I. Soziale und theoretische Realitäten
Die Berichterstattung zum Internationalen Frauenjahr 1996 war in den Printmedien weder kämpferisch noch aufbrechend, noch hoffnungsvoll. Im Gegenteil: Neben den Mitteilungen über die weltweit vorhandene Gewalt gegen Frauen, Arbeitsplatzverlust und weibliche Armut fanden sich auch viele Klagen über die Abwesenheit des politischen Subjekts „Frauenbewegung“, das mutig und ermutigend gegen solche Skandale auftritt.
Der Kampf um die geschlechtliche Quotierung von Arbeitsplätzen wurde europaweit verloren, die weltumspannenden Kapitalmengen sind weiter in männlicher Hand, die Kontrolle über weltweit operierende Unternehmen wird überwiegend von Männern ausgeübt. Der Gewinn, den Männer aus den tradierten Geschlechterarrangements ziehen, wird verdeckt, indem „Unterschiede von Lohn und Einkommen . .. nahezu immer dadurch belegt [werden], daß man die Frauenquoten als einen Prozentsatz der Männerquoten darstellt, anstatt die Männerquoten als Prozentsatz der Frauenquoten aufzuzeigen“ Wie hoch ist die „patriarchalische Dividende“ (Robert Connell) im letzten Jahr gewesen? Und wird diese Frage nicht zynisch, wenn man bedenkt, daß Massenarbeitslosigkeit vorherrscht, von der natürlich auch Männer betroffen sind?
Als „abgekoppelt“ von sozialer Realität qualifiziert Gabriele Mittag feministische Theorie. Und sie bezieht sich auf die in der Bundesrepublik unter Feministinnen breit diskutierten Theorien von Judith Butler Gott war schon tot, der Sozialismus gerade gestorben, der durch die Aufklärung begründete Begriff des „Subjekts“ zutiefst fragwürdig geworden -und nun der neue Ruf: Das Geschlecht ist tot! Dahinter steht der Gedanke, daß das Geschlecht letztlich Teil einer zu verabschiedenden Subjekts-Konstruktion ist, die auf der Heterosexualität basiert.
Feministische Theorie und Praxis existieren gegenwärtig in keinem engen Verhältnis zueinander. Ich werde im ersten Teil meines Beitrages nach einer Bestandsaufnahme einen Vorschlag formulieren, der dies als Problem behandelt und die entsprechenden Gefahren benennt. Der zweite Teil ist einem Phänomen gewidmet, das seit geraumer Zeit auch in der Bundesrepublik die Diskussionen um soziale Fragen beherrscht; ich nenne es Anti-Political-Correctness, also die Freiheit, politisch „unkorrekt“ zu sprechen. Diejenigen, die die Debatte gestalten, nennen es Political Correctness (PC). So wurde in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erkannt: „PC... ist eine Sache von Minderheiten, in den Vereinigten Staaten also vor allem eine Angelegenheit der Schwarzen und anderer ethnischer Gruppen. Aber Deutschland ist kein Vielvölkerstaat, zumindest noch nicht, und deshalb wurde Political Correctness, seitdem sie auch bei uns in Mode gekommen ist, zum Reservat der Frauen.“ Ein Reservat ist ein Sonderrecht oder Vorbehalt, kann aber auch ein Großraumgehege zum Schutz bedrohter Tierarten bezeichnen.
Die Diskreditierung von „Frauenforderungen“ ist in diesem Begriff immer mitlesbar. Und zwar vor der Zurkenntnisnahme ihrer Inhalte. Sie ist insofern sexistisch.
Dies ist der Vorgang, den ich „Kulturisierung von Politik“ nenne: die Eröffnung von Moralfeldern, auf denen dann beklagt wird, es werde moralisch argumentiert. „Kein Politiker, der eine Versammlung noch mit , Liebe Mitbürger anreden könnte im Vertrauen auf die alte Übereinkunft, daß damit alle anwesenden Personen gleich welchen Geschlechts gemeint seien . ..; heute hat er, wenn er nicht als Sexist unwählbar sein will , Liebe Mit-bürgerinnen und Mitbürger zu sagen.“ Der letzte Satz unterstellt, daß der Sexismus praktisch -in der Wirklichkeit -schon abgeschafft sei (denn schließlich gelte der Redner allgemein als unwählbar) und offenbar nur noch -als Rest -in der Sprache hause. Diejenigen, die für neue Sprachregelungen auftreten, versuchen verzweifelt das Gedächtnis wachzuhalten für die sozialen Ungleichheiten dieser Gesellschaft; sie werden von ihren Gegnern als „Gedankenpolizei“ und Feinde der Freiheit bezeichnet.
