Kultur und Kulturpolitik hatten in der DDR einen hohen Stellenwert. Davon zeugen nicht zuletzt repräsentative Selbstdarstellungen der DDR. Mit Blick auf die „Entwicklung der sozialistischen Menschengemeinschaft“ wurde die Kulturförderung sogar in der Verfassung von 1968 festgeschrieben Und unter dem Stichwort „Kultur“ im „Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie“ ist vermerkt: Der SED-Staat „lenkt den Prozeß der kulturellen Entwicklung planmäßig als Teil der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft“ Unter Berufung auf Lenins Schrift „Parteiorganisation und Parteiliteratur“ wurde die Kultur zur Parteilichkeit’ verpflichtet.
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß die Kulturschaffenden in der DDR die besondere Aufmerksamkeit der Staats-und Parteiorgane erfuhren.
Parteiliche’ Mitglieder des Schriftstellerverbandes genossen finanzielle Begünstigungen und andere Privilegien wie West-Reisen oder West-Autos. Entsprechend groß war das Mißtrauen der Literatur-Wächter gegenüber jeder ideologischen Abweichung. Es kam zu einer die Geschichte der DDR begleitenden Reihe von Konflikten, die mit unterschiedlicher Schärfe ausgetragen wurden. Nur einige Beispiele:
Auf Geheiß der Regierung muß 1951 der Text der „Lukullus“ -Oper von Brecht/Dessau geändert werden; 1962 wird Peter Hüchel als Chefredakteur von „Sinn und Form“ entlassen, nachdem er auch westliche Autoren zu Wort kommen läßt; „Die wunderbaren Jahre“ bringen Reiner Kunze 1976 den Ausschluß aus dem Schriftstellerverband ein; Stefan Heym wird 1979 zu einer Geldstrafe wegen Devisenvergehens verurteilt, nachdem er seinen „Collin“ in der Bundesrepublik herausbringt; und die Auslassungspunkte in der DDR-Ausgabe der „Kassandra“ -Vorlesungen Christa Wolfs zeugen 1983 vom Kampf mit der Zensur. Im „Fall Bier-mann“ aber kulminiert der Reglementierungsanspruch der SED bzw.der DDR gegenüber Schriftstellern und anderen Intellektuellen. Die Ausbürgerung Wolf Biermanns im Jahr 1976 stellt die radikalste Form der Zensur dar. Für das Verhältnis der Intellektuellen zum DDR-Staat hat sie weitreichende Bedeutung: Auf beiden Seiten setzt ein Identitäsverlust ein, der zur Auflösung der DDR beiträgt. Der „Fall Biermann“ bildet daher ein wichtiges Kapitel der deutschen Geschichte. Er zeigt mit der Schärfe eines Extremfalls, wie die DDR mit „ihren“ Intellektuellen umgegangen und die Konfrontation bis zur Unkontrollierbarkeit eskaliert ist.
I. Biermanns Eintritt in die Öffentlichkeit
Wolf Biermann, der aus einem kommunistischen Elternhaus kommt und dessen Vater von den Nazis ermordet worden ist, verläßt 1953 als 16jähriger seine Heimatstadt Hamburg und siedelt in die DDR über. Nach dem Abitur studiert Bier-mann zunächst Ökonomie, wird für zwei Jahre Regieassistent am Berliner Ensemble und studiert dann wieder, diesmal Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität. 1961/62 will er sein Stück „Berliner Brautgang“ auf die Bretter des selbstgegründeten b. a. t., des Berliner Arbeiter-und Studententheaters, bringen. Prompt erregt das Stück um eine ost-westliche Liebesgeschichte das Mißfallen der Behörden, und das ganze Theater muß schließen. Als Stephan Hermlin als Sekretär der Sektion Dichtkunst und Sprachpflege der Akademie der Künste am 11. 12. 1962 einen Lese-und Diskussionsabend veranstaltet („Junge Lyrik -unbekannt und unveröffentlicht“), tritt Biermann erstmalig öffentlich -und folgenreich -auf. Bier-mann gerät fortan fest ins Visier der Parteiideologen und „Staatsschützer“. Den Grund dafür liefert an Abend allem diesem vor sein Gedicht „An die alten Genossen“ Darin heißt es: „Voll Eifersucht hör’ ich berichten eure Leiden, /eureNiederlagen [! ], vom Glück des Kampfes hinter/Stacheldraht und bin doch selbst nicht glücklich, /bin unzufrieden mit der neuen Zeit. /Ihr aber steht enttäuscht, verwundert, verwundet, /bitter gegen soviel Undank, /streicht euch verlegen über’s schüttere Haar.“ Und: „Setzt eurem Werk ein gutes End, indem ihr uns/den neuen Anfang lasst.“
