I. Vorbemerkungen
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) betätigte sich seit seiner Bildung als Polizei im vorkonstitutionellen Sinne, das heißt ohne rechtliche Schranken und ohne festgelegte Abgrenzung der Kompetenzen zu anderen staatlichen Organen Das Gründungsgesetz beschränkte sich auf die lapidare Festlegung, die bisher dem Ministerium des Innern unterstellte Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft werde zu einem selbständigen Ministerium für Staatssicherheit. Sein Statut vom 30. Juni 1969 beschrieb zwar später dessen Aufgaben, verzichtete aber darauf, spezielle Zuständigkeiten festzulegen. Außerdem blieb es bis zum Ende des MfS eine „Geheime Kommandosache“. Das Statut hatte deshalb niemals Allgemeinverbindlichkeit, es hatte nicht einmal den Charakter einer internen Verwaltungsvorschrift, da vom Bestätigungsbeschluß des Nationalen Verteidigungsrates nur zwei Ausfertigungen existierten Es fragt sich, welchen Zweck es überhaupt hatte
Wichtig ist freilich der § Abs. 2 des Statuts. Ihm zufolge hatte das MfS die Abwehr-und Aufklärungsaufgaben „unter Anwendung spezifischer Mittel und Methoden“ zu erfüllen. Das kann als Bestätigung dafür angesehen werden, daß das MfS davon ausgehen konnte, daß ihm alles erlaubt war, was seinen Zwecken diente -vor allem daß es im Dunkeln tätig war und sich des Dienstes von Spitzeln im Inland und von Spionen im Ausland bediente.
Aus dem Organisationsplan des MfS ergibt sich, daß die Zuständigkeit für seine vielen (geheim-) polizeilichen und anderen Tätigkeiten auf spezielle Einheiten („Linien“, wenn sie auf zentraler und bezirklicher Ebene ausgeübt wurden, sonst jedoch „operative“ und andere Diensteinheiten) verteilt war 4. So waren z. B. die Hauptabteilung (HA) IX zuständig als Untersuchungsorgan im Sinne des § 88 Strafprozeßordnung (StPO) der DDR, die HA XVIII zur Sicherung der Wirtschaft (Wirtschaftspolizei), die HA XIX zur Absicherung des Verkehrswesens, die HA VI für die Paßkontrolle, Tourismus, Interhotel (Fremdenpolizei und Überwachung von DDR-Bürgern bei Auslandsreisen), die HA I für die Abwehrarbeit in der Nationalen Volksarmee und den Grenztruppen, die HA XX für die Sicherung des Staatsapparates, von Kunst und Kultur, zur Beobachtung der Kirchen und zur Bekämpfung des Untergrunds sowie für die Spionage die Hauptverwaltung Aufklärung (HV A)
Eine Tätigkeit des MfS, die uns hier interessiert, wird im Organisationsplan des MfS kaum genannt: die Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion (PID). Sie fand auch bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit bisher nicht die notwendige Aufmerksamkeit, obwohl sie in mehrfacher Hinsicht bedeutungsvoll war.
II. Der Begriff der politisch-ideologischen Diversion (PID)
Der Begriff der PID wurde vom MfS für seine Zwecke geprägt und offensichtlich nur von ihm gebraucht. Er ist weitgehend identisch mit der „ideologischen Diversion“, soll aber den politischen Charakter der von ihr ausgehenden Gefahr stärker hervorheben. Seit 1972 wurde der Begriff mit unterschiedlicher Akzentsetzung definiert. Seine letzte Erläuterung in dem für den internen Gebrauch der „Juristischen Hochschule Potsdam“ (JHS) des MfS als vertrauliche Verschlußsache bestimmten Lehrbuch „Die politisch-ideologische Diversion gegen die DDR“ (Februar 1988) lautete: „Das Wesen der politisch-ideologischen Diversion wird aus der Sicht des MfS mit folgenden Aussagen bestimmt: POLITISCH-IDEOLOGISCHE DIVERSION (PID) ist das subversive ideologische Einwirken des Imperialismus auf das gesellschaftliche Bewußtsein in sozialistischen Staaten und das individuelle Bewußtsein ihrer Bürger, insbesondere durch das planmäßige und systematische Verbreiten von Konzeptionen, Anschauungen, Wertungen und Grundsätzen, deren Inhalt sowohl von militant-grobschlächtigem als auch von flexibel-verschleiertem Antikommunismus geprägt ist. Mit ihr wird das subversive Ziel verfolgt, in den sozialistischen Staaten in einem langfristigen Prozeß entscheidende ideologische Voraussetzungen für konterrevolutionäre Veränderungen zu schaffen. Diese Zielstellung schließt ein, die sozialistische Bewußtseinsentwicklung zu verhindern, das sozialistische Bewußtsein ihrer Bürger zu zersetzen, feindlich-negatives Handeln zu aktivieren. Sie wird durch das imperialistische Herrschaftssystem entsprechend den strategischen Grundlinien seines Kampfes gegen die sozialistischen Staaten konzipiert, durch spezielle Einrichtungen und Organe in imperialistischen Ländern geleitet, unter Anwendung und Mißbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden vorbereitet und vor allem über elektronische Medien, den Mißbrauch von Kontakten und die Einschleusung von Informationsträgern in sozialistische Länder realisiert. Sie vergiftet die normalen Beziehungen zwischen den Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung und ist unvereinbar mit den Prinzipien der friedlichen Koexistenz. * In dieser Definition ist unmißverständlich gesagt, um was es ging: das Bewußtsein der Menschen, ihre Gefühle und ihre innere Haltung. Nachdem sich herausgestellt hatte, daß es nicht allein -wie Karl Marx gemeint hatte -oder nur unzureichend durch die Produktionsverhältnisse „richtig“ bestimmt wurde, hatte W. I. Lenin bekanntlich gelehrt, daß es ihnen von denen beigebracht werden müsse, welche die Gesetze der Geschichte erkannt hätten und gewillt seien, sie zu erfüllen -zunächst durch Revolution, nach der Machtergreifung dann verstärkt durch ideologische Indoktrination mit den Lehren des Marxismus-Leninismus. Denn nicht allein die ungehemmte und unkontrollierte Machtausübung könne das Fortschreiten zum Sozialismus/Kommunismus sichern, sondern erforderlich sei das willige Mitmachen der Gewaltunterworfenen, ihre bedingungslose Unterstützung. Es galt also auf allen nur möglichen Wegen, mit allen nur möglichen Mitteln das, was das „sozialistische Bewußtsein“ genannt wurde, zu schaffen und zu erhalten. Alles, was dem entgegenwirkte, war als schädlich zu bekämpfen. In erster Linie war das die Aufgabe der Kommunistischen Partei, genauer ihrer Führung, in der DDR also der SED. Als Schild und Schwert der Partei hatte das MfS hier den wichtigsten Part zu erfüllen. Das lag auch deswegen nahe, weil die PID nach den Vorstellungen der Machthaber unweigerlich die Vorstufe zur „politischen Untergrundtätigkeit“ (PUT) gewesen wäre. Der warnende Grundsatz im MfS lautete daher: „Ohne PID keine PUT.“
III. Die Bekämpfung der PID als Aufgabe des MfS
Um jedes Mißverständnis auszuschließen -wenn hier von Ideologie als „Schutzobjekt“ des MfS gesprochen wird, so sind damit nicht subtile Kenntnisse des Lehrgebäudes des Marxismus-Leninismus gemeint, die jedermann gehabt haben müßte. Sicher wurden sie in der Oberstufe der allgemeinbildenden Schulen und an Universitäten und Hochschulen verlangt und kontrolliert Aber solche Kenntnisse schaffen noch kein sozialistisches Bewußtsein. Die ideologische Indoktrination bezog sich bei der Mehrheit auf die Verinnerlichung von Formeln und Glaubenssätzen, wie „Die Partei hat immer recht“, der „Sozialismus siegt“ und ähnliche Sprüche.
Welche Bedeutung das MfS der Bekämpfung dessen, was es für PID hielt, beimaß, zeigte die Tatsache, daß an der „Juristischen Hochschule“ (JHS) des Ministeriums dafür ein eigener Lehrstuhl vorhanden war, eine Reihe von „Dissertationen“ zu diesem Thema an ihr geschrieben worden war, von denen die letzte 1987 als Entwurf zu dem erwähnten, 1988 fertiggestellten Lehrbuch gedient hatte. Wenn trotzdem die Bekämpfung der PID nur eine untergeordnete Beachtung gefunden hat, so liegt es wohl daran, daß sie organisatorisch kaum genannt wurde. Denn anders als bei den sonstigen Tätigkeiten war für die Bekämpfung der PID nicht die Zuständigkeit bestimmter Linien oder operativer Diensteinheiten gegeben. Das hieß, alle Linien und operativen Diensteinheiten hatten die Pflicht, sich an der Bekämpfung zu beteiligen
Nach dem Organisationsplan des MfS lag zwar die „Federführung auf dem Gebiet der Verhinderung bzw. Aufdeckung und Bekämpfung“ der PID bei der HA XX. Indessen konnten spezielle Auswirkungen daraus nicht festgestellt werden Da die HA XX in gleicher Weise die genannten Aufgaben auch hinsichtlich der „politischen Untergrundtätigkeit“ (PUT) hatte und die PUT als Auswirkung der PID angesehen wurde -die PID sich am Denken orientierte, die PUT indessen am Handeln und sie damit leichter zu observieren und zu verhindern war als die PID -, wurde offenbar der Kampf gegen beide als Einheit angesehen, und so ist erklärlich, daß die Federführung der HA XX bei der Bekämpfung der PID nicht eigens in Erscheinung trat. Beachtlich ist auch, daß an der Behandlung der PID in den Dissertationen der JHS kein Mitarbeiter der HA XX beteiligt war
Erkenntnissen darüber, wie nach Ansicht des MfS die PID organisiert war, mit welchen Methoden und Mitteln sie betrieben wurde und wie sie vor allem bekämpft werden sollte, dienen vor allem Dissertationen der JHS, deren erste aus dem Jahre 1972 stammte und die letzte 1987 geschrieben worden war welche 1988 zum Lehrbuch wurde Wenn auch der wissenschaftliche Charakter der an der JHS geschriebenen Abhandlungen sehr zweifelhaft ist, da es bei ihnen an den Maßstäben Vorurteilsfreiheit, Genauigkeit der Recherchen, Verifizierbarkeit jeder Aussage und autonome Wertbestimmung fehlt, haben sie doch nicht zu unterschätzenden Erkenntniswert Denn sie geben nicht nur Auskunft über das Denken im MfS, sondern auch hinsichtlich dessen totaler Abhängigkeit von der SED-Führung, zu der der Chef des MfS selbst gehörte. Da die Abhandlungen der JHS den Zwecken der Staatssicherheit dienten, zeigen sie, wie die Mitarbeiter des MfS handeln sollten. Sie waren Grundlage für die Lehrveranstaltungen an der JHS
IV. Subversion durch PID? Eine Chimäre
Der Begriff der „politisch-ideologischen Diversion“ wurde vom MfS relativ spät geprägt. Nach der Dissertation aus dem Jahre 1972 (hinfort als Diss. 1972 bezeichnet) hatte der „Genosse Minister“ in seinem Referat auf dem Führungsseminar im März 1971 ’ nachdrücklich unterstrichen, daß sich die Systemauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kommunismus zunehmend auf den politisch-ideologischen Kampf verlagere; die politisch-ideologische Auseinandersetzung sei zu einem entscheidenden Faktor im Kampf um die Frage: „Wer -wen?“ geworden. Es wurde nicht mitgeteilt, ob der Begriff PID darin benutzt wurde; gemeint war er sicher.
