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Deutsche PEN-Geschichten. Eine Akten-Lese | APuZ 13-14/1996 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 13-14/1996 Haben wir uns richtig verstanden? Die Literatur der Bundesrepublik -Erinnerungen aus der DDR Rückblicke auf die Literatur der DDR Demokratie braucht Literatur. Vom deutschen Umgang mit erzählender Literatur Deutsche Identitäten. Gesellschaft und Kultur im vereinten Deutschland Deutsche PEN-Geschichten. Eine Akten-Lese

Deutsche PEN-Geschichten. Eine Akten-Lese

Friedrich Dieckmann

/ 38 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Text geht der Entstehung der beiden deutschen PEN-Zentren nach und beschreibt die im Oktober 1951 vollzogene Abspaltung eines westdeutschen Zentrums von jenem „PEN-Zentrum Deutschland“, das Autoren aus allen vier Besatzungszonen und Berlin-Sektoren 1948 in Göttingen gegründet hatten. Aus dem gesamtdeutschen Rumpf-Zentrum, das nach der -erst 1953 vom Internationalen PEN anerkannten -Sezession westdeutscher und Westberliner Mitglieder zurückblieb, ging 16 Jahre später das „PEN-Zentrum Deutsche Demokratische Republik“ hervor. Der Text ergründet die auf das DDR-Zentrum einwirkenden Lenkungsmechanismen der SED anhand der Akten des Zentrums und der von Karl Corino veröffentlichten, auf Mitteilungen H. Kants beruhenden Aufzeichnungen des Staatssicherheitsministeriums der DDR; er konstatiert das Fehlen von Regelungen, die es, in Analogie zu der gesetzlich verankerten Praxis der USA, der Forschung ermöglichen würden, auch die Papiere westdeutscher Geheimdienste bzw.der Organisation Gehlen in Betracht zu ziehen. Es ergibt sich, daß die Mitgliedsverfahren des „PEN-Zentrums Deutschland“ von dessen beiden Rechts-nachfolgern, dem „Deutschen PEN-Zentrum Ost und West“ und dem „PEN-Zentrum Deutsche Demokratische Republik“, mit einer einzigen Ausnahme strikt eingehalten wurden, verschärft durch die Bestimmung der geheimen Wahl, welche 1965 die Wahl des 28jährigen Wolf Biermann zum -niemals ausgeschlossenen -PEN-Mitglied ermöglichte. Zuletzt wird konstatiert, daß die beiden Gründe, welche 1951 zur Etablierung eines separaten westdeutschen Zentrums führten, mit der Wiedergewinnung der deutschen Staatseinheit unter den Auspizien der Demokratie entfallen sind, so daß der Gründung eines neuen gesamtdeutschen PEN-Zentrums unter Berücksichtigung der bestehenden Zentren nichts im Wege stehen sollte.

Ein Aktenkonvolut ist erschienen, in Buchform und mit einer Sorgfalt der editorischen Präsentation, die sich nicht nur in einer Fülle von Anmerkungen, sondern auch in der philologischen Treue zu allen orthographischen Fehlern der Vorlagen kundgibt. Karl Corino, der in Frankfurt am Main ansässige, in der DDR-Literatur von langer Hand bewanderte Herausgeber, hat dem Band den Titel „Die Akte Kant“ gegeben als ob es sich um Dossiers der preußischen Geheimpolizei über den Königsberger Philosophen handele. Das Buch versammelt jedoch eine Auswahl aus den Aufzeichnungen, welche sich Offiziere des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) von den Mitteilungen eines Mitarbeiters machten, der seit dem Ende der fünfziger Jahre regelmäßig von ihnen befragt wurde, des Romanschriftstellers und Kulturfunktionärs Hermann Kant. Die Dokumentation spannt einen weiten Bogen vom noch offenen Berlin der fünfziger Jahre, das ein Tummelplatz alliierter, deutscher und noch zahlreicher anderer Geheimdienste war, bis in jene Zeit, da der Autor Kant, durch seine Parteikarriere den Sicherheitsbefragern entrückt, vom Subjekt zum Objekt der Überwachung avanciert und sich durch die Erzählung „Plexa“ den idiotischen Vorwurf zuzieht, „feindlich-negativen Kräften bei ihren Angriffen gegen die Schutz-und Sicherheitsorgane .. . Vorschub zu leisten“.

Corinos Sammlung bietet reichen Stoff für die Vergegenwärtigung und Ergründung der Mechanismen einer Herrschaft, die nicht abließ, das Feld der Literatur und derer, die sie hervorbringen, unter politischer Kontrolle zu halten. Sie ist, bei aller Subalternität dieser Papiere, eine Materialsammlung zur Geschichte der Kulturpolitik der DDR und enthält interessante Einzelheiten auch und gerade in PEN-Angelegenheiten. Auf seine vorgestanzte Weise fungiert der Sicherheitsapparat als ein spezialistisch-naiver, sach-und fachunkundiger Gesamterzähler, nicht so sehr als der Teufel denn als des Teufels Großmutter, die sich alles haarklein erzählen läßt, weil sie von nichts etwas versteht. Genauer gesagt: Der Teufel fungiert hier als seine eigene Großmutter als ein grenzenloses Neugier-Institut, das immer wieder auf die eigene Dummheit zurückgeworfen wird.

Natürlich wäre Corinos Buch noch spannender, wenn es dem Leser auch die Dossiers der konkurrierenden Dienste an die Hand gäbe. Es wäre interessant zu wissen, wie sich etwa die Spaltung des PEN-Zentrums Deutschland in den Jahren 1950/51 und die Tätigkeit des aus ihm hervorgehenden Deutschen PEN-Zentrums Ost und West (es wurde von Bonner Seite für eine kommunistische Tarnorganisation gehalten und entsprechend schikaniert) in den Akten des westdeutschen Verfassungsschutzes und der bis 1955 US-Behörden unterstellten Organisation Gehlen niederschlug. Zum Nachteil der Forschung hängt die Akteneinsicht auf diesem Felde zurück; es fehlt an jenen gesetzlichen Regelungen, wie sie in den USA in den sechziger und siebziger Jahren durchgesetzt wurden und im Bereich der DDR rückwirkend in Geltung kamen. Aber auch ohne eine gesetzliche Regelung nach dem Vorbild der USA, wo das Federal Bureau of Investigation (FBI), die militärischen Geheimdienste und die Central Intelligence Agency (CIA) seit einiger Zeit über die Freedom of Information and Privacy Acts Einsicht in ihre Aktenschränke gewähren sollte es nach einer Frist von mehreren Jahrzehnten möglich sein, die betreffenden Dossiers aus den Diensten in Bonn und Pullach der Forschung zugänglich zu machen.

Splittergruppe

Immer wieder kommt das deutsche PEN-Wesen in jenen MfS-Aufzeichnungen vor, zum ersten Mal im April 1961, als die KP („Kontaktperson“) Kant zwei protokollierenden Offizieren von einem Hamburger PEN-Treffen berichtet, dem die Wochenzeitung „Die Zeit“ Raum gegeben hatte. In Kants Bericht ebenso wie in Corinos Anmerkungen bleibt der Hintergrund des Hamburger Treffens außer Betracht. Örtliche Instanzen hatten im Dezember 1960 die in Hamburg vorgesehene Generalversammlung des Deutschen PEN-Zentrums Ost und West verhindert; eine Pressekonferenz, auf der sich Arnold Zweig, Stephan Hermlin und Wieland Herzfelde gegen dieses Vorgehen verwahrten, war mit Polizeigewalt aufgelöst worden. Darauf hatte sich der „Zeit“ -Herausgeber Bucerius ins Mittel gelegt und in eigener Regie eine PEN-Begegnung mit Autoren aus beiden deutschen Zentren arrangiert, der die Polizei freien Lauf ließ.