II. Parteien und Bewegungen
Aber wie läßt sich die „politische Lage“ in dieser Republik charakterisieren? Parlamentarische Politik zeigt sich in der Bundesrepublik als Abwesenheit der Behandlung von Regelungstätigkeiten; all-überall findet sich politisches Versagen in Krisengebieten und das Inkrafttreten von militärischen „Lösungen“. Politik, politisches Handeln ist durch die Häufung von Versagen diskreditiert. Die „Volksparteien“ sind als politische Form geschwächt. Bewegungspolitik -das war einmal die andere Seite der Delegation allgemeiner Angelegenheiten, das war der Versuch, tatsächlich ein Stück Staat in die Gesellschaft zurückzuholen, indem wir versuchten, politisch handlungsfähig zu werden. Die zugrundeliegende Idee war einfach: Wir können nur über uns selbst verfügen, wenn wir die Verhältnisse regulieren, die uns regieren. Dieser einfache Satz ist heute umstellt von Problemen, die fast immer mit der Alternative Leben oder (ökologischer) Tod zu tun haben, und er droht deshalb, ob der vielen gesellschaftlichen Falschheiten, selbst unwahr zu werden. An den sozialen Bewegungen partizipieren immer weniger Menschen.
Ich halte trotzdem das Ziel der selbstbestimmten Selbsttätigkeit historisch nicht für widerlegt, sondern nur die Formen, in denen wir versuchten, es wirklich(er) werden zu lassen. Nach meiner Ansicht ist die Zeit für das Bedenken neuer politischer Formen „reif“, weil die Abwesenheit einer sichtbaren Frauenbewegung auch viel -auf der der Öffentlichkeit abgewandten Seite -Leid, Bedrohung, Unterdrückung bringt. Und weil diese Abwesenheit vor allem dazu beiträgt, daß tradierte Verhaltens-und Lebensmuster hinterrücks wieder installiert werden können, da Alternativen kaum noch öffentlich wahrnehmbar sind.
III. Politik und Feminismus: Wer provoziert wen?
Fordert Politik Feminismus heraus? Oder müßte es vielmehr für die Politik heißen: Provokation Feminismus? Was im ersteren Fall passieren kann, ist in einem von Oskar Negt herausgegebenen Sammelband unter dem hoffnungsvollen Titel „Die zweite Gesellschaftsreform“ nachzulesen. Negt versammelt Autorinnen und Autoren, die seines Erachtens „einen wichtigen politischen Orientierungskontext ... schaffen, der Kernstück einer neuen Gesellschaftsreform sein könnte“ Die Hauptaufgabe von Intellektuellen, „die den Eigensinn ihres Denkens durchaus mit Eingriff und Entscheidung zu verknüpfen bereit sind, (besteht) im wesentlichen darin, die wachsenden Bereiche unterschlagener Wirklichkeit aufzudecken“ So tatkräftig sich das Intellektuellen-Konzept zunächst liest, es hatte für die Beiträge der Feministinnen in diesem Buch überwiegend den Effekt, die Politik der Forderungen an den Staat beizubehalten. Politik im vorstaatlichen, also zivilgesellschaftlichen Raum bleibt ausgeblendet.