Eine solche Krtik an Altgenossen, also an der Führungsriege der SED, ist gewagt. Das weiß auch Biermann, der -„im Grund ein kreuzbraves DDR-Kind“ -mit der Bemerkung „Ich will es wiedergutmachen“ nicht ohne Ironie sogleich seine Loblieder auf die „guten Sozialisten“ (auf eine Verkäuferin, einen Hausarzt, einen Verkehrspolizisten) anfügt Doch das Gesagte läßt sich nicht mehr revozieren; die einmal artikulierte Unzufriedenheit mit den Machthabern und dem Zustand der Gesellschaft führt zu einer lautstark geführten Kontroverse, die Biermann durch die Bemerkung, die im SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ publizierte Lyrik könne „einen nur zum Erbrechen bringen“ noch zusätzlich anheizt. Auch Stephan Hermlin als Veranstalter gerät ins Schußfeld. Erhard Scherner (Biermann: „Literaten-Stasi beim ZK der SED, genannt , Murks das Schwein“ 4 und Willi Köhler vom „Neuen Deutschland“ fahren scharfe Angriffe: „Ich wohne an der Grenze ...; 70 m von meiner Wohnung entfernt beginnt eine andere Welt. Dazwischen stehen bewaffnete Kräfte, und wir dürfen keine Illusionen erwekken“ (Scherner) .. das ist eine gelenkte Atmosphäre, die gegen das , Neue Deutschland 4 hier geschaffen worden ist“ (Köhler) Hermlin versteht diese Angriffe mit Recht als ernsthafte Bedrohung: „Ich möchte als Versammlungsleiter in aller Form und ruhig mich schärfstens gegen das wenden, was Sie eben gesagt haben. Ich warne Sie, derartige Dinge in die Welt zu setzen, daß es hier eine gelenkte Diskussion ist. Ich warne Sie.“
Der „Mangel an offizieller Akzeptanz vorhandener Widersprüche und offenem konstruktiven Austausch darüber“ ist allzu offensichtlich. Er führt dazu, daß Wolf Biermann die Partei-Kandidatur verliert und Stephan Hermlin in seiner Funktion als Sekretär der Sektion Dichtkunst und Sprachpflege der Akademie der Künste durch den linientreuen Alfred Kurella abgelöst wird. Bei der „Beratung des Politbüros des ZK der SED und des Präsidiums des Ministerrates mit Schriftstellern und Künstlern“ am 25. und 26. 3. 1963 muß Hermlin widerrufen. Hermlins Selbstanklage („Ich war nicht der richtige Mann am richtigen Platz ... ich beging gleichzeitig eine Reihe von Fehlern.“) ist für Kurt Hager zu wenig präzise. Inquisitorisch ruft er dazwischen: „Darf ich eine Frage stellen: Wie ist deine Beziehung zu Wolf Biermann?“ Hermlin läßt sich jedoch nicht zur Biermann-Schelte verleiten: „Ich halte ihn für ein sehr großes Talent, und ich möchte darum bitten, daß man ihn nicht aus den Augen läßt und daß sich die Partei weiter um ihn kümmert. Ich will mich auch weiter um ihn kümmern, wenn ihr es wollt.“
Wenig später ergreift mit Erich Honecker erstmals der Mann das öffentliche Wort, der im weiteren Verlauf des „Falles Biermann“ noch eine entscheidende Rolle spielen sollte. Ohne Biermann namentlich zu nennen, geißelt er den angeblichen Versuch, „der bürgerlichen Ideologie, den nihilistischen, dekadenten, existenzialistischen und anderen feindlichen Theorien, dem Formalismus und dem Abstraktionismus im Kultur-und Kunstleben der Deutschen Demokratischen Republik Tür und Tor zu öffnen“
Die Warnung ist deutlich. Doch noch glaubt die Partei, Biermann in ihrem Sinn beeinflussen zu können: Die Zeitschrift des Schriftstellerverbandes der DDR, „Neue Deutsche Literatur“, hebt hervor: „Viele jüngere Lyriker bemühen sich gegenwärtig, das Ich im Verhältnis zur Umwelt zu gestalten.“ Man müsse die dabei auftretenden „problematischen Seiten in richtige Relationen stellen“ So wird denn auch Biermann zugestanden, daß er „eine . . . starke Begabung für die Ballade hat und auch eine Reihe künstlerisch und politisch gute Lieder geschrieben hat“. Freilich werde „das Bild unseres Lebens ... subjektivistisch geprägt“ Man will Biermann auf den rechten, den Bitterfelder Weg führen, mit dem die Schriftsteller auf die „parteiliche’ Darstellung der , sich entwickelnden sozialistischen Gesellschaft'verpflichtet werden sollen. Zwischen 1962 und 1965 darf er in mehreren DDR-Anthologien veröffentlichen -allerdings nur Unpolitisches. Ein Auftritt im Mai 1964 in Berlin wird von den Staatsorganen positiv beurteilt; Biermann bekommt persönlichen Kontakt zum Kulturministerium und verhandelt -teils sogar mit dem Minister, Hans Bentzien -über Auftrittsmöglichkeiten, West-Reisen, Buch-und Schallplattenproduktionen. Bier-mann steht auf dem Prüfstand. Man erlaubt ihm, eine Einladung des West-Berliner Sozialistischen Deutschen Stundentenbundes anzunehmen. Im Studio des VEB Deutsche Schallplatten werden einige seiner Lieder aufgenommen, die dann aber doch nicht erscheinen dürfen. Die „feindlichen Gedichte“ in der im Westen veröffentlichten „Drahtharfe“ verhindern letztlich eine selbständige Publikation in der DDR. Die Partei reagiert auf Biermanns Unbeugsamkeit nun mit einer Verschärfung der Konfrontation.
