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Ende der Frauenpolitik? Zur unvollendeten Emanzipation von Männern und Frauen | APuZ 42/1996 | bpb.de

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APuZ 42/1996 Artikel 1 Sozialer Wandel durch Modernisierung, Individualisierung und Wertewandel Lebensformen und Lebensverläufe in diesem Jahrhundert Sozialer Wandel und Geschlecht: Für eine Neubestimmung des Privaten Ende der Frauenpolitik? Zur unvollendeten Emanzipation von Männern und Frauen

Ende der Frauenpolitik? Zur unvollendeten Emanzipation von Männern und Frauen

Walter Hollstein

/ 15 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Im Beitrag wird die Ansicht vertreten, daß die Stagnation gegenwärtiger Frauenpolitik ursächlich mit dem Widerstand der großen Mehrheit der Männer gegen Veränderungen im Geschlechterverhältnis verbunden ist. Wie die sukzessiven Erfolge der Frauenpolitik in den skandinavischen Ländern dokumentieren, lassen sich Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter nur durchsetzen, wenn auch die Bedürfnisse der Männer berücksichtigt werden und damit ein Bewußtseinswandel beim anderen Geschlecht einsetzen kann. Von daher wird eine eigenständige Männerpolitik gefordert, die den Männern Gleichstellung erklärt und für sie die damit verbundenen neuen Lebensentwürfe attraktiv macht. Frauenpolitik hat längerfristig keine Chance, ihre Ziele umzusetzen, wenn sie nicht von einer Männerpolitik begleitet wird. Nur so kann die Gleichstellung der Geschlechter verwirklicht werden.

Aus Anlaß der Vierten Weltfrauenkonferenz im September 1995 in Peking hat die deutsche Bundesregierung eine Anthologie herausgegeben, in der acht deutsche Männer ihre persönlichen Ansichten über die Gleichheit der Geschlechter, über Männlichkeit und Vaterschaft darlegen. Das fast 200 Seiten umfassende und schön präsentierte Buch trägt den Titel „Männer über Männer“. Zu den Autoren gehören der außerordentliche Berater des Bundeskanzlers, der ehemalige Minister des Sozialen sowie namhafte Schriftsteller, Geistliche und Wissenschaftler des öffentlichen Lebens in Deutschland.

In einem ebenso gescheiten wie engagierten Vorwort setzt sich der deutsche Bundeskanzler mit seiner ganzen Entschiedenheit für die Gleichstellung der Geschlechter ein. „Warum“, so fragt er im ersten Satz seines Beitrags, „unternimmt Deutschland substantielle und finanzielle Anstrengungen für eine Anthologie über Männer als Vorbereitung des Landes für die Weltfrauenkonferenz?“ Der Bundeskanzler antwortet: „Die Wahrheit ist, daß wir es uns nicht mehr länger erlauben können, patriarchalisch, sexistisch und diskriminierend zu sein. Um wirtschaftlichen Fortschritt zu gewährleisten, ist gesellschaftlicher Fortschritt vonnöten. Arbeit, Kreativität und Entscheidungsmacht der Frauen werden dringend gebraucht, um die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft wettbewerbsfähig zu erhalten.“ Der Kanzler weist ausdrücklich darauf hin, daß die Veränderung der traditionellen Frauenrolle nicht ausreicht, um die Zukunft zu sichern. „Es ist nicht genug, die Barrieren niederzureißen, die Frauen auf dem Arbeitsmarkt und im öffentlichen Leben behindert haben. Der nächste Durchbruch betrifft die Veränderung der Männer.“ Nach diesem geschlechterpolitischen Bekenntnis wird der Bundeskanzler persönlich. Er berichtet, wie in den fünfziger Jahren Regierungspolitik ein exklusiv männliches Geschäft gewesen ist und wie er bei seiner langen Karriere über dreieinhalb Jahrzehnte erleben durfte, daß Frauen sich in die Politik einmischten und diese qualitativ veränderten. Die Regierungsarbeit sei dadurch reicher, spannender und vor allem menschlicher geworden.

