Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Situation und Perspektiven der Alterserwerbsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland | APuZ 35/1996 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 35/1996 Alternde Gesellschaft in Deutschland. Eine bevölkerungsstatistische Analyse Alternde Bevölkerung -veraltender Sozialstaat? Demographischer Wandel als „Politik“ Alterssicherung in der Bundesrepublik Deutschland. Stand und Perspektiven Situation und Perspektiven der Alterserwerbsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland

Situation und Perspektiven der Alterserwerbsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland

Gerhard Naegele/Frerich Frerichs

/ 31 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Angesichts des in Zukunft verstärkt greifenden demographischen Wandels in der Arbeitswelt gewinnt die Problematik älterer Arbeitnehmer im Betrieb an neuer Schärfe. Ohne die Bekämpfung der zentralen Gesundheits-und Qualifikationsrisiken dieser Beschäftigtengruppe wird eine Bewältigung des strukturellen Wandels nicht möglich sein. Notwendig sind präventive Konzepte, die vorrangig bei den jetzt mittleren Altersgruppen ansetzen und deren betriebliche Integration auch bei fortschreitendem Alter ermöglichen. Modellhafte betriebliche Ansätze können hier einen wichtigen Erfahrungskorridor schaffen. Bezogen auf die Arbeitsmarktrisiken und den Trend zur Frühausgliederung greifen Maßnahmen zur pauschalen Heraufsetzung der Altersgrenzen oder isolierte Altersteilzeitregelungen zu kurz. Gefordert sind vielmehr umfassende Ansätze zur Lebensarbeitszeitgestaltung, um Alterserwerbsarbeit den je spezifischen Arbeitnehmerbedürfnissen und betrieblichen Anforderungen entsprechend gestalten zu können.

I. Einführung: Demographischer Wandel und Auswirkungen auf die Arbeitswelt

In der Bundesrepublik Deutschland werden gegenwärtig die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Arbeitswelt und die Frage, wie die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung mit insgesamt älter werdenden Belegschaften zu bewältigen ist, in zunehmenden Maße diskutiert Die Enquete-Kommission Demographischer Wandel des Bundestages hat kürzlich einen Zwischenbericht zu den Auswirkungen der älter werdenden Gesellschaft auf die wirtschaftliche und politische Entwicklung vorgelegt und ist dabei u. a. auf Erfordernisse zur Förderung der Alterserwerbsarbeit eingegangen. Unter Fachwissenschaftlern wie Arbeitsmarktpolitikern gleichermaßen gilt die längere Beschäftigung künftiger Kohorten (Jahrgangsgruppen) älterer Arbeitnehmer als eine wichtige Option unter mehreren, um die erwartete, demographisch bedingte Lücke im Arbeitskräfte-angebot zu schließen Für die Zukunft von Wirtschaft und Arbeitsmarkt wird dabei als ent-scheidend angesehen, ob eine alternde Erwerbsbevölkerung den Anforderungen des technologischen Wandels entsprechen kann und ob die erforderlichen, insbesondere qualifikatorischen Anpassungsmaßnahmen rechtzeitig entwickelt werden.

Ausgangspunkt für diese Feststellungen bilden die Prognosen zur Alterung und Schrumpfung des Erwerbspersonenpotentials in Deutschland. Etwa ab dem Jahr 2000 wird das Potential an älteren Erwerbspersonen (50 Jahre und älter) das der jüngeren Erwerbspersonen (15 Jahre bis unter 30 Jahre) überwiegen Bis zum Jahr 2030 wird das Erwerbspersonenpotential in erheblichem Maße sinken und dann weit unter dem Ausgangsniveau zu Beginn der neunziger Jahre liegen. Im Vergleich mit den Ländern der Europäischen Union ist die Bundesrepublik von diesem Trend in besonders starkem Maße betroffen.

Die Alterung und Schrumpfung des Erwerbspersonenpotentials wird durch die Förderung der Zuwanderung, der Ausweitung der Frauenerwerbstätigkeit und der Erhöhung der Arbeitsproduktivität allein nicht kompensiert werden können, sondern erfordert auch die Nutzung des Produktivitätspotentials von älteren Arbeitnehmern Hierfür können die Einführung von Qualifizierungs-und Personalentwicklungsmaßnahmen, die Veränderung von Arbeitszeitregelungen und die Verbesserung der Gesundheitsförderung als eine der wichtigsten Voraussetzungen angesehen werden. Nach vorliegenden Strukturprojektionen werden die Qualifikationsanforderungen der Arbeitsplätze weiter steigen. Im Jahr 2010 werden dann ca. 72 bis 73 Prozent der Arbeitskräfte eine berufliche Erstausbildung oder eine Fortbildung benötigen. Der Anteil an Arbeitsplätzen, die keine abgeschlossene formale Ausbildung erfordern, dürfte auf etwa 10 Prozent zurückgehen Die Perspektive, ältere und leistungsgenlinderte Mitarbeiter auf Arbeitsplätzen mit einfachen Tätigkeiten weiterzubeschäftigen, wird demnach erheblich eingeschränkt Investitionen in das Humankapital können somit als ein entscheidender Schlüssel zur Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer angesehen werden. Wegen der Längerfristigkeit und der Zunahme von Qualifikations-und Beschäftigungsrisiken bei älteren Arbeitn Prozent zurückgehen 6. Die Perspektive, ältere und leistungsgenlinderte Mitarbeiter auf Arbeitsplätzen mit einfachen Tätigkeiten weiterzubeschäftigen, wird demnach erheblich eingeschränkt 7. Investitionen in das Humankapital können somit als ein entscheidender Schlüssel zur Beschäftigungsförderung älterer Arbeitnehmer angesehen werden. Wegen der Längerfristigkeit und der Zunahme von Qualifikations-und Beschäftigungsrisiken bei älteren Arbeitnehmern gilt es, bereits bei den heute mittleren Jahrgängen, den 40-bis 50jährigen, also den älteren Arbeitnehmern von morgen, anzusetzen 8.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung, die Altersgrenzen für den Rentenbezug von Frauen und Männern auf 65 Jahre anzuheben, erhöht sich der Handlungsbedarf bezogen auf die Förderung der Alterserwerbsarbeit noch zusätzlich, wenngleich offensichtlich ist, daß diese Beschlüsse nicht primär auf die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, sondern vor allem auf die Entlastung der Rentenversicherung zielen. Nur eine Minderheit der von den Heraufsetzungsbeschlüssen Betroffenen dürfte auch tatsächlich Weiterarbeiten (können). Die Mehrheit wird wahrscheinlich auch auf absehbare Zeit weiter früher in Rente gehen, die dann allerdings um die vorgesehenen versicherungsmathematischen Abschläge gekürzt wird 9. An diesen Beschlüssen ist daher vor allem zu kritisieren, daß sie primär und vordergründig rentenfinanzpolitische Zielsetzungen verfolgen und nicht in ein Gesamtkonzept zur Ermöglichung der Erwerbstätigkeit auch in höherem Alter eingebunden sind. Dementsprechend erwarten Fachleute auch die verstärkte Nutzung von Ausweichstrategien, insbesondere eine höhere Inanspruchnahme von Erwerbs-und Berufsunfähigkeitsrenten 10.

In diesem Beitrag geht es uns aber nicht um eine Auseinandersetzung mit den Beschlüssen der Bundesregierung. Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist, daß vor dem Hintergrund der erwähnten demographischen und qualifikatorischen Trends der Erschließung des Arbeitskräftepotentials älterer Arbeitnehmer und ihrer Integration in den Betrieb eine zunehmend wichtigere Bedeutung zukommt. Die Vorstellung allerdings, die Alterserwerbsarbeit ließe sich irgendwann einmal -gleichsam „per Knopfdruck“ -von heute auf morgen ausweiten, wird angezweifelt. Wenn überhaupt, dann könnte dies unter den gegenwärtigen Beschäftigungs-und Arbeitsmarktbedingungen nur für ausgewählte Gruppen, vermutlich sogar nur für die Minderheit der älteren Beschäftigten, realisiert werden. Die bestehenden Qualifizierungs-und Gesundheitsrisiken sowie die Arbeitsmarktprobleme und die mit dem Frühverrentungstrend einhergehende defizitäre Entwicklung von Personalentwicklungsstrategien für ältere Arbeitnehmer erfordern vielmehr eine längerfristig angelegte, aktive Förderung von Bedingungen, die zu gegebener Zeit -d. h. nach den vorliegenden Prognosen etwa 2010 -eine Arbeit in den mittleren und höheren Lebensjahren auf freiwilliger Basis objektiv ermöglichen. Zugleich sollen sie sicherstellen, daß das Produktivitäts-und Leistungspotential einer älter werdenden Erwerbsbevölkerung so genutzt werden kann, daß der erforderliche ökonomische und technologische Strukturwandel bewältigt und der Prozeß der gesellschaftlichen Innovationen nicht gebremst wird. In diesem Beitrag wollen wir unter anderem danach fragen, welche arbeitsmarkt-und betriebspolitischen Strategien jetzt vorbereitet und realisiert werden müssen, um die Alterserwerbsarbeit von morgen zu ermöglichen und sicherzustellen.

