I.
In der zeitgenössischen Geschichtsschreibung Ostmitteleuropas nennt man die 1989/90 zusammengebrochene Herrschaft totalitär oder meistens einfach beim Namen: Kommunismus. Als Synonyme sind „totalitäre Diktatur“ „totalitäres politisches System“ im Gebrauch. Auch der „Reformkommunismus ist eine Variante des Chruschtschowschen Stalinismus“ der „Stalinismus ist mit dem sowjetischen System identisch“ Das seit Februar 1948 durch die Kommunisten in der Tschechoslowakei nach dem Stalinschen Sozialismusmodell errichtete „totalitäre Regime“ sei durch die Unterordnung nationaler Interessen unter die Bedürfnisse der sowjetischen Machtpolitik gekennzeichnet gewesen
Die polnische Historiographie betrachtet den durch Gomulka repräsentierten „polnischen Weg zum Sozialismus“ ebenfalls als „stalinistisches System“ Jerzy Holzer lehnt dagegen die Bezeichnung „Stalinismus“ ab; es handele sich dabei um Propaganda der regierenden Kommunisten, die das von ihnen geschaffene System nicht als „Kommunismus als solchen“, sondern als fehlerhafte Entartung denunzierten in dem Moment, als die Repressionen vor ihnen selber nicht haltmachten Holzer spricht wie viele andere schlicht vom Kommunismus. Witold Pronobis, Remigrant aus den USA, benutzt die Ausdrücke „Stalinismus“ und „stalinistisch“ nur zur Charakterisierung der Phase zwischen 1947 und 1953, des Zeitraums der „vollständigen Unterordnung des Landes unter die Direktiven Moskaus“
Meinungsvielfalt herrscht über den Beginn des sowjetisch-kommunistischen Totalitarismus: Für einige -wie Ivan Svitak -begann er in Ostmitteleuropa bereits 1938/39 einige halten die Jahre 1944/45 für die entscheidende Zäsur, die meisten betrachten als Wendepunkt erst die Jahre 1947/48. Unterschiede in Terminologie und Chronologie spiegeln vielfach rechtspositivistische Probleme wider. Das abstrakte Prinzip der Rechtskontinuität terminiert den Beginn des „Unrechtsstaats“ in Rußland auf den 7. November 1917 (des Julianischen Kalenders), das polnische Recht legte den Anfang der kommunistischen Herrschaft mit dem 1. Januar 1944 fest, für die Tschechoslowakei und Ungarn gilt der 28. Februar 1948 bzw.der 8. Juni 1949 als Stichtag der „Vollendung der kommunistischen Machtübernahme“. Kompliziert ist die Rechtslage in Deutschland, gilt hier doch der 8. Mai 1945 als Stichtag für straf-und verwaltungsrechtliche Entscheidungen sowie -grosso modo -der 7. Oktober 1949 als Limit für rechtswidrige vermögensrechtliche Eingriffe, wobei noch zwischen besatzungsrechtlichen und besatzungshoheitlichen Maßnahmen zu unterscheiden ist
Das eigentliche Problem und oftmals ein Tabu stellt die Phase des Übergangs vom nationalsozialistischen zum kommunistischen Totalitarismus dar, und hier insbesondere die Behandlung nationaler Minderheiten nach dem Krieg. Der polnische Historiker Andrzej Paczkowski vertritt den Standpunkt, daß beide Totalitarismen nur in ihrer Maßlosigkeit vergleichbar seien. Jozef Smaga, des-sen Geschichte der Sowjetunion einige vergleichende Aussagen über „Hitlerismus“ und „Stalinismus“ enthält, meint, daß infolge vieler Paradoxien die „Effizienz beider Terrorismen unvergleichbar“ sei: Der Hitlerismus sei irrational, eindeutig, nicht steigerungsfähig und im Prinzip auf ein Volk begrenzt gewesen, während der Stalinismus viele Mutationen entwickelt habe
Das Phänomen der „freiwilligen Sowjetisierung“, wie Ivan Svitak den in der Tschechoslowakei angeblich schon 1938 eingeleiteten Unterwerfungsprozeß nannte (und gegenüber dem polnischen Widerstandsheroismus als typisierende Alternative vorstellte), können aber weder ethnischer bzw. kultureller Partikularismus noch geopolitische Zwänge hinreichend erklären. Der von Leszek Kolakowski prophezeite osteuropäische „Historikerstreit“ beherrscht längst die historisierende Publizistik; er hat nur noch nicht die höheren akademischen Weihen erhalten.
II.
