Europa und Zentralamerika: 12 Jahre San-Jose-Dialog
Heinrich Kreft
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Zusammenfassung
Die ältesten und zweifellos intensivsten Beziehungen unterhält die EU mit den Ländern Zentralamerikas. Diese gehen auf die frühen achtziger Jahre zurück, als in Nicaragua, El Salvador und Guatemala ein blutiger Bürgerkrieg herrschte und auch die USA immer stärker in die Konflikte hineingezogen wurden. Im Unterschied zu den USA war der Zentralamerika-Konflikt für die EU weniger Teil des Ost-West-als vielmehr des Nord-Süd-Konflikts. Politisch unterstützte die EU die lateinamerikanischen Friedensinitiativen -zunächst der Contadora-Gruppe und dann den Arias-Friedensplan. Ausdruck dieser aktiven Zentralamerika-Politik sind die euro-zentralamerikanischen San-Jose-Konferenzen, die auf eine deutsch-costaricanische Initiative zurückgehen. Sie brachten seit 1985 die verfeindeten Parteien regelmäßig an einen Tisch. Dadurch und durch die Unterstützung der aus der Region selbst entsprungenen Friedensinitiativen hat die EU einen wesentlichen Beitrag für die seit 1990 erfolgreich verlaufende Befriedung Zentralamerikas geleistet. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben zudem einen bedeutenden finanziellen Beitrag zum Wiederaufbau und zur Demokratisierung des amerikanischen Isthmus geleistet. So erhält die Region die pro Kopf höchste Hilfe aus EU-Mitteln, und gemeinsam sind EU-Kommission und Mitgliedsstaaten seit 1988 größte Geber Zentralamerikas. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, daß die Region trotz aller politischen und auch wirtschaftlichen Erfolge zu den ärmsten der Westlichen Hemisphäre gehört, waren die Zentral-amerikaner daran interessiert, den San-Josd-Dialog und damit das Engagement der EU langfristig zu sichern. Da auch die EU-Seite einen Bedarf für die Reform des San-Jose-Prozesses sah, wurde auf der San-Josä-XII-Konferenz im März 1996 in Florenz die Erneuerung des San-Jose-Dialogs beschlossen. In der zukünftigen Zusammenarbeit nimmt die wirtschaftliche Kooperation einen größeren Stellenwert ein. Die EU wird sich in ihrer Zusammenarbeit mit Zentralamerika auf die drei Bereiche Konsolidierung des Rechtsstaats/Modemisierung der öffentlichen Verwaltung, Maßnahmen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung sowie die Unterstützung des zentralamerikanischen Integrationsprozesses und die Integration in die Weltwirtschaft konzentrieren.
I. Konfliktherd Zentralamerika
Die europäischen Beziehungen mit Zentralamerika begannen im Jahre 1502, als Christoph Kolumbus auf Guanaja, einer Insel im Golf von Honduras, landete. Das Interesse Europas an der Landbrücke zwischen Nord-und Südamerika blieb allerdings über die Jahrhunderte hindurch gering, bis in den siebziger Jahren die sandinistische Revolution in Nicaragua und die Konflikte in El Salvador und Guatemala ein dauerhaftes Interesse Europas an der Region weckten, das bis heute -wenn auch nachlassend -anhält. Heute unterhält die Europäische Union die ältesten und zweifellos intensivsten Beziehungen in Lateinamerika mit den sechs Ländern Zentralamerikas Diese wurden bereits Mitte der achtziger Jahre -in Form des San Jose-Dialogs -institutionalisiert, als Zentral-amerika zum Schauplatz eines der letzten großen Konflikte des Kalten Krieges wurde.
In den siebziger und vor allem während der achtziger Jahre kam es auf dem amerikanischen Isthmus zu einer Überlagerung der im wesentlichen internen macht-und sozioökonomischen Auseinandersetzungen mit ideologisch-militärischen Rivalitäten des Kalten Krieges. So ging es in Nicaragua und El Salvador nicht mehr in erster Linie um interne Machtkämpfe und intern bestimmte Entwicklungsalternativen, sondern um die Zugehörigkeit zu den großen Blöcken, ihren Einflußsphären und Entwicklungsmodellen. Zentralamerika entwickelte sich zu einem teilweise leidenschaftlich diskutierten Thema der innenpolitischen Auseinandersetzungen in weiten Teilen Europas, insbesondere in Deutschland, den nordischen Ländern und den BENELUX-Staaten. An einigen Universitäten in diesen Ländern wurde Anfang der achtziger Jahre sogar offen für die Beschaffung von Waffen für die salvadorianische Guerilla gesammelt, und zahlreiche West-und Nordeuropäer leisteten freiwillige Arbeitseinsätze als Aufbauhelfer im sandinistischen Nicaragua.