II. Betriebliche Beschäftigungsrisiken älterer Arbeitnehmer

Die betriebliche Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer ist durch zwei zentrale Risiken gekennzeichnet, die die Integration in das Erwerbsleben erheblich erschweren können: Zum einen sind ältere Arbeitnehmer der Gefahr ausge-setzt, mit den rasch wechselnden qualifikatorisehen Anforderungen in der Arbeitstätigkeit nicht Schritt halten zu können, zum anderen führen die körperlichen und psychischen Belastungen über die Dauer des Erwerbslebens dazu, daß sie vermehrt von gesundheitlichen Beeinträchtigungen betroffen sind. 1. Qualifizierungsrisiken älterer Arbeitnehmer Die Qualifizierung älterer Arbeitnehmer ist von mehreren, sich z. T. überlagernden und gegenseitig verstärkenden negativen Entwicklungen geprägt. Gegenwärtig sind nicht nur die vorhandenen Qualifikationen älterer Beschäftigter durch besondere Dequalifizierungsrisiken tendenziell der Entwertung ausgesetzt. Diese Risiken würden eigentlich eine überproportionale Beteiligung an beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen notwendig machen. Gleichzeitig herrscht jedoch auch eine altersselektive Qualifizierungspraxis bezogen auf die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung vor, die genau dies verhindert.

Betrieblichen Qualifizierungsrisiken, denen ältere Arbeitnehmer ausgesetzt sind sind vor allem das Dequalifizierungsrisiko und die betriebsspezifische Einengung der Qualifikation. Dequalifizierungsprozesse in Zusammenhang mit der Einführung neuer Technologien und neuer arbeitsorganisatorischer Konzepte stellen das zentrale Qualifizierungsrisiko für ältere Arbeitnehmer dar. Betriebs-spezifische Einengungen der Qualifikation werden durch eine jahrzehntelange Konzentration der Arbeitstätigkeit auf bestimmte Verfahren, Arbeitsbereiche oder Arbeitsvorgänge verursacht und können dazu führen, daß das ursprünglich vorhandene Qualifikationsvermögen z. T. erheblich beeinträchtigt wird („disuse-Effekt").

Für die Zukunft muß befürchtet werden, daß durch den raschen ökonomischen Strukturwandel diese Qualifizierungsrisiken weiter an Gewicht gewinnen und die daraus folgenden Beschäftigungsnachteile sich verstärken. Ältere Arbeitnehmer ohne beruflichen Bildungsabschluß sind in besonderer Weise von diesen Gefährdungen betroffen. Zwar wird immer wieder auf die Möglichkeit der Kompensation von so entstehenden Qualifizierungslücken durch das Erfahrungswissen der Älteren verwiesen. Bei einer z. T. völligen Neuorganisation der betrieblichen Abläufe infolge des technologisch-organisatorischen Wandels kann „Erfahrungswissen“ unter Umständen aber eher hinderlch als nützlich sein.

Den genannten Qualifizierungsrisiken steht gegenwärtig eine altersselektive Durchführungspraxis bei Qualifizierungsmaßnahmen gegenüber, die durch schichten-und geschlechtsspezifische Selektionsmechanismen zusätzlich verschärft wird. So lag z. B. die Teilnahmequote der unter 35jährigen an der beruflichen Weiterbildung 1991 bei 25 Prozent, dicht gefolgt von den 35-bis 49jährigen mit 24 Prozent und mit deutlichem Abstand zu den über 50jährigen mit 11 Prozent Bezogen auf den Anteil, den die jeweiligen Altersgruppen an den Weiterbildungsteilnehmern insgesamt haben, ergibt sich folgendes Bild: Bei der beruflichen Weiterbildung stellten 1991 die unter 35jährigen 47 Prozent aller Teilnehmer. Ihr Anteil am Weiterbildungsvolumen (Umfang der Weiterbildung in Stunden) lag mit 59 Prozent noch weitaus höher. Dagegen stellen die über 50jährigen lediglich 16 Prozent der Teilnehmer und 9 Prozent des Weiterbildungsvolumens Ältere Arbeitnehmer können, bezogen auf die allgemeine Entwicklung der Weiterbildungsteilnahme, keineswegs Schritt halten, der Abstand zu der Teilnahmequote der 35-bis 49jährigen hat sich in den letzten Jahren weiter vergrößert

Als ursächlich hierfür muß angesehen werden, daß aus der betrieblichen Perspektive, nach der eine Weiterbildungsofferte eine Humankapitalinvestition darstellt, ältere Arbeitskräfte geringere „Restnutzungszeiten“ aufweisen, so daß ein entsprechendes Vorgehen oft nicht mehr rentabel erscheint. Ältere werden nur dann miteinbezogen, wenn sich die Qualifizierungsmaßnahmen auf die gesamte Belegschaft beziehen, wenn der Qualifizierungsanspruch vergleichsweise gering ist und wenn es sich um noch relativ „junge“ ältere Mitarbeiter handelt. 2. Gesundheitliche Risiken Das mit dem Alter steigende Gesundheitsrisiko älterer Arbeitnehmer setzt einer reibungslosen Verlängerung ihrer Erwerbstätigkeit Grenzen. Ältere Arbeitnehmer weisen -verglichen mit jüngeren Altersgruppen -die meisten Arbeitsunfähigkeitstage pro Jahr auf, obwohl sie seltener krank sind. Rd. 16 Prozent aller über 50jährigen Arbeitnehmer sind erwerbsgemindert gegenüber 3 Pro Prozent aller über 50jährigen Arbeitnehmer sind erwerbsgemindert gegenüber 3 Prozent aller unter 50jährigen 15. Nach wie vor ist auch ein ungebremst hoher Anteil an Frühverrentungen gesundheitsbedingt, wie dies z. B. die hohen gesundheitsbedingten Frühverrentungsquoten (wegen Erwerbsunfähigkeit oder Schwerbehinderung) von 1994 zwischen 30 und 45 Prozent bei den Männern -je nach Versicherungszweig (Arbeiter oder Angestellte) -dokumentieren 16. Diese Zahlen sind selbst dann noch alarmierend hoch, wenn sich dahinter mit etwa 25 bis 30 Prozent (1994: 33 Prozent) hohe Anteile von arbeitsmarktbedingten Fällen entsprechend des Urteils des Bundessozialgerichtes verbergen Hinzu kommt, daß viele gesundheitlich beeinträchtigte ältere Arbeitnehmer gar nicht erst den schwierigen Weg der Beantragung der Erwerbsunfähigkeitsrente gehen und stattdessen weniger aufwendige Frühverrentungspfade nutzen, also in der Statistik gar nicht auftauchen Schließlich ist zu beachten, daß viele Berufe wegen der hohen Belastungen noch nicht einmal bis zu den vorgezogenen Altersgrenzen, geschweige denn darüber hinaus, ausgeübt werden können.

Extrapoliert man die bereits jetzt bestehenden gravierenden gesundheitlichen Gefährdungen älterer Arbeitnehmer in die Zukunft, so zeigt sich ein hoher Problemdruck. Die prekäre gesundheitliche Situation älterer Arbeitnehmer schränkt in der Folge nicht nur die Produktivität der Unternehmen ein, sondern mindert auch die Attraktivität der betreffenden Arbeitsplätze und verringert somit die Chance der Betriebe, hierfür geeignete Mitarbeiter zu finden. Auch in Zukunft ist nicht davon auszugehen, daß Belastungsreduzierungen und gesündere Arbeitsbedingungen quasi von selbst Platz greifen. Die Verschiebung des Beschäftigungsschwerpunktes auf den Dienstleistungssektor bedeutet nicht von vornherein gesündere Arbeitsplätze, auch hier sind „bad jobs“ mit ungünstigen Arbeitszeiten und ausgeprägten Gesundheitsbelastungen vorzufinden. Eine Verringerung der gesundheitlichen Gefährdungen im gewerblichen Sektor durch technische Neuerungen ist ebenfalls nicht fraglos gegeben. Im Gegenteil, oft führen damit einhergehende Arbeitsintensivierungen sowie Kontroll-und Steueraufgaben zu einer Zunahme insbesondere von psychischen Belastungen. Nicht von der Hand zu weisen dürfte auch die Gefahr sein, daß die Frühverrentungspraxis die Herausbildung „olympiareifer Belegschaften“ fördert und deren Gesamtbelastung folglich über den Weg einer immer weiter voranschreitenden Arbeitsintensivierung permanent nach oben geschraubt wird. Auch kann nicht per se davon ausgegangen werden kann, daß ältere Arbeitnehmer gleichsam im Selbstlauf gesünder werden, zumal auch die These von dem stets verbesserten Gesundheitszustand der jeweils nachrückenden Kohorten älterer Arbeitnehmer umstritten ist.