In Europa sind nur in den von der Roten Armee besetzten Ländern kommunistische Regime entstanden. In Griechenland und Österreich konnten unabhängige Regierungen gebildet werden; Finnland kapitulierte 1944, ohne anschließend besetzt zu werden; in Jugoslawien und Albanien wurden zwar kommunistische Regierungen etabliert, doch außerhalb der unmittelbaren Kontrolle durch die Rote Armee gerieten sie nicht in Abhängigkeit von Moskau.
Aus der Tschechoslowakei zogen die sowjetischen Truppen im Dezember 1945 zwar ab, doch infolge des ständigen Transitverkehrs sowjetischer Verbände zwischen den Besatzungszonen in Österreich, Deutschland, Ungarn und Polen blieben die Transport-und Kommunikationswege faktisch unter ihrer Kontrolle.
Militärische Maßnahmen, die direkte Operationsmöglichkeiten gegen den ostmitteleuropäischen Staatengürtel vom Boden der UdSSR erlaubten, garantierten die zwischen 1939 und 1945 im Baltikum, in Polen, Bessarabien, in der Bukowina und der Karpatho-Ukraine durchgeführten Annexionen; nach 1945 besetzten sowjetische Garnisonen in der SBZ/DDR, in Polen, Ungarn, Rumänien und Österreich die strategischen Kommunikationslinien. Entsprechende strategisch-politische Kalküle wurden schon im Zusammenhang mit dem Vor-marschtempo der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg sichtbar: Obwohl die Rote Armee bereits im Januar 1944 in den seit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 umstrittenen Teil Polens einmarschiert war und im April 1944 die rumänische sowie die slowakische Grenze erreicht hatte, geriet der Vormarsch ins Stocken. Vojtech Mastny resümiert, daß die Rote Armee nach dem Erreichen der Grenzen zögerte, weil Stalin die anglo-amerikanische Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 abgewartet habe Ende 1944 stand in Ostpolen, in der Slowakei, in Rumänien, Bulgarien, Ungarn und in kleinen Teilen Jugoslawiens eine Armee von 7, 1 Millionen sowjetischen Soldaten. Die Kampf-pausen wurden genutzt, um die eroberten Länder nach kriegsrechtlichen Prinzipien politisch zu sichern.
Auf der Jalta-Konferenz verpflichteten sich im Februar 1945 die Großmächte, „die Völker der befreiten europäischen Staaten“ bei der „Schaffung von vorläufigen Regierungsgewalten . . . und die ... Errichtung von . . . Regierungen auf dem Weg freier Wahlen“ zu unterstützen Stalin verstand dies, wie er im April 1945 Milovan Djilas gegenüber äußerte, in dem Sinne, daß „wer immer ein Gebiet besetzt, ihm auch sein eigenes gesellschaftliches System auf(erlegt). Jeder führt sein eigenes System ein, soweit seine Armee Vordringen kann.“
Die „politische Pazifizierung“ der eingenommenen Gebiete durch Truppen des sowjetischen Innenministeriums zählte zu den ersten Aufgaben des einer direkten politischen Führung durch das ZK der sowjetischen Kommunistischen Partei unterstellten militärpolitischen Apparats. Nach dem Überfall Polens durch die UdSSR waren durch Beschluß des Politbüros des ZK vom 5. März 1940 21 857 kriegsgefangene Angehörige der polnischen Eliten als „tiefverwurzelte, unverbesserliche Feinde des Sowjetsystems“ aus Gründen der politischen „Prophylaxe“, wie es im Beschluß ausdrücklich hieß, ermordet worden Solch maßloser Terror trug zur Entstehung eines Klimas der Rechtlosigkeit und Willkür bei. das nach Kriegsende nur sehr langsam verschwinden konnte. Sowjetische Spezialverbände, von einheimischen Kräften assistiert und durch diese bald ersetzt, führten die Gesetzlosigkeit mit Terror-akten zunächst fort. In Polen wurden in den Jahren 1944-1948 formal legal über zweieinhalbtausend Todesurteile ausgesprochen, ohne förmliche Gerichtsverfahren allerdings schätzungsweise mehrere Zehntausend Polen ermordet Willkürliche Deportationen in die Sowjetunion und Internierungen von Hunderttausenden schufen in Ostmitteleuropa ein Bild des Grauens -ein krasses Gegenbild zur offiziellen Propagandaformel von der „Befreiung“ durch die Rote Armee.
