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Die amerikanische Wirtschaft unter Bill Clinton | APuZ 43/1996 | bpb.de

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APuZ 43/1996 Befindlichkeit amerikanischer Politik im Präsidentschaftswahljahr 1996 Regieren als permanente Kampagne Stil, Strategien und Inhalte der amerikanischen Innenpolitik unter Präsident Clinton Rückkehr in die Hegemonie. Zur Weltpolitik der USA unter Präsident Clinton Die amerikanische Wirtschaft unter Bill Clinton Die amerikanische konservative Revolution. Radikale Rechte und Republikanische Partei am Ende des Jahrhunderts

Die amerikanische Wirtschaft unter Bill Clinton

Stephan Bierling

/ 21 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

1992 wurde Bill Clinton auf einer Welle der Frustration über die wirtschaftliche Entwicklung ins Weiße Haus getragen. Vier Jahre später brüstet sich der Präsident, die Vereinigten Staaten seien ökonomisch in einem besseren Zustand als zu jedem anderen Zeitpunkt der vergangenen zwanzig Jahre. In der Tat ist der Misery-Index, die Kombination aus Arbeitslosen-und Inflationsrate, auf dem niedrigsten Stand seit dem letzten Amtsjahr des US-Präsidenten Lyndon B. Johnson. Trotzdem erklärten 46 Prozent der Amerikaner im März 1996, das Land befinde sich in einem langfristigen ökonomischen Abstieg. 57 Prozent stimmten der Aussage zu, die Wirtschaftslage verschlechtere sich. Dieser Beitrag argumentiert, daß die makroökonomische Entwicklung in den letzten vier Jahren zwar sehr positiv verlief, die „Clintonomics“ aber dafür nicht verantwortlich sind. Ebensowenig ist es der Wirtschaftspolitik der amtierenden Administration gelungen, langfristige Trends wie die stagnierenden Familieneinkommen, die wachsende Ungleicheit und das „Downsizing“ der Großkonzerne zu beeinflussen. Auch wenn diese Entwicklungen mit sozialen Kosten und individuellen Härten verbunden sind, so haben sie doch gesamtwirtschaftlich positive Effekte, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit der US-Industrie erhöhen, die Schaffung von Arbeitsplätzen erleichtern und den Strukturwandel unterstützen. Angesichts des insgesamt guten Zustands der amerikanischen Wirtschaft ist die Wiederwahl Clintons nicht gefährdet.

I. Die Ausgangslage

Tabelle 1: Die Entwicklung der US-Wirtschaft seit 1981 (Angaben in Prozent) Quelle: Economic Report of the President, Washington, D. C. Feb. 1996; eigene Berechnungen; * = Schätzungen.

George Bush verlor 1992 die Präsidentschaftswahlen, weil die Mehrheit der Wähler mit der Wirtschaftsentwicklung unzufrieden war. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Ronald Reagan, der in seiner ersten Amtszeit ebenfalls eine schwere Rezession durchzustehen hatte, gelang es Bush nicht, seine Landsleute davon zu überzeugen, daß er über die geeigneten Rezepte zur Überwindung der Krise verfüge Der Wahlerfolg Bill Clintons beruhte aber nicht nur auf der Unfähigkeit der amtierenden Administration, den Wählern in schwierigen Zeiten eine Perspektive zu bieten. Der demokratische Herausforderer verstand es auch geschickt, die wirtschaftlichen Sorgen der amerikanischen Mittelklasse zum zentralen Thema seiner Kampagne zu machen. In praktisch jeder Wahlkampfrede betonte Clinton, die achtziger Jahre seien eine Dekade des Niedergangs gewesen, ausgelöst durch die verfehlte Wirtschaftspolitik seiner beiden republikanischen Vorgänger Er versprach, sich wie ein „Laserstrahl“ auf die ökonomischen Probleme des Landes zu konzentrieren und Amerika zurück auf den Wachstumskurs zu führen. Dies verhalf ihm mehr als alles andere zum Wahlsieg von 1992.

Vier Jahre später brüstet sich die Clinton-Regierung, die Vereinigten Staaten seien wirtschaftlich in einem besseren Zustand als zu jedem anderen Zeitpunkt der vergangenen zwanzig Jahre. In der Tat ist der Misery-Index, die Kombination aus Arbeitslosen-und Inflationsrate, auf dem niedrigsten Stand seit dem letzten Amtsjahr des US-Präsidenten Lyndon B. Johnson. Trotzdem erklärten 46 Prozent der Amerikaner im März 1996, das Land befinde sich in einem langfristigen ökonomischen Abstieg. 57 Prozent stimmten der Aussage zu, die Wirt-schaftslage verschlechtere sich Der Präsident selbst schien diesen Zukunftsängsten Ausdruck zu verleihen, als er im September 1995 -zum Entsetzen seiner Berater -erklärte, Amerika sei in einem Zustand des „funk“ (Verdrossenheit).

Dieser Beitrag verfolgt drei Ziele: Erstens soll überprüft werden, ob die makroökonomische Entwicklung in den letzten vier Jahren tatsächlich so positiv verlief, wie von der Clinton-Administration behauptet. Zweitens wird der Frage nachgegangen, inwieweit die Politik der amtierenden Regierung für die derzeitige wirtschaftliche Situation der USA verantwortlich ist. Drittens wird versucht zu erklären, warum sich die gute gesamtwirtschaftliche Entwicklung nicht positiver auf die Stimmungslage der amerikanischen Wähler auswirkt. Ein Blick auf die Bedeutung ökonomischer Themen im Präsidentschaftswahlkampf 1996 schließt die Überlegungen ab.

Ich danke Viola Schenz M. A. für ihre zahlreichen stilistischen und inhaltlichen Anregungen.

II. Die makroökonomische Entwicklung in der Amtszeit Clintons ,

Tabelle 2: Die wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaften Quelle: International Institute for Management Development, World Competitiveness Yearbook 1996, Lausanne 1996.