II. Die west-östliche „Drahtharfe“
Bis zu diesem Zeitpunkt ist Biermann in der Bundesrepublik allenfalls eine Randfigur des öffentlichen Interesses. Taucht er in der bundesrepublikanischen Presse auf, so bestimmt seine Kritik an der SED das primäre Berichtsinteresse. Selten nur fällt auf, daß „Wolf Biermann ein Dichter ist“ So ist es nicht verwunderlich, daß Biermann auch im Westen zunächst keine Verleger findet: Suhrkamp und Rowohlt lehnen sein Manuskript ab; erst Klaus Wagenbach, der gerade seinen Verlag gegründet hat, nimmt sich der „Drahtharfe“ an.
Diese Auswahl von Texten, die Biermann zwischen 1960 und 1965 verfaßt hat, erregt die Aufmerksamkeit westdeutscher Rezensenten, weil sie „niemals bloß auf die SED-Welt, sondern immer auf das ganze Deutschland zielten“ Dabei wird stets Biermanns Eintreten „für den Sozialismus und die DDR“ hervorgehoben. Erst recht tritt der Dichter Wolf Biermann in der öffentlichen Wahrnehmung hinter den regimekritischen Kommunisten zurück, als die DDR im Dezember 1965 der Auseinandersetzung eine neue Dimension gibt.
Schon zu Ostern 1965 hat sich eine Verschärfung der Kontroverse angekündigt. In einem Gespräch mit Kulturminister Hans Bentzien erreicht Bier-mann zwar eine Genehmigung zur Teilnahme am Ostermarsch in Frankfurt am Main, er darf jedoch nicht im Kabarett von Wolfgang Neuss in West-Berlin auftreten, dessen „Anti-DDR-Haltung und antikommunistische Haltung“ der Minister als Begründung für das Verbot aufführt Beim Frankfurter Ostermarsch aber sind Biermann und Wolfgang Neuss gemeinsam zu sehen, und ein Auszug aus Biermanns „Deutschland. Ein Wintermärchen“ erscheint im satirischen „Neuss Deutschland“. Eine von Erhard Scherner verfaßte „Information“ der ZK-Abteilung Kultur über den Frankfurter Ostermarsch vermerkt hierzu: „Es ist völlig unentschuldbar, in Westdeutschland eine solche Arbeit als Beitrag aus der DDR zum 8. Mai (!) zu veröffentlichen und das in dem Anti-DDR-Blatt von Wolfgang Neuss.“ Scherner schlägt vor, Biermann öffentliches Auftreten in der DDR und anderswo zu untersagen.
Am 5. 12. 1965 eröffnet Klaus Höpcke, Erster Kulturredakteur des „Neuen Deutschland“, die öffentliche Kampagne gegen Biermann. Seine Kritik steht unter dem Gesamturteil: „Bei Biermann fehlt das Ja zum sozialistischen deutschen Staat.“ Höpcke formuliert fünf ideologische Vorwürfe: Biermann stehe in Opposition zu den Arbeitern, sei sowohl dem Skeptizismus als auch der Spontaneität verfallen, vertrete schließlich Anarchismus und Individualismus. Im Kontext marxistischleninistischer Philosophie signalisieren die genannten Begriffe eine Zugehörigkeit zur bürgerlichen Ideologie* und mithin eine feindliche Haltung zur DDR. Da paßt es ins Feindbild, daß Biermann „gehässige Strophen gegen unseren antifaschistischen Schutzwall" (die Berliner Mauer) schreibe, politisch wie sexuell „pervers“ und „dem Vermächtnis seines Vaters untreu“ geworden sei. Höpckes Polemik zitiert zum Beleg vor allem Biermanns „Selbstportrait an einem Regensonntag in der Stadt Berlin" (AG, S. 12 f.: „In den Bunkern meiner Skepsis sitz ich sicher“), die „Tischrede des Dichters“ (Nl, S. 71 f.: „Schafft in der Wirklichkeit mehr Glück!“) und die „Rücksichtslose Schimpferei“ (AG, S. 14 ff.: „Das Kollektiv liegt schief//Ich bin der einzelne/das Kollektiv hat sich von mir/isoUert^YBiermann habe zwar Talent, jedoch keinen Charakter