Sowjetische Armee und Staatssicherheit nahmen nicht nur unmittelbaren Einfluß auf die innenpolitische Entwicklung, sie wirkten in den Armeen, Polizeien und Sicherheitsbehörden der mitteleuropäischen Länder auch indirekt: So dienten zwischen 1943 und Juli 1945 in der etwa 100 000 Mann starken polnischen Armee in der Sowjetunion über 33 000 sowjetische Soldaten, darunter 20 000 Offiziere und über 13 000 Unteroffiziere Das Offizierskorps dieser „polnischen Armee“ bestand 1943 zu zwei Dritteln aus Sowjets der größte Teil des polnischen Offizierskorps war von Berijas Staatssicherheit in Katyn ermordet worden. Noch 1953 dienten in der Polnischen Armee 52 sowjetische Generäle, 670 Offiziere und weitere 200 Berater
Auf der Grundlage des Militärabkommens von 1941 wurden in der UdSSR auch tschechoslowakische Einheiten aufgestellt. Von ihren ca. 16 000 Angehörigen im Frühjahr 1944 waren allerdings 12 000 wolhynische Tschechen mit sowjetischer Staatsbürgerschaft, außerdem dienten noch 350 sowjetische Offiziere und Unteroffiziere als Instrukteure In Jugoslawien wurden ab Oktober 1944 bei allen staatlichen, wirtschaftlichen und militärischen Institutionen sowjetische Berater eingesetzt, etwa 500 beim Militär. Freilich trugen sie Uniformen der Jugoslawischen Armee
Die Erringung der politischen Hegemonie durch einheimische Kommunisten erfolgte stufenweise im Rahmen ihrer Taktik der „Nationalen Front“. Dieser 1948/49 weitgehend abgeschlossene Prozeß war gekennzeichnet durch eine Kombination von Elementen einer Revolution „von oben“ und „von unten“. Die Übernahme der Regierungsgewalt durch Allparteienkoalitionen wurde durch organisierte Formen radikaler Einflußnahme ergänzt, die die Kontrolle der staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen sicherten. Diese -schrittweise institutionalisierten -Initiativen „schärften“ nicht nur die übernommenen alten oder im Aufbau befindlichen neuen staatlichen Machtinstrumente, sondern gewährleisteten gleichzeitig die personale Unterwanderung bzw. die Paralysierung der alten Ordnungsstrukturen.
Diese von Land zu Land stark variierende Taktik der jeweiligen „Nationalen Front“ wurde im Windschatten sowjetischer Truppen und Diplomatie vollzogen, die in die innenpolitische Entwicklung auf allen Ebenen massiv intervenierten. Polen war insofern ein Sonderfall, weil es sich beim Lubliner „Polnischen Komitee der nationalen Befreiung“ als Vorläufer der provisorischen Regierung im strengen Sinne um keine verfassungsmäßige Einrichtung handelte; die Tschechoslowakei wiederum deshalb, weil dort der Prozeß der kommunistischen Machtübernahme den Anschein völliger demokratischer Rechtskontinuität hinterließ. Doch auch hier ist die sogenannte Salami-Taktik voll zum Tragen gekommen
So wurde das Konzept des tschechoslowakischen Exilpräsidenten Edvard Benes mittels einer militärischen Erhebung zwischen den vorrückenden alliierten Armeen ein fait accompli zu schaffen, sukzessive neutralisiert: Zunächst versagten die Briten aus diplomatischer Rücksichtnahme auf den sowjetischen Alliierten die unerläßliche Waf-fenhilfe, und tschechoslowakische Kommunisten dürften dann in Moskau ähnliche Gründe bewogen haben, Benes nach Abschluß des sowjetischtschechoslowakischen Beistands-und Freundschaftsvertrages noch 1943 zu drängen, die Exilregierung nicht in die Heimat zurückkehren zu lassen, sondern eine neue Übergangsregierung zu bilden Auf Benes’ Hinhaltetaktik gaben die Exilkommunisten ihre erste Antwort, als sich im August 1944 in der Slowakei reguläre Truppen und irreguläre Partisanenverbände gegen die dortige separate Regierung erhoben. Die KPTsch-Exilführung behandelte die politische Vertretung der Aufständischen, den „Slowakischen Nationalrat“, als „autoritatives Organ der slowakischen nationalen Befreiungsbewegung“, worauf sich der „Slowakische Nationalrat“ einen Monat später mit sowjetischer Billigung zum „höchsten revolutionären Organ des Heimatwiderstandes auf legaler, exekutiver Ebene“ erklärte und dem Exilpräsidenten nur die Auslandsvertretung überließ
Ihre Autorität konnte die Exilregierung einen Monat später auch nicht in den inzwischen von sowjetischen Truppen besetzten tschechoslowakischen Gebieten der Karpatho-Ukraine gegen dort mit aktiver Unterstützung durch sowjetische Truppen entstandene „revolutionäre“ Nationalausschüsse durchsetzen so daß sich Benes im Dezember 1944 gezwungen sah, in einem Dekret anstelle der alten territorialen Selbstverwaltung die von den Kommunisten geforderten Nationalausschüsse als neue Träger der öffentlichen Gewalt zu legitimieren.