Betrachtet man die zentralen Wirtschaftsdaten der USA in den letzten vier Jahren, so fällt die Bilanz positiv aus. In fast allen Bereichen ist eine Verbesserung gegenüber den Zahlen (Tabelle 1) der Vorgängeradministration festzustellen Das Bruttoinlandsprodukt stieg von 1993 bis 1996 durchschnittlich um real 2, 6 Prozent pro Jahr. Die Wachstumsrate war damit deutlich höher als unter der Bush-Regierung (1, 6 Prozent), lag aber etwas unter den Werten der Präsidenten Carter und Reagan (je 3, 1 Prozent). Die US-Wirtschaft befindet sich im September 1996 im 66. Monat der laufenden Expansionsphase. Nur zwei der zehn Konjunkturaufschwünge nach dem Zweiten Weltkrieg -die Booms der sechziger Jahre und der ReaganÄra -hielten länger an, der Durchschnitt betrug 50 Monate. Auch stieg das Bruttoinlandsprodukt in Amerika seit 1993 schneller als im Durchschnitt der OECD-Länder.

Die Inflationsrate lag unter Clinton trotz der guten Wachstumszahlen mit 2, 6 Prozent so niedrig wie seit den sechziger Jahren nicht mehr. Selbst während der Amtszeit von Bush, die von einer hartnäckigen Rezession gekennzeichnet war, stiegen die Preise im Durchschnitt noch mit 3, 8 Prozent.

Das Haushaltsdefizit ging nominal von 290 Mrd. US-Dollar im Jahr 1992 auf 116 Mrd. US-Dollar 1996 zurück Gemessen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt fiel die Neuverschuldung noch signifikanter, nämlich von 4, 9 Prozent auf 1, 6 Prozent. Damit weisen die USA das niedrigste Budgetdefizit der sieben großen Industriestaaten (G 7) auf. Als einzigem Präsidenten der Nachkriegszeit ist es Clinton gelungen, das Minus im Staatshaushalt in vier aufeinanderfolgenden Jahren zu verringern. Das erste Mal seit 1981 reduzierte sich 1996 die gesamte Staatsschuld als Anteil am Bruttoinlandsprodukt, und zwar von 70, 3 Prozent auf unter 70 Prozent.

Auch die Arbeitslosenzahlen entwickelten sich positiv. Im Durchschnitt der letzten vier Jahre waren sechs Prozent der US-Bürger ohne Beschäftigung. Der Trend ist noch beeindruckender: Während in Kontinentaleuropa und Japan die Erwerbslosigkeit in den letzten vier Jahren anstieg, fiel sie in den USA von 7, 4 Prozent im Jahr 1992 auf 5, 4 Prozent 1996. Im August 1996 erreichte sie sogar ein Sieben-Jahres-Tief. Seit Clintons Amtsan-tritt wurden netto fast elf Mio. neue Stellen geschaffen. Langzeitarbeitslosigkeit spielt in den Vereinigten Staaten anders als in Europa keine große Rolle: Lediglich 1, 8 Prozent der Erwerbstätigen suchten länger als 15 Wochen nach einer neuen Stelle. Für weiße Frauen und Männer im Alter von über 20 Jahren lag die Arbeitslosenquote 1995 bei 4, 3 Prozent, bei ihren schwarzen Alterskollegen bei knapp neun Prozent. Allerdings sind schwarze Teenager zu fast 35 Prozent ohne Beschäftigung.

Den einzigen Schatten auf die fast makellose makroökonomische Bilanz der Clinton-Administration wirft das Defizit in der Handelsbilanz. Es stieg von 96 Mrd. US-Dollar 1992 auf 160 Mrd. US-Dollar 1995 an. Am größten war das Minus im Warenaustausch dabei 1995 mit Japan (59, 3 Mrd. US-Dollar), China (33, 8 Mrd. US-Dollar), Kanada (18, 2 Mrd. US-Dollar) und Mexiko (15, 5 Mrd. US-Dollar) Der Anstieg des Defizits seit 1992 wurde allerdings vor allem dadurch verursacht, daß die Wirtschaft der USA in den letzten vier Jahren deutlich schneller wuchs als die ihrer wichtigsten Handelspartner Kanada, Japan, Mexiko und der Europäischen Union (EU). Dies führte zu einer raschen Steigerung der Importe aus diesen Ländern, während die Exporte dorthin stagnierten oder nur langsam wuchsen. Als Anteil am gesamten amerikanischen Außenhandel ist das Defizit im gegenwärtigen Konjunkturzyklus aber deutlich niedriger als im vergangenen. Hatte es auf dem Höhepunkt des letzten Wirtschaftsaufschwungs 1987 noch 24, 2 Prozent betragen, so lag es 1995 nur noch bei 12 Prozent. Auch nominal geht das Defizit zurück: In den ersten sechs Monaten des Jahres 1996 lag es um 14, 2 Prozent niedriger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres

III. Clintons Wirtschaftspolitik

Tabelle 3: Durchschnittliches jährliches Wachstum des mittleren Familieneinkommens nach Einkommensquintil (in Prozent) Quelle: Economic Report of the President, Washington, D. C. February 1994, S. 117.

Amerika scheint sich vor den Präsidentschaftswahlen 1996 also in der besten aller ökonomischen Welten zu befinden: stetiges Wachstum bei geringem Inflationsdruck, annähernde Vollbeschäftigung, niedrige Neuverschuldung und ein tendenziell fallendes Außenhandelsdefizit. Schwieriger zu beantworten als die Frage nach dem Zustand der US-Wirtschaft ist jedoch die Frage, inwieweit die Politik der amtierenden Administration für diese positive Bilanz verantwortlich zeichnet. Dazu sollen zunächst die Inhalte und die Implementierung von Clintons Wirtschaftspolitik analysiert werden.

1. Das Programm der „Clintonomics"

Obwohl Clintons Prozent. Auch nominal geht das Defizit zurück: In den ersten sechs Monaten des Jahres 1996 lag es um 14, 2 Prozent niedriger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres 7.

