Der Aufbruch der Bundesrepublik Deutschland in die sogenannte Informationsgesellschaft ist durch diffuse Begriffe wie „Multimedia“ und nicht ganz zutreffende Übersetzungen aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum -wie „Datenautobahn“ für „Information Highway“ -geprägt. Doch die Metapher „Autobahn“ ist für viele Menschen heute negativ besetzt. Sie assoziieren damit nicht mehr das Motto von der „freien Fahrt für freie Bürger“, sondern eher den Stau
Die übliche Erfahrung des Normalbürgers mit dem Personalcomputer (PC) hat vieles mit den negativen Assoziationen bei der mehr intuitiv als sachlich gewählten Metapher der Autobahn gemeinsam: Die Situation des Staus -daß nichts mehr geht -gehört für viele PC-Benutzer bereits im Vorfeld des möglichen Einstiegs in lokale oder globale Kommunikationsnetze zur Basiserfahrung. Hard-oder Software spielen aus zunächst rätselhaften Gründen nicht mehr mit, die Karambolage wird durch Inkompatibilitäten und abstürzende Programme verursacht, die Landschaftszerstörung geschieht durch Datenverluste und Virenattacken. Übrig bleibt ein Baustellenchaos, dessen Behe bung selbst dem Computerfachmann viel Zeit und Kopfzerbrechen bereiten kann. Das von vielen ungeliebte Tempolimit wird bei immer anspruchsvollerer Software inzwischen jedem Benutzer eines 486ers bewußt, der Besitzer des neuesten Pentium-Prozessors wird hingegen zum Formel-1-Piloten. Sucht man dann über ein Modem den Zugang zur Netzwelt, fehlen oft Landkarten, Straßennamen und Hausnummern zur Orientierung -falls man nicht bereits beim Versuch des Einstiegs auf einem überlasteten Zugangsweg steckenbleibt. Dennoch hat sich der PC durchgesetzt, und die Benutzer nehmen, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten Autofahrer, alle Schwierigkeiten als nahezu selbstverständlich hin.
In deutlichem Kontrast zu diesen Alltagserfahrungen stehen die von Industrie und Teilen der Politik propagierten zukünftigen Einsatzmöglichkeiten des PC zur Erleichterung der Arbeit und Kommunikation. Machbar soll auf der Basis der Computertechnologie beispielsweise die Schaffung eines Hochleistungskommunikationssystems sein, über das Informationsströme zwischen beliebigen Nutzern an beliebigen Orten des Globus mit höchster Qualität fließen können. Die Faktoren Zeit und Raum würden an Bedeutung verlieren, und es käme zu einer bis dahin unbekannten Beschleunigung und Verdichtung politischer, wirtschaftlicher und sozialer Vorgänge auf nationaler und globaler Ebene.
Bei der Frage nach der Wünschbarkeit einer solchen Entwicklung scheiden sich die Geister. Die Behauptung des EU-Kommissionspräsidenten Jacques Sanier von Ende Februar 1995 im Rahmen des G-7-Treffens zur Informationstechnik in Brüssel, daß die computergesteuerten neuen Medien und Technologien einen „Quantensprung in der Lebensqualität“ mit sich bringen würden darf mit Skepsis zur Kenntnis genommen werden. Prominente Computer-Kritiker wie Joseph Weizenbaum, aber auch Konrad Zuse, der deutsche Erfinder des ersten programmgesteuerten Computers der Welt, warnten schon vor vielen Jahren Politik und Gesellschaft eindringlich vor den Folgen eines unbekümmerten Laisser-faire bei der Ausbreitung der‘Computertechnologie Vor diesem Hintergrund soll zunächst vergleichend dargestellt werden, wie die politischen Entscheidungsträger in Deutschland und den USA bei der Weichenstellung für das neue Informationszeitalter vorgehen. In einem zweiten Schritt wird am Beispiel von drei grundlegenden Anforderungen der G-7-Staaten (USA, Kanada, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien) zur Verwirklichung der globalen Informationsinfrastruktur beschrieben, in welchem Ausmaß sich die technische und gesellschaftliche Entwicklung bereits verselbständigt hat und durch nacheilende ordnungspolitische Maßnahmen kaum noch geregelt werden kann. Teil III befaßt sich mit den beobachtbaren gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen beim Einsatz neuer Informationsund Kommunikationstechnologien auf globaler Ebene Den Abschluß bildet ein Resümee in Form von fünf Thesen.