Nach dem Einmarsch der Roten Armee in die Slowakei ab Mitte Januar 1945 machte der „Slowakische Nationalrat“ von seiner Exekutivlegitimation Gebrauch und verhinderte die Aufstellung einer unabhängigen Armee. Die Mobilisierung wurde auf die tschechoslowakische Armee in der UdSSR beschränkt Stalin drängte am 23. Januar 1945 die tschechoslowakischen Kommunisten -vor allem wohl wegen der Schwierigkeiten mit der Anerkennung der provisorischen polnischen Regierung durch die Westalliierten -allerdings auf Mäßigung Im März 1945 überließ Benes den Kommunisten acht von insgesamt 21 Sitzen der Provisorischen Regierung.
Die Hoffnung, daß die Westmächte Prag noch vor den sowjetischen Truppen erreichen würden, hatte Benes noch nicht aufgegeben, als er am 31. März 1945 in Begleitung des sowjetischen Botschafters Sorin Moskau verließ. Noch auf sowjetischem Gebiet erfüllte er die Hauptforderung der Kommunisten: Die Exilregierung reichte ihre Demission ein -damit war der Präsident das einzige verfassungsmäßig legitimierte Staatsorgan Das am 2. April 1945 unterschriebene Verfassungsdekret Nr. 1 über die Organisation des Regierungsvorstands enthielt denn auch ein verfassungsrechtliches Novum: Dieses Gremium bestand aus den Vorsitzenden der in der Regierungskoalition vertretenen Parteien. Doch ihren politischen Aktionsradius schränkten die Parteien nicht nur auf diese Art der „Verstaatlichung“ ein. Ihre Manövrierfähigkeit war bereits durch einen „Sozialistischen Block“ der drei tschechischen sozialistischen Parteien -Kommunisten, Sozialdemokraten und Volkssozialisten -eingeengt worden.
Am 4. April 1945 kam die neue Regierung im slowakischen Kosice (Kaschau) an. Eine ihrer ersten Maßnahmen betraf die Ersetzung der alten Armeespitze und der Korpskommandeure durch aus der in der UdSSR gebildeten Auslandsarmee stammende Offiziere. „Es muß hervorgehoben werden“, berichtete der sowjetische Botschafter nach Moskau, „daß die Veränderungen durch Benes nur unter dem Druck des Führungskerns der tschechoslowakischen Regierung unter Führung der Kommunisten“ erzielt worden seien Lobend fügte er hinzu, daß auch eine Reorganisation des Innenministeriums und die Bildung neuer Organe der Staatssicherheit „unter Ausnutzung der sowjetischen Erfahrungen“ vorbereitet worden sei In Prag sah es damals noch so aus, als könnte das Konzept einer Restauration der demokratischen Strukturen aus der Vorkriegszeit aufgehen. Kommunistische Vertreter im illegalen „Tschechischen Revolutionsrat“, der am 5. Mai in Böhmen und Mähren die Übernahme der Regierungsgewalt dekretierte verhinderten aber, daß die nur ein bis zwei Stunden von Prag entfernten amerikanischen Truppen in den gegen die Wehrmacht ausgebrochenen Aufstand eingriffen So erreichten am 9. Mai 1945 sowjetische Militärverbände Prag und betätigten sich als Quartiermacher für die am nächsten Tag angekommene tschechoslowakische Übergangsregierung, die sich selbst -nach dem Zeugnis des sowjetischen Botschafters -als „Gefangene der Roten Armee“ bezeichnete Die Regierung habe die „ausschließliche Rolle der Sowjetunion und der Roten Armee bei der Befreiung der CSR, bei der Errichtung der Demokratie und der Unabhängigkeit des Volkes“ anerkannt
Als wortradikale Verfechter eines nationalen Widerstandes gegen die Deutschen hatten die kommunistischen Parteien ihre politische wie soziale Integrationskraft stark erweitert; dies bewirkte auch die Amalgamierung des Kommunismus mit traditionellen Elementen des Nationalismus. Stalins „risikoscheues Kalkül“ (Andreas Hillgruber) mied ferner aus außenpolitischen Gründen zunächst eine strenge Orchestrierung kommunistischer Machtinstrumente.
In der national und politisch zerklüfteten Landschaft Jugoslawiens führte Tito eine „plebejische“ Konzeption der „Nationalen Front“ durch, indem er die Konsenspolitik mit Vertretern des alten Legalismus bald aufgab und stärker als in anderen Ländern unmittelbar zu radikalen Methoden einer „Revolution von unten“ griff. Diese Konfliktstrategie war von Massenterror begleitet, begründete aber die spätere Unabhängigkeit Jugoslawiens vom sowjetischen Einfluß.