III. Clintons Wirtschaftspolitik

Amerika scheint sich vor den Präsidentschaftswahlen 1996 also in der besten aller ökonomischen Welten zu befinden: stetiges Wachstum bei geringem Inflationsdruck, annähernde Vollbeschäftigung, niedrige Neuverschuldung und ein tendenziell fallendes Außenhandelsdefizit. Schwieriger zu beantworten als die Frage nach dem Zustand der US-Wirtschaft ist jedoch die Frage, inwieweit die Politik der amtierenden Administration für diese positive Bilanz verantwortlich zeichnet. Dazu sollen zunächst die Inhalte und die Implementierung von Clintons Wirtschaftspolitik analysiert werden.

1. Das Programm der „Clintonomics"

Obwohl Clintons Wahlkampfschrift von 1992 Putting People Firs 8ein Sammelsurium von unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Ideen bildete, gelang es dem Kandidaten damals, alles in den Kontext seiner zentralen ökonomischen Botschaft zu stellen: Der Staat kann eine wichtige Rolle bei der Genesung der US-Wirtschaft spielen und dadurch die Position Amerikas im internationalen Wettbewerb stärken. Diese Vorstellungen leiteten Clinton auch bis zu den Kongreßwahlen von 1994. Der Präsident und seine engsten Wirtschaftsberater zeigten sich skeptischer als ihre Vorgänger gegenüber den Selbstheilungskräften des Marktes und betrachteten es als ihre Aufgabe, in das Marktgeschehen einzugreifen und Marktergebnisse zu korrigieren 9. Die OECD stellte Ende 1993 so auch fest, die Regierung Clinton beabsichtige, „aktiv auf die Verwirklichung solcher Ziele hinzuarbeiten, wie Beseitigung der sich tendenziell vergrößernden Einkommensunterschiede, beschleunigte Schaffung von Arbeitsplätzen sowie Steigerung der materiellen und immateriellen Investitionen zur Verbesserung der Produktivitätsergebnisse und zur Förderung des Realeinkommenswachstums“ 10.

Der neue Präsident versuchte, diese Ziele durch höhere Staatsinvestitionen in die Infrastruktur und die Erziehung, die Förderung von Hochtechnologieprojekten und eine Reduzierung der Neuverschuldung zu erreichen. Auf dem Papier bildete dies ein schlüssiges Konzept. In der Realität erwies es sich aber aus zwei Gründen als problematisch: Erstens basierte es auf einer falschen, da politisch motivierten Einschätzung der Wurzeln der amerikanischen Wirtschaftsprobleme; die Rezepte gingen deshalb an den wirklichen Schwierigkeiten vorbei. So hat das Forschungsinstitut der Unternehmensberatungsfirma McKinsey nachgewiesen, daß weder technologische Rückständigkeit und mangelnde Ausbildung der Arbeiterschaft noch zu geringe Investitionen die Hauptursachen dafür sind, daß die USA in einigen Industriesektoren weniger produktiv sind als ihre Mitbewerber. Das habe vielmehr mit der Organisation der Arbeitsabläufe zu tun 11. Zweitens zeigte sich, daß ein solches Programm, selbst wenn Clintons Ursachenanalyse zutreffend gewesen wäre, wegen der angespannten Haushaltslage und der Dominanz politisch-opportunistischer über wirtschaftlich-rationale Überlegungen im Kongreß kaum konsistent durchsetzbar war. Das Schicksal, das seine wichtigsten ökonomischen Initiativen in seinen ersten beiden Amtsjahren erlitten, untermauert diese skeptische Sichtweise.

2. Phase aktiven Regierens (1993/94)

So scheiterte Clinton mit seinem Versuch, die Staatsausgaben weg vom konsumtiven hin zum investiven Bereich zu verlagern. Im April 1993 fiel sein Stimuluspaket im Umfang von 16 Mrd. US-Dollar einem republikanischen Filibuster im Senat zum Opfer. Im Sommer strich der Kongreß im Zuge der Defizitreduzierung die vom Präsidenten im Budgetentwurf für das Fiskaljahr 1994 vorgesehenen 140 Mrd. US-Dollar für neue Investitionen auf 11, 5 Mrd. US-Dollar zusammen 12. In seinem Haushaltsplan für 1995 unternahm Clinton erneut den Versuch, die Investitionsausgaben zu erhöhen, insbesondere für Erziehung, Fortbildung, Infrastruktur-und Energieprojekte, Arbeitsbeschaffungsprogramme und eine landesweite „Informationsschnellstraße“. Da die Einnahmen jedoch nicht dramatisch anstiegen, hätte Clinton gemäß den 1993 bestärkten Haushaltsobergrenzen für ungebundene Ausgaben Programme vieler Abgeordneter zusammenstreichen müssen, um seine Vorschläge zu finanzieren. Darunter befanden sich Posten wie Subventionen für den Massentransport, Heizungszuschüsse für Wenigverdienende, Bundeshilfen für Stadtentwicklung und der soziale Wohnungsbau Angesichts der Tatsache, daß der Präsident 1993 nicht einmal sein Wahlkampfversprechen einer Abschaffung der Staatszuschüsse für Imker durch den Kongreß bringen konnte, verwunderte es nicht, daß seinem Vorhaben, 115 Programme ersatzlos zu streichen und weitere 200 zu kürzen, nur geringer Erfolg beschieden war

Die Förderung der Hochtechnologie erlitt ein ähnliches Schicksal. Ausgehend von der Prämisse, daß die USA in vielen Bereichen der Hochtechnologie nicht mehr wettbewerbsfähig sind, wollte Clinton verstärkt in Zivil-und Mehrzweck-Technologieprojekte investieren. Unter dem Diktat leerer Kassen fielen die tatsächlich zur Verfügung gestellten Beträge jedoch bescheiden aus. Zudem belegen Statistiken die im Vergleich zu privatwirtschaftlichen Maßnahmen geringeren Produktivitätsgewinne öffentlich finanzierter Forschungs-und Entwicklungsvorhaben (F & E). Dies hängt nicht nur mit dem hohen Anteil an den F & E-Subventionen zusammen, die in den Militärsektor gehen, sondern ist auch Folge des starken Einflusses des Kongresses auf die Mittelzuweisungen für zivile Forschung Insgesamt ist die Bürokratie bisher den Nachweis schuldig geblieben, daß sie die Wachstumssektoren besser identifizieren kann als die Privatwirtschaft Clintons Hoffnung, die amerikanische Hochtechnologie durch staatliche Gelder leistungsfähiger zu machen, scheint deshalb auf Sand gebaut.

