I. Einleitung
Der jordanisch-israelische Friedensschluß vom Oktober 1994 war im Vergleich zum Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel oder zwischen der PLO und Israel weniger spektakulär, als er zunächst erschien. Denn de facto herrschte schon seit geraumer Zeit eine Art „kalter Frieden“ zwischen Jordanien und Israel. Dies drückte sich in wiederholten hochrangigen Begegnungen zwischen beiden Seiten aus, wenn sie auch wegen der äußeren Situation oft diskret behandelt wurden Obwohl der zwischen den beiden Staaten zu erwartende Frieden keineswegs sensationell war, hatte er dennoch eine wichtige bilaterale und regionale Bedeutung.
Der Vertragsschluß berührt indessen nicht allein das Verhältnis zwischen den Parteien, sondern ist neben dem Gaza-Jericho-Abkommen ein weiterer grundlegender Schritt für den Friedensprozeß im Nahen Osten. Die israelisch-jordanischen Verhandlungen sind eng verzahnt mit dem Fortgang des Friedensprozesses zwischen Israel und den Palästinensern. Betroffen sind ferner die jordanisch-palästinensischen Beziehungen. Jordanien, das seit 1950 die Westbank als eigenes Staatsgebiet beansprucht, hatte schon in den siebziger Jahren angefangen, Schritt für Schritt die politische Verantwortung für die Westbank den Palästinensern zu überlassen. Dieser Prozeß begann 1974 mit der Anerkennung der PLO als der einzigen legitimen Vertreterin der Palästinenser. Schließlich verzichtete Jordanien im Juli 1988 auf seine administrative Zuständigkeit für das Westjordanland. Damit beendete es seine politische und rechtliche Verantwortung für die Westbank. Die Ausrufung des Staates Palästina durch den Palästinensischen Nationalrat auf seiner Sitzung in Algier im November 1988 erweckte sogar den Eindruck, daß Jordanien mit seinem Schritt den Weg für die Etablierung eines unabhängigen palästinensischen Staates freimachen wollte.
Die jordanisch-palästinensischen Beziehungen bestimmten seit der Gründung des Staates Israel die Politik Jordaniens. Dies hängt mit der besonderen Vorgeschichte und Entwicklung des Staates Jordanien zusammen. Obwohl Jordanien nach dem verlorenen Krieg von 1967, der ihm nicht nur den Verlust der Westbank samt Ostjerusalem, sondern darüber hinaus Ströme von Flüchtlingen aus dem Westjordanland bescherte, den Wunsch hatte, den Konflikt mit Israel beizulegen konnte es, anders als Ägypten, keinen Separatfrieden mit Israel schließen. Dies lag nicht nur an dem geringen Gewicht des ressourcenarmen Jordanien in der regionalen Politik -denn dies hätte durch die Zusammenarbeit mit Ägypten und durch westliche politische und ökonomische Unterstützung kompensiert werden können -, sondern eher an der demographischen Struktur Jordaniens mit seiner palästinensischen Mehrheit Für das jordanische Königreich ist der Friedensvertrag insofern von Bedeutung, als die politische Legitimation des Haschemitischen Königshauses nicht nur von den radikalen palästinensischen Gruppen bestritten wurde, sondern seit der Machtübernahme durch den Likud-Block in Israel auch durch die rechten Israelis. Letztere vertraten offen die These, daß Jordanien ein Palästinenser-Staat sei und es keinen Bedarf für einen zweiten palästinensischen Staat gebe. Mit dieser These versuchten die rechten israelischen Parteien, die beabsichtigte Annexion des Westjordanlandes zu rechtfertigen, das im Sprachgebrauch dieser Parteien Judäa und Samaria heißt.
Auch wenn Jordanien essentielles Interesse daran hatte, seine Beziehungen mit Israel vertraglich zu regeln, waren die Bedingungen für Verhandlungen vor dem Zweiten Golfkrieg noch nicht gegeben. Erst die regionale Entwicklung während und nach der Kuwait-Krise ermöglichte die Verhandlungen zwischen Israel und seinen Nachbarn. Die Rolle Jordaniens bei den Verhandlungen seit der Madrider Nahostkonferenz wurde dadurch kompliziert, daß sie mit der der Palästinenser verflochten war, und nicht etwa, weil die Lösung des jordanisch-israelischen Konfliktes an sich schwierig gewesen wäre.
Die Unterzeichnung der Declaration of Principles on Interim Self-Government Arrangements 4 am 13. September 1993 in Washington gab Jordanien endlich den Weg frei, die Verhandlungen mit Israel voranzutreiben. Im am 13. September 1993 in Washington gab Jordanien endlich den Weg frei, die Verhandlungen mit Israel voranzutreiben. Im wesentlichen konzentrierten sich die Delegationen Israels und Jordaniens seit Januar 1994 auf die Erzielung eines Kompromisses hinsichtlich zweier Fragen, die den Friedensschluß zwischen den beiden Staaten noch behinderten: die Anerkennung der Grenzen zwischen Israel und Jordanien, die vom Völkerbund bei Erteilung des Mandates über Palästina an Großbritannien festgelegt worden waren, und die Regelung der Nutzungsteile an den Flüssen Jordan und Yarmuk. Andere Fragen, die wegen ihrer regionalen Interdependenz bilateral nicht zu lösen waren (die Flüchtlingsfrage, die regionale ökonomische Zusammenarbeit und die regionale Sicherheit), konnten nur in Umrissen behandelt werden. Jordanien hatte nach dem Friedensschluß andere Prioritäten auf seine Agenda zu setzen als die Problemfelder, die bilateral nicht gelöst werden konnten. Das Hauptziel Jordaniens, das aus ökonomischen Gründen den Friedensprozeß forcieren wollte, war nach dem geschlossenen Vertrag der Erhalt möglichst hoher Friedensdividenden. Dieses Ziel könnte nur im Rahmen des seit dem Beginn der Friedensverhandlungen diskutierten Nahost-Marktes optimal erreicht werden. Neben Israel versuchte Jordanien -ebenfalls vor dem Hintergrund der Suche nach Wirtschaftspartnern -regionalpolitisch eine aktivere Rolle zu spielen. Sowohl die Normalisierung der Beziehungen mit den Golfstaaten als auch die Suche nach einem Weg zur Wiedereingliederung des Irak in das regionale System gehörten zu den Hauptzielen der jordanischen Politik nach dem Abschluß des Friedens. Diese Bemühungen konnten nur einen Teilerfolg haben, weil die regionalen Rivalitäten eine Sonderrolle Jordaniens weitgehend verhinderten. Innenpolitisch waren keine großen Widerstände gegen den Frieden mit Israel zu befürchten; dies hat sich im ersten Jahr nach dem Friedensschluß bestätigt. König Husain ging vor diesem Hintergrund dazu über, die ökonomischen Strukturen neu zu gestalten, so daß Jordanien in der nächsten Zeit für die Konkurrenz um die Friedensrente gewappnet ist. Zudem sollen die neuen Strukturen, vor allem die Privatisierung der Staatsbetriebe, für Jordanien eine bessere Position im Rahmen eines regionalen Wirtschaftsmarktes ermöglichen.