Anderthalb Jahre später läßt die inzwischen in Martin umbenannte KP Kant einen OLtn. Treike wissen, daß Erich Kästner, der „offen gegen den Militarismus“ auftrete (gemeint ist die westdeutsche Wiederbewaffnung), zugleich „der Haupt-schuldige der Trennung des deutschen , Pen-Club-Zentrums 1 sei“. Der -überaus uninformierte -Satz fällt anläßlich eines DDR-Berliner Buchbasars, auf dem ein 1962 im Aufbau-Verlag erschienener Gedichtband des Autors hochbegehrt gewesen war. Karl Corino, der in dem Anmerkungsteil seines Buches (allein dieser Treffbericht vom 4. Oktober 1962 enthält 33 Fußnoten) eine ausgreifende Arbeit geleistet hat, versieht den Satz über Kästner mit einer Fußnote, die näherer Betrachtung nicht standhält. „ 1949“, liest man hier, „hatte sich in Göttingen ein , Deutsches PEN-Zentrum'gebildet, 1951 etablierten kommunistische Schriftsteller und westdeutsche Gesinnungsgenossen eine Splittergruppe unter dem Namen , PEN-Zentrum Ost und West'mit Sitz in München und unter dem Präsidium von Arnold Zweig.“

Es war alles ganz anders, und daß ein sorgfältig recherchierender Herausgeber wie dieser eine so abwegige Darstellung dieses Schlüsselvorgangs gibt, zeugt von der auf diesem Feld verbreiteten Unkenntnis Mit Zustimmung des Internationalen PEN hatten 1948 in Göttingen zwanzig deutsche Autoren aus den vier Besatzungszonen und Berlin das PEN-Zentrum Deutschland gegründet, darunter vier Remigranten mit Wohnsitz in der sowjetischen Besatzungszone: J. R. Becher, Ludwig Renn, Anna Seghers und Friedrich Wolf. Bei Wahlen im November 1949 wurden 94 neue Mitglieder aufgenommen, von denen nur neun in der DDR wohnten (es waren Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Stephan Hermlin, Peter Hüchel, Alfred Kantorowicz, Hans Mayer, Rudolf Leonhard, Ehm Welk und Arnold Zweig), so daß von der gesamten Mitgliederschaft (inzwischen 112 Personen) nur 13 aus der kurz zuvor gegründeten DDR kamen. Wie dieses Zentrum zerfiel, nämlich keineswegs durch Absonderung der DDR-Autoren samt „westdeutscher Gesinnungsgenossen“, sondern durch eine Sezession der westdeutschen Mehrheit, hat Dieter Schlenstedt in seiner Einleitung zu dem Autoren-lexikon des Deutschen PEN-Zentrums (Ost) (Berlin 1995) skizziert Vorangegangen war eine auf der Aktenhinterlassenschaft des DDR-Zentrums fußende Forschungsarbeit von Christine Malende, deren umfangreiches Typoskript hier dankbar herangezogen wird Als das Schlüsselereignis der deutschen PEN-Spaltung erweist sich eine Brandrede J. R. Bechers, der im Juli 1950 von der Ost-Berliner Tribüne des 2. Deutschen Schriftstellerkongresses mit maßloser Schärfe auf die Attacken eines vorausgegangenen (und von dem US-Amerikaner Melvin J. Lasky inspirierten) West-Berliner „Kongresses für kulturelle Freiheit“ erwidert hatte. Becher, der durch seine Intervention beim Internationalen PEN entscheidenden Anteil an der deutschen Gründung von 1948 hatte, amtierte seit 1949 als 1. weiterer Präsident neben dem 2. weiteren Präsidenten Kästner an der Spitze des von dem Philosophen Hermann Friedmann als geschäftsführendem Präsidenten geleiteten PEN-Zentrums Deutschland, zu dessen Generalsekretär 1949 Ernst Pentzoldt und zu dessen Schatzmeister Johannes Tralow gewählt worden war. Seine in der Zeitschrift „Aufbau“ veröffentlichte Rede führte zu einem Offenen Brief von drei Teilnehmern des Lasky-Kongresses, den Schriftstellern Rudolf Pechei, Theodor Plivier und Günther Birkenfeld, die dazu aufforderten, die PEN-Gemeinschaft mit dem Kulturbundpräsidenten und seinen Gesinnungsgenossen aufzugeben. Bechers Erwiderung verwies darauf, daß seine Angriffe nicht allen Teilnehmern jenes Kongresses gegolten hätten, sondern ausschließlich jenen ausländischen („Herrn Lasky, Herrn Koestler, Herrn Burnham und ähnlichen Figuren“), von denen Koestler soweit gegangen sei, in Laskys Zeitschrift „Der Monat“ (sie war, wie sich Jahrzehnte später herausstellte, CIA-finanziert) zur Bildung einer europäischen Freiheitslegion wider den Kommunismus aufzurufen. Im Hintergrund aller dieser Aktionen und Gegenaktionen stand der im Juni ausgebrochene Koreakrieg; in Berlin prallten Ängste und Agitationen unmittelbar aufeinander.

Bechers Brief-Antwort stammte vom 13. Dezember 1950; kurz zuvor war der Autor auf der Wiesbadener PEN-Tagung in der Funktion eines „weiteren Präsidenten“ einstimmig bestätigt worden. Der Sezessionsvorstoß der drei Autoren schien abgewehrt, aber seine Protagonisten ruhten nicht, und ein Bonner Ministerium machte sich ihr Anliegen zu eigen; es gab im Mai 1951 eine Broschüre heraus, deren anonymer Vorwortschreiber an den „Fall Becher“ die rhetorische Frage knüpfte, „wie weit die alte und bislang so selbstverständliche Vorstellung einer geistigen Einheit Deutschlands durch die politischen Ereignisse der letzten Jahre erschüttert worden“ sei Das ministerielle Opus, das Becher als „Vertreter der sowjetdeutschen Literatur“ apostrophierte (es druckte seine Antwort an Pechei immerhin ab), unterschied vier Gruppen innerhalb des Deutschen PEN: Für die agonalen Flügel wurden einerseits Becher und Hermlin, andererseits Plivier und Pechei namhaft gemacht; die dritte, auf Ausgleich und Vermittlung bedachte Gruppe wurde mit den Namen von Hermann Friedmann, dem Zentrums-Präsidenten, und Axel Eggebrecht bezeichnet; beide kamen innerhalb der Broschüre mit Erwiderungen zu Wort. „Die vierte und größte Gruppe endlich“, konstatiert der ministerielle Anonymus, „läßt die Dinge laufen und schweigt.“ Um sie aufzumöbeln, fügt er am Ende zwei Texte an, die für Laskys „Monat“ geschrieben worden waren, darunter den Absagebrief eines in England lebenden Sohnes von Becher an seinen Vater. Der kalte Krieg ging auch hier aufs Ganze.

Hermann Friedmann, der 1. Zentrums-Präsident, verwahrte sich in einer Zeitungsäußerung gegen die ministerielle Einmischung und verwies darauf, daß der mit dem Fall Becher befaßte Londoner PEN keinen Grund zum Eingreifen gesehen habe. Als aber Becher im Oktober 1951 auf der Düsseldorfer Jahresversammlung des PEN-Zentrums Deutschland, zu der acht Ost-und fünfzehn West-Mitglieder erschienen waren, wiederum ordnungsgemäß zum 2. Präsidenten gewählt wurde (seine Gegenkandidaten, darunter Kästner und Edschmid, hatten durchweg weniger Stimmen erhalten), traten am Abend nach dieser Wahl zwölf in der Westrepublik wohnende Teilnehmer der Versammlung aus dem PEN-Zentrum Deutschland aus und gründeten bald darauf ein eigenes Zentrum, das den Staatsnamen Bundesrepublik Deutschland im Schilde führte. Es umfaßte nach Gregor-Dellins Angaben (vgl. Anm. 5) zunächst nur 43 Mitglieder des gesprengten Zentrums (also nicht einmal die Hälfte seiner westdeutschen Mitglieder), wählte Darmstadt zu seinem Sitz und wurde von dem die Vorgänge mit tiefem Unbehagen verfolgenden Internationalen Zentrum erst 1953 anerkannt. Das Mißbehagen mochte auch deshalb so groß sein, weil die Abspaltung der westdeutschen Mitglieder nicht nur als block-politische Operation, sondern auch als Dissens zwischen Emigranten und Nicht-Emigranten erscheinen konnte: Elf der dreizehn PEN-Mitglieder aus der DDR waren remigrierte Exsulanten. So hatte auch Bechers emphatische Zurückweisung der Lasky-Koestlerschen Agitation nicht nur mit seiner Parteizugehörigkeit zu tun, sondern ebenso damit, daß er als deutscher Emigrant in der Sowjetunion die Wirkung eines antikommunistischen Kreuzzugs vier Jahre lang erlebt hatte.