Auf den ersten Blick erfolgreich war Clinton dagegen bei einem Problem, dem er in seinem Präsidentschaftswahlkampf wenig Aufmerksamkeit gewidmet hatte: der Reduzierung des Budgetdefizits. Erst unter öffentlichem Druck, ausgelöst vor allem durch den unabhängigen Kandidaten Ross Perot, wandte sich Clinton dieser Frage zu. Sein Plan, das Defizit in seiner Amtszeit um insgesamt 500 Mrd. US-Dollar abzubauen, fand in beiden Häusern des Kongresses eine knappe Mehrheit Die Zahl überzeichnet jedoch die tatsächliche Konsolidierung, da das Referenzniveau recht willkürlich gewählt war. Wie Reagan und Bush vor ihm entschied sich auch der neue Präsident, den einfachen Weg einzuschlagen: Weder kam es zu wesentlichen Einschnitten bei den Ausgaben noch zu substantiellen Einnahmeerhöhungen. Seine mit vielen Vorschuß-Lorbeeren bedachte Energie-steuer ließ er fallen, als sie im Kongreß auf Widerstand stieß. Die Anhebung des Spitzensteuersatzes von 33 auf 40 Prozent stellte mehr ein politisches Symbol dar, als daß sie zu einer bedeutenden Einnahmesteigerung führte. Die Privilegien der Mittelklasse blieben weitgehend unangetastet.

Insgesamt war der Umfang von Clintons Haushaltssanierungspaket von 1993 (Omnibus Budget Reconciliation Act) vom Umfang her vergleichbar mit dem seines Vorgängers aus dem Jahr 1990 (Budget Enforcement Act). Daß das Defizit als Anteil am Bruttoinlandsprodukt dennoch von 4, 9 Prozent 1992 auf 2, 9 Prozent 1994 zurückging, lag vor allem an den sinkenden Zinsaufwendungen für die Bundesschuld, den geringer als erwartet ausfallenden Kosten für insolvente Sparkassen und die Arbeitslosenhilfe sowie an Mehreinnahmen im Zuge der Konjunkturerholung. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen erklärte Clinton in seiner ersten Ansprache zur Lage der Nation Ende Januar 1994 die Budgetkonsolidierung schon wieder für beendet Seine ein Jahr später vorgelegte mittelfristige Finanzplanung sah denn auch jährliche Defizite von 200 Mrd. US-Dollar bis zum Jahr 2002 vor Nicht einmal rhetorisch zollte der Präsident dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts Tribut.

3. Zeit des reaktiven Regierens (1995/96)

Die Machtübernahme der Republikaner im Kongreß im Januar 1995 läutete das Ende der sowieso nur ansatzweise umgesetzten „Clintonomics“ ein. Die neuen Herren auf Capitol Hill stellten den Haushaltsausgleich in den Mittelpunkt ihrer wirtschaftspolitischen Agenda. Dazu kamen die Zurückdrängung des Wohlfahrtsstaates und Steuerkürzungen. Auch wenn sich der Eifer, mit dem die Republikaner diese Ziele verfolgten, aus heutiger Sicht politisch nicht ausgezahlt hat, so gelang es der parlamentarischen Mehrheit doch in frappierender Weise, die innenpolitische Debatte zu bestimmen. Zunächst schlossen sich die Demokraten im Senat den Forderungen der Republikaner nach einem ausgeglichenen Budget an. Im Frühjahr wies die Kammer Clintons Haushaltsentwurf für das Fiskaljahr 1995/96, der eine Neuverschuldung von 200 Mrd. Dollar vorsah, mit 99 : 0 Stimmen zurück. Unter dem Druck von Vizepräsident Al Gore und Chefberater Dick Morris schwenkte der Präsident daraufhin auf den republikanischen Kurs ein und wartete am 13. Juni 1995 mit einem neuen Plan auf, der einen Budgetausgleich innerhalb von zehn Jahren vorsah Außerdem versprach er Steuererleichterungen für die Mittel-klasse, wenn auch in geringerem Umfang als von den Republikanern gefordert. Allerdings versuchte Clinton, wenigstens einige seiner Investitions-, Umwelt-und Ausbildungsprogramme zu retten.

Der Kongreßführung gingen diese Vorschläge jedoch nicht weit genug. Sie forderte tiefere Einschnitte in den Haushalt, um ihre versprochenen Steuererleichterungen zu finanzieren. Aber auch die Republikaner waren nicht dazu bereit, Subventionen und Steuervergünstigungen für die Unternehmen und die Mittelklasse einzuschränken oder die Renten-und Pensionszahlungen anzutasten. Der Löwenanteil der nötigen Einsparungen sollte deshalb nach den Vorstellungen der republikanischen Mehrheit bei den Sozialausgaben erfolgen. Damit bot sich Clinton allerdings eine offene Flanke, seine Widersacher auf Capitol Hill für die angebliche Härte ihrer Vorschläge zu attackieren und sich als Bewahrer sozialer Errungenschaften darzustellen. Es zeigte sich nämlich, daß eine große Mehrheit der Wähler zwar einen ausgeglichenen Haushalt wünschte, schmerzvolle Einschnitte in liebgewonnene Subventionen oder als unsozial empfundene Kürzungen aber nicht akzeptierte. So erachteten 67 Prozent der Amerikaner die Erhaltung des Medicare-Programms und 70 Prozent die Sicherung der staatlichen Altersfürsorge für wichtiger als einen Ausgleich des Staatshaushalts Eine überwiegende Mehrheit sprach sich ebenfalls gegen eine Einstellung der öffentlichen Schulspeisung aus.