III. Arbeitsmarktrisiken älterer Arbeitnehmer

Neben den genannten alterstypischen Gesundheits-und Qualifizierungsrisiken ist es vor allem die aktuelle Arbeitsmarktlage, die verhindert, daß kurzfristig oder administrativ eine Wende in der Alterserwerbsarbeit erfolgen kann. Ältere Arbeitslose bilden zu einem Zeitpunkt, wo nach wie vor Massenarbeitslosigkeit herrscht, eine relevante beschäftigungspolitische Manövriermasse. Gegenwärtig kann nicht von einer Verbesserung der Beschäftigungsaussichten für ältere Arbeitnehmer ausgegangen werden. Auch mittelfristig dürfte bei einer weiterhin zu erwartenden hohen Sockel-arbeitslosigkeit kaum von einer durchgreifenden Entspannung auf dem Arbeitsmarkt auszugehen sein und auf globaler Ebene keine Arbeitskräfte-knappheit drohen Bleibt das Verhältnis zwischen Arbeitsplatzangebot und -nachfrage trotz der demographischen Verschiebungen unausgeglichen, läßt sich zudem die Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht durchsetzen und nimmt die Gefahr weiter wachsender Arbeitslosigkeit gerade der älteren Arbeitnehmer zu

Arbeitslosigkeit für Ältere ist dabei in aller Regel ein langandauernder, durch ein hohes Verbleibsrisikö gekennzeichneter Zustand: Das Hauptproblem besteht für sie darin, aus der Arbeitslosigkeit heraus ein neues und stabiles Beschäftigungsver-hältnis zu finden Arbeitslose ab 45 Jahren sind bereits wesentlich schwieriger vermittelbar als jüngere Arbeitslose, mit über 55 Jahren gelingt kaum noch die Eingliederung in ein stabiles Beschäftigungsverhältnis Infolge ihres Verbleibsrisikos stellen die 55-bis 59jährigen mit 28, 8 Prozent bzw. die 55-bis 64jährigen mit 35 Prozent den Großteil aller Langzeitarbeitslosen. Von den 55-bis 59jährigen Arbeitslosen sind dabei fast 57 Prozent ein Jahr und länger arbeitslos, 34, 2 Prozent sogar zwei Jahre und länger

Die geringen Wiederbeschäftigungschancen älterer Arbeitsloser müssen insgesamt auch als Ausdruck des betrieblichen Einstellungsverhaltens gewertet werden. Es gibt faktische Einstellungshöchstaltersgrenzen, die aber nur selten offen ausgewiesen sind. Nach den Befunden einer Pilotstudie zur Repräsentanz älterer Erwerbspersonen in Stellenanzeigen regionaler und überregionaler Tageszeitungen werden Arbeitnehm 8 Prozent bzw. die 55-bis 64jährigen mit 35 Prozent den Großteil aller Langzeitarbeitslosen. Von den 55-bis 59jährigen Arbeitslosen sind dabei fast 57 Prozent ein Jahr und länger arbeitslos, 34, 2 Prozent sogar zwei Jahre und länger 23.

Die geringen Wiederbeschäftigungschancen älterer Arbeitsloser müssen insgesamt auch als Ausdruck des betrieblichen Einstellungsverhaltens gewertet werden. Es gibt faktische Einstellungshöchstaltersgrenzen, die aber nur selten offen ausgewiesen sind. Nach den Befunden einer Pilotstudie zur Repräsentanz älterer Erwerbspersonen in Stellenanzeigen regionaler und überregionaler Tageszeitungen werden Arbeitnehmer in der zweiten Lebenshälfte kaum noch gesucht. Stellen für über 40jährige Arbeitnehmer werden auf regionaler Ebene gar nicht mehr angeboten, auf überregionaler Ebene sind nur fünf Prozent aller Stellenanzeigen für 40jährige und ältere ausgewiesen 24. Es ist bei Einstellungsgrenzen für ältere Arbeitnehmer davon auszugehen, daß diese um so niedriger sind, je belastungsintensiver die Tätigkeit ist und je höher die qualifikatorischen Anforderungen sind. Die Chancen von älteren Frauen, in abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse aufgenommen zu werden, sind noch einmal deutlich niedriger zu bewerten, insbesondere aufgrund der kürzeren zeitlichen Beschäftigungsperspektive infolge der bislang niedrigeren Frauenaltersgrenze von 60 Jahren. Des weiteren ist festzuhalten, daß sich im Zuge der Beschäftigungskrise betriebliche Auslesekriterien für Personalentscheidungen kontinuierlich verschärft haben und Einstellungsstandards immer mehr angehoben wurden 25. Aufgrund dessen haben z. B. ältere Arbeitnehmer mit vorhergehender Arbeitslosigkeit oder lückenhaften Erwerbs

Verläufen fast keine Chancen mehr auf eine neuerliche Beschäftigung. Ältere Arbeitnehmer sind auch in relevanten arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen -von Ausnahmen abgesehen -stark unterrepräsentiert 26. Dies gilt sowohl für das Sonderprogramm der Bundesregierung für die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen, in dem Arbeitnehmer im Alter von über 50 Jahren mit einem Anteil von 15, 5 Prozent bezogen auf das Jahr 1994 nur unterdurchschnittlich vertreten sind 27, als etwa auch für die nach den Regelungen des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) durchgeführten Maßnahmen zur Fortbildung und Umschulung. Hier gilt bereits das 45. Lebensjahr als kritische Schwelle 28. 29Zwar existieren spezifisch auf ältere Langzeitarbeitslose zugeschnittene Programme, die quantitative Bedeutung ist allerdings eher gering einzuschätzen. So wurden im Jahr 1994 im gesamten Bundesgebiet nur für ca. 30 000 50jährige und ältere ehemalige Langzeit 000 50jährige und ältere ehemalige Langzeitarbeitslose Lohnkostenzuschüsse nach dem Arbeitsförderungsgesetz gewährt, der Bestand an älteren Langzeitarbeitslosen betrug dagegen zum selben Zeitpunkt rund 550 000 29.

IV. Frühverrentung und der Trend zur „Entberuflichung des Alters“

Bis vor kurzem gab es für Frühverrentungen einen fast zwei Jahrzehnte dauernden gesellschaftlichen Konsens, in den neben den meisten Betroffenen fast alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppen inclusive der Gewerkschaften aus ganz unterschiedlichen Gründen eingebunden waren: Frühverrentungen wurden nicht nur „stillschweigend“ akzeptiert, sondern vielfach sogar aktiv gefördert und finanziell „versüßt“ 30. Ein wesentlicher Grund für diese über zwei Jahrzehnte währende „große Koalitition für die Frührente“ war dabei die Lage auf dem Arbeitsmarkt („Generationensolidarität“). Die nähere Betrachtung der im Frühausgliederungsgeschehen wirkenden Mechanismen und Motive macht deutlich, daß es sich dabei um ein aus unterschiedlichen Gründen konsenshaft von Staat, Unternehmen und Beschäftigten getragenes gesellschaftliches Regulationsprinzip zu handeln scheint In diesem Zusammenhang stehen die staatlicherseits zur Verfügung gestellten Transfer-leistungen in Form von (Früh-) Renten zur Kompensation der mit einer Externalisierung verbundenen Lohnverluste besonders im Vordergrund, da sie den Betrieben die Nutzbarmachung dieses Instrumentariums zur konfliktarmen personalwirtschaftlichen Anpassung an unterschiedlichste, durchaus „altersunabhängige“ Problemlagen und Herausforderungen (z. B. branchenspezifische Strukturkrisen, Rationalisierungsanforderungen, Umschichtung der Qualifikationen etc.) ermöglichen Älteren Arbeitnehmern wird auf diese Weise aber auch der Rückzug aus belastenden Arbeitsbedingungen erlaubt, die nicht zuletzt von ihrer Stigmatisierung als betriebliche und arbeitsmarktpolitische Problemgruppe sowie einem damit verbundenen Verdrängungsdruck herrühren

ren

Im Zuge dieser Entwicklung sind die altersspezifischen Erwerbsquoten stetig zurückgegangen, und ein Verbleib in der Erwerbstätigkeit bis zur Regelaltersgrenze von 65 Jahren kann gegenwärtig nur noch von einer Minderheit der Beschäftigten realisiert werden. So hat sich die Erwerbsquote der 60-bis 64jährigen Männer in den alten Bundesländern in den letzten 10 Jahren um ca. 6 Prozentpunkte verringert und betrug 1994 nur noch 33, 4 Prozent Diese Entwicklung zeigt sich in dieser Altersgruppe in abgeschwächter Form auch bei den Frauen. Dort beträgt die Erwerbsquote nur noch 12, 0 Prozent. Die Erwerbsquote der Männer in der Altersklasse von 55 bis unter 60 Jahren lag mit 79, 9 Prozent um mehr als 15 Prozentpunkte unter der Erwerbsquote der 30-bis 34jährigen Männer Lediglich bei den älteren Arbeitnehmerinnen in dieser Altersgruppe und auch nur in Westdeutschland ist die Erwerbsquote kontinuierlich gestiegen.