Der zweite Effekt betrifft die sofort einsetzenden Phantasieeinschränkungen: Behandelt findet sich in den Texten das „Machbare“, das Pragmatische. So schreiben Regina Becker-Schmidt und Irene Dölling: „Wir fordern eine Politik, die eine umfassende Demokratisierung des Geschlechterverhältnisses zum Ziel hat.“ Als zentrales Problem erkennen sie die „Hierarchisierung der gesellschaftlichen Sphären -vor allem die Dominanz des Erwerbsbereichs gegenüber der Institution Familie“ Im Zuge des Nachdenkens über machbare Politik von oben verliert sich so der Zugriff auf Herrschaftsinstanzen. Die Familie wird seit Beginn der siebziger Jahre von Feministinnen als zentrale patriarchale Herrschaftsform bekämpft, als „Brutstätte von Sexualität“ (Foucault), als Reproduktionsort des sozialen Geschlechts (gen-der). Christine Morgenrot spricht in ihrem Beitrag ebenfalls bloß noch von der „Asymmetrie im Geschlechterverhältnis“ „Die Thematisierung des Geschlechterverhältnisses kann nicht mehr ausschließlich Sache der Frauen sein. Männer sind ebenso gefordert, zu der Herstellung von Symmetrie und Gleichheit im Verhältnis der Geschlechter beizutragen.“ Diese Forderung ist Resultat einer theoretisch nicht weiter reflektierten Verschiebung: Die Thematisierung der Geschlechter-Verhältnisse muß natürlich zweigeschlechtlich erfolgen, aber die Thematisierung von Frauenunterwerfung ist nicht ohne Umstände an Männer delegierbar. Die Thesen der Autorinnen sind -in entschärftem Vokabular -die seit 25 Jahren bekannten: die Gleichheit oder Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und generativer wie reproduktiver Praxis.
Nach diesen Beiträgen kann nur der Eindruck entstehen, daß, wenn feministische Theorie auf das Feld der Staatspolitik gebracht wird, sie sich zu Forderungen verflacht, die ohne Theorie ebenfalls möglich gewesen wären. Dies liegt daran, daß die Antworten delegiert werden; die Regierung wird aufgefordert, etwas zu tun. Der fehlende Rückgriff auf eine erneuerte, eine sich erneuernde Frauen-bewegung, die als politische Kraft, im Kraftfeld des Politischen etwas zu bewegen sucht, verharmlost die feministischen Forderungen zu einem allseits bekannten Beiwerk. Daß aktuelle gesellschaftliche Zerrissenheiten durch die Geschlechterverhältnisse mitkonstituiert sind und insofern Reformen in der Geschlechter-Anordnung gesamtgesellschaftliche Reformen wären, hätte die feministischen theoretischen Diskussionen auf eine politische Ebene heben können. So aber muß ich meine Eingangsfrage verneinen: Die Politik fordert den Feminismus nicht heraus. In den herrschenden Politikformen denken zu müssen bedeutet, den Gehalt, den Widersinn, den Eigensinn, das Listige, das Wandelnde des Feminismus zu , entnennen’.
Bleibt die zweite Frage, ob Feminismus die Politik herausfordern kann. Darauf ist keine endgültige Antwort zu geben, aber die Lehren der Vergangenheit bestimmen die Überlegungen für die Bedingungen eines möglichen „Ja“. So teilt sich mein Beitrag in den Versuch einer knappen Bestandsaufnahme über das Wechselverhältnis feministischer Theorien und politischer Praxis und den Vorschlag, die aktuellen Anti-PC-Diskussionen auch als ein Resultat der konservativen Hegemonie zu analysieren.
IV. Feminismus in Staat und Bewegung
In der Geschichte der neuen Frauenbewegung spielt das Verhältnis von Selbstveränderung und Gesellschaftsveränderung eine große, wenn nicht die zentrale Rolle. Es reichte nicht aus, die objektiven Bedingungen der Gleichstellung, wie den verbesserten Zugang zu den (Aus-) Bildungschancen, die Möglichkeit ökonomischer Unabhängigkeit usw., zu erstreiten. Wir lernten früh, daß mit den Selbstbehinderungen ebeno stark gerechnet werden mußte wie mit den Fremdbehinderungen. Während letztere jedoch als Skandal, als Herrschaft kritisiert und politisiert werden konnten, fielen die Selbstbehinderungen in den quasi-privaten Bereich der individuellen Persönlichkeit. Der bekannte Slogan „Das Persönliche ist politisch“ ist deshalb auch als ein Versuch zu verstehen, den individuellen Entwicklungsbehinderungen einen gesellschaftlichen Status zuzuweisen.