I. Politische Weichenstellungen für das neue Informationszeitalter in den USA und in Deutschland
Blickt man auf die politischen Entscheidungsträger, so zeigen sich am Beispiel der USA und Deutschlands sowohl politisch wie auch technologisch ambivalente Gegebenheiten. So gegensätzliche amerikanische Spitzenpolitiker wie Vize-Präsident Al Gore von der Demokratischen Partei und der Fraktionschef der Republikaner im Abgeordnetenhaus, Newt Gingrich, setzen sich für den forcierten Ausbau der neuen Medienlandschaft ein. Bill Clinton hat den „Information Superhighway“ -eine Wortschöpfung Gores aus den siebziger Jahren -im nationalen Interesse zur Chefsache erklärt. In den USA verfügen rund 25 Millionen Menschen entweder zu Hause oder im Büro über einen Online-Zugang zum World Wide Web (WWW). Demgegenüber nutzten Anfang 1996 nur ca. 1, 2 Millionen Deutsche die neuen Medienangebote. Von den weltweit rund 30 Millionen Internet-Surfern lebt rund die Hälfte in den Vereinigten Staaten
Der strategisch nutzbare Zusammenhang zwischen Telekommunikation, Informationstechnik und Dienstleistungen wurde in den USA früher erkannt als in Europa. Durch die sogenannte Clinton-Gore-Initiative wird seit 1993 der landesweite Ausbau von Hochleistungskommunikationssystemen vorangetrieben. Der Vizepräsident versprach, bis zum Jahre 2000 alle Schulen. Bibliotheken und Krankenhäuser an die Datenautobahnen anzuschließen
Dagegen analysierte Anfang 1995 das Büro für Technologiefolgenabschätzung des Deutschen Bundestages noch Gutachten zum Thema Multimedia und „Zukunftsminister“ Jürgen Rüttgers (CDU) fragte bei Zeitungsinterviews, wo denn Nutzanwendungen für die Bereiche Multimedia und Infobahn lägen, die auch ihn überzeugen könnten Außerdem herrscht innerhalb der deutschen Ministerrunde seit längerem Wirrwar -nicht nur über Zuständigkeiten, sondern auch über offene Fragen wie die mögliche Schaffung von Arbeitsplätzen durch Multimediaapplikationen und die Höhe der öffentlichen Mittel für den Ausbau der Informationsgesellschaft.
Im Ringen um Zuständigkeiten im weiten Feld der computergestützten neuen Medien meldeten sich neben Rüttgers und Wirtschaftsminister Rexrodt auch die Ressorts Post, Inneres und die Justiz zu Wort. Für die Industrie bedauerte der damalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Tyll Necker, anläßlich des 13. Welt-Computerkongresses am 29. August 1994 in Hamburg den im Gegensatz zur USA fehlenden Konsens in der Politik über einheitliche politische Rahmenbedingungen Inzwischen kann davon ausgegangen werden, daß dem Bundesministerium für Wirtschaft eine übergreifende, koordinierende Zuständigkeit beim Thema Informationsgesellschaft zukommt.
Angesichts der zuvor fehlenden Kooperation zwischen den politischen Ressorts und fehlender bundesweiter politischer Richtlinien wurden auch Vorstöße wie „Bayern online“ vom März 1995 möglich. Der Ministerrat des Freistaates billigte zunächst Investitionen von 100 Millionen Mark aus dem Staatshaushalt, um nicht nur bundes-, sondern auch europaweit eine Vorreiterrolle beim Ausbau der neuen Kommunikationstechnologien einzunehmen. Ministerpräsident Edmund Stoiber übersah nicht, daß „in vielen Rechtsbereichen wie etwa beim Datenschutz, der Datensicherheit und beim Urheberrecht gesetzliche Anpassungen erforderlich“ seien. Die notwendige Auseinandersetzung mit diesen Grundproblemen schob er aber der Bundesregierung zu Der Vorstoß Bayerns richtete sich ferner gegen die Vorstellungen und den erklärten Willen Rüttgers, die Zeit bis 1998 zu nutzen, um die Möglichkeiten der Anwendungen auszuleuchten und die technische Entwicklung kulturell und sozialverträglich zu gestalten
Das Anliegen, die durch neue Informations-und Kommunikationstechnologien ausgelösten gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen abzuschätzen und Gestaltungsvorschläge zu machen, wird auch von der im Dezember 1995 eingesetzten Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages verfolgt Die freilich mindestens zwei Jahre zu spät gebildete Kommission hat dennoch einiges Terrain wiedergewonnen, indem ihr Vorsitzender Siegmar Mosdorf (SPD) erfolgreich beim Streit zwischen Bund und Ländern über die Gesetzgebungskompetenz im Bereich Multimedia vermitteln konnte Auch sind deutliche Impulse auf die Bewußtseinsbildung der Abgeordneten durch die Beschäftigung des Parlaments mit den neuen
Kommunikationstechnologien zu verzeichnen. In weniger als einem Jahr seit September 1995 stieg die Zahl der Volksvertreter, die “ über E-Mail zu erreichen sind, von sechs auf über 50 -mit wachsender Tendenz
Mit einem Multimediagesetz ist auch die Hoffnung der Bundesregierung auf Schaffung neuer Arbeitsplätze gestiegen. Die vieldiskutierte Frage, wie viele Arbeitsplätze langfristig durch digitale Medienkommunikation geschaffen werden -Prognosen gehen von rund 800 000 Telearbeitsplätzen bis zum Jahre 2000 aus -, ist aus heutiger Sicht nur mit hoher Unsicherheit zu beantworten. Vorerst ist der Beginn des Informationszeitalters durch einen weitreichenden Stellenabbau gekennzeichnet, und allerorten herrscht Stillschweigen über die erwartete Aus-und Umlagerung von Arbeitsplätzen. Es ist davon auszugehen, daß die vernetzte Multimedia-Technik eine Effizienzsteigerung mit sich bringen wird. Neue Arbeitsfelder -wie im Bereich der Produktion von computergestützen Simulationen, Animationen, Lehr-und Lernprogrammen, Informationssystemen und elektronischen Publikationen -können aber voraussichtlich zu einem großen Teil mit dem bereits vorhandenen, dann aber umgeschulten Personal besetzt werden Die erste öffentliche Anhörung der Enquete-Kommission im Mai 1996 hat auch im Hinblick auf diese offenen Fragen erneut gezeigt, wie groß der Regelungsbedarf noch ist