Aber nicht nur Arbeit und Politik müßten zwischen den Geschlechtern mitverantwortlich geteilt werden, sondern auch die Elternschaft. In diesem Zusammenhang drückt der Kanzler seine Überzeugung aus, daß „unsere Abwendung vom alten patriarchalischen Macho-Image eine befreiende Wirkung haben wird.“ Allerdings wisse er auch, daß bis zu diesem Ziel noch viel Arbeit geleistet werden müsse. Die vorliegende Anthologie solle deshalb ein Schritt auf dem Weg sein, daß „Männer gute Partner für den modernen Feminismus und Frauen Partnerinnen auf der Suche der Männer nach einem neuen Rollenverständnis werden können“.

Das schwedische Beispiel

Mit Sicherheit werden die geneigte Leserin und der geneigte Leser das Beschriebene inzwischen für Satire und das Zitierte für perfide Erfindung halten. Das ist richtig und doch auch falsch. Um zur Wahrheit zu gelangen, müssen wir unsere Optik nur um einige hundert Kilometer nach Norden verschieben, das Adjektiv „deutsch“ durch „schwedisch“ ersetzen und statt des Bundeskanzlers den ehemaligen schwedischen Premierminister Ingvar Carlsson lesen. Dann stimmt plötzlich alles.

In seinem Vorwort berichtet Carlsson, daß die Hälfte seiner schwedischen Regierung aus Männern besteht, 41 Prozent der Parlamentarier Frauen sind und regionale und lokale Gremien sich auf dem guten Weg zur Geschlechterdemokratie befinden.

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen ist in Schweden die höchste in der Welt. Das gilt auch für Frauen mit Kindern; die Erwerbsquote von Müttern liegt bei 88 Prozent. Insbesondere der Staat hat auf vorbildliche Weise Arbeitsplätze für Frauen geschaffen. Dementsprechend liegt der Anteil der Frauen im öffentlichen Sektor der nordischen Länder zwischen 62 und 69 Prozent.

Fortschrittliche familienpolitische Gesetze und eine entsprechende Infrastruktur garantieren die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das Steuersystem fördert die Erwerbstätigkeit beider Partner. Ganztagskindergärten und -schulen mit öffentlichen Transporten und Mahlzeiten ermöglichen die Entlastung der Eltern. Eine Folge davon ist, daß zum Beispiel die Schwedinnen seit 1983 im Durchschnitt mehr Kinder bekommen als sogar Frauen in überwiegend katholischen Ländern. Im Gegensatz zu Deutschland haben schwedische Karrierefrauen Familien mit jeweils mehreren Kindern.

Für Väter und Mütter gibt es in den nordischen Ländern Elternurlaub und Elternversicherungen. In Schweden beträgt der Elternurlaub 15 Monate; zwölf Monate lang zahlt die Elternversicherung 90 Prozent des früheren Einkommens und anschließend eine Pauschalsumme. Dementsprechend sind mehr als ein Viertel derer, die den Elternurlaub beanspruchen, inzwischen Männer -in der Bundesrepublik Deutschland sind das knapp ein Prozent. Eltern können sich den bezahlten Urlaub auch teilen.

Obwohl in Schweden die Männerfrage seit längerem thematisiert wird, nehmen Väter die genannten Möglichkeiten weniger in Anspruch als Mütter. Deshalb wird seit den achtziger Jahren der pädagogischen und politischen Arbeit mit Männern -kurz „Männerarbeit“ -verstärkte Bedeutung zugemessen; das gilt seit 1985 auch für Norwegen. Es gibt Männerzentren und „Krisenzentren für Männer“, in denen Männer ihre Probleme mit professionellen Helfern bearbeiten können. In Schweden beschäftigte sich eine „Ideengruppe“ offiziell mit Fragen der Männerrolle; sie wurde 1983 von der sozialdemokratischen Ministerin für Gleichstellung eingesetzt, von der bürgerlichen Koalition aber zehn Jahre später wieder abgeschafft. Dennoch: Männerpolitik ergänzt Frauenpolitik.

Besondere Bedeutung wird in den letzten Jahren auf das Thema der Vaterschaft gelegt. Dementsprechend sind Schwedens Väter in der Erziehung wesentlich präsenter als ihre Geschlechtsgenossen in anderen Ländern. Empirische Untersuchungen zeigen, daß die aktive Vaterschaft auch die wirksamste Möglichkeit ist, die männliche Rolle aus ihrer Vereinseitigung zu lösen, die Männer beziehungsfähiger und emotionaler werden zu lassen. Dieses Ergebnis wird durch empirische Untersuchungen aus den USA bestätigt. Der nahe Umgang mit Kindern eröffnet den Männern auch die Einsicht in eine Wertverlagerung ihrer Lebensziele: Menschliche Beziehungen und Selbstverwirklichung werden mindestens ebenso wichtig wie Erfolg und Karriere.