In diesem Beitrag werden die innenpolitischen, wirtschaftlichen und regionalen Aspekte der jordanischen Politik nach dem Friedensschluß erörtert. Auch wenn Jordanien mit seinen spezifischen demographischen und wirtschaftlichen Merkmalen nicht für alle Staaten der Region typisch ist, darf nicht übersehen werden, daß die Staaten, die noch mit Israel über den Frieden verhandeln, das jordanische Friedensexperiment genau beobachten. Insofern hat Jordanien Modellcharakter.
II. Die Bedeutung und der Umfang des israelisch-jordanischen Friedensvertrages
Es fällt auf, daß der jordanisch-israelische Friedensvertrag vom 26. Oktober 1994 in einigen Artikeln dem Umfang nach über den ägyptisch-israelischen Friedensvertrag vom 26. März 1979 hinausgeht. Die Beendigung des Kriegszustandes und die unmittelbar damit zusammenhängenden Punkte, wie Grenzfestlegung und Truppenabzug, unterscheiden sich kaum von dem ägyptisch-israelischen Vertrag. Das gilt auch für die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen und die ökonomische, wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit. In einem Punkt zeigt der jordanisch-israelische Vertrag eine Besonderheit, nämlich in der Frage der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit. Der Artikel 4 Ziff. 4 a verpflichtet beide Parteien, jegliche Zusammenarbeit mit Koalitionen oder Organisationen militärischen oder sicherheitspolitischen Charakters, die gegen einen der Partner gerichtet sind, zu unterlassen 5. Diese Frage hatte auch baldige politische Konsequenzen. Ein inoffizielles Büro der palästinensisch-islamistischen Bewegung Hamas in Jordanien mußte nach dem Vertrag geschlossen werden. Jordanien war allerdings, wie Kronprinz Hasan zum Ausdruck brachte, der Meinung, daß die Anerkennung der jordanischen Grenzen durch Israel sowie der jor-dänischen Rechte am Jordanwasser eine höhere Priorität habe Mit dem Vertrag ist nach Auffassung des Kronprinzen endgültig anerkannt worden, daß Jordanien kein Ersatz für Palästina ist Diese Frage war für die Jordanier von großer Wichtigkeit, weil die von israelischen Rechten propagierte sogenannte „Transfer-Option“, d. h. Transfer der Westbank-Bevölkerung nach Jordanien, -abgesehen von der Frage, ob sie realpolitisch durchführbar gewesen wäre -in Jordanien als Gefahr empfunden wurde.
Die Anerkennung der jordanischen Grenzen bedeutet aber nicht, daß realpolitisch die Entwicklung in den besetzten Gebieten Jordanien nicht tangiert. In dem Friedensvertrag wurde Jordanien das Recht eingeräumt, in zwei Fragen mitzuwirken, nämlich in der Flüchtlingsfrage und in der Jerusalem-Frage. Bei der ersten Frage (Art. wurde eine Lösung des Flüchtlingsproblems zum einen von der endgültigen und dauerhaften Regelung der von Israel besetzten Gebiete abhängig gemacht 8. Zum anderen sollen multilaterale Verhandlungen zwischen Israel, Jordanien, Ägypten und den Palästinensern die Frage der Flüchtlinge in ihrer regionalen Dimension regeln. Für Jordanien, das die Mehrheit der Flüchtlinge nach dem Krieg von 1967 aufnehmen mußte, hat die Lösung dieser Frage auch innenpolitisch eine große Brisanz. Jordanien kann, da die Flüchtlinge von 1967 die jordanische Staatsbürgerschaft haben, niemanden zur Rückkehr in die Westbank zwingen; die israelische Bereitschaft zur Anerkennung des Rückkehrrechts ist freilich von der endgültigen Lösung des Nahostkonflikts abhängig.
Im Artikel des Vertrages wird jetzt bei der Festlegung eines dauerhaften Status von Ostjerusalem die „besondere Rolle des Königreich Jordanien in bezug auf die Heiligen Stätten in Jerusalem“ beachtet 9. Jordanien hat nach dem Vertrag die Aufsicht über die islamischen Einrichtungen auf der Westbank, ausgenommen Jerusalem, an die Palästinenser abgegeben. Jordanien will, wie im Artikel 9 festgelegt wurde, die Aufsicht über den Felsendom und die Aqsa-Moschee behalten, auch wenn die Palästinenser die Oberhoheit über Ostjerusalem erlangen sollten. Ob dies politisch gegen den Willen der Palästinenser durchführbar ist, bleibt abzuwarten. Jedenfalls legitimiert Jordanien seine im Vertrag festgelegten Rechte damit, daß Jordanien, solange der Status Jerusalems nicht geklärt ist, kein Rechtsvakuum zulassen will, von dem Israel profitieren könnte. Der jordanisch-israelische Friedensvertrag beschneidet in der Tat weder die Rechte der Palästinenser noch die Rechte der anderen arabischen Staaten. Bemerkenswerterweise hat Syrien, das den Friedensschluß kritisierte, den Vertrag nur in zwei Punkten beanstandet, einmal wegen der Verpachtung eines Teils des von Israel besetzten jordanischen Territoriums an Israel wobei der Grund offensichtlich ist: Syrien wollte Israel dadurch klarmachen, daß der Golan oder Teile des Golan nicht nach dem jordanischen Modell an Israel verpachtet werden können. Der zweite Aspekt bezieht sich auf den Alleingang Jordaniens beim Friedensschluß
III. Die Wirtschaftsentwicklung
