprechung“ plädierte und den Vorrang demokratischer Willensbildung interessengebunden begründeter „Unter der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Situation hat das Proletariat eher Einfluß auf die Entstehung der Gesetze durch das Parlament als auf die Auslegung durch die Justiz.“ In Kirchheimers Dissertation aus dem Jahre 1928 wurde analog zur Theorie des Austromarxismus unter den „Existenzvoraussetzungen der formalen Demokratie“ ein „annäherndes Gleichgewicht der sich bekämpfenden Klassen“ genannt Nicht allein die Anfertigung dieser Studie bei Schmitt hat diesen jüngsten (geb. 1905) der betrachteten Autoren zuweilen in den Verdacht eines „linken Schmittianismus“ geraten lassen. Ebenso galt dies für eine Kirchheimers meistzitierter Arbeit „Weimar -und was dann?“ zu entnehmende Diagnose, daß 1919 eine „Verfassung ohne Entscheidung“ entstand, weil kein wirklicher „Kompromiß“ zustande kam, sondern unvereinbare Standpunkte „nebeneinandergestellt“ in den Text gerieten Die Interpretation der Weimarer Schriften Fraenkels ist hingegen durch seine Position als führender Vertreter einer „neopluralistischen“ Staatslehre in der bundesdeutschen Politikwissenschaft überlagert worden
Eine Lektüre der zu Beginn der dreißiger Jahre publizierten Verfassungsanalysen von Fraenkel und Kirchheimer kann jedoch im Rückbezug auf die Weimarer Staatsrechtsdebatte andere Profil-skizzen ergeben: So betrachtete der „linke“ Kirchheimer mit prinzipieller Kritik an Schmitt in „der Weise, wie dies Kelsen ausgeführt hat, . Mehrheit entscheidet als institutionelle Garantie eines größeren Freiheitsmaßes, als es ein anderer Abstimmungsmodus ergeben würde“; im Hinblick auf die „Gleichzeitigkeit von politischem und sozialem Freiheits-und Gleichheitspostulat“ wußte er -statt wie sein ^Lehrmeister“ antiliberal zu polemisieren -gedanklich zu differenzieren: „Sowohl der Liberalismus als auch der Sozialismus nennt es sein eigen.“ Folgerichtig berief sich Kirchheimer gegen „die Behauptung Carl Schmitts von der Unmöglichkeit der Demokratie in einer heterogenen Gesellschaft“ in damals höchst seltener Authentizität auf die „Äußerung von Hugo Preuß im Verfassungsausschuß der Nationalversammlung“ mit folgendem Inhalt: „Bei uns herrscht eben nicht eine in sich einheitliche Richtung, sondern das Zusammenwirken verschiedener Richtungen, die aus ihren sonst auseinandergehenden Zielen einen Komplex herausnehmen können, der eine Verbindung ermöglicht.“ *Diesem Verständnis eines Pluralismus, der nicht konfliktscheu im voraus einen Minimalkonsens festschreiben wollte, sondern in voller Anerkennung von Weltanschauungs-und Interessengegensätzen nach aktiver Gestaltung einer Schnittmenge einstweiliger Kompromisse strebte, hat sich Kirchheimer auf dem Boden der Weimarer Verfassung trotz sozialistischer Fernziele keineswegs verschlossen.