Höpckes Artikel ist der Start einer umfassenden Kampagne: Am 12. 12. 1965 präsentiert das „Neue Deutschland“ sechs Leserbriefe, die die Zustimmung der arbeitenden Bevölkerung* zur Höpcke„Rezension“ suggerieren sollen (Absender sind gleich zwei „Kollektive der sozialistischen Arbeit“). Am 14. 12. 1965 referiert Alexander Abusch im SED-Zentralorgan über „Grundprobleme unserer sozialistischen Literatur und Film-kunst“: Die „klappernde Hetze“ der „kapitalistischen Meinungsfabriken“ habe Wirkung gezeigt bei Künstlern, denen „die tiefe ideelle Einsicht“ fehle; da mache auch die „Neue Deutsche Literatur“ falsche „Konzessionen“. Abuschs besonderer Zorn gilt dem „Verräter“ Biermann
Das Parteivolk ist damit eingestimmt auf das 11. Plenum des ZK der SED vom 15. bis zum 18. 12. 1965. Um jeden Zweifel an der Verwerflichkeit Biermanns im Ansatz zu unterdrücken, erhalten die Delegierten zudem noch eine „Kurze Einschätzung von Wolf Biermanns Gedichtband Die Drahtharfe*, erschienen 1965 in Westberlin“ gereicht. Im wesentlichen finden sich Höpckes Angriffspunkte hier untermauert: Biermann wird Talent bescheinigt, aber er produziere „Widerliches ... mit pornographischen Zügen, das ... Rückschlüsse auf eine gestörte Sexualität nahe-legt“. Unter Verweis zumeist auf die von Höpcke zitierten Titel werden „Angriffe gegen unsere Gesellschaftsordung“ ausgemacht, ebenso „Individualismus“, „anarchistische Züge“, „Skeptizismus“ und eine „Verhöhnung sozialistischer Grundpositionen“ Es verwundert nicht, daß Erich Honecker während des Plenums genau dieselben Vorwürfe formuliert: „Unsere DDR ist ein sauberer Staat“, verkündet er und da paßt Bier-mann mit seinem Vokabular „aus dem Bereich der Kloake“ (Alexander Abusch seinen „Afterwahrheiten“ (Marianne Lange mit denen die Partei „in einer unvorstellbar kotig-viehischen Weise beschmutzt“ (Wilhelm Girnus und „in den Dreck getreten“ werde (Klaus Höpcke nicht hinein.
Biermanns Verurteilung ist komplett. Einmischungen von westlichen Autoren wie Peter Weiss und Heinrich Böll werden abgewiesen. Eine am 14. 1. 1966 im „Neuen Deutschland“ veröffentlichte Erklärung des Deutschen Schriftsteller-Verbandes („Für klare Konturen unserer Kunst“), die sich einverstanden gibt mit der Kritik des Plenums an Biermann (und anderen), setzt den vorläufigen Schlußpunkt unter die zwar öffentlich, aber einseitig ausgetragene Kontroverse. Dabei ist Biermann nur der herausragende „Fall“, den dieses ZK-Plenum anprangert. Mit ihm werden Autoren und Regisseure wie Stefan Heym, Günter Kunert, Heiner Müller, Frank Beyer, Kurt Maetzig und viele andere Intellektuelle abgeurteilt. Die „auf , Reinigung* ... zielenden Unterwerfungs-und Bestrafungsrituale“ des Plenums erinnern Wolfgang Emmerich nicht zufällig an stalinistische Schauprozesse Dem totalitären Zugriff auf die Intellektuellen entspricht auch, daß die Plenums-Protokolle von „unpassenden“ Äußerungen „gereinigt“ werden. Zudem entwirft hinter den geschlossenen Türen des ZK dessen Kulturabteilung schon ein Konzept für das weitere Vorgehen in Sachen Bier-mann: Er soll in der DDR keine Auftritts-und Publikationsmöglichkeiten erhalten; die Ausein-andersetzung soll verschärft weitergeführt werden
Es beginnen elf Jahre, während derer Wolf Bier-mann in der DDR keine offizielle Öffentlichkeit hat. Aber seine Texte sind dennoch bekannt. Dafür sorgen private Tonbandmitschnitte und Gedichtabschriften, die von Hand zu Hand gehen. Dafür sorgen auch Biermanns Veröffentlichungen im Westen, die die DDR-Oberen nicht verhindern können, für die sie Biermann aber auch nie belangen.