II. Das Entstehen einer gemeinsamen Zentralamerikapolitik der EU
Abbildung 2
Zentralamerika in Kennzahlen
Quellen: World Bank, World Development Report 1996; FMI, Direction of Trade Statistics 1996, eigene Berechnungen. UNDP, Human Development Report 1996, CEPAL, Balance Preliminar de la Economia de America y el Caraibe, 1995.
Zentralamerika in Kennzahlen
Quellen: World Bank, World Development Report 1996; FMI, Direction of Trade Statistics 1996, eigene Berechnungen. UNDP, Human Development Report 1996, CEPAL, Balance Preliminar de la Economia de America y el Caraibe, 1995.
Vor dem Hintergrund marginaler Wirtschaftsinteressen (geringer Handelsaustausch, kaum Direktinvestitionen) und der großen geographischen Distanz ist das Entstehen einer Zentralamerika-Politik der EU zunächst überraschend. Verschiedene interne und externe Faktoren haben zum Engagement der Westeuropäer auf dem amerikanischen Isthmus geführt. Die sandinistische Revolution und die Reaktion der USA darauf fanden in Europa große Beachtung, wo der Zentralamerika-Konflikt nicht als Teil des Ost-West-, sondern vielmehr des Nord-Süd-Konflikts angesehen wurde. Gemäß dieser Analyse war eine dauerhafte Befriedung nur durch die Beseitigung der internen Ursachen des Konflikts bei gleichzeitigem Heraushalten aus der Ost-West-Konfrontation zu erreichen. Dazu mußten die revolutionären Bewegungen als Dialogpartner akzeptiert sowie eine nachhaltige Demokratisierung und sozioökonomische Entwicklung in Gang gesetzt werden. Der wichtigste externe Faktor für das Engagement der EU war zweifellos die US-amerikanische Zentralamerika-Politik, die in Europa selbst in konservativen Kreisen heftig kritisiert wurde. Diese fürchteten, daß ein militärisches Engagement der USA in Zentral-amerika zum Abzug von Truppen aus Europa führen könnte, mit negativen Auswirkungen auf die Stabilität des alten Kontinents. Eine US-Intervention in Zentralamerika hätte zudem dem insbesondere auf Seiten der politischen Linken in Europa latent vorhandenen Anti-Amerikanismus neuenAuftrieb gegeben. Der Zentralamerika-Konflikt bot aber auch den Europäern die Chance einer Wiederannäherung an Lateinamerika, denn durch den Falkland/Malvinas-Konflikt (1982), als die EU an der Seite Großbritanniens und damit gegen das von ganz Lateinamerika (ohne Chile) unterstützte Argentinien stand, waren die Beziehungen zu Lateinamerika auf einen Tiefpunkt gesunken. Außerdem bot der Zentralamerika-Konflikt der EU eine Gelegenheit, sich in einer Zeit grassierenden „Euro-Pessimismus“ auf der Weltbühne politisch zu profilieren Diese Gründe wogen für die EU so schwer, daß sie auch das Risiko eines Konflikts mit ihrem wichtigsten Bündnispartner -den USA -einging. Geknüpft wurden die Beziehungen anfangs von der EU-Kommission und vom Europaparlament und nicht vom Rat, dem eigentlich für die Außenpolitik der EU im Rahmen der EPZ (Europäischen Politischen Zusammenarbeit) zuständigen Organ. Bereits 1980 begann das Europäische Parlament mit der Formulierung einer europäischen Zentralamerika-Politik, basierend auf Demokratie, Menschenrechten, Entwicklungshilfe und Nicht-Intervention Diese Prinzipien wurden von der Kommission und vom Rat übernommen.
