„In der Koalitionsvereinbarung von 1994 steht, daß die Regierung eine , Offensive von Wissenschaft, Bildung und Kultur veranstalten würde. .. Damals war die finanzielle Lage nicht anders als heute. Wo bleibt denn der Pulverdampf der Bataillone, die nach vorne stürmen, und wo die Staubwolken einer solchen Offensive? Was wir erleben, ist ein ungeregelter, unübersichtlicher Rückzug -das ist das Faktum.“
Nicht die Schelte eines Oppositionspolitikers ist hier zu lesen -Stimmen, die sich für die Kultur und ihre öffentliche Förderung so ins Zeug legen würden, hört man im Deutschen Bundestag ohnehin selten -, sondern die Quintessenz einer Standpauke, die der im August 1996 verstorbene, frühere Leiter der Kulturabteilung des Bundesinnenministeriums, Sieghardt von Köckritz, im Juni des gleichen Jahres den Verantwortlichen der Bonner Politik in der Kunst-und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland gehalten hatte.
Von Köckritz, unter dessen Vorfahren für ihre Courage bekannte preußische Offiziere waren, wählte einmal mehr nicht den „Dienstweg“, sondern nutzte für seine letzte große Attacke den „Aktionskreis Kultur“, ein von ihm 20 Monate zuvor mitbegründetes Forum von Stiftern, Wirtschaftsvertretern, Experten und Kulturverwaltern. Es ging ihm, der sich zuletzt besonders für die Belange von Museen und die Denkmalpflege in Berlin und den neuen Ländern eingesetzt hatte, um eine verbesserte Zusammenarbeit aller mit Kultur befaßten Instanzen auf allen Ebenen, unter Einschluß auch der privaten Initiative -um eine „Kulturförderung in gemeinsamer Verantwortung“
Daß es dieser Philippika überhaupt bedurfte, läßt erkennen, daß wir vom Idealbild einer „Kulturgesellschaft“ noch recht weit entfernt sind, in der Bürger und Vertreter von Institutionen nicht allein Nutznießer oder „Betroffene“ sind, sondern zugleich gemeinwohlorientierte Akteure
Deutsche Identitätsdefizite
Mehr von solch handlungsbereiter Gemeinsamkeit hätte es gerade nach der deutschen Einigung bedurft: Die beschwörende Formel, daß „Kunst und Kultur -trotz unterschiedlicher Entwicklung der beiden Staaten in Deutschland -eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation“ gebildet hätten erwies sich schon bald als brüchig, drohte gar ins Gegenteil verkehrt zu werden und war jedenfalls in repräsentativen Bevölkerungsumfragen nur bedingt nachvollziehbar Der kürzlich gescheiterte Versuch, Berlin und Brandenburg in einem Bundesland zusammenzuschließen, ist nur ein letzter Beleg für fortbestehende Differenzen, die -im weiteren wie im engeren Sinne -auch kulturelle Hintergründe haben und weit in die Zeit vor der „Wende“ zurückreichen.
Nur eine kleine, in den Feuilletons meist belächelte Schar von Intellektuellen, darunter vor allem Günter Grass, äußerte vor 15 Jahren, als man sich in der Trennung schon ganz kommod eingerichtet hatte, andere Visionen, wollte sich mit der Systemspaltung in Mitteleuropa nicht abfinden. So glaubte Grass 1981 bei einer Veranstaltung der Berliner Akademie der Künste auf die Gefahr eines „erneuten Nationalismus“ hinweisen zu sol-len, der nach seiner Deutung solange drohe, wie „den Deutschen eine Identität fehlt“ Die von ihm eingeforderte „Identität“ lief aber nicht etwa auf eine Rückkehr zu nationalstaatlichen Konzepten des 19. Jahrhunderts und eine besondere Liebe zum „Staat als Kunstwerk“ hinaus (mit diesem Begriff hatte damals der Schweizer Jacob Burckhardt die durchaus gewalttätigen Feudalverhältnisse im Italien der Renaissance zu kennzeichnen gesucht) Nein, ihm ging es vor allem um die Vorstellung einer „Kulturnation“, die -so möchte man hinzufügen -durchaus in einem friedlichen Wettbewerb um neue Ideen und bessere Lösungen mit anderen Nationen stehen könnte. Inzwischen sind ähnliche Worte -mit etwas anderen Perspektiven -z. B. auch von Wolfgang Schäuble zu hören.
