I. Einführung
1980 schrieb der PolitikWissenschaftler Kurt Sontheimer, es sei „auffallend, daß der Bereich der lokalen Selbstverwaltung im Gesamtbild der deutschen Politik nur schwach erkennbar“ sei; der „in Deutschland schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts propagierte Gedanke der gemeindlichen Selbstverwaltung als Mittel zur Partizipation des Bürgers an den öffentlichen Angelegenheiten ist mehr Ideologie geblieben als lebendige Praxis geworden“ Vergegenwärtigt man sich neben diesem Befund noch die weitgeteilte Einschätzung der deutschen Bevölkerung als „politikverdrossen“ dann könnte man die Fragestellung meines Aufsatzes als wirklichkeitsfremd, wenn nicht sogar als konfliktschürend bezeichnen. Denn hört man in die Kommunen hinein, trifft man oft auf folgende oder ähnliche Aussagen: -„Die Bürger in unserer Stadt wollen sich doch gar nicht ernsthaft beteiligen.“
-„Was an Beteiligungsmöglichkeiten hier angeboten wird, reicht allemal aus.“
-„Weitergehende Partizipationschancen führen nur zu zusätzlichen Ansprüchen, die wir bei dem engen Finanzrahmen gar nicht erfüllen können.“
-„Wir sind, wie es das Grundgesetz schon sagt, eine , örtliche Gemeinschaft; zusätzliche Ansprüche vergrößern nur das Konfliktpotential.“ -„Das repräsentative System hat sich bewährt.
Neue plebiszitäre Verfahren stören nur und räumen zudem den wenigen Aktivisten die Chance ein, ihre eigennützigen Ziele zu Lasten des Gemeinwohls zu realisieren.“
-„Laßt uns deshalb auf solche neuen Modelle ruhig verzichten, zumal sie sicherlich auch nicht zum Nulltarif zu haben sind.“
Man wird solche Äußerungen nicht einfach ignorieren dürfen, wenn man Aufgeschlossenheit für neue Beteiligungsmodelle bei jenen erreichen will, die in Kommunen politische Verantwortung tragen und die, sollten sie solche Modelle in ihrer Kommune einführen, ja vielleicht auch befürchten, ein Stück eigener Macht abgeben zu müssen.
II. Verfassungsrechtliche Grundlagen
Verfassungsrechtlich ist die Gemeinde recht eindeutig von den anderen politischen Ebenen der Bundesrepublik getrennt, nämlich den Ländern und dem Bund. Art. 8, 2 Grundgesetz (GG) räumt den Gemeinden eine grundsätzliche Freiheit „von staatlicher Ein-und Mitwirkung“ 2, das heißt von Bund und Ländern, ein. Gemeindliches Handeln ist dabei nicht von derselben Art wie das von Bund und Ländern, sondern es ist „dem Terrain der Exekutive zuzurechnen“ also der SelbstVerwaltung. Das Grundgesetz behandelt insoweit „die Kommunen nur als Untergliederungen der Länder, nicht aber als zusätzliche, staatliche oder auch bloß staatsähnliche, dritte Säule der Bundesrepublik“ Die ganz scharfe Trennung von „Staat“ und „kommunaler Selbstverwaltung“ die vordemokratischem Denken entspricht und leicht das Bild einer „unpolitischen“ kommunalen Ebene aufkommen läßt, war zwar noch in der Weimarer Verfassung (Art. 127) präsent, ist aber schon bei der Gründung der Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Demokratisierung des politischen Lebens bewußt aufgehoben worden; denn nun wurde „der kommunalen Ebene eine Schlüsselstellung beim Aufbau einer demokratischen Infrastruktur des gesamten politischen Systems zugewiesen“
Bereits 1957 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, daß die Arbeit in den Gemeindeparlamenten „im allgemeinen Bewußtsein als echte politische Tätigkeit gewertet“ werde Dabei wird bis heute immer wieder darauf verwiesen, daß in der Kommunalpolitik eher Sach-als Parteipolitik betrieben und dies auch von der Bevölkerung gutgeheißen werde Die „Allseitigkeit des Wirkungskreises und die selbstverantwortliche Regelung der örtlichen Angelegenheiten“ (nach Art. 28, 2 GG) gibt zwar den Kommunen ein originäres Tätigkeitsfeld und -recht, läßt aber insbesondere den Ländern Einwirkungsmöglichkeiten über Rechtsaufsicht und „begrenzende staatliche Regelungen“ offen, sofern ein gewisser „Kernbereich“ unangetastet bleibt; dieser ist aber nur schwer abzustecken Nun ist natürlich bedeutsam, daß die Finanzausstattung der Gemeinden Umfang und Intensität ihrer Tätigkeiten stark bestimmt. Für diese Ausstattung aber haben wiederum die Bundesländer die „Hauptverantwortung“
Wieweit heutzutage bei knapper werdenden öffentlichen Kassen einerseits die gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden für das öffentliche Wohl herausgestellt, andererseits die Abhängigkeit letzterer von den beiden ersten im Finanzbereich als geradezu unerträglich empfunden wird, hat der Deutsche Städte-und Gemeindebund erst jüngst wieder in scharfer Weise thematisiert: Die deutschen Städte und Gemeinden trügen gerne Verantwortung für die Bundesrepublik, gerade auch in schwierigen Zeiten. „Aber wenn schon Vertreter des Bundes und der Länder uns gegenüber das Bild eines gemeinsamen Bootes zeichnen, in dem Bund, Länder und Kommunen sitzen, dann darf es einfach nicht so sein, daß Bund und Länder die Kommandobrücke besetzen und wir Kommunen, insbesondere wir Städte und Gemeinden, im Maschinenraum arbeiten ... Wir wollen Partner sein! Wir wollen und werden aber keine Befehlsempfänger sein, keine bloßen Lastenträger!“
Dieser Konflikt überrascht nicht. Andererseits kann die Unbestimmtheit und Interpretationsbedürftigkeit der grundgesetzlichen Aussagen zu den kommunalen Aufgaben -vor dem Hintergrund eines Minimalkonsenses über „Kernbereiche“ -auch positiv bewertet werden; denn zu starre juristische Vorgaben könnten die Kommunen in ihrer Entwicklung hemmen.
