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Jugendliche in den neuen Bundesländern. Ergebnisse einer empirischen Studie zum Wandel der Meinungen, Einstellungen und Werte von Jugendlichen in Sachsen 1990 bis 1994 | APuZ 19/1996 | bpb.de

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APuZ 19/1996 Das Verhältnis Jugendlicher und junger Erwachsener zur Politik: Normalisierung oder Krisenentwicklung? Jugendliche in den neuen Bundesländern. Ergebnisse einer empirischen Studie zum Wandel der Meinungen, Einstellungen und Werte von Jugendlichen in Sachsen 1990 bis 1994 Die Generation der Vereinigung Jugendliche in den neuen Bundesländern über die Plan-und Marktwirtschaft

Jugendliche in den neuen Bundesländern. Ergebnisse einer empirischen Studie zum Wandel der Meinungen, Einstellungen und Werte von Jugendlichen in Sachsen 1990 bis 1994

Peter Förster/Walter Friedrich

/ 28 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Auf der Grundlage unserer Replikationsstudien bei sächsischen Jugendlichen können seit 1990 Einstellungstrends zuverlässig bestimmt werden. Seit 1992 treten in verschiedenen Einstellungsbereichen neue Tendenzen hervor. Nicht selten kommt es im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren zu einer Trendumkehr. Wichtige Ergebnisse sind u. a.: -Wurden in der Zeit unmittelbar nach der Wende und Vereinigung rechte Positionen im Links-Rechts-Spektrum zunehmend häufiger gewählt, so geht der Trend seit 1992 in die Gegenrichtung. -Rechtsextreme Anschauungen und Verhaltensweisen wie nationalistische Attitüden und Stereotype, auch Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus haben in den letzten Jahren bei ostdeutschen Jugendlichen an Einfluß verloren. Demgegenüber sind Gewaltakzeptanz und Gewaltbereitschaft noch unvermindert hoch, besonders gegenüber Vertretern der politischen Gegenseite, den „Andersdenkenden“. -Die Zufriedenheit mit dem politischen System in der Bundesrepublik hat sich verringert. Das alte Gesellschaftsmodell hat seine Anziehungskraft zwar fast vollständig verloren, das gegenwärtige wird jedoch erst von einer Minderheit voll akzeptiert. -Die Mehrheit der Jugendlichen fühlt sich als Bürger der Bundesrepublik, ohne die emotionale Verbundenheit mit der DDR aufgegeben zu haben. Diese Beziehung ist offensichtlich auch bei jungen Menschen psychostrukturell tief verankert.

I. Vorbemerkungen

Das Leipziger Institut für praktische Sozialforschung e. V. (LIPS) hat Ende 1994 in allen Regionen des Freistaates Sachsen eine inhaltlich breit angelegte Jugendstudie zu folgenden Themenbereichen durchgeführt:

-Rechtsextreme Denk-und Verhaltensweisen, Gewaltbereitschaft;

-Ausländerfeindlichkeit;

-Politische Grundeinstellungen;

-Lebensorientierungen und Lebensbefindlichkeiten sowie -Freizeitgestaltung, Sozialbeziehungen.

In 24 Mittelschulen und 11 Gymnasien wurden 2 895 Schülerinnen und Schüler aus 125 Klassen der Klassenstufen 8 bis 12 einbezogen.

Die Untersuchung fand als anonyme schriftliche Befragung im Klassenverband statt. Der in einem Pre-Test geprüfte Fragebogen beinhaltete fast ausschließlich geschlossene sowie wenige offene Fragen zur freien Beantwortung. Die Verweigerungsrate lag unter einem Prozent

Die Ergebnisse der Studie sind repräsentativ für Schüler der Klassen 9 und 10 der Mittelschule und der Klassen 9 bis 12 des Gymnasiums. Die Zusammensetzung dieser Stichprobe entspricht der Struktur der sächsischen Schülerschaft in bezug auf die Anteile von Mittelschülern und Gymnasiasten, Jungen und Mädchen sowie der Gemeinde-größe ihres Wohnortes. Die Populationen der Mittelschüler bzw. Gymnasiasten der 8. Klasse sind für sich genommen ebenfalls repräsentativ.

Repräsentanz für die Schuljugend in allen fünf neuen Bundesländern ist nicht gegeben. Aus größeren Untersuchungen der letzten Zeit geht allerdings übereinstimmend hervor, daß die politischen und sozialen Einstellungen und die Lebensbefindlichkeiten der Jugendlichen in den anderen neuen Bundesländern denen aus Sachsen sehr ähnlich sind.

Ein wesentlicher Vorzug unserer Studie besteht in der hohen Vergleichbarkeit mit anderen Studien der Jugend-und Meinungsforschung der letzten Jahre

Unsere Studie ist Teil einer Langzeitanalyse des Meinungs-und Einstellungswandels sächsischer Schüler seit 1990. Sie schließt an früher von uns durchgeführte Untersuchungen an und ist so in der Lage, Trends der letzten Jahre seit der Wende genauer zu kennzeichnen.

Diese Vergleichsuntersuchungen belegen sehr anschaulich: Der fundamentale Gesellschaftswandel drückt sich in einer hohen Veränderungsdynamik der Meinungen, Einstellungen, Werte, der gesamten Mentalität der Jugend im Osten aus. Die Veränderungsprozesse hatten allerdings spezifische Akzente und Merkmalsausprägungen in den verschiedenen Phasen dieser turbulenten Zeit:

-in der Endzeit der DDR (vor der Wende, etwa 1988/89);

-während des abrupten Systemverfalls (1990);-unmittelbar nach der Vereinigung (bis etwa 1992).

In Ostdeutschland wächst eine neue Jugendgeneration heran. Sie ist durch die tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüche und Modernisierungsprozesse, die dadurch bedingten grundlegenden Veränderungen ihrer Lebenswelt nach der Wende und der Vereinigung in ihrem Wesen entscheidend geprägt.

Die heute 14-bis 18jährigen haben Wende und Vereinigung als Kinder, als Heranwachsende in der Vorpubertätsphase erlebt, weshalb sie nur auf einem eingeschränkten subjektiven Reflexionsund Aktivitätsniveau mit diesen Ereignissen konfrontiert waren. Im Vergleich zu älteren Jugend-jahrgängen waren sie im Durchschnitt erheblich weniger mit den Problemen und Konflikten des Systemwechsels belastet. Das Einleben in die neue Gesellschaft und Alltagswelt ist ihnen daher vergleichsweise leichter gefallen.

Das ist wohl die Grundlage dafür, daß sie heute so selbstbewußt und resolut den völlig veränderten Lebensverhältnissen zugewandt sind, diese schon als selbstverständlich empfinden, aber gerade deshalb auch so nüchtern und kritisch bewerten. Die Probleme ihrer neuen Gesellschaft und Alltags-welt werden von den heute heranwachsenden Jugendlichen aus einer zunehmend kompetenten und eigenständigen, aus einer „starken Position“ heraus beurteilt und offen, ohne großes Taktieren, angesprochen -allerdings nur, wenn sie diese Probleme auch interessant finden. Was von ihnen nicht als interessant bewertet wird, wollen sie auch nicht diskutieren -selbst wenn es Politikern, Eltern, Lehrern, anderen Erwachsenen nicht passen sollte.

So haben wir die Meinungen dieser jungen Generation durchaus ernst zu nehmen; sie werden ehrlich vorgetragen -es gibt ja keinen Grund, sie zurückzuhalten. Das betrifft auch die Antworten der sächsischen Schüler auf die Fragen dieser Untersuchung.