Obwohl er schon seit 1966 in Befehlen verwendet worden war begann die Forschung „zur Weiterentwicklung und Qualifizierung der politisch-operativen Bekämpfung der PID“ erst mit der Diss. 1972, wie in ihrer Einleitung mitgeteilt wurde. Diese als Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit „erfahrener Genossen des Komitees für Staatssicherheit der UdSSR und des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR“ bezeichnete Arbeit kam offensichtlich auf höheren Befehl zu einer Zeit zustande, als die Politik der Westmächte und vor allem der sozial-liberalen Bundesregierung auf Entspannung der internationalen Lage gerichtet war. Ihr begegneten die Staatssicherheitsorgane mit der Behauptung, sie hätte zu einer Verschärfung der Klassenauseinandersetzungen geführt. Dazu sei von den „imperialistischen Mächten“ die PID erheblich verstärkt worden.
Sicher kam während des „Kalten Krieges“ von beiden Seiten das zur Anwendung, was schon in der Zeit des Ersten Weltkrieges „psychologische Kriegsführung“ genannt wurde. Aber mit Beginn der Entspannungspolitik verlor diese im Westen an Bedeutung. Gerade unter der sozialliberalen Bundesregierung wurde sehr viel getan, um die Ost-West-Auseinandersetzung zu „versachlichen“; dies oft auch unter Relativierung oder Aufgabe eigener Positionen und Wertvorstellungen -in der irrigen Annahme, dies würde mit wirklichen „menschlichen Erleichterungen“ honoriert werden. Das ging soweit, daß damals nicht wenige den sprichwörtlichen „deutschen Irrtümern“ verfallen waren.
Im Hinblick auf diese im Osten nicht als wirklich real vorstellbaren Handlungsweisen wurde dort die These entwickelt, mit dem Sinken der Kriegs-gefahr sei die Gefahr des planmäßigen geistigen Einwirkens auf die „sozialistischen Staaten“ in subversiver Absicht gewachsen. In der Diss. 1972 sollte diese These, „wissenschaftlich“ untermauert, nachgewiesen werden. In tatsächlicher oder absichtlicher Verkennung des Wesens einer freiheitlich-demokratisch organisierten, pluralistischen Gesellschaft und ihrer Wertvorstellungen unterstellten deren Autoren jeder Berichterstattung und Kommentierung von Vorgängen in der kommunistischen Welt -besonders in der DDR -die Absicht, damit auf das politische Denken der Menschen im Osten gezielt einwirken zu wollen.
Insbesondere die nicht durch Mauer und Stacheldraht behinderten elektronischen Medien transportierten Nachrichten und Kommentare über die jeweilige Lage in der DDR zu jedermann, der sie hören oder sehen wollte -und das waren die meisten In ihrer Mehrzahl sah sich die Bevölkerung in ihren eigenen Erfahrungen und Meinungen bestätigt, wenn sie nicht sogar erstaunt darüber war, daß die Berichte zu günstig, die Kommentare zu wohlwollend waren Was also nachhaltig auf das Bewußtsein eingewirkt hat, das waren nicht westliche Einflüsse, sondern die Verhältnisse in den sozialistischen Ländern, insbesondere in der DDR selbst. Immerhin muß bedacht werden, daß die Diss. 1972 unter dem Eindruck des „Prager Frühlings“ 1968 geschrieben war, der wiederum in Erinnerung an den 17. Juni 1953 in der DDR und an den Volksaufstand in Ungarn 1956 die SED-Führung und das MfS alarmiert und zu Präventivmaßnahmen geführt hatte Es überstieg offenbar den Horizont kommunistischer Funktionäre, den Widerstand gegen ihren „realexistierenden“ Sozialismus anders als von außen betrieben und gelenkt anzusehen. Das MfS sah ferner im Festhalten der Bundesregierung an der Offenheit der deutschen Frage ein wichtiges Motiv für die angebliche PID. Das war insofern nicht falsch, als die Verhältnisse in der DDR die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik, freilich mit abnehmender Tendenz, besonders interessierten und deshalb Anlaß für eine breitere Berichterstattung und Kommentierung als anderswo gaben.