III. Von der Contadora-Initiative zum Esquipulas-Friedensplan
Die EU unterstützte von Anfang an die Friedensinitiativen aus Lateinamerika, d. h. zunächst die Contadora-Intitiative und anschließend den Esquipulas-Friedensplan. 1984 legte die ein Jahr zuvor gegründete Contadora-Gruppe eine „Akte für Frieden und Kooperation in Zentralamerika“ vor, in der vor allem der Aspekt der militärischen Sicherheit überwog. Gegen den generellen Widerstand der USA und ihrer Verbündeten in Zentral-amerika (vor allem Honduras und El Salvador) gelang es der Gruppe allerdings nicht, die Unterzeichnung eines regionalen Abkommens zu erreichen. Nach dem Scheitern der Contadora-Gruppe ging die Initiative im Februar 1987 an die Zentralamerikaner selbst über, als der Präsident Costa Ricas, Oscar Anas, mit seinem mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Friedensplan an die Öffentlichkeit trat, der schließlich zur Grundlage des im August 1987 im guatemaltekischen Wallfahrtsort Esquipulas von den fünf Präsidenten Zentralamerikas (einschließlich des nicaraguanischen Präsidenten Ortega) unterzeichneten Abkommens wurde Damit verpflichteten sich die Präsidenten zum Abschluß von Waffenstillstandsvereinbarungen mit der bewaffneten Opposition, zu einem Dialog mit der zivilen, unbewaffneten Opposition, zur Demokratisierung, zur Nichteinmischung und Unterlassung jeglicher Unterstützung von irregulären Kampfverbänden in den Nachbarstaaten und zur Einsetzung einer Kommission zur Erarbeitung und Überprüfung der Erfüllung eines Friedens-plans Positiv machte sich das Abflauen des Ost-West-Konflikts bemerkbar, wie auch der Umstand, daß die Reagan-Administration sich nach dem Wahlsieg der Demokraten bei den Kongreßwahlen vom November 1986 und der Aufdeckung des „Iran-Contra-Skandals“ Ende 1986 zu einer flexibleren Haltung in ihrer Zentralamerika-Politik gezwungen sah. Unter konstantem wirtschaftlichem und militärischem Druck gab auch das sandinistische Nicaragua seine Verweigerungshaltung auf.
IV. Der Beginn des „San-Jose-Dialogs“
Der Beitrag der Europäischen Gemeinschaft zur Befriedung Zentralamerikas wird ausdrücklich in der Präambel des Esquipulas-Friedensabkommens erwähnt. Neben dem Hauptziel der Friedensschaffung, das durch eine Entmilitarisierung der Region, den Abzug ausländischer Militärs und die Einleitung eines Dialogs zwischen den Kriegsparteien erreicht werden sollte, standen von Anfang an die Förderung der Demokratisierung als Voraussetzung einer politischen Stabilisierung und der Schutz der Menschenrechte. Zur Absicherung legten die Europäer großen Wert auf die zentralamerikanische Integration als Vehikel für die langfristige sozioökonomische Entwicklung der Region und als Grundlage für die Konsolidierung des Friedensprozesses und der Demokratisierung Um diese politischen Ziele zu operationalisieren, entwickelte der damalige Bundesaußenminister Genscher zusammen mit dem Präsidenten Costa Ricas, Monge, Überlegungen zu einem interregionalen Dialog zwischen der EU und den Staaten Zentral-amerikas. Diese führten im September 1984 zu einem ersten Treffen der Außenminister beider Regionen in San Jose, der Hauptstadt Costa Ricas. Auf dem Folgetreffen im November 1985 in Luxemburg wurden jährliche Außenministertreffen vereinbart und ein wirtschaftliches Kooperationsabkommen zur Unterfütterung des Dialogs abgeschlossen
Es ist nicht leicht, den Beitrag Europas und des San-Jose-Dialogs zum Esquipulas-Friedensprozeß konkret zu bemessen, aber er muß im allgemeinen als beachtlich angesehen werden. Allein die Tatsache, daß die San-Jose-Konferenzen die zentralamerikanischen Regierungen überhaupt regelmäßig an einen Tisch brachte, war von nicht zu unterschätzender Bedeutung für den Verlauf der Friedensprozesse und die Demokratisierung in der Region So riefen die europäischen und zentralamerikanischen Regierungen im gemeinsamen Abschlußkommunique der San-Jose-VI-Konferenz (Dublin) alle irregulären Kräfte in der Region auf, sich in die verfassungsmäßige Ordnung ihrer jeweiligen Länder einzugliedern. Politische Appelle zur Entwicklung in Zentralamerika (vor allem zum Friedensprozeß, zur Demokratisierung und Achtung der Menschenrechte) finden sich in den Abschlußkommuniques aller bisherigen Außenministerkonferenzen.
Die Einbeziehung Nicaraguas in den San-Jose-Dialog verhinderte die völlige Isolierung des Landes vom Westen. Die meisten EU-Mitglieder intensivierten auch ihre bilateralen Beziehungen mit dem sandinistischen Regime Damit trugen die Europäer wesentlich zur Herstellung eines Vertrauensklimas bei, das für die Abhaltung freier und fairer Wahlen nötig war. Auch an der finanziellen und technischen Durchführung des Wahl-prozesses sowie an der Überwachung der wesentlichen Bestimmungen des Esquipulas-Abkommens im Rahmen einer VN-Beobachtergruppe (ONUCA) beteiligten sich die Europäer.