Die deutsche Wirklichkeit

Erwerbstätigkeit gehört in der Bundesrepublik Deutschland noch immer zur Normalbiographie des Mannes, aber nicht notwendigerweise zu jener der Frau.

Doppelorientierung der Frauen auf Beruf und Familie bedeutet, daß Frauen zum einen häufiger teilzeitbeschäftigt sind und daß sie zum anderen ihre Erwerbsbiographie unterbrechen, um für Kinder und Familie präsent zu sein. Die Rückkehr in den Beruf ist für Frauen trotz gestiegener Motivation schwierig. Jede fünfte Frau verbindet den Wiedereinstieg in die Erwerbstätigkeit mit einem beruflichen Abstieg.

Die Daten über die Erwerbstätigkeit dokumentieren die Konsequenzen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung: Männer steuern überwiegend technische Anlagen und warten sie, bauen, installieren und stellen her, planen, konstruieren und forschen, leiten, organisieren und führen, sichern, bewachen und wenden Vorschriften an. Frauen hingegen verkaufen, kassieren, beraten Kunden, arbeiten im Büro, bewirten, reinigen und packen, erziehen, helfen, pflegen und versorgen.

Diese tradierte Ungleichheit zwischen den Geschlechtern dokumentiert sich nur konsequent in erheblichen Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen. Der durchschnittliche Monats-Bruttoverdienst eines Arbeiters in der Industrie beträgt DM 3 600, der einer Arbeiterin nur DM 2 548. Der durchschnittliche Monats-Bruttoverdienst eines männlichen Angestellten in Industrie und Handel beläuft sich auf DM 5 385, eine Frau verdient exakt DM 1 872 weniger.

Trotz zäher Bemühungen in den vergangenen zwei Jahrzehnten ist es den Frauen nicht gelungen, sich den öffentlichen Raum von Politik, Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Medien zu erobern; trotz aller weiblichen Fortschritte ist die Öffentlichkeit in Deutschland weiterhin grundsätzlich männlich. Frauen sind zumeist nur Zuträgerinnen für männliche Herrschaftspositionen oder deren Alibi.

Auch im privaten Bereich obliegt die Hauptlast der Arbeit noch immer den Frauen. Selbst von erwerbstätigen Partnerinnen erwarten deutsche Männer ein großes Mehr an Hausarbeit, Versorgung und emotionaler Pflege, als sie selbst zu leisten bereit sind. Die Mitverantwortung der Männer im Haushalt ist nur bei einer Minderheit kontinuierlich und gleichberechtigt; in den meisten Fällen helfen Männer nur gelegentlich, kurzzeitlich und eher zufällig. In der Kindererziehung leisten die Frauen ebenfalls am meisten, wiewohl nicht übersehen werden darf, daß sich heutige Männer als Väter weit mehr engagieren, als es noch ihre eigenen Väter bei ihnen getan haben. Insofern stimmt einiges am Bild vom „neuen Vater“.

Auffällig ist allerdings, daß nur eine kleine Minderheit von Vätern sich mit ihren Kindern an jenen Aufgaben der Erziehung beteiligt, die direkt mit Hausarbeit verbunden sind. Der neue Vater widmet sich mit seinen Kindern vor allem den hedonistischen Freizeitbeschäftigungen wie Sport, Spaziergang und Musik, den unangenehmen, belastenden, mit Mühe und Schmutz verbundenen Tätigkeiten geht nach wie vor die große Mehrheit der Väter aus dem Wege.

Die bisher unbewältigten Traditionen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bedingen Machtverhältnisse in Ehe, Familie und Beziehung, die noch immer zuungunsten der Frau verschoben sind. Diese Geschlechterhierarchie legitimiert Gewalt gegenüber der Frau zur Lösung von Konflikten. Statusunterschiede führen nach wie vor zu Mißhandlungssituationen.

Wolfgang Hartenstein vom „Institut für angewandte Sozialwissenschaften“ (infas) resümiert, daß sich in Deutschland „an der Arbeitsteilung der Geschlechter und der Asymmetrie der Rollen eigentlich recht wenig geändert“ hat. Diese Schlußfolgerung ist um so gravierender, wenn man sie an drei Jahrzehnten Frauenbewegung und engagierter Frauenpolitik mißt. Allerdings stellt sich auch die Frage, ob die Prämissen von Frauen-politik überhaupt noch zeitgemäß sind.