Die Wucht der Ereignisse und Probleme, die unmittelbar vor und nach der Wende im Herbst 1989 sowie der späteren Vereinigung am 3. Oktober 1990 die Jugendlichen damals traf, bereitete den meisten von ihnen große Schwierigkeiten, führte zu Erscheinungen der Desorientierung, Verhaltenslabilität, auch zu neuen Feindbildern, Vorurteilen, zu einem rasch anwachsenden Aggressionspotential und häufigen Gewalthandlungen.Das konnten wir besonders anhand der Ergebnisse unserer Untersuchungen aus dem Jahre 1990 sowie der von 1992 nachweisen 1992 ist aus unserer Forschungsperspektive das Jahr, in dem zahlreiche negative Erscheinungen und Trends (wie Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus) kulminierten. Andere Forschungsberichte, Statistiken und öffentliche Vorkommnisse (etwa Jugendkrawalle) korrelieren damit und bekräftigen unsere Feststellung.

Seitdem hat sich die Bewußtseinslage der Jugend in mancher Hinsicht gravierend verändert. Gegenwärtig scheint sich eine andere Phase anzukündigen, mit neuen -teils erwarteten, teils auch unerwarteten -Akzenten. Zwar gibt es bis heute auch zahlreiche kontinuierliche Verläufe, Trendfortsetzungen, besonders im politischen Einstellungsbereich -gerade auch dort, wo der befangene Beobachter ganz andere Entwicklungen erwartet hätte. Verschiedene Ergebnisse deuten darauf hin, daß sich bestimmte Folgeerscheinungen der Vereinigung 1994 deutlich negativer auswirken und von ihnen auch entsprechend reflektiert werden, als dies noch 1990/92 der Fall war. Beispiele hierfür sind die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit der Eltern, die psychisch stark belastende Sorge um den späteren Ausbildungs-bzw. Arbeitsplatz. Aber unsere Studie läßt auch eine Reihe sehr interessanter Trendbrüche und neuer Tendenzen hervortreten, vor allem den Rückgang der Ausländerfeindlichkeit und rechtsextremer Anschauungen. Gerade daran zeigt sich, daß man die Nachwende-Generation im Osten nicht mit schnellen Urteilen und Etiketten, wie etwa „stärker gewalttätig, ausländerfeindlich, antisemitischer, rechtsextremer als die westdeutsche Jugend“, versehen darf. Solche Erscheinungen, wenn sie in den vergangenen Jahren gehäuft auftraten, müssen als temporäre und als durch die Umbrüche, Wirrnisse der Krisenzeit bedingte Phänomene erkannt werden -und dürfen nicht aus ideologischer Sicht kurzerhand als Ausdruck eines in der DDR sozialisierten „autoritären Charakters“ interpretiert werden.

Schließlich zeigt unsere Studie auch die Vielfalt und Differenziertheit der Jugend. Abgesehen davon, daß jeder einzelne Jugendliche eine einzig-artige, unverwechselbare Persönlichkeit darstellt, sind doch die großen Unterschiede zwischen den Angehörigen solcher Teilpopulationen, wie sie sich etwa nach Geschlechtergruppen, Schultypen, sozialen Herkunftsgruppen, Konfessionszugehörigkeit, Ortsklassen bzw. nach solchen familialen Einflußfaktoren wie Struktur der Familie, Erwerbsstatus, Einkommen ergeben, sehr charakteristisch und für Politik, Schule, für den Umgang mit Jugendlichen überhaupt relevant. Aber auch die Besonderheiten bestimmter Regionen sowie des Schul-oder Schulklassenmilieus spielen eine bedeutsame Rolle bei der Ausprägung der typischen Mentalität, Persönlichkeitsvarianten, der Biographie der „Jugend von heute“. Dafür sprechen u. a. die teilweise beträchtlichen Unterschiede zwischen den Befragungsergebnissen der einbezogenen Schulen.

Die ostdeutsche Jugend befindet sich nach wie vor in einem intensiven Wandlungsprozeß ihrer sozial-kulturellen, politisch-weltanschaulichen Werte, Einstellungen und Befindlichkeiten, ihrer gesamten Mentalität. Das wird sich gewiß auch nicht so bald ändern.

Wer sie in ihrer aktuellen psycho-sozialen Verfassung zuverlässig und wirklichkeitsentsprechend beurteilen will, der darf nicht die Untersuchungsergebnisse aus zurückliegenden Jahren festschreiben. Der intensive Wandel der Jugend erfordert vielmehr, exakte Vergleichs-und Längsschnittforschungen zu organisieren und deren Ergebnisse unvoreingenommen in ihrer Komplexität und oft unerwarteten Widersprüchlichkeit zur Kenntnis zu nehmen.

II. Lebenswerte -mehr hedonistisch als sozial

Ein Werte-bzw. Mentalitätswandel konnte schon zu DDR-Zeiten bei der Jugend festgestellt werden. Seit Mitte der siebziger Jahre wurden individuumszentrierte Werte wie Streben nach Lebensgenuß, nach eigenständiger Lebensgestaltung, nach persönlichem Wohlstand zunehmend hervorgehoben. Aber auch die Werte Freundschaftsbeziehungen und sinnerfüllte Arbeit stiegen im

Kurs.

In der unmittelbaren Wendezeit kam es verständlicherweise verstärkt zu Irritationen, Brüchen, Zuspitzungen im Wertebewußtsein der ostdeutschen Jugend; neue Wertstrukturen bildeten sich heraus. Nach unserer Studie sind die allgemein anerkannten und verbreiteten Top-Werte der 14-bis 18jährigen heute: Arbeit, Freunde, Lebensgenuß, Familie. Am unteren Ende der Bedeutungsskala rangieren dagegen politisches Engagement und christliche Werte. Das entspricht weitgehend auch anderen Jugenduntersuchungen der letzten Zeit.

Im Vergleich zu 1992 hat sich Ende 1994 der persönliche Bedeutungsgrad der meisten Lebenswerte nicht oder nur geringfügig verändert. Einen signifikanten Bedeutungszuwachs konnten wir jedoch bei den Wünschen nach aufregenden Erlebnissen, nach Lebensgenuß, nach Geld und nach persönlichem Vorteil feststellen. Hedonistische und egozentrische Bedürfnisse haben demnach deutlich an Verbreitung gewonnen. Dagegen deutet sich eine rückläufige Tendenz beim Anspruch auf eine eigene Lebensgestaltung an, vor allem aber eine klare Regression (im Vergleich mit Wertestudien vor 1989) hinsichtlich sozialer Motivation und Hilfsbereitschaft: „Für andere Menschen da sein, auch wenn man selbst auf etwas verzichten muß“ -das wird heute von jungen Ostdeutschen weniger hoch bewertet, weil es in einer Gesellschaft, in der Rivalität und Ellenbogenmentalität vorherrschen, von ihnen seltener als positiv sanktionierter Wert erfahren wird.

III. Lebensbefindlichkeiten

1. Lebenszufriedenheit -viel Licht, aber auch Schatten Die Analyse der verschiedenen Seiten der Lebens-zufriedenheit ergibt ein sehr heterogenes Bild. Ein ausgesprochen hohes Zufriedenheitsniveau signalisiert zunächst die Tatsache, daß 94 Prozent der befragten Schüler eine positive Gesamtbilanz ziehen, mit „ihrem Leben insgesamt“ zufrieden (46 Prozent) oder eher zufrieden als unzufrieden sind (48 Prozent). 1992 waren 92 Prozent alles in allem zufrieden; es kann eine tendenzielle Verbesserung konstatiert werden. Dennoch sind Unterschiede in verschiedenen Teilbereichen zu verzeichnen.

Materielle Lebenssituation 89 Prozent der Schüler äußern sich zufrieden über ihre Wohnverhältnisse, die meisten sogar (63 Prozent) ohne Abstriche. 85 Prozent sind mit der wirtschaftlichen Situation ihrer Familie zufrieden, ein-schränkungslos 46 Prozent. Die Familiensituation spielt eine große Rolle: Von den Schülern, die bei Vater und Mutter leben, sind 50 Prozent einschränkungslos zufrieden; von denen, die nur bei ihrer Mutter leben (das sind 14 Prozent), nur 29 Prozent. Ist die alleinstehende Mutter arbeitslos, sinkt die Quote uneingeschränkter Zufriedenheit sogar auf 11 Prozent.

