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Alle Politik ist medienvermittelt. Über das prekäre Verhältnis von Politik und Fernsehen | APuZ 32/1996 | bpb.de

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APuZ 32/1996 Multimedia Strukturwandel durch neue Kommunikationstechnologien Politische (Irr-) Wege in die globale Informationsgesellschaft Alle Politik ist medienvermittelt. Über das prekäre Verhältnis von Politik und Fernsehen

Alle Politik ist medienvermittelt. Über das prekäre Verhältnis von Politik und Fernsehen

Fritz Wolf

/ 17 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Bedeutung des Fernsehens für die politische Meinungsbildung liegt nicht darin, daß es selbst Themen auf die Tagesordnung setzt, sondern daß es die politische Kultur grundlegend verändert. Als erstes Medium der Kulturgeschichte ist das Fernsehen nicht bloß Beobachter und Berichterstatter, sondern selbst ein Teil der Ereignisse. Fernsehen ist „live“ und „direkt“, aber die immer enger geknüpfte Aktualität macht es als Erkenntnismedium problematisch und verwandelt tendenziell Information in Unterhaltung („Infotainment“). Die Kommerzialisierung der elektronischen Medien gibt diesen strukturellen Veränderungen Schub und Richtung und sorgt zusätzlich dafür, daß Politik und politischer Journalismus in der Unterhaltung verschwinden. Fernsehwahlkämpfe sind ein anschaulicher Beweis dafür. Soll die klassische politische Öffentlichkeit auch unter den Bedingungen elektronischer Medien Bedeutung behalten, muß das Medium Fernsehen den Weg einer nachhaltigen Entwicklung einschlagen, das heißt, den Weg zur Selbstentwertung und Selbsterschöpfung stoppen. Die Medien-Macher können ihren Teil dazu beitragen, indem sie dem Publikum ihr Handwerkszeug offenlegen, sich von Klischees und Stereotypen verabschieden und die Nachrichten. nach denen man sich ja bekanntlich richten soll, (wieder) beurteilbar machen.

Zur Symbiose von Medien und Politik

Medien und Politik sind ein merkwürdiges Paar -sie sind aufeinander angewiesen, aber offenbar können sie sich nicht ausstehen, denn jeder gibt dem anderen die Schuld daran, daß der Partner unzuverlässig und das Verhältnis gestört sei. „Wir brauchen eine bessere Politikvermittlung“ -so der eine; „was wir brauchen, das ist eine bessere Politik“ -kontert der andere. Wen wundert’s, daß der Ruf beider Partner schlecht ist. Journalisten stehen im öffentlichen Ansehen recht tief; Politiker nicht viel höher, mit fallender Tendenz.

Das war einmal anders gedacht: Politik und Medien sollten sein wie zwei ehrliche Brüder -dem einen die Macht, dem anderen die Kontrolle. Beide agieren im öffentlichen Raum, ja sie konstituieren Öffentlichkeit. Öffentlichkeit sollte überdies die Funktion haben, das Ganze der gesellschaftlichen Zusammenhänge zu repräsentieren. Journalisten vermitteln, organisieren wahrheitssuchend das gesellschaftliche Gespräch, betreiben das Geschäft der Selbstverständigung der Gesellschaft, machen Interessenkonflikte öffentlich und regulierbar und dienen so dem Gemeinwohl. Öffentlichkeit, das hieß nach Kant: Aufklärung. Öffentlichkeit war das Medium, in dem das aufstrebende Bürgertum sich informieren, politisch artikulieren und entfalten konnte. Nur informierte Menschen können Demokratie leben, können sich in einer pluralistischen Gesellschaft orientieren.

Diese Grundtatsache stimmt immer noch, aber das Idealbild ist beiderseits nur unter Vernachlässigung einiger Tatsachen aufrechtzuerhalten. Diese nähren den Verdacht, daß sich die res publica bereits weitgehend in public relations verwandelt hat. Einer Studie der Universität Dortmund zufolge sind 70 Prozent der Informationen in Zeitungen, Radio-und Fernsehsendern „gezielte Informationen“. Die Medienwissenschaftlerin Barbara Baerns fand, daß zwei Drittel aller Medienbeiträge auf PR-Informationen zurückgehen. Nur acht Prozent der Meldungen von Nachrichtenagenturen beruhen auf eigener Recherche, bei anderen Medien sind es mit elf Prozent kaum mehr