II. Zu den Anforderungen der G-7-Staaten für die Informationsgesellschaft
Angesichts der Problemstellungen in der Welt der neuen Medien haben sich die G-7-Staaten bei ihrem Treffen Ende Februar 1995 in Zusammenarbeit mit der informationstechnischen Industrie auf einen Katalog von Grundregeln geeinigt, die folgende sechs Anforderungen an den weltweiten Ausbau der Informationsinfrastruktur ergeben: 1. Förderung des Verbunds und der Interoperabilität, 2. Entwicklung globaler Märkte für Netze, Dienste und Anwendungen, 3. Sicherung der Privatsphäre und Datensicherheit, 4. Schutz der Urheberrechte, 5. Zusammenarbeit bei Forschung und Entwicklung sowie 6. Beobachtung der sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Informationsgesellschaftlg. Mit Blick auf die gegenwärtige Debatte über den denkbaren Nutzen und den möglichen Schaden durch den Einsatz neuer Informations-und Kommunikationstechnologien in Deutschland und den USA werden im folgenden drei grundlegende Voraussetzungen aus diesem Katalog herausgegriffen. Betrachtet man die eng miteinander zusammenhängenden Punkte „Sicherung der Privatsphäre und Datensicherheit“ und „Schutz der Urheberrechte“ sowie die angestrebte „Beobachtung der sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Informationsgesellschaft“ genauer, so zeigt sich bei jedem dieser hier exemplarisch ausgewählten Beispiele die Ambivalenz der gegenwärtig die Politik und Gesellschaft überrollenden Entwicklung
1. Sicherung der Privatsphäre, Datensicherheit und Schutz der Urheberrechte
Die zunächst wichtigste Forderung auf dem Wege in die Informationsgesellschaft betrifft die Sicherung der Privatsphäre und die Datensicherheit. Die Privatsphäre des PC-Benutzers kann durch Hacker verletzt werden, die in vernetzte Datenbanken von Behörden, Versicherungen, Krankenhäusern oder Banken eindringen und persönliche Daten einzelner Bürger abrufen. Das illegale Kopieren vertraulicher bzw. geheimer Daten trifft bekanntlich auch Unternehmen und Forschungseinrichtungen, wobei auf weltweit Zehntausenden von Computern Sicherheitslücken vermutet werden:
Nach Schätzung von Experten dauert es nach dem Anschluß eines Computers an das Internet keine Viertelstunde, bis der erste Hacker feinen voll-automatischen, da programmgesteuerten Besuch abstattet. Im Schnitt erfolgt in der Bundesrepublik alle zehn Minuten der Versuch, in einen vernetzten Rechner einzudringen. Hinzu kommt das lästige, aber vorerst noch lösbare Problem von derzeit über 9 000 Computerviren, die auch das System jedes Anwenders, der Dokumente über E-Mail austauscht oder Daten über das Internet empfängt, befallen können
Der amerikanische Sicherheitsexperte Bill Cheswick hält einen hundertprozentigen Schutz gegen Hacker für unmöglich. Cheswick geht davon aus, daß er mit einer Computerrechenzeit von umgerechnet 100 000 Dollar jeden Rechner trotz elektronischer Schutzwände (Firewalls) unter seine Kontrolle bringen kann Mögliche Hochsicherheitslösungen für Unternehmen -sieht man einmal vom Unsicherheitsfaktor Mensch ab -erfordern mit etwa 200 000, -DM einen Kostenaufwand, der die finanziellen Möglichkeiten eines normalen privaten, öffentlichen oder kommerziellen Online-Users übersteigt
Der Wunsch, die Vertraulichkeit der eigenen Dokumente durch Datenverschlüsselung zu sichern -etwa durch effektive und frei im Internet erhältliche Programme wie Pretty Good Privacy -, führt jedoch bei wachsender globaler Computer-kriminalität zu einem Interessenkonflikt zwischen Bürger und Staat In Frankreich ist die Verschlüsselung privater Dokumente nicht erlaubt; im Bonner Innenministerium wird ein Gesetz zur Einschränkung kryptographischer Techniken vorbereitet. Das Mitte Juni 1996 zunächst vom Bundestag verabschiedete Telekommunikationsgesetz, das mit dem Wegfall der Telefonmonopole am 1. Januar 1998 in Kraft treten soll, wird das Interesse an der Kryptographie noch steigern. Art. 87 über die technische Umsetzung von Überwachungsmaßnahmen erlaubt den deutschen Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten jederzeit das direkte Abhören der Netze sowie den Zugriff auf die Kundendateien von Telekommunikationsdiensten, zu denen eben auch die Online-Dienste, Mailbox-Betreiber und Internet-Provider zählen Auch die Pläne Präsident Clintons, den Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten die gesetzlichen Voraussetzungen zu verschaffen, elektronische Post mitzulesen, werden die vielfältigen Möglichkeiten, Daten zu verschlüsseln oder in unverfänglich lautenden Text-oder Bilddateien zu verstecken, nur um neue Varianten bereichern.