Die Einseitigkeit der Gleichstellungspolitik

Das neue Losungswort frauenpolitischer Maßnahmen lautet „Gleichstellung“. In einigen Bundesländern gibt es inzwischen -statt Frauenministerien -staatliche Institutionen zur „Gleichstellung von Frau und Mann“. Dort wird aber ausschließlich Politik für Frauen gemacht. Das „Ministerium für die Gleichstellung von Frau und Mann des Landes Nordrhein-Westfalen“ kennt bei der offiziellen Formulierung seiner Aufgaben nur Frauen-politik; sie soll Benachteiligungen aufzeigen und abwehren und Frauen gezielt fördern. Das „Senatsamt für die Gleichstellung“ im Stadtstaat Hamburg prüft Senatsvorlagen kritisch auf ihre frauenpolitische Bedeutung, erstellt „eigene Senatsvorlagen, die den Senat zu frauenpolitischem Handeln verpflichten sollen“, setzt sich für die Förderung von Frauenprojekten ein, entwickelt „Frauenfördermaßnahmen sowohl für den öffentlichen Dienst als auch für die Privatwirtschaft“, erarbeitet „Vorschläge zur Verbesserung der Situation Hamburger Frauen und Mädchen“ in den Lebensbereichen von Schule, Ausbildung, Beruf, Mutterschaft, Wohnen u. a. m. Das ehemalige „Ministerium für die Gleichstellung von Frau und Mann“ in Rheinland-Pfalz nahm zumindest die Existenz von Männern zur Kenntnis. Die Ministerin forderte: „Männer müssen sich ändern“; anschließend entwickelt sie einen Maßnahmen-katalog zur Gleichstellung der Geschlechter, der sich ausschließlich auf Frauen bezieht. Wie sich nun Männer ändern sollen, wird weder beschrieben noch operationalisiert.

Richtpunkt solcher Gleichstellungspolitik -direkt postuliert oder wenigstens indirekt angedeutet -ist das, was die Männergesellschaft bereits erreicht hat. Dabei gerät nicht nur aus dem Blick, wie diese Männergesellschaft verfaßt ist und was alles an ihr defizitär, kritik-und verbesserungswürdig wäre, sondern auch, wie sehr Frauen damit an etwas angepaßt werden, was sie jahrhundertelang entwertet und diskriminiert hat. Selbst eine Teilung aller Machtpositionen zwischen den Geschlechtern würde nichts an dem historisch gewachsenen Tatbestand ändern, daß auch in einer „gleichgestellten“ Gesellschaft die Strukturen, Normen, Standards und Verhaltensmuster männlichkeitsgeprägt sind. Gleichstellung -so verstanden -bedeutet den prinzipiellen Verzicht auf die Verwirklichung frauenspezifischer Sichtweisen, Werte und Sensibilitäten und damit die klammheimliche Unterwerfung unter das Diktat der Männergesellschaft.

Nicht wenige Männer, zu denen auch der Schreibende gehört, haben sich einst mit feministischen Gesellschaftsentwürfen deshalb solidarisiert, weil sie sich von deren Realisierung eine bessere und humanere Zukunft versprochen haben. Von solchen Visionen ist in der offiziellen Frauenpolitik nichts mehr übriggeblieben. Der Anpassungsdruck an politische Gegebenheiten, Haushaltszwänge und institutionelle Normen haben sämtliche Struktur-, männlichkeits-und gesellschaftsverändernde Akzente der Frauenbewegung in Vergessenheit geraten lassen. Allenfalls tauchen sie bei Sonntags-reden der Ministerinnen rudimentär und ideologisch gesäubert wieder auf.

Wo bleiben die Männer?

Wenn die Aktualität und auch die zunehmende Akzeptanz von Gleichstellung bedacht wird, ist es schon in höchstem Maße verwunderlich, daß weder Utopien der Gleichstellung noch konkrete, auf beide Geschlechter bezogene Strategien vorliegen, wie Gleichstellung tatsächlich umgesetzt und deren Folgen bewältigt werden könnten.

