I. Einleitung
Im Herbst dieses Jahres jährt sich die Madrider Friedenskonferenz zum fünften Male. Man hat sich inzwischen nicht nur an die Existenz des damals initiierten nahöstlichen Friedensprozesses als eine Selbstverständlichkeit gewöhnt, sondern auch daran, daß er bereits zu weitreichenden Ergebnissen geführt hat. Hervorzuheben sind hier der Friedensschluß zwischen Jordanien und Israel 1994, vor allem aber auch die Verhandlungsergebnisse zwischen der Palästinensischen Befreiungsbewegung (PLO) und Israel, die im Mittelpunkt dieses Beitrages stehen. Noch in der Zeit unmittelbar vor der palästinensisch-israelischen Prinzipienerklärung im Herbst 1993 hatten nur wenige Regionalexperten derart substantielle Resultate prognostiziert. Bis heute ist die Frage nach den Ursachen und Motiven des Friedensprozesses nicht befriedigend geklärt. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht darf über der Beschäftigung mit den laufenden Ereignissen des nahöstlichen Friedensprozesses die Erforschung seiner Gründe indes nicht vernachlässigt werden. Außerdem sollten Prognosen über seinen Fortgang gewagt werden.
Im zweiten Kapitel dieses Beitrages wird zunächst zu klären versucht, worum es im israelisch-palästinensischen Konflikt geht und wie er strukturiert ist. Dann sollen die wichtigsten Stationen des Verhandlungsprozesses zwischen der PLO und Israel kurz beschrieben werden. Dabei wird sich zeigen, daß die PLO wie die israelische Regierung substantielle Zugeständnisse gemacht und sich zum ersten Male seit Bestehen des Konflikts auf eine kooperative Bearbeitung eingelassen haben, die PLO aber noch größere politische Risiken eingegangen ist als die Regierung Rabin. In Kapitel III wird nach Erklärungen für das Verhalten der beiden Akteure gesucht. Fünf Erklärungsansätze werden vorgestellt und auf ihre Stärken und Schwächen hin geprüft. Diese widersprechen sich in einigen Punkten, häufig aber betonen sie nur unterschiedliche Aspekte, und in vielerlei Hinsicht ergänzen sie sich. Im abschließenden vierten Kapitel sollen dann kurz drei Zukunftsszenarien vorgestellt werden.
II. Bestandsaufnahme: Der israelisch-palästinensische Konflikt und der Friedensprozeß
Der Nahostkonflikt setzt sich aus zwei Teilkonflikten zusammen. Beim ersten Teilkonflikt handelt es sich um territorial-und herrschaftspolitische Positionsdifferenzen zwischen den arabischen Staaten und Israel. Der zweite Teilkonflikt, um den es hier geht, besteht aus Positionsdifferenzen zwischen der PLO und Israel. Strittig ist die Herrschaft über einen Teil des historischen Mandatsgebiets Palästina, nämlich die Westbank (inklusive Ostjerusalem) und den Gazastreifen. Während die PLO diese beiden von Israel im Sechstagekrieg 1967 eroberten und seitdem besetzten Gebiete als Territorium eines palästinensischen Staates beansprucht, lehnt Israel einen Staat Palästina ab und will der PLO nur eine Autonomie unter Aussparung einiger zentraler Politikfelder wie äußere Sicherheit zugestehen; außerdem betrachtet Israel ganz Jerusalem, also einschließlich des Ostteils der Stadt, als seine unteilbare Hauptstadt und beansprucht einen politischen Sonderstatus für die jüdischen Siedlungen in der Westbank und dem Gazastreifen
Zwischen Israel und der PLO ist ein komplexes Vertragswerk geschlossen worden. Geheimverhandlungen, die die beiden Konfliktparteien im Januar 1993 in Norwegen aufgenommen hatten, mündeten am 10. September desselben Jahres im Austausch offizieller Briefe zwischen dem Vorsitzenden der PLO, Yasir Arafat, und dem israelischen Premierminister, Yitzhak Rabin: Die PLOerkannte Israel als Staat an und wurde im Gegenzug von Israel als Vertreterin des palästinensischen Volkes anerkannt. Drei Tage später Unterzeichneten die beiden Parteien die Prinzipienerklärung (Declaration of Principles on Interim Self-Government Arrangements). Hierin verständigte man sich nicht nur auf eine Übertragung politischer Befugnisse an dafür zu benennende Palästinenser, sondern vor allem einigte man sich auch auf eine Vorgehensweise, wie der Herrschäftskonflikt über die Westbank und den Gazastreifen friedlich bearbeitet werden solle Es wurde ein sogenanntes Internationales Regime etabliert, also eine normative Institution, an der die Akteure auf der Grundlage eines zentralen Prinzips ihr Handeln ausrichten Das zwischen der PLO und Israel etablierte Internationale Regime basiert auf dem Prinzip „Land gegen Frieden“, d. h. Israel räumt Land im Austausch für die Anerkennung durch die PLO und deren Verpflichtung, den Konflikt mit Israel gewaltlos auszutragen.