Dagegen sehen die „Cyberpunks“ eine der wichtigsten Aufgaben von Geheimcodes darin, Informationen vor der Regierung geheimzuhalten. Die oft aus der Hippie-Ära und aus Kreisen der Atomkraftgegner stammenden High-Tech-„Revolutionäre“ kommen mit dieser Grundhaltung ganz anderen politischen Aktivisten aus der rechtsradikalen Szene entgegen. Bereits Mitte der achtziger Jahre verfügte der Ku Klux Klan über das erste landesweite Computernetzwerk von rechtsextremen Rassenfanatikern in den USA. In Deutschland wurde besonders das „Thule-Netzwerk“ als Verbund rechtsextremer Mailboxen bekannt. In den einzelnen Mailboxen, die über mehrere paßwortgeschützte Zugriffsebenen verfügen, werden Propaganda und eine Mobilisierung der Sympathisantenszene betrieben, Kontakte auf nationaler und internationaler Ebene gepflegt, Datenbanken mit Informationen aller Art bereitgestellt. Auch diese Gruppen wollen sich durch Vernetzung eine „befreite Zone“ schaffen, einen Freiraum für braune politische Aktivisten. Sie freuen sich über die hervorragenden Kodierungsverfahren, die den Staat draußen halten, und über deutsche Fahnder, die, bis auf Kripobeamte eines bayerischen Pilotprojekts, oft nicht einmal über ein Modem verfügen
Das Dilemma ist offensichtlich: Die Verschlüsselung schützt Gesetzestreue und Gesetzlose gleichermaßen. Dadurch verschiebt sich das Problem vom früher oder später stattfindenden „Daten-klau“ in unzureichend gesicherten Systemen und der chiffrierten Kommunikation unter Verbrechern auf die viel grundsätzlichere Frage, welche Institutionen bzw. Personengruppen in einem Staat über sichere Systeme verfügen sollen. Das Vertrauen der (Informations-) Gesellschaft dürfte bei genauer Aufklärung dieser Sachverhalte nachhaltig erschüttert werden.
Noch ist wenigen bekannt, daß die Frage der Datensicherheit im virtüellen Krieg zwischen der amerikanischen Regierung, der Industrie und Hakkern innerhalb der Netzwelt bereits entschieden ist. Technisch versierte Kriminelle verfügen inzwischen über moderne Verschlüsselungsverfahren, die ihnen in Netzen wie dem Internet, das nach ungeschriebenen Gesetzen und ohne übergeordnete Verwaltung oder gar Kontrollinstanz funktioniert, einen freien Informationsaustausch ermöglichen. Versuche der amerikanischen Administration seit April 1993, im Interesse der nationalen Sicherheit und zur Durchführung von Gesetzen spezielle Computerchips als Bestandteil der Hardware einzuführen, stoßen auf massiven Widerstand von Organisationen, die hier eine Bedrohung der Privatsphäre befürchten -abgesehen davon, daß es bereits einem Forscher der Telefongesellschaft AT & T im Juni 1994 gelungen ist, die Abhörfunktion auch dieses Chips zu umgehen
Ein Konsens unter den G-7-Staaten über die politische Vorgehensweise bei den Verschlüsselungstechniken in den Netzen ist ebensowenig in Sicht wie innerhalb der Europäischen Union. Immerhin versucht ein europaweites Konsortium mit finanzieller Unterstützung der EU-Kommission in Höhe von 18 Millionen DM die Grundlagen für eine sichere elektronische Abwicklung von Geschäften in öffentlichen Netzen zu erreichen