In der Bundesrepublik allerdings nimmt die Bier-mann-Begeisterung in der Folgezeit ab. Kritische, sogar barsche Stimmen melden sich zu Wort. „Mit Marx-und Engelszungen“, Biermanns zweiter Gedichtband (1968), setzt zwar die Linie der „Drahtharfe“ fort; neu aber ist, daß sich Biermann jetzt auch in die bundesdeutsche Politik einmischt. Zwar darf er an einer Demonstration zum 1. Mai 1968 in West-Berlin nicht teilnehmen, doch er schickt als Gruß ein Lied. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sieht an diesem Tag in Berlin diejenigen demonstrieren, „die mit den Grundlagen von Staat und Gesellschaft unzufrieden sind“, „das linke Establishment, die Prominenz der Revolution“ Biermanns Solidaritätsgeste mit den „ 68ern“ läßt seine Lyrik bei manchen fortan in einem anderen Licht erscheinen. „Sein krakeelender Zorn . . . meint nicht das Prinzip, sondern allein die Verhärtungen und Erstarrungen der Ideologie“, belehrt Dietrich Segebrecht von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ frühere Rezensenten Biermanns auch aus dem eigenen Haus, deren Biermann-Lob „ganz sicher die falsche Stimmungsmusik“ habe erklingen lassen „Drei Kugeln auf Rudi Dutschke“: Mit diesem Lied hat sich Biermann auch in der Bundesrepublik in die politische Kontroverse geschrieben („Die Kugel Nummer Eins kam/Aus Springers Zeitungswald/. . . //Des zweiten Schusses Schütze/Im Schöneberger Haus/Sein Mund war ja die
Mündung/da kam die Kugel raus /.. . //Der Edel-Nazi-Kanzler/Schoß Kugel Nummer Drei“ [AL, S. 210 f. ]). Gleich fünf Zeitungen, so erinnert sich Klaus Wagenbach, lehnen einen Vorabdruck ab, „dieselben Leute, die sonst alle paar Monate anriefen mit der dringlichen Bitte, ein Gedicht des allseits beliebten DDR-Kritikers Biermann Vorab-drucken zu dürfen“ Die Schallplattenfirmen Philips und Deutsche Grammophon verweigern die Produktion der neuen Biermann-Platte mit dem Dutschke-Lied, eine dritte preßt „Vier neue Lieder“ für Wagenbach anonym. Segebrecht sieht im Text „die kümmerlichste Schablone“: -„Schuld sind wieder einmal , die da oben 4“ und bezieht in seine Biermann-Schelte selbst solche Gedichte wie die „Große Ermutigung“ (AL, S. 178 f.) ein, die nur im weiteren Sinn als politisch angesehen werden können. Freilich gibt es auch Gegenreden. Ulrich Greiner beispielsweise weist darauf hin, daß politische Überzeugungen als solche zu akzeptieren sind, und richtet den Blick auf die ästhetischen Qualitäten der Biermannschen Lyrik Zum Medienereignis sollte Biermann aber erst mit seiner Ausbürgerung werden.
III. Die Ausbürgerung: Der Anfang vom Ende der DDR
Zu Beginn des Jahres 1976 bilden Studenten und Professoren an der Ruhr-Universität Bochum eine Initiative „Freiheit der Meinung -Freiheit der Reise für Wolf Biermann“, die den Liedermacher zu Konzerten in Köln und Bochum einlädt. Die Initiative wird prominent unterstützt: Egon Bahr, Ernst Bloch, Heinrich Böll, Iring Fetscher, Günter Grass, Hans Mommsen, Peter Zadek und viele andere unterzeichnen den Aufruf. Nachdem Bier-mann 1974 die Anreise zur Verleihung des Jacques-Offenbach-Preises in Köln und 1975 die Teilnahme an einer Frankfurter Protestveranstaltung gegen die Diktatur Francos in Spanien verweigert worden sind, muß die Ausreisegenehmigung für Köln und Bochum überraschen. Über die nach elf erstmalig Motive, Biermann Jahren wieder einen öffentlichen Auftritt zu ermöglichen, noch dazu beim „Klassenfeind“, kann nur spekuliert werden. Sicher ist, daß die SED-Führungsriege das Problem Biermann gerne loswerden wollte. Das belegt zum einen eine auf den 12. 4; 1973 datierte Konzeption, die Biermann aus seinen Stasi-Akten mitteilt: „Mit dem Ziel der Aberkennung der Staatsbürgerschaft, die gemäß § 13 Staatsbürgerschaftsgesetz voraussetzt, daß Bier-mann während seines Aufenthaltes im nichtsozialistischen Ausland in grober Weise die staatsbürgerlichen Pflichten verletzt ..., ... soll die Beantragung einer Reise durch Biermann in dringenden Familienangelegenheiten zu seiner Großmutter nach Hamburg erreicht werden.“
Zum anderen: Kurt Löffler, Staatssekretär im Ministerium für Kultur, fordert Biermann im Mai 1974 geradezu unverhohlen auf, die DDR zu verlassen: „Sollten Sie ...den Wunsch haben, Ihren Wohnsitz zu wechseln und wieder in die BRD zurückzukehren, so steht dem nichts im Wege. Sie werden die erforderliche Ausreisegenehmigung und die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR ohne Umstände erhalten.“ Biermann erkennt die Gefahr hinter Löfflers Offerte und macht sie über den „Spiegel“ publik
Warum man Biermann nicht schon 1974 in den Westen abgeschoben hat, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Gelegenheit hat es gegeben, als Biermann seine im Sterben liegende Großmutter in Hamburg besuchen darf. Zwar geht Bier-mann nicht mit kritischen Äußerungen an die Öffentlichkeit, aber in den Stasi-Akten findet sich noch der Alternativplan, Biermann zu inhaftieren und ihm einen Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft abzupressen. Möglicherweise hat man vor dem Hintergrund der Gespräche im Rahmen der KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) das mit einer solchen Aktion verbundene Aufsehen gescheut. Vielleicht aber ist sich auch nur die Führungsriege der SED uneins -wie noch 1975, als Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann Biermanns Antrag auf Genehmigung einer Reise zur Spanien-Protestkundgebung in Frankfurt zunächst genehmigt, Biermann schließlich aber doch nicht fahren darf: Man will verhindern, daß sich der Liedermacher ausgerechnet bei einer antifaschistischen Kundgebung in der Bundesrepublik in Szene setzen kann
Im September 1976 aber spitzt sich die Lage zu.