Herbert Riehl-Heyse hat in seinem erfahrungsgesättigten Buch „Bestellte Wahrheiten“ die vielfältigen Formen der gewollten und gesuchten Abhängigkeit von Politik und Medien beschrieben. Das geht von der plumpen Korruption über einen gewissen indirekten politischen Druck bis hin zur eleganteren Bindung durch vertrauliche Offenheit. Die Kumpanei verschafft dem Politiker die gewünschte öffentliche Beachtung und dem Journalisten Bedeutsamkeit -ist er doch zum „Nahe-steher“, zum politischen „Insider“ promoviert. Die Wahrheit sei, schlußfolgert der Autor, „daß wir -und das gilt ganz unabhängig von parteipolitischen Präferenzen -in einer Symbiose miteinander leben“ Was nicht heißt, daß es keinen unabhängigen politischen Journalismus mehr gäbe. Wer sonst hätte die zahlreichen Affären der Republik -von Strauß bis Barschei und Engholm, von Neuer Heimat bis Parteispenden -öffentlich gemacht?

Das Fernsehen hat dabei nur eine Nebenrolle besetzt, denn Fernsehen „setzt“ kaum Themen. Es vergrößert, vergröbert und verstärkt Effekte. Von Politikern wird es in dieser Fähigkeit überschätzt, und erst diese Überschätzung macht es politisch wichtig. Der Zugriff der Parteien auf die öffentlich-rechtlichen Sender beweist das hinlänglich. Die Bedeutung der großen Bildmaschine liegt woanders: in ihrer Fähigkeit, die politische Kultur nach ihren eigenen Gesetzen zu prägen und umzuformen.

Was wir von Politik beobachten, erfahren wir in der Hauptsache über das Fernsehen. Ebensowenig, wie Kameras sich erlauben können, nicht „dabei zu sein“, können Politiker es sich erlauben, nicht vor die Kameras zu treten. Visuelle Präsenz, Image und Telegenität gehören heute zur Grundausstattung eines Politikers. Politische Logik und öffentliche Rede orientieren sich an Maßstäben und Zeitvorgaben des Mediums. Wer den Umgang mit diesem Medium nicht beherrscht, wird in der Politik wenig erreichen.

Natürlich ist diese Erkenntnis nicht neu. Daß Politik sich nahezu ausschließlich durch Medien vermittelt, ist eine bekannte, banale Tatsache. Es ist allerdings oft unklar, was denn dieser Umstand wirklich zu bedeuten hat. Manche sehen darin eine Gefahr für die Demokratie. Der französische Politologe Jean-Marie Guehenno schreibt: „Der Politiker organisiert gemeinsam mit den Fernsehjournalisten die kollektiven Wahrnehmungen. Der eine lebt vom anderen. Das Ideal -dem Präsident Reagan schon recht nahe kam -wird Wirklichkeit, wenn der Politiker nicht mehr auf Bilder reagieren muß, die er nicht kontrolliert -den Fall der Berliner Mauer etwa sondern wenn er selbst das Bild, die visuelle Situation schafft, durch die er die Aufmerksamkeit der Medien fesselt. Der Terminkalender wird mit dem Ziel gestaltet, Situationen zu schaffen wie ein guter Dramaturg die überraschende Wende vorbereitet: die . Bemerkung am Rande im passenden Augenblick, das verblüffende Bild, das stärker wirkt als eine lange Rede. Der Höhepunkt eines Gipfeltreffens ist nicht mehr der Meinungsaustausch der Staatschefs, sondern die Pressekonferenz.“

Die inszenierende Indienstnahme der Medien ist zur geläufigen Art politischen Agierens geworden. „Die Arbeit des Politikers“, so Guehenno, „besteht also darin, seine Rolle so gut wie möglich zu spielen, um möglichst oft in den rund fünfzig Psychodramen präsent zu sein, die Jahr für Jahr über den Bildschirm gehen.“ Weniger drastisch, aber in der Sache ähnlich, beklagt Richard von Weizsäcker die „Rückkehr der höfischen Öffentlichkeit“. Politische Repräsentation habe sich „von der Vertretung des Volkes zur Darstellung des eigenen Amtes entwickelt“ Politik und Fernsehen sind sich in diesem Punkt einig: Hier liegt das Einfallstor für Strategien der politischen Selbstdarstellung. Beide brauchen die Personalisierung von Politik -die einen brauchen die Bilder, die anderen das Publikum.