Grass war übrigens einer der wenigen, die im soge-nannten „deutsch-deutschen Kulturabkommen“ -noch Ende 1989 wurde das letzte abgeschlossen -Gefahren für eine Zementierung der deutschen Teilung sahen, die die damalige Regierung wie ihre Vorgänger und wie ein großer Teil der Intellektuellen (der Verfasser nimmt sich da nicht aus!) im Grunde längst als mehr oder weniger lästigen „Fakt“ akzeptiert hatte. Schon gut ein Jahr nach der Maueröffnung war die überwältigende, vielleicht auch etwas blind machende Freude über das Ende eines bürokratischen Zwangssystems, waren neue kleine Freiheiten wie etwa die der Wahl des Urlaubsortes fast vergessen, flogen die ersten Eier gegen westdeutsche Politiker, voran den Bundeskanzler. Da bedurfte es schon offensiver Zusprache aus allen Richtungen, wie jener des -ebenfalls kürzlich verstorbenen -Unternehmers und Kunst-sammlers Peter Ludwig, 1994 in der WELT: „Geistig wiedervereinigt ist Deutschland noch nicht. Wiedervereinigung bedeutet Respekt voreinander und verlangt Einfühlsamkeit. Es kann in Deutschland nicht Sieger und Besiegte geben.“ So ähnlich hat man das auch schon von Leuten aus dem Osten gehört, etwa dem stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Wolfgang Thierse.
Selbst wer mit dem schillernden Begriff der „kulturellen Identität“ innerhalb eines Territoriums nicht viel anfangen kann Respekt der Deutschen aus dem Westen gegenüber jenen aus dem Osten mit ihrem doch anders verorteten historischen Gedächtnis abzuverlangen und dies bis hin zu Kunstförderung, Medienpolitik und Denkmalpflege auch konkret werden zu lassen könnte zugleich auch ein guter Maßstab für das künftige Verhältnis zu unmittelbaren und weiteren Nachbarn in Europa sein, deren Eigenständigkeit in kultureller, künstlerischer, literarischer und sonstiger Hinsicht oft nicht ausreichend begriffen wird Das chamäleonhafte, oft in einer Person zwischen regionalorientiertem Populisten und multimedialem Transatlantiker schillernde Erscheinungsbild mancher unserer Politiker läßt allerdings einige Zweifel daran aufkommen, ob sich hier so bald etwas ändern kann.
Die Finanzlücke: Anstoß zur Reform des Kulturföderalismus?
Daß sich die mittlere Identitätskrise nach der deutschen Einigung in den Finanzierungsfragen der Kulturpolitik ebenfalls niederschlagen würde, kann kaum noch verwundern. Bereits im Frühjahr 1992, bei einer Rede zur Übernahme der Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz (KMK), machte Steffie Schnoor, damals Kultusministerin von Mecklenburg-Vorpommern, vielleicht ungewollt deutlich, wie wenig noch vom solidarischen Aufbruch des Jahres 1990 geblieben war: „Es kann nur ein Gerücht sein,“ spottete sie, „daß in einigen Bundesländern die Meinung vertreten werde: , Es reicht doch, wenn der Bund die kulturellen Einrichtungen in meinem Land finanziert, für die anderen gilt selbstverständlich der Föderalismus.“
Ahnte sie bereits, daß Bundesfinanzminister Waigel in seiner Finanzplanung schon im Sommer 1993, mit anfangs nur heimlichem Beifall auch mancher West-Kulturpolitiker, den Rotstift genau in der Kulturabteilung des Bundesinnenministeriums mit ihren bis dahin reichlichen Zuschüssen von weit über drei Mrd. DM für die ostdeutsche Kulturlandschaft ansetzen würde? Wer gehofft hatte, nach der deutschen Einigung würden die Verantwortlichen aus den Ländern und Kommunen gemeinsam mit Vertretern des Bundes und vielleicht sogar einigen Kulturstiftungen und Dachverbänden, eine „Wende“ auch in der Kulturpolitik versuchen, sah sich jedenfalls getäuscht: Die Bundesförderung blieb ein Strohfeuer konzentrierte sich ab 1995 nur mehr auf wenige, vermeintlich repräsentative „Leuchttürme“; derzeit stehen wir mitten in einer Welle von Schließungen oder Fusionen von Kultureinrichtungen. Dies soll nach dem Willen von Bundeshaushältern und Länderstrategen auch das Rezept für die künftige kulturelle „Hauptstadtförderung“ in Berlin sein.