Der jordanische Staat war seit seiner Gründung 1921 ein Rentierstaat der angesichts seiner schwachen ökonomischen Strukturen und kaum vorhandenen strategischen Ressourcen, wie etwa Erdöl, auf ausländische Zuwendungen und seit den fünfziger Jahren zusätzlich auf Überweisungen von Gastarbeitern in den arabischen Golfstaaten angewiesen ist Da sich Jordanien nur in geringem Maße auf eigene Ressourcen stützen kann -vor allem Phosphat und Pottasche, die etwa 35 Prozent des gesamten Exportvolumens Jordaniens ausmachen *-, unterlag seine Wirtschaft starken Schwankungen, die für die Rentenarten, die es bezog, charakteristisch sind. So steckte Jordanien Ende der achtziger Jahre in einer ernsthaf ten Wirtschaftskrise wegen des Sinkens der Zuwendungen aus den arabischen Golfstaaten infolge der regionalen Rezession sowie der Verringerung des Transithandelsvolumens mit dem Irak nach dem Waffenstillstand im Krieg zwischen Iran und Irak. Der jordanische König erklärte auf der arabischen Gipfelkonferenz von Bagdad im Mai 1990 unverhohlen, daß sein Land vor dem Bankrott stünde, falls die arabischen Erdölstaaten keine baldige Finanzhilfe leisteten
Tatsächlich verschuldete sich Jordanien seit Mitte der achtziger Jahre hoch. 1989 wurden die Auslandsschulden -verursacht u. a: durch das chronische Haushaltsdefizit -mit 6 467 Millionen US-Dollar beziffert, das Land mußte im gleichen Jahr 495 Millionen US-Dollar an Zinsen aufbringen. 1993 hatte Jordanien 7 184 Millionen US-Dollar Auslandsschulden und mußte eine Summe von 517 Millionen US-Dollar für den Schuldendienst ausgeben Zwar zog der zweite Golfkrieg Jordanien in vieler Hinsicht in Mitleidenschaft vor allem durch Flüchtlingsströme der jordanischen und palästinensischen Gastarbeiter aus den Golfstaaten sowie durch die ausbleibende finanzielle Hilfe von dort. Doch zeigte die Wirtschaft dank des Kapitalzuflusses durch die heimkehrenden Gastarbeiter eine bis 1993 anhaltende Konjunktur. So erlebte Jordanien von 1991 bis Ende 1993 einen „Miniboom“ Die Wachstumsrate der jordanischen Wirtschaft wurde im genannten Zeitabschnitt auf etwa fünf Prozent beziffert Dieser Wirtschaftsaufschwung kam bereits Ende 1993 zum Stillstand, weil die Konjunktur im Bausektor, in dem die 1990 heimkehrenden Gastarbeiter ihr Kapital vor allem investiert hatten, abflaute. Da das Ende des UNO-Embargos gegen den Haupt-handelspartner Jordaniens, den Irak, nicht in Sicht war und die arabische Unterstützung für Jordanien wegen der jordanischen Position im Golfkrieg ausblieb, mußte Jordanien versuchen, verstärkt Zugang zu externer Rente zu suchen. Nachdem Ägypten durch den Abschluß des Camp-David-Abkommens 1978/79 nicht unerheblich mit westli-eher Hilfe bedacht worden war, erhoffte sich Jordanien ebenfalls eine großzügige westliche Friedensrente Dieser Umstand erhöhte die Bereitschaft Jordaniens, mit Israel Frieden zu schließen.
Ein nicht unwesentlicher Grund für die Abhängigkeit Jordaniens von ausländischer Hilfe nach dem zweiten Golfkrieg steht im Zusammenhang mit der Entwicklung des Irak zum Haupthandelspartner Jordaniens Es ist evident, daß die jordanischen Firmen, die sich ein Jahrzehnt an die Bedürfnisse der irakischen Wirtschaft angepaßt hatten, nicht abrupt neue Handelspartner finden konnten. Daß der Handel mit dem unter dem internationalen Wirtschaftsembargo stehenden Irak Nachteile verursachen würde, war den jordanischen Handelspartnern klar. Irak konnte Ende 1995 seine Schulden an Jordanien, die mit einer Milliarde Jordanischer Dinar beziffert worden sind nicht mehr zahlen. Ende Januar 1996 halbierte Jordanien das Handelsvolumen mit dem Irak
Die Anstrengungen Jordaniens konzentrierten sich nach dem Friedensschluß mit Israel auf vier wichtige Felder; Sicherung der Auslandshilfe, Mitwirkung bei der Konkretisierung und Forcierung des Nahostmarktes, Wiederherstellung von normalen Beziehungen mit den Golfstaaten und rasche Privatisierung der jordanischen Wirtschaft. Jordanien, immerhin der zweite arabische Staat, der mit Israel Frieden schloß, erhoffte sich eine stärkere Wirtschaftshilfe aus dem Westen. Vor allem die Verschuldung des Landes sollte merklich reduziert werden. Auch wenn der Umfang der Friedensdividende die Wünsche der Jordanier nicht voll befriedigen konnte, dürfte die geleistete und die versprochene Auslandshilfe die ökonomische Situation etwas entspannt haben. Die USA leisteten 1995 mit der Abschreibung von 702 Millionen US-Dollar Schulden, verteilt auf drei Jahre, den Hauptbeitrag. Nicht unbedeutend waren die erfolgreichen Verhandlungen mit den im Pariser Club zusammengeschlossenen westlichen Gläubigerländern, die der Umschuldung von ca. 40 Prozent der jordanischen Auslandsschulden zustimmten, die im Herbst 1995 6, 6 Milliarden US-Dollar betrugen Aber die von den westlichen Staaten anvisierten Projekte -Deutschland etwa ist mit 50 Millionen DM Entwicklungshilfe beteiligt, die zum Teil für Umweltprojekte ausgegeben werden die USA finanzieren ein Wasserprojekt mit einem Volumen von 50 Millionen US-Dollar -können die ökonomischen Probleme Jordaniens kaum lösen. Der vom IWF im Februar 1996 gewährte Kredit von 300 Millionen US-Dollar ist noch die größte Summe an Frischkapital, die Jordanien nach dem Friedensvertrag erhalten konnte.