III. Zukünftige Bedeutung der Kommunen
Die Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung sah das Bundesverfassungsgericht schon früh in der „Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angelegenheiten, die die in der örtlichen Gemeinschaft lebendigen Kräfte des Volkes zur eigenverantwortlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben der engeren Heimat zusammenschließt mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren“ Kein Zweifel -auch heute ist diese Interpretation noch gültig, wenngleich sie längst nicht mehr ausreicht. Die Entwicklungen auf nationaler und internationaler, auf politischer, ökonomischer, sozialer und kultureller Ebene, insbesondere seit dem Ende des Ost-West-Konflikts, haben auch vor unseren Städten und Kommunen nicht haltgemacht
Denn Städte sind eben nicht allein nach außen abgeschlossene räumliche Gebilde, vielmehr han-delt es sich um Verdichtungszonen zusammenlebender Menschen, die ihrerseits auch Beziehungen in alle möglichen weiteren sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Räume pflegen, regional, national und international Dies galt bereits für die meisten der mauerbewehrten Kommunen früherer Zeiten. Es gilt um so mehr für die heutigen Städte, vor allem für jene, die durch Urbanisierungsprozesse (in Europa in den Städten sowohl Verslumungstendenzen als auch die soge-nannte gentrification ausufern oder in Ballungszentren fast nahtlos ineinander übergehen. Im Jahr 2025, so die Prognosen, wird die Hälfte der Menschheit in Städten leben, in den Entwicklungsländern werden es sogar 80 Prozent sein. Die modernen Gesellschaften werden immer mehr zu „städtischen Gesellschaften“ Insofern war der sogenannte Städtegipfel „Habitat II“ im Juni 1996 in Istanbul eine Konferenz, bei der die etwa 20 000 Regierungs-und NGO-Vertreter aus mehr als 180 Staaten nicht nur über Verstädterungs-, sondern in gleicher Weise über globale Probleme zu sprechen hatten.
IV. Zentrale Herausforderungen der Kommunen zur Jahrtausendwende
Sehen wir uns jene europa-bzw. weltweiten Herausforderungen an, die uns mit ziemli 000 Regierungs-und NGO-Vertreter 18 aus mehr als 180 Staaten nicht nur über Verstädterungs-, sondern in gleicher Weise über globale Probleme zu sprechen hatten.
IV. Zentrale Herausforderungen der Kommunen zur Jahrtausendwende
Sehen wir uns jene europa-bzw. weltweiten Herausforderungen an, die uns mit ziemlicher Sicherheit ins nächste Jahrtausend begleiten werden, können wir feststellen, daß sie nicht nur auf die nationale, sondern auch -mehr oder weniger stark -auf die Gemeindeebene durchschlagen werden 19: Die ökologischen Probleme werden unmittelbar in der Lebenswelt wahrgenommen, ebenso die Folgen von Migration und Bevölkerungsexplosion, die mit weltweiter Arbeitslosigkeit und Armut verbunden sind. Jeder muß heute wissen, daß Abschottungen gegen diese gesellschaftlichen Prozesse, wenn überhaupt, dann nur sehr lückenhaft möglich sind -jedoch mit oft sehr weitgehenden, wenngleich ungewollten negativen Konsequenzen für ein liberales und demokratisches Gemeinwesen. Ähnliches gilt für den Terrorismus und die internationale (organisierte) Kriminalität. Daß die Globalisierung von Wirtschaft, Kommunikation und Kultur auf unsere Städte unmittelbar wirkt, ist ebenfalls mit Händen zu greifen. Alle Veränderungen der Einstellungen und Wertemuster von Menschen begegnen uns selbstverständlich in deren jeweiligen Lebenswelten, ob es sich dabei um Individualisierungstendenzen der westlichen Kultur oder um wachsenden religiösen Fundamentalismus handelt. Von offenbar zunehmender Bedeutung wird jenes weltweite Problem, das als „politische Steuerungskrise“ bekannt ist. Inwieweit die kommunale Ebene davon betroffen ist, soll später erläutert werden. Soviel aber kann schon jetzt gelten: Wenn nicht umstritten sein kann, daß „sich praktisch das gesamte gesellschaftliche, ökonomische und politische Leben unseres Gemeinwesens letztlich auf der Ebene der Kreise, Städte und Dörfer abspielt“ 20, dann ist zu erwarten, daß die auf die Bundesrepublik einwirkenden globalen Problemfelder auch die kommunale Ebene treffen
V. Bürgerinnen und Bürger und ihre Kommunen