Die praktischen Antworten der Frauenbewegung auf derartige individuelle Entwicklungsfragen betonten zu Beginn die Gleichheit unter Frauen. Die Selbsterfahrungsgruppen wurden über die gleiche schlechte Lage, die Gleichheit der Erfahrungen, die Gleichheit im Leiden und in den Hoffnungen zum solidarisierenden Moment. Die Empfindung von Gleichheit beinhaltete die Politisierung der gesellschaftlichen Ungleichheit und egalisierte die Frauen untereinander. Daß Frauen sich überhaupt mit Ernst und Anteilnahme wahr-nahmen, war ein erster Schritt aus der Vereinzelung. Eine positive Dimension der unterstellten Gleichheit war, daß traditionelle Arbeitsteilungen durchkreuzt wurden: Wissenschaftlerinnen arbeiteten in der Bewegung und für sie; es galt, das Wissen weiterzuvermitteln, Feminismus in Kompetenz zu übersetzen, die erwerbbar ist. Große Teile der Frauenbewegung konstituierten sich als Lernbewegung. Durch die Aneignung wissenschaftlicher Erkenntnisse konnte eine zentrale Bedingung für jedwede Befreiung bereitet werden: die Distanz zu den gesellschaftlichen/sozialen Formen, in denen Beherrschung stattfindet. Die großen Berliner Frauen-Sommerunis zählen ebenso dazu wie die Konferenzen, die Frauen aus höchst unterschiedlichen Bereichen zusammenbrachten, die gegründeten Bildungseinrichtungen und politischen Organisationen, in denen Feminismus gelernt werden konnte. Insofern kann man vielleicht zusammenfassend sagen, daß die Frauenbewegung jener Ortwar, wo Frauen die Erfahrungen in der Realität in Wissen über die Realität verwandeln konnten.
Der Gleichheitsgedanke war jedoch nicht bloß beflügelnd, er wurde zu beschwerendem Blei und erschöpfte sich in Wiederholungen. In den weiblichen Erfahrungen das Gleiche zu suchen, enthielt die Unmöglichkeit der Entdeckung von Alternativen. Dies aber ist das zentrale Motiv jeder Befreiungsbewegung. Die Reformulierung des Gedankens des Unterdrücktwerdens suchte anstelle des Behandeltwerdens von Frauen das Handeln ins Zentrum zu rücken.
Seit Beginn der achtziger Jahre ist eine Verstaatlichung der Frauenfragen wahrnehmbar, der es vor allem gelang, aus politisch-sozialen Problemen solche einer moralischen Ordnung zu machen Die Verstaatlichung trat auf im Gewand ihres Gegenteils: als Anti-Staats-Diskurs. Der Schutz der Privatsphäre wurde gegen den „Imperialismus von Öffentlichkeit“ gestellt. Heute, nach zwölf Jah\ konservativ-liberaler Regierungstätigkeit in der Bundesrepublik, müssen wir leider feststellen, daß diese Umbauprojekte Wirklichkeit wurden. Feministische Aktivitäten in der Zivilgesellschaft, Organisationen, Publikationen, Verlage und Kampagnen mit breiter Wirkung, sind weniger und weniger geworden.
Auf der Seite der Wissenschaften finden wir eine Professionalisierung der sogenannten Frauenforschung, die überwiegend die Bedienung der alten Arbeitsteilung -hier Wissenschaft, dort Politik -einschließt. Die wissenschaftlich erarbeiteten gesellschaftlichen Alternativen dringen nur noch sporadisch in die Restbestände der Bewegung außerhalb von Institutionen ein. Es gibt eine Spezialistinnenkultur, die die Laien -die zuvor die Kundigen (nicht wissenschaftlich Wissenden) ihrer Unterdrückung/Unterwerfung waren -ausgrenzt. Alternative Öffentlichkeiten sind überwiegend verschwunden. Wir finden eine klassische staatliche „Frauenpolitik“, eine klassische universitär institutionalisierte Frauenforschung und mehr oder minder in Nischen stattfindende Selbstveränderungspraxen. Die Alternativen einer weiblichen Biographie werden öffentlich artikuliert als „neue“ Vereinbarkeit von biologischen, sozialen und -seltener -gesellschaftlichen Aufgaben. Die Fragen nach einem sinnvollen und herrschaftsfreien Leben, und wie es erkämpft werden kann, sind aus den öffentlichen Diskussionen überwiegend verbannt.