Ein Hauptvorgang der Düsseldorfer Tagung ist ungeklärt: die Kandidatur Tralows gegen Friedmann bei der Präsidentenwahl des zweiten Tages. Friedmann hatte sich gegenüber den Anti-Becher-Aktionen der Gruppe um Pechei und Plivier präsidental-vermittelnd erzeigt; allerdings hatte er im Juni 1951 in Lausanne eine Tagung des Präsidiums durch vorzeitige Abreise zu verhindern gewußt. Aus derselben Zeit stammen Bekundungen Bechers, die angesichts der ausgebrochenen Polemik eine Verselbständigung der DDR-Mitglieder innerhalb des gemeinsamen Zentrums in Betracht ziehen In Düsseldorf erhielten beide Präsidentschafts-Kandidaten elf Stimmen, so daß eine Wiederholung der Wahl nötig geworden wäre; dem entzog sich Friedmann durch einen Vorgang, der kein Rücktritt war (es ging um eine satzungsgemäße Wahl nach dem Ablauf der einjährigen Amtsperiode), sondern nur der Verzicht auf die Kandidatur. Denoch hätte die Wahl wiederholt werden müssen; statt dessen trat Tralow, der ebensowenig wie Friedmann die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten hatte, das Amt des Geschäftsführenden Präsidenten an. Offenbar war er von den acht DDR-und den drei dissidentischen West-Mitgliedern in ein Amt gewählt worden, das anzustreben nur sinnvoll war, wenn auch die DDR-Gruppe auf Spaltung zielte. War ihr eine Agitation zuviel geworden, die im unmittelbaren Vorfeld der Düsseldorfer Tagung mit einer Broschüre von sechs westdeutschen PEN-Mitgliedern wider das „sowjetkommunistische Regime“ (vier der Autoren waren in Düsseldorf erschienen) noch einmal angeheizt worden war? Der Dilettantismus einer Satzung, die zur Wahl in wichtige Vorstandsämter keine einfache Stimmenmehrheit der Teilnehmer zur Bedingung machte, hat wesentlich zu dem Fehllauf der Tagung beigetragen.

Der weitere Verlauf der Sitzung wurde von der Weigerung des amtierenden Generalsekretärs Edschmid bestimmt, seine -per Akklamation -einstimmige Wiederwahl anzunehmen. (Er wurde wenig später Generalsekretär des neuen West-PEN.) Daß zuvor bei der Wahl zum 2. Präsidenten gegen Becher nicht nur der abwesende Kästner (6 Stimmen), sondern auch der anwesende Edschmid (5 Stimmen) kandidiert und damit eine Spaltung der westdeutschen Stimmen bewirkt hatte, deutet darauf, daß die durch die Tralow-Wahl gestärkten Sezessionskräfte um Boree, Kasack und Beheim-Schwarzbach Wert auf die Wiederwahl Bechers legten, um einen medien-wirksamen Vorwand für die Sprengung des Zentrums zu haben. Der Preis für dieses Vorgehen war allerdings hoch; er bestand in der Mißachtung einer ordnungsgemäßen Wahl innerhalb des einheitlichen deutschen Zentrums.

Die von Corino als „Gesinnungsgenossen kommunistischer Schriftsteller“ etikettierten Sezessionsverweigerer meint jene drei westdeutschen bzw. Westberliner Teilnehmer der Düsseldorfer Tagung, die dem massiven politischen Druck standhielten, der in dieser giftgeschwollenen Blütezeit des kalten Krieges die westdeutsche PEN-Separation beförderte, und mit den DDR-Autoren im PEN-Zentrum Deutschland verblieben waren; es waren die drei mit Becher gewählten Vorstandsmitglieder Johannes Tralow, Günter Weisenborn und Hans Henny Jahnn. Gegen den ersteren, der auf der Düsseldorfer Tagung in das Amt des Geschäftsführenden Präsidenten gewählt worden war (er übte es von 1953 bis 1956 unter dem Präsidenten Bertolt Brecht aus), vollstreckten westdeutsche Sicherheitsorgane 1953 einen Haus-durchsuchungsbefehl, der sich auf seine Kulturbundarbeit bezog. Schon 1947 war Tralow der amerikanischen Besatzungsmacht als Vorsitzender der Starnberger Entnazifizierungskammer unangenehm aufgefallen und zur Niederlegung dieses Amtes veranlaßt worden. Seit 1950 wurden seine Romane von westdeutschen Verlagen boykottiert; der Ost-Berliner Verlag der Nation druckte von ihnen bis 1968 920 000 Exemplare. Erst in neuerer Zeit ist Tralow, der kein Kommunist, aber ein entschiedener Antifaschist war (in den sechziger Jahren siedelte der Achtzigjährige aus seiner bayerischen Heimat nach Ost-Berlin über), durch Lizenzausgaben des Rowohlt Verlags auch im westlichen Deutschland als Autor wieder zuhanden. Thomas von Vegesack, der schwedische Vizepräsident des Internationalen PEN, hat 1986 in einem fesselnden Abriß der Gesamtgeschichte dieser Vereinigung auf die Opposition hingewiesen, die 1952 auf einer internationalen Exekutivtagung ein französischer Delegierter der Anerkennung des westdeutschen Sezessionszentrums mit dem Hinweis entgegensetzte, „er habe zwar von revoltierenden Minderheiten gehört, daß aber eine Majorität sich verfolgt fühle, sei etwas Neues“ Die DDR-Mitglieder hatten kaum ein Achtel des gesprengten Zentrums ausgemacht; sie waren tatsächlich nicht mehr als eine Splittergruppe. Nur daß nicht sie, sondern die Mehrheit sich abgesplittert hatte, ein Vorgang, der dem Grundmuster der deutschen Staatsteilung von 1948/49 von weitem glich. Daß er einigen DDR-eigenen Scharfmachern in den Kram paßte, versteht sich am Rande. Mit Recht weist Schlenstedt darauf hin: Wäre Becher, wie viele um Verständigung bemühte westdeutsche Autoren, darunter Friedmann, Kästner, Pentzoldt und Tralow, vorschlugen, 1951 als Kopräsident zurückgetreten, um einem politisch weniger exponierten DDR-Autor Platz zu machen hätte er den ministeriell ermunterten Sezessionisten den Wind aus den Segeln genommen.