Am Ende wirkt Politikdarstellung zurück auf die Politik, die sich dann danach bemißt, wer wieviel Aufmerksamkeit auf sich lenken kann. „Das letzte Stadium der Mediendemokratie wäre erreicht“, befürchtet Guehenno, „wenn die politische Auseinandersetzung nicht mehr um tatsächliche Entscheidungen geführt wird, sondern nur noch um die kollektive Wahrnehmung, die ein Volk von sich selbst hat.“ Die Wahrnehmung kann von der Wirklichkeit weit entfernt sein. So waren z. B. in den USA unter Reagan die öffentlichen Ausgaben stark angestiegen. In der Öffentlichkeit hatte sich aber die Wahrnehmung des Gegenteils durchgesetzt.

Scherben, Klischees, Images

Über das Fernsehen und seine Weltbilder ist fast alles schon einmal gesagt worden. Schon vor mehr als dreißig Jahren hat Hans Magnus Enzensberger der Bewußtseinsindustrie die Diagnose gestellt. In der „Scherbenwelt“ der Kinowochenschau werde das Politische systematisch ausgeblendet und die Öffentlichkeit in stereotypisierte Teilöffentlichkeiten zerschlagen Enzensberger stellte sich damals noch vor, bewußteres politisches Handeln könne aus den Scherben wieder einen ganzen Spiegel machen. Später hat er sich revidiert und das Fernsehen eine „buddhistische Maschine“ und" ein „Null-Medium“ genannt, dessen politischer Gehalt sich gerade darin ausdrücke, keinen zu haben

Inzwischen sind wir etliche Jahre und einige Dutzend Fernsehkanäle weiter. Das Fernsehen hat die Stereotype und Klischees der Wochenschauen nahtlos übernommen. Immer noch präsentiert es dem Publikum, dem „mündigen Bürger“, Politik als Auffahrt schwarzer Limousinen oder als Händeschütteln im Blitzlicht. Hinzugekommen sind Tortengrafiken und Umfragekurven. Wahlkämpfe finden im Fernsehen statt, weshalb Medienberater bei der Wahl von Accessoires wie Brille und Bart eine wichtige Rolle spielen. Politik im Fernsehen ist, wenn für einen Händedruck und freundliches Gemurmel auf dem Sofa hunderte Fotografen und Kameramänner mit ihren Bildkanonen aufmarschieren. Das Fernsehen übergießt uns mit Politik, macht uns aber nicht naß.

An diesen Zustand haben wir uns längst gewöhnt. Im Halbschlaf hätten wir beinahe übersehen, welch radikale Strukturveränderung im gesamten Medienbereich mittlerweile stattgefunden hat und noch weiter stattfindet. Einige grundsätzliche Fragen müssen neu gestellt werden: Ist das Fernsehen der einzige Ort politischer Öffentlichkeit, und soll das so sein? Während diese Frage noch auf eine Antwort wartet, taucht schon die nächste auf: Welchen Typ von Öffentlichkeit konstituiert eigentlich das Internet -sollte es sich denn einmal zu einem umfassenden Medium entwickeln? Entsteht hier ein Instrument direkter Demokratie? Oder vernetzt und vervielfältigt sich nur Privates? Handelt es sich überhaupt um Öffentlichkeit?

Zurück zum Status quo und dem vom Fernsehen initiierten Strukturwandel der Öffentlichkeit. Mit drei Stichworten läßt sich dieser Wandel zunächst charakterisieren: Ereignishaftigkeit, Beschleunigung und Fiktionalisierung.

Fernsehen ist Teil der Ereignisse

Das Medium Fernsehen stellt tendenziell das Verhältnis von Wirklichkeit und Medium auf den Kopf. Es ist häufig nicht nur an einem Ort, weil dort etwas geschieht -sondern etwas geschieht auch deshalb, weil Fernsehen vor Ort ist. Fast alle großen politischen Ereignisse zeigen diesen Zusammenhang. In Somalia waren die Kamera-teams noch vor den amerikanischen Truppen gelandet. In Rumänien hatte die Revolution im Fernsehstudio ihr Entscheidungszentrum. Mauerfall und Wiedervereinigung sind ohne die TV-Bilder über die Flucht Zehntausender aus Ungarn und die Botschaftsbesetzungen schwerlich denkbar. Alles ist Anlaß und Ursache zugleich. Das Ereignis und der Bericht darüber sind oft nicht mehr auseinanderzuhalten. Das Fernsehen selbst ist Teil des Ereignisses. Es ist, so der Medienpublizist Klaus Kreimeierv „das erste Medium der Kulturgeschichte, das Wirklichkeit nicht nur abbildet, sondern Teil dieser Wirklichkeit geworden ist.“

Aber warum ist das Verhältnis von Wirklichkeit, Bericht über die Wirklichkeit und Wahrnehmung der Wirklichkeit umgekippt? Warum muß man die Frage, was die Menschen mit den Nachrichten machen, umkehren: Was machen die Nachrichten mit den Menschen?