Die Kommune ist für ihre Bewohner nicht nur ein wichtiges Stück „Heimat“, sie ist darüber hinaus auch einer der bedeutendsten Orte, wo Bürgerinnen und Bürger sich im Medium von kommunaler Öffentlichkeit bzw. gruppenspezifischen Teilöffentlichkeiten (z. B. Vereinen oder Nachbarschaften) eine (z. B. politische) Meinung bilden, sie gesprächsweise ausprobieren und sich in das Geflecht der Meinungen und gesellschaftlichen Konstruktionen von Wirklichkeiten einbinden (lassen), wobei die „Reziprozität der Perspektiven“, das heißt die gegenseitige Vergewisserung, sich zu verstehen, diese Einbindungen erst erfolgreich sichert Die Inhalte solcher lokalen Meinungsbildung sind aber üblicherweise genauso wenig auf kommunale Themen begrenzt, wie sich die Meinungsbildung selbst als nur lokal organisiert darstellt. Politische Meinungsbildung spielt sich im gesamten Geflecht von unmittelbarem Gedankenaustausch bis hin zu (auch überörtlicher) medialer Vermittlung ab und kann natürlich die ganze dort vorhandene Palette von Inhalten umfassen. Von daher verwundert es nicht, daß bei offenen Interviews etwa zu kommunalen Fragen die Bürgerinnen und Bürger -je nach ihrem individuellen Problembewußtsein und Kenntnisstand -ganz selbstverständlich auch auf der nationalen bzw. globalen Ebene argumentieren Weil sich aber Bürger im allgemeinen doch eher als Experten ihrer eigenen Lebenswelt -also der lokalen -sehen denn als Experten auf den ihnen weiter entfernten Ebenen, spricht einiges für die Behauptung, daß positive partizipatorische Erfahrungen auf der kommunalen Ebene das politische Kompetenzbewußtsein auch auf der nationalen Ebene erhöhen. Insofern kann Gemeindepolitik durchaus als „Schule der Demokratie“ angesehen werden
VI. Dezentralisierung und Politik-verflechtung: Kann und soll über die Kommunen eine Erneuerung der Politik „von unten“ stattfinden?
Spätestens seit der in den siebziger Jahren vor allem von konservativer Seite in der Bundesrepublik geführten Diskussion um die „Unregierbarkeit“ moderner Demokratien infolge der ständig steigenden „Anspruchsinflation“ ihrer Bürger ist die Frage nach der Steuerungsfähigkeit moderner Staaten auf der Tagesordnung. Sah man dabei eine scharfe Gegenüberstellung von Gesellschaft und Staat, wobei diesem in der Politikformulierung und -durchsetzung die absolute Priorität eingeräumt wurde, mußten folglich alle Forderungen nach mehr Demokratie und Bürgerpartizipation auf energischen Widerspruch stoßen. Man übersah aber dabei, daß spätestens seit der „Konzertierten Aktion“ Mitte/Ende der sechziger Jahre das hierarchisch-etatistische Politikmodell mit einem in jeglichen politischen Fragen allzuständigen, omnipotenten Staat längst nicht mehr der Realität entsprach. Einerseits drängte das Marktprinzip auf manchen Ebenen staatliche Lenkung zurück: Deregulierung und Privatisierung wurden zu wichtigen -liberalen -Forderungen. Andererseits zeigten insbesondere Forschungen zur sogenannten Politikverflechtung daß es nicht nur zwischen Bund und Ländern intensive Kooperation gab, sondern auch zwischen Staat und gesellschaftlichen Gruppierungen, z. B. wirtschaftlicher oder gewerkschaftlicher Art. Demnach ist die Vorstellung einer ausschließlich hierarchischen Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft und einer insoweit vertikalen politischen Steuerung der Gesellschaft durch den Staat nicht mehr haltbar. Das heißt aber nicht, daß der Staat geschwächt sei oder sich gar auflöse. Vielmehr kann von „einer neuen Architektur von Staatlichkeit“, von einem „Formwandel staatlicher Machtausübung“ gesprochen werden, der sich in einer „Kombination von gesellschaftlicher Selbstregelung und politischer Steuerung“ ausdrückt. Derartige horizontale Verhandlungssysteme und die vertikale Steuerung sind „keine Alternativen, sondern eine verbreitete Mischform von Governance, die unter bestimmten Bedingungen besonders wirkungsvoll sein kann“, nämlich dann, wenn Staat und Gesellschaft jeweils „stark“ sind Im Rahmen dieser neueren Einsichten in Strukturen und Prozesse des politischen Systems verwundert es nicht, daß auch die kommunale Ebene intensiver in den Gesamtpolitikvorgang einbezogen wurde. Denn Politikverflechtung machte ebensowenig vor dieser Ebene halt wie vor derjenigen der Europäischen Union
Nun gab das Entstehen vieler Bürgerinitiativen gerade auf Gemeindeebene jenen Menschen Anlaß zur Hoffnung, die der jahrelangen konservativ-liberalen Dominanz auf Bundesebene eine Erneuerung der Politik „von unten“ entgegensetzen wollten. Diesen ist allerdings entgegengehalten worden, daß ihre Vorstellungen einerseits die institutioneilen Vorgaben nicht genügend berücksichtigten andererseits in Anbetracht von Politikverflechtung und Steuerungsbedarf komplexer Gesellschaften wiederum auf jenes zu einfache Oben-Unten-Schema zurückgingen. Dennoch sei aber „eine Politik der örtlichen Nähe, die sich der dezentral zu erbringenden Integrations-und Innovationsleistungen erinnert“, gefordert Denn Politik, von wem auch immer formuliert, bedarf tatsächlich einerseits der Zustimmungsbereitschaft der Bevölkerung, andererseits kann nur solche Politik auf diesen Konsens hoffen, die innovativ auf die drängenden Herausforderungen reagiert.