68 Prozent sind mit dem Geld, mit dem sie auskommen müssen, zufrieden, 40 Prozent ohne Abstriche.

Soziale bzw. psychische Aspekte der Zufriedenheit 95 Prozent äußern Zufriedenheit mit ihrem Ansehen im Bekanntenkreis. Das läßt ein hohes Selbstwertgefühl erkennen, wofür weitere Ergebnisse sprechen. 89 Prozent der Schüler äußern sich zufrieden über ihre Beziehungen zu ihren Eltern, 55 Prozent sogar ohne Abstriche. Auch mit den Beziehungen zu ihren Klassenkameraden ist die überwiegende Mehrheit zufrieden: 87 Prozent, darunter 35 Prozent ohne Einschränkung. Mit ihrer schulischen Situation ist zwar auch eine Mehrheit von 62 Prozent zufrieden, aber nur 17 Prozent sind es einschränkungslos. Immerhin 38 Prozent sind mehr oder weniger unzufrieden, was sich bei ihnen auch in mäßiger Lerneinstellung und Lernleistung äußert. Eine relativ geringe Zufriedenheitsrate ist im Hinblick auf die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung zu verzeichnen: 52 Prozent, aber nur 19 Prozent ohne Abstriche -Widerspiegelung der vielerorts fehlenden Freizeit-angebote. Zufriedenheit mit der Gesellschaft Zufriedenheit mit der gesellschaftlichen Entwicklung insgesamt äußern zwar 61 Prozent, ohne Abstriche aber nur 12 Prozent, von den Mädchen sogar nur 8 Prozent. Gymnasiasten sind weniger zufrieden als Mittelschüler: 47 Prozent gegenüber 71 Prozent.

Der auf alle erwähnten Teilbereiche bezogene Vergleich mit 1992 zeigt: Deutliche Veränderungen im Zufriedenheitsniveau sind im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Familie festzustellen: Der Anteil zufriedener Schüler ist von 79 Prozent vor zwei Jahren auf 85 Prozent Ende 1994 angewachsen, darunter der der einschränkungslos zufriedenen von 33 Prozent auf 46 Prozent! Bei keinem anderen Aspekt ist ein derart großer Zuwachs in der relativ kurzen Zeit seit 1992 zu verzeichnen. Zu registrieren ist dagegen ein deutlicher Rückgang einschränkungsloser Zufriedenheit mit den Beziehungen zu den Eltern gegenüber 1992 um 10 Prozentpunkte, auch bei Schülern, die mit der Wirtschaftslage ihrer Familie völlig zufrieden sind. Es deutet sich eine Tendenz des Auseinanderfallens materieller und sozialer Zufriedenheitsaspekte im Elternhaus an. Ein tendenzieller Rückgang ist in bezug auf die Zufriedenheit mit der eigenen schulischen Situation zu beobachten. 2. Wodurch sich Schüler heute bedroht fühlen Trotz einer im Durchschnitt der Bevölkerung verbesserten materiellen und finanziellen Lage haben sich auch vier Jahre nach der Vereinigung viele Ostdeutsche mit Erscheinungen auseinanderzusetzen, die zu psychischen Belastungen, Frustrationen und Bedrohungsängsten führen. Das gilt auch für die Schuljugend, insbesondere die Schülerinnen, die sehr sensibel auf früher unbekannte Bedrohungsfaktoren reagieren.

Was zeigte sich in dieser Beziehung Ende 1994? 76 Prozent fühlen sich (stark oder eher stark) durch die Zunahme von Aggressivität und Gewalt bedroht (Schülerinnen: 81 Prozent); 73 Prozent durch die Ausbreitung von Rechtsradikalismus (50 Prozent artikulieren Bedrohungsängste infolge der Zunahme von Linksradikalismus); 60 Prozent durch die Zunahme von Egoismus in den Beziehungen der Menschen (Schülerinnen: 65 Prozent); 52 Prozent äußern Bedrohungsgefühle durch mögliche eigene Arbeitslosigkeit oder die fehlende Perspektive einer beruflichen Ausbildung. Von den leistungsschwächeren Schülern äußern 59 Prozent leistungsstärkeren solche Ängste, von den allerdings auch 45 Prozent!

Die Sorge um einen Ausbildungs-bzw. Arbeitsplatz ist -das belegen differenziertere Analysen -ein tiefgehendes, psychisch sehr stark belastendes Bedrohungsgefühl. Es dämpft den Zukunftsoptimismus, aber auch die Systemzufriedenheit und die Freude über die deutsche Einheit erheblich, 1994 stärker als zwei Jahre vorher.

46 Prozent äußern Ängste infolge zu hoher Anforderungen in der Schule, von den Mädchen deutlich mehr als von den Jungen (50 Prozent gegenüber 41 Prozent), auffällig viele von den Gymnasiasten der 9. und 10. Klasse (51 Prozent). Auch diese Versagensangst beeinträchtigt die Lebensgrundstimmung sehr stark.

30 Prozent fühlen sich durch eine weitere Einwanderung von Ausländern bedroht, von den Rechts-außen 89 Prozent von den Linksaußen dagegen nur 9 Prozent. Der Vergleich mit 1992 zeigt folgende Trends:

1. Wieder leicht zugenommen (nach einem starken Rückgang zwischen 1990 und 1992) hat das Bedrohungsgefühl durch mögliche Arbeitslosigkeit bzw. fehlende Aussicht auf einen Ausbildungsplatz:

Widerspiegelung der prekären Lage auf dem Arbeitsmarkt und insbesondere der Lehrstellensituation zum Zeitpunkt der Befragung. Äußerten 1992 47 Prozent solche Ängste, waren es Ende 1994 wieder 52 Prozent.

Zu ergänzen ist, daß der Anteil der Schüler, die sich unsicher sind, ob sie nach Schulabschluß eine berufliche Perspektive haben, von 34 Prozent 1992 auf 45 Prozent gestiegen ist. bei den Mädchen sogar von 39 Prozent auf 57 Prozent -ein sehr ernstzunehmendes Signal für Politik und Wirtschaft! 2. Leicht angestiegen ist auch die Angst vor Linksradikalismus von 44 Prozent 1992 auf 50 Prozent 1994, vor allem bei den männlichen Schülern. 3. Etwa gleichgeblieben ist auf hohem Niveau der Anteil der Schüler, die sich durch Rechtsradikalismus bzw. die Ellenbogenmentalität der westlichen Gesellschaft bedroht fühlen. 4. Sehr stark zurückgegangen ist die Angst vor einer weiteren Einwanderung von Ausländern (von 51 Prozent auf 30 Prozent); diese klare Tendenz spricht für die an anderer Stelle festgestellte erhebliche Abnahme der Ausländer-feindlichkeit. 3. Ein Trend zu gedämpftem Optimismus?

Alle nach der Wende durchgeführten Jugendstudien (die eigenen eingeschlossen) kamen zu dem Schluß, daß die meisten Jugendlichen -trotz aktueller Enttäuschungen und Verunsicherungen -ihre fernere Zukunft optimistisch sehen. Das traf Ende 1994 auch für die von uns befragten Schüler zu: Einschränkungslos optimistisch waren 26 Prozent, gedämpften Optimismus äußerten 63 Prozent. Mehr oder weniger pessimistisch blickten 11 Prozent in ihre Zukunft.

Bei den Mädchen ist der Anteil einschränkungsloser Optimisten deutlich geringer als bei den Jungen: 21 Prozent gegenüber 33 Prozent.

Enge Zusammenhänge bestehen zwischen der Zukunftseinstellung und der wirtschaftlichen Lage der Familie (vor allem bei Arbeitslosigkeit der Eltern) sowie der Aussicht auf einen Ausbildungsbzw. Arbeitsplatz. So äußerten von den Schülern, die sich völlig sicher sind, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, 64 Prozent uneingeschränkten Optimismus, von denen dagegen, die sich völlig unsicher sind, nur 7 Prozent! Wesentlich ist: Diese Unsicherheit wirkt sich 1994 negativer aus als 1992.