Hingegen fand sich beim „gemäßigteren“ Fraenkel, der später Intentionen des Verfassungsautors mit der Behauptung verzeichnete: „Im echten Parlamentarismus Preußscher Observanz ist der Parlamentarier nicht Volksrepräsentant, sondern Volksbote“, weil Preuß den „plebiszitären Typ der Demokratie“ favorisiere teilweise mehr Formähnlichkeit (mit Wertungsdifferenz) zu Schmittschen Thesen: In der Ablösung von der „absolutistischen Demokratie, wie sie Rousseau vorgeschwebt hat“, entspreche der „liberale Staat des 19. Jahrhunderts“ einer „relativistischen Grundstimmung dieser Zeitperiode“, woraufhin „Hans Kelsen den Relativismus als die Gesinnung der Demokratie gekennzeichnet“ habe und dabei im Individualismus verharre: „Wie sich der einzelne entscheidet, beruht nach der Theorie der relativistischen Demokratie auf seinem freien Entschluß, nicht aber auf vorgegebenen sozialen Tatbeständen.“ Ein solches -auch Schmitt leitendes -Klischeebild eines 19. Jahrhundert-Liberalismus verriet (beim Praktiker Fraenkel verzeihlichere) Unkenntnis der Positionen von Kelsen: Diesem kam es im Blick auf demokratietragenden Wertrelativismus eben „nicht auf die unendliche Vielzahl literatenhaft konstruierter Weltanschauungen an, sondern nur auf jene Wertsysteme, die von soziologischen Verbundenheiten wirklich gelebt werden, und das ist eine verhältnismäßig geringe Zahl, die sich etwa um den Grundkern der rationalistischen, sich demokratisch oder liberal ausprägenden Gruppe, der sozialistisch-marxistischen und der christlich-konservativen Gruppe schichten läßt“ Wie die Positivismuskritik von Preuß nur in Frontstellung zum Obrigkeitssystem bis 1918 zu verstehen ist, wäre Kelsen ohne die Polarisierung der österreichischen Republik zwischen Politischem Katholizismus (unter Prälat Seipel mit der längsten Kanzlerschaft) und „von der Wiege bis zur Bahre“ gegenkulturell massenorganisiertem Austromarxismus der zwanziger Jahre nicht angemessen zu begreifen.
In der Verfassungsanalyse bezog sich Fraenkel wiederum auf Diagnosen von Schmitt zum Organisation-und Grundrechtsteil, wollte anstelle innerer Unverträglichkeit jedoch eine Verknüpfung sehen: „Während die Weimarer Verfassung in ihrem ersten Teil durch Errichtung der dialektischen Demokratie den politischen Kräften die Möglichkeit zum offenen Austragen ihrer Gegensätzlichkeiten eröffnete, sollte sich der zweite Teil der Verfassung, der fälschlich als Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen bezeichnet ist, als das Gebiet erweisen, das dem politischen Kampf, wenn auch nicht entzogen, so doch entrückt ist. Das Reichsgericht hat diesen Teil der Verfassung einmal als Heiligtum des deutschen Volkes bezeichnet, die Grundgedanken des zweiten Teils sollten den sozialen Kitt darstellen, der die widerstrebenden politischen Kräfte zusammenhält.“ In solchem Vertrauen auf mögliche Integrationskraft einer Wertordnung stand Fraenkcl (selbst jüdischer Herkunft) den Beiträgen des evangelischen Pfarrers und vormals „nationalsozialen“ DDP-Politikers Friedrich Naumann aus dem Jahre 1919 näher als dem entschieden antimetaphysischen Denken von Kelsen bzw. Preuß. Letzterer wollte sich ursprünglich auf wenige fundamentale Gleichheits-und Freiheitsrechte beschränken, denn Glaubensgehalte und Standesideologien erschienen im Staatsgrundgesetz als Fremdkörper. Statt dessen mußte in den Parlaments-und Regierungsinstitutionen selbst die politische Einheit aus gesellschaftlicher Vielfalt jener „Zwischenbildungen“ wie Parteien und Verbände organisiert werden, die Preuß mit (Fraenkel vorausgreifender) Rousseau-Kritik als notwendige Bindeglieder von den einzelnen zur Gesamtheit betrachtete