Beschleunigte Zeit

In solcher Lage rascher Veränderungen, die noch nicht „verabschiedet“ sind, hört man die alte kulturkritische Klage, wonach alles immer schneller und unbegreiflicher wird, immer gern. Schon Goethe schrieb 1825 an seinen Freund Zelter: „Alles transzendiert unaufhaltsam, im Denken wie im Tun. Niemand kennt sich mehr, niemand begreift das Element, worin er schwebt und wirkt . . . Junge Leute werden viel zu früh aufgeregt und dann im Zeitstrudel fortgerissen; Reichtum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wonach jeder strebt; Eisenbahn, Schnellposten, Dampfschiffe und alle möglichen Fazilitäten der Kommunikation sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu überbilden.“ Seither haben sich die „Fazilitäten der Kommunikation“ potenziert. Fernsehen beschleunigt die Beschleunigung: Es ist ein Echtzeit-Medium; „direkt“ und „live“ sind sein Metier. Die Übertragungstechnik wird leistungsfähiger, macht das Medium attraktiver -und problematischer. Was die Zeitung heute berichtet, ist gestern geschehen. In der Zeitdifferenz hat das Nachdenken seinen Platz. Was das Fernsehen berichtet, kann eben jetzt, in diesem Augenblick geschehen. Kein oder wenig Nachdenken ist möglich, nur mehr Entgegennehmen. In den Bildern ziehen sich tendenziell Ereignis, Übertragung und Wahrnehmung in einem Punkt zusammen. Nachrichten werden zu Waren mit immer kürzerem Verfallsdatum. Sie erglühen als News und gehen im kontinuierlichen, unaufhaltsamen Fluß des Nachrichtengeschäfts wieder unter.

So überholt das Fernsehen sich selbst: Es wird immer aktueller und hebt seine Aktualität immer rascher selbst wieder auf. Die Informationen werden -da kaum mehr publizistisch gestaltet -gleichgültig gegenüber ihren Absendern und ihren Empfängern. Um überhaupt noch wahrgenommen zu werden, müssen sie lauter und exzentrischer werden. In der medialen Sensations-Zentrifuge verlieren sie ihren Charakter als Information: Sie verwandeln sich in Unterhaltung. Der Soziologe Claus Leggewie sagt: „Der Komparativ von aktuell heißt demzufolge: unterhaltsam.“

Realitätsverlust der Bilder

Damit verändern sich unter der Hand die Fernsehbilder selbst -sie verlieren ihre Bedeutung. Je mehr die Medien vorgeben, von der Wirklichkeit zu berichten, desto mehr betreiben sie das Geschäft ihrer Fiktionalisierung. Die Beschleunigung der Fernsehbilder hat kaum mehr etwas mit den wirklichen Bewegungen der Zeit oder der Zeitgeschichte zu tun -und doch wirkt sie auf diese zurück. Zeitgeschichte selbst wird mit diesen Bildern beschleunigt, wie die politischen Umwälzungen des Jahres 1989 beweisen. Dabei werden die Übergänge zwischen der Realität und ihrer Inszenierung fließend, auch und vor allem in den Köpfen. So erkennen -ein anderes Beispiel -die meisten Zuschauer ohne Schwierigkeiten das Waldsterben im Fernsehen wieder. In der Realität können sie jedoch einen gesunden Baum noch lange nicht von einem kranken unterscheiden. Oder: Nach amerikanischen Untersuchungen stimmen die Ansichten der Zuschauer über die Kriminalität weniger mit der faktischen Kriminalität überein als mit der, über die das Fernsehen berichtet oder die es inszeniert. Es gibt bei aller Medienfreiheit Zwänge der Bewußtseinsindustrie: Die Berichterstattung wird produziert nach den Gesetzen von Aktualität, Konkurrenz und technischer Beschleunigung. Nachrichten werden als Waren auf den Nachrichtenbörsen gehandelt. Verkauft wird, was genügend Aufmerksamkeitswert erzielt. Es entsteht jener „Stichflammenjournalismus“, so der Medienkritiker Will Teichert, bei dem „im Normalfall das Abweichende, das Ungewöhnliche, das Aufregende“ gesucht wird Die Berichterstattung produziert, um Zuschauer an sich zu binden, Gefühls-bewegungen, Spiel mit dem Bedrohlichen und erzeugt Nachrichten-Kitzel. Die Darstellung komplexer Zusammenhänge tritt zurück gegenüber der Produktion von Lust und Ängst-Lust.