Es fehlen gesamtgesellschaftliche Entwürfe, Pläne, die beide Geschlechter einbeziehen, und mutige Perspektiven. Damit mangelt es auch an Wegweisern, die wenigstens dazu dienen könnten, verbessernd für die defizitäre Wirklichkeit zu sein. Es ist, als ob die Belanglosigkeit gegenwärtiger Politik auch die Geschlechter-„Szene“ angesteckt hätte.

Immerhin lassen die vorliegenden Konzeptionen von Gleichstellung den künftigen gesellschaftlichen Standort von Frauen nicht gänzlich im dunkeln: Reale Gleichheit, tatsächliche Wahlfreiheit und Selbstverwirklichung sind Zielvorgaben aller Programme. Solcherlei fehlt für Männer. Quoten und Antidiskriminierungsgesetze sind zwar Drohungen, daß die traditionelle Vormachtstellung der Männer nicht bis in das dritte Jahrtausend gehalten werden kann. Aber es fehlen die Konzepte für eine Machtteilung zugunsten der Frauen und jegliche Überlegungen, wie Männern Verzichte im Bereich von Erwerbstätigkeit, gesellschaftlicher Hierarchie und Macht plausibel gemacht werden könnten. Ebenso gibt es keinerlei öffentliche Besinnung darüber, was Männern als Äquivalent für ihren „Machtverzicht“ angeboten werden könnte und sollte. Es reicht nicht aus, den weiblichen Zugang zur Macht zu konzeptualisieren -obwohl auch das nur partiell und halbherzig geschehen ist -, ohne die männliche Teilung der Macht mitzugestalten.

Die Forderungs-und Maßnahmenkataloge zur Gleichstellung der Geschlechter beschreiben zwar Wege der Frauenförderung, stellen aber umge-, kehrt keine Konzepte dar, wie männliche Herrschaftsformen abgelöst werden können. Wenn dies überzeugend geschehen soll, muß Männern konstruktiv verdeutlicht werden, warum eine Teilung von Macht historisch vonnöten ist und welche menschlichen Vorteile sie daraus auf Dauer gewinnen können. Doch solche Konzeptionen fehlen ebenso durchgängig in der frauendominierten Gleichstellungspolitik wie Instrumentarien der Veränderung auf Seiten der Männer: Es gibt weder Maßnahmen noch Förderungspläne, um Männer in den Bereichen von Haushalt, Kindererziehung und anderen „privaten“ Aufgaben verstärkt anzusiedeln. Der dialektische Beitrag der Männerfrage zur Frauenbefreiung ist der offiziellen Politik bislang verborgen geblieben; jedenfalls ist er nicht politisch problematisiert worden. Im Gegensatz zu Skandinavien fehlen in Deutschland auch Konzepte zur Männerbildung; es gibt nur Frauenbildung.

Die Frauenfrage als Männerfrage

So ist es denn nicht verwunderlich, daß die Lösung der Frauenfrage stagniert. Solange der „Gegner“ im Geschlechterkampf seine Positionen behält und als veränderungswürdiger Ansprechpartner nicht einmal wahrgenommen wird, werden Männer weiterhin blockieren, uneinsichtig bleiben und keine neuen Perspektiven für sich sehen wollen. Viele Ereignisse der letzten Wochen und Monate dokumentieren dies auf schon makabre Weise: spektakulär die Quoten-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes und die Ablehnung des Frauen-Quorums auf dem CDU-Parteitag; unspektakulär, aber dafür noch weitreichender die substantiellen Haushaltskürzungen für Frauenförderungsmaßnahmen und -projekte sowie die Zurückbindung oder Entlassung von Frauen-und Gleichstellungsbeauftragten. Die Rezession der Frauenpolitik ist unübersehbar.

Wie die sukzessiven Erfolge der Frauenpolitik in Skandinavien belegen, lassen sich Fortschritte bei der Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse nur durchsetzen, wenn auch die Bedürfnisse der Männer berücksichtigt werden. Diverse empirische Untersuchungen weisen dabei aus, daß die Akzeptanz von Männern gegenüber Gleichstellungspostulaten durchaus zugenommen hat. So belegt eine aktuelle Studie des Betriebswissenschaftlichen Instituts der „Eidgenössischen Technischen Hochschule“ (ETH) in Zürich, daß nicht nur das Bewußtsein der Männer über die Benachteiligung von Frauen gewachsen ist, sondern auch das Verständnis für den Versuch, diese Benachteiligung zu beseitigen. Diese Studie wurde im Auftrag der Schweizer Bundesregierung („Bundesrat“) durchgeführt, um Frauenkarrieren in Zukunft besser fördern und dabei vor allem auch das männliche „Widerstandspotential“ adäquat einschätzen zu können. Die theoretische Zustimmung findet jedoch häufig kein Pendant „in Herz und Bauch: Die eigentlichen Gegner sind oft nicht mehr Personen oder formale Regeln, sondern innere Bilder, Rollenvorstellungen, Gewohnheiten.“ Neue Arbeitsarrangements und Hierarchien mit Frauen lösen bei Männern diffuse Ängste vor Macht-und Prestigeverlust aus.