Mit dem Hinweis auf die virtuellen Raubzüge der Hacker wird gleichzeitig das Problem eines wirksamen Schutzes des geistigen Eigentums an Softwareprodukten und den verschiedenen Medien im Internet wie Musik, Bilder, Film etc. angesprochen. Jim McMahon, Leiter der Polizeiabteilung für Hochtechnologieverbrechen in San Jose (Silicon Valley), ging Anfang 1995 in seinem Bezirk von wöchentlich einer Million Dollar Schaden durch alle Arten von Computerverbrechen aus. Weltweit bewegten sich nach Schätzungen des FBI die Schadenssummen zwischen 164 Millionen und 5 Milliarden Dollar, wobei auch deutsche Unternehmen bereits in Millionenhöhe betroffen sind. Hinzu kommt, daß allein in Westeuropa mehr als die Hälfte aller Standardsoftware illegal kopiert sein soll Außerhalb der Netze hat der seit Anfang 1995 schwelende Konflikt zwischen den USA und China gezeigt, daß nur handfeste Drohungen eines starken Kontrahenten mit einem Handelskrieg den Gegenspieler zur Einsicht zwingen können. Hierbei ging es um die von Peking mutmaßlich stillschweigend geduldete Anfertigung von Raubkopien, u. a. amerikanischer Software, im Werte von jährlich rund zwei Milliarden Dollar
2. Soziale und gesellschaftliche Auswirkungen der Informationsgesellschaft
Nach Angaben der G-7-Staaten verspricht das neue Informationszeitalter einen „verlockenden Lohn“. Allerdings wird in den zahlreichen amtlichen Dokumenten und Broschüren auch immer wieder darauf hingewiesen, daß die Herausbildung einer Zweiklassengesellschaft zu verhindern sei. Gefordert wird unter anderem ein Universal-dienst, durch den alle Bürger Zugang zu der Netz-welt erhalten sollen. Für den Bürger der G-7-Staaten ist der universelle Zugang zu den Netzen prinzipiell gewährleistet -vorausgesetzt, er ist finanziell in der Lage, die Mitte 1996 in Deutschland notwendige Grundinvestition von durchschnittlich rund 4 000, -DM für einen Multimedia-PC mit Modem aufzubringen, wobei die Kosten eines schnellen ISDN-Anschlusses noch nicht inbegriffen sind. Steigt man mit dem Modem über den Telefonanschluß in ein Datennetz wie Internet, T-Online, American Online oder CompuServe ein, so sind zum Teil sehr unterschiedliche monatliche Grundgebühren und zeitabhängige Nutzungstarife für die übertragenen Daten zu zahlen. Neben dem Grundtarif ist mit etwa acht bis zehn Mark pro Stunde an Internet-Nutzungskosten zu rechnen. Hinzu kommen die Telefonkosten für Orts-oder Ferngespräche je nach nationalem bzw. internationalem Einwählpunkt. Im Verlauf der Diskussion über die Tarifreform mußte die Telekom eingestehen, die Online-Benutzer schlichtweg vergessen zu haben. Die neue Gebührenstruktur ist für Multimedia geradezu kontraproduktiv, besonders im Vergleich zu den USA, wo der Internet-Zugang fünf bis zehn Mal billiger ist als in Deutschland Die auch in Deutschland vertretene Forderung der amerikanischen Vereinigung der „Computer Professionals for Social Responsibility“, daß Netzanschlüsse allgemein und zu annehmbaren Bedingungen verfügbar gemacht werden sollen, wird vorerst nicht realisierbar sein Zu den sozialen Auswirkungen der neuen Medienwelt gehört bereits heute, daß die Dienste in den Netzwerken für einkommensschwächere Gruppen in den USA und Deutschland nicht finanzierbar sind. Diese Entwicklung zeichnet sich unabhängig von den immerhin fallenden Preisen für die neuen Medien an der wachsenden Armut in den Industrieländern ab. Hierbei fallen die USA durch die ausgeprägtesten sozialen Ungleichheiten unter den G-7-Staaten auf. Sinkende Einkommen bei der Mittelschicht und den unteren 20 Prozent der Bevölkerung sowie fortschreitende Vermögenskonzentration beim oberen Fünftel kennzeichen die Situation. In Italien, Frankreich und der Bundesrepublik nimmt die sozioökonomische Entwicklung denselben Weg -ohne absehbare Trendwende Die Entstehung einer Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft aufgrund mangelnder finanzieller Ressourcen ist nach diesen Zahlen bereits heute vorgezeichnet. Hinzu kommen die ohnehin vorhandenen und in den USA noch deutlicher als in der EU ausgeprägten Unterschiede im Bildungsniveau der Bevölkerung.