Skandal und Katastrophe fesseln die Aufmerksamkeit und befördern den Prozeß der Fiktionalisierung. Das Waldsterben findet schon seit zwanzig Jahren statt, und immer noch fahren die Leute zur Erholung ins Grüne. Gibt es das Waldsterben überhaupt? Genau genommen wissen wir es nur aus dem Fernsehen. Im Bildermedium existiert, was sich abbilden läßt. Was sich nicht abbilden läßt, fällt der Vergessenheit anheim. Erst als abgestorbene Baumwipfel und krumme Triebe auf den Bildschirmen wuchsen, war der grüne Tod nicht mehr abzustreiten. Seither ist er auf der Skala der Wichtigkeiten (vorübergehend?) nach unten gerutscht und regt nur noch wenige auf. Parallel mit dem Sterben des Waldes ist auch das Thema gestorben.

Eine noch sehr viel größere Bedeutung erlangt dieser Mechanismus in der Weltpolitik. Afrika ist weitgehend abgeschnitten vom globalen Nachrichtenstrom. Es liegt nicht im Blickwinkel der globalen Bildermaschine. Nur bei Katastrophen fallen die Kameras schnell ein; danach ist wieder Sende-pause. Dann fällt erneut ein ganzer Kontinent nicht nur aus dem öffentlichen Bewußtsein, sondern auch aus der Weltpolitik heraus.

Der Sündenfall der Kommerzialisierung

Es handelt sich bei all dem nicht nur um strukturelle, medieninterne Verschiebungen. Der ent-scheidende Bruch in der öffentlichen Kommunikation ist politisch gewollt und in Gang gesetzt. Die Kommerzialisierung der elektronischen Medien, immer noch als ausgewogen duales System schön-geredet, gibt den strukturellen Veränderungen erst Schub und Richtung. Sie verändert Akteure und Handlungsmuster; sie verwandelt den öffentlichen Raum in einen Rummelplatz. Der Daseinszweck der privaten Sender ist nicht ein irgendwie geartetes öffentliches Interesse, sondern der Verkauf eines möglichst großen Publikums an die Werbung. Der Kommerz tritt demokratisch auf, denn er kennt keine Parteien. Dafür kennt er auch keine Bürger -nur Konsumenten.

In den USA. wo das TV-System von Anfang an kommerziell organisiert war, macht der Theologe und Medienbeobachter William F. Fore eben diese Mechanismen für eine tiefe kulturelle Krise verantwortlich. Das kommerzielle Fernsehen habe zur Zerstörung des Gemeinschaftslebens und zum „Zusammenbruch des bürgerlichen Amerika“ geführt

Das klingt nach Apokalypse. Europa und Deutschland haben seit 1945 eine andere Entwicklung genommen, und vielleicht muß Amerikas Vergangenheit ja nicht Europas Zukunft sein. Doch ist nicht mehr bestreitbar, daß die kommerziell motivierte Quotenjagd auf die öffentlich-rechtlichen Sender abgefärbt hat; daß die Zersplitterung der Öffentlichkeit in viele Teilöffentlichkeiten weiter-getrieben wird; daß die Gewichte sich von einer politischen in eine privatisierte Öffentlichkeit verlagern.

All das hat Folgen. Der Soziologe Guggenberger konstatiert ein ästhetisierendes Verhalten zur Politik: „Das Ästhetische färbt aufs Politische ab, ästhetische Wahrnehmung und Beurteilung werden gleichsam hinterrücks politikbedeutsam . . ., das bedeutet, daß wir auf sie ähnliche Kriterien anwenden wie auf Gegenstände und Situationen, denen wir uns auf der Suche nach äußerem und innerem Wohlgefallen oder vielleicht auch nur nach Spannung und Unterhaltung nähern.“ Demokratie und politische Teilhabe gerieten so zur „Zapping-Safari durch die Virtual Reality errechneter Wunschträume“

RTL sagt es einfacher: „. Gute Zeiten, schlechte Zeiten" beliebter als Tagesschau“ triumphiert der Sender in einem News-Letter. Marktgeschrei und Quotenschönfärberei einmal abgerechnet lautet die Botschaft: Die Seifenoper ersetzt die Politik.