Wie nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags von amerikanischen Offiziellen zu hören war, machten sich die Jordanier Illusionen über den Umfang der Friedensdividende sie haben aber kurz darauf andere Prioritäten gesetzt. Jordanien versuchte nach dem Friedensvertrag, die Beziehungen zu seinen traditionellen Geldgebern, den Golfstaaten, zu verbessern. Aber auch hier wurden die Jordanier ernüchtert. Anläßlich der Verabschiedung des Haushaltes machte der ehemalige Ministerpräsident Abd al-Salam al-Majali deutlich, daß die Jordanier, auch wenn die Beziehungen mit den Staaten des Golfrates sich normalisieren sollten, auf keine großzügige Hilfe hoffen könnten Der Schwerpunkt der Zusammenarbeit mit den Golfstaaten dürfte auf gemeinsamen Wirtschaftsprojekten und privaten Investitionen liegen. Während sich die Beziehungen mit den kleineren Golfstaaten Katar und Oman, aber auch mit Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten, fast normalisierten, mußte König Husain nun seine Beziehungen mit der Hauptmacht auf der arabischen Halbinsel, Saudi-Arabien, und mit Kuwait verbessern. Dies brachte allerdings keine baldigen positiven Ergebnisse. Der Weg zur Wiederherstellung der alten Verhältnisse, als die Golfstaaten das ärmere Jordanien ökonomisch unterstützten, scheint noch lang zu sein. Dennoch dürften die Versprechungen Saudi-Arabiens, Jordaniens Erdölbedarf zu decken, ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg sein. Die Hoffnungen Jordaniens, daß das Konzept des Nahostmarktes bald Realität wird, wurde auf den regionalen Wirtschaftstagungen von Casablanca und Amman etwas gedämpft. Die Jordanier schlugen hier ein Middle East Free Trade Agreement (MEFTA) nach dem Modell von NAFTA und EFTA vor Dieser Vorschlag und die Gründung einer regionalen Entwicklungsbank Middle East Development Bank wurden zwar in Casablanca 1994 und in Amman 1995 diskutiert, warten aber immer noch auf ihre konkrete Verwirklichung. Eine effektive wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Israel und den unter der Kontrolle der Palästinensischen Nationalbehörde (Palestinian National Authority! PNA) stehenden Gebieten konnte ebenfalls nicht rasch realisiert werden. Es scheint überhaupt, daß die von den USA favorisierte Bankgründung, abgesehen von Israel und Jordanien, im Nahen Osten keine populäre Idee ist. Die Golfstaaten, ebenso wie die EU-Mitglieder, kritisieren das Bankkonzept, weil eine weitere bürokratische Institution die notwendige, aber noch nicht existente regionale Wirtschaftskooperation nicht ersetzen kann
Aber auch die im Artikel 7 des Friedensvertrages vorgesehene wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Jordanien und Israel braucht bis zu ihrer Realisierung eine gewisse Zeit. Das erste Projekt, nämlich der Bau eines israelisch-jordanischen Flughafens durch die amerikanische Gruppe Lokheed Martin in Aqaba, kann wahrscheinlich erst Ende 1996 in Angriff genommen werden Daß die Animositäten zwischen zwei Ländern, die sich offiziell immerhin mehr als vier Jahrzehnte im Kriegszustand befanden, nicht rasch beseitigt werden können, wird durch das Immobiliengesetz vom Juli 1995 veranschaulicht. Mit der Aufhebung des Wirtschaftsembargos gegen den Staat Israel verabschiedete das jordanische Parlament ein Gesetz, das den Erwerb von Immobilien in Jordanien auf die Jordanier und Bürger anderer arabischer Staaten beschränkte. Der Erwerb von Immobilien durch die Bürger dritter Staaten erfordert die Genehmigung des Ministerpräsidenten Es ist evident, auch wenn es expressis verbis nicht erwähnt wurde, daß durch das Gesetz dem Erwerb von Immobilien durch israelische Bürger ein Riegel vorgeschoben werden sollte.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen hat Jordanien keine Möglichkeit, seine wirtschaftlichen Probleme optimal zu lösen. Auch wenn das Wirtschaftswachstum im ersten Jahr nach dem Friedensschluß mit 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht schlecht war, braucht Jordanien mehr Wachstum, um das Problem des rapiden Bevölkerungswachstums von 3, 6 Prozent jährlich zu lösen, das die gegenwärtige Arbeitslosigkeit von ca. 15 Prozent noch weiter erhöht Es scheint in der Tat, daß die möglichen positiven Impulse eines regionalen Marktes einen Beitrag für die Lösung dieser Probleme darstellen könnten.
IV. Die innenpolitische Entwicklung
Die ökonomische Struktur Jordaniens steht in einer umgekehrten Relation zum innenpolitischen System. Nach innen baute die haschemitische Dynastie ein Klientelsystem auf, das der Monarchie trotz zahlreicher interner und externer Konflikte Stabilität verlieh. Repräsentanten der Stämme, der ethnischen Minderheiten, der religiösen Gemeinschaften, aber auch der wichtigsten sozialen Gruppen, etwa der Händlerschicht, bilden mit der Dynastie ein Netz. Die Loyalität zur Monarchie wird durch politische Partizipation und Zugang zum Rentenzyklus honoriert. Daß dieses System fragil ist, wird in den Krisenzeiten sehr deutlich. Die Wirtschaftskrise Ende der achtziger Jahre führte 1989 zu gefährlichen Unruhen in Süd-jordanien, die durch Gewalt und Versprechungen beendet werden konnten Die jordanische Führung stand nach den Unruhen vor der Option, entweder nach dem Beispiel der anderen arabischen Staaten die Opposition dauerhaft gewaltsam zu unterdrücken oder eine kontrollierte politische Partizipation der oppositionellen Kräfte zu ermöglichen. Die Opposition der achtziger Jahre war eindeutig islamistisch orientiert Arabische Nationalisten und Linke verloren seit den siebziger Jahren rapide an Einfluß und waren nun eine Randerscheinung. Eine Besonderheit der jordanischen islamistischen Opposition lag darin, daß sie seit den fünfziger Jahren ein Zweckbündnis mit der haschemitischen Monarchie eingegangen war. Dieses Bündnis war gegen die gemeinsamen Feinde, die arabischen Nationalisten und die Linke, gerichtet. Dies war auch der Grund dafür, daß die Islamisten lange die Monarchie weitestgehend von ihrer Kritik ausklammerten.
Ein anderes Problemfeld ergab sich aus der Frage der jordanischen Identität, wenngleich diese lange Zeit nicht offen diskutiert wurde. Die Frage rückte stetig ins Zentrum des politischen Diskurses, nachdem Jordanien sich politisch und rechtlich vom Palästina-Problem abgekoppelt hatte. In Jordanien war es seit den fünfziger Jahren zur festen Regel geworden, daß die sensiblen Positionen in der Armee, bei den Sicherheitskräften und in der Verwaltung mit Jordaniern nicht-palästinensischer Herkunft besetzt wurden. Der Zugang zu höheren Ämtern war für die Palästinenser aber nicht völlig verschlossen. Nicht selten bekleideten und bekleiden mit der Monarchie verbundene Bürger palästinensischen Ursprungs verantwortungsvolle Positionen im Staat. Die Frage, die sich nach der Unterzeichnung der palästinensisch-israelischen Declaration of Principles stellte, bezog sich vielmehr darauf, welche Identität die Palästinenser jordanischer Staatsbürgerschaft haben. Unter dem Motto „Konsolidierung der jordanischen Identität“ (ta’ziz al-hawiya al-urduniya) führte die halb-offiziöse jordanische Presse seit Anfang 1994 offen einen Diskurs über das Thema der Identität
Hier wurde deutlich, daß nach dem israelisch-palästinensischen Friedensvertrag nicht ganz unbegründete Unsicherheiten über das Verhalten der jordanischen Palästinenser entstanden. Es geht hier um diejenigen Palästinenser, die bereits vor 1967 in Jordanien ansässig waren, da davon ausgegangen wird, daß diese so weit integriert sind, daß die Frage ihrer Rückkehr in ihre angestammten Gebiete nur noch theoretischer Natur oder eine Frage von Entschädigungsregelungen ist. Aber selbst diejenigen Palästinenser, die 1967 nach Jordanien geflohen sind und deren Rückkehr noch ernsthaft zur Debatte steht, werden, wie König Husain nach der Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung betonte auch nach einer entspre-chenden Rückkehrregelung nicht zwangsweise repatriiert.