Die Situation in den neuen Bundesländern ist dadurch gekennzeichnet, daß die westdeutsche Entwicklung bezüglich der Absenkung des Berufsaustrittsalters in rasantem Tempo nachgeholt wurde. Im Jahr 1994 waren von den 60-bis 64jährigen Männern nur noch 14, 7 Prozent erwerbstätig, bei den Frauen in derselben Altersklasse betrug die Erwerbsquote nur noch 3, 2 Prozent Als ursächlich dafür müssen die massiven Frühverrentungswellen in Ostdeutschland aufgrund der dortigen tiefgreifenden Struktur-und Anpassungskrise des Arbeitsmarkt-und Beschäftigungssystems angesehen werden.

V. Die , neue‘ Alternative: Altersteilzeit statt Frühverrentung

Mittlerweile führt die fortgesetzte Ausgliederung älterer Arbeitnehmer zur Aushöhlung der sie tragenden Übereinkunft: die Instrumentalisierung sozialversicherungsrechtlicher Leistungen für arbeitsmarktpolitische und betriebswirtschaftliche Zwecke erreicht ihre finanziellen Grenzen. Mit der wieder eingeführten Erstattungspflicht im Rahmen des § 128 AFG zum 1. Januar 1993 und der Anhebung der Altersgrenzen im Rahmen der jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung wurde staatlicherseits ein Signal in Richtung uf Auflösung der „stillschweigenden Übereinkunft“ gegeben. Im März dieses Jahres wurde von der Bundesregierung des weiteren der „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Über-gangs in den Ruhestand“ beschlossen das mittlerweile auch vom Bundestag verabschiedet wurde. Mit diesem Gesetz werden die im Februar im Rahmen der Gespräche zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland und für mehr Beschäftigung beim Bundeskanzler gebilligten Eckpunkte zur Förderung der Teilzeitarbeit älterer Arbeitnehmer und zur Korrektur der Frühverrentungspraxis umgesetzt. Im Detail sind folgende Regelungen festgeschrieben worden:

Es tritt eine unbefristete Regelung für Altersteilzeit für Arbeitnehmer ab 55 in Kraft. Zur Unterstützung ist eine auf fünf Jahre (von 1996 bis 2001) befristete „Anschubfinanzierung“ aus Mitteln der Bundesanstalt vorgesehen. Voraussetzung für diese Förderung ist, daß die freiwerdenden halben Stellen mit einem Arbeitslosen oder einem übernommenen „Azubi“ wiederbesetzt werden.

Die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit wird in eine „Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und nach Altersteilzeit“ umgewandelt. Ab 1997 soll die Altersgrenze für diese Altersrente in drei Jahres-schritten auf 63 Jahre angehoben werden. Für jedes vorgezogene Jahr der Inanspruchnahme wird diese Altersrente um einen versicherungsmathematischen Abschlag von maximal 10, 8 Prozent gemindert. Durch Zuzahlung in die Rentenversicherung bis zum 65. Lebensjahr, u. a. auch aus Sozialplanmitteln „neuen Rechts“, können diese Abschläge ausgeglichen werden.

Als zentraler Grund dafür, die Frühverrentung einzudämmen, gelten die entsprechenden Belastungen der Sozialversicherungsträger. Betroffen sind auf der Ausgabenseite sowohl die Arbeitslosen-wie die Rentenversicherung und aufgrund der Beitragsausfälle in der Frührentenzeit auf der Einnahmenseite noch einmal alle Sozialversicherungsträger.

Die mittel-und langfristige Entlastung der Rentenkassen dürfte der einzige gesicherte Effekt der neuen Frührentenregelung sein. Denn gleichgültig, ob Altersteilzeit-Arbeitsplätze geschaffen werden oder die Betriebe weiterhin auf die vorgezogene Inanspruchnahme einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit drängen: In jedem Fall sind die Kosten durch die Anhebung der Altersgrenze bzw. durch die versicherungsmathematischen Abschläge reduziert bzw. auf die Arbeitgeber oder die Arbeitnehmer verlagert worden.

Ob dagegen die anderen intendierten Effekte der Neuregelung -Förderung eines gleitenden Über-gangs in den Ruhestand und Schaffung von Arbeitsplätzen für jüngere Arbeitnehmer -erreicht werden können, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zumindest zweifelhaft. Die innerbetrieblichen Umsetzungsschwierigkeiten, die bereits die Inanspruchnahme der zwischen 1989 und 1992 gültigen Altersteilzeitregelung stark eingeschränkt haben sind nicht geringer geworden. Ganz entscheidend für den Erfolg des neuen Altersteilzeitmodells wird es sein, wie die Bereitstellung entsprechender Teilzeitarbeitsplätze künftig geregelt wird. In der bisherigen Teilrentenregelung oblag dies ausschließlich der freien Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, war also allein der Bereitschaft der Unternehmen überantwortet. Fachleuten galt diese „rentenrechtsinterne“ Regelung, da völlig vom Arbeitsmarkt abgekoppelt, stets als der entscheidende Grund für den Mißerfolg der Teil-rente Da bislang nichts über entsprechende neue Anreize -sieht man einmal von den allerdings wenig überzeugenden Zuschüssen der Bundesanstalt für Arbeit bei Wiedereinstellung/Neubesetzung ab (hier muß man aufgrund von entsprechenden Vorgängererfahrungen skeptisch sein) -bekannt ist, bleibt zunächst ganz große Skepsis, ob hier künftig Verbesserungen erzielt werden können. Ein grundsätzlicher Mangel jeglicher Altersteilzeitregelung ist auch durch die Neuregelung nicht überwunden: nämlich das Problem der innerbetrieblichen Identifizierbarkeit und Zuordnung als „Sonderfall", das stets durch gruppentypische Sonderregelungen begünstigt, ja geradezu gefördert wird. Gerade die Furcht vor Stigmatisierungen hält erfahrungsgemäß viele Betroffene von einer breiten Nutzung ab. Bei vielen potentiellen Interessenten an einer Altersteilzeit bestehen Ängste, bei Inanspruchnahme den Arbeitsplatz wechseln und/oder betriebliche Dequalifizierungen hinnehmen zu müssen. Ob sich dies künftig ändern wird, kann derzeit nicht beurteilt werden, da (noch) nichts über Bestands-oder Wiederrückkehrgarantien vereinbart ist. Diese wären aber zentrale Voraussetzungen zur Überwindung von Arbeitnehmerwiderständen. Mittel-bis längerfristig hilft hier nur das Vorhalten von den Vollzeitarbeitsplätzen qualitativ vergleichbaren Teilzeitarbeitsplätzen in ausreichender Zahl weiter. Hierzu aber bedarf es deutlicherer und über die Altersteilzeit hinausreichender Anreize, die (derzeit) nicht erkennbar sind.

Im Grundsatz läßt sich die stets mit ziel-oder altersgruppenbezogenen Arbeitszeitsonderregelungen jedweder Art verbundene Auffälligkeit nur über den Weg einer den gesamten Lebensarbeitszeitverlauf einschließenden Möglichkeit zur Arbeitszeitflexibilisierung verhindern. Dies verweist auf die Notwendigkeit einer Neuorganisation der Lebensarbeitszeit Die klassischen Modelle des gleitenden Ruhestandes oder der Altersteilzeit erweisen sich ja gerade deshalb als unbefriedigend, wie dies auch die geringen Inanspruchnahmequoten belegen, weil sie isoliert auf eine spezifische Lebensphase bezogen und gerade nicht in ein lebensphasenübergreifendes Gesamtkonzept der Arbeitszeitgestaltung eingebunden sind. Dies gilt im Grundsatz auch für die neue Altersteilzeitregelung, selbst wenn das 55. Lebensjahr als Einstiegsalter vereinbart wurde, was gegenüber den vorherigen Überlegungen zweifellos ein Fortschritt ist.

VI. Sozial-und arbeitsmarktpolitische Konsequenzen und Alternativen

1. Argumente für eine Integration älterer Arbeitnehmer in das Erwerbsleben Alle Bemühungen, eine angemessene sozialpolitische Lösung der Problematik älterer Arbeitnehmer zu finden, stehen vor einem nahezu unauflösbaren Dilemma. Zum einen gilt es, in kurz-bis mittelfristiger Perspektive weiterhin Frühverrentungen zu ermöglichen. Darauf zu verzichten, wäre nicht nur arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiv. Ein administrativ verordneter Stop würde zudem für viele ältere Arbeitnehmer zusätzliche Risiken generieren, da entweder eine sozialverträgliche Ausweichalternative ersatzlos entfiele oder aber die versicherungstechnischen Abschläge für viele so teuer wären, daß erhebliche Einschnitte im Lebensstandard zu verkraften wären.

Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Gründen sowohl aus Sicht der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften als auch aus Sicht der Arbeitgeber, die dafür sprechen, eine weitestgehende Integration älterer Arbeitnehmer in das Beschäftigungssystem anzustreben. Aus Sicht der Arbeitnehmer selbst und der Gewerkschaften sind insbesondere folgende Argumente anzuführen -Die immer frühere „Entberuflichung des Alters“ bringt die Gefahr des Abbaus längerfristig angelegter betriebspolitischer Strategien zur Humankapitalerhaltung mit sich. Die Frühverrentungspraxis fördert die Herausbildung „olympiareifer Belegschaften“, und deren Gesamtbelastung wird folglich über den Weg einer immer weiter voranschreitenden Arbeitsintensivierung permanent nach oben geschraubt.

-Diskriminierung aus Altersgründen bei Einstellung und betrieblicher Weiterbildung verletzt das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit. Im Idealfall sollten ältere Arbeitnehmer ebenso wie alle anderen Beschäftigtengruppen das Recht auf einen leistungsadäquaten Arbeitsplatz erhalten und müssen auch objektiv die Möglichkeit bekommen, sich für oder gegen ein vorzeitiges Ausscheiden zu entscheiden. -Die unterschiedlichen Frühverrentungspfade und die damit zusammenhängenden Unterschiede in der materiellen Absicherung vertiefen soziale Disparitäten in den Lebenslagen der Betroffenen und damit soziale Ungleichheiten im Alter. Ältere Arbeitnehmer, die wegen drohender Entlassung, Krankheit oder wegen des Drucks von Kollegen faktisch gezwungen sind, eine Stelle aufzugeben, sind davon besonders betroffen.

-Durch den Frühverrentungstrend drängt sich die Erwerbsphase auf eine immer kürzer werdende Zeitspanne, während auf der anderen Seite die Altersphase stetig an Gewicht gewinnt. Aus der Perspektive der Beschäftigten selbst kann die immer frühere „Entberuflichung des Alters“ aber kein genuines Ziel an sich sein. Erwerbsarbeit bedeutet ja nicht nur Gefährdungen und Belastungen, sondern unter adäquaten Bedingungen auch Befriedigung und Persönlichkeitsentwicklung.

Aus Sicht der Arbeitgeber können folgende Argumente angeführt werden, die für eine verstärkte Integration älterer Arbeitnehmer in das Erwerbsleben und für den Abbau diskriminierender Elemente im Beschäftigungssystem sprechen -Vor dem Hintergrund der Alterung des Erwerbspersonenpotentials müssen die Arbeitgeber ihre Personalpolitik umstellen, um den neuen Gegebenheiten Rechnung zu tragen.

Mittel-bis längerfristig gibt es einen in Richtung auf Lebensarbeitszeitverlängerung weisenden demographisch bedingten Handlungsbedarf. Wenn die Arbeitsbedingungen weiterhin ungünstig und unbefriedigend bleiben, kann eine produktive Integration älterer Arbeitnehmer in das Erwerbsleben aber nicht erreicht werden.

-Humankapital stellt für jeden Arbeitgeber eine beträchtliche und in Zukunft weiter an Bedeutung zunehmende Investition dar. Um rentabel zu arbeiten, müssen Arbeitgeber langfristig ein hohes Leistungsniveau ihrer Arbeitnehmer aufrechterhalten. Die Investitionen für die Fort-entwicklung der beruflichen Fähigkeiten und Fachkenntnisse von Beschäftigten werden sich aber nur bezahlt machen, wenn die Arbeitnehmer möglichst lange in der Organisation verbleiben. -Mit dem vorzeitigen Ausscheiden älterer Beschäftigter kommt es in zahlreichen Fällen zu einem Verlust wertvoller betrieblicher Erfahrungen und sozialer Handlungskompetenzen. Dies kann zu Friktionen im Arbeitsablauf und im Extremfall zu Produktivitätseinbußen führen. -Das kalendarische Alter allein ist ein sehr schlechtes Kriterium für Leistungsfähigkeit im Beruf. Unternehmen, die Entscheidungen über Einstellungen und Entlassungen allein am Alter festmachen, versperren sich selbst den Zugang zum größtmöglichen, fachlich geeigneten Angebot an Arbeitskräften.

Die Gesamtheit der Gründe für und gegen ein vorgezogenes Ausscheiden älterer Arbeitnehmer aus dem Betrieb zeigt, daß es insgesamt darum gehen muß, das Postulat des Rechts auf Arbeit, das prinzipiell für alle Altersgruppen gilt, mit dem Prinzip von Wahlfreiheit so miteinander zu verknüpfen, daß sozial akzeptable wie gleichermaßen sozialpolitisch abgesicherte Optionen für unterschiedliche Bedarfs-und Lebenslagen älterer Arbeitnehmer möglich werden. Diese müssen eine frühe Berufs-aufgabe (z. B. wegen zu hoher Arbeitsanforderungen, aus Krankheitsgründen oder wegen Arbeitslosigkeit) ebenso zulassen wie die Weiterarbeit, aus welchen Gründen auch immer. Dies setzt jedoch voraus, daß überhaupt erst einmal die Rahmenbedingungen im Sinne von objektiven Möglichkeiten zur Beschäftigung auch im fortgeschrittenen Lebensalter geschaffen werden. 2. Konzeptionelle Ansätze zur betrieblichen Integration älterer Arbeitnehmer Insgesamt ergibt sich ein vielfältiger beschäftigungs-und sozialpolitischer Handlungsbedarf auf unterschiedlichen Ebenen. Angesprochen ist dabei ein Maßnahmenmix von Renten-, Altersgrenzen-, aktiver Arbeitsmarkt-, betrieblicher Beschäftigungs-, Qualifizierungs-, Personalentwicklungs-, Arbeitszeit-und Humanisierungspolitik. Dies alles erfordert zugleich ein abgestimmtes Handeln der jeweiligen Akteure.

Der Staat ist bezüglich einer vorausschauenden, den demographischen Wandel und die sich daraus ergebenen Handlungsoptionen explizit aufgreifenden Arbeitsmarktpolitik gefordert, die ihren Ausfluß u. a. in einer grundlegenden Reform des Arbeitsförderungsgesetzes finden müßte Zur staatlichen Ebene weiterhin zu zählen ist die Förderung einer auf alternde Belegschaften bezogenen Arbeitsschutz-und Humanisierungsforschungspolitik. Darüber hinaus bedarf es eines wirklich flexiblen Systems von Altersgrenzen sowie zusätzlich entsprechender Unterstützung durch Tarifpolitik. Dabei muß es um eine Umorientierung weg von der jugendzentrierten und hin zu einer altersneutralen Tarifpolitik gehen. Exemplarisch kann auf die Vorstellungen der IG-Metall zur Tarifreform 2000 hingewiesen werden, von denen unter der Perspektive des demographischen Wandels in den Betrieben vor allem zwei Ideen herausragen: die Betonung der Weiterbildung als verbrieftes Recht sowie die Einführung neuer Entgeltgrundsätze

Letztendlich sind aber die Betriebe selbst hierbei als die wichtigsten Adressaten anzusehen, und betriebszentrierte Strategien müssen folglich den Schwerpunkt notwendiger Innovationen bilden Mit Blick auf die konkrete Arbeits-und Beschäftigungssituation sind vorrangig die folgenden drei Bereiche angesprochen:

Erstens: Die Ebene des präventiven Arbeits-und Gesundheitsschutzes. Hier muß es um die Orientierung an den Erfordernissen einer zeitlich verlängerten Beschäftigungsperspektive gehen. Darunter fallen u. a. Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeitsbedingungen, die Veränderung der Lohn-und Leistungspolitik, die besonders belastende Arbeitsbedingungen materiell „versüßen“, dabei aber gleichzeitig neue Gesundheitsrisiken generieren, sowie der präventive Abbau gesundheitlicher und körperlicher Belastungen für alle Beschäftigtengruppen. Des weiteren müssen Maß-nahmen zur Anpassung der Arbeitsanforderungen, -Belastungen und -Organisation an das veränderte Leistungsvermögen einerseits und zur Reduzierung der alterstypischen betrieblichen Risikofaktoren andererseits getroffen werden. Angesprochen sind die Bereiche Ergonomie, Arbeitsumfeldgestaltung, Arbeitsräume, Umstrukturierung von Arbeitsaufgaben, Arbeitszeit und Arbeitsorganisation sowie darauf bezogene Personalplanung und Mitarbeiterführung. Im Detail bieten sowohl die Befunde der gerontologischen Forschung zum altersspezifischen Leistungswandel als auch sozialpolitikwissenschaftliche Untersuchungsergebnisse zu besonders gefährdenden Arbeitsbedingungen und -Strukturen hinreichende Anknüpfungspunkte. Dabei darf es nicht allein um altersgerechte Arbeitsplätze gehen, die es auch künftig für leistungsgewandelte Beschäftigte geben muß, als vielmehr um solche Arbeitsplätze, auf denen man alt werden kann.