Die Formulierung „räumt Land“ ist bewußt vage gehalten, denn die Konfliktparteien haben auch festgehalten, daß es noch strittige Fragen gibt, die im Augenblick nicht kooperativ bearbeitet werden können. Dazu gehören neben der Staatsfrage u. a.der Status Jerusalems und die Frage der jüdischen Siedlungen sowie die der äußeren Sicherheit inklusive Grenzfragen und Außenbeziehungen. Außerdem hat die PLO keinen vollständigen Abzug der israelischen Truppen durchsetzen können. Es wurde allerdings ein Zeitrahmen für die kooperative Bearbeitung aller Positionsdifferenzen vereinbart: Mit der offiziellen Übergabe der Polizeigewalt an die Palästinenser im Gazastreifen und im Raum Jericho am 13. Mai 1994 wurde eine Übergangsphase eingeläutet, die maximal fünf Jahre dauern soll; Verhandlungen über den endgültigen Status, die auch die bisher ausgeklammerten Konfliktpunkte umfassen, sollen nicht später als zu Beginn des dritten Jahres der Übergangszeit, also im Mai dieses Jahres, einsetzen. Gemeinsames Ziel der Konfliktparteien ist es, bis spätestens Mai 1999 einvernehmlich eine endgültige Regelung über ein Herrschaftssystem in den 1967 von Israel besetzten palästinensischen Gebieten gefunden zu haben.
In dem am 4. Mai 1994 geschlossenen Kairoer oder Gaza-Jericho-Abkommen (Agreement on the Gaza Strip and the Jericho Area) -meist zusammen mit der Prinzipienerklärung auch Oslo I genannt -wurden die allgemeinen Festlegungen der Prinzipienerklärung konkret für den Gazastreifen und den Großraum Jericho umgesetzt. Es wurde vereinbart, daß sich Israel militärisch aus den besagten Gebieten zurückzieht und politische Befugnisse an die neugeschaffene Palästinensische Behörde („Palestinian Authority“: PA) überträgt, allerdings mit substantiellen Einschränkungen. So blieben die jüdischen Siedlungen erhalten, und die israelische Armee sicherte sich Militärstützpunkte. Für diese Gebiete bewahrte sich Israel in allen Belangen die alleinige politische Macht. Aber die Befugnisse der PA blieben auch für die von Israel geräumten Gebiete beschränkt: Sie umfaßten zwar alle wichtigen innenpolitischen Bereiche inklusive innerer Sicherheit sowie der Souveränität über natürliche Ressourcen; außensicherheitspolitische wie außenpolitische Kompetenzen allgemein blieben aber ausgenommen. Ferner wurde festgeschrieben, daß sich die Jurisdiktionsgewalt der PA nicht auf israelische Staatsbürger erstreckt. Integraler Bestandteil des Gaza-Jericho-Abkommens war darüber hinaus das von beiden Parteien am 29. April 1994 Unterzeichnete Pariser Protokoll, das eine enge wirtschaftliche Anbindung des palästinensischen Gemeinwesens an Israel festschrieb, so daß die wirtschaftspolitische Autonomie der PA von Anfang an gering war
Das am 28. September 1995 zwischen der PLO und Israel geschlossene Abkommen von Taba (Israeli-Palestinian Interim Agreement on the West Bank and the Gaza Strip) -auch als Oslo II bezeichnet -stellt weniger eine funktionale als eine geographische und legitimatorische Erweiterung von Oslo I dar Das eigentlich Neue an Oslo II liegt also zum ersten darin, daß die bisher auf den Gazastreifen und den Großraum Jericho beschränkten Kompetenzen der PA sukzessive auf die gesamte Westbank (exklusive Ostjerusalems) ausgeweitet werden, wobei es allerdings, wie im folgenden noch deutlich werden wird, gegenüber dem Gaza-Jericho-Modell einige Einschränkungen gibt. Zum zweiten erhalten die Palästinenser des Gazastreifens und der Westbank (inklusive Ostjerusalems) das Recht, ihre politische Führung in Wahlen zu bestimmen.
Israel räumt die Städte Jenin, Nablus, Tulkarem, Kalkilya, Ramallah und Bethlehem sowie -mit Einschränkungen bezüglich der jüdischen Siedler -Hebron und stimmt einer Ausweitung der bis dato auf den Gazastreifen und den Großraum Jericho beschränkten Kompetenzen der PA zu. Klammert man Ostjerusalem aus, so handelt es sich bei diesen sieben Städten (und den bereits im Rahmen von Oslo I geräumten Städten Gaza und Jericho) um die wichtigsten palästinensischen Ballungsräume der 1967 von Israel besetzten Gebiete. Diese sieben Städte werden in Oslo II als Zone A bezeichnet. Zone B, die über 400 palästinensische Kleinstädte und Dörfer umfaßt, wird zwar wie Zone A im Prinzip vollständig von der israelischen Armee geräumt und der PA werden auch die gesamten innenpolitischen Rechte übertragen; die innere Sicherheit aber unterliegt einer gemischten Zuständigkeit von palästinensischer Polizei und israelischen Sicherheitskräften. Zone C umfaßt in erster Linie unbesiedeltes Land und Gebiete, die von Israel als sicherheitspolitisch vital definiert werden, sowie die jüdischen Siedlungen. In dieser Zone, die flächenmäßig das bei weitem größte Areal bildet, sind von der palästinensischen Zuständigkeit zunächst alle mit territorialen Aspekten verbundenen Befugnisse ausgeklammert. Schrittweise wird allerdings auch diese Zone der palästinensischen Selbstverwaltung unterstellt werden. Dies gilt freilich nicht für jüdische Siedlungen und israelische Militärstützpunkte. Über diese wird erst im Rahmen der Verhandlungen über den endgültigen Status entschieden werden.