Allerdings zeigten die Unruhen von 1989, die sich in der rein jordanischen südlichen Region ereigneten, daß die Frage der Identität allein kein entscheidender Faktor für die Stabilität ist. Daher versuchte König Husain, den Demokratisierungsprozeß voranzutreiben -der mit den Parlamentswahlen von 1989 seinen Anfang gefunden hatte -, als nach dem zweiten Golfkrieg die Signale darauf hindeuteten, daß der Westen und vor allem die USA die Verhandlungen zwischen Israel und seinen Nachbarn im Interesse der Stabilität im Nahen Osten beschleunigen würden. Die am 9. Juni 1991 verkündete Nationalcharta (al-Mithaq al-Watani) brachte tatsächlich den Demokratisierungsprozeß des Landes voran Zwar blieb die Stellung des Königs, wie sie in der Verfassung verankert ist, unangetastet König Husain war jedoch bereit, den Ausnahmezustand zu beenden und die politischen Parteien zuzulassen, die bis dahin zwar nicht alle verboten waren, aber am Prozeß der politischen Willensbildung nicht offiziell teilnehmen konnten Sicherlich versuchte König Husain durch die eingeleiteten Schritte zur Demokratisierung des Systems, die Monarchie politisch zu legitimieren, aber diese Schritte stehen in engem Kontext mit dem Friedensprozeß. Ein demokratisches Jordanien sollte als Modell für die anderen arabischen Staaten dienen Der Demokratisierungsprozeß darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der König, gestützt auf die Verfassung, die politische Entwicklung im Land weiter unter seiner Kontrolle hält. So entließ der König im Januar 1995 den bisherigen Ministerpräsidenten Abd al-Salam al-Majali, als offensichtlich wurde, daß die Friedensdividenden, die von den westlichen Staaten geleistet worden waren, weit unter den jordanischen Erwartungen lagen. Für die Bewältigung möglicher Sicherheitsfragen, die sich bei der Verwirklichung des jordanisch-israelischen Vertrages ergeben könnten, ernannte der König seinen Vetter Zaid bin Shakir, einen in der Armee einflußreichen ehemaligen Offizier, zum Ministerpräsidenten
Ein Jahr nach der Ernennung Zaid bin Shakirs scheint der König davon überzeugt zu sein, daß die Zeit für eine Regierung, die der Wirtschaft die höchste Priorität gibt, gekommen ist. Die Normalisierung der Beziehungen mit Israel, die in ihrem Umfang den fünfzehnjährigen Normalisierungsprozeß zwischen Israel und Ägypten übertrafen, verlief innenpolitisch reibungslos. Die Zeit war nun reif, um den Sicherheitsgaranten Zaid bin Shakir durch den Technokraten und Wirtschaftsexperten Abd al-Karim al-Kabariti zu ersetzen. Al-Kabariti erwarb sich als Außenminister große Verdienste bei der Normalisierung der Beziehungen mit Israel, aber auch der Annäherung an die Golfstaaten die ihren vorläufigen Höhepunkt in dem von al-Kabariti vorbereiteten Besuch König Husain in Saudi-Arabien Mitte Februar 1996 fand. Die umfassend neue Politik -für die al-Kabariti steht -zeigt sich vor allem in folgenden Punkten: -Der designierte Ministerpräsident führte, dies ist in der Postfriedensära als neu zu betrachten, Verhandlungen mit allen politischen Gruppierungen des Landes, einschließlich der Parlamentarier der Islamischen Aktionsfront und der Vertreter der linksnationalistischen Parteien. Die Regierung al-Kabariti ist die erste jordanische Regierung nach dem Beginn der Demokratisierung, in der die Vertreter der linken Parteien und Berufsverbände einen wichtigen Platz einnehmen. Die Islamisten beteiligten sich allerdings vor dem Hintergrund ihrer ablehnenden Haltung zur Normalisierung der Beziehungen mit Israel nicht an der Regierung; sie signalisierten aber eine wohlwollende Haltung gegenüber der neuen Regierung Der König gab mit der Parole „weiße Revolution“ das Signal für eine umfassende Modernisierung der jordanischen Verwaltung Dies soll ein ergänzender Schritt zur Privatisierung der Wirtschaft sein. Die „weiße Revolution“ soll nach den Vorstellungen des Königs alle staatlichen Institutionen effizienter machen, um für die ökonomischen Herausforderungen in der Postfriedensära vorbereitet zu sein. -Der König versucht sein Eingreifen in die Politik, das bis heute vorwiegend über das Amt des Königlichen Hofes verlief, zu institutionalisieren. Der im Februar entstandene Sicherheitsrat soll Vertreter der Sicherheitsorgane, der Armee und der Regierung umfassen und den König bei den wichtigsten Entscheidungen beraten.
Die besonderen politischen Strukturen, vor allem der Klientelismus und die nach dem Beginn des Friedensprozesses sich entwickelnde jordanische Identität, schafften tatsächlich günstige Bedingungen für die Akzeptanz des Friedens mit Israel. Die islamistische Opposition sowie die nationalistischen und linken Parteien die zusammen im Parlament nur 21 Sitze haben, hatten nicht nur keine Möglichkeit, die Ratifizierung des Friedensvertrags im Parlament zum Scheitern zu bringen sondern darüber hinaus blieben ihre außerparlamentarischen Protestaktionen fast ohne Wirkung
Die oppositionellen Kräfte mußten schließlich anerkennen, daß die Entscheidung, mit Israel Frieden zu schließen, von der Mehrheit der Jordanier getragen wurde. Die nach der Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung durchgeführte repräsentative Befragung zeigte überraschend, daß 80, 2 Prozent der Befragten den Friedensschluß mit
Israel befürworteten und daß nur 14, 1 Prozent der Befragten den Frieden ablehnten, während 5, 7 Prozent sich dazu nicht äußerten
Die Islamisten gingen nach dem Abschluß des Vertrages im Oktober 1994 dazu über, den Vertrag als Fait accompli hinzunehmen und nunmehr gegen die Normalisierung der Beziehungen mit Israel zu opponieren. Die islamistische Presse (z. B. die Wochenzeitung al-Sabil) durfte trotz Zensur vor und nach dem Friedensschluß harsche Kritik üben. Weniger generös ging die Regierung mit den radikalen islamistischen Gruppen um. Im Januar 1995 sprach das Staatssicherheitsgericht im Prozeß gegen zehn Anhänger der verbotenen islamistischen Gruppe Hizb al-Tahrir (Befreiungspartei) die Todesstrafe aus. Ihnen war vorgeworfen worden, im Sommer 1993 ein Attentat auf König Husain geplant zu haben. Ebenfalls wurde gegen eine Gruppe der ehemaligen Afghanistan-Kämpfer, die als Jaisch Muhammad (Die Armee Muhammads) agierten, die Todesstrafe verhängt. Diese Gruppe soll Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen geplant haben. Abgesehen von diesen radikalen kleineren Randgruppen des islamistischen Spektrums, ist die innenpolitische Lage als stabil zu bezeichnen. Trotz des reibungslosen Normalisierungsprozesses in den jordanisch-israelischen Beziehungen beschränkte der König seine anvisierten Reformen auf die Effizienz der Verwaltung; der König ist keineswegs gewillt, seine in der Verfassung von 1952 verankerten Rechte einzuschränken. Die seit 1989 laufende Debatte um Pressefreiheit und Abschaffung der Zensur konnte bis dato zu keinem positiven Ergebnis führen. Der König hat bei einem Treffen mit den Repräsentanten der Massenmedien Ende Dezember 1995 die Presse zu mehr Verantwortung gemahnt und davor gewarnt, daß die Demokratisierung einen Rückschlag erleiden könnte; er wies auf das gescheiterte Demokratisierungsexpriment in den fünfziger Jahren hin Es ist trotz dieser Warnungen kaum zu erwarten, daß Jordanien, das sich nach der Demokratisierung als erfolgreiches politisches Modell für die anderen arabischen Staaten empfiehlt, den 1989 begonnenen Demokratisierungsprozeß umkehren kann.