Das Verschwinden der Politik in der Unterhaltung

Einiges von diesen Veränderungen läßt sich ablesen an TV-Programmen, die als klassisch politisch gelten. Die herkömmlichen TV-Magazine heißen „Monitor“, „Report“, „Panorama“ -Wächter, Bericht, Weitblick. Sie stehen für die Idee von der „vierten Macht“ im Staate. Eine neue Generation von Nachrichtenmagazinen spricht in anderem Zeitgeist: „Frontal“, „Explosiv“, „Exklusiv“, „Zak“. Ein journalistisches Genre annonciert sich selbst als Akteur, als Organisator von Konflikten und Zusammenstößen, als Infotainment: Alles Recht gehört dem Schlag und der Schlagzeile. Nicht mehr die kontrollierende publizistische Kraft wird da signalisiert, sondern die Rolle als blitzschneller Überbringer von aufregenden Nachrichten aus einer unkontrollierbaren Welt. Signalisiert wird der Zerfall der klassischen Öffentlichkeit: Politische Themen rücken randwärts, die Aufmerksamkeit gilt dem auffallenden Ereignis; das Ausgefallene rückt ins Zentrum und wird zur täglichen Mediennorm.

So sehen die Trends aus. Information verschmilzt mit Unterhaltung zum Infotainment. Themen werden nicht nach ihrer Bedeutung, sondern nach ihrem aufmerksamkeitserregenden Potential ausgesucht und bearbeitet: weg vom realen politischen und gesellschaftlichen Geschehen, hin zur Fiktionalisierung von Wirklichkeit. Dafür bezahlen auch jene, die noch an politischen Standards festhalten. Vorbei sind die Zeiten, da „Panorama“ oder „Report“ Parlamentarische Staatssekretäre auf Trab brachten oder eine Enthüllung einen Moderator den Job kosten konnte. Heute versendet sich politischer Stoff wirkungslos, und die politischen Informanten vertagen sich in den Zirkus. Wenn im ZDF-Magazin „Frontal“ Bodo Hauser und Ulrich Kienzle als verschieden politisch gefärbte Moderatoren ihr launiges Doppel spielen, so ist das ein Arrangement der Unterhaltung, nichts sonst. Die gespielten Dialoge bedeuten nicht politische Auseinandersetzung, sondern deren Simulation. Man wirft sich Grobheiten an den Kopf, ohne daß einer beleidigt wäre. Der Clown ist nicht gekränkt, wenn ihn der andere in den Hintern tritt. Hauptsache, das Publikum amüsiert sich.

Abdankung des politischen Journalismus

Der nächste Wahlkampf kommt bestimmt. Der letzte hat gezeigt, wie Politik in Unterhaltung und Unterhaltung in Politik drängt. Sechzig Talkshows gehen wöchentlich über die Sender. Diese absurdeste Erfindung des Bildmediums, die elektronische Quasselbude, gibt das Vorbild ab. In Wahlkampfzeiten will jeder drankommen, am besten mit Familie. Weil das Konzept erfolgreich ist, wollen auch die Diskussionsrunden aussehen wie Talkshows. So bedient eines das andere. Fernsehwahlkampf ist eine große Inszenierung, worin Politik, Zerstreuungskultur und kommerzielle Kultur beständig wechselwirken, bis man am Ende den Unterschied zwischen „Bleiben Sie dran!“ und „Wählt!“ nicht mehr erkennen kann.