Auf diese Situation antwortete -gewollt oder ungewollt -der sogenannte Differenzfeminismus, in dem die Unterschiede unter Frauen und zwischen Frauen und Männern stark gemacht werden. Er wird flankiert von der Kritik schwarzer Feministinnen, die die falschen Universalismen des „weißen Mittelklassefeminismus“ in Frage stellen. Die Familienform -seit den siebziger Jahren von Feministinnen wie Shulamith Firestone und Kate Millett als notwendig zu stürzende begriffen -wurde von schwarzen Feministinnen, vor allem in Großbritannien, nicht als die zentrale Herrschaftsform bestimmt. Der notwendige Streit hat es jedoch nicht ermöglicht, neue Politik-und Arbeitsformen zu gestalten, in denen aus universalen Aufklärungskategorien plural eingreifende werden konnten.
Die Verunsicherung über verallgemeinernde Befreiungsvorstellungen, überhaupt über die Möglichkeit, theoretisierend über das Geschlecht „Frau“ Aussagen zu machen, verstärkte sich zu Beginn der neunziger Jahre, als die Vorschläge des sogenannten Poststrukturalismus -und hier vor allem von Judith Butler -auch in der Bundesrepublik aufgegriffen wurden. Seit Ende der achtziger Jahre verwandelte sich an den nordamerikanischen und australischen Universitäten die „Frauenforschung“ in „Geschlechterforschung“ {gender studies). Die institutionellen Voraussetzungen für die Entknüpfung von Frauenforschung und den Kämpfen gegen Frauenunterdrückung und -Unterwerfung, deren Zusammenhang zuvor die Begründung von wissenschaftlichen Gesellschaftsanalysen abgegeben hatte, waren somit gegeben. Aus dem Herrschaftsverhältnis, das die Geschlechterverhältnisse auszeichnet, wurde ein interessanter Untersuchungsgegenstand: gender. Wir finden anstelle ineinandergreifender Prozesse von Herrschaftsanalyse und Herrschaftsbekämpfung voneinander abgeschottete Bereiche, in denen die von der jeweils „anderen Seite“ bereitgestellten Werkzeuge ignoriert werden.
Die neuen Haltungen bei den nachwachsenden Generationen treffen -wenn überhaupt -auf eine Frauenbewegung, die sich seit Beginn der achtziger Jahre überwiegend in sogenannten „one-issuemovements" organisiert; zugenommen haben die sich über Teilidentitäten herstellenden Gruppen: Lesben-, Anti-Männergewalt-Zusammenschlüsse, Frauenforscherinnen und feministische Wissenschaftlerinnen usw.; zurückgegangen sind die unmittelbar politischen Aktionen und Aktivitäten.Die theoretischen Erklärungsmuster für die erlebte Wirklichkeit wurden und werden in der Frauenforschung weniger in kritisch theoretischen Ansätzen gesucht als in postmodernen und poststrukturalistischen. Die Repräsentation von Sexualität, die Untersuchung von gender, das Präsent-Machen des Anderen und die Verneinung des Begriffs „Frau“ als zulässiges Fundament für die Frauenbewegung sowie die objektive Erschöpfung des Politischen unter Reagan, Thatcher und Kohl erleichterten die Stigmatisierung des Politischen als langweilig und brachen eine Lanze für „Diskurs-Politik“.