Eine legitimatorische Erweiterung der palästinensischen Herrschaft wurde durch das Recht zur Abhaltung von Wahlen beschlossen. Es wurde vereinbart, ein oberstes Legislativorgan, den „Palestinian Council“, und den Kopf der Exekutive, den „Ra’ees“ in einer demokratischen Wahl bestellen zu lassen. Oslo II regelt die Befugnisse der zu wählenden sowie jener Institutionen, die aus ihnen hervorgehen. Nach deren Einsetzung gehen dann alle Zuständigkeiten der PA auf das neue Institutionengefüge über.
Die israelische Regierung unter Führung der Arbeiterpartei wie die PLO haben im laufenden Friedensprozeß Zugeständnisse gemacht. Beiden sind durch den Friedensprozeß Chancen, aber auch Risiken erwachsen. Allerdings gibt es Grad-unterschiede: Wie im folgenden begründet werden soll, erscheinen die Risiken, die die PLO eingegangen ist, größer als die der israelischen Regierung. Dies soll nicht die durchaus beeindruckende Wende schmälern, die die Regierung Israels politisch (und der zum „Friedenssoldaten“ konvertierte Yitzhak Rabin persönlich) vollzogen hat. Vielmehr soll akzentuiert werden, daß sich die israelischen Schritte auf die PLO zu einfacher als Ausdruck einer nüchternen, auf Kosten und Nutzen hin überprüften Strategie interpretieren lassen als das entsprechende Verhalten der PLO.
Die PLO hat Israel als Staat anerkannt. Umgekehrt ist sie von Israel zwar als Vertreterin des palästinensischen Volkes anerkannt worden, hat aber keine Zusagen hinsichtlich einer Staatsbildung erhalten. Aus dem ihr bisher zugestandenen Territorium ist nicht nur die größte urbane Siedlung der Palästinenser überhaupt, Ostjerusalem, herausgeschnitten, sondern es ist auch mit jüdischen und israelischen Enklaven, den Siedlungen und Militärstützpunkten, übersät. Zentrale Politikfelder bleiben unter israelischer Hoheit, und die palästinensische Verfügungsgewalt über die strategische Ressource Wasser ist sehr begrenzt. Ökonomisch hat der Friedensprozeß für die Palästinenser der Westbank und des Gazastreifens bisher kaum positive Folgen gezeitigt (geringe Privatinvestitionen, zähfließende bi-und multilaterale Hilfszahlungen an die PA). Statt dessen ist die Arbeitslosigkeit Ende 1994 auf ein Niveau um die 40 Prozent gestiegen und bis heute ist keine Besserung in Sicht. Außerdem hat die PLO durch die Unterzeichnung von Oslo I und II eine strategische Trumpfkarte verloren. Der PLO war es bis Mitte der siebziger Jahre gelungen, alle arabischen Staaten darauf festzulegen, daß die PLO die einzige legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes sei; weiterhin hatten sich alle arabischen Staaten verpflichtet, der Palästinafrage ein hohes politisches Gewicht beizumessen. Konkret bedeutete dies, daß kein arabischer Staat mit Israel Verträge abschließen konnte, ehe die Palästinafrage nicht auf eine für die PLO akzeptable Art und Weise bearbeitet wäre. Der einzige Staat, der gegen dieses Junktim verstieß, nämlich Ägypten mit dem Friedensvertrag von Camp David, mußte dafür einen hohen Preis bezahlen und wurde im arabischen Lager temporär isoliert. Seit Oslo I sind indes, wie auch der jordanisch-israelische Vertrag vom Oktober 1994 zeigt, weitreichende Vertragsschlüsse zwischen arabischen Staaten und Israel möglich. Selbst das aus palästinensischer Sicht schlechteste aller möglichen Resultate des Nahostkonflikts kann nicht mehr ausgeschlossen werden: Es ist denkbar, daß Israel den israelisch-arabischen Konflikt unter Umgehung des Konflikts um Palästina kooperativ bearbeitet und damit einen wesentlichen Anreiz verliert, weitere Kompromisse bei den Positionsdifferenzen mit der PLO einzugehen. Dies könnte zu einer Versandung des palästinensisch-israelischen Friedensprozesses führen (vgl. Kapitel IV) Israels Zugeständnisse in Form der Anerkennung der PLO als Vertreterin des palästinensischen Volkes und die Gebiets-und Kompetenzabtretungen an die palästinensischen Institutionen sind weitreichend -und sie sind, wie die Ermordung Rabins auf tragische Weise demonstriert hat, innenpolitisch brisant. Bei nüchterner Betrachtung wiegen die erhaltenen Gewinne die gemachten Zugeständnisse allerdings bei weitem auf. Nachdem die PLO und Jordanien Israel als legitimen Staat anerkannt und die arabischen Erdölproduzenten der Golfhalbinsel den Wirtschaftsboykott gegen Israel inzwischen auch formal teilweise aufgehoben haben, sind von der Isolationsfront gegen Israel nur noch Syrien, der von ihm abhängige Libanon sowie die international geächteten Staaten Libyen, der Irak und der Iran übriggeblieben. Israel mußte für diese Gewinne, die es seit seiner Gründung angestrebt hat, sehr viel geringere Zugeständnisse machen, als von arabischer Seite seit den siebziger Jahren als minimal zu erfüllende Bedingungen gefordert worden waren, nämlich die vollständige Rückgabe aller 1967 besetzten Gebiete und die Anerkennung der Rechte des palästinensischen Volkes auf einen eigenen Staat.