Dabei wäre durchaus Zeit gewesen für -eine gründliche Bestandsaufnahme von kulturellen Verfahrensweisen und Infrastrukturen, einschließlich „identitätsstiftenden“ Symbolen; -einen Kassensturz mit der Klärung von Prioritäten und anschließend -einen präzisen Katalog für die künftige kulturpolitische Arbeitsteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie für Felder der Kooperation, mindestens aber klare Diskussionsangebote für die Zukunft des deutschen Kulturföderalismus in Europa.
Doch bislang blieben ernsthafte Versuche in dieser Richtung aus. Statt dessen funktionierte bezeichnenderweise schon im Winter 1989/90, bei ersten gemeinsamen kulturpolitischen Tagungen und Bestandsaufnahmen der „Wendezeit“, nichts so gut wie Austausch und Aneignung inhaltsleerer Begrifflichkeiten, darunter vor allem die einer „Kulturhoheit der Länder“ 11die noch in den letzten Monaten der DDR mit einer staatlichen „Kulturpflicht“ in der Verfassung verknüpft wurde. Auch im Westen hatte man sich nach kurzem Innehalten rasch wieder auf solche gebetsmühlenartig wiederholten Formeln zurückgezogen und damit Politik für die Kultur zunächst zur Sache der Politiker und Verwalter erklärt, neuerdings bei knappen Kassen auch zu der von ver-meintlich uneigennützigen Sponsoren, die vor allem Haushaltslücken schließen sollen, damit aber gegen Auflagen der Finanzämter verstoßen würden.
Offenbar haben wir uns von Vorstellungen einer „Staatskultur“ noch nicht allzuweit entfernt: Braucht der deutsche Kulturbürger mangels eigenen Engagements abseits von Verein oder Vernissage, Kleinkunst oder Staatsoper wirklich seine hoheitlichen Beruhigungsmitteichen, seinen täglichen Kotau vor dem Kulturdezernenten?
In Wirklichkeit ist wohl alles noch viel einfacher: Eine handelnde „Kulturelle Öffentlichkeit“, die sozio-kulturelle Basisnähe mit künstlerischen Qualitätsmaßstäben verbinden kann und auf die Kulturentwicklung individuell oder in Gruppen Einfluß nimmt, mag es vielleicht hier und da in den Stadtteilen einiger Großkommunen oder in kleineren Orten geben, länder-oder bundesweit sucht man sie häufig vergebens. Dort spielt meist die Musik der Verwaltungen, beeinflußt hin und wieder durch Medien, Kulturwirtschaft und Verbände. Nach dieser Melodie soll sich möglichst wenig in den Gewichten der am föderalistischen System beteiligten Instanzen ändern -und wenn, dann nur ja ganz langsam, damit man immer weiß, wo es langgeht und keine vermeintlichen Rechtsansprüche verlorengehen... So bleibt als Ergebnis nur nüchtern zu konstatieren, daß wir derzeit in Deutschland (und übrigens auch in den meisten anderen Staaten Europas!) noch Kulturpolitik ohne eine klare Rolle für den unsicheren Kantonisten Staatsbürger erleben.
Was als Common sense aus Bestandsaufnahmen übrigbleibt, ist etwa, -daß ohne den Bund und seine Mittel große Herausforderungen wie der deutsche Einigungsprozeß, auch auf kulturellem Gebiet, nicht zu bewältigen waren (und weiterhin sind); -daß die Länder nicht grundlos gegen eine „zentralistische“ Kulturpolitik (auch in Europa) opponieren und ihre Rechte einklagen, wo diese eindeutig gefährdet werden, und -daß die überragende Rolle der Städte, Gemeinden und Kreise als Träger und Förderer von Angeboten der Kulturvermittlung für alle Bürger unstrittig ist (soweit diese Rolle jeweils vor Ort auch tatsächlich akzeptiert wird).
Vor einem Thatcherismus in der Kulturpolitik?