Der Blick aufden Trend:

Der Anteil einschränkungsloser Optimisten betrug nach den Ergebnissen unserer Langzeitanalysen seit Frühjahr 1990 ständig über 30 Prozent. Bei den Schülern ist er nun von 34 Prozent 1992 auf 26 Prozent 1994 zurückgegangen, darunter bei den Mädchen von 30 Prozent auf 21 Prozent. Eine ernstzunehmende Tendenz zu eher gedämpftem Optimismus ist unverkennbar.

IV. Links-Rechts-Spektrum: Linksorientierung hat zugenommen, Rechtsorientierung dagegen abgenommen*

Da sich ostdeutsche Jugendliche in den Jahren nach der Wende nur wenig oder in für sie nicht befriedigender Weise mit den politischen Parteien bzw.den entsprechenden politischen Richtungen identifizieren konnten, suchen sie ihre politisch-weltanschauliche Orientierung mit den bloßen Begriffen , links 1 und , rechts‘ zu beschreiben. Es ist erstaunlich, wie schnell und mit welcher Selbstverständlichkeit das vor der Wende weitgehend unbekannte Politikschema seit 1990 schon von den 14-bis 18jährigen als Orientierungsmuster akzeptiert und genutzt worden ist.

Die Positionierung im Links-Rechts-Spektrum bleibt kein unverbindlicher Akt für die Jugendlichen, sondern führt zur Übernahme der an die jeweilige Position geknüpften spezifischen Wertemuster, damit zur Herausbildung einer entsprechenden politisch-weltanschaulichen Einstellungs-und Wertestruktur und zu den davon abhängigen Verhaltensweisen bei den Heranwachsenden.

Heute ordnen sich bereits 94 Prozent aller sächsischen Schüler in das Links-Rechts-Spektrum ein: 50 Prozent rechnen sich der „Mitte“ zu; 28 Prozent verstehen sich als Linksorientierte (davon 6 Prozent als Linksaußen); 16 Prozent als Rechtsorientierte (davon 4 Prozent als Rechtsaußen). Seit 1990 haben sich hier bedeutende Veränderungen vollzogen: Die Zahl der Vertreter der Mitte hat zugenommen; der Anteil der Linksorientierten hat sich seit 1990 ständig erhöht; der Anteil der Rechtsorientierten hat sich demgegenüber seit 1992 stark verringert. Die Zahlen unter der Rechtsaußen-Position haben sich in den letzten beiden Jahren nahezu halbiert.

Diese Trends stehen in Übereinstimmung mit zahlreichen anderen Ergebnissen unserer Untersuchung, sie sind nicht zufälliger Natur. Das politisch-weltanschauliche Selbstverständnis der sächsischen bzw. ostdeutschen Jugend tendiert also seit 1992 deutlich weg von rechten Positionen und hin zu linken Positionen sowie zur Mitte. Das kommt besonders bei den weiblichen Jugendlichen zum Ausdruck. Mädchen sind häufiger linksorientiert als Jungen, sie finden sich entsprechend viel seltener unter den rechten Positionsträgern als die Jungen.

Gymnasiasten stufen sich zu über 40 Prozent als „Linke“, aber nur zu 10 Prozent als „Rechte“ ein. Mittelschüler dagegen haben sich mehr als doppelt so häufig rechts positioniert wie Gymnasiasten, sind dafür weit seltener unter den linken Positionen zu finden als diese.

Jugendliche aus kleineren und mittleren Orten (bis zu 50 000 Einwohnern) neigen mehr zu rechten und weniger zu linken Positionen als die Gleichaltrigen aus größeren Städten.

Schüler, deren Eltern einen Hochschulabschluß besitzen, identifizieren sich fast doppelt so häufig mit linken Positionen und nur halb so oft mit rechten Positionen wie Schüler, deren Eltern einen niedrigeren Bildungsabschluß haben. Das spricht für einen hohen Einfluß des Faktors Familie.

Zwischen religiösen und konfessionslosen Jugendlichen gibt es in dieser Hinsicht keine wesentlichen Unterschiede.

Der (im Selbstverständnis) typische Linksorientierte ist demnach überdurchschnittlich häufig unter Mädchen mit Gymnasialbildung, unter Jugendlichen aus größeren Städten und unter denen, deren Eltern einen Hochschulabschluß haben, vertreten. Der typische Rechtsorientierte findet sich dagegen überdurchschnittlich häufig unter männlichen Mittelschülern, in kleineren Ortsklassen und in Familien mit niedrigeren Bildungsabschlüssen der Eltern.

V. Politische Grundeinstellungen

1. Noch kein Ende der Parteienverdrossenheit in Sicht

Die Einstellung der Schüler zu den politischen Parteien bzw. parteipolitischen Richtungen widerspiegelt klar die in der (ostdeutschen) Gesellschaft bestehende Distanz gegenüber den etablierten Parteien, die verbreitete Parteienverdrossenheit. Nur 44 Prozent der Schüler identifizieren sich mit einer der parteipolitischen Richtungen, finden bei ihnen Ziele und Orientierungen, die ihrer politisch-weltanschaulichen Grundhaltung entsprechen. Die relativ größte Anziehungskraft besitzt die christlich-demokratische Richtung, mit der sich 14 Prozent aller Schülerinnen und Schüler verbunden fühlen. Die weiteren Quoten betragen: bündnisgrüne Richtung 10 Prozent, sozialdemokratische Richtung 7 Prozent, sozialistische Richtung 7 Prozent, liberale, republikanische und andere Richtungen je 3 Prozent.

Die Mädchen identifizieren sich durchgängig sehr viel weniger häufig mit einer parteipolitischen Richtung als die Jungen: 36 Prozent gegenüber 53 Prozent. Von den Gymnasiasten fühlen sich wesentlich mehr mit einer Richtung verbunden als von den Mittelschülern: 56 Prozent gegenüber 33 Prozent.

Vergleiche mit 1992 zeigen, daß die größten Veränderungen bei der christlich-demokratischen Richtung festzustellen sind: Ihre Anhängerschaft war zunächst von 21 Prozent im Jahr 1990 auf 8 Prozent 1992 gesunken, Ende 1994 jedoch wieder auf 14 Prozent gestiegen.

Tendenziell rückläufig ist die Verbundenheit mit der liberalen Richtung (6 Prozent -5 Prozent -3 Prozent). Die republikanische Richtung hat nach einem leichten Zugewinn 1992 Ende 1994 wieder an Anziehungskraft verloren (5 Prozent -7 Prozent -3 Prozent).

Für die Beurteilung der Einstellung zu den parteipolitischen Richtungen ist ein seit 1990 beobachteter gegensätzlicher Trend sehr wichtig: die Divergenz zwischen hoher und wachsender Akzeptanz des Links-Rechts-Spektrums für die persönliche politisch-weltanschauliche Grundhaltung einerseits und abnehmender Identifikation mit den parteipolitischen Richtungen andererseits. Während der Anteil der Schüler, die sich in das Links-Rechts-Spektrum einordnen, von 75 Prozent 1990 auf 86 Prozent 1992 und weiter auf 94 Prozent 1994 gestiegen ist, ging der Anteil derer, die sich mit einer parteipolitischen Richtung identifizieren, von 57 Prozent 1990 auf 41 Prozent 1992 zurück und erreichte Ende 1994 44 Prozent.

Ausdruck von Parteienverdrossenheit ist auch der starke Verfall des Politikinteresses bei der Schuljugend. Schon die 1992 ermittelten Ergebnisse signalisierten den bei ostdeutschen Jugendlichen niedrigsten Stand seit der Wende, der aber 1994 nochmals unterboten wurde: Lediglich 12 Prozent der Schüler erklärten, sich sehr stark (2 Prozent) oder stark (10 Prozent) für Politik zu interessieren -eine Folge des weiter gewachsenen Unbehagens an der Politik der etablierten Parteien.