So richtig also die Kritik daran ist, die Kommunen als Handlungsträger in eine politisch dominante Rolle zu drängen, die ihnen verfassungsrechtlich nicht gegeben ist und auch von einer nationalen wie EU-Ebene her unter Effizienzkriterien nicht sinnvoll wäre, so einseitig wäre es, bei dieser Sichtweise stehenzubleiben und nicht auch die Menschen in den Kommunen in die Überlegungen mit-einzubeziehen.
VII. Beteiligungswünsche und -möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger vor Ort
Roland Roth hat darauf aufmerksam gemacht, daß die seit den siebziger Jahren stark gewachsene Partizipationsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger in erster Linie der kommunalen Ebene galt und dabei eher unkonventionelle Formen annahm. „Während sich 1989 gerade 32 % der Befragten vorstellen konnten, in einer Partei Mitglied zu werden bzw. mitzuarbeiten, lag diese Zahl für die Bürgerinitiativen bei 51 %.“ Zwar wurde immer wieder von Seiten des Staates bzw.der Parteien versucht, diese Beteiligung in ihren unterschiedlichen Formen -Roth unterscheidet dabei zwischen Bürgerinitiativen, radikalen städtischen Oppositionsbewegungen und Neuen sozialen Bewegungen -zu reglementieren bzw. zu institutionalisieren, doch gelang dies nur insoweit, als partizipationswillige Bürger selbst bereit waren, zur Verbesserung ihrer Durchsetzungschancen auf stärkere Formalisierung, und Institutionalisierung und auf Erhöhung ihrer Professionalität zu setzen. Wenn früher noch versucht wurde, „das vorhandene bürgerliche Partizipationsbegehren in staatsrechtlich gezimmerte Laufställchen zurückzudrängen“, wie Roth bissig bemerkt so werden diese „Akte legaler unverfaßter Beteiligung“ heute in der Bevölkerung als weitgehend normal angesehen Der Bezug der Partizipation auf die kommunale Ebene konnte zwar auch zur mittelschichtgeprägten, „kleinkarierten Besitzstandswahrung“ im Sinne egoistischer Interessenpolitik verkommen, doch spricht für Roth „auch in den 90er Jahren einiges dafür, daß von Bürgerinitiativen potentiell verallgemeinerungsfähige Interessen vorgebracht werden (wie dies exemplarisch die Umweltinitiativen in den siebziger Jahren taten), die bislang keine Lobby in den politischen Institutionen haben“ Dennoch habe aber die offizielle Politik auf dieses Bürgerbegehren nicht durch Bereitstellung neuer Beteiligungsverfahren, sondern bestenfalls durch symbolische Reaktionen geantwortet
VIII. Erweiterung der kommunalen Bürgerbeteiligung über plebiszitäre Verfahren hinaus
Nun wird man vielleicht einwenden, daß doch mittlerweile in fast allen Landesverfassungen direktdemokratische Beteiligungsverfahren auf kommunaler Ebene eingeführt seien. Dabei handelt es sich vor allem um Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, aber auch (wie etwa in Niedersachsen) um Petitionsrecht, Einwohnerversammlung, -fragestunde, -antrag oder Bürgerbefragung, die allerdings von manchen, z. B. Oscar W. Gabriel und Everhard Holtmann, nur einer kommunikativen, nicht einer einflußnehmenden -insofern erst partizipativen -Funktion zugeordnet werden
Unbestritten in der Literatur ist, daß alle diese Verfahren keine Konkurrenz zu den repräsentativen Verfahren der kommunalen politischen Willensbildung darstellen und darstellen sollen; eher schon kontrovers ist, ob auch auf der kommunalen Ebene die den direktdemokratischen Verfahren gegenüber insgesamt abweisende Haltung des Grundgesetzes gelten soll Es ist bislang ziemlich offen, ob und inwieweit die Bürgerinnen und Bürger erstens diese Angebote überhaupt annehmen wollen und zweitens mit diesen Verfahren Wirkung auf die politische Willens-und Entscheidungsbildung erzielen können Gegenüber zu großen Hoffnungen scheint mir Skepsis geboten.
In eine völlig andere Richtung argumentierte der CSU-Vorsitzende Waigel, als er nach dem bayerischen Volksentscheid vom Oktober 1995 -bei dem sich die Bayern mehr Mitsprache auf kommunaler Ebene gegeben, sich jedoch nur zu 37 Prozent an dieser Abstimmung beteiligt hatten -folgerte: Man erkenne daraus, „daß der Großteil der Bürgerinnen und Bürger Bayerns mit den bisherigen Mitwirkungsmöglichkeiten in den Städten und Gemeinden durchaus zufrieden“ sei. Andere wiederum sahen in der geringen Wahlbeteiligung ein weiteres Zeichen für die vielbeschworene Politikverdrossenheit. Eine dritte Erklärungsmöglichkeit kam jedoch überhaupt nicht ins Spiel: Könnte es nicht sein, daß Bürger Plebiszite nicht unbedingt für den Königsweg von politischer Beteiligung halten, weil ihnen längst manche Gegenargumente einleuchten, wie etwa dies, daß abstimmungsfähige Entscheidungen meist nur in Ja-Nein-Form vorgegeben werden und damit für komplexere Sachverhalte untauglich sind? Oder dies, daß derjenige, der die zur Abstimmung gelangende Alternative formuliert, über mehr Macht verfügt, als derjenige, der darüber lediglich abstimmen darf Wenn Bürger solche Verfahren gering-schätzen, müssen sie also nicht zwangsläufig partizipationsmüde sein; vielleicht empfinden sie diese nur als den abgenagten Knochen, den man einem Hungrigen hinhält. Wird bei diesem Bild aber nicht einfach unterstellt. Bürgerinnen und Bürger seien auf politische Mitarbeit hungrig?