V. Umbau und Spaltung
Im Resultat ist die von der konservativ-liberalen Regierung 1982 angestrebte „moralische Wende“ Wirklichkeit geworden. Nicht aber „bloß“ als Wiedererstarken der sogenannten „Sekundärtugenden“, sondern als Umgruppierung der auf dem politischen Feld versammelten Elemente. Der von Margaret Thatcher formulierte Satz, sie kenne nur noch Individuen und Familien, aber keine Gesellschaft, findet sein Echo auch in der Bundesrepublik. Diese Privatisierung allgemeiner Angelegenheiten unterstützt die Moralisierung gesellschaftspolitischer Themen. Anstelle der menschlichen Interessen wurden die „Kräfte des (Welt-) Marktes“ als neuer alter Hoffnungsträger stark gemacht. Wenn also die wesentlichen Belange einer Sozialform -ihre ökonomischen Grundlagen -delegiert wurden, bleiben noch die restmenschlichen: Gleichheit und Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität. Um ihre konkrete Auffüllung wird diskursiv gestritten. Wenn aber die feministischen Fragen und Forderungen innerhalb der Staatspolitik absorbiert wurden und also nirgendwo wesentlich weitergeführt werden und gleichzeitig die starken „Kräfte des Marktes“ den schwachen Kräften der politischen Subjekte alltäglich ihre Macht und ihren Willen aufzwingen (wie dies im Augenblick im „Bündnis für Arbeit“ deutlich wird), entsteht eine brisante und gefährliche Situation. Die Privatisierung allgemeiner Angelegenheiten -die im soziologischen Jargon verharmlosend „Individualisierung“ genannt wird -treibt die engstirnigen und dennoch berechtigten Interessen unmittelbar gegeneinander. Die Planlosigkeit und Unberechenbarkeit des Marktes drücken sich den privatisierten Lebensinteressen als Bewegungsform auf. Diskurspolitik, wie wir sie im Augenblick als Political Correctness vorfinden, ist ein Medium für diese Tendenzen. Anti-PC unterstellt einen Common sense, der Frauen, aber auch Minderheiten (Ethnien, Homosexuellen, Lesben) einen Gleichheitsanspruch einräumt, also eine Art feministischen und linken Grundkonsens. Dieser Konsens wird als gesellschaftliches Tabu behauptet und dann in Frage gestellt. Der Tabubruch ist selbstverständlich immer Tat eines Einzelkämpfers, der sich mutig gegen einen „linken Mehrheitsdiskurs“ stellt. Aus dem Gleichheitsanspruch wird jetzt das „Spiel der freien individuellen Kräfte“, die sich messen. Die Betonung liegt auf „frei“, z. B.frei von geschichtlichen Gewordenheiten (wie das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Frage der geschlechtlichen Quotierung von Arbeitsplätzen gezeigt hat), frei von gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen (wie sie gegen Frauen, aber auch gegen Ethnien und Minderheiten wirksam sind) und auch frei von jeglichem Gruppendenken, das ja als veraltet nicht in die „neue Zeit“ mitgenommen werden soll.
VI. Kulturisierung von Politik
Die „linguistische Wende“, die die Bedeutung der sprachlichen und diskursiven Vermittlung von Wirklichkeit ins Zentrum rückte, half mit, ein bestimmtes Unmittelbarkeitsdenken fragwürdig werden zu lassen: Sinn liegt nicht „einfach“ in den Dingen, sondern ergibt sich durch eine bestimmte repräsentierende Anordnung. Dem Be-und , Entnennen kommt innerhalb dieser Sichtweise der Charakter von Wirklichkeitsproduktion und Wirklichkeitsveränderung zu. Wenn alle Menschen nicht-sexistisch sprechen, stirbt der Sexismus.
Der britische Soziologe Stuart Hall berichtet, wie er Mitte der achtziger Jahre vor einem Vortrag an einer US-amerikanischen Universität von Freunden gebeten wurde, seine Rede zu kontrollieren, da nach der Wahl Reagans die Universitäten Ausschüsse eingerichtet hatten, die Redner überwachten und in Vorlesungen alles mitschrieben, wafe die Verfassung „untergraben“ konnte. „An dieser Stelle war political correctness eindeutig fester Bestandteil der achtziger Jahre gegen die sechziger Jahre.“ Die Freiheit der Rede, die offenbar als gefährlich galt, wurde unter die Obhut der herr-sehenden Interpretation der Verfassung genommen. In den neunziger Jahren veränderte sich die Bedeutung von PC in dem zuvor beschriebenen Sinn und wurde Anti-PC. Darin geht es um die Wiederherstellung von eingeschränkt geglaubter Redefreiheit. PC gilt als das neue Gespenst, das in Deutschland umhergeht. Dem nach 1989 behaupteten utopielosen Zeitalter tritt es mit dem Gespenster eigenen und von Kindern betriebenen „Weg-Da-Spiel" entgegen. Es ist also als Erscheinung selbst kaum so bedeutend wie die Macht-agenturen, die es als weg oder da behaupten.