Reiner Kunze bringt in der Bundesrepublik den Prosaband „Die wunderbaren Jahre“ heraus, mit dem er die Gängelung der Jugendlichen durch den Staat anklagt und offen mit dem , Prager Frühling’ von 1968 sympathisiert. Die Stimmung im Lande ist gereizt. Ebenfalls im September nutzt die Prenzlauer Nicolai-Kirche die Möglichkeit, Biermann zu einer nicht genehmigungspflichtigen kirchlichen Veranstaltung einzuladen. Die , Kirche im Sozialismus 4 entfaltet ein beträchtliches Protestpotential. Die Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz einen Monat zuvor hat die Spannungen offengelegt, die sich aus dem Zwiespalt von Anpassung und Opposition ergeben. Biermann hält eine „Predigt gegen die Republikflucht“ und plädiert bei diesem ersten Kontakt zu seinem DDR-Publikum seit elf Jahren für eine Einmischung der Kirche in die Politik. Am 10. Oktober beantragt Bier-mann seine Reisegenehmigung für Köln und Bochum, was -nach Einschätzung des Kulturministers der Wende-Zeit, Dietmar Keller -in der SED-Spitze eine Kontroverse auslöst: Während die eine Fraktion eine Eskalation fürchtet und Biermann lieber nicht reisen lassen will, sieht die andere Fraktion um Honecker und Mielke „eine einmalige Gelegenheit für gekommen“ und läßt Biermann reisen.
Der Aufenthalt außerhalb der DDR sollte nun tatsächlich zum juristischen Hebel der Ausbürgerung werden, denn der § 13 des Staatsbürgerschaftsgesetzes der DDR schreibt vor: „Die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik kann Bürgern, die ihren Wohnsitz oder Aufenthalt außerhalb der Deutschen Demokratischen Republik haben, wegen grober Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten aberkannt werden.“ Die „grobe Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten“ ist juristisch nicht näher definiert. Gerhard Riege, DDR-Staatsrechtler, zählt dazu alles, was „den Staat diskriminiert“; dies könne „kaum in erster Linie juristischer Natur“ sein, sondern -so muß man hier ergänzen -vor allem ideologischer. Und hier ist Biermann ja seit 1965 gebrandmarkt, als Höpcke ihm eine „Geringschätzung gegenüber den Leistungen des Volkes“ vorhielt. Da das Volk der DDR ideologisch aber mit der Arbeiterklasse und die SED als deren Partei zu identifizieren ist, wird jede unerwünschte Kritik an der Partei als Kritik an Volk und Staat interpretierbar.
So werden die Strategen der Ausbürgerung denn auch leicht fündig, als Biermann am 13. 11. 1976 vor das Kölner Publikum tritt. Am 17. 11. 1976 meldet ADN: „Die zuständigen Behörden der DDR haben Wolf Biermann, der 1953 aus Hamburg in die DDR übersiedelte, das Recht auf weiteren Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik entzogen.“ Die Begründung liefert ein mit Dr. K. (d. i. Günter Kertzscher) gezeichneter Artikel: Biermann habe „ein Programm gestaltet, das sich ganz bewußt und gezielt gegen die DDR und gegen den Sozialismus richtete“. Er bringe „es fertig, die Arbeiterklasse, deren Leistungen bei uns hoch geehrt werden, zu beschimpfen“ Am 20. /21. 11. und am 22. 11. 1976 füllen 113 Affirmationsadressen das „Neue Deutschland“. Sie sollen das Einverständnis aller Schichten der DDR-Bevölkerung suggerieren.