Wie exklusiv die globale Klasse der sogenannten „Digeratis“ (digital literati), der digitalen Literaten ist, zeigt ihre Zusammensetzung: Zu fast zwei Dritteln handelt es sich um weiße, männliche Mittelstandsbürger zwischen 20 und 30 Jahren mit Universitätsausbildung aus den großen Industrie-ländern Abgesehen von den Entwicklungsländern bleiben somit bereits große Bevölkerungsanteile aus den G-7-Staaten selbst -wie jene 20 Prozent von Amerikas Haushalten, die über kein Telefon verfügen, oder jene 70 Prozent der Haushalte im Staate New York, die keinen Computer besitzen -von der neuen Medienwelt ausgeschlossen
Für die Bundesrepublik wird von der Industrie bis zum Jahr 2000 davon ausgegangen, daß 40 Prozent der Haushalte über einen PC mit Modem verfügen werden Jürgen Rüttgers vertritt trotz dieser positiven Prognosen die Meinung, daß eine Anschlußquote von 100 Prozent nie erreicht werden kann. Sie werde in den kommenden Jahren bestenfalls bei 20 Prozent liegen Alle in der Öffentlichkeit verbreiteten Zahlen über den raschen Ausbau im Multimedia-Bereich dürften eher dem Wunschdenken der Medienmanager entsprechen. Neben den hohen Einstiegskosten fehlen außerdem zur Zeit noch anwenderfreundliche Software, überzeugende Inhalte und ausgereifte Endgeräte. Auch wird die euphorische Stimmung gedämpft, wenn ehemals begeisterte Netz-Pioniere und Kenner der Hackerszene wie Clifford Stoll nach 15 Jahren online die Erwartungen an das Internet für „vollkommen unrealistisch“, wenn auch nicht gleich, wie Joseph Weizenbaum, für eine modische Verrücktheit halten Das Vertrauen der Bevölkerung in die Informationsgesellschaft dürfte weiter erschüttert werden, wenn Cyberpunks vorübergehend aus den Netzen aussteigen und den Nerv der verkabelten Gesellschaft durch Anschläge -wie Anfang Februar 1995 beim Frankfurter Flughafen -treffen. Die fachkundigen Attentäter, vermutlich eine Gruppe namens „Keine Verbindung e. V“, hatten drei räumlich auseinanderliegende Knotenpunkte von Computer-und Datenleitungen mit Telefon-und Faxkabeln sowie die Meldeleitung des Warnsystems durchtrennt. Bei diesem ersten Anschlag von High-Tech-Terroristen in der Bundesrepublik verzögerten sich die Flüge der Fluggesellschaften nur für kurze Zeit, und der Sachschaden konnte relativ schnell behoben werden. Schon zwei Monate später sorgte eine Pannenserie im neuen Elektronik-Stellwerk der Bundesbahn in Hamburg-Altona bundesweit für weit mehr verärgerte Fahrgäste. Hier hatte die Firma Siemens einen nicht voll funktionsfähigen Computer installiert und den technologisch wenig überzeugenden Eindruck des „learning by doing“ vermittelt
Kaum bekannt, da von der Telekom nicht öffentlich verbreitet, ist außerdem der Umstand, daß die vielpropagierten neuen ISDN-Anschlüsse von der Stromversorgung, d. h. von dem lokalen Elektrizitätswerk abhängig sind. Bei einem z. B. durch Blitzeinschlag verursachten Stromausfall funktio-nieren in der Regel nur die herkömmlichen analogen Telefonverbindungen über Kupferkabel weiterhin zuverlässig Die Bürger selbst haben durch solche und viele andere Überraschungen und Pannen gelernt, daß in der neuen Computerwelt Ärger im wahrsten Sinne des Wortes vorprogrammiert ist
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß nach Angaben der Aliensbacher Demoskopen von Ende 1995 bei den Bundesbürgern die Befürchtungen zusätzlicher Risiken durch die neuen Medien die Hoffnungen auf mögliche Vorteile und Nutzen insgesamt überwiegen Auch in den Vereinigten Staaten bleibt ein weitverbreitetes Unbehagen in der Bevölkerung erhalten. Amerikanische Softwareentwickler verweisen darauf, daß die größten Barrieren kultureller Natur seien. Sie diskreditieren die berechtigten Befürchtungen und die Skepsis gegenüber den Visionen der Industrie als Ignoranz, Dogmatismus und Widerstand gegenüber Veränderungen
Mitte 1996 stockte in den USA bereits der PC-Absatz, der Markt scheint vorerst gesättigt zu sein. Nach einer Umlage von Dataquest sind 58 Prozent der US-Haushalte zwar mit dem Computer als solchem vertraut, wollen aber trotzdem keinen kaufen Inzwischen bildet sich sogar eine Bewegung von „New Luddites“ nach dem Vorbild der englischen Maschinenstürmer des 19. Jahrhunderts heraus, die zum Techno-Verzicht aufruft
III. Globale Perspektiven der Informationsgesellschaft
Vieles deutet ein Jahr nach der G-7-Konferenz zur globalen Informationsgesellschaft darauf hin, daß die genannten Anforderungen an den weltweiten Ausbau der Informationsinfrastruktur mindestens ein Jahrzehnt zu spät beschlossen wurden und allesamt in den entsprechenden Staaten noch lange auf ihre Verwirklichung warten werden. Die Poli tik ist durch die raschen technologischen Entwicklungen und bei der Abschätzung von deren Folgewirkungen sichtlich überfordert und hat mit Prinzipienkatalogen nicht mehr erreicht, als ihren guten Willen zu dokumentieren.