Kommt es zwischen Akteuren, die ihre Positionsdifferenzen über 20 Jahre auf unkooperative, häufig sogar militante Art und Weise ausgetragen haben, zur Etablierung eines Internationalen Regimes, in dessen Rahmen sich die Kontrahenten verpflichten, ihre Positionsdifferenzen nun friedlich zu bearbeiten, so ist dies erklärungsbedürftig. Im folgenden Teil sollen Erklärungsansätze für beide Akteure geprüft werden.
III. Erklärungsansätze für das Zustandekommen des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses
Annäherungen der Positionen In der bisherigen Darstellung ist das Neuartige des aktuellen israelisch-palästinensischen Friedensprozesses betont worden. Darüber sollte allerdings nicht vergessen werden, daß es zwischen den Konfliktparteien historische Annäherungen gegeben hat, und zwar sowohl bezüglich des Grades der Positionsdifferenzen als auch hinsichtlich der Mittel des Konfliktaustrages. Ihren Durchbruch fanden diese Annäherungen 1993 in den Geheimverhandlungen in Norwegen. Unter Ausschluß ihrer eigenen wie der Weltöffentlichkeit konnten die Kontrahenten leisten, was einem positioneilen Spagat gleichkam: Man verhandelte mit einem Akteur, dessen Existenz man als illegitim betrachtete -und das mit dem schließlich auch erreichten Ziel der gegenseitigen offiziellen Anerkennung. Dies zeigt die Bedeutung der Eigendynamik von Verhandlungsprozessen. Doch eine solche Eigendynamik kann nur wirken, wenn die Unterschiede zwischen den Positionen nicht zu groß sind. Tatsächlich haben sich die Differenzen zwischen Israel und der PLO seit den siebziger Jahren verringert. Dabei sind Veränderungen israelischer Positionen -so die im Januar 1993 erfolgte Abschaffung des Gesetzes, das Israelis Kontakte zu Mitgliedern der PLO verbot -eher jüngeren Datums und nicht so weitreichend wie die der PLO, um die es im folgenden geht.
Die PLO-Charta von 1968 stritt Israel jegliche Existenzberechtigung ab. Als einziges adäquates Mittel des Konfliktaustrags wurde der bewaffnete Kampf festgeschrieben. Danach durchlief die PLO mit der von Arafat geführten Fatah an der Spitze schrittweise einen Prozeß der Mäßigung, in dessen Verlauf sie sich de facto allmählich vom Primat des bewaffneten Kampfes zum Primat der Diplomatie durchrang. Parallel dazu veränderte die PLO nach und nach auch ihre kompromißlose Haltung, was die Frage der Existenzberechtigung Israels angeht. Noch sehr verklausuliert erfolgte ein erster Schritt hin auf eine implizite Anerkennung Israels 1974 im Programm des Exilparlaments und formell höchsten Organs der PLO, des Palästinensischen Nationalrats (PNR) Klar wurde die implizite Anerkennung Israels in Zusammenhang mit der Ausrufung eines palästinensischen Staates durch den PNR 1988 vollzogen, als nicht mehr die Auflösung Israels gefordert wurde, sondern nur noch dessen Abzug „from all the Palestinian and Arab territories it occupied in 1967, including Arab Jerusalem“
Die hohe Relevanz der beschriebenen Positionsannäherung wird schon daran deutlich, daß bei den Konfliktgegenständen des aktuellen israelisch-palästinensischen Verhandlungsprozesses das Staatsgebiet Israels in den Grenzen vor dem Sechstagekrieg 1967 keine Rolle spielt. Vielmehr geht es lediglich um Gebiete, die in diesem Krieg von Israel erobert wurden. Dennoch bleibt ein großer Erklärungsbedarf, denn noch 1990 konnte Peter Gottstein völlig zu Recht feststellen, „daß die prinzipiellen Grundhaltungen und politischen Wertvorstellungen fast aller Parteien in Israel auf der einen und die der PLO auf der anderen Seite einander diametral entgegenstehen“
Der Schatten der Zukunft Liegen in einem Konflikt die Positionen der Parteien derart weit auseinander, wie dies für den palästinensisch-israelischen Konflikt oben beschrieben worden ist, und werden Zugeständnisse von beiden als schmerzhaft empfunden, ist eine Grundvoraussetzung für eine kooperative Konfliktbearbeitung die Erkenntnis der Akteure, daß sie ihre präferierten Positionen nicht einseitig durchsetzen und den „unangenehmen“ Interaktionen mit dem Kontrahenten nicht aus dem Weg gehen können. Robert Axelrod hat dies anschaulich so formuliert, daß die Zukunft „einen Schatten auf die Gegenwart zurückwerfen und dadurch die aktuelle strategische Situation beeinflussen“ kann, so daß es zu einer kooperativen Bearbeitung kommt. Die Palästinenser gewannen durch den Verlauf und die Ergebnisse der israelisch-arabischen Kriege, insbesondere durch die katastrophalen Niederlagen 1948 und 1967, die Erkenntnis, daß der Konflikt mit Israel militärisch nicht zu lösen ist. Mit dem ägyptisch-israelischen Friedensprozeß von Camp David 1978/79 und dem Ausscheiden Ägyptens aus der arabischen Riege der „Front-staaten“ wurde dann die Unerreichbarkeit eines solchen Ziels endgültig offenbar; und diese wurde durch den israelischen Libanonfeldzug 1982 nochmals deutlich demonstriert, als die PLO ihre letzte große militärische Bastion an einer israelischen Grenze verlor und ihr Hauptquartier ins periphere Tunis verlegen mußte. Aber auch Israel mußte lernen, daß es seine oberste Präferenz nicht durchsetzen konnte. 1974 gelang der PLO das oben beschriebene Junktim zwischen dem arabisch-israelischen und dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Dieses Junktim schloß aus, daß Israel den arabisch-israelischen Konflikt unter Umgehung der Positionsdifferenzen mit der PLO lösen könnte. Auch der Versuch, die PLO durch den Libanonfeldzug in die Knie zu zwingen, schlug letztlich fehl. Zwar brachte Israel der PLO eine katastrophale militärische Niederlage bei, die diese auch in eine ernsthafte politische Krise stürzte und zu ihrer zeitweiligen Spaltung führte. Doch 1988 war diese Spaltung überwunden und die wiedererstarkte PLO prokla mierte einen palästinensischen Staat. Die im Dezember 1987 einsetzende Intifada brachte für die PLO zwar insofern ambivalente Ergebnisse, als sie neben dem Aufbau einer eigenen Massen-basis in den besetzten Gebieten auch zu einer Stärkung oppositioneller Kräfte, allen voran der Hamas, führte. Doch das Entstehen einer Massen-basis der PLO wie der radikalen Hamas signalisierten Israel, daß es weder möglich noch wünschenswert ist, die PLO zu ignorieren
An der Schwelle der neunziger Jahre waren sich Israel und die PLO bewußt, daß eine Konfliktbearbeitung ohne den Kontrahenten und eine einseitige Durchsetzung der eigenen Interessen nicht möglich waren. Dies war entscheidend für die Bereitschaft, sich auf Verhandlungen einzulassen.