Anlaß für die Beschäftigung mit der DDR gab ferner die permanente Verletzung der Menschenrechte durch deren totalitäres Herrschaftssystem, wenn auch im Westen eine gewisse Tendenz in einigen politischen, publizistischen und wissenschaftlichen Kreisen nicht zu verkennen war, darüber den Mantel des (sozialistischen) Schweigens zu breiten, während von denselben Kreisen Menschenrechtsverletzungen in den entferntesten Winkeln der Welt angeprangert wurden -vorausgesetzt allerdings, daß die politische Zuordnung stimmte. International besteht Übereinstimmung, daß Verletzungen von Menschenrechten nicht allein Sache des Landes sind, in dem sie begangen werden. In der DDR wurde versucht, die kritische Berichterstattung und Kommentierung zu konterkarrieren, indem die These von der Klassenabhängigkeit der Menschenrechte erfunden wurde Eine an der JHS geschriebene Dissertation beschäftigte sich ebenfalls mit diesem Thema, ohne jedoch etwas dazu beizutragen, was über das sonst in der DDR dazu Propagierte hinausging
V. Die Organisation der „politischideologischen Diversion“ aus der Sicht des MfS
Einem Hang folgend, Verhältnisse im eigenen politischen System auch auf gänzlich andere zu übertragen, stellte die Diss. 1972 die Behauptung auf, die angebliche PID würde im Westen zentral geplant und geleitet. Oberstes Planungs-und Leitungsorgan sei das Bundeskanzleramt (BKA) gewesen -und das ausgerechnet zu einer Zeit, als Willy Brandt Bundeskanzler war. In der Dissertation aus dem Jahre 1987 die die Grundlage für das Lehrbuch im Jahre 1988 geworden war -hin-fort zitiert als Diss. 1987 (Lehrbuch) wird diese groteske These zwar nicht wiederholt, aber an der Planmäßigkeit und Subversivität der PID wurde unentwegt festgehalten.
Unter der „zentralen Planung und Leitung“ des BKA seien nach der Diss. 1972 drei Kategorien von Organen tätig gewesen: Führungsorgane, Forschungsorgane und „operativ-taktische“ Organe. Die Diss. 1987 (Lehrbuch) hielt an dieser Dreiteilung fest und benannte die „Zentren der PID“ als Führungsorgane, Forschungsorgane und durchführende Organe. Wenn auch jetzt eine „zentrale Leitung und Planung“ nicht mehr behauptet wurde, hielt man doch an der Planmäßigkeit fest und ging von einer gemeinsamen „Grundorientierung“ aus. Unterschieden wurde zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen, die sich aber insgesamt wegen ihrer Finanzierung in Abhängigkeit vom Staate befunden hätten.
Als Führungsorgane der PID wurden in der Diss. 1987 (Lehrbuch) die „richtlinienkompetenten und weisungsberechtigten Einrichtungen der Bundestagsparteien, von Monopolverbänden und der Kirchen“ sowie deren „spezielle Einheiten und Organe“ bezeichnet. Aufgeführt wurden als wichtigstes das Bundeskanzleramt, weiter das Auswärtige Amt, die Bundesministerien des Innern und für innerdeutsche Beziehungen, das sich zur Realisierung der Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben -Gesamtdeutsches Institut -(BfgA) bedient hätte. Die Diss. 1987 (Lehrbuch) zeigte vor dessen Mitarbeitern hohen Respekt: „Die Mehrzahl der Mitarbeiter der BfgA besteht aus erfahrenen, wissenschaftlich tätigen Kräften und ,DDR-Forschern‘, die neben ihrer analytischen Arbeit und Forschungstätigkeit oftmals als , Berater und Experten 1 der Bundesregierung für die Gestaltung der Beziehungen zur DDR fungieren“ (S. 95).