Grundlegende wissenschaftliche Bemühungen zu Fragen der Kulturpolitik und -finanzierung sowie ihrer möglichen Neuordnung, die über solche eher simplen Einsichten hinausgehen würden, sind in Deutschland bislang rar. Ein umfassender „kulturpolitischer Diskurs“ wird so behindert, auch mangels entsprechender Traditionen an den Hochschulen, die „Kultur“ allzulange in gesellschaftsenthobenen Sphären oder schlicht im „Überbau“ verortet hatten. Manche Gutachten, etwa über die sogenannte „Umwegrentabilität“ öffentlicher Kulturausgaben, sind eher Legitimationsnöten geschuldet, und Kompilationen von Aufsätzen oder Vorträgen wirken oft disparat. Dennoch ist allmählich ein „Reformstau“ erkennbar
Als Trend dieses sich heute ausdifferenzierenden Forschungsfelds ist aber -wieder in gesamteuropäischer und sogar weltweiter Gemeinsamkeit -eine „Ökonomisierung“ ablesbar: Von der anfangs oft noch recht naiven „Entdeckung“ wirtschaftlicher und arbeitsmarktpolitischer „Effekte“ künstlerischer und kultureller Aktivitäten reicht das Spektrum bis zu einer differenzierteren Sicht, die sich einerseits auf tatsächlich quantifizierbare ökonomische Entwicklungen (z. B. in der Kultur-und Medienwirtschaft, also den wirtschaftlich im Markt tätigen Betrieben) und zum anderen auf sektorale sowie regionale Markt-, Beschäftigungsund Qualifizierungsstudien bezieht Das macht insofern Sinn, als zu globale oder allein an wirtschaftswissenschaftlichen Prinzipien orientierte Sichtweisen der Gefahr unterliegen, nicht primär auf Wirtschaftsmärkten gehandelte geistig-künstlerische, pädagogische oder wissenschaftliche Prozesse mit monetären Produkten gleichzusetzen und damit z. B. „Wertschöpfung“ nur im ökonomischen Sinne zu verstehen.
Zur Legitimation des Kulturangebots reicht heute offenbar dessen bloße Existenz, das damit zweifellos verbundene „Prestige“ für den Standort und auch der Nachweis künstlerischer Innovationsbereitschaft nicht mehr aus; immer öfter wird nach zusätzlichen Begründungen und Erfolgen gefragt, gelegentlich auch schon ein materieller Rückfluß für die Geldgeber erwartet. Speziell ein von manchen Kulturpolitikern und Publizisten als „etabliert“ eingestuftes Theater-und Orchesterangebot, dessen Dichte weltweit seinesgleichen sucht, steht schon seit Jahrzehnten im Feuer der Kritik. So vermißt Joachim Kaiser in der Süddeutschen Zeitung auch jetzt wieder „schmerzlich“ die „Überzeugung vom universalen, darum subventionswürdigen Charakter unserer Hochkultur“, zählt unter anderem neben „Sparkommissaren“ die 68er Studenten, die Grünen oder allzu moderne Interpreten und Regisseure als Grund für die aktuelle Legitimationskrise mit ihren Wirkungen auf öffentliche Etats auf
Daß es sich hier aber wahrscheinlich um eine „hausgemachte“ Krise handelt, ist u. a. daran abzulesen, daß etwa Schließungspläne für Theater und Orchester sich kaum auf einen Konsens der breiten Öffentlichkeit berufen dürfen: Öffentliche Mittel werden gerade diesen Kulturinstitutionen von großen Mehrheiten der Bevölkerung weiter zugestanden, und zwar grundsätzlich auch dann, wenn die Befragten selten oder nie entsprechende Veranstaltungen besuchen (können). Dies schließt allerdings nicht aus, daß bei der Aufbringung und Verteilung der Kulturetats und bei der Information und Beteiligung der Bürger Reformbedarf gesehen wird
Die oft als eindeutig deklarierte oder gar ideologisch untermauerte scharfe Trennung zwischen „öffentlicher Kulturpflege“ und „Marktmodell“ ist in der Realität des Kulturbetriebs, stellt man derzeit in Europa übliche Formen der Kulturfinanzierung gegenüber, keineswegs so eindeutig nachzuvollziehen. Vielmehr existiert in fast, allen Kultursparten eine große „Modellvielfalt“ mit ganz unterschiedlichen rechtlichen Trägerformen, weshalb es sinnvoll ist, Ansätze für Synthesen zu suchen, die für unsere kulturelle Infrastruktur Überlebenschancen bieten und sie zugleich modernisieren helfen