Zweitens: Verstärkung aller Bemühungen zur betrieblichen Qualifikationsanpassung und -erhaltung, und zwar über alle Altersgruppen hinweg, um die bislang selektive Qualifizierungspraxis zum Nachteil für älter werdende und ältere Beschäftigte zu überwinden. Unter gerontopsychologischen Gesichtspunkten muß die veränderte Leistungsfähigkeit zum Ausgangspunkt für die Ausgestaltung von Qualifizierungsmaßnahmen genommen und dabei versucht werden, durch gezielte Förderung speziell der gefährdeten Leistungskomponenten tendenziell einen Verlangsamungsprozeß des Leistungsabbaus zu bewirken Unter sozialpolitischen Gesichtspunkten muß es schließlich um die frühzeitige Vermeidung von Dequalifizierung gehen Zu plädieren ist für eine altersgruppenübergreifende, lebenslange berufliche Qualifizierung, deren Ziel sein müßte, über die Organisation von permanenten Qualifizierungsprozessen alterstypischen Qualifizierungsrisiken präventiv zu begegnen. Dazu sind neben den originären Qualifizierungsfeldern der Qualifizierung am Arbeitsplatz und der beruflichen Weiterbildung insbesondere zwei betriebliche Handlungsebenen in den Dienst von Qualifizierungsaufgaben zu nehmen: die Gestaltung der Arbeitsorganisation und die Arbeitszeitgestaltung

Drittens: In besonderer Weise ist die Arbeitszeitpolitik einer grundlegenden Neuorientierungsdebatte zu unterziehen. Betriebliche Arbeitszeiten können künftig nicht mehr allein unter den Aspekten von Arbeitsmarkt-und Humanisierungswirkungen betrachtet und entsprechend gestaltet werden. Vielmehr muß es gerade auch unter demographischen Gesichtspunkten um ein Gesamtkonzept der Neuorganisation von Lebensarbeitszeit gehen. Ein Ausgangspunkt der hier vorgetragenen Überlegungen ist, daß sich der Bedarf an flexiblen und verkürzten Arbeitszeiten nicht nur auf älter werdende Beschäftigte beschränkt. Zunehmend gerät auch die starre Vorzeichnung des Lebenslaufs durch die Normal-biographie in die Kritik der Betroffenen, weil sie die von immer mehr Arbeitnehmern angestrebte bessere Synchronisierbarkeit von beruflichen und privaten Lebensbereichen erschwert. Zentrale Lebensbedürfnisse und -erwartungen wie das Zusammenleben mit Kindern und Partner, kulturelle, soziale und politische Interessen lassen sich schließlich nicht einfach auf die nachberufliche Lebensphase „vertagen“. Dieses allgemeine Unbehagen gegenüber den derzeitigen Arbeitszeitstrukturen ist mittlerweile durch empirische Untersuchungen belegt

Auch deshalb sollte es künftig um die Suche nach einem über alle Altersphasen reichendes Gesamtkonzept zur Gestaltung von Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit gehen. Dieses müßte sich an lebenszyklisch unterschiedlichen Zeitbedürfnissen und -Präferenzen in lebensbiographischer Dimension orientieren. Entsprechende Maßnahmen sollten gerade nicht -wie der gleitende Ruhestand -allein und erstmalig am Ende der Erwerbs-phase ansetzen und auch nicht nur mit Blick auf die tägliche, wöchentliche oder jährliche Arbeitszeit getroffen werden. Erforderlich sind vielmehr eine partielle Destandardisierung des Lebenslaufs und der Lebensarbeitszeit sowie flexible Über-gänge und Gestaltungsräume innerhalb und zwischen den Phasen. In einem solchen Konzept käme auch dem „gleitenden Ruhestand“ ein angemessener Stellenwert zu. Ergänzende Aufgabe von Sozial-und Tarifpolitik müßte es dann sein, die einem solchen Konzept wie allen Formen der Arbeitszeitflexibilisierung inhärenten Risiken für die soziale Sicherung angemessen zu reduzieren.Auch aus gerontologischer Sicht ist eine Arbeitszeitflexibilisierung bereits in früheren Lebensphasen sinnvoll. So wird erst durch eine frühe Arbeitszeitverkürzung das Einüben und Praktizieren von solchen Interessen und Aktivitäten ermöglicht, auf die dann später -nach Beendigung des Arbeitslebens -zurückgegriffen werden kann. Eine lebens-zeitliche Arbeitszeitflexibilisierung und -Verkürzung wäre somit auch eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg des gleitenden Ruhestands selbst. Denn es ist kaum zu erwarten, daß die plötzliche und erstmalige Flexibilisierung der Arbeitszeit am Ende der Erwerbsbiographie auf Akzeptanz stößt und Nutzung findet, wenn dazu vorher während des gesamten früheren Berufslebens keine Gelegenheit bestand. 3. Modellhafte betriebliche Ansätze Beispielhaften Verfahren zur Integration älterer Arbeitnehmer in den Betrieb kommt im Rahmen einer umfassenden Reform staatlicher und betrieblicher Ausgliederungspolitiken eine hohe Bedeutung zu. Erfolgreiche Modelle können als Leitbilder fungieren und einen Erfahrungskorridor für Problemlösungen bieten und es können notwendige Unterstützungsmaßnahmen für andere Betriebe oder Organisationen daraus abgeleitet werden. Im Rahmen einer europäischen Vergleichsstudie im Auftrag der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens-und Arbeitsbedingungen ist vom Institut für Gerontologie an der Universität Dortmund für die Bundesrepublik eine Bestandsaufnahme von solch modellhaften Ansätzen vorgenommen worden Zum einen wurden dabei Betriebe ermittelt, die für ihre eigenen Beschäftigten und/oder die Beschäftigten anderer Unternehmen Maßnahmen zur Qualifizierung älterer Arbeitnehmer durchführen oder diese bei Qualifizierungsprozessen in besonderer Form berücksichtigen. In der Mehrzahl handelt es sich hierbei um privat-gewerbliche Betriebe. Zum anderen wurden Initiativen identifiziert, die sich um eine Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt bemühen. Hier sind hauptsächlich öffentlich geförderte Träger von Beschäftigungsinitiativen vertreten. Im folgenden werden die Untersuchungsergebnisse in diesen beiden Bereichen kurz umrissen.

In Zusammenhang mit betriebsspezifischen Problemen der Organisationsentwicklung und einem Altersstrukturwandel der Belegschaften führen einzelne Betriebe Qualifizierungs-und Personalentwicklungsmaßnahmen speziell für ältere Arbeitnehmer durch oder legen diese altersintegrativ an. Sie stützen sich dabei auf praxisnahe und erfahrungsbezogene Lernkonzepte, die den besonderen Lernbedürfnissen älterer Arbeitnehmer entgegenkommen Darüber hinaus wird versucht, über eine geeignete Technik-und Arbeitsplatzgestaltung Lernmöglichkeiten zu schaffen oder zu erhöhen. In einigen Betrieben werden z. T. spezielle Multiplikatoren für die Qualifizierung älterer Mitarbeiter eingesetzt. Ein eindeutiger Trend, bezogen auf die Durchführung von Qualifizierungsmaßmahmen in altersheterogenen oder altershomogenen Lerngruppen, läßt sich nicht erkennen. Es spricht aber vieles dafür, daß bei arbeitsplatznahen Qualifizierungen und bei sonst intakten Arbeitsgruppen eine altersheterogene Zusammensetzung von Vorteil ist. Insbesondere wird so eine Stigmatisierung älterer Mitarbeiter verhindert und gleichzeitig ein Erfahrungs-und Wissensaustausch zwischen den verschiedenen Altersgruppen ermöglicht. Voraussetzung hierfür ist allerdings auch, daß die Lernvoraussetzungen nicht extrem voneinander abweichen.

Kritisch zu bewerten ist bei vielen Maßnahmen, daß sie meist nicht in eine langfristige Personalentwicklungsstrategie eingebunden sind, sondern vorwiegend ad hoc aufgrund plötzlicher Produktionsumstellungen oder Einführung neuer Techniken erfolgen und damit eher defizitorientiert sind. Die Tragweite der betreffenden Qualifizierungs-und Personalentwicklungsmaßnahmen und die Ansätze zu einer Systematisierung und Verstetigung scheinen daher eher begrenzt. In vielen Fällen ist über die einmalige Durchführung der Maßnahme hinaus keine Fortsetzung erfolgt.

Betriebe, die im Rahmen einer vorausschauenden Personalentwicklung ältere Arbeitnehmer zu integrieren versuchen, sind sehr viel seltener. In der Regel handelt es sich dabei um Großbetriebe, in denen Qualifizierung per se einen hohen Stellenwert einnimmt und in denen kontinuierlich Weiterbildungsmaßnahmen durchgeführt werden. Allerdings sind auch zunehmend Klein-und Mittelbetriebe gezwungen, aufgrund der steigenden Produktivitätsanforderungen eine sehr viel stärker vorausschauende und systematischere Personal-entwicklung zu betreiben und beziehen hierbei ältere Mitarbeiter verstärkt mit ein. Insbesondere in Zusammenhang mit der Einführung von Gruppenarbeit werden hier Qualifizierungspotentiale erschlossen.