Zur Realisierung ihrer Funktionen hätten sich die Führungsorgane unter anderem „Koordinierungsorganen“ bedient. Ein solches soll vor allem die „Gesellschaft für Deutschlandforschung“ gewesen sein, die 1978 als eine nichtstaatliche Einrichtung von „rechtsorientierten“ DDR-Forschern geschaffen und seit der Regierungsübernahme durch die christlich-liberale Koalition als eine Art Leitinstitution für die DDR-und vergleichende Deutschlandforschung ausgebaut worden sei. Besonders hervorgehoben wurde deren „Memorandum zur Intensivierung der DDR-und vergleichenden Deutschlandforschung“ vom 26. 1. 1984
Aufmerksam observierte das MfS die Forschungsorgane. Als solche wurden in der Diss. 1987 (Lehrbuch) die Einrichtungen der Kommunismus-, Osteuropa-und DDR-Forschung bezeichnet, die unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden spezifische analytische und konzeptionelle Arbeiten für die Entscheidungsfindung von Führungsorganen, für die inhaltliche und methodische Ausgestaltung der PID und für die Erhöhung ihrer Wirksamkeit zu leisten gehabt hätten. Ihre Tätigkeit wurde also ausschließlich unter dem Aspekt eines subversiven Einwirkens in die DDR und die sozialistischen Staaten gesehen
Die DDR-und vergleichende Deutschlandforschung wurde vom MfS für so wichtig gehalten, daß dazu 1974 eine eigene Dissertation und 1985 eine Diplomarbeit speziell über diese Forschung in Berlin-West geschrieben wurden. Aus der Dissertation von 1972 ergibt sich, daß die intensivere Beschäftigung mit der DDR-und vergleichenden Deutschlandforschung auf den „Genossen Minister“ höchstpersönlich zurückging, der im Frühjahrsseminar der JHS und auf Dienstkonferenzen nachgewiesen habe, daß diese mit besonderer Unterstützung führender SPD-Politiker eine immer größer werdende Rolle im „System der Feindtätigkeit“ erhalten habe. In beiden Abhandlungen werden zahlreiche Forschungseinrichtungen genannt und entsprechend charakterisiert.
Als „durchführende Organe“ wurde eine Vielzahl von Einrichtungen und Organen bezeichnet, die unter gezielter Einflußnahme der Führungsgremien primär die Aufgabe gehabt hätten, die von den Forschungsorganen erarbeiteten Leitlinien, Leitbilder, Argumentationen, Konzeptionen, Gesellschaftsmodelle, Sprachregelungen u. a. zielgerichtet zu verbreiten, inhaltlich auszugestalten und damit in den Zielgebieten Wirkungen zu erzeugen. Dazu hätten „im wesentlichen“ gehört: -die Massenmedien, die subversiv-ideologisch in die DDR und die sozialistischen Länder einwirkten; -Organe und Einrichtungen des Staates, der Parteien, der Kirchen u. a., die sowohl die eigene Bevölkerung manipulierten als auch subversiv-ideologisch in das sozialistische Lager einwirkten; -„Feindorganisationen“, die sich aktiv an der PID beteiligten.
Eine Schlüsselrolle würden die elektronischen Medien spielen. Deren besondere Gefährlichkeit wurde eingehend mit allen ihren Eigenheiten begründet. Im einzelnen wurden dann die Sende-anstalten aufgeführt, die besondere Bedeutung für die PID gehabt hätten: ARD und ZDF nicht nur wegen ihrer Nachrichtensendungen, Kommentare und politischen Magazine, sondern auch wegen ihrer Fernsehspiele und -dokumentationen mit politischem oder historischem Hintergrund, ja sogar wegen mancher Unterhaltungssendungen; ferner die Rundfunksender RIAS Berlin, SFB und Deutschlandfunk.
Aber auch die Printmedien hätten für die PID Bedeutung gehabt. Das staatliche Organ, das besonderen Einfluß auf die Massenmedien zum Zwecke der PID ausgeübt habe, sei das Bundes-presseamt gewesen. In der Neigung, Zustände im eigenen Herrschaftssystem auf diejenigen in anderen Ländern zu übertragen, zogen die Mitarbeiter des MfS offensichtlich eine Parallele zum Presseamt beim Vorsitzenden des DDR-Ministerrats, das die periodisch in der DDR erscheinenden Presse-erzeugnisse politisch-administrativ zu kontrollieren hatte und ihnen gegenüber weisungsberechtigt war Der PID verdächtigt wurden aber nicht nur politische Tages-und Wochenzeitungen, sondern auch die schöngeistige Literatur, insbesondere die moderne.
Der Manipulation der eigenen Bevölkerung wurde insbesondere die Bundeszentrale für politische Bildungbezichtigt. Diese sei auch an der Schulung von Bundesbürgern beteiligt gewesen, die für die PID in die DDR hätten eingesetzt werden sollen. Derselbe Vorwurf wurde gegenüber Einrichtungen der deutschlandpolitischen Bildungs-und Informationsarbeit erhoben, die den „organisierten Tourismus“ betrieben hätten, sowie derjenigen der Kirchen. Als PID betreibende „Feindorganisationen“ galten ferner die Vertriebenenverbände -in der DDR durchweg als „Revanchisten“ bezeichnet die Arbeitsgemeinschaft 13. August, die Vereinigung der Opfer des Stalinismus, die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte und ähnliche Organisationen, aber auch „kriminelle Menschenhändlerbanden“ sowie „linksextremistische“ Vereinigungen -das heißt maoistische und anarchistische Gruppierungen
Auch ausländische Institutionen, wie die GDR Studies Association of the United States -die im Gegensatz zur German Studies Association der DDR eher unkritisch gegenüberstand das American Institute of Contemporary Studies mit Sitz in Washington D. C. und sogar das Aspen-Institut wurden als „Feindorganisationen“ angesehen.