Daß es zwischen öffentlichen Kulturbetrieben und dem „Kommerz“ Verbindungen, häufig sogar enge traditionelle „Komplementärbeziehungen“ gibt, die sich zum Nutzen der Kulturentwicklung und auch der künftigen Versorgung mit „Medien-Software“ noch ausbauen ließen, ist kaum zu bestreiten; daß eine umstandslose Privatisierung bisher öffentlich verantworteter Angebote der Kunstvermittlung und kulturellen Bildung aber keine akzeptable, nicht einmal realistische Alternative darstellt, ist ebenso klar. Gerade letzteres ist nicht nur in den Rundfunkurteilen des Bundesverfassungsgerichts oder durch Künstler und Museums-leute in der „Düsseldorfer Erklärung“ (1995), sondern z. B. auch vom Kulturkreis im Bundesverband der Deutschen Industrie im „Schweriner Manifest“ (1993) oder von der Kulturpolitischen Gesellschaft in ihrer „Hagener Erklärung zur Kulturpolitik“ (1996) betont worden. Sieht man freilich genauer hin, wird schon deutlich, daß es durchaus noch Unterschiede in den Prioritäten für zu fördernde Einrichtungen und bei den Präferenzen für kulturpolitische Aktionsformen gibt. Ob jedoch allgemein befürwortete steuerpolitische Reformen zugunsten privater Stifter, wie sie kürzlich das „Grünbuch“ des Aktionskreises Kultur zusammenfaßte, angesichts der Konzeption der aktuellen Steuerreform überhaupt eine Chance haben, erscheint fraglich: Der schon erkennbare politische Widerspruch, daß einerseits die öffentliche Hand und zugleich die Wirtschaft entlastet werden sollen, andererseits bisher kaum Instrumente der Selbsthilfe und der Förderung des Privatengagements geplant sind -die künftige Gestaltung des Urheberrechts und der Erbschaft-steuer dürften hier zum Lackmustest werden -, veranlaßte pikanterweise bereits die Bundestagsfraktion der Grünen dazu, im September 1996 unter der Kennung „demokratisches Mäzenatentum“ eine Anhörung durchzuführen.
Wieviel Wirtschaft in der Kultur?
Eine öffentliche Gesamtverantwortung für ein vielfältiges, freiheitliches Kulturleben ist nach unserer Rechtsordnung gegeben: Es geht dabei um eine subsidiär abgefederte, zwingende Mitwirkung der Organe des „Kulturstaates“, einschließlich der Kommunen, bei der Kulturpflege und vor allem bei der „wirksamen Förderung wirklich förderungsbedürftiger künstlerischer Leistungen“, deren „wirtschaftliche Kraft“ für eine Eigenfinanzierung am Markt nicht ausreicht (so das Bundesverfassungsgericht in seinem „Schallplattenurteil“ von 1974, in dem übrigens zugleich die Legitimität der Verbindung von Steuerrecht unter Bundeseinfluß mit der Kunstförderung unterstrichen wurde)
Ein Modell war bislang der öffentlich-rechtliche Rundfunk, dessen Sonderstellung als Garant einer sogenannten „Grundversorgung“ der Bürger nicht zuletzt auf der Einbeziehung einer Fülle von freien künstlerischen und publizistischen Mitarbeitern in die Programme beruhte, die allein erst die „gebotene Vielfalt“ und durch „Aktivität, Lebendigkeit, Einfallsreichtum, Sachlichkeit, Fairneß oder künstlerisches Niveau“ die „Qualität von Rundfunksendungen“ sicherstellen (so das Bundesverfassungsgericht am 13. 6. 1982). Ob dieses ganz allgemein für die Komplementärbeziehungen im kulturellen Bereich sehr wichtige Prinzip eines kulturell produktiven Rundfunks auch in Zukunft tragen kann, hängt einerseits wieder von Finanzierungsregelungen -der sogenannten KEF-Kommission für die Rundfunkgebühren -und andererseits von privaten „Anbietern“ ab, die zunehmend selber mit eigenen Produktionen auf den Markt kommen und durch die Multiplizierung von Spartenkanälen auch „seriöse“ Terrains besetzen können.