Auffällig ist, daß Mädchen noch weniger politisch interessiert als die Jungen sind. Bei den Mittel-schülerinnen der 9. und 10. Klasse ist in bezug auf die sehr starke Ausprägung der Nullpunkt erreicht, starkes Interesses äußert ein Prozent.

Gymnasiasten sind zwar interessierter als Mittelschüler, aber auch bei ihnen geht der Anteil starken Interesses nicht über ein Viertel hinaus. 2. Deutsche Einheit: Gewinnen gemischte Gefühle die Oberhand?

Charakteristisch für die politische Stimmungslage der Schüler ist ihre Einstellung zur deutschen Einheit, dem Ereignis, das ihr Leben nach der Wende entscheidend verändert hat und weiter verändert. Ende 1994 ließ mit 47 Prozent knapp die Hälfte von ihnen eine positive Einstellung zur deutschen Einheit erkennen: Sehr starke Freude darüber, daß die Vereinigung erfolgt ist, äußerten 20 Prozent, starke Freude 27 Prozent. Nur 4 Prozent artikulierten negative Gefühle. Die mit 49 Prozent größte Gruppe betont mit der Wahl der Antwortposition ihre gespaltene Haltung, Ausdruck „teils-teils" sehr widersprüchlicher eigener oder durch die Eltern vermittelter Erfahrungen.

Die Mädchen stehen der deutschen Einheit deutlich weniger positiv gegenüber als die Jungen. Sie lehnen sie aber nicht etwa häufiger ab, sondern ziehen sich mehrheitlich auf die Mittelposition „teils-teils“ zurück und signalisieren damit gemischte Gefühle.

Gymnasiasten bekunden etwas häufiger als Mittelschüler Freude über die Vereinigung, aber auch bei ihnen dominieren ambivalente Gefühle.

Von den Rechtsorientierten zu den Linksorientierten sinkt der Anteil positiver Emotionen (Rechts-außen 60 Prozent ... Linksaußen 22 Prozent), dafür nehmen ambivalente Auffassungen zu, bei den Linksaußen auch ablehnende.

Arbeitslosigkeit bzw. Kurzarbeit der Eltern, Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Lage der Familie, unsichere Aussichten auf einen Ausbildungsplatz dämpfen die Freude über die deutsche Einheit stark.

Die Antworten der Schüler auf eine offene Frage (ohne Antwortvorgaben) danach, welche Veränderungen in ihrem Leben bzw. in Ostdeutschland seit der Wende und der Vereinigung sie positiv bewerten und welche negativ, unterstreichen das Bestehen einer sehr widersprüchlichen Sichtweise:

Bei nahezu allen Antworten stehen positive Aussagen neben negativen, mischen sich Freude und Frust -vielfach auch ein Abbild der Situation der Eltern. Bedeutsam ist außerdem, daß im Durchschnitt 2, 3 positive, aber 2, 7 negative Sachverhalte genannt werden.

An der Spitze der positiv bewerteten Veränderungen steht -von 54 Prozent genannt -das Waren-angebot, gefolgt von den Reisemöglichkeiten (46 Prozent) und den gesicherten Persönlichkeitsrechten wie Meinungs-und Glaubensfreiheit (40 Prozent). Die Liste der negativ bewerteten Veränderungen wird von der hohen Arbeitslosigkeit angeführt (von 51 Prozent meist an erster Stelle genannt, darunter von 57 Prozent der Mädchen), gefolgt von hoher Kriminalität und Gewalt (32 Prozent) und der starken Verteuerung des Lebens (30 Prozent) (Mehrfachnennungen).

Die Trendanalyse verweist klar auf eine Zunahme ambivalenter Auffassungen: 1992 bekundeten noch 56 Prozent der Schüler, daß sie sich über die Vereinigung freuen (sehr stark: 29 Prozent); die Position „teils-teils“ wählten damals 39 Prozent. 1994 äußerten 47 Prozent Freude (sehr stark: 20 Prozent); der Anteil der Schüler mit ambivalenten Auffassungen ist auf 49 Prozent angewachsen. Unsere in das Jahr 1991 zurückreichenden Zeitreihen bei Schülern der 9. und 10. Klasse belegen die Tendenz einer Zunahme gemischter Gefühle. 3. Altes politisches System „out“, neues aber noch nicht ganz „in“

Die Zufriedenheit mit dem politischen System in der Bundesrepublik wird sehr stark von den widersprüchlichen Erfahrungen mit den Realitäten des deutschen Einigungsprozesses beeinflußt; sie ist das subjektive Echo dieses Prozesses. Ende 1994 hält sich die Systemzufriedenheit mit 39 Prozent in Grenzen: Ein Prozent der Schüler äußerte, mit dem politischen System sehr zufrieden zu sein, 38 Prozent waren zufrieden. Weitere 48 Prozent waren weniger zufrieden, 13 Prozent unzufrieden.

Die Mädchen sind weniger systemzufrieden als die Jungen. Das hängt vor allem mit ihrer distanzierte-ren Haltung zur deutschen Einheit zusammen.

Linksorientierte, vor allem Linksaußen, stehen dem politischen System mehrheitlich kritisch gegenüber. Dasselbe gilt aber auch für Rechts-orientierte, insbesondere für die Rechtsaußen.

Die Trendanalyse läßt einen deutlichen Rückgang der Systemzufriedenheit von 49 Prozent 1992 auf 39 Prozent 1994 erkennen, der in allen Untergruppen wiederkehrt, selbst bei den Rechtsorientierten und auch bei den Schülern der 8. Klassen. Die Vermutung, daß sich bei ihnen als der jüngsten untersuchten Altersgruppe eine schnellere Anpassung an die neue politische Ordnung ankündigen könnte, hat sich 1994 nicht bestätigt.

Diese Distanz wird auch durch die überaus kritische Beurteilung der Politiker erhärtet. Der Aussage „Die meisten Politiker machen zwar schöne Versprechungen, aber sie denken doch mehr an sich selbst“ stimmten 73 Prozent zu, und zwar fast unabhängig davon, ob sie sich als Linke oder Rechte fühlen. In dieselbe Richtung weist auch das Ergebnis, daß nur 13 Prozent der Schüler bereit sind, sich für die Erhaltung des heutigen politischen Systems einzusetzen.

Distanz gegenüber dem neuen politischen System ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Befürwortung eines sozialistischen Systems. Nur 16 Prozent wäre ein reformierter, humanistischer Sozialismus lieber als die jetzige Ordnung. 37 Prozent haben dazu eine ambivalente, 47 Prozent eine ablehnende Einstellung.

Das vergangene Gesellschaftsmodell hat seine Anziehungskraft bei der Schuljugend fast vollständig verloren, das gegenwärtige wird aber erst von einer Minderheit voll akzeptiert.

VI. Schon Bundesbürger, noch Ex-DDR-Bürger -auf jeden Fall Sachse!

Vier Jahre nach dem Beitritt der DDR zur BRD fühlen sich 83 Prozent der Schüler als Bürger der Bundesrepublik Deutschland, darunter 42 Prozent „vollkommen“ und 41 Prozent mit der Einschränkung „etwas schon“. 17 Prozent haben bisher noch kein Zugehörigkeitsgefühl entwickelt.

Von den Mädchen fühlen sich deutlich weniger als von den Jungen einschränkungslos als Bundesbürger: 37 Prozent gegenüber 47 Prozent.

Ein klares Gefälle einschränkungsloser Identifikation besteht von den Mittelschülern der 8. Klasse (48 Prozent) zu den Gymnasiasten der 11. und 12. Klasse (31 Prozent; weiblich: 28 Prozent).