Gewiß wollte Fraenkel entgegen dem Titel eines Beitrags nicht einfach „Abschied von Weimar?“ nehmen, denn gerade „die politischen Freiheitsrechte sind die Luft, in der wir atmen, um uns als Arbeiterbewegung im kapitalistischen Raum betätigen zu können“ Durchaus nicht mit vordergründigen Zuordnungen verträgliche Standpunkte traten aber in den wichtigsten überlieferten Kontroversen zwischen Fraenkel und Kirchheimer angesichts der zugespitzten Verfassungskrise 1932 zutage. So wollte Fraenkel mit Verfassungsänderungen die bestehenden Regierungen nach Art des späteren konstruktiven Mißtrauensvotums von bloßen Negativkoalitionen abschirmen, zugleich aber dem Reichspräsidenten das Recht zur Anrufung eines Volksentscheids gegen den von Extremgruppen gelähmten Reichstag geben In der Kritik von Kirchheimer bedeuteten „die Fraenkelschen Vorschläge zur Verfassungsänderung lediglich eine Legalisierung der gegenwärtigen Herrschaftsverteilung“, so daß er die ursprüngliche Legalitätsbasis verteidigte: „Man wird deshalb schwerlich der Sozialdemokratie Verfassungskonservativismus vorwerfen können, wenn sie gegenüber Änderungsvorschlägen, die lediglich eine ihr ungünstigere Herrschaftsverteilung sanktionieren wollen, an der Weimarer Ordnung festhält.“ Unabhängig von etwaiger situationsbezogener Folgerichtigkeit war aus diesen verfassungspolitischen Stellungnahmen die Gegenüberstellung eines mehr „revolutionären“ Kirchheimer zum stärker „reformistischen“ Fraenkel nicht herzuleiten.
In einer 1930 publizierten Fachstudie hatte Kirchheimer sogar eine Auffassung gleich der sog. Versteinerungstheorie der Kelsen-Schule vertreten: „Solange die Weimarer Verfassung besteht, muß ihr Wille, der allerdings durch die Verhältnisse des Jahres 1919 maßgebend beeinflußt ist, die Auslegung bestimmen.“ Neben methodischer Orientierung an dem Grundsatz, daß wesentlich geänderte Rahmenbedingungen sich dann eben unzweideutig im Wandel der Gesetzgebung und nötigenfalls auch des Verfassungswortlauts niederschlagen mußten, zielte solche Lehrmeinung politisch gegen die schleichende Aushöhlung des reformoffenen Ursprungskonzepts durch Richterrecht: „Wir sind in Deutschland dabei angelangt, alle erworbenen Rechte wahllos und ohne Beziehung zu den Notwendigkeiten und Bedürfnissen der Gegenwart mit einer unverbrüchlichen Sanktion, mit einem Panzer gegen den Gesetzgeber auszustatten. Diese Entwicklung hat die Weimarer Verfassung nicht gewollt und mindestens nicht bewußt gefördert.“ Den Vorrang demokratischer Gesetzgebung hatte schon Kelsen gegen überpositiven Privilegien-schutz bekräftigt: „In dieser Tendenz der Erhaltung wirtschaftlicher Macht einer besitzenden Klasse liegt der politische Sinn des durchaus natur-rechtlichen Dogmas von der Pflicht des Staates zur Respektierung wohlerworbener Rechte.“ Tatsächlich zielten die modernen „Liberalen“ Kelsen und Preuß bereits auf einen sozialen und demokratischen Rechtsstaat und folgte ein „marxistischer Linkssozialist“ wie Kirchheimer, wenn er „die persönliche Freiheit des Individuums als einen unvergänglichen Bestandteil unserer europäischen Kulturordnung“ verteidigen wollte, noch stärker einer klassischen „liberalen“ Verfassungstradition, als es Vertreter konservativer Staatslehren und ihre akademischen Schulen zur Kenntnis nahmen.