So wichtig es ist, im Management größerer Kultur-und Medienbetriebe manche der künstlerisch-publizistischen Freiheit oft gar nicht dienliche alte Zöpfe abzuschaffen und ein „Behördendenken“ durch mehr Transparenz, Selbstverantwortung, Eigenprofilierung und zielorientiertes Arbeiten zu ersetzen, so sehr muß es dabei doch in erster Linie um eine Rückbesinnung auf die kulturelle Produktivität in ihren oft sehr (sparten) spezifisehen und individuellen Ausprägungen gehen;betriebswirtschaftliche Patentrezepte helfen da kaum weiter
Auch bei öffentlichen Theatern, Konzerthallen und Ausstellungshäusern wird das Programm häufig schon durch die Angebote privater Agenten oder anderer Vermittlungsinstanzen vorbestimmt. Dies ist dann kaum problematisch zu nennen, wenn die öffentlichen Einrichtungen selber die „Programmhoheit“ behalten, also mit gewichtigen eigenen Produktionen/Leistungen und personellen Kapazitäten ein qualitatives Gegengewicht bieten können, was jeweils nur vor Ort und in jedem einzelnen Institut zu prüfen ist.
Im übrigen wird die Kulturwirtschaft in ihrer Bedeutung und in ihren Querverbindungen zu öffentlichen Kultureinrichtungen bei uns tendenziell unterschätzt: Allein der Buchmarkt mit 1995 rund 16, 5 Mrd. DM Umsatz erreicht schon die Größenordnung der gesamten öffentlichen Kulturförderung von Bund, Ländern und Kommunen Wenn, wie es der Börsenverein des deutschen Buchhandels schätzt, in den letzten fünf Jahren tatsächlich 50 Prozent der Anschaffungsetats der öffentlichen Bibliotheken „eingespart“ werden mußten, hat dies Informationswünsche der Nutzer ebenso geschädigt wie, naturgemäß, die Budgets der Verlage und Buchhandlungen -mit Folgen für Investitionen in neue Werke. Doch deutet sich neuerdings die Chance an, daß ohnehin vorhandene „symbiotische“ Beziehungen zwischen Buchhandlungen und Bibliotheken zusätzlich fruchtbar gemacht werden können -ähnlich den schon existierenden Förderbeziehungen zwischen Musikinstrumentenherstellern und Musikschulen: Bisher laufend reduzierte Öffnungszeiten der öffentlichen Bibliotheken -Schließungen Hunderter von Zweigstellen verschärften die Angebotsverringerung weiter -sollen, so hörte man 1996 bei den „Buchhändlertagen“ in Bremen, in Zusammenarbeit der örtlichen Vertreter beider Seiten künftig wieder erweitert und so dem neuen Ladenschluß unserer Innenstädte angepaßt werden. Eine kleine Chance für die „underdogs“ der Kulturpolitik der letzten zehn Jahre wäre dies allerdings nur dann, wenn sich der Staat nicht weiter aus der Finanzierung zurückzieht.
Die nachfolgenden Thesen -geprägt durch die Mitarbeit des Verfassers in verschiedenen inländischen und europäischen Fachgremien oder Netzwerken und im Kern zur Diskussion gestellt beim zweiten Treffen des „Aktionskreises Kultur“ am 13. Juni 1996 in Bonn -fassen bisherige Überlegungen noch einmal zusammen.
Acht Thesen zur Entwicklung von Kulturpolitik und Kunstförderung in Deutschland
These 1: Eine Struktur-und Funktionsreform unseres kulturpolitischen Systems ist überfällig Eine ernsthaft betriebene Struktur-und Funktionsreform unseres kulturpolitischen Systems blieb nach der deutschen Einigung aus. Sie würde einer „Fitneßkur“ gleichkommen und ist schon seit Jahrzehnten überfällig, wie Querelen um bundesweit relevante Aufgaben und Institutionen bzw. um ihre Förderung und versäumte Chancen im europäischen Kulturdialog immer wieder vor Augen führen. These 2: Krisenmanagement ersetzt keine „Professionalisierung" der Kulturpolitik als Querschnittaufgabe Manche der aktuellen Sparmaßnahmen könnten Anlaß zur Selbstprüfung über tatsächlich notwendige öffentliche Aufgaben werden, könnten sogar zur „Profilbildung“ öffentlicher Kulturinstitutionen 'oder zur Identifikation von Aktionsfeldern beitragen, in denen private Betriebsformen, eventuell mit öffentlicher Beteiligung, vielleicht bessere Resultate erbringen. Die Rolle der öffentlichen Hand als Veranstalter von „Events“ außerhalb der Kulturinstitutionen mit öffentlichem Auftrag ist ohnehin umstritten.