IX. Die unterschätzten Bürgerinnen und Bürger
Bekanntlich war „Politikverdrossenheit“ das Wort des Jahres 1992; hört man sich heute die Hauptströmungen der öffentlichen Diskussion an, müßte es demnächst zur Wiederwahl anstehen. Gegenüber diesem nahezu einstimmigen und überlauten Chor von Politikern, Medien und Intellektuellen verhallen offenbar seit langem jene Stimmen, die gegen diese Einheitsmeinung differenziertes und empirisch abgesichertes Wissen anzubieten haben: So kann z. B. viel weniger von „Politik-“ als vielmehr von „Politiker-“ bzw. „Parteienverdrossenheit“ die Rede sein; die Gründe für diese Verdrossenheiten liegen weit weniger in jenem den Endsechzigern zugeschriebenen „Werteverfall" in der Bevölkerung als vielmehr in einem „Vertrauensvernichtungsspiel“, das zu spielen Helmut Klages insbesondere den Politikern und Parteien anlastet
In langjährigen Forschungen hat Klages mit seinen Mitarbeitern sogenannte Wertetypen herausgearbeitet, von denen der „aktive Realist“ besonders interessant ist: Er ist „gleichzeitig individualistisch und kooperativ“, das heißt, er läßt sich in die Pflicht nehmen, interessiert sich für Fragen des Gemeinwohls und für machbare Reformen, insbesondere natürlich dort, wo er persönlich betroffen ist, akzeptiert konventionelle Werte, wie z. B. Stolz auf die Nation, will aber andererseits auch unabhängig sein und sein Leben genießen, wozu auch „Erfolgserlebnisse, Einfluß und Prestige“ gehören
Dieser „neue Bürger“, der in der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft quantitativ durchaus keine vernachlässigbare Größe ist, sondern etwa ein Drittel der gesamten erwachsenen Bevölkerung -bei mehr als 40 Prozent der heule 40-bis 50jährigen -darstellt gibt Anlaß zu einem „grundsätzlichen Optimismus“; Voraussetzung dafür aber ist, daß die Tendenzen zu einer „Verantwortungsgesellschaft“, in der diese Bürgerinnen und Bürger beispielsweise über politische Partizipation geeignete „Verantwortungsrollen“ übernehmen können, nicht weiter durch hierarchische Organisationsstrukturen, ein etatistisches Staatsverständnis und Festhalten an „liebgewonnenen Vorzugspositionen“ blockiert, sondern endlich gefördert werden Insofern liegt in diesem „Zukunftspersonal“ auch jenes Zukunftspotential, ohne das die Herausforderungen des nächsten Jahrtausends nicht gemeistert werden können.
Gut gesicherte empirische Ergebnisse unterstützen im übrigen jene These, die der Politikwissenschaftler und Berater des US-Präsidenten Clinton, Benjamin Barber, bereits vor mehr als zehn Jahren aufstellte: Er fordert dort die Ablösung einer „mageren Demokratie“ durch eine „starke Demokratie“ erstere Form, weitgehend charakterisiert durch das liberale Eintreten für die Sicherstellung der individuellen (Besitz-) Rechte, betoniere den Menschen in eine Rolle des unsolidarischen und rücksichtslosen Egoisten ein, der für die zukünftig nur gemeinsam zu lösenden Probleme völlig untauglich werde; dieser Entfremdung entsprächen die repräsentativen politischen Strukturen mit ihrer strikten Unterscheidung von politischen Eliten und Volk Eine „starke Demokratie“ dagegen nehme die Menschen in ihrer Gemeinschaftlichkeit ernst, fordere sie und schaffe jene gesellschaftlich-politischen Strukturen für Verantwortung, bürgerliches Engagement, Teilhabe und gegenseitiges Vertrauen, die alle zusammengenommen das „soziale Kapital“ darstellen, das Demokratien erst funktionieren lasse
X. Zunehmende Forderung nach effektiver kommunaler Bürger-beteiligung
Fassen wir bis hierher zusammen, dann läßt sich feststellen, daß eine intensivere Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an kommunalen politischen Willensbildungs-und Entscheidungsprozessen weder aus verfassungsrechtlichen noch aus Gründen politischer Kultur auszuschließen ist Allem Anschein nach will eine nicht unerhebliche Anzahl von Menschen Mitverantwortung übernehmen, jedoch nur in einem Rahmen, der effektive Einwirkung zuläßt. Diese Einwirkung läßt sich aber in der Realität nicht auf die kommunale Ebene beschränken; denn die Kommunen sind sowohl im Rahmen der Politikverflechtung als auch wegen der meisten der großen (auch globalen) politischen Herausforderungen längst über ihre Grenzen hinaus gefordert. Gleichwohl können sie nicht als selbstverständliche Basis einer „Gegenpolitik“ gegen Landes-, Bundes-oder EU-Politik in Anspruch genommen werden, wenngleich sich in manchen Fällen durch Zusammenschlüsse örtlicher Bürgerinitiativen durchaus machtvolle Gegenbewegungen gegen die offizielle Politik entwickeln konnten Neben solchen Frontstellungen entwikkelt sich aber offensichtlich immer stärker der Wunsch nach Zusammenarbeit zwischen Kommunen und ihren Bürgern, wobei „Demokratie“ und (Verwaltungs-) „Effizienz“ nicht mehr zwangsläufig als Antipoden, sondern als sich gegenseitig fördernd gesehen werden Dabei zeigt sich aber, daß die o. g. herkömmlichen Mittel der Beteiligung von den Menschen zunehmend als zu restriktiv und zu wenig effektiv eingeschätzt und deshalb in der Praxis auch so wenig wahrgenommen werden Oder anders gesagt: Wenn Bürgerinnen und Bürger wissen, daß sie effektiv zu Wort kommen und ihre Vorschläge gehört werden, steigt ihre Bereitschaft zur Partizipation. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Verfahren, die demokratische und effiziente Mitwirkungsprozesse ermöglichen; einige davon werden später noch kurz vorgestellt.