Im Zuge einer Ent-„Tabuisierung“ aller auf mehr soziale Gerechtigkeit gerichteten Forderungen, der offensiven Militarisierung der Gesellschaft (und der Re-Tabuisierung von Pazifismus als weltabgewandte Pseudounschuld), des „sozialen Friedens“, der in schlechten ökonomischen Zeiten hinter den „Standort Deutschland“ (übrigens: ein Begriff aus dem Militärjargon) zurückgelassen werden müsse, können PC-verdächtige Personen nur Dogmen-Hüterlnnen oder Ewig-Gestrige oder Ignorantinnen sein. Die Diskussion der sogenannten „Individualisierungsthese“, deren Kernaussagen sich um eine zunehmende Deformalisierung von Lebensläufen und veränderte gesellschaftliche Integrationsmechanismen focussieren, untermauert die Vermutung noch, daß PC eine Erfindung von antimodernen, kollektividentisch orientierten Übriggebliebenen ist.
Gestärkt durch das Allgemeinwerden „allgemeiner“ Marktgesetze wird behauptet, daß die Bedingungen der Selbstartikulation von Frauen und anderer gesellschaftlich marginalisierter Gruppen nunmehr „gleich“ seien, d. h., daß sie den gleichen „Wettbewerbsbedingungen“ unterworfen werden könnten. Ein „Zuviel“ an Gleichheit könnte die „Freiheit“ bedrohen. Eine Frauen-Quote? Wozu? Wenn Frauen doch die gleichen Ausbildungsmöglichkeiten erhalten, wenn sie jetzt wählen können, was sie aus sich machen wollen, wenn sie doch nicht mehr mit Verordnungen vom Markt der Möglichkeiten abgehalten werden? Es ist der alte bürgerliche Voluntarismus, der im Gewand der behaupteten Gleichheit die Freiheit höher als alles zu schätzen weiß. Wen kümmern die Fakten der niedrigen Ebenen, die die Realität der Gleichheit nicht hergeben können?
Zustimmung zum Bestehenden wird über die Moral eingeholt; so ist es nicht verwunderlich, daß nicht der Ausschluß von Frauen aus Machtpositionen oder das hohe Ausmaß von Frauenerwerbslosigkeit Wellen in den Medien schlagen, sondern der Gesetzentwurf gegen die „sexuelle Belästigung“ am Arbeitsplatz. Politisch korrektes Verhalten gegenüber Frauen sei, sie nicht am Arbeitsplatz sexuell zu belästigen. Mit freiem Willen ausgestattet, erlaubt sich die hegemoniale Männlichkeit die fürsorgliche Geste, das Weib vor sich zu schützen. In der öffentlichen Diskussion sind Kommentare wie der folgende erstens häufig zu finden und zweitens in anderer Weise fürsorglich, weniger selbst-bezogen: Es gilt, Frauen vor den Dogmen von Feministinnen zu schützen: „Daß es Frauenfeindlichkeit gibt und daß es sie besser nicht gäbe, steht außer Zweifel. Doch läßt sie sich verbieten? Wo beginnt sie? Darf eine hochsensible Minderheit der weiblichen Mehrheit ihre Geschmacksgrenzen, ihre Sexualmoral aufzwingen -um dann mit ihr im Schlepptau das Zeitalter der Tugend auszurufen?“ Die gesellschaftliche Unterwerfung von Frauen wird zugunsten einer subjektiv empfindbaren Feindschaft, also eines persönlichen Verhältnisses, unsichtbar gemacht; das Zitat legt nahe, daß die eigentliche Macht von Feministinnen ausgehe; die „vierte Gewalt“ sieht sich herausgefordert, sie zu kontrollieren.