Die Befürchtungen, daß eine Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft entstehen könnte, scheint sich vor allem im sogenannten „globalen Dorf“ zu bewahrheiten. Auf internationaler Ebene zeigt sich das Gefälle hinsichtlich der Verfügbarkeit über Informations-und Kommunikationssysteme zwischen Reich und Arm mit seinen vielfältigen Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Kultur der einbezogenen Länder sogar besonders deutlich In Ballungsgebieten wie New York und Tokio gibt es nach Angaben der UNESCO mehr Telefonanschlüsse als in ganz Afrika. Über die Hälfte der Weltbevölkerung hat fünf Jahre vor der Jahrtausendwende noch nie in ihrem Leben telefoniert, 75 Prozent ist der Umgang mit einem Taschenrechner fremd, ganz zu schweigen von der Benutzung eines Laptops
In einem Land wie Indien ist das Entwicklungsgefälle geradezu idealtypisch ausgeprägt: Während mühsam darum gerungen wird, wenigstens ein normales Telefon in jedem Dorf des über 900 Millionen Einwohner zählenden Subkontinentes zu installieren, verlagern internationale Computerfirmen wie Siemens ihre Softwareproduktion, Finanzinstitute wie die Deutsche Bank und Fluggesellschaften wie die Lufthansa ihre EDV-Dienstleistungen in die Großstädte Delhi, Bombay, Bangalore oder Madras. Hier verdient ein indischer Informatiker in einem Jahr soviel wie sein vergleichbar qualifizierter Kollege in Deutschland oder Nordamerika in einem Monat und gehört dennoch mit seinem Einkommen zu den oberen fünf Prozent. Das Ergebnis seiner Arbeit wird via Standleitung und Satellit in die Netze der Auftraggeber in Europa oder den USA geschickt.
Durch die Schaffung von Technologieparks, in denen sich sämtliche amtlichen Formalitäten und Genehmigungen schnell vor Ort erledigen lassen, wird zwar die entwicklungshemmende staatliche Bürokratie mit Einwilligung der Regierung umgangen, aber auch eine neue „Techno-Kaste“ von" einigen Zehntausenden von Informatikern geschaffen Das durch neue Technologien ermöglichte Verschieben ganzer Produktionsbereiche -wie die Bearbeitung von Daten, Kundenstämmen, Lieferantenadressen, Wechselkursen, Flugdaten und nicht zuletzt Computersoftware -von den Industrie-in die Entwicklungsländer verschärft also bereits heute die sozialen Ungleichheiten in einem Land wie Indien, ganz abgesehen von den Rückwirkungen auf die Gesellschaftsstrukturen in den Industrieländern.
Trotz dieser seit einigen Jahren bereits absehbaren Auswirkungen hatte der damalige Präsident des BDI, Tyll Necker, in seiner Eröffnungsrede zum Welt-Computerkongreß im August 1994 noch darauf verwiesen, daß man bei einem richtigen Einsatz der neuen Informations-und Kommunikationstechnologien nicht nur mehr Informationen erhält, sondern auch mehr Freiheit, einen intensiveren kulturellen Austausch, ein größeres gegenseitiges Verständnis und -weltweit -mehr „Wohlstand für alle“ Nicht zuletzt habe auch der grenzüberschreitende Informationsfluß der Fernsehbilder und Nachrichten zum Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa und der früheren DDR geführt. Der freie Informationsfluß erschwere die Manipulation von Menschen und Meinungen durch politische Machthaber und verbessere gleichzeitig die Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen in einer offenen Gesellschaft.
Das von der Industrie häufig propagierte Argument des freien Informationsflusses, der letztlich demokratiefördernd wirke, wird in der Praxis konterkariert, wenn weltweit agierende Mediengrößen wie Rupert Murdoch dem chinesischen Regime ein „Subskriptions-Managementsystem“ beim Empfang ausländischer Satellitenfernsehprogramme anbieten. Dem Regime wird mit diesem Konzept und der von Murdoch gleich mitgelieferten Technologie ermöglicht, die ausgestrahlten ausländischen Programme zunächst zu überprüfen und nur jene für die Zweitausstrahlung im eigenen Land zuzulassen, die politisch erwünscht sind Auch den zuvor unkontrollierten Informationsaustausch mit dem Ausland von rund 100 000 Chinesen versucht die Regierung u. a. durch die polizeiliche Meldepflicht von Internet-Nutzern möglichst effektiv einzuschränken Was sich am Beispiel der konzentrierten Medien-macht eines Rupert Murdoch zeigt, hat der amerikanische Gesellschaftskritiker Christopher Lasch zutreffend als Verhaltensweise einer neuen globalen Elite, einer „Aristokratie“ des Informationszeitalters bezeichnet Nach Lasch handelt es sich hierbei in den USA um etwa 20 Prozent der Bevölkerung, die zur oberen Mittelschicht gehören und die als einzige in den vergangenen 20 Jahren einen Einkommenszuwachs verzeichnen konnten. Lasch sieht in dieser neuen Elite, die unter anderem das internationale Geldgeschäft und die Informationsströme kontrolliert, eine Gefahr für die Demokratie. Er begründet dies mit der Beobachtung, daß diese „neue Klasse“ offensichtlich den Glauben an das Wertesystem der westlichen Welt verloren hat, was sich durch gesellschaftlich verantwortungsloses Sozialverhalten und Geschäftsgebaren manifestiert. An der Spitze dieser Elite stehen die weltweit ohne nationale, regionale oder nachbarschaftliche Bindungen handelnden Mitglieder eines exklusiven Klubs der Medienkonzerne und multinationalen Unternehmen, deren Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder über die Richtlinien zum Ausbau der Informationsgesellschaft möglichst alleine bestimmen wollen. Von seiten der Regierungen der G-7-Staaten und ihren Beschlüssen zu einer global sozialverträglichen Gestaltung der Informationsgesellschaft zeichnen sich hierfür noch keine Hindernisse ab.