V. Jordaniens Rolle in der Regionalpolitik nach dem Friedensschluß mit Israel
Die regionale Isolation Jordaniens wegen seiner Position im zweiten Golfkrieg fand trotz der Kontakte König Husains mit dem syrischen Präsidenten Asad auch nach dem Beginn der Friedensverhandlungen kein Ende. Jordanien, das seine bilateralen Streitpunkte mit Israel nach den Verhandlungen von 1992 bis 1993 vor dem Abschluß des Friedensvertrages fast einvernehmlich beigelegt hatte, mußte nicht -anders als Libanon -auf grünes Licht aus Damaskus warten. Ganz im Gegenteil, das Mitglied der jordanischen Verhandlungsdelegation und der jetzige Chef des Königlichen Hofes, Jawad al-Anani, sagte nach dem Friedensschluß mit Israel, daß Jordanien gewillt war, den Frieden mit Israel rasch zu schließen, weil eine hegemoniale Rolle Syriens über Jordanien unannehmbar gewesen wäre Nach dem Abschluß des Friedensvertrages mit Israel gab Jordanien drei regionalen Fragen Priorität: einer klaren Haltung zu der palästinensischen Autorität in den besetzten Gebieten, Normalisierung der Beziehungen mit den Golfstaaten und dem unmißverständlichen Mitwirkungsrecht bei der Gestaltung der Zukunft des Irak.
Die Beziehungen zur PNA und zu den besetzten Gebieten haben für Jordanien nicht nur eine innenpolitische, sondern darüber hinaus eine regionale Bedeutung. Eine Lösung des Palästinenser-Problems und ein funktionierender Frieden setzen primär eine Zusammenarbeit zwischen Israel, Jordanien und einem zukünftigen Staat Palästina voraus. In diesem Kontext ist es unerheblich, ob Palästina in eine Konföderation mit Jordanien eingebunden oder selbständig wird. Der ehemalige jordanische Ministerpräsident palästinensischer Abstammung Tahir al-Masri, selbst Verfechter einer palästinensisch-jordanischen Konföderation, brachte diese Frage auf den Punkt, als er vor der Unterzeichnung des israelisch-jordanischen Friedensvertrages konstatierte, es handele sich bei dieser Frage nicht darum, ob Jordanier und Palästinenser in der Zukunft zusammengingen oder nicht, sondern lediglich darum, in welcher Form das jordanisch-palästinensische Zusammengehen seine Endgestaltung finde König Husain nimmt in dieser Frage eine reservierte Haltung ein Jordanien kennt zur Genüge die Komplexität der palästinensisch-israelischen Beziehungen und will daher, bevor der Konflikt geregelt ist, kein direkter Akteur werden.
Trotz der Zurückhaltung Jordaniens hinsichtlich der Option einer palästinensisch-jordanischen Konföderation unternahm es seit 1994 einige Schritte zur Gestaltung der jordanisch-palästinensischen Beziehungen. Am 26. Januar 1995 wurde ein Handelsvertrag zwischen Jordanien und der PNA zu einem wichtigen Baustein in einem möglichen israelisch-jordanisch-palästinensischen Markt Denn die Declaration of Principles of Interim Self-Government Arrangements schreibt gemeinsame israelisch-palästinensische Wirtschafts- und Entwicklungsprogramme vor, die die Bereiche Wasserhaushalt, Verkehr, Kommunikation, Finanzfragen, Industrie, Umweltschutz etc. einschließen. Jordanien, das vor dem Friedensprozeß wirtschaftlich mit der Westbank eng verbunden war, hat realpolitisch keine andere Option, als in diesem Rahmen seine Rolle zu suchen. Politisch und rechtlich bildete der jordanisch-israelische Friedensvertrag die Basis für diese Zusammenarbeit. Am 26. Januar 1996 ging Jordanien durch die Einweihung der jordanischen Vertretung in Gaza einen weiteren Schritt bei der Gestaltung seiner Beziehungen mit der PNA.
Die zweite wichtige regionale Frage, die von der jordanischen Warte aus eine unaufschiebbare Angelegenheit ist, ist die Normalisierung der Beziehungen zu den Golfstaaten. Jordanien war es gelungen, mit Oman und Katar schon 1992 die Beziehungen zu normalisieren. Wichtiger jedoch war die Wiederherstellung von normalen Beziehungen mit Saudi-Arabien und mit Kuwait. Während Kuwait, das Jordanien wegen seiner Position im zweiten Golfkrieg zu den Gegnerstaaten (duwal al-didd) rechnete, eine öffentliche Entschuldigung König Husains fordert, begann Saudi-Arabien seit 1994 positiv auf die Normalisierungsforderung Jordaniens zu reagieren. Die Botschafter wurden vier Jahre nach dem Zweiten Golfkrieg 1994 wieder ausgetauscht. Ein Druchbruch in den bilateralen jordanisch-saudischen Beziehungen war der Besuch des jordanischen Außenminister al-Kabariti in Saudi-Arabien im Juli 1995. Eine Bereinigung der Beziehungen Jordaniens mit den Golfstaaten wurde aber, wie auf der Tagung des Golfrates im Juli 1995 beschlossen wurde von einer eindeutigen Irak-Politik Jordaniens abhängig gemacht.
Die jordanische Irak-Politik bildet seit dem Golfkrieg einen der wichtigsten Aspekte der jordanischen Außenpolitik. In seiner Irak-Politik stand König Husain nach dem Golfkrieg vor einem Dilemma. Einerseits konnten die wirtschaftlichen Beziehungen mit dem bisherigen Verbündeten nicht abrupt abgebrochen werden, andererseits war König Husain überzeugt, daß das Embargo gegen den Irak nicht aufgehoben werden kann, solange der Irak einen umfassenden innen-und außenpolitischen Wandel ablehnt. Zunächst begann König Husain mit einer vorsichtigen, an Saddam Hussein adressierten Mahnung: Irak solle das politische System reformieren und die Menschenrechte achten. Ende 1992 schien der König, der nach seinen eigenen Angaben seit dem Golfkrieg keinen direkten Kontakt zu Saddam Hussein hatte, die Hoffnung aufgegeben zu haben, daß Saddam Hussein dem Wandel zustimmen würde. Nun ging der König dazu über, Kontakt mit der irakischen Opposition im Ausland aufzunehmen. Im Oktober 1992 begründete der König seine Kontakte mit der irakischen Opposition im Ausland damit, daß die herrschende Führung des Irak die faktische Spaltung des Landes verursacht habe und daß er die Suche nach Lösungen als seine Pflicht betrachte Der Dialog zwischen der jordanischen Führung und der irakischen Opposition intensivierte sich in den folgenden Jahren.