Der Druck auf Kommunen, Bürger wirkungsvoll mitsprechen zu lassen, kommt mittlerweile nicht mehr nur von letzteren; gerade die weltweiten Umweltprobleme sind es, die partizipative Lösungen erfordern, wie an der „Lokalen Agenda 21“
eindrucksvoll gezeigt werden kann: Auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro wurde von den anwesenden 170 Staaten das Aktionsprogramm „Agenda 21“
verabschiedet. Diese Agenda 21 gilt „als Ausdruck eines globalen Konsenses und einer politischen Selbstverpflichtung auf höchster Ebene zur Zusammenarbeit im Bereich Umwelt und Entwicklung“ Im Kapitel 28 dieser Agenda heißt es wörtlich: „Jede Kommunalverwaltung soll in einen Dialog mit ihren Bürgern, örtlichen Organsationen und der Privatwirtschaft eintreten und eine , kommunale Agenda 21’ beschließen. Durch Konsultation und Herstellung eines Konsenses würden die Kommunen von ihren Bürgern und von örtlichen Organisationen, von Bürger-, Gemeinde-, Wirtschafts-und Gewerbeorganisationen lernen und für die Formulierung der am besten geeigneten Strategien die erforderlichen Informationen erlangen. Durch den Konsultationsprozeß würde das Bewußtsein der einzelnen Haushalte für Fragen der nachhaltigen Entwicklung geschärft.“ Gleichzeitig werden die Kommunen aufgefordert, den Austausch von Informationen über diese Fragen zu intensivieren. Und so trafen sich im Jahre 1994 Vertreter europäischer Kommunen, internationaler Organisationen, nationaler Regierungen und wissenschaftlicher Institutionen in der dänischen Stadt Aalborg und verabschiedeten dort die „Aalborg-Charta“, die mittlerweile von mehr als 125 europäischen Kommunen unterzeichnet wurde. Das bedeutet, daß zumindest diese Kommunen sich selbst verpflichten, die oben aus dem Kapitel 28 zitierten Aufgaben zu übernehmen: „Mit der Unterzeichnung der Aalborg-Charta erkennt die Stadt die Verantwortung an, die gerade die europäischen Städte und Gemeinden aufgrund ihres Lebensstandards für viele der weltweiten Umweltprobleme tragen. Sie müssen daher ihren Beitrag zur Lösung der Probleme des ausgehenden 20. Jahrhunderts und des beginnenden 21. Jahrhunderts leisten.“ Inwieweit diese in der Tat recht komplexen Sichtweisen und die daraus abgeleiteten Selbstverpflichtungen praktische Folgen in Richtung „nachhaltiger Entwicklung“ zeitigen werden, wird nicht zuletzt davon abhängen, wie die dort vorgesehene Beteiligung von Bürgern und kommunalen Gruppierungen organisiert wird.