Am häufigsten fühlen sich Rechtsaußen ohne Abstriche als Bundesbürger, am wenigsten Links-außen (74 Prozent gegenüber 16 Prozent). Differenzierend wirkt auch hier das Maß erfahrener sozialer und materieller Sicherheit. Vor allem die verbreitete Unsicherheit in bezug auf die berufliche Perspektive und das Erleben von Arbeitslosigkeit im Elternhaus dämpfen die staatsbürgerliche Identifikation erheblich. Gegenüber 1992 ist der Anteil der Schüler, die sich ohne Einschränkung als Bundesbürger betrachten, leicht zurückgegangen (von 47 Prozent auf 42 Prozent). Die staatsbürgerliche Identifikation mit der Bundesrepublik schließt keineswegs aus, sich gleichzeitig noch als Bürger der ehemaligen DDR zu sehen: Von den befragten Schülern fühlen sich 73 Prozent als Ex-DDR-Bürger, darunter 34 Prozent vollkommen. Bemerkenswert ist, daß sich 1994 auch Schüler mehrheitlich als Ex-DDR-Bürger betrachten, die sich politisch-weltanschaulich in der Mitte oder rechts davon einordnen bzw. mit den Republikanern sympathisieren.

Noch einflußreicher als das Selbstverständnis als Linker oder Rechter ist das Erleben sozialer Unsicherheit, aber auch die verbreitete Erfahrung, von vielen Westdeutschen als Deutsche zweiter Klasse behandelt zu werden.

Im Vergleich zu 1992 hat der Anteil der Schüler, die sich ohne Abstriche als Ex-DDR-Bürger fühlen, wieder stark zugenommen: von 13 Prozent auf 34 Prozent! Selbst bei den jüngsten befragten Schülern der 8. Klasse ist die Quote von 14 Prozent auf 35 Prozent gestiegen.

Dieser Trend ist ein Beleg dafür, daß das Zugehörigkeitsgefühl zur ehemaligen DDR psychostrukturell tief verankert ist, auch von sehr jungen Menschen nicht in kurzer Zeit als Ballast abgeworfen wird. Dabei spielen keineswegs vorrangig politische Kriterien eine Rolle, sondern vor allem das Erleben der DDR als Heimatland, die Betonung der spezifischen Biographie, z. B. die Erinnerung an eine meist sorgenfreie Kindheit in sozialer Sicherheit, die vielfach aufgewertet wird durch den Kontrast zu heutiger Alltagserfahrung. Häufig steht eine Protesthaltung dahinter, der auch in dieser Studie oft artikulierte Frust darüber, daß „bei uns hier im Osten bis auf den grünen Pfeil alles eiskalt plattgemacht worden ist“ (18jähriger Gymnasiast).

Werden die genannten Angaben leicht vergröbert zusammengefaßt (dichotomisiert), so zeigt sich:

-60 Prozent der Schüler fühlen sich als Bundesbürger, ohne jedoch ihre emotionale Verbundenheit mit der Ex-DDR aufgegeben zu haben (1992: 43 Prozent);

-24 Prozent fühlen sich als Bundesbürger und nicht mehr als Bürger der ehemaligen DDR (1992 waren das bereits 42 Prozent);

-13 Prozent haben noch kein Zugehörigkeitsgefühl zur Bundesrepublik entwickelt, fühlen sich aber als Ex-DDR-Bürger (1992: 11 Prozent). Erwähnenswert ist, daß sich bis auf 10 Prozent alle Schüler als Bürger des Freistaates Sachsen fühlen, darunter 65 Prozent ohne Abstriche. Auffällig ist, daß hierbei nicht nur Heimatgefühle eine Rolle spielen, sondern auch politische Einstellungen: Von den völlig mit dem politischen System zufriedenen Schülern betrachten sich 82 Prozent einschränkungslos als Bürger des Freistaates Sachsen, von den sehr unzufriedenen nur 52 Prozent.

VII. Ausländerfeindlichkeit hat abgenommen

Junge Sachsen haben heute eine bedeutend positivere Einstellung zu Ausländern als in den ersten Jahren nach der Wende. Insbesondere sind die Zahlen derjenigen erheblich zurückgegangen, die Ausländer emotional ablehnen oder ihnen gar feindselig-aggressiv gegenüberstehen.

Die Ergebnisse unserer Studie belegen klar, daß sich das Verhältnis der Jugendlichen in Sachsen und in den neuen Bundesländern insgesamt zu Ausländern seit 1992 deutlich verbessert, entspannt hat. Keinesfalls dürfen jedoch die noch bestehenden Aversionspotentiale und Probleme übersehen werden. Heute ist etwa jeder 4. Jugendliche in Sachsen gefühlsmäßig gegen Ausländer eingestellt. Vor zwei Jahren waren es allerdings noch über 40 Prozent. 28 Prozent betonen ihre positiven Gefühlsbeziehungen (1992 lediglich 17 Prozent). Die anderen (45 Prozent) geben ein indifferentes Verhältnis zu Ausländern an.

Mädchen sind viel positiver als Jungen gegenüber Ausländern eingestellt; Gymnasiasten positiver als Mittelschüler.

Am größten sind die Unterschiede zwischen Linksorientierten und Rechtsorientierten. Letztere sind zu 80 Prozent gegen Ausländer, und sie sind es größtenteils mit heftigen Affekten und hoher Aggressionsbereitschaft. Der Zusammenhang zwischen rechten Positionen im Links-Rechts-Spektrum und feindseligen Emotionen wie Aktionen gegen Ausländer ist nach wie vor sehr eng und grundlegend.

Auch die Zahl der freundschaftlichen Kontakte der jungen Sachsen zu ausländischen Mitbürgern ist in den letzten Jahren angestiegen, sie hat sich von 1992 bis 1994 nahezu verdoppelt (1992: 20 Prozent; 1994: 38 Prozent).

Dem entspricht ganz der Rückgang des sozialen Distanzerlebens gegenüber Ausländern. Diese werden heute weniger häufig als fremd, „ungleichartig“, „kontaktunwürdig“ angesehen als noch vor wenigen Jahren. Eine wachsende Minderheit der Jugendlichen bejaht heute Kontakte mit Ausländern in verschiedenen typischen Situationen:

-Über 70 Prozent würden sich freiwillig neben einen Ausländer oder eine Ausländerin setzen bzw. mit ihr oder ihm in einer Gaststätte etwas trinken.

-Über 50 Prozent würden Ausländer auch nach Hause einladen.

-37 Prozent können sich vorstellen, eventuell auch einen Ausländer bzw. eine Ausländerin zu heiraten.

Den Ausländer gibt es im Bewußtsein der Jugendlichen ohnehin nicht. Sie besitzen bereits sehr spezielle, der öffentlichen Meinung entsprechende Bilder und Stereotype von Angehörigen verschiedener Nationen oder Bevölkerungsgruppen, z. B. von Franzosen, Russen, Polen, Türken, Schwarz-afrikanern. Bemerkenswert ist, daß sich die Sympathiebeziehungen der jungen Sachsen besonders zu Schwarzafrikanern und Vietnamesen, aber auch zu Polen, Russen und Türken seit 1990, insbesondere aber seit 1992 wesentlich verbessert haben. Die Hauptgründe derjenigen, die Ausländer ablehnen, sind (entsprechend der aufgeführten Rangfolge) die folgenden:

Ausländer -verschärfen die ohnehin komplizierte Wohnungslage;

-nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg; -neigen zu Gewalt und Kriminalität.

Als vierter Grund werden Erfahrungen mit persönlicher Belästigung genannt.

VIII. Antisemitische Emotionen 1994 abgeschwächt

Auch die Einstellungen gegenüber Juden, die sich in der Wendezeit bei ostdeutschen Jugendlichen negativiert hatten, zeigen seit 1992 einen positiven Trend an. Juden werden heute von den jungen Sachsen um 7 Prozentpunkte weniger abgelehnt (1992: 19 Prozent; 1994: 12 Prozent), aber um 10 Prozentpunkte häufiger sympathisch bewertet. Die Mehrheit gibt allerdings ein indifferentes Verhältnis zu ihnen an. Dieser positive Einstellungstrend geht wiederum vorwiegend auf Wandlungsprozesse bei den Mädchen zurück. Die Jungen haben ihre Einstellungen seit 1992 nur ganz wenig verändert.