V. Erfolgreicher Friedens-und Demokratisierungsprozeß in Zentral-amerika
Die Situation Zentralamerikas hat sich im Laufe einer Dekade erheblich verändert. In Nicaragua und El Salvador gingen Anfang der neunziger Jahre lang andauernde, blutige Auseinandersetzungen zu Ende. Die ausgehandelten Friedensvereinbarungen wurden weitgehend eingehalten und umgesetzt. In Guatemala scheint 1996 der Durchbruch für eine endgültige Friedensregelung in Reichweite. In allen sechs zentralamerikanischen Staaten haben sich zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit im Jahre 1821 gleichzeitig demokratische Regierungen etabliert. Die Wahlen der letzten Jahre erhielten, trotz verbleibender struktureller Defizite (u. a.defizitäre Wählerverzeichnisse und geringe Wahlbeteiligung z. B. in Guatemala), von internationalen Wahlbeobachtern das Gütesiegel „free and fair“ und wurden von der überwiegenden Mehrheit der Wahlverlierer als rechtens anerkannt.
Zum ersten Mal in der Geschichte des Isthmus scheint eine dauerhafte demokratische Entwicklung möglich, doch ist der Friedens-und Demokratisierungsprozeß noch keineswegs konsolidiert. Während durch die demokratische Öffnung der politischen Systeme eine politische Ursache für das Entstehen des Konfliktherdes weitgehend beseitigt werden konnte (die FMLN ist zweitstärkste Partei in El Salvador, in Guatemala ist mit der FDNG eine der Guerilla nahestehende Partei aus dem Stand drittstärkste Fraktion im Parlament geworden), sind die sozioökonomischen Ursachen des Konflikts, d. h. insbesondere die große Armut der Bevölkerungsmehrheit und die Verteilungsungerechtigkeit (so die unzureichende direkte Besteuerung), bisher nicht behoben. Im Gegenteil, der unglücklicherweise zeitgleich zum politischen Transformationsprozeß erforderlich werdende, durch Weltbank und Internationalen Währungsfonds koordinierte ökonomische Anpassungsprozeß hat die Armut zunächst noch weiter vergrößert. Mittels Sozialfonds konnten die Anpassungsprogramme zwar in gewissem Rahmen abgefedert werden, doch sind diese Fonds kein Ersatz für eine nachhaltige Wiederbelebung der Wirtschaft, die für den einzelnen Menschen spürbar ist. Davon ist die Region 1996 noch weit entfernt, wenn sich auch die makroökonomischen Daten für El Salvador und Guatemala sowie nach vielen Jahren des Rückschritts erstmals auch seit 1994 für Nicaragua verbessert haben. Die Region bleibt auf lange Sicht auf internationale Hilfe angewiesen
VI. Der EU-Beitrag zu Wiederaufbau und Demokratisierung
Die Europäische Union hat ihre entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Zentralamerika seit dem Beginn des San-Jose-Prozesses vor über zwölf Jahren jedes Jahr erhöht, wobei die Kooperation insbesondere seit dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen substantiell ausgebaut wurde. Der Bedarf der Region wird als anhaltend hoch und die Hilfe als essentiell für die Konsolidierung des Friedens-und Demokratisierungsprozesses angesehen. Die Entwicklungszusammenarbeit der EU mit Zentralamerika basiert auf dem Kooperationsabkommen vom November 1985 Auf der San-Jose-VI-Konferenz vom Februar 1989 in San Pedro Sula (Honduras) kam es zu einer stärkeren Betonung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Das San-Jose-VIII-Treffen von Lissabon (Februar 1992) führte zu einer erheblichen Beteiligung der EU am Wiederaufbauprogramm für El Salvador in Höhe von 150 Mio. ECU für 1993. Darüber hinaus wurde ein auf vier Jahre angelegtes „Mehrjahresprogramm zur Förderung der Menschenrechte in Zentralamerika“ in Höhe von 1, 5 Mio. ECU jähr-lieh aufgelegt. Auf der San-Jos 6-IX-Konferenz, die 1993 in San Salvador stattfand, wurde ein neues, erweitertes Kooperationsabkommen unterzeichnet, das allerdings von einigen zentralamerikanischen Staaten bisher nicht ratifiziert wurde. Das neue Abkommen erweitert die traditionelle Kooperation um eine Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie einschließlich Investitionsförderung, Umweltschutz und Drogenbekämpfung.