XL Einige neuere Beteiligungsmodelle im Überblick
Einige Verfahren wie die Planungszelle oder die Mediation, sind mittlerweile in der Öffentlichkeit relativ bekannt, andere drängen auf den Markt, der sich allerdings bislang nicht eben aufnahmewillig zeigt. Die Modelle selbst sind recht unterschiedlich, manchmal auch Kombinationen aus bereits vorhandenen. Auch wenn sich aufgrund der noch geringen Anzahl beendeter Projekte deren Brauchbarkeit nur abschätzen läßt, möchte ich solche Modelle als Verbesserung gegenüber dem Bestehenden sehen, insbesondere dann, wenn sie dem Kriterium genügen, „veranstaltete Öffent-lichkeiten hoher Qualität“ zu sein Damit meine ich:
1. Sie sind beratend bzw. konflikthegend, und zwar dort, wo in einem politischen Entscheidungsprozeß die zentralen Weichenstellungen erfolgen;
2. sie vergrößern durch Einbeziehung einer breiteren Öffentlichkeit auch den Umfang der zu berücksichtigenden Interessen;
3. sie organisieren in dieser größeren Öffentlichkeit gemeinsame Dialoge mit dem Ziel der Vorabklärung der Interessenkonflikte; 4. sie lassen keine systematische Benachteiligung von Interessen zu, das heißt, sie stellen größere „Gerechtigkeit“ her;
5. sie können Planungs-bzw. Implementationszeiträume verkürzen und 6. Planungs-bzw. Implementations„kosten“ vermindern. Auf drei Verfahren möchte ich im einzelnen knapp eingehen. 1. Mediation Die Mediation ist ein Verfahren, bei dem ein von allen Konfliktseiten akzeptierter Mediator versucht, zwischen zwei (oder auch mehreren) gegensätzlichen Interessenstandpunkten zu vermitteln. Dies geschieht in mehreren gemeinsamen Diskussionsrunden, die von zwischenzeitlichen kleineren Teilrunden und bilateralen Gesprächen begleitet sein können. Ziel ist ein von allen Beteiligten freiwillig akzeptiertes Ergebnis. Die Person des Mediators spielt hier eine zentrale Rolle. Denn von seinem Geschick hängt es ab, ob sich die Beteiligten hinsichtlich Information und Berücksichtigung ihrer Interessen fair behandelt fühlen. Falls Interessengruppen nicht schon wegen ihrer eigenen Machtposition Teilnehmer im Verfahren sind, ist es dem Mediator überlassen, auch weniger dominanten Gruppierungen Zugang zur Mediation zu gewähren. Bisherige Erfahrungen zeigen, daß bei klar definierten Konflikten und Konfliktparteien Mediation unter Leitung eines guten Mediators geeignet ist, Konfliktpotentiale herun-terzufahren und Entscheidungsblockaden aufzulösen, und insofern Planungs-und Implementationszeiten und -kosten vermindern kann. 2. Planungszelle Bei einer Plammgszelle (PZ) handelt es sich nach Peter C. Dienel um eine Gruppe von etwa 25 Bürgerinnen und Bürgern, die, nach einem Zufallsverfahren ausgewählt, für begrenzte Zeit, von ihren arbeitstäglichen Verpflichtungen befreit, vergütet von der öffentlichen Hand, assistiert von mindestens zwei Prozeßbegleitern und unterstützt von Experten (z. B. aus der Verwaltung oder Wissenschaft), Lösungen für vorgegebene Bewertungs-, Kontroll-oder Planungsprobleme erarbeiten, das sogenannte Bürgergutachten. Die Zufallsauswahl sichert, daß nicht ausschließlich organisierte Interessengruppen oder unmittelbar Betroffene am Verfahren teilnehmen und daß somit eine größere „Gemeinwohlorientierung“ erwartet werden kann. Das bedeutet, daß die Akzeptanz der Empfehlungen verbessert und spätere Konflikte eher vermieden werden können. Bisherige Erfahrungen bestätigen diese Erwartung. Voraussetzung ist m. E. allerdings, daß die Auftraggeber der PZ, z. B. Kommunen, schon vorab einer Umsetzung der Empfehlungen, widrigenfalls einer öffentlichen Begründung ihrer Ablehnung zustimmen. Es scheint, daß zunehmend nur unter dieser Zusicherung Bürger zur Teilnahme bereit sind. 3. Mehrstufiges Dialogisches Verfahren Das Mehrstufige Dialogische Verfahren (MDV) sieht drei aufeinander bezogene Schritte vor, deren letzter die PZ ist. In dem heuristischen Drei-schritt „Sehen -Beurteilen -Handeln“ entsprechen dem ersten Schritt leitfadengestützte qualitative Interviews mit über Zufallsauswahl ermittelten Personen. In diesen Interviews werden relevante Informationen, Bewertungen und Einschätzungen der Situation erhoben, im weitesten Sinne also Daten zur politisch-gesellschaftlichen Situation vor Ort. Im zweiten Schritt werden Repräsentanten der jeweils wichtigen Gruppen, Verbände und Institutionen um ihre Situationsund Konfliktbeurteilungen gebeten, die auch schon Lösungsvorschläge enthalten sollen; dazu dienen jeweils etwa dreistündige Gruppenmoderationen. Die PZ endlich faßt die Ergebnisse der vorherigen Schritte zusammen und erarbeitet auf dieser Grundlage ein Bürgergutachten. Das gesamte MDV wird von ausgebildeten Sozialwissenschaftlern inhaltlich und organisatorisch begleitet, sinnvollerweise in enger Absprache mit dem Auftraggeber. „Dialogisch“ nennen wir dieses Verfahren, weil alle Dateninterpretationen (z. B. aus den Interviews) und Ergebnisformulierungen erst nach Rückkoppelungs-Schleifen, das heißt durch erneutes Einbeziehen der beteiligten Bürger, abgeschlossen werden Im Gegensatz zum Mediator sind die Wissenschaftler hier also eher in einer „Hebammen“ -Funktion. Bisherige Erfahrungen zeigen, daß sowohl von der Intensität der Bürgerpartizipation als auch vom Implementationsergebnis her sich die Erwartungen weitgehend erfüllt haben. Ein weiteres Ziel von MDV ist es daher, den Kommunen (oder anderen interessierten Auftraggebern) soviel Know-how zu vermitteln, daß sie (aus Kostengründen) solche Verfahren bei weniger konfliktreichen Fällen in Eigenregie einsetzen können. Fernziel wäre die Entwicklung einer gesellschaftlichen Dauer-(selbst) beobachtung mit konfliktpräventiver Wirkung.