Kulturpolitik wird zunehmend „Querschnittaufgabe“, beeinflußt u. a. wirtschafts-, sozial-, bildungs-, rechts-und außenpolitische Handlungsfelder und wird sich voraussichtlich weiter ausdifferenzieren. Eine laufende wissenschaftliche Begleitung und, wo möglich, empirisch abgestützte Evaluierung ihrer Wirkungen auf der Basis eigener Ziele, Maßstäbe und Wertvorstellungen wird daher immer wichtiger.These 3: Die Legitimität öffentlicher Kulturförderung ist ebenso umstritten wie zugleich unstrittig Die häufig konstatierten Legitimationsprobleme staatlichen Handelns in der heutigen Zeit verschonen die Kulturpolitik als eine vermeintlich „freiwillige Aufgabe“ zwangsläufig nicht, doch sind ihr Ursprung hier oft die Meinungsführer des Kultur-betriebs selbst und weniger ein etwa fehlender Rückhalt in der Öffentlichkeit.
Die Organe des „Kulturstaates“ haben bei der Kulturpflege -im Sinne von Freiheitssicherung und Innovationsförderung nach dem Prinzip einer „wirksamen Förderung wirklich förderungsbedürftiger künstlerischer Leistungen“ (Bundesverfassungsgericht) -und auch der „Grundversorgung“ mit Angeboten kultureller Bildung entscheidende Aufgaben. Sie müssen aber stets prüfen, was sich am Markt auch selber finanzieren könnte. Eine noch weiter gehende sogenannte staatliche „Kulturpflicht“ erscheint daher z. Z. nicht prioritär. Dies bedeutet kein „laissez-faire", schmälert das Abwehrrecht der Künstler und Autoren gegen staatliche Eingriffe ebensowenig wie die auch materielle Gewährleistung der Kunstfreiheit.
Geeignete, bundesweit gültige rechtlich-politische Rahmenbedingungen für ein die öffentliche Förderung ergänzendes privates Kulturengagement und Industriesponsoring sind dagegen längst überfällig.
These 4: Alte und neue Aufgabe der Kulturpolitik ist es, Arbeitsteilung statt Konkurrenz der Träger des kulturellen Lebens zu fördern Die Differenzierung unterschiedlicher Träger und Finanzierungsquellen für unterschiedliche Angebote hat in Deutschland Tradition; so versuchen bisher Bibliotheken nicht, den Buchhandlungen das Wasser abzugraben, und Museen verkaufen normalerweise keine Bilder. Diese Arbeitsteilung, die eine leistungsfähige, kulturpolitisch aber meist unterschätzte Kulturwirtschaft begünstigt hat (vgl. These 7), ist inzwischen tendenziell gefährdet. Das insgesamt gesehen bisher nur gering entwickelte Sponsoring (Anteil von rund fünf Prozent der Kulturfinanzierung) kann auf die „operativen Mittel“ einzelner Institutionen, speziell Museen, inzwischen bereits einen dominierenden Einfluß haben.
Das anzustrebende Gleichgewicht von „Komplementärbeziehungen“ zwischen öffentlichen, gemeinnützigen, individuellen und wirtschaftlichen Trägern oder Finanzgebern wäre vielleicht durch einen Sponsoring-Kodex noch weiter zu stützen. Ähnlich wie bei der neuen „Kulturverträglichkeitsklausel“ im EU-Vertrag von Maastricht (Art. 128 Nr. 4) sind auch innerhalb Deutschlands Informations-und Beteiligungsverfahren, evtl, sogar Einspruchsrechte gegenüber staatlichen Planungen und Aktionen denkbar, die für die Kultur relevant sind.