Man erkennt das amerikanische Vorbild. Die Wahlforscher Paletz und Vinson haben festgestellt, daß bei den Präsidentschaftswahlen 1992 die soge-nannte „teilmediatisierte Wahlkampfkommunikation“ explosionsartig zugenommen hat. Bill Clinton und Ross Perot suchten ihren Auftritt hauptsächlich in Talkrunden -aus gutem Grund: Talkmaster fragen weniger. Sie interessieren sich nicht für Programme, Interessen und Macht, sondern fürs „Menschliche“. Sie wollen höchstens wissen, „wie ein Kandidat Probleme lösen würde, die speziell den Frager und den potentiellen Wähler beschäftigen“ Im deutschen Wahlkampf war das allmähliche Verschwinden des politischen Journalismus selbst in den TV-Hearings zu merken. Nicht politische Analyse stand im Vordergrund, sondern die Präsentation von Stimmungen und Meinungen. Immer lag die Frage an den Zuschauer-Wähler nahe: „Was wünschen Sie sich von den Politikern?“

Es muß als traurige Erkenntnis des Fernsehwahlkampfs gelten, daß selbst namhafte TV-Journalisten ohne Not ihre eigene Abdankung betrieben. Sie verzichteten auf die sonst von ihnen so gern propagierte Rolle des Vermittlers, Filters und Erklärers und wollten bloß noch die Kommunikation zwischen Politikern und Publikum moderieren. Als Beispiel für direkte Tele-Demokratie kann man das schwerlich ansehen, eher als Verzicht auf kritisches Nachfragen. George Bush hat einmal einem Journalisten geantwortet, er möchte bloß wissen, weshalb Journalisten immer die glei-eben Fragen stellten; mit „normalen“ Amerikanern habe er solche Probleme nicht. Gewiß macht es die Politik den Journalisten nicht leicht. Jeder Wahlkampfberater weiß, daß Journalisten Nachrichten wünschen, und wo keine sind, werden welche hergestellt: Hier eine Veranstaltung, dort eine Wahlkampfreise -der Nachrichten-wert gleich Null. Ereignis-Management nennt man das. Statt dieser Fatalität produktiv zu begegnen, ersetzen die Journalisten die politische Analyse durch Überproduktion an Demoskopie. Deren Ergebnisse werden als bunte Vielfalt von Torten-, Balken-und Kugelgraphiken auf den Bildschirm geworfen. Das ist keine Frage bloßer Ästhetik, sondern hier wird der Anschein des Tatsächlichen produziert. Konfrontiert mit den Ergebnissen ihrer abgefragten Meinung verlassen die Wähler kurzfristig den Bildschirm für den Gang in die Wahlkabine, um auf dem Weg zurück erneut befragt zu werden. Die Ergebnisse begegnen ihnen dann auf dem Bildschirm als Resultat ihres individuellen Wahlakts wiederum in Form von Tortenstücken. Der Fernseh-Wahlabend funktioniert als Simulationsmaschine der Politik. Weder die Politik noch die Medien reden gern von ihrer wechselseitigen Abhängigkeit -Grund genug dazu hätten sie allerdings, arbeitet doch die Politik mit ihrer medienpolitischen Agenda selbst hingebungsvoll an ihrer eigenen Abschaffung, insofern sie öffentlichen Raum und politische Willensbildung international unkontrollierbaren Konzernen überläßt. Ebenso schweigsam werden die Medien-macher, wenn es um ihr Handwerk geht, obwohl sie spüren, daß ihr Medium im Zeitalter seiner Vervielfachung an Umfang gewinnt, aber an politischer Bedeutung verliert. Aber noch gibt es viele Zuschauer, die nicht aufgehört haben, Politik auch als Feld rationaler Entscheidungen zu begreifen und nicht als Sonderfall von „Einer wird gewinnen“. Sie sollten mit ihrer wachen Kritik vielleicht etwas nachhelfen, daß das Medium Fernsehen einen anderen Entwicklungsweg einschlägt. Rezepte gibt es nicht, einige Vorschläge vielleicht. In der Ökologie ist der Begriff der „sustainable development“ -der nachhaltigen Entwicklung -geläufig. Nachhaltig entwickeln könnte sich auch das Medium Fernsehen, wenn der Kreislauf hin zur Selbstentwertung gestoppt würde. Es ist überfällig, die Routinen der Produktion und der Wahrnehmung von Nachrichten zu durchbrechen und sich darauf zu besinnen, daß Fernsehen eben nicht nur Abbild, sondern selbst Teil der Politik ist. Wann wurden die Zuschauer darüber ins Bild gesetzt, wie ihr tägliches Weltbild überhaupt zustandekommt? Wann hörte man je, daß eine dürftige Information auch dürftig genannt wird? Wann hätte man erlebt, daß eine Redaktion öffentlich auf den Bildermüll der personalisierten Politiker-Politik verzichtet oder, besser noch, ihn unterläuft?