Die Auflösung des Ost-West-Konflikts Durch den Niedergang der Sowjetunion und das Ende des Ost-West-Gegensatzes hat sich auch die Struktur von Regionalkonflikten wie dem Nahostkonflikt geändert. So hat sich etwa die Komplexität einer kooperativen Bearbeitung des Nahostkonflikts reduziert, weil nur noch die Interessen einer Supermacht, nämlich die der USA, zu berücksichtigen sind; und die seit dem Kalten Krieg dominierende Optik insbesondere auch der Supermächte, alle Regionalkonflikte durch die Brille des Ost-West-Konflikts zu sehen, konnte einer Sichtweise weichen, die sich auf den regionalen Kern der Positionsdifferenzen konzentriert. Diese globalen Trends treffen auch auf den Nahostkonflikt im allgemeinen und den israelisch-palästinensischen Konflikt im besonderen zu Wie im folgenden anhand zweier Überlegungen gezeigt werden soll, hat allerdings die populäre These, daß der Friedensprozeß alleine auf das Ende des Ost-West-Konflikts zurückgeführt werden könne, ihre Schwächen. Erstens übte der Ost-West-Konflikt nach dem vierten arabisch-israelischen Krieg 1973, dessen Verlauf und Ausgang ganz entscheidend vom Ost-West-Konflikt und der Intervention beider Supermächte geprägt worden war, nur noch einen begrenzten Einfluß auf zentrale Ereignisse des Nahostkonfliktes aus. So fand beispielsweise der Friedensprozeß von Camp David unter Ausschluß der Sowjetunion statt; und sowohl dessen entscheidende Protagonisten (Ägypten, Israel, USA) als auch wichtige seiner Antagonisten (die Golfstaaten, die die Isolation Ägyptens und die Stärkung der arabischen „Frontstaaten“ inklusive der PLO finanzierten) sind völlig unverdächtig, im Ost-West-Konflikt eine prosowjetische Position eingenommen zu haben.
Zweitens gab es eine nur begrenzte ökonomische Abhängigkeit der Konfliktparteien von den Supermächten. Das Budget der PLO wurde seit den siebziger Jahren bis zur Golfkrise fast vollständig durch Transferzahlungen der Golfstaaten bestritten. Die Sowjetunion spielte hier eine untergeordnete und die USA keine Rolle.
Israel bezieht seit den siebziger Jahren hohe finanzielle Zuwendungen von den USA. Diesen Transferzahlungen stehen keine ökonomischen Gegenleistungen gegenüber, weshalb es sich um sogenannte politische Renten handelt In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre beliefen sich diese auf ca. drei Milliarden US-Dollar jährlich Ein Teil dieser Gelder oder zumindest ihre weitgehend unkonditionierte Vergabe waren insofern an den Ost-West-Konflikt gebunden, als die einzige Demokratie im Nahen Osten, die außerdem über das mit Abstand größte Militärpotential verfügte, den USA als unersetzliches Bollwerk gegen jeden eventuellen Einfluß der Sowjetunion in der Region galt. Nach der Auflösung des Ost-West-Konflikts knüpften die USA dann aber 1991 prompt die Vergabe einer Kreditbürgschaft in Höhe von zehn Milliarden US-Dollar an die Erfüllung politischer Bedingungen, nämlich einen Siedlungsstopp in den besetzten Gebieten. Die USA bewilligten die Kreditgarantien erst nach der Wahl zur Knesset 1992 und dem Sieg der Arbeiterpartei, als sich die Regierung Rabin auf eine Einschränkung des Siedlungshaus festlegte
Dennoch darf die ökonomische Bedeutung des Fortfalls des Ost-West-Konflikts für Israel nicht überschätzt werden. Zum einen liegen viele Motive der US-amerikanischen Rentenzahlungen jenseits des Ost-West-Konflikts (insbesondere in der Geschichte des jüdischen Volkes und im Ein fluß der jüdischen Gemeinde in den USA) Vor allem aber ist die ökonomische Abhängigkeit Israels von politischen Renten insgesamt begrenzt. Zwar erhielt Israel 1989, im Jahr der Auflösung des Ost-West-Konflikts, pro Kopf die mit Abstand höchsten offiziellen Entwicklungshilfeleistungen weltweit (264, 4 US-Dollar), doch diese machten nur 2, 6 Prozent des Bruttosozialproduktes aus Im Unterschied zu vielen arabischen Staaten, deren Stabilität vom regelmäßigen Erhalt extrem hoher Renten abhängt ist Israel damit eindeutig kein Rentierstaat.