Die Einstellung zu Juden hängt entscheidend von der politisch-weltanschaulichen Position der jungen Leute ab. Rechtsorientierte sind fast zehnmal so häufig antisemitisch -vom Gefühl her gegen Juden eingestellt -wie Linksorientierte.

Die emotionale Einstellung zu Juden sollte heute als ein ganz wichtiges strukturierendes Kriterium für das politisch-weltanschauliche Bewußtsein der Jugend im Osten erkannt werden. Unsere Untersuchungen liefern dafür klare Belege.

IX. Urteile über Westdeutsche Ostdeutsche -noch sehr divergent

Westdeutsche und Ostdeutsche werden nach wie vor (auch) von den jungen Sachsen sehr unterschiedlich eingeschätzt. Ganz im Sinne der Wirgruppen-Fremdgruppen-Divergenz werden den Ostdeutschen heute durchweg positiver ausgeprägte Eigenschaften (Stereotype) zugeschrieben als den Westdeutschen. Westdeutsche sind in ihren Augen weniger arbeitsam, intelligent, zuverlässig, aber stolzer auf Deutschland (was einer negativen Bewertung gleichkommt!). Vor allem werden sie als weniger sympathisch empfunden, worin wohl der eigentliche Motiv-Hintergrund der Negativ-bewertung liegt.

Im Vergleich zu 1992 haben sich die Urteile über Westdeutsche heute in allen genannten Eigenschaften weiter negativiert, auch die Sympathie-werte sind zurückgegangen. Doch werden auch die Eigenschaften der Ostdeutschen eindeutig negativer beurteilt als vor zwei Jahren. Mit einer Ausnahme: Der Sympathiebezug gegenüber der „Eigengruppe“ (den Ostdeutschen) hat sich nach 1992 sogar noch etwas verstärkt, was als Ausdruck einer gewachsenen Identifikation mit der Herkunft und als Abgrenzung von den Westdeutschen interpretiert werden kann.

Das sind durchaus keine natürlichen oder selbstverständlichen Erscheinungen. Im Gegenteil: Vor allem in den vergangenen zehn Jahren haben sich hier ganz andere, teilweise völlig konträre Wandlungsprozesse vollzogen.

Mit der Methode der Stereotypforschung haben wir seit 1968 vergleichbare Schülerpopulationen aus Sachsen erfaßt. Aus den zeithistorischen Vergleichen geht hervor, daß Westdeutsche in den sechziger und siebziger Jahren stets bedeutend negativer beurteilt wurden als „DDR-Bürger“, die auch als sympathischer eingeschätzt wurden. In den achtziger Jahren kehrte sich jedoch diese Relation um: Westdeutsche erschienen jetzt den DDR-Schülern zunehmend positiver und sympathischer. Der DDR-Bürger dagegen verlor stark an positiver Bewertung und an Sympathie. Dieser Trend kulminierte 1990, um danach innerhalb ganz kurzer Zeit (schon bis 1992) erneut umzuschlagen: Die alten Klischees lebten wieder auf.

X. Nationalistische Anschauungen werden weniger vertreten

Mit nationalistischen Anschauungen und Losungen, wie sie von rechtsextremen Kreisen propagiert werden identifizieren sich heute etwa 12 bis 15 Prozent der sächsischen Jugendlichen: Jungen zwei-bis dreimal so häufig wie Mädchen; Rechts-orientierte zehn-bis zwanzigmal so häufig wie Linksorientierte (bei verschiedenen Indikatoren); Mittelschüler viel häufiger als Gymnasiasten. Unsere Vergleichsstudien zeigen eine charakteristische zeithistorische Verlaufskurve an: Vor 1989 wurden solche Anschauungen von DDR-Schülern relativ selten geäußert. 1990 kam es jedoch zu einem sprunghaften Anstieg der Akzeptanz, die bis 1992 anhielt. Danach trat wieder ein rückläufiger Trend deutlich zutage. Die Quoten dieses Rückganges betragen zwischen 1992 und 1994 bei den einzelnen Indikatoren 40 bis 50 Prozentpunkte, bei den Mädchen liegen sie teilweise sogar über 50 Prozentpunkten. Damit werden fast die Werte aus den Untersuchungen vor 1989 wieder erreicht.

Einen ganz ähnlichen Verlauf hat nach unseren Studien die Einstellung zum Nationalsozialismus in den letzten Jahren genommen: Daß der Faschismus auch gute Seiten hatte, meinten 1992 noch 24 Prozent der sächsischen Schüler, 1994 war dieser Anteil auf 16 Prozent zurückgegangen.

Für eine Machtergreifung durch eine neue nationalsozialistische Partei votieren gegenwärtig noch fünf Prozent der 14-bis 18jährigen in Sachsen, acht Prozent der männlichen und drei Prozent der weiblichen Jugendlichen.

Einen mit starker Hand regierenden Führer wünschen Ende 1994 14 Prozent der männlichen und 8 Prozent der weiblichen Schüler.

XL Gewaltakzeptanz und Gewalt-bereitschaft sind unverändert hoch

Die Einstellung zur Gewaltanwendung ist bei sächsischen Jugendlichen nach wie vor besorgniserregend. Gewalt wird als Mittel der Auseinandersetzung im sozialen Umgang von einem großen Teil der Schüler akzeptiert und von einem kleineren Teil auch praktiziert.

Nur etwa die Hälfte aller Schüler lehnt Gewalteinsatz gegen Personen prinzipiell ab: knapp 40 Prozent der Jungen, jedoch 60 Prozent der Mädchen. Eindeutig für Gewaltanwendung, „um seine Interessen durchzusetzen“, sind 24 Prozent der Jungen und 7 Prozent der Mädchen. Mittelschüler sprechen sich fast doppelt so häufig wie Gymnasiasten und Rechtsorientierte fast dreimal so häufig wie Linksorientierte für Gewalt bei der Durchsetzung eigener Interessen aus.

Bemerkenswert ist, daß sich diese Einstellung seit 1992 nur wenig (und nur bei den Mädchen) positiv verändert hat. Vor allem hat die Gewaltbereit-schaft gegenüber Angehörigen der politischen Gegenseite nicht abgenommen. Sie tritt bei den Rechtsaußen wie bei den Linksaußen besonders stark hervor (76 bzw. 51 Prozent), bei den Vertretern der Mitte sehr viel weniger (11 Prozent).

Offensichtlich ist die Bereitschaft zur Gewalttätigkeit bei bestimmten Teilgruppen der Jugend -insbesondere bei den politisch uneingeschränkt Positionierten -sehr fest ausgeprägt. Das trifft auch auf die Bereitschaft zu aggressiven Verfolgungsaktionen gegen Ausländer zu. Acht Prozent der Jugendlichen (wie schon 1992) haben bereits an Jagden auf Ausländer teilgenommen bzw. würden dies tun, ganz überwiegend Jungen und fast ausschließlich Rechtsorientierte. Allerdings ist die Zahl der solche Aktionen strikt Ablehnenden seit 1992 tendenziell von 73 Prozent auf 77 Prozent angestiegen.

Um sich vor gewalttätigen Überfällen zu schützen, besitzen 22 Prozent der männlichen Schüler in Sachsen eine Stich-, Hieb-oder Schußwaffe, 24 Prozent möchten sich demnächst eine zulegen. 18 Prozent der Mädchen besitzen einen Abwehrspray, 60 Prozent wollen sich noch einen besorgen. Das ist ein Ausdruck der großen, weit verbreiteten Angst vor Gewalt. Allerdings können solche Waffen immer auch zu Angriffen genutzt werden. Das Schutzmotiv zum Erwerb dürfte bei einem kleineren Teil der Jugendlichen von vornherein auch mit der Absicht zur aktiven Anwendung bei Gewalt-taten verbunden sein.