IV. Resümee
Vor diesem Hintergrund informationstechnischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wechselwirkungen lassen sich folgende fünf Thesen formulieren:
These 1
Angesichts der kaum abschätzbaren gesellschaftlichen Folgewirkungen beim Einsatz der computergesteuerten neuen Medien ist die politische Weichenstellung und Koordination in Deutschland auf Bundes-und Landesebene völlig unzureichend. Auch den Oppositionsparteien entgehen die Zeichen der Zeit. Die Beschlüsse und Absichtserklärungen der G-7-Staaten zur Informationsgesellschaft kommen zu spät und sind nicht durchsetzbar.
Es geht schon heute nicht mehr darum, mögliche soziale und gesellschaftliche Auswirkungen der Informationsgesellschaft nur zu erkunden, sondern Sofortmaßnahmen gegen bereits vorhandene Fehlentwicklungen zu ergreifen. Hier beginnt die Aufgabe der Politik. Und wenn diese den Herausforderungen nicht gewachsen ist, so bleibt nur die Hoffnung auf Bürgerinitiativen, Gegenbewegungen nach amerikanischem Vorbild oder eine effektive gesellschaftliche Vertretung der Mediennutzer zur Sensibilisierung der Bevölkerung für die Probleme der neuen Medien.
These 2
Die Gesamtsituation im Bereich computergestützter neuer Medien ist (nicht nur) in Deutschland durch einen Kompetenzmangel bei den Politikern, eine oft jegliche Bedenken beiseiteschiebende Aufbruchstimmung in der Wirtschaft und eine von Befürchtungen über neue Risiken geprägte Grundstimmung in der Bevölkerung gekennzeichnet. Diese Konstellation bei der Einführung neuer Technologien ist in den Wissenschaften bekannt. Um so bedauerlicher ist die Tatsache, daß die langsam einsetzende Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit über den Nutzen und die Risiken der neuen Informations-und Kommunikationstechnologien nicht verstärkt von (kritischen) Wissenschaftlern unterstützt wird. Auch die Politikwissenschaft neigt eher dazu, diese Thematik zu vernachlässigen. Es entsteht der ebenfalls bekannte Eindruck, als ob erst noch weitere Gedankenanstöße und (alarmierende) Erfahrungsberichte aus den USA notwendig wären.
These 3
Die vieldiskutierte Warnung vor einer Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft ist berechtigt. Durch die bestehenden und weiter wachsenden Einkommensdisparitäten in Deutschland und den USA ist dieser Weg aber bereits vorgezeichnet. Es geht im Prinzip nur noch darum, Mindeststandards bei der Beteiligung armer Bevölkerungsschichten an den neuen Technologien zu sichern. Zunächst sollte aber geprüft werden, ob bei der gegenwärtigen Online-Euphorie nicht viel Lärm um nichts gemacht wird. Ein in der täglichen Praxis herausragender Nutzen der neuen Technologien, der über die Verwendung des PC als bessere Schreibmaschine oder Spiele-konsole und der Netze zum kostengünstigen elektronischen Briefverkehr oder zur ersten (wissenschaftlichen) Recherche hinausgeht, ist derzeit nicht erkennbar. Außerdem zeigt sich, daß trotz ständig verbesserter Möglichkeiten des Zugangs zu Informationen generell kein wach sender Informations-und Wissensstand der Bevölkerung zu verzeichnen ist.
These 4
Die globalen Auswirkungen beim Einsatz der neuen Medien zeigen bereits ein weiteres Auseinanderfallen zwischen reichen Industrieländern und dem Rest der Welt. Der Vorsprung an Technologie und Infrastruktur in den Industrieländern ist für die „Informationshabenichtse“ nicht mehr aufholbar. Das Beispiel Indien verdeutlicht den doppelten gesellschaftlichen Schaden eines raschen Anschlusses an das Informationszeitalter durch die Schaffung einer neuen Informatiker-„Kaste“ vor Ort bei gleichzeitiger Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen in den Industrieländern. Hinzu kommt die Entstehung einer weltweit operierenden „Aristokratie des Informationszeitalters“, die -losgelöst von staatlichen Gesetzen, demokratischen Ordnungsvorstellungen und Sozialsystemen -die Richtlinien zum Ausbau der globalen Informationsgesellschaft derzeit weitgehend alleine bestimmen kann.
These 5
Der Ausbau der nationalen und globalen Informationsgesellschaft ist nicht mehr aufzuhalten. Wie sich Demokratie unter diesen neuen Rahmenbedingungen gestalten und wahren läßt, ist eine derzeit offene Frage. Angesichts der Hilflosigkeit der Politik wird der Bürger in Zukunft deutlich mehr Eigeninitiative zur Wahrung und Verwirklichung seiner Interessen aufbringen müssen. Dazu wird es neuer Organisationsformen der politischen Willensbildung und Interessenvertretung bedürfen. Eine besondere Verantwortung kommt in diesem Zusammenhang der politischen Bildung zu, die sich verstärkt als kritische Medienerziehung verstehen muß, ohne die positiven Aspekte der Informationsgesellschaft zu schmälern.