Im östlichen Teil dieses Landes wird PC überwiegend als „politischer Opportunismus“, als „vorauseilender Gehorsam“ verstanden Nur weil die Kulturen nicht miteinander verkehren, bleibt unauffällig, daß die westliche Anti-PC das Aufbegehren verachtet wie die östliche die Unterwerfung. Es ist wahr: Die Anti-PC richtet sich zwar nicht gegen Frauen, aber gegen Feminismus und Feministinnen. Und was theoretisch so ernst genommen wird: die Macht von Sprache bei der Wirklichkeitsgestaltung, erfährt politisch eine Verfolgung, sobald auf dem Terrain Frauen auftreten, die an die angestrebte Gleichheit erinnern. Der Soziologe W. Engler schreibt: „Die Ostfrauen durften lernen, sich endlich wie richtige Frauen zu verhalten, und das hieß zunächst einmal, ordentliches Deutsch zu sprechen, mit großem I.“ Der Vordenker der intellektuellen Rechten, Zitelmann, erkennt im Feminismus sogar Universalitätsansprüche: „Der Marxismus hat kaum noch Attraktivität, aber im Feminismus ist eine neue Ideologie mit dem utopischen Anspruch auf die Schaffung eines , neuen Menschen’ entstanden. Es wäre falsch, im Feminismus eine nur auf Frauen beschränkte Ideologie zu sehen.“ Die antifeministische Gliederung der Anti-PC ist Ergebnis der Erkenntnis der Neuen Rechten, „daß das politische Spiel häufig auf dem Feld der Fragen von Moral und Sexualität gewonnen oder verloren wird“
Karsta Frank hat in einer Analyse der PC-Diskurse herausgearbeitet, daß die kulturell noch unmöglichen Behauptungen „Feminismus ist Inquisition“ oder die „Linke fungiert als Gedankenpolizei“ ersetzt wurden durch das Wort PC. Der Anti-PC-Diskurs zeige, „daß die Kritik der Methode die Auseinandersetzung mit den Inhalten ersetzt, das kritische Urteil aber für beides, für Inhalt und Methode, gilt“
VII. Widersprechende soziale Realitäten
Die US-amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild hat bei ihrem Studium von Ratgebern für Frauen herausgearbeitet, daß Frauen zunehmend Planung und Berechnung in Beziehungs-Liebes-Sexfragen anempfohlen wird. „Man dient uns an, unser Vertrauen ausschließlich auf die ausgedünnte und professionalisierte Zuwendung des Experten einmal pro Woche zu setzen.“ Sie erkennt einen zunehmend gleichgeschlechtlichen Gefühlscode, der auf dem alten Code der Männer basiere. Von ihr stammt auch der Ausspruch, daß Töchter heute ihren Müttern nicht einmal mehr ähnlich sähen, Väter und Söhne hingegen kaum auseinanderzuhalten seien. Gesellen wir noch eine Statistik hinzu: 60 Prozent aller Dozentinnen in dieser Republik sind geschieden. Ganze vier Prozent der Dozenten können das von sich behaupten. Spekulativ können wir dann das folgende Bild probehalber entwickeln: Die sozialen Realitäten arbeiten schon selbst -ganz theorielos -daran, das Geschlecht abzuschaffen, indem sie das, was gerade mal 200 Jahre alt ist, nämlich die absolute Geschlechterdifferenz, auf dem männlichen Niveau nivellieren. Ähnlich wie vor dem Zwei-Geschlechter-Modell gehen wir wieder auf ein -allerdings ziemlich modifiziertes -Ein-Gechlecht-Modell zu: Frauen sind Männer, nur anders.
Was analytisch betrachtet auch als Niederlage gesehen werden kann, zeigt sich als dessen Gegenteil: Frauen verändern sich, an den Generationen-abfolgen ist es sichtbar. Da Männer das beharrende Moment im Geschehen sind, langsam, wenig entwickelt und vor allem nicht bereit, geschlechtliche Gegebenheiten selbsttätig voranzutreiben, könnte der Fortschritt darin enden, daß Frauen dieses unterentwickelte Niveau erreichen. Gleichwohl sind sie -zumindest in privilegierten Berufen -nicht bereit, alltäglich mit solcher Armut zusammenzuleben.
Hoffnungsvoll stimmt auch, daß Männer -arbeiten sie auch noch so privilegiert -mit diesen Frauen nicht „fertig werden“: „Beziehung und Familie werden weniger als Ort der Geborgenheit denn als Stress erzeugend wahrgenommen.“ Spitzen wir diese Entwicklung unverschämt zu, ergibt sich, daß der Kapitalismus seine zentrale heterosexuelle Instanz: Ehe (Familie) „irgendwie“ selbst zerstört -wenn Frauen seine Angebote wahrnehmen. Offen bleibt, ob sie dann als „Frauen“ weiterleben oder ob es gelingt, die Ketten des „Geschlechts“ gleich mit zu zerstören. Bleibt also die Frage: Was kann feministische Politik auf solchen Feldern sein?