Das Konzept der „Nationalen Front“ in den ost-mitteleuropäischen Ländern als ein Gemisch aus legalen Konsensregierungen und revolutionären Basisräten war nicht nur ein Instrument Moskaus zur Kontrolle der nationalen Kommunisten; diese Taktik bezweckte gleichzeitig -wie der KPTsch-Vorsitzende Klement Gottwald 1945 intern preisgab -, durch die unerläßlichen wie unpopulären Nachkriegsmaßnahmen die Koalitionspartner zumindest propagandistisch zu kompromittieren, um auf diese Weise die Kommunisten als sozial und demokratisch zu profilieren. Denn schon im Herbst 1945 zeigten erste Nachkriegswahlen in Österreich und Ungarn, daß die kommunistischen Parteien in Osteuropa noch weniger populär waren als in Westeuropa.
In der CSR und in Polen war das mehr oder weniger erzwungene Konsenssystem der „Nationalen Front“ ab Anfang 1947 gelähmt. Eigentlich hat die Verständigung zwischen den politischen Spitzen nie richtig funktioniert: Schon 1945 berichtete der sowjetische Botschafter aus Prag über heftige Differenzen zwischen den Koalitionspartnern, über Kritik der Volkssozialisten und der katholischen Volkspartei am „totalitären bolschewistischen System“; und vorwurfsvoll bemerkte er über die tschechoslowakischen Kommunisten, daß sie aus „Angst vor dem Zerfall der Nationalen Front Kompromisse“ eingingen
Die Situation sei ernst, führte im April 1947 Wladyslaw Gomulka im Politbüro der polnischen Kommunisten aus: Der ehemalige Regierungschef und Vorsitzende der sozialistischen Partei, Edward Osobka-Morawski arbeite gegen die Kommunisten, und der Vorsitzende der erst kürzlich aus der Regierung ausgeschiedenen und nunmehr offen oppositionell auftretenden Bauernpartei, Stanislaw Mikolajczyk kooperiere mit der katholischen Kirche
Ein Jahr später paralysierten ähnliche Probleme für fast ein Jahr den Parteienblock in der SBZ, nachdem die Besatzungsmacht zwei weitere „bürgerliche“ Parteien geschaffen hatte, um die zwei bereits bestehenden politisch zu schwächen. Denn trotz aller vorgeblichen demokratischen Pluralität war die Konsenstaktik der „Nationalen Front“ nach den Worten des KPTsch-Vorsitzenden Klement Gottwald lediglich eine „Politik der Eroberung neuer Positionen, der Festigung der errunge nen Positionen und der Verdrängung der Feinde in die Defensive“
III.
Im sozialen Bereich prägten der Krieg und seine unmittelbaren Folgen weit stärker als die politischen Programme der Kommunisten die Nachkriegsentwicklung. Was die Eigentumsverhältnisse betraf, so war in Polen durch Stalins „Verschiebung“ der sowjetischen Westgrenze der Groß-grundbesitz weitgehend beseitigt worden, denn die Majorate der polnischen Magnaten befanden sich in dem von der UdSSR 1939 annektierten OstPolen. In den Polen zugewiesenen Westgebieten wurde dann der deutsche Besitz auf ähnliche Weise nationalisiert, wie im Krieg fast die gesamte Industrie und das jüdische Vermögen in deutsche Hände übergegangen war; im ehemaligen Generalgouvernement verblieb nach dem Krieg nur ein kleiner Teil der kleinen und mittleren Industrie in privater Hand, so daß die Nationalisierung von 1946 in Polen nur den faktischen Zustand legalisierte. Nicht viel anders ging die Transformation in der CSR vor sich: Dort arbeiteten infolge der vorangegangenen „deutschen Ordnungsmaßnahmen“ und der späteren Nationalisierung des Eigentums von Deutschen, Ungarn und ihren „Kollaborateuren“ bereits 1947 61 Prozent und in der Slowakei sogar 65 Prozent der Beschäftigten im verstaatlichten Industriesektor Ähnliche Sozialisierungseffekte wurden in den besetzten Ländern -Bulgarien, Rumänien, Ungarn und in der SBZ -durch Bodenreform, personelle politische „Säuberungsmaßnahmen“ und Sicherung sowjetischer Reparationsansprüche erzielt. In Polen und in der Tschechoslowakei war dieser Prozeß mit der nahtlosen Weiterführung der von der deutschen Besatzung installierten totalitären Lenkungsmethoden verbunden: In beiden Ländern wurde die Zentralwirtschaftsverwaltung weitergeführt. Vergleichbare Auswirkungen hatte der Kriegstotalitarismus in der Landwirtschaft.