Hinter dieser propagandistischen Fassade sozialistischer Rechtschaffenheit und juristischer Korrektheit verbirgt sich indes ein massiver Gesetzesverstoß. Das Staatsbürgerschaftsgesetz bestimmt in § 16 Abs. 1: „Der Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik entscheidet über den Widerruf der Verleihung und die Aberkennung der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik.“ Der Kommentar von Gerhard Riege unterstreicht: „Über die Aberkennung ... entscheidet ausschließlich der Ministerrat der DDR (§ 16 StGB).“ Und auch das Lehrbuch „Staatsrecht der DDR“ betont eigens diesen Sachverhalt: „Es entspricht der Bedeutung der Staatsbürgerschaft, daß ein zentrales Staatsorgan die Entscheidungen über ihren Erwerb und Verlust trifft.“
Auch wenn die politische Entscheidung de facto in den Händen des Politbüros liegt, de jure ist der Ministerrat also das entscheidende Gremium. Das Präsidium des Ministerrats aber hat zwar am 11., 18. und 25. 11. 1976 getagt; in den im Bundesarchiv aufbewahrten Sitzungsunterlagen läßt sich jedoch kein Hinweis darauf finden, daß man sich hier mit Biermann auch nur befaßt, geschweige denn seine Ausbürgerung beschlossen hätte Dagegen behandelt das Politbüro des ZK der SED den Fall in seiner Sitzung vom 16. 11. 1976 unter dem Tagesordnungspunkt 4. Als Berichterstatter fungiert Erich Honecker. Das Ergebnisprotokoll dieses Berichts lautet schlicht: „ 1. Wolf Biermann wird die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt. Die Pressemitteilung wird bestätigt. Die Veröffentlichung erfolgt am 16. November 1976, abends. 2. Das Fernschreiben an die 1. Sekretäre der Bezirksleitungen der SED wird bestätigt.“
Dieses Fernschreiben ist als Anlage 3 zum Protokoll erhalten und im Original von Erich Honecker eigenhändig unterzeichnet: „Werte Genossen! Die zuständigen Behörden der DDR haben Wolf Bier-mann, der sich gegenwärtig in der BRD aufhält, auf Grund seines feindseligen Auftretens gegenüber der DDR entsprechend § 13 des Staatsbürgerschaftsgesetzes der DDR die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt. Die Pressemitteilung darüber wird heute durch ADN veröffentlicht, gez. E. Honecker " Da sich die „zuständigen Behörden“ aber gar nicht mit der Angelegenheit befaßt haben, verstößt der Generalsekretär der SED und Staatsratsvorsitzende der DDR, Erich Honecker, mit dieser Unterschrift in eklatanter Weise gegen das geltende Recht der DDR.
Auch dieser bemerkenswerte Vorgang zeigt, wie in der DDR alle Macht vom Politbüro ausgeht und Honecker dessen Regisseur ist. Eine Diskussion hat es wohl nicht gegeben. Über eine ZK-„Information“ werden Funktionäre instruiert: „Wenn die Frage gestellt wird, weshalb . . . B. die Reiserlaubnis erhielt, so kann man feststellen, daß dadurch . . . Biermanns tatsächliche Rolle voll aufgedeckt wurde.“ Allerdings hat diese Art willkürlicher Machtausübung einen Preis: Solange die SED den Schriftstellern wenigstens einen gewissen Gesprächsfreiraum gelassen hat, haben sich kritisch-sozialistische Autoren, Biermann eingeschlossen, zur DDR bekennen können. Die Ausbürgerung aber hat Schriftsteller und andere Intellektuelle empört. Der von Christa Wolf, Volker Braun, Stephan Hermlin, Stefan Heym, Günter Kunert, Heiner Müller, Jurek Becker und anderen Repräsentanten der DDR-Kultur unmittelbar am 17. 11. 1976 formulierte Protest wird über die westlichen Medien verbreitet und zwingt die SED zu reagieren.
Jetzt zeigt sich die Funktionsweise des Machtapparates überaus deutlich als „System von Anweisung, Umsetzung und Kontrolle“ Über die „Mitgliederversammlung der SED-Grundorganisation des Bezirksverbandes Berlin des Schriftstellerverbandes der DDR“ sind fast alle protestierenden Autoren erreichbar. Am 23. 11. 1976 werden auf einer Mitgliederversammlung Grundsatzreferate gehalten, die sowohl die Ausbürgerung rechtfertigen als auch den Protest ideologisch verurteilen. Aufgrund der Reaktionen der bei der Versammlung anwesenden Autoren wird dann von der SED-Bezirksleitung Berlin ein Strategieplan für die nächste Parteiversammlung der Schriftsteller entworfen. Es werden Parteiausschlüsse gegen Jurek Becker und Karl-Heinz Jakobs verabredet, und es wird eine Entschließung’ vorbereitet, mit der die Schriftstellerversammlung die Biermann-Ausbürgerung ebenso begrüßen wie das . unparteiliche 4 Protestverhalten tadeln soll. Wieder hat Erich Honecker die Fäden in der Hand; er segnet den Plan ab und präzisiert die Taktik: „Diese Entschließung sollte nicht zu Beginn der Versammlung vorgelegt werden, sondern zu einem Zeitpunkt aus der Versammlung herauskommen, wo die Stimmung dazu am besten ist.“ Die protestierenden Autoren müssen in der Folgezeit Stellungnahmen abgeben, nach denen ihnen Parteistrafen taktisch zugemessen werden. Nachdem die SED-Bezirksleitung Berlin dem Politbüro am 20. 1. 1977 die Vollzugsmeldung über die Verfahren gegen die Protestler abgeliefert hat, glaubt die Kulturabteilung des ZK das „Verständnis eines größeren Teils der Kunstschaffenden für Grundfragen unserer Politik vertieft“
Hier nun zeigt sich ein zweiter Wesenszug der SED-Macht: die Realitätsverkennung. Denn ganz im Gegensatz zur offiziellen Einschätzung haben Ausbürgerung und Parteiverfahren einen „geistigen Erosionsprozeß“ ausgelöst. Autoren wie Jurek Becker, Bernd Jentzsch, Sarah Kirsch oder Reiner Kunze verlassen die DDR. Andere, wie Christa Wolf, Volker Braun oder Stefan Heym, nehmen eine zunehmend kritische Haltung zum Regime ein. In dem Maße, in dem sich herausragende Repräsentanten der DDR-Literatur nicht mehr mit dem Staat identifizieren, verliert auch der Staat DDR einen Teil seiner Identität. Insofern beginnt mit Biermanns Ausbürgerung und dem Protest dagegen der Anfang vom Ende der DDR.