Organisationen, die spezielle Maßnahmen für die Wiedereingliederung von älteren Arbeitnehmern in den Betrieb anbieten oder diese zumindest als besondere Zielgruppe berücksichtigen und damit erfolgreich operieren, sind ebenfalls äußerst selten. Insgesamt konnten nur fünf solcher Initiativen ermittelt werden, darunter drei westdeutsche und zwei ostdeutsche Beispiele.

Die Beschäftigungsinitiativen für ältere Arbeitnehmer können danach unterschieden werden, welche Zielgruppe primär angesprochen wird.

Zum einen werden präventive Maßnahmen für von Arbeitslosigkeit bedrohte ältere Arbeitnehmer durchgeführt. Hier wird vorwiegend versucht, sie in andere Betriebe zu integrieren bzw. ihnen einen Wechsel von Großbetrieben in kleinere und mittlere Unternehmen zu ermöglichen. Darüber hinaus werden Initiativen gestartet, um erst vor kurzem arbeitslos gewordene ältere Arbeitnehmer wieder in Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln. In zwei anderen Projekten werden explizit ältere Langzeitarbeitslose berücksichtigt. Ihre Vermittlung gestaltet sich am schwierigsten und setzt daher z. T. unkonventionelle Ansätze voraus.

Die Wiedereingliederungsbemühungen stützen sich im wesentlichen auf zwei, zumeist miteinander kombinierte Handlungsansätze. Zum einen wird versucht, über altersgerechte und praxisnahe Qualifizierungsmaßnahmen die Vermittlungschancen der älteren Arbeitslosen zu erhöhen. Zum anderen werden aktive Vermittlungsanstrengungen unternommen, indem etwa besondere Vermittlungsagenten eingesetzt und/oder enge Kontakte zu potentiellen Einstellungsbetrieben geknüpft und unterhalten werden. Die aktive Vermittlung wird z. T. auch dadurch ersetzt, daß ältere Arbeitslose sich in auf Existenzgründung ausgerichteten „Sozialen Betrieben“ ihre Arbeitsplätze selbst schaffen.

Bei den Wiedereingliederungsbemühungen überwiegen eindeutig die durch das Arbeitsförderungsgesetz finanzierten Beschäftigungsinitiativen. Es konnte nur ein privatgewerblicher Betrieb, der in nennenswertem Umfang auch ältere Arbeitslose vermittelt, identifiziert werden. Betriebe, die von sich aus eine Einstellungsoffensive speziell für ältere Arbeitnehmer gestartet hätten oder diese wenigstens in größerem Umfang bei ihren Einstel-lungen berücksichtigen, konnten gar nicht ermittelt werden. Bei den öffentlich geförderten Beschäftigungsinitiativen ist festzuhalten, daß die durch das Arbeitsförderungsgesetz gewährten Unterstützungsleistungen für die Programmdurchführung oft nicht ausreichen, so daß ergänzende Fördermittel, Sozialplangelder bzw. Abfindungen oder selbst erwirtschaftete Mittel in Anspruch genommen werden müssen.

Die Effekte der aufgeführten Wiedereingliederungsinitiativen sind -soweit darüber Aussagen vorliegen -als ermutigend zu bewerten. Gegenüber herkömmlichen Vermittlungsansätzen konnten in größerem Umfang ältere Arbeitslose in Beschäftigungsverhältnisse vermittelt werden. Dies kann als Argument dafür gewertet werden, daß eine aktive, die Zielgruppe der älteren, vor allem auch seit längerem Arbeitslosen explizit berücksichtigende Maßnahmegestaltung notwendig ist.

Die positiven Beispiele für die Integration älterer Arbeitnehmer in den Betrieb können im Ergebnis allerdings noch keineswegs als Hinweis auf eine generelle Trendwende in der Förderung der Alterserwerbsarbeit gewertet werden, sondern stellen eher Einzelfälle dar. Auf die Masse der älteren Arbeitnehmer haben sie derzeit noch keine Auswirkungen. Die Einführung spezieller Integrationsmaßnahmen ist zumeist auf besondere betriebsinterne Beweggründe zurückzuführen oder externen Anreizen zuzuschreiben. Dennoch können diese Beispiele Anknüpfungspunkte für eine breiter angelegte Integrationsstrategie bieten, wenn deren Entwicklungspotentiale erkannt und die z. T. auftretenden negativen Begleiterscheinungen berücksichtigt werden.

VII. Ausblick

Bei all den bisherigen Vorschlägen ist zu beachten, daß isolierte betriebliche Konzepte so lange nicht greifen können, wie sie erstens auf einige wenige längerfristig vorausplanende, zumeist Großbetriebe, beschränkt bleiben; zweitens die Masse der Betriebe, in denen die älteren Arbeitnehmer von heute und morgen beschäftigt sind, keine Anreize und Unterstützung dafür erhalten und nicht zuletzt drittens die staatlichen oder betrieblichen Anreize im Bereich der vorgezogenen Rentenzugangsbedingungen fortbestehen. Allerdings scheint die bevorstehende pauschale Altersgrenzenanhebung, verbunden mit einer finanziellen„Bestrafung“, ebensowenig ein geeignetes Instrument zur Beseitigung der Frühverrentungsanreize zu sein wie die vorgesehene Verschärfung der Zugangsbedingungen zur Erwerbsunfähigkeitsverrentung. Denn diese Maßnahmen blenden nicht nur systematisch relevante Unterschiede in den Arbeits-und Beschäftigungsbedingungen und Lebenslagen älterer Arbeitnehmer aus, sie „lösen“ die Problematik überdies ausschließlich auf dem Rücken der Betroffenen. Eine freiwillige Weiterbeschäftigung dürfte damit am wenigsten gefördert werden. Vielmehr bedarf es solcher struktureller Reformen im Bereich der gesetzlichen Altersgrenzen und Berufsaustrittsbedingungen, die der Differenziertheit der Arbeits-und Beschäftigungsbedingungen älterer Arbeitnehmer wie auch dem Verursacherprinzip von vorzeitiger Einschränkung oder vorzeitigem Verlust der Arbeitskraft gerecht werden.

Eine Wende in der „Entberuflichung des Alters“ ist dabei nicht nur mittel-und langfristig geboten, wil aufgrund der demographischen Entwicklung die Arbeitskräfte und die Qualifikationen knapp werden könnten. Das Frühausgliederungsgeschehen muß zu einem Großteil auch als Ausdruck belastender und altersunangemessener Arbeitsbedingungen gewertet werden, so daß humanisierungspolitische Ansätze allein schon deshalb verfolgt werden müssen.

Die Förderung der Alterserwerbsarbeit wird zu einem Zeitpunkt gefordert, wo nach wie vor Massenarbeitslosigkeit herrscht und Ältere dabei eine relevante beschäftigungspolitische Manövriermasse bilden. Dieser Widerspruch ist zu offensichtlich, als daß man ihn übersehen könnte. Es geht also um eine Doppelstrategie: Kurz-bis mittelfristig darf die Situation der von Arbeitslosigkeit bedrohten älteren Arbeitnehmer nicht durch pauschale Altersgrenzenanhebungen weiter gefährdet werden. Mittel-bis langfristig müssen die Voraussetzungen dafür verbessert werden, daß ältere Arbeitnehmer produktiv in das Erwerbsleben eingegliedert werden können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Hans-Jörg Bullinger/Volker Volkholz/Konrad Betzl/Annegret Köchling/Wolfram Risch (Hrsg.), Alter und Erwerbsarbeit der Zukunft, Berlin 1993; Hans-Ulrich Klose (Hrsg.), Altern hat Zukunft -Bevölkerungsentwicklung und dynamische Wirtschaft, Opladen 1993; Gerhard Bäcker/Gerhard Naegele, Geht die Entberuflichung des Alters zu Ende? -Perspektiven einer Neuorganisation der Alterserwerbsarbeit, in: Gerhard Naegele/Hans-Peter Tews (Hrsg.), Lebenslagen im Strukturwandel des Alters, Opladen 1993, S. 135-157; Frerich Frerichs, Ältere Arbeitnehmer im Demographischen Wandel -Qualifizierungsmodelle und Eingliederungsstrategien, Münster 1996; Winfried Hacker, Erwerbsarbeit der Zukunft-auch für Ältere?, Zürich 1996.

  2. Vgl. Deutscher Bundestag, Zwischenbericht der Enquete-Kommission Demographischer Wandel -Herausforderung unserer älter werdenden Gesellschaft an den einzelnen und die Politik, Bonn 1995.

  3. Vgl. Wolfgang Klauder, Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung der Frauenerwerbstätigkeit heute und morgen, in: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 18 (1992) 4, S. 435-463; Bert Rürup/Werner Sesselmaier, Schrumpfende und alternde deutsche Bevölkerung. Arbeitsmarktpolitische Perspektiven und Optionen, in: Hans-Ulrich Klose (Hrsg.), Altern der Gesellschaft. Antworten auf den demographischen Wandel, Köln 1993, S. 27-50; vgl. Deutscher Bundestag (Anm. 2).