Anthony Astrachan, der in den USA mehrere hundert Männer befragt hat, präzisiert dieses Angst-potential in eine interessante Richtung („Wie Männer fühlen“). Danach fürchten sich Männer weniger davor, im Beruf Positionen mit Frauen teilen zu müssen, als vielmehr vor den privaten Folgen weiblicher Erwerbstätigkeit. Männer schreckt der Gedanke, daß jene Aufmerksamkeit, Liebe und Fürsorge, die die Frauen seit jeher ihren Partnern entgegenbringen, von ihrem Beruf aufgesogen werden könnte. Männer fürchten also, daß sie aufgrund der Erwerbstätigkeit ihrer Frauen emotional zu kurz kommen könnten.

Dabei ahnen Männer auch zu Recht, daß sich mit der Erwerbstätigkeit der Partnerin ebenfalls die Ökonomie des Austauschs zwischen den Geschlechtern verschiebt. Mit der Veränderung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung wandeln sich die Obhutspflichten von Frauen und Männern. Die Erwerbstätigkeit der Frau entlastet letztendlich den Mann von den Zwängen seiner traditionellen Ernährerfunktion. Umgekehrt schafft diese „Freisetzung“ aber neue Verantwortung: Die erwerbstätige Frau braucht nun ihrerseits die „Reproduktion ihrer Arbeitskraft“ das heißt: Pflege, Fürsorge, Aufmerksamkeit, psychische Entlastung, Dialog, Zärtlichkeit und Verwöhnung. Das verlangt sogar doppelte Pflicht vom Mann: Er muß der Frau geben, was er jahrelang nur bekommen und aufgesogen hat, und er muß sich das alles nun zu einem großen Teil selbst geben. Das heißt: Die erwerbstätige Frau benötigt und erwartet an Zuwendung, was sie früher allein und exklusiv ihrem Mann entgegengebracht hat. Damit erhält der Mann notwendigerweise weniger weibliche Aufmerksamkeit. Das wiederum heißt, daß er damit emotional für sich selbst verantwortlich werden muß, was er aufgrund seiner Erziehung und Biographie nur schwerlich kann.

Die Notwendigkeit von „Männerarbeit“

Die Zürcher Studie über „Frauen im Kader“ fordert deshalb, „daß Entwicklungs-und Weiterbildungsmaßnahmen, durch die die Bedingungen der Kaderfrauen verbessert werden sollen, sich nicht nur an diese selbst richten können, sondern ihr Umfeld einbeziehen müssen. Die Weiterbildung von Vorgesetzten und Kollegen dient dazu, geschlechterspezifische Rollenerwartungen und diskriminierende Vorurteile sichtbar zu machen und dadurch abzubauen“.

Die gesellschaftliche „Umerziehung“ von Männern muß freilich noch früher einsetzen, will sie auf Dauer erfolgreich sein. Das heißt, daß die Prinzipien männlicher Sozialisation endlich kritisch reflektiert und auch verändert werden müssen. Alle vorliegenden empirischen Untersuchungen weisen aus, daß Männer noch immer auf Leistung, Härte, Konkurrenz und Beherrschung fixiert werden. Gefühle werden in diesem Sozialisationsprozeß abgespalten; von daher erklärt sich die emotionale Abhängigkeit der Männer von den Frauen. So sehr wie Frauenpolitik auf das Lernen von Durchsetzungsfähigkeit, Kompetenz und Leistungsdenken bei Frauen setzt, so sehr wäre eine pädagogische und auch politische Männerarbeit gefordert, die Männern Werte wie Fürsorge, Solidarität, Empathie und soziale Verantwortung vermittelt. Beide Geschlechter müssen in sich autonomer werden, um unter den Bedingungen der Moderne besser miteinander leben zu können. Eine wichtige Voraussetzung dafür wäre, daß gesellschaftliche Institutionen nicht nur Mädchen-arbeit anbieten, um zum Beispiel das Durchsetzungsvermögen der Mädchen besser zu fördern, sondern auch Jungenarbeit, um Jungen rechtzeitig ein verändertes Männerbild zu geben und Sexismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie in einem Alter abzubauen, in dem solche Versuche erfolgversprechender sind als später.