Es ergibt keinen Sinn, sich länger hinter die Behauptung zurückzuziehen, Fernsehen bilde bloß die Wirklichkeit ab. Es konstruiert die Realität mit. Wie von anderen Konstrukteuren -den Technikern und Wissenschaftlern -sollte man auch von den Medien-Machern verlangen können, daß sie ihr Handwerkszeug auf den Tisch legen. Es rächt sich, daß es keine Tradition der Medienkritik in den elektronischen Medien gibt. Es mag ein bißchen viel verlangt sein und paradox klingen, aber einer nachhaltigen Entwicklung wäre es dienlich, wenn die Medien systematisch den Prozeß gegen sich selbst betrieben -öffentlich und täglich.

Daß dies funktionieren könnte, dafür gibt es freilich kaum Beispiele. Gewiß ist den Journalisten die Diffusität der Politik, die allgemeine Ratlosigkeit und die Weltlage nicht allein anzulasten. Doch hätten sie schon genug zu tun, sich aus der symbiotischen Beziehung zur Politik zu lösen, um politischer werden zu können. Das würde auch bedeuten, den Zuschauern nicht nur Informationen anzubieten, sondern zugleich auch die Instrumente, sie bewerten und einordnen zu können.

Ein Beispiel dafür ist jener französische Kameramann, der Jacques Chirac kurz vor seinem Amtsantritt am Grab von Charles des Gaulle zeigte. Das war zunächst das Gewohnte in Bild und Text nach dem Motto: Ein Präsident will allein sein mit der Geschichte. Plötzlich änderte der Kameramann die Einstellung -und siehe da, rund um den allein sein wollenden Präsidenten sah man eine Hundertschaft von Journalisten und Fotografen, die nichts anderes zu tun hatten, als diese Simulation von Einsamkeit und Kontemplation in der Welt zu verbreiten.

Dem Kameramann sei Dank. Seine kleine Geste vermittelte eine Ahnung davon, was es heißen kann, Informationen lesbar und beurteilbar zu machen. Denn das ist doch das mindeste, was man verlangen kann: daß Nachrichten etwas sind, wonach man sich richten kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Zahlen sind entnommen aus: Herbert Riehl-Heyse, Bestellte Wahrheiten, München 1989, S. 54.

  2. Ebd., S. 127.

  3. Jean-Marie Guehenno, Das Ende der Demokratie, München 1994, S. 50.

  4. Ebd„ S. 51.

  5. Aus dem „Bericht zur Lage des Fernsehens“, zitiert nach: Der Spiegel, Nr. 35/1995, S. 122.

  6. J. -M. Guehenno (Anm. 3), S. 52.

  7. Vgl. Hans Magnus Enzensberger, Einzelheiten I, Bewußtseinsindustrie, Frankfurt a. M. 1962.

  8. Vgl. Hans Magnus Enzensberger, Das Nullmedium oder warum alle Klagen über das Fernsehen gegenstandslos sind, in: ders., Mittelmaß und Wahn, Frankfurt a. M. 1988, S. 102.

  9. Klaus Kreimeier, Wer macht die schönste Tagesschau? in: medium. Sonderheft „Nachrichten und Informationsprogramme“, hrsg. vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik e. V. (GEP), (1993), S. 12.

  10. Zitiert nach Jochen Hörisch, Non plus ultra, in: Merkur. (1993) 9-10, S. 784.

  11. Claus Leggewie, Fernsehen kann gar nicht aktuell sein, in: 26. Tage der Mainzer Fernsehkritik 1993, Frankfurt a. M. 1994, S. 34.

  12. Will Teichert, Das Beschleunigungskarussel, in: medium (Anm. 9), S. 25.

  13. William F. Fore, Commercial TV and Cultural Change, Vortrag auf den Düsseldorfer Gesprächen, 23. 5. 1996.

  14. Bernd Guggenberger, Das Verschwinden der Politik, in: Die Zeit vom 7. 10. 1994, S. 66.

  15. David L. PaletzIC. Danielle Vinson, Mediatisierung von Wahlkampagnen, in: media-perspektiven, (1994) 7, S. 364.

Weitere Inhalte

Fritz Wolf, geb. 1947; freiberuflicher Journalist in Düsseldorf mit Schwerpunkt Medien. Mitglied der Jury des Adolf-Grimme-Preises. Publiziert u. a. in Die Zeit, epd-Kirche und Rundfunk. Süddeutsche Zeitung. WDR.