Wenn aber die Bedeutung des Ost-West-Gegensatzes für den Nahostkonflikt schon seit Mitte der siebziger Jahre begrenzt war und wenn die ökonomischen Konsequenzen des Endes des Ost-West-Konflikts für die Akteure des israelisch-palästinensischen Konflikts nicht gravierend waren, so sollte dies Ansporn für die Suche nach alternativen Hypothesen sein. Dabei bietet sich folgende Ausgangsfrage an: Welche strukturellen Änderungen haben sich in der Region des Nahen Ostens im allgemeinen und bei der PLO und Israel im besonderen seit dem Jom-Kippur-(oder Ramadan-) Krieg 1973 zugetragen, als dem Ost-West-Konflikt bei einem zentralen Ereignis des Nahostkonflikts zum letzten Male eine wirklich entscheidende Rolle zugekommen war?
Israels Wirtschaft und Gesellschaft sind seit Beginn der siebziger Jahre strukturellen Anpassungsprozessen unterworfen. Abgesehen von israelischen Besonderheiten wie der traditionell hohen Bedeutung staatlicher Wirtschaftsaktivitäten und der Integration einer großen Zahl von Einwanderern sieht sich Israel dabei Herausforderungen ausgesetzt, die denen von relativ weit entwickelten Schwellenländern ähnlich sind und sich mit den Schlagworten Bekämpfung von Stagnation und Inflation, Restrukturierung der Ökonomie zugunsten international wettbewerbsfähiger, exportorientierter Branchen und Abbau staatlichen Interventionismus umreißen lassen Im Unterschied zu den vergleichsweise „normalen“ Re-Strukturierungen in Israel haben sich im palästinensischen Fall seit den siebziger Jahren extrem starke, teilweise geradezu dramatische Veränderungen zugetragen. Deren Erklärungswert erscheint für das Verhalten d 6r PLO im laufenden Friedensprozeß so hoch, daß ihnen ein eigener Abschnitt gewidmet werden soll.
Die Krise des Petrolismus und der PLO Nach der verheerenden Niederlage Ägyptens und Syriens im Sechstagekrieg 1967 und endgültig mit dem enormen Erdölpreisanstieg 1973/74 veränderten sich die ökonomischen und politischen Strukturen im Nahen und Mittleren Osten grundlegend. Die ehemals randständigen Golfstaaten unter Führung Saudi-Arabiens begannen nun die Region auf der Basis des Petrolismus zu dominieren. Ein Teil der aus den Erdölkonsumentenländern in die Golfstaaten fließenden Petrodollars wurde von den dort herrschenden Staatsbürokratien zur Stabilisierung der Region verwendet und als politische Renten an arabische Akteure verteilt. Einer der Hauptempfänger dieser Renten war die Fatah, deren rein nationalistische Programmatik keine den Interessen der konservativen Golfstaaten widersprechenden Sozialrevolutionären Elemente aufwies. Auf der Basis einer im Vergleich zu allen anderen Flügeln der PLO großen finanziellen Ressourcenausstattung konnte sich die Fatah eine politische Dominanz innerhalb der Organisation sichern In den achtziger Jahren sanken die Erdölpreise drastisch. Die Golfstaaten mußten extreme finanzielle Einbußen hinnehmen. Hatten sich die Erdöleinnahmen der acht wichtigsten arabischen Förderländer 1980 noch auf 205 Milliarden US-Dollar belaufen, so waren es 1986 nur noch 49 Milliarden US-Dollar Die danach einsetzende leichte Erholung der Erdölpreise war zu begrenzt, um eine tiefe Krise des Petrolismus zu verhindern. Hauptleidtragende waren die Empfänger politischer Renten, denn den Ölländern standen nun sehr viel weniger Ressourcen zur Verfügung, um diese Transferzahlungen zu leisten. Für die PLO kam erschwerend hinzu, daß ihr mit dem erstarkenden islamischen Fundamentalismus in den besetzten Gebieten direkte politische Konkurrenz um den kleiner gewordenen Rentenkuchen erwachsen war
Derart unter Druck geraten, versuchte Arafat während der Golfkrise, die Attraktivität der Fatah als Rentenempfänger zu steigern, indem er sich als regionaler Vermittler zwischen den Kontrahenten zu profilieren suchte. Diese gefährliche Strategie endete im finanzpolitischen Desaster der PLO: Da die PLO sich nicht der internationalen Ablehnungsfront gegen den Irak anschloß und Arafat in Bagdad Saddam Hussein vor laufenden Kameras sogar umarmte, stellten die Golfstaaten alle Zahlungen an die PLO ein Danach war die krisengeschüttelte PLO erst recht bereit, auch riskante Strategien zu fahren und sah ein friedenspolitisches Engagement als Chance des Krisenmanagements, auch wenn es ihr große Zugeständnisse abverlangte.