These 5: Kulturelle Produktivität und unterscheidbare Angebotsprofile sind wichtige Förderkriterien Die „Effizienz“ künstlerischer Produktivität und Vermittlung sowie der professionellen künstlerischen Nachwuchspflege (z. B. in Kunsthochschulen) ist nicht pauschal betriebswirtschaftlich, etwa nach festen Kennziffern, kalkulierbar, und es geht hier auch nicht um eine „flächendeckende“ Verteilung von Institutionen im Gesamtstaat oder in einer Region. Je nach Tradition oder aktuellen Wünschen der Nutzer sind vielmehr durchaus Schwerpunktbildungen gleichartiger Institutionen mit jeweils unterschiedlicher Profilierung des Angebots z. B. im Einzugsgebiet einer Stadt möglich. Für die Förderung wird es vor allem darauf ankommen, daß sich im regionalen und kommunalen Vergleich jeweils unterscheidbare Qualität entwickelt und nach einer Anlaufzeit dauerhaft gegenüber dem internationalen „Standardprodukt“ durchsetzt oder sogar Angebote der Metropolen beeinflußt.
These 6: Die freie Kulturarbeit braucht bessere Bedingungen, auch im Interesse „etablierter" Institutionen Die individuelle oder projektbezogene Künstler-und Autorenförderung, die Unterstützung bürgerschaftlicher Vereinigungen der Kulturvermittlung (z. B. Kunstvereine) sowie die Finanzierung freier kultureller Initiativen, auf die bisher ein Anteil von weniger als zehn Prozent entfällt, ist unzureichend: Die Inspiration mancher öffentlicher Theater und Museen, künftig wohl auch schon das schiere Überleben öffentlicher Kulturinstitutionen mit verringertem oder ganz gekapptem operativen Budget, wird zunehmend von programmbezogenen Kooperationen mit „freien Gruppen“ und unabhängigen Künstlern oder Realisatoren abhängen. Dafür sind eine noch bessere kulturpolitische Abstimmung und geeignete Vertragsgrundlagen wichtig, ebenso verbesserte Möglichkeiten der Eigenproduktion und -finanzierung künstlerischer Vorhaben (z. B. durch Rückflüsse aus urheberrechtlichen Nutzungsentgelten).These 7: Die Möglichkeiten der „public-privatepartnership“ mit Betrieben der „Kulturwirtschaft“ wurden bisher oft unterschätzt Nicht wenige Betriebe der Kultur-und Medien-wirtschaft, wesentlicher Teil unserer Gesamtversorgung“ mit Kulturgütern und -leistungen, weisen eine enorme wirtschaftliche Dynamik auf und bieten echte Arbeitsmarktreserven, leben allerdings ihrerseits von den qualitativen Vorleistungen öffentlicher Bildungs-und Kulturpolitik. In örtlichen oder regionalen Absprachen kann es hier auch zu individuellen Partnerschaften oder zu Hilfen für die Funktionsfähigkeit von öffentlichen Kulturbetrieben kommen.
These 8: Die deutsche Beteiligung bei der europaweiten kulturellen Zusammenarbeit ist unzureichend Grenzüberschreitende Aktivitäten können viele der seit Jahrhunderten vorhandenen Verbindungen und Wechselwirkungen in Europa wieder fruchtbar werden lassen. Dabei wären „nominelleuropäische“ durch echte, also „europäisch-integrierte“ Kooperationen zu ergänzen und allmählich zu ersetzen, was ohne direkte Beteiligung ausländischer Fachleute und Institutionen nicht möglich ist. Die neue europäische Vielfalt wird regionale Besonderheiten und kulturpolitische Prioritäten vor Ort nur dann nicht beschädigen, sondern sie sogar fördern, wenn bisher unzureichende Anstrengungen zur „Öffnung“ verstärkt werden. Wichtige kulturpolitische Einflußfelder der EU oder des Europarats müssen ausgebaut, transeuropäische Netzwerke und Kulturinstitutionen mit deutschem Hauptsitz auch dann gefördert werden, wenn es sich um „Nicht-Regierungsorganisationen“ (NRO) handelt. Dies kann bald zu einer Existenzfrage unseres Kulturföderalismus werden.
Trotz eingeschränkter Finanzen bleibt es außerdem prioritär, im Rahmen der kulturellen Bildung mehr Verständnis für kulturelle Differenzierung zu schaffen und auf dieser Grundlage weltweit einen wirklichen interkulturellen Austausch aufzubauen.