Erschreckend waren die demographischen Folgen des Krieges. Nach der Volkszählung von 1946 hatte Polen 24 Millionen Einwohner Der Krieg kostete 7, 6 Millionen das Leben und hinterließ über eine Million Waisen, insgesamt waren mehr als sechs Millionen -fast ein Drittel der Bevölkerung -auf staatliche Fürsorge angewiesen Die Zahl der polnischen Ärzte, Ingenieure, Juristen wurde im Krieg halbiert Massenwanderungsbewegungen hielten noch bis 1947 an, auch zwei Drittel der etwa 300 000 dem Völkermord entkommenen polnischen Juden verließen in mehreren Wellen bis 1950 das Land.
Mit 250 000-300 000 Toten und über 100 000 arbeitsunfähigen Kriegsinvaliden waren die Verluste in der Tschechoslowakei weniger dramatisch, doch können Leid und Trauer nicht mit statistischen Maßstäben gemessen werden Mehr als drei Millionen Deutsche wurden 1945/46 vertrieben. In der SBZ bestand die Bevölkerung zeitweilig zu einem Viertel aus Vertriebenen. Die Lockerung des sozialen Zusammenhalts war nur eine Begleiterscheinung der kriegsbedingten Mobilität.
Die räumlichen Wanderungen extremsten Ausmaßes -Flucht, Vertreibung, Migration -waren begleitet von allgemeiner Verarmung. In Polen und in der SBZ lag der durchschnittliche tägliche Kalorienwert der Ernährungsration noch Ende der vierziger Jahre deutlich unter dem Vorkriegsdurchschnitt In Berlin betrug die durchschnittliche Lebensmittelration im Oktober 1946 1 650 Kalorien in der SBZ waren 1948 „die derzeitig festgesetzten Rationssätze mit einer durchschnittlichen Kalorienzahl von 1 500“ bewertet worden Der „tatsächliche Realisierungsgrad“ solch statistischen Planungsnormen war gering, in Polen betrug er zeitweilig nur 60 Prozent. Die Arbeitsmoral sank derart dramatisch, daß beispielsweise jn der polnischen Führung 1947 die Forderung auftauchte, daß „die Disziplin der Massen durch organisatorische Mittel gefestigt werden“ müsse In Böhmen und Mähren führten Inflation und andere Umstände dazu, daß der gegen Kriegsende bei 30 Prozent liegende Frauen-anteil an den Beschäftigten nach einem vorübergehenden rapiden Absinken bis 1950 mit 33, 4 Prozent diesen Stand wieder überschritt Die Metastasen des Kriegstotalitarismus beherrschten Wirtschaft wie Gesellschaft.
IV.
Die kommunistischen Parteien Ostmitteleuropas waren vor dem Krieg bestenfalls Splitterparteien, nur in der Tschechoslowakei war 1938 ein halbes Prozent der Bevölkerung Parteimitglied (in Deutschland lag der Anteil 1933 bei 0, 35 Prozent und in Polen 1938 bei 0, 06 Prozent). Nach dem Krieg wurden aus diesen Grüppchen Massenparteien: 1948 waren in der Tschechoslowakei mehr als zwanzig Prozent, in der SBZ fast zehn und in Polen immerhin sechs Prozent der Gesamtbevölkerung als Kommunisten organisiert. Und obwohl diese hohen Anteile nach Abschluß der innerparteilichen „Säuberungen“ Mitte der fünfziger Jahre deutlich nach unten korrigiert wurden -in der CSR auf zwölf, in Polen auf fünf und in der DDR auf sechs Prozent -, blieb der nominelle Rückgang ohne Einfluß auf ihren Charakter als „Allerweltsparteien“, deren Mitglieder sich nur zu etwa einem Drittel Arbeiter nannten (was damals allerdings oft nur im „genetischen“ Sinne verstanden wurde, weil es Väter und Großväter betraf). Die Angestellten erreichten in der SED bereits 1956 eine Quote von etwa 40 Prozent.