Schwerpunktmäßig ist die EU-Kooperation mit Zentralamerika (und damit mit ganz Lateinamerika) seit 1980 auf Nicaragua konzentriert, dem ärmsten Land des amerikanischen Isthmus, vor El Salvador, Guatemala und Honduras. Wichtigstes Kooperationsinstrument ist die traditionelle finanzielle und technische Zusammenarbeit, auf die seit 1980 über die Hälfte aller Mittel entfallen, vor der humanitären Hilfe (36 Prozent). Seit 1992 bemüht sich die EU um eine Diversifizierung ihrer Hilfe, u. a. durch die Ausweitung von Projekten im Umweltbereich auf Kosten genereller humanitärer Hilfe (die in den achtziger Jahren im wesentlichen aus -zu Recht kritisierter -Nahrungsmittelhilfe bestand). Eine Besonderheit der EU-Kooperation ist der hohe Anteil an Regionalprojekten. So stellte die EU-Kommission in den vergangenen fünfzehn Jahren etwa ein Viertel ihrer Mittel für regionale Kooperationsprojekte zur Verfügung.
Parallel zum Anstieg der EU-Leistungen ist auch die Kooperation der meisten EU-Mitgliedsstaaten mit Zentralamerika seit Beginn des San-Jose-Dialogs erheblich angestiegen. Durch den Abbau der US-Hilfsleistungen und den gleichzeitigen kontinuierlichen Anstieg des EU-Engagements sind die EU und ihre Mitglieder inzwischen zum größten Geber der Region aufgestiegen. Zentralamerika ist pro Kopf bei weitem der größte Empfänger von EU-Hilfe. Unter den EU-Mitgliedern ist Deutschland mit einigem Abstand größter „Geber“ Zentralamerikas. Nach OECD-Statistiken (siehe Tabelle) lag das Volumen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit (EZ) seit 1990 im Jahres-durchschnitt bei fast 500 Mio. US-Dollar. Damit war die Bundesrepublik Deutschland nach den USA und Japan für die Länder Zentralamerikas die drittgrößte Quelle nationaler EZ. Schwerpunkte der deutschen EZ sind vor dem Hintergrund der weit verbreiteten Armut und der bewaffneten Konflikte Projekte zur Reintegration demobilisierter Ex-Kombattanten (sowohl der Armeen als auch der Guerilla) sowie Projekte zum demokratischen Wiederaufbau der Länder und zur Befriedigung der Grundbedürfnisse der ärmsten Bevölkerungsgruppen.
Zweitgrößter bilateraler „Geber“ innerhalb der Europäischen Union war in den vergangenen Jahren Spanien, dessen entwicklungspolitisches Engagement auch in jedem Jahr deutlich über dem der EU-Kommission lag. Die nächstkleineren „donors“ waren Italien, Frankreich, die Niederlande und Schweden. Zusammen sind EU und ihre Mitgliedsländer mit über 56 Prozent (1990-1994) die mit Abstand größten EZ-Geber Zentralamerikas mit weiter wachsender Tendenz, da die USA seit einigen Jahren ihr (finanzielles) Engagement in Zentralamerika drastisch reduzieren.
VII. Die Reform des San-Jose-Dialogs
Seit zwölf Jahren ist der San-Jos-Prozeß ein erfolgreiches Beispiel eines interregionalen Dialogs zwischen zwei sehr unterschiedlichen und geographisch entfernten Regionen. Es ist ein seltenes Beispiel eines „symmetrischen Dialogs zwischen ungleichen Partnern“ von dem beide Seiten profitiert haben. In Zentralamerika hat der San-Jos-Prozeß die Gesprächskontakte zwischen den verfeindeten Seiten wiederhergestellt und so zur Beendigung der blutigen Bürgerkriege beigetragen. Darüber hinaus hat der institutionalisierte euro-zentralamerikanische Dialog zu einem erheblichen finanziellen Engagement der EU auf dem amerikanischen Isthmus geführt. Innerhalb der EU hat der San-Jose-Dialog ohne Zweifel die Kooperation der Mitgliedsstaaten in der Außenpolitik gefördert. Der enge Dialog mit Zentralamerika hatte zudem eine Katalysatorfunktion bei der Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu ganz Lateinamerika.
Bis 1990 konzentrierten sich die gemeinsamen Anstrengungen von Europäern und Zentralamerikanern auf die Beendigung der blutigen Konflikte und die Etablierung der Demokratie in der gesamten Region. Die folgenden Jahre standen im Zeichen des Wiederaufbaus, der Aussöhnung, der Rückführung der Flüchtlinge und der Konsolidierung von Frieden und Demokratie. Während die Konsolidierung von Frieden und Demokratie als Oberziel bestehenbleibt, verlagert sich der Schwerpunkt zunehmend auf die Förderung sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Entwicklung. Aus Sorge, nach dem Ende der bewaffneten Konflikte und der erfolgreichen Demokratisierung könnte nach den USA auch die EU ihre Hilfe für Zentralamerika reduzieren, schlug Costa Rica Ende 1994 eine Erneuerung des San-Jose-Dialogs vor. Ziel dieser Initiative war es, die euro-zentralamerikanische Zusammenarbeit den seit der Institutionalisierung des Dialogs eingetretenen Veränderungen in Europa und Zentralamerika anzupassen und vor allem das finanzielle Engagement der EU und ihrer Mitgliedsstaaten in Zentralamerika auch für die Zukunft zu sichern.