VI. Formen, Mittel und Methoden der „politisch-ideologischen Diversion“
Mit Beginn der neuen Ostpolitik der sozial-liberalen Bundesregierung wurde zwischen zwei Formen unterschieden, in denen angeblich die PID betrieben wurde: die militant-grobschlächtige und die flexibel-verschleierte. Beide Formen hätten nebeneinander bestanden, wenn auch die erste vor allem unter der christlich-demokratisch dominierten Bundesregierung bevorzugt gewesen, aber von konservativen Kräften auch noch danach genutzt worden sei. In der zweiten Form sei die PID von der SPD/FDP-Regierung betrieben worden. Während der CDU/FDP-Regierung seien beide Formen nebeneinander zu Geltung gekommen, wobei eine Akzentverlagerung zur ersten Form festzustellen gewesen sei.
Die „flexibel-verschleierte“ Form der angeblichen PID wurde für das Denken der Menschen in der DDR deshalb für gefährlicher gehalten, weil sie realistischerweise nur auf Veränderungen, auf eine „Liberalisierung“, „Sozialdemokratisierung“, nicht aber auf einen -damals ohnehin utopisch erscheinenden -Sturz des kommunistischen Herrschaftssystems gezielt habe. Sie konnte also mit mehr Akzeptanz bei der Bevölkerung rechnen. Andererseits habe sie aber auch eine größere Möglichkeit für das MfS geboten, auf die Politik in der Bundesrepublik einzuwirken, da ihre Vertreter der DDR gegenüber wohlwollender eingestellt waren, als die Vertreter der militant-grobschlächtigen Form
Nach den JHS-Dissertationen wären die Mittel der angeblichen PID vor allem die Herstellung von „indirekten“ und „direkten“ Kontakten gewesen. Als Herstellung indirekter Kontakte wurden dieSendungen der elektronischen Massenmedien aller Art sowie das Einschmuggeln von Tageszeitungen und Illustrierten bis hin zu Werken schön-geistiger Literatur bezeichnet, die nicht selten als pornographisch denunziert wurde.
Eine besondere Infamie lag darin, daß die Bemühungen der Bundesregierungen um verbesserte menschliche Beziehungen vom MfS verdächtigt wurden, der direkten Kontaktaufnahme zwischen Menschen aus beiden Teilen Deutschlands zum Zweck der PID Vorschub leisten zu wollen. In den Dissertationen wurde zwar nur vom „Mißbrauch“ von Kontakten gesprochen. Aber was Mißbrauch war, stellten die Organe des MfS fest, und um das zu können, mußte es nach Möglichkeit alle Kontakte zumindest observieren lassen, wenn es diese nicht in gravierend erscheinenden Fällen zu verhindern trachtete. Gefürchtet wurde nicht so sehr, daß durch Kontakte von Mensch zu Mensch zu staatsfeindlichen Handlungen angestiftet würde, sondern mehr, daß durch Sehen und Hören westlicher Sendungen Einfluß auf das Denken der Menschen in der DDR, auf ihr „sozialistisches“ Bewußtsein genommen werden könnte -ein weites Feld für die Tätigkeit des MfS als Ideologiepolizei mit unter Umständen beträchtlichen Folgen.
Als eine weitere gefährliche Möglichkeit zur Herstellung von direkten Kontakten zu Menschen in der DDR betrachtete das MfS die Arbeit der in der DDR tätigen Korrespondenten und Journalisten „imperialistischer“ Publikationsorgane, die schon vor Abschluß des Grundlagenvertrages vom 21. 12. 1972 zugelassen worden waren In der Diss. 1987 (Lehrbuch^ wurde behauptet, sie seien von „durchführenden Organen“ speziell beauftragt, subversiv-ideologisch auf den realen Sozialismus „vor Ort“ einzuwirken und mitzuhelfen, die PID so effektiv wie möglich zu führen. Sie waren also bevorzugte „Objekte“ des MfS in seiner Eigenschaft als Ideologiepolizei.
Als Methoden der PID wurden Hetze, Demagogie, die Verbreitung von Lügen und Halbwahrheiten genannt. Das seien auch die Methoden zur Manipulation der eigenen Bevölkerung. Dazu würden die Erkenntnisse der Psychologie, der Massenkommunikationswissenschaft und der Informationstechnik eingesetzt. Allerdings mußten die Autoren der Diss. 1987 (Lehrbuch) eingestehen, daß die Kenntnisse der Wirkung der angeblichen PID „noch“ begrenzt seien. Zu ihrer Entschuldigung ist sarkastisch zu bemerken, daß es in der Tat kaum möglich ist, Wirkungen einer Chimäre festzustellen. Anders ist es mit den Auswirkungen der Bekämpfung der angeblichen PID -also mit der „Tätigkeit“ des MfS gegenüber den Betroffenen. Sie haben darunter gelitten.
Der Mangel an Kenntnissen über die Auswirkungen der angeblichen PID war kein Hindernis für die Verfasser der hier analysierten Abhandlungen, die Bedingungen dafür ausführlich zu untersuchen. Die Diss. 1972 unterschied zwischen objektiven und subjektiven, die Diss. 1987 (Lehrbuch) zwischen sozialen und individuellen Bedingungen. Beide meinten grundsätzlich das gleiche, wenn auch die Akzente verschieden gesetzt waren. Dabei wurden erstaunliche Erkenntnisse über die Situation in der DDR vorgetragen, wie sie nur Abhandlungen enthalten konnten, die als Verschlußsachen nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Dabei wurde nach dem üblichen Strickmuster verfahren: Zunächst wurden die gewaltigen Erfolge des Sozialismus unter Führung der Sowjetunion gepriesen und die felsenfeste Überzeugung vom Endsieg des Sozialismus/Kommunismus über den „Imperialismus“ manifestiert. Dann aber kam die Darstellung der Hindernisse, die dem im Wege stünden.