Marginalisiert wurden die Vorkriegskommunisten: In der KPTsch waren es 1953 nur noch 1, 5 Prozent, 1951 waren in der jetzt als „Partei des Volkes“ für sich werbenden SED mit einem Anteil von acht Prozent frühere Mitglieder der NSDAP in etwa genauso stark repräsentiert wie jene, die vor 1933 der KPD angehört hatten Diesen radikalen organisationssoziologischen Umbruch bezeichnete der tschechoslowakische Kommunistenchef Klement Gottwald schon 1945 als Chaos und noch 1948 stellte der deutsche Altkommunist Bernhard Koenen fest, daß zwischen Inlands-und Exilkommunisten, zwischen Neu-und Altkommunisten keine einheitliche und klare Ideologie vorhanden sei, „von den Millionenmassen der Mitglieder ganz zu schweigen“ Mit den Nachkriegskonzepten „neue Demokratie“, „Volksdemokratie“ und „besonderer Weg zum Sozialismus“, mit Begriffen wie „Demokratie“ und „Diktatur“ konnte die zusammengewürfelte Parteimitgliederschaft nichts anfangen; sie verstand sie entweder überhaupt nicht oder falsch, ergab 1946/47 in der KPTsch eine innerparteiliche Umfrage 1947 leitete die Gründung des Kominform (des „Kommunistischen Informationsbüros“ zur zentralen Steuerung der ideologischen Propaganda) das Ende aller Experimente ein; ohnehin hatte die sowjetische ZK-Bürokratie die Nachkriegsentwicklung in den nationalen kommunistischen Parteien mit dem allergrößten Mißtrauen beobachtet *Mit dem Sammlungsappell erfuhr auch das Konzept der Regierung der „Nationalen Front“ wieder jene Deutung die ihr der Generalsekretär der Komintern -der „Kommunistischen Internationale“ Georg! Dimitroff, schon in seinem Grundsatzreferat auf dem VII. Weltkongreß der Komintern 1935 gegeben hatte: Die „Regierung der Einheitsfront“ sei keine Form der Stützung der liberalen Demokratie, auch keine friedliche Form des Übergangs zur proletarischen Diktatur, da die Sowjetmacht das Ziel bleibe Damit wurden die nationalen Wege der südost-und osteuropäischen Staaten wieder auf den Hauptweg zum Sozialismus gebracht. Als Wegweiser galt das von Stalin in der Sowjetunion geschaffene System, dessen „Bindemittel ... Ideologie und ein außergewöhnlich ausgebauter Repressions-und Kontrollapparat (war), wobei die durch einen beispiellosen Kult umworbene Person des Tyrannen eine Klammer“ bildete
Zu den ersten Schritten zählte die Einschmelzung konkurrierender linker Parteien in die einheitliche nationale Arbeiterpartei (Ausnahmen wie 1945 in der Slowakei oder 1946 in der SBZ bestätigen die Regel), die durch organisatorische wie polizeiliche Disziplinierungsmittel zu straff zentralistischen und nach dem Prinzip unbedingter Gefolgschaftstreue funktionierenden „Parteien neuen (d. h. leninistisch-stalinistischen) Typus“ geformt wurden. In den „Nationalen Fronten“ wurden ab 1948 außer den geduldeten politischen Parteien auch die inzwischen kommunistisch dominierten Gewerkschaften, Genossenschaften, Frauen-und Jugendorganisationen um die Einheitspartei gruppiert, deren politische Vormachtstellung von ihren Trabanten noch zu Lebzeiten Stalins auch formell anerkannt wurde.
Begründet wurde dieses politische System unter Rückgriff auf Stalins Verdammung des „Dritten Weges“ aus dem Jahr 1929. Nationale Eigentümlichkeiten der Politik einzelner kommunistischer Parteien galten nunmehr lediglich als Ausdruck eines formalen Unterschieds, mit dem vor allem der vorangegangene Zeitabschnitt ex post legitimiert werden sollte. Der von den sowjetischen Kommunisten vorgezeichnete Weg galt von nun ab nicht mehr nur als ein gemeinsamer, sondern für alle „Volksdemokraten“ als ein prinzipiell einheitlicher. Das betraf auch die Übernahme der stalinistischen Einpersonenherrschaft.