Diesem Zweck diente auch die von Costa Rica inspirierte „Zentralamerikanische Allianz für nachhaltige Entwicklung“ als gemeinsame Entwicklungsstrategie der zentralamerikanischen Staaten, die 1994 auf dem Regionalgipfel von Managua offiziell verabschiedet wurde. Diese Reformvorschläge trafen auf Überlegungen, die bereits seit längerer Zeit auf europäischer Seite (vor allem Frankreich und Deutschland) angestellt wurden. Vornehmliches Ziel der Europäer ist es, in Anbetracht der Verschiebung der Prioritäten von der Politik zur Wirtschaft und des Überhandnehmens der Außenministerkonferenzen den Konferenzrhythmus zu strecken und statt dessen die Rolle einer bereits bestehenden „gemischten Kommission“ zu erweitern sowie ein gemeinsames Handelsforum zur Erörterung bilateraler Handelsfragen einzurichten.
Auf der San-Jose-XI-Konferenz, die im Januar 1995 in Panama stattfand, wurde Einigkeit über die Notwendigkeit einer Revitalisierung des San-Jose-Dialogs erzielt Ein gemeinsames Experten-seminar über die Zukunft des San-Jose-Prozesses, das vom 29. bis 31. Mai 1995 an der Geburtsstätte des Dialogs, der costaricanischen Hauptstadt San Jose, stattfand, erarbeitete die Grundlagen der Reform 1995 entwickelte auch die EU ein neues Konzept für ihre Zusammenarbeit mit Lateinamerika und insbesondere mit den Ländern Zentralamerikas, das in zwei zentralen Dokumenten niedergelegt wurde:
Europäische Union und Lateinamerika: Die Partnerschaft heute und die Perspekiven für ihren Ausbau1996-2000 In diesem Dokument schlägt die EU ein eigenständiges Kooperationsprogramm mit Lateinamerika vor. (Bisher gab es nur ein gemeinsames für Asien und Lateinamerika.) Außerdem sieht das Dokument die Entwicklung individueller Entwicklungsstrategien für einzelne Subregionen und Länder vor.
Die Erneuerung des San-Jose-Dialogs zwischen der EU und Zentralamerika In diesem Dokument, in das die Ergebnisse des Expertenseminars von San Jose Eingang gefunden haben, legt die EU-Kommission ihre Vorstellungen für die zukünftige Zusammenarbeit der EU mit Zentral-amerika vor.
Auf der Basis dieser Kommissionspapiere bildete sich unter den EU-Mitgliedsstaaten rasch ein breiter Konsens für eine Fortsetzung und die Redynamisierung des San-Jose-Dialogs. Ein entsprechender formeller Beschluß wurde im Dezember 1995 vom Europäischen Rat in Madrid gefaßt
VIII. Die „Erklärung von Florenz“
Die San-Jose-XII-Konferenz, die am 21. März 1996 in Florenz stattfand, hat deutlich gemacht, daß die zentralamerikanische Seite dem Dialog mit Europa nach wie vor erhebliche Bedeutung beimißt, was vor dem Hintergrund weiter sinkender US-Hilfeleistungen nicht verwundert. Mit der auf der Konferenz verabschiedeten „Erklärung von Florenz“, die an die Stelle der „Erklärung von Luxemburg“ tritt, in der auf der San-Jose-II-Konferenz im November 1985 der San-Jose-Prozeß institutionalisiert worden war, haben Europäer und Zentralamerikaner die Reform des San-Jose-Dialogs vollzogen und damit die interregionalen Beziehungen auf eine neue, zeitgemäße Grundlage gestellt.
Vornehmliche Ziele des Dialogs sind fortan die Festigung des Friedens-und des Demokratisierungsprozesses, die Achtung der Menschenrechte und eine selbsttragende „nachhaltige“ Entwicklung in Zentralamerika. Diese Ziele sollen durch die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, die Konsolidierung des Rechtsstaats, Bekämpfungder (insbesondere Drogen-) Kriminalität, den Abbau sozialer Ungleichheit und durch die effiziente Integration Zentralamerikas in die Weltwirtschaft erreicht werden.