XII. Fazit: Wichtige Trends seit 1992 im Überblick

Seit Frühjahr 1992 haben sich bei der sächsischen Schuljugend in verschiedenen Einstellungsbereichen bedeutende Wandlungsprozesse vollzogen. Wesentliche Merkmale (Einstellungen, Orientierungen, Verhaltensweisen) haben sich verstärkt, andere abgeschwächt. Die Trends sind teilweise widersprüchlich, auch in Untergruppen vielfach differenziert und bedürfen einer sorgfältigen Analyse. Eindeutige Trends sollen hier nochmals zusammenfassend genannt werden:

Folgende Einstellungen bzw. Verhaltensdispositionen haben sich in der Gesamtgruppe verstärkt:

-Hedonistische und egozentrisch/private Lebensorientierungen sind deutlich weiter angewachsen.

-Die Jugendlichen entscheiden sich häufiger für linke und für mittlere Positionen im Links-Rechts-Spektrum.

-Das Gefühl, Bürger der ehemaligen DDR zu sein, hat sich wieder erheblich verstärkt.

-Kontakte mit Ausländern werden in den letzten Jahren mehr gesucht und gepflegt.

-Die Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation der Familie hat sich deutlich erhöht.

-Die Angst vor späterer Arbeitslosigkeit, insbesondere die Sorge um einen Ausbildungsplatz nach Schulabschluß, ist größer geworden.

Folgende Einstellungen haben sich abgeschwächt:

-Die Ausländerfeindlichkeit hat abgenommen.

Ausländer werden von viel weniger Jugendlichen negativ und feindselig betrachtet, als kontaktunwürdig gemieden. Besonders zurückgetreten sind die Antipathien gegen Schwarz-afrikaner, Vietnamesen, Polen, Türken.

-Der Antisemitismus (der stets nur von einem kleinen Teil der ostdeutschen Jugendlichen vertreten wurde) hat sich -vor allem bei den Mädchen -weiter reduziert.

-Die Selbsteinstufung auf der rechten Seite des Links-Rechts-Spektrums ist seit 1992 stark rückläufig. Die Zahl der Rechtsorientierten ist geringer geworden. Struktur und Radikalität der Ideologie der Vertreter rechter Positionen haben sich jedoch kaum verändert.

-Rechtsextreme Anschauungen und Orientierungen werden heute teilweise erheblich weniger akzeptiert. Das betrifft vor allem nationalistische Auffassungen und Losungen, die Verharmlosung des NS-Systems, aber auch autoritär-patriarchalische Verhaltensweisen wie z. B. die Vaterdominanz in der Familie.

-Die Freude über die deutsche Einheit hat sich zugunsten ambivalenter, gemischter Gefühle abgeschwächt.

-Die Zufriedenheit mit dem politischen System in der Bundesrepublik hat sich verringert. -Die staatsbürgerliche Identifikation mit der Bundesrepublik ist leicht zurückgegangen.

-Der Verfall des Politikinteresses hält an, die Ausprägung starken Interesses geht jetzt in Teilgruppen gegen Null.

-Soziale Werte und Hilfsbereitschaft haben als verhaltensorientierende Lebensziele an Bedeutung verloren.

-Der Anteil Jugendlicher mit einschränkungslosem Zukunftsoptimismus hat erstmals abgenommen, für die meisten ist ein eher gedämpfter Optimismus typisch.

-Die Zufriedenheit mit den Beziehungen zu den Eltern hat sich leicht abgeschwächt.

-Die Sympathie für „Westdeutsche“ ist noch etwas zurückgegangen.

Gleichgeblieben sind oder nur wenig verändert haben sich folgende Einstellungen bzw. Verhaltens-dispositionen:

-Die nur noch bei weniger als der Hälfte der Schüler vorhandene Identifikation mit den verschiedenen parteipolitischen Richtungen ist faktisch gleichgeblieben.

-Gewaltakzeptanz und Gewaltbereitschaft sind unvermindert hoch. Die Gewaltbereitschaft ist im Alltag immer noch bedenklich hoch, besonders gegenüber dem politischen Gegner. Die Bereitschaft, „Ausländer zu jagen“, hat (bei Rechtsorientierten) ebenfalls nicht nachgelassen.

-Das Gefühl der persönlichen Bedrohung durch Rechtsradikalismus und durch Egoismus in den Beziehungen zwischen den Menschen hat sich mit einem hohen Ausprägungsgrad erhalten.

-In der Persönlichkeitsstruktur tiefer verankerte Eigenschaften wie Selbstbewußtsein, Selbstvertrauen, aktive Lebenseinstellung, Risikobereitschaft haben sich in der Selbsteinschätzung der Jugendlichen seit 1992 sehr wenig verändert.

Das trifft auch auf die körperliche Befindlichkeit der Jugendlichen, auf ihre Angaben über psychosomatische Beschwerden und Gesundheitsgefühle voll zu.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Das Kultusministerium des Freistaates Sachsen hat die empirische Untersuchung in den Schulen genehmigt. Unser herzlicher Dank gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die diese Studie im Rahmen ihres Schwerpunktprogramms „Sozialer und politischer Wandel im Zuge der Integration der DDR-Gesellschaft“ förderte; Herrn Prof. Dr. em. Rainer Mackensen, Vorsitzender des LIPS, der dem Projekt große Unterstützung gewährte; den Schulleitern aller 35 in die Studie einbezogenen Schulen, die uns bei der Organisation der Befragung halfen.

  2. Vergleichbarkeit besteht insbesondere -zu zwei von uns selbst durchgeführten Studien zum Mentalitätswandel bei der ostdeutschen Jugend 1990 und 1992: -zu den neun für die DDR bzw. Ostdeutschland repräsentativen Meinungsumfragen des ehemaligen Zentralinstituts für Jugendforschung (ZU) zwischen November 1989 und Dezember 1990;

  3. Vgl. Peter Förster/Walter Friedrich, Politische Einstellungen und Grundpositionen Jugendlicher in Ostdeutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 38/92; Harry Müller/Wilfried Schubarth, Rechtsextremismus, Gewaltbereitschaft und aktuelle Befindlichkeiten von Jugendlichen in den neuen Bundesländern, in: P. Förster/W. Friedrich, Zur politischen Mentalität der ostdeutschen Jugend, Leipzig 1996.

  4. Unsere Indikatoren lauten u. a.:

Weitere Inhalte

Peter Förster, Prof. Dr. sc., geb. 1932; bis 1990 Abteilungsleiter am Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig, seit 1991 Mitarbeit in Projekten der Jugendforschung. Veröffentlichungen zur Jugend-und Meinungsforschung sowie zu methodologischen und methodischen Fragen der Sozialforschung, u. a.: (zus. mit Walter Friedrich) Ostdeutsche Jugend 1990, in: Deutschland Archiv, 24 (1991) 4 und 7; (zus. mit W. Friedrich u. a.) Jugend Ost -zwischen Hoffnung und Gewalt, Opladen 1993. Walter Friedrich, Prof. Dr. phil. habil., geb. 1929; bis 1990 Direktor des Zentralinstituts für Jugendforschung in Leipzig, seit 1991 Mitarbeit in Projekten der Jugendforschung. Veröffentlichungen u. a.: Mentalitätswandlungen der Jugend in der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 16-17/90; (Hrsg. zus. mit Hartmut Griese) Jugend und Jugendforschung in der DDR, Opladen 1991; (zus. mit Peter Förster) Zur politischen Mentalität der ostdeutschen Jugend, Leipzig 1996; Jugend und Religion -in der DDR, nach der Wende in Ostdeutschland, in: Schriftenreihe des Instituts für vergleichende Staat-Kirche-Forschung, Heft 3, 1996.