Durch die Überschätzung ihres Mandats und taktische Fehler eröffneten die Republikaner Clinton die Möglichkeit, sich als Politiker der Mitte zu präsentieren, der ihre zentralen Themen aufnahm, aber bei der Umsetzung weniger radikal vorging. Der Präsident, der den größten Teil des Jahres 1995 wirtschaftspolitisch wenig präsent gewesen war, etablierte sich nun zusehends wieder als eigenständige Kraft. Zu spät bemerkten der Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, und seine wichtigsten Parteifreunde, daß ihr Versuch. Clinton durch die Androhung einer Nicht-Erhöhung der Verschuldungsobergrenze und die Schließung der Regierung zum Einlenken zu zwingen, für sie zu einem politischen Fiasko geriet. Im April 1996 attestierte eine Mehrheit der Wähler dem Präsidenten, sich im Haushaltsstreit verantwortungsbewußter verhalten zu haben als der Kongreß Die republikanische Revolution endete im gridlock, im Politikstau. Wieder einmal hatte es sich gezeigt, daß das amerikanische System auf Machtkontrolle und Kompromißfindung ausgelegt ist und sich allzu radikalen Kurswechseln verschließt.

4. Die „Clintonomics" und die Entwicklung der US-Wirtschaft

Insgesamt war Clinton seit 1995 also wesentlich erfolgreicher, die Wirtschaftspläne der Republikaner zu durchkreuzen, als darin, seine eigene Agenda durchzusetzen. Da er auch in seinen ersten beiden Amtsjahren mit seinen wichtigsten Initiativen scheiterte, ist die Frage, inwieweit die „Clintonomics“ für die positive makroökonomische Bilanz der letzten vier Jahre verantwortlich sind, irrelevant. Dies unterscheidet das Wirtschaftsprogramm dieses Präsidenten aber nicht wesentlich von denen seiner Vorgänger. Die Sieben-Billionen-Dollar-Volkswirtschaft der USA ist einfach zu groß, als daß man sie in einer oder zwei Amtszeiten auch nur einigermaßen beeinflussen könnte, zumal in einer Zeit knapper Haushaltsmittel keine Ressourcen für große neue Programme zur Verfügung stehen. Es bedarf schon außergewöhnlicher Entwicklungen -Kriege, einschneidender demographischer Veränderungen, einer dramatischen Ausweitung der Staatsaktivität -, um die Eckdaten einer Volkswirtschaft nachhaltig zu verändern. In normalen Zeiten gilt für die Wirtschaft die Erkenntnis „Politics doesn’t matter that much“.

IV. Zukunftsangst trotz Wirtschaftsboom

Auch wenn die Behauptung der Clinton-Administration, sie zeichne für die positive Wirtschaftsentwicklung seit 1993 zu einem guten Teil verantwortlich, einer genauen Überprüfung nicht standhält, so bleibt doch festzustellen, daß die USA sich Mitte der neunziger Jahre in einer glänzenden makroökonomischen Lage befinden und ihre Spitzenstellung in der Weltwirtschaft zurückgewonnen haben. So ermittelte das Internationale Institut für Managemententwicklung, wie aus Tabelle 2 ersichtlich, Mitte 1996 die Vereinigten Staaten zum dritten Mal hintereinander als das Land mit der wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaft der Erde Studien des McKinsey Global Institute gelangen zu dem Schluß, daß die USA nach wie vor die höchste Produktivität beim Einsatz von Kapital und Arbeit vorweisen und den Abstand zu den wichtigsten Mitbewerbern in den letzten Jahren sogar vergrößern konnten Trotzdem werden weite Teile der Bevölkerung -insbesondere die untere Mittelschicht -von Zukunftsängsten geplagt. Dies ist vor allem auf drei Ursachen zurückzuführen.