Die Aussicht aufFriedensdividenden Ein starkes Motiv für beide Akteure, sich auf den Friedensprozeß einzulassen, bestand in der Aussicht, verschiedene Arten von „Friedensdividenden“ zu erhalten. Eine erste mögliche Friedens-dividende für alle beteiligten Akteure scheint in einer sicherheitspolitischen Entspannung zu liegen. Nimmt man allerdings die laufenden Rüstungsausgaben als Indikator, so kann von einer regionalen Detente bisher nicht die Rede sein Die wichtigsten Dividenden liegen in anderen Bereichen.
Die PLO hat durch die Übernahme staatsähnlicher Funktionen völlig neue Kontrollkapazitäten und Patronagemöglichkeiten erhalten. Vor allem aber hat sie sich zumindest vorläufig aus ihrer katastrophalen ökonomischen Situation befreien können: Statt aus der Golfregion beziehen die PLO bzw. die Institutionen des palästinensischen Gemeinwesens politische Renten primär von den USA, Europa und Japan Ob allerdings bereits von einer strukturellen Konsolidierung der PLO gesprochen werden kann, ist fraglich, denn zum einen sehen sich die palästinensischen Institutionen einem unangenehmen Konditionierungsdruck seitens der westlichen Rentengeber ausgesetzt und zum anderen müssen sie mit ernsthaften Legitimationsproblemen rechnen, sollte sich die ökonomische Lage nicht bessern und sollten sich die Erwartungen der Bevölkerung hinsichtlich israelischer Konzessionen im Friedensprozeß nicht erfüllen.
In der offiziellen politischen Debatte ist die Aussicht auf eine ökonomische Dividende durch die Etablierung eines „neuen Nahen Ostens“ in Form einer regionalen Wirtschaftsintegration hochgehalten worden. Inzwischen sind berechtigte Zweifel am politischen Willen zur Realisierung einer solchen Vision formuliert worden Außerdem ist sehr fraglich, ob im Nahen Osten die ökonomischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Orientierung am nordamerikanischen Freihandelszonen-oder gar am europäischen Unions-Modell gegeben sind
Nichtsdestotrotz hat insbesondere Israel bereits eine hohe Friedensdividende einfahren können. Während die von der PLO erhofften Privatinvestitionen in der Westbank und im Gazastreifen bisher weitgehend ausgeblieben sind und die externe Finanzierung für die dringend gebotene Verbesse-rung der Infrastruktur nur schleppend anläuft, verzeichnet Israel aktuell einen Boom ausländischer Investitionen und hat sich neue Absatzmärkte außerhalb der Region des Nahen Ostens erobert sowie bestehende ausgebaut. Israel hat infolge der offiziellen Anerkennung durch Jordanien und die PLO sowie durch die faktisch weitgehend erfolgte Aufhebung des arabischen Wirtschaftsboykotts das Stigma eines „regionalen Paria“ verloren. Die realistische Aussicht auf die damit verbundenen ökonomischen Früchte war ein wichtiges Motiv Israels, sich friedenspolitisch zu engagieren.
IV. Zukunftsaussichten
Rückkehr zum Status quo ante Die Gefahr, daß die Akteure das 1993 etablierte Internationale Regime „Land gegen Frieden“ liquidieren, ist gering. Nicht nur käme das für die PLO wie für die Arbeiterpartei einer großen innenpolitischen Niederlage gleich, sondern vor allem wäre auch der Verlust an internationaler Reputation extrem hoch und der Fluß der oben erwähnten Renten gefährdet.
Im gefestigten demokratischen System Israels würde auch dann, wenn die Opposition die Regierung übernähme, keine Kündigung völkerrechtlich verbindlicher Verträge erfolgen. Im palästinensischen Fall steht ein Wahlsieg der Hamas in weiter Ferne. Legt man Meinungsumfragen des vergangenen Jahres zugrunde, so hätte die Hamas bei einer Teilnahme an den Wahlen einen Anteil von 10 Prozent der Wählerstimmen schon als Erfolg werten müssen. Außerdem gibt es selbst in dieser radikalen Organisation wichtige realpolitische Kräfte, die sich zur Hinnahme der Ergebnisse von Oslo I und II durchgerungen haben.
Endgültige kooperative Regelung Friedensprozesse können eine positive Eigendynamik entfalten, wenn die Akteure erfahren, daß einige Positionsdifferenzen durch die Errichtung eines Internationalen Regimes bereits kooperativ bearbeitet worden sind und wenn alle beteiligten Akteure daraus einen Nutzen ziehen, der höher ist als jener, den sie ohne die Existenz des Internationalen Regimes erwarten könnten Diese Bedin gung erscheint hinsichtlich der bisher von Israel und der PLO in Angriff genommenen Positionsdifferenzen erfüllt. Zumindest solange die internationale Unterstützung für den Friedensprozeß anhält und die an ihm beteiligten Akteure eine Friedens-dividende erhalten, besteht eine berechtigte Hoffnung auf eine endgültige kooperative Regelung des Konflikts
Auch die aktuellen innenpolitischen Entwicklungen in Israel und dem palästinensischen Gemeinwesen lassen Optimismus für den Fortgang des Verhandlungsprozesses aufkommen. Im palästinensischen Gemeinwesen haben Arafat und die Fatah und damit die Kräfte, deren politische Zukunft stark an einen Erfolg des Friedensprozesses gebunden ist, einen klaren Wahlsieg errungen. In der israelischen Gesellschaft ist es nach der Ermordung Rabins zu einer erdrutschartigen Verschiebung der Unterstützung zugunsten des Friedensprozesses mit der PLO gekommen.