Biermann-Wahl

Der sich seit 1951 durch Zuwahlen erweiternde Rumpf-PEN aus den überwiegend SED-bezogenen ostdeutschen und einer Reihe (}issidentischer westdeutscher Autoren nahm nach der Londoner Anerkennung des Darmstädter Zentrums den Namen Deutsches PEN-Zentrum Ost und West an und behielt ihn bis zum Jahre 1967, als in Analogie zu dem westdeutschen Zentrum (und im Vorfeld der von der neuen DDR-Verfassung vollzogenen staatsrechtlichen Verselbständigung des Landes) der Staatsname DDR angenommen wurde. Anfang 1965 griff die kulturelle -und nicht bloß kulturelle -Aufbruchsstimmung, die sich in der DDR bemerkbar machte, auch auf das PEN-Zentrum über; im April 1965 wurde außer dem Dramatiker Hartmut Lange und Hans Bunge, dem damals in der „Sinn-und-Form“ -Redaktion tätigen (und dort nachmals gröblich entlassenen) Gründer des Brecht-Archivs, sowie zwölf weiteren Autoren aus mehreren Ländern (darunter Elisabeth Hauptmann, Günter Kunert, Arno Peters, Peter Weiss und Konrad Farner) der 28jährige Wolf Biermann in das Zentrum gewählt, der seit zwei Jahren als Sänger und Liedermacher Furore machte. Mitte September (das Kahlschlag-Plenum der SED vom Dezember wirft seine Schatten voraus) wird Informant Martin, der inzwischen zum Gl (Geheimen Informator) aufgerückt ist, über den Vorgang befragt und gibt ausweichende Auskünfte, verbergend, wer den Wahlvorschlag unterstützte (vermutlich Kant selber) und von wem er kam. Er kam von Stephan Hermlin und Peter Hacks der erst viel später von Biermann abrückte und es dann so vehement tat, daß der Rückstoß des Kanonen-rohrs ihn selbst schmerzhaft traf. „Er war an dieser Sitzung anwesend“, notiert der Oberleutnant Treike von seinem (und über seinen) Gl, „konnte jedoch nicht feststellen, wer den Vorschlag zur Aufnahme des [Biermann] in das PEN-Zentrum Ost-West gemacht hat. Zu den einzelnen Diskussionen, die sich im Zusammenhang mit der Person ergeben haben, konnte der Gl nichts konkretes berichten, da der Gl nur zeitweilig an der Veranstaltung des PEN-Zentrums teilnahm. Die Wahl erfolgte wie bei allen anderen Kandidaten in geheimer Abstimmung. Vor der Wahl erfolgte eine kurze Aussprache der Genossen der Partei. Auf dieser Aussprache wurde beschlossen, gegen die Kandidatur [Biermanns] auf Grund seines in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens zu stimmen. Da jedoch die Genossen im PEN-Zentrum nicht in der Mehrheit sind, konnte es Vorkommen, daß [Biermann] als Mitglied gewählt wurde.“

Sollten die SED-Mitglieder unter den 21 erschienenen und den 19 abstimmenden PEN-Mitgliedern (die Anwesenheitsliste weist sie aus) tatsächlich in der Minderheit gewesen sein? Die geheime Wahl macht die Frage (und die andere, wer von den Nicht-SED-Mitgliedern für oder gegen Bier-mann gestimmt haben könnte) irrelevant Kant will verschleiern, daß ein Teil der SED-Mitglieder entgegen der Partei-Maßgabe für den mit einer Mehrheit von einer Stimme gewählten Biermann gestimmt hat, darunter, wie er nachmals glaubhaft bekundete, auch er selbst. Der Geheime Informator entgegnet der Beunruhigung des Oberleutnants mit dem Hinweis auf den repräsentativen Charakter der PEN-Mitgliedschaft; eben darin lag der obrigkeitliche Haken. Die Mitgliedschaft im DDR-PEN war ein wirksamer Schutz vor jeder Strafverfolgung; die SED-Instanzen wußten, daß sie im Verhaftungsfall eine internationale Organisation von weltweiter Reputation auf den Fersen haben würden. So wenig dieser Autorenclub in der Lage war, der DDR-Verfassung Eingang in die politische Wirklichkeit zu verschaffen (dazu bedurfte es, wie sich im Herbst 1989 zeigte, stärkerer Mächte so schloß die Mitgliedschaft doch jeden Gewählten an eine internationale Autoren-Gemeinschaft an. Adolf Endler, der 1955 wegen Androhung eines politischen Strafverfahrens aus seiner westdeutschen Heimat in die DDR übergesiedelt war, heftete 1979, als er mit andern Autoren einen das Devisenverfahren gegen Stefan Heym betreffenden Protestbrief an Honecker geschrieben und im Westen veröffentlicht hatte (er wurde daraufhin aus dem von Kant geleiteten Schriftstellerverband ausgeschlossen), ein Schild an seine Wohnungstür: Mitglied des Internationalen PEN.

Vorausversammlungen

„Vor der Wahl“, notiert der Oberleutnant am 15. September 1965 die Kundgabe des Gl, „erfolgte eine kurze Aussprache der Genossen der Partei.“ Solche Absprachen, zeigt sich, waren der Brauch, eine andere Protokollstelle verzeichnet die Anleitungsverhältnisse; anläßlich einer PEN-Versammlung am 28. Oktober 1975 tritt, so Kant als Martin, ein Vertreter der Kulturabteilung des SED-Zentralkomitees „vor die PEN-Mitglieder“, nämlich die voraustagenden SED-Mitglieder unter ihnen. Daß dieser Brauch bis 1989 fortgesetzt wurde, steht zu vermuten; die Angaben einiger potentieller Teilnehmer legen jedoch den Schluß nahe, daß die Verbindlichkeit dieser Zusammenkünfte in den achtziger Jahren nachließ; von drei Befragten konnte sich keiner mehr an eine solche Vor-Sitzung erinnern.

Wenigstens der letzte Generalsekretär -als derjenige, aus dessen Büro die Terminmitteilungen ergingen -müßte es, sollte man meinen, wissen. Aber auch Walter Kaufmann, der 1985 in dieses Amt berufen wurde, weiß auf Befragen gar nichts und verweist auf seine Nichtmitgliedschaft in der SED. Genauer ist ein von Christine Malende aufgewiesener Briefdurchschlag des damaligen Generalsekretärs; der Brief -vom 22. März 1989 -ist an den für PEN-Belange zuständigen Mitarbeiter der „Abteilung Kultur beim ZK der SED“ gerichtet und enthält die Klarstellung: „Die Genossen, die Mitglieder im PEN. Zentrum DDR sind, gehören nicht in dieser Organisation, sondern im Schriftstellerverband der Parteigruppe an. Bei uns werden sie nur von der Kulturabteilung des ZK kurz vor den Generalversammlungen des P. E. N. -Zentrums zusammengerufen, um sich über ihre Haltung auf der Tagung zu vereinbaren.“

Ein anderes Papier aus der Zeit nach jener aufsehenerregenden Mitgliederversammlung, die am 1. März 1989 die Forderung nach Freilassung Vaclav Havels an die CSSR-Instanzen gerichtet hatte, erweist, daß in besonderen Fällen auch das Präsidium des Zentrums inoffiziell und faktisch illegal, nämlich unter Ausschluß der Nicht-SED-Mitglieder, tagte, wiederum unter Mitwirkung eines Mitarbeiters der Literaturabteilung im Kultursekretariat des Zentralkomitees.

Die Kaufmannsche Briefstelle macht deutlich: Die Vorausversammlungen der SED-Mitglieder führ­ ten nicht (oder doch nur zeitweilig und virtuell zur Bildung einer strukturierten Parteigruppe, wie es sie unter den SED-Mitgliedern der Künstlerverbände und der Akademie der Künste gab. Sie fungierten, wie auch die Martins-Berichte zeigen, als Ad-hoc-Kongregation; Kenner sprechen von „Konferenzparteigruppe“. Hier wurde unter Anleitung der Kulturabteilung des SED-Zentral-komitees (und das hieß: unter Ausschaltung aller niederrangigen Parteiinstanzen, auch der mächtigen Berliner Bezirksebene) festgelegt, wie die Parteimitglieder sich bei anstehenden Wahlen verhalten sollten -eine Maßgabe, die sich an der all-zeit befolgten Vorschrift der geheimen Wahl brach. Nur teilweise folgten die SED-Mitglieder der hier gegebenen Anleitung -und ein Drittel Gegenstimmen genügte seit 1967 zur Verhinderung einer vom Präsidium eingebrachten, folglich ZK-genehmigten Mitgliedswahl, allerdings umgekehrt auch zur Ablehnung eines von anderer Seite eingebrachten Vorschlags.