Es wurde vereinbart, die traditionellen jährlichen Außenministerkonferenzen in der bisherigen Zusammensetzung nur noch alle zwei Jahre im Wechsel in Europa und Zentralamerika durchzuführen. In den Jahren dazwischen sind Treffen der zentralamerikanischen Minister mit der EU-Troika -ebenfalls im Wechsel in Europa und Zentralamerika -vorgesehen
Das Interesse der Zentralamerikaner richtet sich zunehmend auf eine größere Unterstützung bei der Integration ihrer kleinen Volkswirtschaften in die Weltwirtschaft durch Investitionen und vor allem durch einen erweiterten Marktzugang. Diesem Wunsch konnte durch die Revitalisierung und Kompetenzerweiterung der „gemischten Kommission“ und die Einrichtung eines Handelsforums teilweise Rechnung getragen werden. Die „gemischte Kommission“, die die Zusammenarbeit zwischen den Ministerkonferenzen überwacht, soll in Zukunft alle achtzehn Monate zusammentreten, die Sub-Kommission für Kooperation prinzipiell alle neun Monate. Das neu geschaffene Handelsforum als Instrument zur Erörterung grundsätzlicher Handelsfragen (z. B. Fragen des Allgemeinen Präferenzsystems oder des Bananen-handels) kann von einer der beiden Seiten einberufen werden.
Zum Inhalt der zukünftigen Zusammenarbeit vereinbarten beide Seiten die folgenden -sowohl bereits in der „Zentralamerikanischen Allianz für nachhaltige Entwicklung“ als auch in den zitierten EU-Dokumenten von 1995 enthaltenen -Prioritäten: -Konsolidierung des Rechtsstaats und Modernisierung der öffentlichen Verwaltung. Maßnahmen in diesem Bereich sollen durch eine Unterstützung rechtsstaatlicher Institutionen zur Konsolidierung der Demokratie beitragen. Diese Maßnahmen schließen auch das „Mehrjahresprogramm zur Förderung der Menschenrechte in Zentralamerika“ ein, das auf der San-Jose-XII-Konferenz in Florenz um vier Jahre verlängert wurde. Darüber hinaus soll die Effizienz der Staatsverwaltung vor allem in den Bereichen der Steuerverwaltung, der Justiz und
des Polizeiwesens gestärkt werden. In erheblichem Maße haben sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten in jüngster Zeit auch bei der Durchführung von Wahlen und der Wahlbeobachtung engagiert, so bei den Präsidentschaftsund Parlamentswahlen in Guatemala vom November 1995 (und Stichwahl im Januar 1996) sowie bei den Wahlen in Nicaragua vom 20. Oktober 1996. -Wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Ziel ist es, einen Beitrag zu leisten zum Abbau von Armut und sozialer Ungleichheit. Konkrete Maßnahmen zielen u. a. auf die Sicherung des Zugangs zu Land und Krediten, Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Reform des Bildungswesens. -Unterstützung der zentralamerikanischen Kooperation und Integration in die Weltwirtschaft. In diesem Bereich will die EU ihre Unterstützung für den zentralamerikanischen Integrationsprozeß mit Schwergewicht auf den operationeilen Aspekten verstärken. Außerdem soll ein Beitrag zur Diversifizierung der Exporte der Subregion nach Europa geleistet werden. Daneben steht die Förderung der Kooperation zwischen Privatunternehmen aus Europa und Zentralamerika. Die Forderung der Zentral-amerikaner nach zusätzlichen Sonderpräferenzen im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems der EU (APS) bleibt vorerst auf der Agenda, ist aber bereits im Entwurf der Kommission für eine Änderung der APS enthalten.
Auch die EU-Mitgliedsstaaten haben signalisiert, die hohe Priorität, die die meisten von ihnen Zentralamerika in ihrer Entwicklungszusammenarbeit beimessen, beibehalten zu wollen. Bei generell sinkenden Entwicklungshilfebudgets sind Kürzungen allerdings nicht ausgeschlossen. So wurde das deutsche Engagement im Mai 1996 durch den Besuch von Bundespräsident Herzog in Nicaragua unterstrichen, wo dieser mit allen Präsidenten Zentralamerikas zusammentraf. Mit seinem Besuch würdigte er den erfolgreichen Friedens-und Demokratisierungsprozeß in der Region und brachte gleichzeitig die fortbestehende Unterstützungsbereitschaft Deutschlands gegenüber den zentralamerikanischen Partnern zum Ausdruck. Gleichwohl wird sich der Zwang zum Sparen, dem sich die Bundesregierung gegenwärtig gegenübersieht, spätestens 1997 auch auf die Neuzusagen für die zentralamerikanischen Länder auswirken.