So nannte die Diss. 1972 als die PID begünstigende Bedingungen das Vorhandensein von bestimmten Personengruppen in der DDR: -Personen, die aus „nationalistischen“, sozialdemokratischen oder revisionistischen Gründen „sozialismusfeindliche“ Auffassungen vertreten würden; -Künstler und Kulturschaffende mit ihren Forderungen nach größeren individuellen Freiheiten; -Personen, deren geistig-kulturelles Niveau hinter den angeblich vorhandenen Möglichkeiten in der „sozialistischen“ Gesellschaft zurückgeblieben seien. Dazu wurden insbesondere jüngere Menschen gerechnet, unter denen „nichtsozialistische, negative zwischenmenschliche Gruppenbeziehungen“ existierten, die sich häufig auf „moderne westliche Musik-und Sprechsendungen orientieren“; -Personen mit „aus Tradition, Sitten, Gebräuchen, religiösen Bindungen und kleinbürgerlichen sozialen Leitbildern und Moralnormen resultierenden Denk-und Verhaltensweisen“; -Personen, die vor dem Druck des „Feindes“ zurückgewichen seien. Dazu rechneten auch solche, die als verantwortliche Persönlichkeiten nicht mehr in der Lage seien, die in ihren Bereichen vorhandenen Schwierigkeiten „durch die schöpferische Anwendung und Entwicklung des Marxismus-Leninismus“ zu überwinden, sondern den Ausweg in einer Übernahme bürgerlicher Theorien und Praktiken gesucht hätten;
-Personen, die für Fehlentwicklungen empfänglich seien, für deren Entstehung das Fehlverhalten von Funktionären auf mittlerer Ebene verantwortlich gemacht wurde. Solches hätte seine Ursache gehabt im „Vorhandensein von Unzulänglichkeiten, Mängeln und Schwächen und anderen der sozialistischen Entwicklung nicht entsprechenden Erscheinungen, die sich aus der Nicht-oder Mißachtung der objektiven Gesetzmäßigkeiten bzw. aus einer mangelhaften ideologischen Aufklärung und Überzeugungsarbeit ergeben“ hätten. Damit wurden „hausgemachte“ Mängel eingestanden. Als Nährboden für die Wirkung angeblicher PID wurden des weiteren eine Reihe von Gründen angegeben, die ebenfalls eher persönlichen Charakter hätten. Dazu wurden gerechnet:
-Unzufriedenheit mit bestimmten Erscheinungen im Arbeits-und Freizeitbereich;
-pessimistische Einstellungen zu bestimmten Entwicklungstendenzen in der sozialistischen Gesellschaft; -Zweifel an der Richtigkeit der Politik von Partei und Regierung in bestimmten Teilbereichen oder zu bestimmten Problemen;
-Nichtverstehen der komplizierten Dialektik der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft;
-Kritik an bestimmten Erscheinungen in der sozialistischen Gesellschaft, die ihrem Wesen nach berechtigt sei, aber mit völlig ungeeigneten Mitteln und Methoden zum Ausdruck gebracht werde; -prinzipienloses Suchen nach Widersprüchen in der sozialistischen Gesellschaft;
-Vertuschen von persönlichen Mängeln und Fehlern in der Arbeit, verbunden mit Versuchen, diese der Politik von Partei und Regierung anzulasten.
Angesichts der Fülle dieser die angebliche PID begünstigenden Bedingungen ist zu fragen, ob überhaupt noch Menschen übrigblieben, die nicht in Verdacht geraten waren, den Einwirkungen des „Klassenfeindes“ zu erliegen. Die Aufzählung zeigt in jeder Kategorie das totalitäre marxistischleninistische Bild vom nur außengeleiteten Menschen. Es lag offenbar außerhalb des Horizonts kommunistischer Funktionäre, davon auszugehen, daß der Mensch naturgegebene Regungen hat, zu denen auch der Wille zur Freiheit und Selbstbestimmung gehören.