Das eigentliche Rückgrat dieser Herrschaftsform stellte jeweils der Staatssicherheitsdienst dar, der vermutlich auf der Grundlage sowjetischer Empfehlungen so auszubauen war, daß auf etwa 1 2001 300 Einwohner ein Geheimpolizist kam. In Polen und Ungarn war diese Dichte schon Ende der vierziger Jahre erreicht. „Inoffizielle Mitarbeiter“, die damals noch in der Umgangssprache Spitzel, Fiesel usw. genannt wurden, zählte die Geheimpolizei zu Beginn der fünfziger Jahre sonst nur nach Hunderten; erst im Zuge der „systemimmanenten Demokratisierung“ wurden daraus zehn Jahre später Tausende und schließlich Zehntausende Der sowjetische Botschafter avancierte in den Ländern Osteuropas zum Statthalter. Er traf nach Rücksprache mit Moskau alle politischen Entscheidungen Garanten der innenpolitischen Stabilität waren die in allen Ländern des Ostblocks stationierten sowjetischen Garnisonen. Auf diesen sowjetischen militärischen „Beistand“ verzichtete 1948 die tschechoslowakische Parteiführung, obwohl Stalin ein solches Hilfeersuchen angeordnet hatte Trotz all dieser ähnlich verlaufenden Gleichschaltungsprozesse bleibt es problematisch, sie als „Sowjetisierung“ zu bezeichnen. Von ihrer unterschiedlichen Intensität einmal abgesehen, konnte die sowjetische Einflußnahme aufgrund der differenzierenden materiellen Ausgangsbedingungen durchaus unterschiedliche Resultate erzeugen. Als „sowjetische“ Erfahrung galt schlechthin so gut wie alles, was etablierte Kommunisten je praktiziert hatten. Jedoch: Ein Mehrparteiensystem bei-spielsweise, wie es in Polen, in der Tschechoslowa-^, kei und der SBZ/DDR zumindest der Form nach entstand, kannte die Sowjetunion nicht. Der polnische Wirtschaftsdiktator Hilary Mine meinte zwar, daß Polen und andere Volksdemokratien „fertige, erprobte sowjetische Muster übernehmen“ könnten Aber in der Sowjetunion gab es weder hinlängliche Erfahrungen mit einer Mehrsektorenwirtschaft noch einen klaren Eigentumsbegriff. Es gab dort ferner auch kein Sozialversicherungssystem und keine Krankenversicherung, kein Steuersystem und kein ausdifferenziertes Rechtssystem. Mit der Präzision der Bilder wachsen also die Unterschiede.
Das tatsächliche Funktionieren der kommunistischen Bürokratie wird häufig ebenfalls in abstrakter Weise verkürzt: So hatte sich die tschechoslowakische Armee-, Staats-und Parteiführung jahrelang um die Texte geheimer sowjetischer Militärvorschriften bemüht, um die tschechoslowakische Armee nach sowjetischem Muster umorganisieren zu können. Intern hieß es 1950 dazu: „Wir haben 1 011 sowjetische Militärreglements, übersetzt sind 38“, 813 lägen unbenutzt herum Die „Sowjetisierung“ war eben auch ihrer Methode nach „sowjetisch“; in ihrer Reichweite wird sie oft überschätzt.
In den Intentionen Moskaus gab es außer dem machtpolitischen Axiom kaum Konstanten, dafür zahlreiche funktionelle Variablen: Der sowjetische Antisemitismus beispielsweise war instrumenteil: In Ungarn und in Polen stützten sich Parteiapparat und Geheimdienst auf „jüdische“ Funktionäre; in Prag organisierte man mit dem Slansky-Prozeß 1952 einen Pogrom, und die Frage bleibt noch offen, welche Rolle dabei massive antisemitische Denunziationen spielten, die aus der Prager Führung schon in den vierziger Jahren nach Moskau gesandt wurden.
Der tschechische Historiker Karel Kaplan wies in diesem Zusammenhang vor allem auf die weitgehenden Macht-und Rechtsvollmachten sowjetischer Berater hin, die „ohne jede Verantwortung, weder verfassungsmäßige, noch gesetzliche oder politische, (wirkten) ... Diese trug der tschechoslowakische Amtsträger, falls von Verantwortung überhaupt die Rede sein kann ... Dies führte dazu, daß Funktionäre oft Standpunkte und Einwände der Berater übernommen haben, obwohl sie mit ihnen überhaupt nicht einverstanden waren. Die Minister wünschten sich sogar in ihrem Ressort möglichst viele Berater. Ihre Anwesenheit und Tätigkeit betrachteten sie als Schutzschild vor möglichen Anschuldigungen wegen falscher Entscheidungen, schlechter Amtsführung usw.
Die „Sowjetisierung“ war auch ein Alibi für die nationalen Führungskräfte, denn diese verfügten über keine Alternativkonzepte. Im Nachkriegsprogramm der polnischen Kommunisten wurde die „neue Demokratie“ schon im September 1944 als eine „Demokratie“ definiert, die „alle beseitigen kann, die ihr entgegenstehen“ Elemente der nationalen politischen Kultur, wie sie die KPTsch vor 1948 verstand, waren ebenfalls nicht geeignet, den eigenen totalitären Machtanspruch zu hemmen. Einige Monate vor der Machtübernahme in der CSR drohte im November 1947 der Informationsminister auf einer ZK-Tagung, daß es nicht mehr lange dauern würde, „bis bei uns der Moment kommt und Hochverrat das genannt wird, was heute aus Bequemlichkeit demokratische Äußerung einer anderen Meinung heißt, und Hochverrat wird es mit rückwirkender Geltung heißen .. . Wir haben eine große Macht. Sie direkt anwenden, könnte man Diktatur nennen. Wir werden selbst den Moment wählen, wann wir diese Macht gebrauchen, ohne daß uns jemand wird vorwerfen können, daß wir den demokratischen Weg verlassen würden.“