1. Stagnation der Familieneinkommen

Den wichtigsten Grund für die Frustrationen vieler Amerikaner hat Arbeitsminister Robert Reich prägnant formuliert: „In macroeconomic terms, the nation is prospering. But Americans do not live by macroeconomics. They live by home economics. They don’t live by official statistics. They live by the number that matters most: the figure on their family paycheck.“ In der Tat sind die Real-einkommen vieler amerikanischer Familien seit 1973 nicht oder nur wenig gestiegen. Dies zeigt sich, wenn die gesamte Gesellschaft in Quintile unterschiedlicher Einkommensklassen (Tabelle 3) mit je der gleichen Zahl von Haushalten eingeteilt und die Einkommensentwicklung jedes Quintils untersucht wird. Bis 1973 hatten alle Einkommens-gruppen in etwa gleichem Maße an den damals kräftigen Zuwächsen partizipiert, nach 1973 hingegen profitierten nur mehr die oberen beiden Quintile. Die Einkommen des mittleren Fünftels stiegen nur leicht an, die der beiden unteren Fünftel gingen sogar zurück Das erste Mal seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 1929 erlebt Amerika ein Sinken der Realeinkommen für große Teile der Erwerbstätigen bei gleichzeitigem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf Auch unter Clinton hat sich an dieser Entwicklung nichts Grundsätzliches geändert. 1993 und 1994 fielen die durchschnittlichen Familieneinkommen weiter, um sich in den letzten beiden Jahren wieder etwas zu erholen. Ob diese Entspannung -ebenso wie die verbesserte Qualität der seit 1994 neu geschaffenen Arbeitsplätze -nur ein vorübergehendes Phänomen darstellt oder eine Trendwende einleitet, ist noch nicht zu beurteilen. Auch müssen die Einkommen über längere Zeit steigen, um die Verluste der letzten zwanzig Jahre auszugleichen und die Stimmungslage der Amerikaner zu beeinflussen. Im Juni 1996 gaben auf jeden Fall nur einmal gerade zehn Prozent der Befragten an, ihr Familieneinkommen steige schneller als die Inflationsrate. 51 Prozent sahen eine Verschlechterung ihrer Position 2. Wachsende Ungleichheit Die unterschiedliche Einkommensentwicklung der einzelnen Quintile führte zu einer wachsenden Ungleichheit. 1973 lag das Einkommen des obersten Quintils 7, 5 mal über dem des untersten. 1996 war es 11 mal höher. Und der Prozentsatz der Familien, die mehr als 60 000 US-Dollar im Jahr verdienten, stieg in den Jahren 1970 bis 1993 von 20, 6 auf 25, 2 Prozent. Im gleichen Zeitraum nahm aber auch der Anteil der Familien mit weniger als 20 000 US-Dollar zu, und zwar von 20, 3 auf 24, 5 Prozent Der Hauptgrund für diese stärkere Einkommensspreizung liegt darin, daß die Anforderungen in der heutigen Wirtschaft durch den tech-nologischen Wandel gestiegen sind So hatten von den 1993 neugeschaffenen 1, 7 Mio. Arbeitsplätzen 60 Prozent mit Informationstechnologien zu tun und erforderten zumindest rudimentäre Computerkenntnisse. Eine gute Ausbildung wirft deshalb heute eine höhere Prämie ab als früher. Während etwa 1979 männliche Arbeitnehmer mit College-Diplom 49 Prozent mehr verdienten als diejenigen mit High-School-Abschluß, lag der entsprechende Wert 1993 bei 89 Prozent Zudem sorgten der rasche Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen, der Einflußverlust der Gewerkschaften und zu einem geringen Teil auch die Konkurrenz von Niedriglohnländern dafür, daß Personen mit schlechter Qualifikation Einkommenseinbußen hinnehmen mußten 3. „Downsizing" der Großunternehmen Seit Anfang der neunziger Jahre hat sich der Strukturwandel in der amerikanischen Wirtschaft verschärft. Dies findet auch im Verhalten der Großkonzerne seinen Ausdruck. So hat sich die Zahl der Entlassungen seit 1991 bei etwa 3, 2 Millionen pro Jahr eingependelt, während sie 1989 noch bei etwa zwei Millionen gelegen hatte. Zudem ist von den Stellenstreichungen erstmals auch das mittlere Management betroffen, das seine Frustrationen stärker artikuliert als die Arbeiterschaft. Ausdruck und Motor der daraus resultierenden Verunsicherung breiter Bevölkerungskreise sind Bestseller wie Jeremy Rifkins „The End of Work“, in dem der Autor argumentiert, der Verlust von Arbeitsplätzen schreite wegen der technologischen Entwicklung stetig voran und sei unaufhaltsam Erst kürzlich schürte die New York Times in einer siebenteiligen, jeweils mehrere Seiten umfassenden Serie in der das „Downsizing“ der Großkonzerne angeprangert wird, diese Zukunftsängste nach Kräften 4. Konsequenzen Gesamtwirtschaftlich sind die drei geschilderte! Entwicklungen kein Problem, im Gegenteil. So ha der langsame Anstieg der Durchschnittseinkom men seit 1973 zur Senkung der Lohnstückkostei beigetragen und damit die internationale Wettbe werbsfähigkeit der USA erhöht. Auch die wach sende Ungleichheit hat ökonomisch ihre gut« Seite. So belegen Ländervergleiche, daß Lohn spreizung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze positiv korrelieren Nur über diesen Weg war e: möglich, die in den letzten zwanzig Jahren neu au den Arbeitsmarkt drängenden Nachkriegsjahr gänge, die sogenannten „Baby-Boomers“, die ver stärkt erwerbstätigen Frauen und Einwanderer -insgesamt etwa 25 Millionen Personen -in der Arbeitsprozeß zu integrieren. Schließlich ist dei durch das „Downsizing“ vorangetriebene Strukturwandel zwar zweifellos mit individuellen Härten und sozialen Kosten verbunden, aber für die Volkswirtschaft insgesamt äußerst positiv, da er zu höherer Produktivität und damit zu höherem Wohlstand führt

Politisch kann die Brisanz dieser Entwicklung jedoch schwerlich überschätzt werden. Denn Populisten wie der unabhängige Präsidentschaftsbewerber Ross Perot oder der Republikaner Pat Buchanan nutzen die Zuknftsängste weiter Teile der Bevölkerung, um Wählerstimmen zu gewinnen. Ihnen ist es gelungen, die innenpolitische Debatte über die Ursachen für Einkommensstagnation, wachsende Ungleichheit und Massenentlassungen mit ihren Argumenten zu dominieren. Demnach sind diese Entwicklungen Folge unfairer Praktiken der Handelspartner, der Konkurrenz der Niedriglohnländer, der zunehmenden Zahl von Immigranten sowie des Desinteresses des wirtschaftlichen und politischen Establishments am Schicksal der unteren Mittelklasse Im Vorwahl-kampf der Republikaner um die Präsidentschaftsnominierung 1996 war Buchanan mit seinen Angriffen auf die „unsoziale“ Politik des Big Business derart erfolgreich, daß sich selbst sein gemä-ßigter Mitbewerber Bob Dole genötigt sah, ähnliche Töne anzuschlagen.

Auch im Präsidentschaftswahlkampf wagt es keiner der beiden Kandidaten, den Argumenten der Populisten mutig entgegenzutreten. Wer im Zweiparteiensystem mehrheitsfähig sein will, kann es sich nämlich kaum leisten, die Erklärungsmuster dieser Wählergruppe für ihre wirtschaftlichen Nöte unberücksichtigt zu lassen, selbst wenn dies die Aufgabe bisheriger programmatischer Eckpfeiler bedeutet. So laufen die Abkehr vom Freihandel, die Reduzierung der Auslandshilfe, die Beschränkung der Einwanderung den Inhalten zuwider, für die die Demokraten seit Roosevelt und die Republikaner seit Eisenhower standen.