Fazit: Das gesamte Spektrum der Weimarer Staatsrechtslehre war „politisch“
Der Selbstinszenierung einer Gruppe von „Erneuerern“ gegen einen angeblich profilschwach-liberalistisch dahinsiechenden, aber machtvollen Positivismus hafteten eigentümliche Verspätungen selbst gegenüber der kaiserzeitlichen Blüte dieser Staatsrechtstradition an. Der polemische Hochmut selbst noch im Spätwerk Hellers gegen eine positivistische Ahnenreihe der „Unpolitiker Gerber, Laband, Jellinek und Kelsen“ verweigerte sich -mit teilweise metaphysisch überfrachtetem Politikbegriff -den konkreten Tatsachen: daß Gerber als sächsischer Kultusminister tätig war und auch Laband als Mitglied der Ersten Kammer des hochgradig politisierten „Grenzlandes“ Elsaß-Lothringen was ersichtlich seine bismarcktreue Staatsrechtslehre inspirierte; schließlich amtierte Kelsen als führender Kopf des von ihm konzipierten österreichischen Verfassungsgerichts, dem er (ganz „un-positivistisch“ gesinnungsfest!) seine Dienste verweigerte, nachdem 1929 eine konservative „Umpolitisierung“ mittels außerparlamentarischen Drucks von Wehrverbänden in die Wege geleitet wurde Nur Georg Jellinek (der Vater Walter Jellineks) als klassischer Gelehrtentypus -und juristisches Alter ego Max Webers -politisierte einzig in publizistischer Form. Dies unterschied ihn aber nicht grundlegend von Smend, Leibholz, Heller und Schmitt, sondern lediglich von Preuß als nunmehr hauptberuflichem Politiker und allenfalls noch von Kaufmanns nebenberuflicher Politikberatung (die er nach den NS-Emigrationsjahren auch in der Bundesrepublik wahrnahm
Für die Vorkriegszeit traf die Positivismuskritik von Preuß, die sich an bloßer Status quo-Orientierung festmachte, einen Kerngehalt des Richtungsstreites. Denn selbst ein herausragender Fachvertreter wie Georg Jellinek, dessen „Allgemeine Staatslehre“ ein imposantes Wissen dokumentierte, blieb noch im obrigkeitlichen Staatsdenken befangen und zeigte sogar den Vorgriff auf eine (überaus „zeitgeistige“) Schmittsche Verfallstheorie: „Fortschreitende Demokratisierung der Gesellschaft hat aber überall ein Sinken des Niveaus der Parlamente zur Folge gehabt“, während er „die persönliche Stellung monarchischer und republikanischer Staatsoberhäupter in der Gegenwart im Aufwärtssteigen begriffen“ sah. Im Ergebnis dieser gegenläufigen Entwicklung zeichnete sich für Jellinek ab, „daß über die Parlamente, über diese in so vielen Staaten künstlichen Schöpfungen der neuesten Zeit hinweg, die beiden einzigen unzerstörbaren natürlichen Mächte des Staates: Regierung und Volk, einander unmittel-bar gegenüberzustehen beginnen- Dies konnte letztlich auf jenes „plebiszitäre Führertum“ hinauslaufen. das auch bei Max Weber als politisches Leitbild erkannt worden ist -und Grenzen des Demokratiebegriffs bei „Neu-Rechten“ wie Schmitt (und z. T. Leibholz) markierte, die nicht dem Kaiserreich verhaftet geblieben waren.