Die überraschende Flucht des Industrieministers und Schwiegersohnes Saddam Husseins, Hussein Kamil Hassan, im August 1995 aus dem Irak, seine Rückkehr nach sieben Monaten nach Bagdad und seine Ermordung dort waren eher eine familiäre Tragödie. König Husain scheint aber ernsthaft geglaubt zu haben, daß die Flucht des Hussein Kamil Hassan das Regime in Bagdad aus den Angeln heben könnte. Als es ersichtlich wurde, daß der geflüchtete Minister, anders als er behauptete, keine nennenswerte Anhängerschaft in Bagdad hatte und als die wichtigsten Oppositionsgruppen im Ausland, vor allem der Iraqi National Congress, die Bereitschaft nicht zeigten, mit ihm zusammenzuarbeiten, startete der König Ende 1995 eine neue Kampagne. Die Quintessenz der neuen Vorschläge des Königs kann mit zwei Begriffen erklärt werden: Demokratie und Föde-ralismus -also Themen, die die irakische Opposition seit dem Zweiten Golfkrieg debattierte. Der König schlug, nach den Berichten der in London ansässigen arabisch-sprachigen Presse, eine irakische Föderation mit fünf Bundesstaaten vor eine kurdische föderative Region im Norden, zwei schiitische Regionen im Süden, ein arabisch-sunnitische Region im Westen und eine konfessionell gemischte Region mit Bagdad als Hauptstadt.
Die Präsidentschaftswahlen im Irak, bei denen Saddam Hussein nach alter Manier 99, 96 Prozent der abgegebenen Stimmen bekommen haben soll, widersprachen nach der Meinung des Königs dem Geist der Zeit König Husain bewertete die Wahlen und deren Ergebnis als Zeichen der Unbelehrbarkeit des Regimes in Bagdad. Ende Dezember 1995 stellte der König in einem Interview mit der in Katar erscheinenden Tageszeitung al-Watan fest, daß das Regime in Bagdad jedwede Glaubwürdigkeit verloren habe Er warnte gleichzeitig die Führung in Bagdad, daß auch nach einem möglichen positiven Bericht des Vorsitzenden der UN-Kommission, Rolf Ekeus, über die Zerstörung der irakischen Massenvernichtungswaffen der Irak nicht in der Staatengemeinschaft akzeptiert werden könne. Nicht zu Unrecht verwies der Monarch auf die Frage der Menschenrechte und auf die Lage der Bevölkerung in den Schutzzonen. Entsprechend hat der jordanische König wenig Hoffnung, daß das System von innen zu reformieren ist. Vor diesem Hintergrund schlug der König im letzten Dezember vor, die wichtigsten politischen Kräfte, einschließlich der Vertreter der jetzigen Führung in Bagdad, sollten bald Verhandlungen aufnehmen, um einen Konsens für den Wandel zu erreichen. Die föderative Lösung soll nach Vorstellungen des Königs einerseits den ethnisch-religiösen Gruppen die Sicherheit geben, daß sie im zukünftigen Irak nicht benachteiligt werden. Andererseits sollen die Nachbarstaaten beruhigt werden, die die nicht unbegründete Befürchtung haben, ein Machtwechsel im Irak könnte zum Auseinanderfallen des irakischen Staatsverbandes führen. Nicht minder wichtig ist die Intention des Königs, durch den Konsens der wichtigsten politischen Kräfte im Irak das Land zu einem friedlichen Wandel zu bewegen. Die Alternative, so wiederholt der König unermüdlich, seien Blutbäder, ein bellum omnium contra omnes, der auf alle Fälle verhindert werden sollte Regionalpolitisch konnte der König aber keine Verbündeten für sein Irak-Projekt finden, jedoch jede Menge Konkurrenten und Rivalen. Da ist zunächst die Zweckgemeinschaft zwischen der Türkei, Syrien und dem Iran zu nennen -also Staaten, die sich nur in einer Frage einig sind, nämlich bei der Verhinderung der Entstehung eines selbständigen kurdischen Staates im Nordirak. Andere regionale Fragen sind bei ihnen höchst umstritten. Die Türkei und Syrien können sich nach vielen Verhandlungsrunden über die Regelungen zur Nutzung des Euphratwassers nicht einigen. Iran äußert seit Ende 1995 offene Kritik an Syrien im Zusammenhang mit der grundsätzlichen Bereitschaft Syriens, mit Israel Frieden zu schließen. Dies könnte zum baldigen Ende der syrisch-iranischen Allianz führen. Die Türkei ist über die iranische Unterstützung der radikalen türkischen Islamisten und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), trotz der iranischen Beschwichtigungsversuche, sehr beunruhigt.
Die zweite Achse im Zusammenhang mit der Irak-Frage -Ägypten, Syrien und Saudi-Arabien -verfolgt das Ziel, hier selbst eine aktive Rolle zu spielen. Syrien betrachtet sich unmißverständlich als Pate der irakischen Opposition. Immerhin hat Asad, primär vor dem Hintergrund der Streitigkeiten zwischen der in Syrien und im Irak herrschenden, aber umstrittenen Baath-Partei, die irakische Opposition nach Kräften unterstützt. Asad verfolgt in seiner gegenwärtigen Irak-Politik eine doppelte Strategie: Zum einen versucht er im Zusammenhang mit dem Streit mit der Türkei über das Euphratwasser, Irak an seine Seite zu ziehen, zum anderen, die irakische Opposition zu beeinflussen. Vor diesem Hintergrund sind die Vorwürfe Syriens, Jordanien wolle den Irak spalten, zu verstehen Syrien versuchte nach der Bekanntgabe der jordanischen Irak-Initiative, die irakische Opposition stärker an sich zu binden. Die Tagung der irakischen Oppositionsgruppen in Damaskus am 3. April 1996 ist daher als ein Instrument zu sehen, mit dem die syrische Füh-rung versucht, die Bemühungen in der Irak-Frage zu konterkarieren.