Dieser eigentümliche Modus war 1949 auf der Münchner Jahresversammlung des PEN-Zentrums Deutschland in Abwesenheit der DDR-Mitglieder in die Satzung eingeführt worden; das Zentrum Ost und West hatte ihn später zugunsten der Mitgliedswahl mit einfacher Mehrheit fallengelassen. Erst nach der mit zehn von neunzehn Stimmen erfolgten Wahl Biermanns im April 1965 wurde die alte Regelung reaktiviert, ganz offenbar, um so knappe Zuwahlen in Zukunft zu verhindern. Aber das Instrument war zweischneidig, insofern es zwei Minderheiten ein Vetorecht bei Mitgliedswahlen einräumte, einer SED-fixierten und einer unabhängigen so kam es, daß selbst Präsidiumsmit­ glieder des Schriftstellerverbands (Holtz-Baumert, Sakowski, Görlich) niemals PEN-Mitglieder wurden. Der Darmstädter PEN hat seine Mitgliederversammlungen von Anfang an von der Mitglieds-wahl ausgeschlossen; hier stimmt ausschließlich das Präsidium über vorgeschlagene Neuaufnahmen ab (und das einzelne Mitglied hat dann die Möglichkeit des Einspruchs). Ein von Christine Malende aufgewiesener Versuch Kamnitzers, diesen nicht sonderlich demokratischen Modus in das PEN-Zentrum Ost und West einzuführen, ist gescheitert; das Verfahren hätte die Mitgliedswahl faktisch in die Hände der SED-Hierarchie gegeben. 1964 unternahm Alfred Kure 11a einen Vorstoß zur Abschaffung der geheimen Abstimmung bei Mitgliedswahlen; auch er blitzte ab.

Die Vorauszusammenkünfte der SED-Mitglieder bei PEN-Versammlungen standen zwar formal nicht im Widerspruch zu einer PEN-Charta, die sich mit Details wie Mitgliedswahlen nicht befaßt. Daß sie aber als Instrument parteipolitisch bestimmter Wahlbeeinflussung ein wesentlich un-und widerdemokratisches Verfahren waren, liegt zutage. Wie der PEN-Geschäftsführer Ilberg diese Praxis, die zu den wesentlichen Herrschaftsinstrumenten der SED auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens gehörte einmal offenlegte, steht -unter dem 3. April 1970 -auch in den Martins-papieren geschrieben. Ilberg hatte zwei notorisch unabhängige Geister, Peter Hacks und Heiner Müller, beide Nicht-Mitglieder der Staatspartei, zu einer solchen Vorausversammlung eine Stunde vor Beginn der eigentlichen Tagung eingeladen. Hacks war gekommen, hatte den Charakter der Zusammenkunft bemerkt und war mit dem Ausruf entwichen, „daß er an so einer Verschwörung nicht teilnehme“.

Kant, der nun im Rang eines IMS (S für Sicherheit) geführt wird, schützt Ilberg, indem er dessen Einladung als Lapsus hinstellt, was sie schwerlich war, sowenig wie die Einladung des 1968 in Partei­ Ungnade gefallenen und aus der österreichischen KP ausgeschlossenen Wiener Autors Ernst Fischer zu der Versammlung des Berliner Zentrums, dem er zu diesem Zeitpunkt als Mitglied angehörte. Fischer trat wenig später wieder in den Österreichischen PEN ein, der sein KP-verbundenes Mitglied nach 1956 vergrault hatte und sich ihm nun -nach Fischers Protest gegen die Prager Invasion -wieder öffnete: PEN-Clubs als Wetterhäuschen der Weltgeschichte.

Zwei Nichtgewählte

Der Romancier Werner Ilberg (1896-1978), ein Heimatvertriebener des Jahres 1933, der 1947 aus dem Londoner Exil in seine Heimatstadt Wolfenbüttel zurückgekehrt war und 1956 in die DDR übersiedelte, war im Dezember 1951 in das verbliebene PEN-Zentrum Deutschland gewählt worden. 1968 wurde er zum Nachfolger der in eine Finanzbredouille verwickelten Geschäftsführerin Kretzschmar berufen; die Mitgliederversammlung des Jahres 1970 wählte ihn zum Generalsekretär -in ein Amt, das seit dem Rücktritt des westdeutschen Autors Herbert Burgmüller im Jahre 1957 geruht hatte. Solange Ilberg es innehatte, herrschte auf den clubinternen Leseabenden des Berliner Zentrums (sie waren 1970 auf Initiative Stephan Hermlins eingerichtet worden) ein Klima kollegialen Vertrauens und offener literarischer Mitteilung. Dieses erlosch, als im Jahre 1975 Henryk Keisch (1913-1986) zum Generalsekretär gewählt wurde, wie Kamnitzer ein Mann mit kenntlich prohibitiver Mission. So überrascht es nicht, Corinos Buch zu entnehmen, daß nicht nur Kamnitzer, der erstmals 1970, in der gesteigert repressiven Endphase der Ulbricht-Herrschaft, zum Präsidenten des Zentrums gewählt worden war, sondern auch Keisch Agent des staatlichen Geheimdienstes war. Gegen beide hatte Stephan Hermlin sich zu behaupten, dessen Position durch den Machtantritt des ihm aus alten antifaschistischen Kampf-und späteren FDJ-Zeiten gewogenen Honecker und durch seine 1975 erfolgte Wahl zu einem der Vizepräsidenten des internationalen PEN gestärkt wurde. (Nach dem ZK-Plenum von 1965 hatte er gegen die Gotsche, Abusch, Roden-berg einen schweren Stand gehabt.) In dem Treff-Bericht des IMS Martin vom 28. Oktober 1975 schlägt sich die atemraubende Rede nieder, mit der Hermlin in der PEN-Versammlung jenes Jahres die Verfolgung und Unterdrückung tschechoslowakischer Schriftsteller angeprangert hatte, übrigens mit dem Hinweis, daß die SED-Führung diesbezüglich bei ihrer Prager Bruderpartei vor-stellig geworden sei. Es war die erste PEN-Tagung, an der ich teilnahm (1972, im Jahr nach der offiziellen Revision der Ulbrichtschen Kulturpolitik, waren auch Jurek Becker, Sarah Kirsch, Karl Mikkel, Fritz Mierau, Ulrich Plenzdorf, Gerhard Wolf u. a. m. in den Club aufgenommen worden); mir stockte der Atem angesichts einer Bekundung, die auf jeder anderen Ebene des Landes als staatsgefährdend geahndet worden wäre; sie erschien mir als Ausfluß einer exzentrischen Superiorität. Hermlins Hinweis auf Hägers bruderparteilichen Einspruch gegen die Prager Intellektuellenverfolgung enthält Kant seinem Sicherheitspartner vor, der Hauptmann ist und Pönig heißt, ein Name, in dem PEN und poena sonderbar ineinanderspielen. Hingegen beschreibt er den Aufbau der Hermlinschen Rede, an deren Anfang sich der Redner rückhaltlos hinter das einleitende Referat des Präsidenten Kamnitzer gestellt hatte, was die Versammlung mit einer Reaktion „absoluten Schweigens“ quittiert habe; danach erst sei er auf seine Nicht-Billigung des Prager Einmarsches von 1968 und die Lage der tschechoslowakischen Intellektuellen zu sprechen gekommen. Keiner, so der Martinsbericht, habe „danach mehr gesprochen“. So hallt in dieser Aufzeichnung ein doppeltes Schweigen nach: eines über die rückhaltlose Zustimmungsbekundung am Anfang, ein anderes über die Bekundung eines Dissenses, der sich jede weitere Erörterung selbst verbat. Daß dies explizit geschah, ist dem von Christine Malende eingesehenen Tagungsprotokoll zu entnehmen; auch der Hinweis auf die übereinstimmende Haltung der SED-Führung hatte offenbar diesen Sinn. Hermlins exzeptionelle Position wird hier unmittelbar deutlich; die eigene Seele rettend, mußte er, um sich in der Parteibindung zu erhalten, peinlich darauf achten, daß er keinen Sukkurs bekomme, der sogleich die Staatsmacht auf den Plan gerufen hätte. Als er -im folgenden Jahr -sich diesen Sukkurs selbst organisierte, war eine Gegenaktion des Apparats die Folge, die schwerstes Geschütz in Stellung brachte. In puncto Mitgliedswahlen gibt der Berichterstatter sich gegenüber seinem Sicherheitsorgan orthodoxer als der Leitapparat seiner eigenen Partei, und man weiß nicht (dies will bei der Lektüre immer bedacht sein): Gibt er seine wirkliche Meinung wieder, oder spiegelt er sie nur vor? Kant tadelt an diesem 28. Oktober 1975, daß die Kultur-abteilung des ZK ihre Zustimmung zu der Wahl von Adolf Endler, Rainer Kirsch und Wolfgang Harich bekundet habe. Zwar habe auch er, obschon „mit vielen Bauchschmerzen“, für Endler und Kirsch gestimmt, Harich aber habe er seine Stimme vorenthalten, dem Beispiel Hermlins folgend, der sich gegen dessen Wahl ausgesprochen habe, mit einer Begründung, die sich in der Gesprächsaufzeichnung des Hauptmanns sonderbar genug ausnimmt: Harich, so Hermlin laut Kant, habe sich geweigert, das Jean-Paul-Buch Günter de Bruyns als Verlagsgutachter in Augenschein zu nehmen und sich seine Kritik für das veröffentlichte Buch Vorbehalten.