V. Die Wirtschaft im Präsidentschaftswahlkampf 1996

Positive Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Situation bei verbreiteten Frustrationen wegen der Entwicklung der eigenen ökonomischen Lage -so läßt sich schlagzeilenartig die Stimmung der Amerikaner im Wahlkampfjahr 1996 wiedergeben. Es verwundert dabei nicht, daß eine überwältigende Mehrheit der Wähler, die den Zustand der US-Wirtschaft positiv beurteilen, für den Amtsinhaber stimmen will. Es überrascht jedoch, daß auch diejenigen, die mit Bangen in die Zukunft blicken, Clinton gegenüber seinem Herausforderer Dole bevorzugen. Der Grund: Mit ihrem Versuch, die staatlichen Sozialleistungen einzuschränken, haben die Republikaner nach ihrer Machtübernahme im Kongreß 1995 die wirtschaftlich verunsicherten Wähler in die Arme der Demokraten getrieben Clinton verstand es darüber hinaus geschickt, seine politischen Gegner als ideologische Eiferer hinzustellen und sich selbst als Beschützer der Interessen der Mittelschicht zu präsentieren.

Die Debatte um die Erhöhung des Mindestlohnes pro Arbeitsstunde von 4, 35 auf 5, 15 US-Dollar verdeutlicht diese Strategie. Obwohl die überwiegende Mehrheit der Ökonomen einen solchen Schritt als arbeitsplatzvernichtende Sondersteuer auf Unternehmen ablehnte, unterstützte der Präsident entsprechende gesetzliche Maßnahmen. Getragen wurde dieser Akt ökonomischen Populismus von Umfragen, die zeigten, daß fast 80 Prozent der Wähler eine Erhöhung des Mindestlohns befürworteten Die Republikaner, die sich einem solchen Schritt lange Zeit widersetzt hatten, mußten unter dem Druck der Öffentlichkeit im Sommer 1996 schließlich einlenken. Durch solche und ähnliche Aktionen gelang es den Demokraten seit dem Frühjahr 1996, jene Wähler wieder stärker an sich zu binden, die traditionell bei dieser Partei wirtschaftlichen Schutz suchen.

Die Erfahrung zeigt, daß ein amtierender Präsident nur dann nicht wiedergewählt wird, wenn sein Herausforderer in ökonomisch schwierigen Zeiten überzeugendere wirtschaftspolitische Rezepte anzubieten vermag. Dies taten alle drei Kandidaten, die seit dem Ersten Weltkrieg einen Amtsinhaber entthronten: Roosevelt 1932, Reagan 1980 und Clinton 1992 Clinton ist sich dieses Umstandes natürlich bewußt und agiert entsprechend. Der wichtigste Schachzug war, seinen Gegenkandidaten Dole durch die Übernahme der „republikanischen“ Forderungen nach einem ausgeglichenen Haushalt und Steuerkürzungen seiner zugkräftigsten Themen zu berauben Dessen Kampagne leidet seitdem darunter, daß er einen Präsidenten, der sich wirtschaftspolitisch in der Mitte des Spektrums bewegt, nur von der Flanke her attackieren kann. Um überhaupt die ökonomische Karte spielen zu können, mußte Dole zu aufsehenerregenden Vorschlägen Zuflucht nehmen, die jedoch vom „Mainstream“ der Volkswirte kritisch kommentiert werden. Auch die Mehrheit der Wähler scheint an einem grundlegenden Wandel der Wirtschaftspolitik wenig interessiert. So hat Doles Versprechen, unter seiner Präsidentschaft die Steuern um 548 Mrd. US-Dollar zu kürzen, bisher nicht dazu beigetragen, den Abstand zu Clinton in den Meinungsumfragen zu verringern. Es scheint, als ob George Stephanopoulos, ein enger Vertrauter des Präsidenten, mit seiner Feststellung Recht behalten sollte: „Very few things can derail a president when the economy is Strong.“

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Stephan Bierling, Zur Lage der US-Wirtschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/1992, S. 35-42.

  2. Zur Berechtigung der Vorwürfe Clintons vgl. Stephan Bierling, Das Vermächtnis der Reaganomics, in: Uwe Andersen/Stephan Bierling/Beate Neuss, Politik und Wirtschaft am Ende des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Dieter Grosser, Opladen 1995, S. 119-134.

  3. Laut einer ABC News/The Washington Post-Umfrage; in: National Journal (NJ) vom 8. Juni 1996, S. 1280.

  4. Die folgenden Zahlen basieren auf dem Economic Report of the President/The Annual Report of the Council of Economic Advisers, Washington, D. C. Februar 1996 sowie den Schätzungen des Office of Management and Budget vom Juli 1996. Vgl. Verhaltene Preisentwicklung in den USA, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ) vom 17. Juli 1996, S. 10.

  5. Vgl. Eric Pianin, Report Shows Deficit Diving to $116 Billion, in: Washington Post vom 16. August 1996, S. D 1/D 8.

  6. Während das Defizit mit Japan jedoch tendenziell abnimmt, steigt dasjenige mit China rasch an. Im Juni 1996 war das amerikanische Handelsbilanzminus mit China erstmals größer als das mit Japan. Vgl. Robert Hershey, China Has Become Chief Contributor to U. S. Trade Gap, in: New York Times/National Edition vom 21. August 1996, S. 1/C 4.

  7. Vgl. ebd.

  8. Für eine detaillierte Schilderung der wirtschaftspolitischen Entscheidungsprozesse in der Administration und im Kongreß im Jahr 1993 siehe Bob Woodward, The Agenda, New York 1994.

  9. Vgl. Viveca Novak, The Long Brawl, in: NJ vom 8. Januar 1994, S. 58-62. hier S. 59. Unter den Bestimmungen des Haushaltsgesetzes von 1993 sind die ungebundenen Bundes-ausgaben auf 540 Milliarden US-Dollar pro Jahr bis 1998 begrenzt; selbst ein Inflationsausgleich ist nicht vorgesehen. Annähernd die Hälfte dieser Summe geht an das Pentagon.

  10. Vgl. Viveca Nivola, A Budget That Has a Familiär Ring, in: NJ vom 12. Februar 1994, S. 368 ff.

  11. Vgl. OECD (Anm. 10), S. 109.

  12. Vgl. Brink Lindsey, The Has-Been Pundit and the Brand New President, in: Wall Street Journal vom 25. Februar 1993, S. A 12.