In der Bundesrepublik provoziert Biermanns Eintreten für den Eurokommunismus („Die BRD braucht eine KP/Wie ich sie wachsen und reifen seh/Unter Italiens Sonnenschein“ [AL, S. 221]) manche Publizisten zu harscher Kritik: „Der Kommunist Biermann war klug genug, den SED-Kommunismus nicht unkritisch hinzunehmen. Aber da sind Millionen unserer Landsleute, die zu klug waren, um jemals Kommunist geworden zu sein ... die gejagten Bekenner des freiheitlichen Gedankens . .. haben Vorrang, wenn es ums Mitgefühl geht.“ Die DKP-Sympathisanten unter den Publizisten und Schriftstellern sind zerstritten: Manche kritisieren Biermann, andere protestieren gegen die Ausbürgerung. Heinrich Böll hingegen hält sich vom Ideologiestreit fern und nimmt Bier-mann in sein Haus auf. Für den Literaturkritiker Dieter E. Zimmer gilt Biermann als „sozialistischer Patriot“ dem fügt Marcel Reich-Ranicki eine kritische Note hinzu: „Wir haben jetzt hier einen Feind mehr. Gleichwohl begrüßen wir diesen Feind, vor dem wir Respekt haben.“
Biermann bietet seinen Kritikern bald schon Gelegenheit, diesen Respekt unter Beweis zu stellen. Seine Kommentare zur politischen Lage in der Bundesrepublik („Und als ich von Deutschland nach Deutschland/Gekommen bin in das Exil/Da hat sich für mich geändert/So wenig, ach! und so viel/... //... ich bin gekommen/ach! kommen bin ich/vom Regen in die Jauche“ [AL, S. 286-290]) lassen ihn für Karl-Heinz Janßen in die Nähe von Terroristen rücken Biermanns Widerspruchsgeist nötigt Fritz J. Raddatz dazu, ihm bald ein „Heinesches Format“ zuzusprechen bald aber -wie Höpcke -mit einem Goethe-Zitat zu bedauern: „Ein Talent, doch kein Charakter “ Marcel Reich-Ranicki schließlich zollt seinen versprochenen Respekt und erkennt, wie „ein leidender Mensch in seiner Not“ eine „gewaltige Sprach-kraft“ entwickle
Biermann hat seinen Platz in der bundesdeutschenLiteraturgesellschaft längst eingenommen, als sich Ende 1989 die Ereignisse in der DDR überstürzen. Kulturminister Keller propagiert eine „geistige Erneuerung“ und bezeichnet die Ausbürgerung als Fehler, der „,... in diesem Land nicht wieder vorkommen wird“ Als Biermann am 1. 12. 1989 in Leipzig auftritt, spricht er noch von einer Chance für eine selbständige DDR. Wie 1962, bei seinem ersten Auftritt in der DDR-Öffentlichkeit, singt er von den Führungskadern der Partei. Aber statt der flehentlichen Bitte „An die alten Genossen“ trägt er jetzt die spöttische „Ballade von den verdorbenen Greisen“ vor; sie klingt bereits wie ein Abgesang auf die DDR: „Hey Hager, Professor Tapeten-Kutte/Ich glaube dir nichts, du verdorbener Greis/Jetzt nimmst du uns flott das Wort aus dem Munde/Mit neuen Phrasen der alte Scheiß/... //... //Hey Honney, du gingst aus Gesundheitsgründen/Ich glaube dir nichts und auch nicht dies/Die schlimmste Krankheit hattest du immer: /Die stalinistische Syphilis“ (AL, S. 412 f.).