Die Verweigerung einer internen Vorauskritik, die das Erscheinen des Buches zweifellos erschwert hätte, kann nicht für eine unkollegiale Handlung gelten -hat Hermlin sie wirklich als solche dargestellt? Mit Rücksicht auf seine eigene Stimmenthaltung verschweigt Kant dem PEN-interessierten Pönig, daß, was die Wahl dieses Autors verhinderte, die mit zensurieller Emphase vorgetragene Attacke war, die Harich 1973 in der Zeitschrift „Sinn und Form“ gegen Heiner Müller vorgetragen hatte Das Detail zeigt, wieviel man wissen muß, um eine solche Aktennotiz richtig zu deuten. Entgegen der SED-Empfehlung stimmt Kant mit Hermlin wegen Harichs illiberalem Verhalten gegen dessen PEN-Aufnahme und verschleiert hinterher sein und Hermlins Wghlverhalten gegenüber der Observationsinstanz, die, indem sie mit ihm beobachtet, immer auch ihn selbst beobachtet. Der Observant ist -und er weiß es -zugleich der Observierte.

Laut Tagungsprotokoll hat sich Hermlin explizit auf jenen Aufsatz bezogen, mit dem Harich, Hacks als apollinischen Kunstgeist feiernd, zwei Jahre zuvor die Zulassung Müllerscher Texte auf die Bühnen der DDR hatte verhindern wollen; eine in „Sinn und Form“ selbst geführte Debatte hatte dem entgegnet. Es begab sich damals etwas Grundmerkwürdiges: eine Intervention (zur Fronde fehlte ihr der apparative Rückhalt) dreier parteiunabhängiger Autoren (Hack, Harich und der Kölner Dramaturg Andre Müller) gegen die Lockerungstendenzen der Hager-Honeckerschen Kulturpolitik. Vermutlich spekulierte die Unternehmung auf den Widerstand, der im Parteiapparat gegen die Kursänderung von 1971 zu spüren war (und 1973 in Halle zu dem zweiten Parteiausschluß von Rainer Kirsch geführt hatte). Die Biermann-Ausbürgerung, von Hacks emphatisch begrüßt, schien 1976 auf einen Sieg dieser Gruppe zu deuten, doch wurde die ideologische Rückwende nicht wirklich vollzogen. Weder nach innen noch nach außen ließ diese sich unter den Bedingungen der Entspannungspolitik realisieren; die Ausweisung und was ihr folgte blieben auf einer polizeistaatlichen Ebene.

In seinen Erinnerungen nennt Harich Peter Hacks, der seit 1965 Präsidiumsmitglied des Berliner PEN-Zentrums war, als Initiator des ihn betreffenden Wahlvorschlags. An der Verhinderung der Wahl mißt er Otto Gotsche und Wolf Biermann einen Anteil zu, die sich -so Harich -beide dazu bekannt hätten, „gegen meine Aufnahme gestimmt zu haben“. Die Zusammenstellung dieser beiden antagonistischen Flügelmänner ist apart, aber unstimmig; Biermann, nicht aber Gotsche, erweist die Anwesenheitsliste, war auf der Versammlung zugegen. Otto Gotsche (1904 bis 1985), der vor 1933 einige Erzählungen politisch-autobiographischen Inhalts veröffentlicht hatte, war von 1949 bis 1960 der persönliche Referent Walter Ulbrichts gewesen; auch als Sekretär des 1960 unter Ulbrichts Vorsitz gegründeten Staatsrats blieb er der engste Mitarbeiter dieser politischen Hauptfigur. Daß Gotsche bei solchen Ämtern zu literarischer Arbeit kam, bleibt erstaunlich; seit 1949 hatte er Erzählungen und Romane über Stoffe aus der kommunistischen Arbeiterbewegung und dem antifaschistischen Widerstandskampf publiziert, in dem er während des Krieges in der sächsischen Chemie-Region eine exemplarische Rolle gespielt hatte. Wie kaum ein anderer verkörpert Gotsche den Typus des sich unter ständiger Lebensgefahr bewährenden Untergrundkämpfers (Gotsches Gruppe war nicht entdeckt worden), der nach der Rettung weder die geistige noch die moralische Überlegenheit aufbringt, sich über die eigene, reflexhaft auf das Muster Terror -Gegenterror fixierte Erfahrung zu erheben und, an die Hebel der Macht gelangend, die Beschränktheit des eigenen Horizonts zum Maß des Ganzen macht. Das Ausmaß seines Scheiterns entsprach dem seiner Fehlgriffe.

In dem Autorenlexikon des Deutschen PEN-Zentrums (Ost), das 1995 publiziert wurde, ist Gotsche als Mitglied des DDR-Zentrums seit 1970 ver­ zeichnet, was unstimmig berührt, wenn man in einem der Martinsberichte liest, daß er bereits in der PEN-Versammlung vom 2. April 1970 das Wort gegen Biermann nimmt, also offenbar als Mitglied anwesend ist. Aber die Unstimmigkeit reicht noch tiefer. Es ergibt sich, daß Gotsche zwar seit 1969 als PEN-Mitglied geführt wurde, aber niemals zum Mitglied gewählt worden ist. Hatten Kamnitzer und Ilberg Gotsches Nicht-Mitgliedschaft als eine Quelle von PEN-Obstruktion an höchster Stelle erkannt? Offenbar hielten sie eine Zuwahl dieses regierenden Autors für aussichtslos und schleusten Ulbrichts Adlatus, der ein spezifischer Widersacher Stephan Hermlins war in Versammlung und Mitgliedschaft ein -ein singulärer Vorgang. Hatte der Darmstädter PEN 1952 den literarisch beschlagenen Bundespräsidenten des Landes (ebenfalls durch Präsidiumsbeschluß, aber in diesem Fall satzungsgemäß) zum Mitglied gewählt, so war hier 17 Jahre später die roman-schreibende rechte Hand des Staatsoberhaupts in den Mitgliedsstand versetzt worden.