XII. Abschließende Bemerkungen zur Kostenfrage
Sind nun diese Verfahren bei der angespannten kommunalen Haushaltslage überhaupt zu finanzieren? Die Gegenrechnung beginnt damit, daß der Nutzen effektiver Bürgerbeteiligung in Form einer Reduzierung von Poiitikverdrossenheit kaum in Geldwert gemessen werden kann. Dasselbe gilt für Konfliktprävention bzw. -lösung. Dennoch ist der Gewinn als solcher unbestreitbar und erheblich. Denn jedermann weiß inzwischen, daß ungelöste Wert-oder Interessenkonflikte -gerade auch in Deutschland -allzu gerne vor die Gerichte gebracht werden, wo dann meist ein Gutachter-streit beginnt, der kosten-und zeitaufwendig ist. Dasselbe kann sich auch (wieder) im Prozeß der Umsetzung von Vorhaben zeigen: Ständig durch neue Streitigkeiten oder Einsprüche unterbrochene Implementationen sind verständlicherweise denen ein Greuel, die an einer zügigen Plan-Realisierung -schon aus Kostengründen -interessiert sein müssen. Peter C. Dienel hat auf die enormen Genehmigungszeiträume und Kosten beispielsweise von Flughafenprojekten aufmerksam gemacht; dieser Aufwand hätte mit ziemlicher Sicherheit stark verkürzt werden können, wenn frühzeitig Verfahren eingesetzt worden wären, die „wesentlich schneller den akzeptablen Konsens ermöglicht“ hätten Daß solche konsensorientierten Verfahren Unfrieden und sogar Gewalt nachhaltig beseitigen helfen können, bestätigen -neben vielen anderen Beispielen -auch unsere eigenen Erfahrungen: Als die Bürgerinnen und Bürger einer norddeutschen Stadt merkten, daß ihre Sorgen und Befürchtungen (hier: im Problembereich des Zusammenlebens mit Ausländern) von den kommunalpolitisch Verantwortlichen ernst genommen und sie selbst über Bürgerbeteiligung nach dem MDV in die Entscheidungsprozesse miteinbezogen wurden, trocknete gleichsam der Sumpf aus, aus dem vorher Gewaltorientierung hochgestiegen war und der Gewalthandeln bis hin zum Mord freisetzte Frieden hat seinen Preis, nicht nur der außenpolitische Frieden, sondern auch der im Innern. Und jedermann weiß, daß Vorsorge besser ist als Nach-sorge. Aber die Erfolge von Prävention sind dieser oft nicht eindeutig zurechenbar: Hat in unserem Beispiel die Bürgerbeteiligung zum kommunalen Frieden beigetragen oder allein der „Asylkompromiß“ des Jahres 1993? Gleichviel -Bürger-beteiligung ausschließlich von quantifizierbaren Ergebnissen her zu beurteilen wäre zu kurz gegriffen, ja sogar fatal; denn Bürgerbeteiligung ist Aufbau und Pflege einer offenen Bürgergesellschaft, ist Demokratie.
Mittlerweile sind verschiedene Finanzierungsvorschläge für die Realisierung von Bürgerpartizipation gemacht worden, die bis dahin reichen, Mittel aus dem Verteidigungshaushalt zur Verfügung zu stellen Im kommunalen Bereich sollte ernsthaft zumindest darüber nachgedacht werden, bei jedem größeren öffentlichen Planungsvorhaben -entsprechend den bei öffentlichen Bauvorhaben einzusetzenden Kosten für „Kunst am Bau“ -etwa ein bis zwei Prozent der geplanten Gesamtsumme für effektive Bürgerbeteiligung vorzusehen Während die Finanzierung von Bürgerbeteiligung als eine freiwillige Leistung angesehen wird, gilt dies schon lange nicht mehr für die Honorare von Architekten oder Statikern. Die auf sie entfallenden Kosten werden heute ganz selbstverständlich als notwendig angesehen. Unsere kommunale und gesamtgesellschaftliche Situation mit ihrem großen Problemdruck auf vielen Gebieten, mit der mittlerweile massenhaften Wahlenthaltung als Ausdruck von Politikverdrossenheit und mit der gleichzeitig zunehmenden Forderung der Bürger nach erweiterter demokratischer und effizienter Beteiligung läßt uns kaum eine andere Wahl, als die Kosten für eine intensivere Bürgerbeteiligung ebenfalls als notwendige Investition anzusehen. Die bisher üblichen Beteiligungsverfahren -von PR-förmiger Akzeptanzbeschaffung bis hin zum Gerichtsprozeß -sind ja auch nicht zum Nulltarif zu haben.
Es wird Zeit, daß endlich ein Markt geschaffen wird, auf dem die verschiedenen Beteiligungsverfahren in Konkurrenz zueinander treten und ihre Effizienz beweisen können. Daß zukunftsträchtige Produkte oft eine Anschubfinanzierung aus öffentlichen Mitteln benötigen, ist aus anderen Bereichen nicht unbekannt. Bei der Zukunftsdienstleistung „Bürgerbeteiligung“ können die öffentliche Hand und die Steuerzahler sogar selbst den größten Teil des Nutzens genießen. Denn der damit erwartbare Vitalisierungsschub wird unserer Demokratie nur gut tun.