Darüber hinaus nannte Anschütz im Kommentar-werk den Wortlaut des Weimarer Verfassungsartikels 148, der aus Kriegserfahrungen den Auftrag für das Bildungswesen enthielt, „für Völkerversöhnung zu wirken, einen Gewissenszwang gegen jeden, der sein Deutschtum hochhält“ Noch 1945 beklagte Anschütz „das Schicksal unseres unglücklichen, unterjochten, geknechteten Vater-landes“ und interessierte sich weniger für die Chancen eines Neubeginns: „Daß die Niederlage uns zugleich von der Barbarei der Hitler-Herrschaft befreit hat, ist für viele Leute ein Trost -für mich nicht.“ Über die Weimarer Periode hinweg blieb so dieser mehr von „Staatsräson“ als vom Staatsbürgertum ausgehende Machtpositivismus noch im Banne einer nationalliberalen Doktrin „Einheit vor Freiheit“. Solche Traditionsbestände hatten nichts gemein mit dem kritischen Positivismus eines Kelsen, den wissenschaftliche Autonomie gegenüber Ideologien der „Staatssouveränität“ auch zum Vorrang des Völkerrechts vor dem der Einzelnationen führte
Neben unzulässiger Gleichsetzung mit (welchem?!) „Liberalismus“ erweist sich die, von allen „politischen Theologen“ überbewertete Positivismus-Thematik in den Resultaten des Weimarer Verfassungsdenkens als eher zweitrangiger Aspekt. Das Kernproblem war für den Verfassungsautor Preuß, wie er zugleich als Parlamentarier zu bedenken gab, darin zu suchen, daß „insonderheit die Lehre der neuen Dinge, sagen wir z. B.des neuen Staatsrechts, doch zum großen Teil an preußischen Universitäten in Händen von Männern liegt, die, ich will mich sehr vorsichtig ausdrücken, nicht mit Leib und Seele in diesem neuen Staatsrecht leben“ In der Vorkriegsära hatten konservative Staatslehren die Kritiker des Bestehenden gern mit dem Vorwurf einseitiger Parteinahme überzogen. „Diese Praxis scheint noch zu bestehen, nur in der Inversion: objektiv-wissenschaftlich sei alles, was in Opposition zur gegenwärtigen Regierung und zum gegenwärtigen Staatssystem steht, politisch-subjektiv alles, was die jetzige Ordnung der Dinge stützen will.“ Die offene Gegnerschaft zum bestehenden Herrschaftssystem, die zuvor Preuß als linksbürgerlicher Anhänger der Parlamentarisierung im Kaiserreich bekundet und mit akademischem „Karriereschaden“ bezahlt hatte, kollidierte aber gemäßigt rechts von (und damals auch in) der politichen Mitte mit einem Ordnungsdenken, das mehr staatszentriert als verfassungsprofiliert war.
Wie Preuß dem Herrschaftspositivismus des Kaiserreichs hat Kelsen, der politische Gehalte nicht aus dem Staatsrecht verbannen, aber von wissenschaftlicher Erkenntnis deutlicher unterscheiden wollte dem Weimarer Antipositivismus die ideologiekritische Sonde angelegt. In solcher Urteilsperspektive war es zugleich eine Art von Verhüllungsjargon und nicht allein Manifestation „überpositiver“ Glaubensbekenntnisse, wenn Staatsrechtler vieldeutig mit „dem Politischen“ und nicht mit spezifischen Zielen ihrer Verfassungspolitik argumentierten. Umgekehrt konnten Status quo-Positivisten wie Anschütz sich mühelos wiederum als „Kronjuristen“ nunmehr der Weimarer Demokratie präsentieren, indem sie diese zur Fortsetzung des Bismarckstaates mit lediglich volksnäheren Mitteln umdeuteten. In dieser aus Umbruchssituation und Krisenlage motivierten Politisierung -bis hin zur weltanschaulichen Überfrachtung fachinterner Methodenfragen -unterscheidet sich die Weimarer Grundsatzdebatte wesentlich von Perioden ausgeprägter Stabilität der politischen Rahmenbedingungen. Ohne hinreichendes Bewußtsein dieser historisch-politischen Zäsuren des 20. Jahrhunderts blieb deshalb bei vielen Autoren, die noch die Machtordnung des Bismarckreiches gewohnt waren bzw. auf festgefügtem Boden des Bonner Grundgesetzes auf Weimar zurückblickten, das Verständnis des Richtungsstreits in der Staatsrechtslehre ebenso umstritten wie anfällig für Legendenbildung.