Die Mitgliedschaft mag Gotsche willkommen gewesen sein, um an Ort und Stelle den Ausschluß Wolf Biermanns aus dem Club zu betreiben. Aber der Anschlag scheitert; in einer abgesonderten Pausenberatung erkennen die SED-Mitglieder an diesem 2. April 1970 den Ausschluß für undurchsetzbar. Es ist, laut IMS Martin, Hermann Kant, der sie davon überzeugt und so vor einer sicheren Abstimmungsniederlage bewahrt. Gotsche erleidet an diesem Tag noch eine zweite Niederlage: Drei von ihm und Alexander Abusch vorgeschlagene Autoren werden nicht zu Mitgliedern gewählt. IMS Martin hält mit diesem Umstand hinterm Berge.

War diese scheiternde Mission des illegalen PEN-Mitglieds Gotsches einziger PEN-Auftritt? Die Regesten erweisen: Er ist 1972 noch einmal zu einer PEN-Versammlung erschienen; dann nicht wieder. Mit der Entmachtung Ulbrichts im Frühjahr 1971 hatte der Sekretär des Sekretärs seine politische Bedeutung verloren, eine literarische hatte er niemals gehabt.

Westemigranten

„Auf Antrag von Dr. Hacks“, notiert der Oberleutnant Pönig am 3. April 1970 den Report des IMS, „wurde in das neue Statut zum Punkt Wahlen aufgenommen, daß Wahlen geheim erfolgen.“ Hier fehlt eine Anmerkung, die darauf hinweist, daß es sich um die Wahl des Präsidenten und der Präsidiumsmitglieder handelt; die der Mitglieder war immer geheim erfolgt. Wollte Hacks auf diese Weise die Voraussetzung für die Nicht-Wahl Kamnitzers schaffen, der, seit 1967 als Vizepräsident amtierend, sich erstmals der Präsidentenwahl stellte? Aber weder Hermlin, der auf dieser Tagung von Biermann, noch Hacks, der von Lieselotte Welskopf-Henrich vorgeschlagen wurde, waren bereit zu kandidieren; so wurde Kamnitzer der Nachfolger Arnold Zweigs. Obschon seine Rolle eines unbeirrbaren Sachwalters jener obrigkeitlichen Interessen, die einer inneren Wirksamkeit des Zentrums entgegenstanden, mit der Zeit immer deutlicher wurde, hielt die starke Mehrheit der Abstimmenden bei Wahlen zu diesem Mitglied, das 1962 nach Tralows Rücktritt mit Arnold Zweigs Hilfe in das Präsidium des Zentrums kooptiert worden war. Mochten die einen den ehemaligen Geschichtsprofessor aus habitueller Parteidisziplin wählen, so andere aus der Erwägung, daß jeder Versuch, das PEN-Zentrum als eine Art Neben-und Gegenschriftstellerverband zu exponieren, zu seiner Zerstörung geführt hätte.

So war die mit einer nachhaltigen Präsidiums-Resolution vom 26. Oktober 1989 einsetzende und zu Kamnitzers sofortigem Rücktritt führende Umgestaltung des Zentrums vor, während und nach der deutschen demokratischen Revolution eine dringliche Aufgabe Daß sie Zeit brauchte und keineswegs im Handumdrehen gelöst war, hing damit zusammen, daß sie auf keinem andern Weg als einem demokratischen und diskursiven gelöst werden konnte, ohne Pression und Agitation und in der Abwehr beider.

Das Ansehen, in dem sich der 1917 in Berlin geborene Kamnitzer bei der Mehrheit der Mitglieder erhielt (oder zu erhalten schien), hing zweifellos mit seinem Emigrationsschicksal als rassisch und politisch Verfolgter zusammen, wohl auch mit seiner Rolle als langjähriger Vertrauter Arnold Zweigs. Nachdem sich seine geheimdienstliche Inanspruchnahme herausgestellt hat (möglicherweise hängt sie mit dem jähen Verlust seiner wissenschaftlichen Stellung an der Humboldt-Universität zusammen, wo er bis 1955 als Professor für Geschichte des deutschen Volkes und Dekan der Philosophischen Fakultät tätig gewesen war liegt es nahe, in ihm den Überwacher Arnold Zweigs zu sehen, der, als ein parteiunabhängiger Autor von Weltruf, für das MfS vermutlich nicht weniger kontrollbedürftig war als Hemingway für den FBI. Auch Henryk Keisch, Generalsekretär des DDR-Zentrums von 1974 bis 1985, geht aus dem Corino-Buch als MfS-Mitarbeiter hervor sowie der vor allem als Lyriker hervorgetretene Paul Wiens (1922-1982), PEN-Mitglied seit 1964 und zuletzt Chefredakteur der Zeitschrift „Sinn und Form“. Sie alle gehörten einem Kreis an, der im Berliner PEN-Zentrum stark vertreten und in gewisser Weise dominant war: deutsch-jüdischen Schriftstellern linker, KP-bestimmter Orientierung aus dem Bereich jener Westemigration, gegen die sich Anfang der fünfziger Jahre Stalins terroristisch ausbrechendes Mißtrauen gekehrt hatte.

Keisch, Paris-Emigrant von 1933, hatte während des Krieges wie Stephan Hermlin in den Reihen der französischen Resistance gekämpft und war 1944 mit knapper Not der Gestapo entgangen; er war aus dem Transportzug gesprungen und hatte sich mit einem Rückenschuß schwimmend in Sicherheit gebracht Paul Wiens war 1933 als Elfjähriger mit seiner Mutter in die Schweiz emigriert und 1943 in Wien festgenommen und ins KZ gebracht worden. Walter Kaufmann, der 1985 Keischs Nachfolger als Generalsekretär wurde, war 1939 als Fünfzehnjähriger aus Berlin geflohen und über England nach Australien emigriert; erst Ende der fünfziger Jahre war er in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Es gab im DDR PEN viele, die ein von Verfolgung und Vertreibung bestimmtes Schicksal erlitten hatten, in dem die Partei-Solidarität der wesentliche Halt gewesen war. Daß einige von ihnen sich als anfällig für die Informationsbedürfnisse eines Geheimdienstes erwiesen, in dem sie, von dieser Jugenderfahrung her, ein Instrument antifaschistischer und antirassistischer Abwehr sahen, ist kaum überraschend. Deutsch-jüdische Autoren aus der radikalsozialistischen Westemigration spielten eine besondere Rolle auch in der Redaktion von Radio Berlin International, dem DDR-Analogon der Kölner Deutschen Welle, und unter den Autoren der Berliner „Weltbühne“; für die PEN-Arbeit waren sie durch Sprachkenntnisse und Ausländserfahrungen prädestiniert. Erst im Lauf der achtziger Jahre ließ die Übermacht dieser Emigrantengeneration nach, die, bei allen inneren Differenzen, nach außen hin füreinander einstand; ein lange verschleppter Generationswechsel kündigte sich an Es war kein Zufall, daß er mit dem Ende der DDR zusammenfiel: Die Diktatur der Opfer hatte sich historisch erschöpft.