Die etwa fünfzehn Jahre später geschriebene Diss. 1987 (Lehrbuch) setzte insofern einen neuen Akzent, als sie die PID begünstigenden Bedingungen in der DDR realistischer sah. Es werden dort „hausgemachte“ Mängel in einem für eine im Machtbereich des MfS erarbeitete Abhandlung überraschenden Ausmaß festgestellt -unbeschadet ihrer Behauptung, die großen Erfolge der sozialistischen Planwirtschaft hätte die westliche DDR-Forschung dazu genötigt, ihre Angriffe „differenzierter und konkreter“ vorzutragen. U. a. wurden genannt: -vielfach ungünstige Arbeitsbedingungen; -die Existenz einer Doppelwährung in der DDR, welche die Besitzer von DM im Alltag privilegiere, was freilich als „Währungs-und Waren-spekulation“ bezeichnet wurde; -umfangreiche „persönliche Veränderungen (so wurden Zwangsumsetzungen von Arbeitnehmern und Entlassungen bezeichnet infolge der „weiteren Umstellung der Volkswirtschaft auf die intensive erweiterte Reproduktion“, sprich Rationalisierung); -Versorgungsschwierigkeiten; -Umweltschäden, die aus ökonomischen Gründen nicht hätten vermieden oder beseitigt werden können; -Verhalten von Funktionären, denen Bürokratismus, Herzlosigkeit, Unfähigkeit, Karrierismus, Selbstherrlichkeit, Verantwortungslosigkeit, Egoismus und Resignation vorzuwerfen seien.
Das waren harte Tatsachen und sie verrieten das Wissen um ein hohes Maß an Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Sehr wahrscheinlich aber besaßen die Mitarbeiter der JHS nicht die Kenntnisse über die Ursachen der Misere im einzelnen, wie sie die Hauptabteilung XVIII hatte. Denn diese hatte zwar versucht, die Parteiführung über den wirklichen Zustand der Volkswirtschaft ungeschminkt zu unterrichten indessen hatte sie das aber nicht anderen Linien und auch nicht der JHS gegenüber getan. Es fällt auf, daß die analysierten Abhandlungen wohl über eine Unterrichtung durch andere Stellen des MfS berichteten, niemals aber über eine Kooperation mit der HA XVIII.
VIII. Spezifische Aufgaben des MfS
Außerhalb seines Machtbereichs wirkte das MfS vor allem durch Spionage, aber auch durch gezieltes Einschleusen von Fehlinformationen und Verleumdungen. Soweit diese nicht völlig aus der Luft gegriffen waren, beruhten sie auf Berichten von Spionen, bei denen es dem MfS gelungen war. sie in die angeblichen Zentren (Führungs-, Forschungs-und „durchführende“ Organe) einzuschleusen. Aufschlußreich ist dabei die Methode, mit der ihre Werbung vorbereitet wurde. Unter dem Vorwand, prüfen zu wollen, inwieweit Mitarbeiter von Forschungseinrichtungen gegen die bundesdeutschen Strafgesetze verstoßen hätten, sollten über sie umfangreiche Erkundigungen eingeholt werden, die freilich weniger strafrechtlich relevante Tatbestände zutage fördern konnten, als vielmehr Unterlagen über die personelle Besetzung und die Arbeit der Forschungseinrichtungen lieferten, die auch Aufschluß über Möglichkeiten der Agentenwerbung aufzeigen konnten. Dazu war in der Dissertation aus dem Jahre 1974 ein Fragebogen entworfen worden, der unter anderem Angaben verlangte über die politische Einstellung der „Zielperson“, ihre Bedeutung für die „imperialistische“ Ost-und DDR-Forschung, ihren Forschungsgegenstand, ihre persönlichen Beziehungen zu dieser Forschung sowie über ihre arbeitsrechtliche Stellung
Im Innern der DDR wandte das MfS eine Vielfalt von Methoden an, die seinem Charakter entsprechend geheimdienstlicher Natur waren und von allen Linien und operativen Diensteinheiten befolgt werden mußten. Dazu gehörten eine Informationspflicht gegenüber anderen Organen von Partei und Staat, besonders gegenüber anderen Sicherheitsorganen wie der Volkspolizei und Zoll
Verwaltung, wenn es ratsam war, sie über Erscheinungen der PID zu unterrichten. Indessen sollte zur Bekämpfung der PID auch Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden, deren Urheber freilich geheim bleiben mußte. Bei ihr handelte es sich um eine Arbeit nicht in der Öffentlichkeit, sondern für die Öffentlichkeit Auch die operative Personen-kontrolle hatte nach den allgemeinen Befehlen und Richtlinien eine wichtige Funktion bei der Bekämpfung der PID.
Die Anstrengungen des MfS zur Bekämpfung dessen, was es „politisch-ideologische Diversion“ nannte, waren beträchtlich und wurden mit niederträchtigen Methoden geführt. Wenn dieser Kampf auch einem Hirngespinst galt, so lastete er doch schwer auf der Bevölkerung der DDR und fügte auch der Bundesrepublik durch Spionage Schaden zu. Am Ende blieben „Schild und Schwert der Partei“ in ihrem gleichermaßen inhumanen wie grotesken Kampf gegen „PID“ und „PUT“ erfolglos. Im Gespräch mit dem Verfasser sagte Dietrich Fischer, der einstige PID-Lehrstuhlleiter an der JHS: Als man gemerkt habe, daß die Partei unter Egon Krenz sich selbst als führende Kraft aufgegeben hatte, sei es nutzlos geworden, sich noch für sie einzusetzen
Das sozialistische Bewußtsein war nun selbst den Mitarbeitern des MfS abhanden gekommen -sicher nicht eine Folge von angeblicher „politischideologischer Diversion“, sondern ein Sieg des Freiheitswillens der Menschen in der DDR und, wer wollte das leugnen, auch ihres Strebens nach einem besseren Leben.