Das Internationale Regime „ Land gegen Frieden“ als Papiertiger Ungeachtet der dargelegten Hoffnungen auf eine endgültige Regelung gibt es auch ernstzunehmende Hindernisse auf dem Weg dorthin. Deshalb muß realistischerweise in Betracht gezogen werden, daß ein „verhangenes“ Szenario eintritt: Das Erreichte würde zwar bewahrt werden, doch bei den bisher nicht kooperativ bearbeiteten Problemen käme es zu keinen substantiellen Fortschritten mehr. Hindernisse auf dem Weg zu einer endgültigen Regelung können sowohl auf der Ebene des Verhandlungsprozesses selbst als auch auf der innenpolitischen Ebene ausgemacht werden. Was den Verhandlungsprozeß angeht, sind zum einen sicherlich beidseitig Ressentiments und Mißtrauen gegenüber dem Verhandlungspartner zu beachten; doch wenngleich diese historisch gewachsen sind, so besteht dennoch eine realistische Chance auf deren Abbau, denn Internationale Regime wirken vertrauensbildend, wenn sie erste Erfolge erbracht haben. Zum anderen aber gibt es nach wie vor große Positionsdifferenzen zwischen Israel und der PLO. Dies nehmen auch die Akteure selbst so wahr, denn sie haben zentrale Probleme wie die Flüchtlingsfrage, den Konflikt um den Status Ostjerusalems, die Zukunft der jüdischen Siedlungen und die Frage eines eigenen palästinensischen Staates bisher aus dem Prozeß ausgeklammert und auf die Tagesordnung für die Verhandlungen über den endgültigen Status gesetzt. Es gibt bei Internationalen Regimen indes keinen Mechanismus, der dafür sorgen könnte, daß alle Konflikte automatisch einer kooperativen Verregelung zugeführt werden.
Was die innenpolitische Ebene angeht, gilt es zu beachten, daß die kooperative Bearbeitung des israelisch-palästinensischen Konflikts weder in der Westbank und im Gazastreifen noch in Israel unumstritten ist. Die Palästinenser bescherten der Fatah und Arafat bei den Wahlen im Januar dieses Jahres zwar ein überragendes Ergebnis, doch wie Meinungsumfragen der Forschungsinstitute Jerusalem Media and Communication Centre (JMCC) und des Center for Palestine Research and Studies mit Sitz in Nablus (CPRS) zeigen, ist die Bereitschaft der Bevölkerung gering, weitere Konzessionen an Israel zu akzeptieren Außerdem setzen große Teile der Hamas programmatisch weiterhin auf Terror und Gewalt als Mittel des Konfliktaustrages mit Israel. Sollte es zu einer Umsetzung dieser Strategie kommen, könnte der Friedensprozeß in Israel rasch an Popularität verlieren. In Israel stehen noch in diesem Jahr Wahlen zur Knesset an; zeitgleich werden die Israelis zum ersten Male den Ministerpräsidenten direkt wählen. Obwohl aktuelle Meinungsumfragen die Regierung unter Führung des neuen Ministerpräsidenten Peres klar vorne sehen, ist der Wahlausgang nicht sicher. Es ist nämlich unkar, ob sich die aktuelle gesellschaftliche Unterstützung für den Friedensprozeß mit der PLO strukturell verfestigen oder sich doch nur als ein an den unmittelbaren Schock der Ermordung Rabins gebundenes und damit temporäres Phänomen erweisen wird Im Falle eines Wahl-siegs des Likuds wäre eine Versandung des Verhandlungsprozesses mit der PLO wahrscheinlich
Aber selbst bei einer Fortsetzung der von der Arbeiterpartei geführten Regierung könnte das friedenspolitische Engagement Israels mittel-bis langfristig nachlassen, vor allem aus zwei Gründen. Erstens könnte sich auf Dauer negativ niederschlagen, daß durch den Tod Rabins das an die innenpolitischen Bedingungen Israels optimal angepaßte friedenspolitische Tandem Rabin-Peres weggefallen ist: Während der intellekuelle „Friedensvisionär“ Peres den Friedensprozeß gestaltete, sicherte der nüchterne, über sicherheitspolitische Zweifel erhabene „Friedenssoldat“ Rabin ihn gegen Skeptiker innenpolitisch ab. Ob hingegen Peres alleine für eventuelle weitere Konzessionen an die PLO innergesellschaftlich denselben Rückhalt zu erzielen vermag, wie dies zusammen mit Rabin der Fall gewesen wäre, muß bezweifelt werden. Keine israelische Regierung wird aber über einen Frieden mit der PLO eine gesellschaftliche Spaltung riskieren, als deren Menetekel die Ermordung Rabins von manchen Beobachtern gedeutet worden ist. Zweitens sollte nicht übersehen werden, daß Israel bereits im aktuellen Stadium des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses einen so großen Teil der erwartbaren Früchte (Stichwort „Friedensdividende“) eingefahren hat, daß die Motivation zur forcierten Fortsetzung dieses Prozesses angesichts seiner Kosten langfristig sinken könnte.
Das Wirken dieser Faktoren könnte in eine Neuauflage des Zustandes „no war, no peace“ münden Doch angesichts des friedenspolitisch bereits Erreichten besteht kein Anlaß zu Pessimismus. Zu hoffen bleibt, daß der ersehnte Friede auch mehr Freiheit und Wohlstand in die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens bringt.