  4. Vgl. Wolfgang Klauder, Ausreichend Mitarbeiter für Tätigkeiten von morgen? Europäisches Arbeitskräftepotential und demographiebedingte Engpässe des Arbeitsmarktes, in: H. J. Bullinger u. a. (Anm. 1), S. 22-31.

  5. Vgl. Joachim Rosenow /Frieder Naschold, Die Regulierung der Altersgrenzen, Berlin 1994; B. Rürup/W. Sessel-meier (Anm. 3), S. 27-50.

  6. Vgl. Manfred Tessaring, Langfristige Tendenzen des Arbeitskräftebedarfs nach Tätigkeiten und Qualifikationen in den alten Bundesländern bis zum Jahre 2010, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, 27 (1994) 1, S. 5-19.

  7. Vgl. Edeltraud Hoffmann, Zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer in Westdeutschland -Quantitative und qualitative Aspekte, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, 26 (1993) 3, S. 313-327.

  8. Christoph Behrend (Hrsg.), Frühinvalidität -ein „Ventil“ des Arbeitsmarktes?, Berlin 1994.

  9. Vgl. G. Naegele (Anm. 8), S. 131-150.

  10. Vgl. Helmut Kuwan/Dieter Gnahs/Beate Seusing/Corinna Sühlsen, Berichtssystem Weiterbildung 1991. Integrierter Gesamtbericht zur Weiterbildungssituation in den alten und neuen Bundesländern, Bonn 1993.

  11. Vgl. ebd.

  12. Vgl. ebd.

  13. Vgl. Deutscher Bundestag (Anm. 2)

  14. Vgl. Wolfgang Voges, Mißbrauch des Rentensystems? Invalidität als Mittel der Frühverrentung, Frankfurt am Main 1994.

  15. Vgl. Ch. Behrend (Anm. 10)

  16. Vgl. Bernd Hof, Europas alternder Arbeitsmarkt, in: SPD-Bundestagsfraktion (Hrsg.), Schlagseite -Bevölkerungsentwicklung und politisches Handeln, Bonn 1994, S. 28-29.

  17. Vgl. Wolfgang Klauder, Arbeitsmarkt und Ausscheiden Älterer aus dem Erwerbsleben, in: Sozialer Fortschritt, 38 (1989) 4, S. 85-96.

  18. Vgl. Gerhard Bäcker/Gerhard Naegele, Ältere Arbeitnehmer zwischen Langzeitarbeitslosigkeit und Frühverrentung, in: WSI-Mitteilungen, 48 (1995) 12, S. 777-784.

  19. Vgl. Eckart Severing, Es fehlen Weiterbildungsangebote für ältere Arbeitnehmer aus der Industrie, in: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 22 (1993) 4, S. 18-22.

  20. Vgl. Barbara Koller, Zur Wiedereingliederung älterer Arbeitnehmer -Daten und empirische Befunde, in: F. Frerichs (Hrsg.) (Anm. 1), S. 153-160.

  21. Vgl. Friedrich Buttler, Berufliche Weiterbildung als öffentliche Aufgabe, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, 27 (1994) 1, S. 33-42.

  22. Vgl. G. Naegele (Anm. 15); Bettina Bangel, Geographie der Altersgrenzen, Berlin 1993; J. Rosenow/F. Naschold (Anm. 5); Jutta Gatter/Brigitte Hartmann, Betriebliche Verrentungspraktiken zwischen arbeitsmarkt-und renten-politischen Interessen, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, 28 (1995) 3, S. 412-424.

  23. Vgl. J. Rosenow/F. Naschold (Anm. 5)

  24. Vgl. ebd.

  25. Vgl. G. Naegele (Anm. 15).

  26. Vgl. Ergebnisse des Mikrozensus 1994, in: Wirtschaft und Statistik, (1995) 4, S. 23-31.

  27. Vgl. ebd.

  28. Vgl. ebd.

  29. Förderung eines gleitenden Übergangs in den in: Sozialpolitische Umschau, (1996) 104, S. 18-21.

  30. Vgl. Gerhard Bäcker/Gerhard Naegele, Alternde Gesellschaft und Erwerbstätigkeit. Modelle zum Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand, Köln 1993.

  31. Vgl. ebd.

  32. Vgl. ebd.

  33. Vgl. Alan Walker, In ältere Arbeitnehmer investieren -Kriterien für die Analyse von beispielhaften Verfahren in Europa. Hintergrundpapier für das Projekt der Europäischen Stiftung „Kampf gegen Altersbarrieren bei Einstellung und betrieblicher Schulung“, unv. Manuskript, o. O. 1995; G. Bäkker, G. Naegele (Anm. 38).

  34. Vgl. A. Walker (Anm. 41).

  35. Vgl. DGB-Bundesvorstand (Hrsg), Gewerkschaftliche Anforderungen an eine Reform des Arbeitsförderungsgesetzes und gewerkschaftliche Bewertung der AFG-Eckpunkte der Koalitionsarbeitsgruppe, Düsseldorf, April 1996.

  36. Vgl. IG Metall (Hrsg.), Tarifreform 2000. Ein Gestaltungsrahmen für die Industriearbeit der Zukunft, Frankfurt am Main 1993.

  37. Vgl. Gerhard Naegele, Demographische Veränderungen in der Arbeitswelt und Anforderungen an darauf bezogene Zukunftskonzepte, in: Projektverbund Gesellschaft für Arbeitsschutz und Humanisierungsforschung (GfAH), Gesellschaft zur Förderung der sozialen Forschung (GFS), Institut für Gerontologie (IFG), Soziale Forschungsstelle (sfs) Dortmund (Hrsg.), Alternde Arbeitsgesellschaft -Befunde und Gestaltungsansätze für Nordrhein-Westfalen. Beiträge aus der Forschung, Bd. 74, Dortmund 1994, S. 11-20; Joachim Rosenow/Frieder Naschold, Ältere Arbeitnehmer -Produktivitätspotential oder personalwirtschaftliche Dispositionsmasse?, in: Sozialer Fortschritt, 42 (1993) 6-7, S. 146152.

  38. Vgl. Annegret Köchling, Arbeitsplätze der Zukunft, in: forum demographie und politik, (1993) 2, S. 60-81.

  39. Vgl. G. Naegele (Anm. 8).

  40. Vgl. Corinna Barkholdt/Frerich Frerichs/Gerhard Naegele, Altersübergreifende Qualifizierung -eine Strategie zur betrieblichen Integration älterer Arbeitnehmer, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, 28 (1995) 3, S. 425-436

  41. Vgl. Frank Bauer/Hermann Groß/Gabi Schilling, Arbeitszeit ‘ 93 -Arbeitszeiten und Arbeitszeitwünsche, Schriftenreihe des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1994.

  42. Vgl. F. Frerichs (Hrsg.) (Anm. 1).

  43. Vgl. Jochen Wenke/Thomas Reglin, Grundqualifizierung im Metallbereich für ältere Arbeitnehmer bei der schwedischen Kugellagerfabrik in Schweinfurt -Ein Fallbeispiel, in: F. Frerichs (Hrsg.) (Anm. 1), S. 81-98; Wolfram Risch, Erfahrungen mit der Fortbildung im technisch-gewerblichen Bereich in der Region Chemnitz unter Berücksichtigung älterer Arbeitnehmer, in: E Frerichs (Hrsg.) (Anm. 1), S. 99-110.

Weitere Inhalte

Gerhard Naegele, Dr. rer. pol., geb. 1948; Industriekaufmann; Studium der Wirtschafts-und Sozialwissenschaften in Köln; seit 1992 Professor für „Soziale Gerontologie“ an der Universität Dortmund; Direktor des Instituts für Gerontologie an der Universität Dortmund. Arbeitsschwerpunkte: Gerontologie, Armutsforschung und Sozialpolitik. Veröffentlichungen u. a.: Zwischen Arbeit und Rente, Augsburg 1992; (zus. mit Gerhard Bäcker) Alternde Gesellschaft und Erwerbstätigkeit. Modelle zum Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand. Köln 1993; (zus. mit Hans-Peter Tews) Lebenslagen im Strukturwandel des Alters, Opladen 1993. Frerich Frerichs, Dipl. -Psych., Dipl. -Soz., geb. 1959; Studium der Psychologie und Soziologie mit Schwerpunkt Sozialgerontologie in Berlin; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gerontologie in Dortmund und seit 1994 Leiter des Forschungsschwerpunktes „Demographischer Wandel und Arbeitswelt“; Arbeitsschwerpunkte: Alterserwerbstätigkeit im demographischen Wandel, Qualifizierung älterer Arbeitnehmer. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Ältere Arbeitnehmer im Demographischen Wandel -Qualifizierungsmodelle und Eingliederungsstrategien. Münster 1996; (zus. mit Corinna Barkholdt und Gerhard Naegele) Altersübergreifende Qualifizierung -eine Strategie zur betrieblichen Integration älterer Arbeitnehmer, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (MittAB), 28 (1995) 3, S. 425-436.