Durch die „Erklärung von Florenz“ ist das Engagement der EU in den Ländern der amerikanischen Landbrücke langfristig gesichert. Dies entspricht den in der Vergangenheit wiederholt mit Bezug auf Zentralamerika formulierten (entwicklungs-) politischen Zielen und Grundsätzen der EU. Eine Abkehr von Zentralamerika durch eine erhebliche Reduzierung oder gar Einstellung der Hilfe in der jetzigen Phase, in der Frieden und die Demokratisierung in Zentralamerika noch keineswegs konsolidiert sind, würde zudem das mit der Zentralamerika-Politik erworbene politische Prestige der EU gefährden und könnte sogar zu innenpolitischen Kontroversen in Europa führen.
Trotz schwindenden Medieninteresses aufgrund der erfolgreich verlaufenden Befriedung und trotz neuer Themen auf der außenpolitischen Agenda bleibt die Kontinuität der europäischen Kooperation mit Zentralamerika damit für die nächste Zukunft gewahrt.
IX. Lateinamerika als neue Schwerpunktregion der EU
Die EU ist in jüngster Zeit bei der Intensivierung ihrer Beziehungen zu Lateinamerika mit Riesen-schritten vorangegangen. Schon unter deutscher Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 1994 wurde Lateinamerika zur Schwerpunktregion erklärt und der Ausbau der vertraglichen Grundlagen für die Zusammenarbeit in die Wege geleitet. Erklärtes Ziel war dabei nicht zuletzt, daß die hohe Qualität der Beziehungen auch in den Vertragstexten ihren Niederschlag finden sollte.
Der San-Jose-Dialog mit Zentralamerika hat dabei wertvolle Schrittmacherdienste bei der Intensivierung der Beziehungen auch mit den anderen Ländern Lateinamerikas und der Karibik geleistet. Mit der aus der Contadora-und der Contadora-Unterstützergruppe hervorgegangenen Rio-Gruppe finden bereits -ähnlich den San-Jose-Konferenzen -regelmäßige Ministertreffen statt. Kooperationsabkommen mit dem Mercosur, Chile und Mexiko wurden abgeschlossen bzw. stehen unmittelbar bevor.
Kuba ist das einzige Land Lateinamerikas und der Karibik, das über keine vertraglichen Beziehungen zur EU verfügt. Auf Vorschlag der EU-Kommission, mit Kuba exploratorische Gespräche aufzunehmen, besuchte eine Delegation der Troika (Frankreich, Italien, Spanien) vom 6. bis 10. November 1995 das Land, um mit der dortigen Regierung die Möglichkeiten für den Abschluß eines Kooperationsabkommens auszuloten. Auf ihrem Gipfel (Europäischer Rat von Madrid) gaben die Staats-und Regierungschefs am 15. Dezember 1995 grünes Licht für eine Fortsetzung des Dialogs und beauftragten die Kommission, im ersten Quartal 1996 ein Verhandlungsmandat für ein Kooperationsabkommen mit Kuba vorzulegen. Vom 8. bis 10. Februar reiste Kommissionsvizeprasident Manuel Marin nach Kuba, um mit Fidel Castro und Mitgliedern der kubanischen Regierung über die größten Hindernisse auf dem Weg zu einem Abkommen zu sprechen: das Fehlen einer Amnestie für die politischen Gefangenen und das Ausbleiben einer demokratischen Öffnung des Regimes. Das Ergebnis der Gespräche war ernüchternd, genauso wie der Besuch der kubanischen Vizeaußenministerin, Isabel Allende, am 7. Mai in Brüssel. Zwar äußert die kubanische Seite nach wie vor Interesse an einem Abkommen mit der EU, ist aber nicht bereit, dafür auf die Forderungen der Europäer einzugehen. Im Gegenteil, der Abschuß zweier Kleinflugzeuge von Exilkubanern leitete ein härteres Vorgehen gegen die im „Concilio Cubano“ locker organisierte Opposition ein. Dieses führte -nach 1989/90 -zu einer erneuten Suspendierung der Verhandlungen
Heinrich Kreft, Dr. phil., M. A., B. A. (USA), geb. 1958; Studium der Politologie, Geschichte, Wirtschaftswissenschaften, Soziologie am Juniata College, Huntingdon, Pa. (USA), Universität Münster, Institut d’Etudes Politiques de Paris, Sorbonne Nouvelle (Paris); Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts, Bonn. Zahlreiche Veröffentlichungen über außen-und entwicklungspolitische Themen, Südamerika und Asien (speziell Japan).
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