Die Wiederherstellung der traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ist heutzutage nicht mehr konzipierbar und allenfalls unter (rechts-) diktatorischen Vorzeichen realisierbar. Die Emanzipation der Frau ist unter demokratischen Bedingungen irreversibel. Das heißt in aller Klarheit der Analyse, daß nach der Frauenfrage nun auch die Männerfrage gesellschaftlich und politisch gestellt werden muß. Männer können und dürfen sich nicht weiterhin auf Privilegien zurückziehen, denen inzwischen der reale Boden der traditionellen Arbeitsteilung der Geschlechter entzogen ist.

Die fortschreitende Erosion des Familiären ist zu einem Großteil ebenfalls der traditionellen Männerrolle zuzuschreiben, die Familienarbeit exklusiv der Frau zuordnet, auch wenn diese erwerbstätig ist. Dazu gehört der Rollenwandel von Männlichkeit. Wenn Männer perspektivisch nicht die Auflösung der Familie und den Verlust ihrer Partnerinnen riskieren wollen, müssen sie sich verändern. Diese Veränderung impliziert u. a. eine mitverantwortliche Partizipation bei der Hausarbeit, der Kindererziehung und der emotionalen Pflege der Partnerin. Die Wiedererweckung des Familiären ist damit vor allem Aufgabe der Männer; die Frauen leisten mit Doppel-und Dreifach-belastung bereits (zu) viel.

Auch über das Familiäre hinaus ist traditionelle Männlichkeit heute zu problematisieren. Der Krankenstand der Männer ist alarmierend hoch; Männer sterben in den Industrienationen im Durchschnitt acht Jahre früher als Frauen; Sucht-abhängigkeiten von Männern nehmen ebensosehr zu wie sexuelle und politische Gewaltakte; Sextourismus und Kinderschändung lassen sich weithin dergestalt begreifen, daß innerlich infantil gebliebene Männer nicht mit emanzipierten Partnerinnen umgehen können; der Rechtsextremismus ist exklusiv ein Männerproblem. Die neuere Verkehrsforschung hat ergeben, daß schwere Verkehrsunfälle fast ausschließlich von Männern verursacht werden. Alle erwähnten Beispiele lassen sich auf die traditionelle Männerrolle von Härte, Konkurrenz, Durchsetzungsvermögen, Kampf und Skrupellosigkeit zurückführen. Diese Rolle ist in unseren Tagen politisch, sozial und ökologisch kontraproduktiv geworden.

Frauenpolitik muß also durch Männerpolitik ergänzt werden. Frauenpolitik hat langfristig keine Chance, ihre Postulate zu verwirklichen, wenn sie nicht von einer emanzipatorischen Männerpolitik begleitet wird. Längerfristig würden davon auch die Männer selbst profitieren, wie es in weiser Voraussicht die Gründer des ersten Männerzentrums im kalifornischen Berkely schon 1970 entwarfen. „Wir Männer wollen unsere volle Menschlichkeit wiederhaben ... Wir möchten uns selbst gernhaben, wir möchten uns gut fühlen und unsere Sinnlichkeit, unsere Gefühle, unseren Intellekt und unseren Alltag zufrieden erleben.“

Fussnoten

Weitere Inhalte

Walter Hollstein, Dr. phil., geb. 1939; Studium der Soziologie, Philosophie und Publizistik in Basel und Münster/W; seit 1972 Professor für Politische Soziologie an der Evangelischen Fachhochschule Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Die Gegengesellschaft, Bonn 1979; (zus. mit Eva Jaeggi) Wenn Ehen älter werden. Liebe, Krise, Neubeginn, München 1985; Nicht Herrscher, aber kräftig. Die Zukunft der Männer, Hamburg 1988; Die Männer -Vorwärts oder zurück?, Stuttgart 1990; Machen Sie Platz, mein Herr -Teilen statt Herrschen, Reinbek 1992; Die Männerfrage, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 6/93; Der Kampf der Gechlechter, München 1993.