Die Uneinigkeit über die von den Kurden geforderte föderative Struktur im zukünftigen Irak zeigt klar, daß die syrische Lösung für den Irak im wesentlichen von den radikalen arabischen Nationalisten getragen wird. König Husains föderativer Vorschlag sollte gerade die Spaltung in der irakischen Opposition überwinden. Ägypten, das seine Irak-Politik seit dem zweiten Golfkrieg koordiniert, betrachtet seine Regionalpolitik als ein Instrument zur Sicherung der politischen Rente aus dem Westen und aus den Golfstaaten. Aus diesem Grund kommen die Aktivitäten König Husains in der Irak-Frage der ägyptischen Führung nicht ganz gelegen. Bei seinem Besuch in Jordanien Ende Dezember 1995 mahnte Mubarak zur Zurückhaltung in der Irak-Frage. „Föderation“, sagte Mubarak auf die Frage der Journalisten nach seiner Meinung über den Vorschlag des Königs, „ist eine irakische innenpolitische Frage. Dazu haben wir keine Meinung.“ Schon vor dieser Begegnung, nämlich nach der Flucht General Hussein Kamil Hassans nach Amman, machten Mubarak und der syrische Präsident Asad deutlich, daß sie eine Sonderrolle Jordaniens in der Irak-Frage ablehnen. Saudi-Arabien seinerseits fürchtet, daß es möglicherweise nach einem Wandel im Irak zu einer irakisch-jordanischen Allianz kommen könne, die unter Umständen die traditionelle Rivalität der Dynastie der Haschemiten zu den Saudis wiederbeleben würde.
Die ablehnende Haltung der nahöstlichen Mächte zur Initiative des jordanischen Königs ist nicht das einzige Hindernis. Die führende Macht des Westens, die Vereinigten Staaten, scheinen von der Umsetzbarkeit der Initiative des Königs nicht ganz überzeugt zu sein. Sie wollen gemäß ihrer Doktrin des „dual Containment“ d. h. der gleichzeitigen Isolierung und Schwächung der Regime in Teheran und in Bagdad, noch keinen riskanten Wandel im Irak unterstützen. Der von ihnen gewünschte „Palastputsch“ hat aber noch nicht stattgefunden Die Ankündigungen des amerikanischen Verteidigungsministers Perry Mitte Februar, daß die Vereinigten Staaten und Jordanien auf eine Veränderung im Irak hinarbeiten, wird sich wahr scheinlich eher kontraproduktiv auswirken. Die regionalen Rivalen werden alles unternehmen, um die Ambitionen König Husains, vor allem seine Bestrebungen, eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Zukunft des Iraks zu spielen, zum Scheitern zu bringen.
VI. Fazit und Ausblick
Anderthalb Jahre nach der feierlichen Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen Jordanien und Israel gibt es in Jordanien keinen Zweifel mehr, daß der Friedensweg, den König Husain konsequent beschritten hatte, im Prinzip richtig war. Sogar bei den Islamisten, die bei den Parlamentsabstimmungen im November 1994 gegen den Vertrag votierten, hat sich eine grundlegende Veränderung ergeben. Die Islamisten mußten im nachhinein anerkennen, daß der Friedensvertrag eine Realität geworden ist; sie versuchen nun, die Normalisierung zu verhindern oder zumindest das Ausmaß der Normalisierung zu limitieren. Gerade dies war aber nicht das Ziel der Friedensstrategen auf der jordanischen Seite. Jordanien erhoffte sich zum einen eine großzügige Friedensdividende, zum anderen waren die Jordanier der Überzeugung, daß ein Nahostmarkt als mittelfristige Strategie zu ökonomischer Prosperität in Jordanien und in der gesamten Region führen kann. In diesem Kontext war der jordanischen Führung ersichtlich, daß ein Markt ohne eine konsequente Normalisierung der Beziehungen mit Israel und ohne dessen Beteiligung keine große Unterstützung von außen, vor allem von den Vereinigten Staaten bekommen kann. Von diesem Markt könnten Impulse ausgehen, die die Region von der Auslandshilfe unabhängig machen könnten. Im Zusammenhang mit den Friedensdividenden tauchten zwei Probleme auf, die eine neue Überlegung notwendig machen. Die vom Ausland geleistete Wirtschaftshilfe ist bei weitem geringer ausgefallen, als von den Jordaniern erhofft; die Zeiten, als die Friedenswilligen im Nahen Osten von den Vereinigten Staaten und ihren europäischen Verbündeten Friedensdividenden in Milliardenhöhe erhielten, scheinen vorbei. Als vernünftige Option wäre die Entstehung eines Nahost-Marktes zu forcieren. Aber auch hier sind Probleme entstanden, die gegenwärtig kaum befriedigend gelöst werden können. Dieser Markt ist zum einen abhängig von einem umfassenden Frieden, einschließlich eines Friedenschlusses Israels mit Syrien und Libanon, zum anderen aber von einem Konsens über die Strukturen dieses Marktes und die Rollen der einzelnen Akteure. Die jetzigen regionalen Gegebenheiten, wie zum Beispiel der Streit zwischen Jordanien, Ägypten und Syrien über die Zukunft des Irak, lassen wenig Hoffnung auf eine baldige regionale Organisation oder gar eine Nahost-KSZE erkennen, wie der jordanische Kronprinz Hassan Bin Talal vorgeschlagen hat. Ein Mini-Nahost-Markt als Übergangslösung zwischen Israel, Jordanien und den Palästinensern wäre, wenn er erfolgreich sein sollte, ein Modell für eine größere regionale Zusammenarbeit der nahöstlichen Staaten.
Bezogen auf die jetzige Situation sind die weiteren Perspektiven des jordanisch-israelischen Friedens von der Entwicklung der Wirtschaft Jordaniens und seiner regionalen Rolle abhängig. Vor allem für drei Problemfelder müssen adäquate Lösungen gefunden werden: -Dies ist zunächst das zügige Voranschreiten des Friedensprozesses in den palästinensisch-israelischen Beziehungen. Für Jordanien mit einer palästinensischen Bevölkerungsmehrheit hat die Regelung des Palästinenserproblems eine essentielle Bedeutung. Schließlich können ernsthafte Verhandlungen über eine Konföderation nur nach einer Regelung dieser Frage in Angriff genommen werden. -Regional tangiert die Zukunft des Irak unmittelbar die Interessen Jordaniens. Nicht nur weil die Wirtschaft Jordaniens sich lange an den Irak angepaßt hat und eine kurzfristige Abkoppelung nicht möglich ist, sondern auch, weil Jordanien sich ein aktives Engagement beim Wiederaufbau des Irak erhofft. Zudem könnte der Irak mit seinen Ressourcen ein Gegengewicht zu Israel in einem zukünftigen Nahost-Markt bilden. -Das dritte Problemfeld betrifft die weitere Entwicklung der jordanisch-israelischen Beziehungen. Sollte die jordanische Wirtschaft nicht synchron mit den Normalisierungsschritten in den Beziehungen mit Israel wachsen, ist die Bildung einer Mehrheit zu befürchten, die sich gegen die weitere Normalisierung stellen könnte. Allerdings muß eingeräumt werden, daß angesichts der regionalen und internationalen Rahmenbedingungen eine Abkehr von der Friedenspolitik unvorstellbar ist. Jordanien hat höchstens die Wahl zwischen einem kalten oder einem warmen Frieden.