  13. Die Abstimmung über die endgültige Version fand in beiden Häusern des Kongresses nur die Mehrheit von einer Stimme, wobei Vizepräsident Gore im Senat durch sein Votum sogar ein Patt überwinden mußte.

  14. Vgl. Ruf Clintons nach einem Ausbau des Sozialstaats, in: NZZ vom 28. Januar 1994, S. 15.

  15. Vgl. Schluß mit der US-Haushaltskonsolidierung, in: NZZ vom 8. Februar 1995, S. 11.

  16. Vgl. Bob Woodward, The Choice, New York 1996, S. 207 ff.

  17. Vgl. Deutlich tieferes Budgetdefizit in den USA, in: NZZ vom 27. Oktober 1995, S. 9.

  18. Vgl. William Schneider, Backlash Boosts Clinton’s Prospects, in: NJ vom 20. April 1996, S. 910.

  19. Vgl. Reforms Keep U. S. At Top of League, in: Financial Times vom 28. Mai 1996, S. 5.

  20. Vgl. International Institute for Management Development, World Competitiveness Yearbook, Lausanne 1996; International Institute for Management Development/World Economic Forum, World Competitiveness Report, Lausanne 1995; McKinsey Global Institute, Manufacturing Productivity, Washington, D. C. Oktober 1993; dass., Capital Productivity, Washington, D. C. 1996.

  21. Robert B. Reich, Frayed-Collar Workers in Gold-Plated Times: The State of the American Workforce 1995, Washington, D. C. /Department of Labor, 31. August 1995.

  22. Vgl. Economic Report of the President, February 1994, Washington, D. C. 1994, S. 117.

  23. Vgl. Lester Thurow, Why Their World Might Crumble. How Much Inequality Can a Democracy Take?, in: The New York Times Magazine vom 19. November 1995, S. 78 f.

  24. Ein Bericht der Clinton-Administration zeigte im Frühjahr 1996, daß in zwei Dritteln der vom Februar 1994 bis zum Februar 1996 neu geschaffenen Arbeitsplätze mehr als der Durchschnittslohn bezahlt wurde. Vgl. Report by the Council of Economic Advisers/U. S. Department of Labor, Job Creation and Employment Opportunities: The United States Labor Market, 1993-1996, Washington, D. C. 23. April 1996, S. 5.

  25. Laut einer NBC News/Wall Street Journal-Umfrage; in: NJ vom 8. Juni 1996, S. 1280.

  26. Vgl. George Church, Are We Better Off?, in: Time vom 29. Januar 1996, S. 37-40. Das Basisjahr für die Dollarangaben ist 1993.

  27. Vgl. Paul Starobin, Unequal Shares, in: NJ vom 11. September 1993, S. 2176-2179.

  28. Vgl. Politics into Economics Won’t Go, in: The Economist vom 11. Mai 1996, S. 53 f.

  29. Allerdings muß festgehalten werden, daß es keinen Konsens in der Wissenschaft über die Gründe für die zunehmende Lohnspreizung gibt. Vgl. John Cassidy, Who Killed the Middle Class?, in: The New Yorker vom 16. Oktober 1995, S. 83-124, hier S. 122.

  30. Vgl. Jeremy Rifkin, The End of Work. New York 1995.

  31. Vgl. Louis Uchitelle/N. R. Kleinfield, The Downsizing of America: Paying the Price in People, in: IHT vom 6. März 1996, S. 1, 6. Die „Downsizing“ -Serie war die umfangreichste Berichterstattung über ein Thema seit der Veröffentlichung der Pentagon-Papers Anfang der siebziger Jahre.

  32. Vgl. Elaine Buckberg/Alun Thomas, Lohndifferenzen und Beschäftigungswachstum in den Vereinigten Staaten, in: Finanzierung & Entwicklung, Juni 1995, S. 16-19.

  33. Für eine nüchterne, ökonomisch überzeugende Diskussion der Arbeitsmarktentwicklung siehe Erhöhte Zukunftsangst der Amerikaner, in: NZZ vom 9. /10. März 1996, S. 15; A World Without Jobs?, in: The Economist vom 11. Februar 1995, S. 21 ff.; Thomas Crampton, The End of Jobs? Labor Analysts Claim the Doomsayers Are Wrong, in: IHT vom 8. Mai 1995, S. 9.

  34. Vgl. Robert Wright, Who’s Really to Blame?, in: Time vom 6. November 1995, S. 33-37.

  35. Vgl. William Schneider, Edge to Clinton, For Better or Worse, in: NJ vom 27. April 1996, S. 966.

  36. Laut einer NBC News/Wall Street Journal-Umfrage, in: NJ vom 8. Juni 1996, S. 1280.

  37. Der Wahlsieg Carters 1976 ist hier nicht berücksichtigt, da Ford zwar amtierender, aber nicht vom Volk gewählter Präsident war und nur gut zwei Jahre regierte.

  38. Vgl. Clinton’s Agenda, in: Business Week vom 2. September 1996, S. 30-38.

  39. Zit. in: Beth Belton/Del Jones, Clinton Counts on Economy, in: USA Today vom 3. September 1996, S. 10B/9B.

Weitere Inhalte

Stephan Bierling, Dr. habil., geb. 1962; Privatdozent am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft der Universität München; 1993 Gastprofessor in den USA. Veröffentlichungen u. a.: Der Nationale Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten. Anatomie und Hintergründe einer Karriere, Frankfurt u. a. 1990; Partner oder Kontrahenten? Präsident und Kongreß im außenpolitischen Entscheidungsprozeß der USA (1974-1988), Frankfurt a. M. u. a. 1992; Wirtschaftshilfe für Moskau. Motive und Strategien der Bundesrepublik Deutschland und der USA (1990-1995) (i. E.); (zus. mit Dieter Grosser und Beate Neuss) Bundesrepublik und DDR (1969-1990). Deutsche Geschichte in Darstellung und Dokumentation, Stuttgart 1996.