Amtshilfeabkommen

Daß sowohl Kamnitzer wie Keisch und Wiens Mitarbeiter einer Sicherheitsbehörde waren, deren flächendeckendes Treiben die Unsicherheit des Staates ebenso bekundete wie vermehrte, geht aus einem Papier hervor, das in Corinos Buch das letzte mit PEN-Dingen befaßte ist. Es stammt vom Mai 1978 und enthält die von Joachim Walther im Verlauf seiner langjährigen Forschungen in der (3auck Behörde aufgefundene und in der Frankfurter Rundschau vom 28. April 1995 kundgemachte „Operative Arbeitsvereinbarung“ zwischen dem MfS der DDR und dem KGB der UdSSR zur Ausforschung und Beeinflussung des Internationalen PEN-Clubs. Die Vereinbarung gilt der „Prüfung und Ausnutzung von Möglichkeiten, die sich aus der Mitgliedschaft der DDR im Internationalen PEN ergeben“, und sieht es auf „Aufklärung und Einschränkung der subversiven Aktivitäten des Internationalen PEN-Clubs, Sitz London“ ab, insbesondere auf Informationen über „die Wirksamkeit ... feindlicher Zentren, Geheimdienste und volksfeindlicher Organisationen auf das Internationale PEN“. Der Agentenwahn in allen Bereichen des sozialistischen Lagers war eine Projektion des eigenen Treibens auf die Gegenseite. Man setzte voraus, daß diese genauso verfuhr, und konnte so alles politisch Unbequeme als Erzeugnis westlich-geheimdienstlicher Steuerung deklarieren. Das wiederum gab Anlaß und Vorwand, alle Minen der Ausspähung und Beeinflussung springen zu lassen -ein circuliis vitiosus, der von der eingewurzelten Unfähigkeit des Gesamtsystems zu informationeller Rückkopplung umgetrieben wurde. Es wäre zweifellos naiv zu glauben, daß die östlichen Geheimdienste ihre Aktivitäten auf den DDR PEN beschränkt und daß sie erst seit 1978 zusammengearbeitet hätten. Es wäre ebenso naiv anzunehmen, daß -namentlich in den Hoch-Zeiten des kalten Krieges bis in die siebziger Jahre hinein -die westlichen Geheimdienste darauf verzichtet hätten, politisch-personellen Einfluß auf den Internationalen PEN und seine nationalen Zentren zu nehmen. Da alles dies angesichts der einseitigen Aktenlage im Bereich der Vermutung bleibt, ist es schwer, die Voraussetzung jener Vereinbarung -also die Tätigkeit gegnerischer Dienste -objektiv zu beurteilen. Natürlich kann man angesichts der in den USA geöffneten Dossier-Sammlungen meinen: Regierungen, die der Freiheit des Wortes keine behördlichen Zensurhindernisse in den Weg legen, seien befugt, Autoren auf ihre politische Zuverlässigkeit hin bis in die privatesten Winkel ihres Daseins auszuspähen, und nur solche Regierungen, die die Freiheit der Literatur staatsmonopolistisch einschränken, dürften das nicht. Manche Debatten laufen auf eine solche Argumentation hinaus, deren Nachteil ist, daß sie das Mittel wiederum vom Zweck her rechtfertigt, just wie das zentralistische Treiben im sozialistischen Osten. Es ginge, würde man einer solchen, oft nur notdürftig verschleierten Schlußweise folgen, nicht mehr ums Ausspitzeln, sondern um die damit verbundene Gesinnung, also ums Ausspitzeln im Dienst der guten, wahren und schönen Sache; damit wäre nicht viel gewonnen. Die Symmetrie der Aktenöffnung ist ein Gebot, das in der Sache selbst liegt, falls es um diese gehen sollte.

Jene Arbeitsvereinbarung von 1978 hat eine politische Seite, die insofern trivial ist, als schon die bloße Parteizugehörigkeit es Leuten wie Kant, Kamnitzer oder Keisch auf dem internationalen Parkett zur Pflicht machte, „antisozialistische/antisowjetische Verleumdungs-und Diskriminierungsaktionen zu durchkreuzen“. Sie hat eine spezifisch geheimdienstliche Seite, wenn sie sich zum Ziel setzt, „inoffizielle Möglichkeiten und Kanäle zu ermitteln und zu nutzen, um antisozialistische und antisowjetische Kräfte im internationalen PEN öffentlich zu kompromittieren“. Die Vorstellung, man könne „durch das Einbringen entsprechender Resolutionen und Proteste Exilgruppen im Internationalen PEN liquidieren bzw. zu deren Auflösung beitragen“, zeugt dabei von der Wirklichkeitsferne der Verfasser. Hier soll das freie Wort mit den Mitteln des freien Wortes zum Schweigen gebracht werden -ein a priori aussichtsloses Unterfangen. Ein spezieller Auftrag gilt dem IM Heinz alias Kamnitzer: Er soll Stephan Hermlin als Vizepräsidenten des Londoner Clubs die Zügel der KGB-Interessen anlegen; auch das war nicht eben aussichtsreich.

Zwischen Wollen und Vollbringen, Absicht und „Umsetzung“ liegt hier eben die Kluft, deren Vorhandensein den PEN für „Dienste“ aller Couleurs erst interessant machte. Es war die vorgegebene politische Unlenkbarkeit dieses internationalen Clubs literarischer Individualisten, aus der jene Autorität hervorging, die den Internationalen PEN in Fällen von Schriftsteller-Verfolgungen handlungsfähig machte. Beide Seiten des kalten Kriegs fanden in der Club-Charta die Stichworte ihrer Politisierungs-und Instrumentalisierungstendenzen; schon bei der deutschen PEN-Spaltung von 1951 hatten diese standartengleich die Front-linien bezeichnet: Frieden und Freiheit, Pax und Liberias als Feldzeichen einer intellektuellen Schlachtordnung, die auf beiden Seiten Disziplinierungszwecke verfolgte.

Wenn Geheimdienste an bestimmten Stellen nationalen oder internationalen Austauschs gehäuft auftreten, dann ist das insofern ein gutes Zeichen, als es auf die Ohnmacht der politischen Instanzen deutet: Sie operieren verdeckt, da sie offen nicht zum Zuge kommen. Daß die PEN-Arbeit seit 1947 zum Tummelplatz aller möglichen Geheimdienste wurde, ist die genaue Kehrseite des Umstands, daß dieser Club in der weltpolitischen Zerreißprobe seine Autonomie und damit seine Autorität bewahren konnte, um sie von Fall zu Fall im Dienst Verfolgter und Bedrängter in vielen Ländern in die Waagschale zu werfen. Ohne die Existenz der spezifischen politischen Bedingungen ausgesetzten PEN-Zentren in den sozialistischen Ländern wäre das nicht gelungen; hätten diese Zentren nicht bestanden, dann hätte der zentrale Club sich nicht in jener Ost-West-Balance halten können, die ihn in vieler Hinsicht erst handlungsfähig machte. Kamnitzers Obstruktionsrhetorik auf internationalen Kongressen hat die Hörer entnervt, aber den PEN nicht beeinflußt. Die Auflösung des DDR-Zentrums aber, von welcher Seite immer, wäre ein Schlag gegen die gesamte PEN-Arbeit gewesen.

Die Auffindung des Textes einer geheimdienstlichen Arbeitsvereinbarung, die eine ohnedies (und gewiß nicht erst seit 1978) vorauszusetzende Kooperation bezeugt, ist verdienstvoll wie alles, was zur Aufhellung des historisch-politischen Hintergrunds beiträgt. Wie schwierig diese Auffindung war, zeigt sich daran, daß sie Joachim Walther erst am Ende einer jahrelangen, vielfach geförderten Forschungsarbeit gelang. Nachdem Kamnitzer, dersich seit seinem Rücktritt vom Präsidentenamt im Oktober 1989 im Berliner PEN nicht mehr gezeigt und auch keine Beiträge mehr entrichtet hatte, die Niederlegung seiner PEN-Mitgliedschaft bekräftigt hat, konzentriert sich das von Walthers Artikel geschürte Interesse auf den von beiden Autoren, Walther wie Corino, unentschlüsselten IM Thomas am Ende jener geheimdienstlichen Amtshilfe-Vereinbarung. Es wird die Sache des im Berliner PEN gebildeten Ehrenrats sein, sich hier (falls es sich um ein akutes Mitglied handelt und in andern Fällen ein Urteil zu bilden, das sich jenen schnellen Schlüssen entzieht, die auf diesem Feld lange ebenso umgingen wie die vereinspolitische Inanspruchnahme des zugänglich gewordenen Geheim-materials. Ihr haben auch die in letzter Zeit erschienenen Bücher über die FBI-Observation deutscher Exil-Autoren und die geheimdienstliche Dauerausforschung US-amerikanischer Künstler gewisse Grenzen gesetzt. Auch die Aufdeckung der zeitweiligen Geheimdienstverpflichtung der später dem Darmstädter PEN angehörenden Schriftstellerin Monika Maron hat zur Verallgemeinerung einer Problematik beigetragen, die ungeeignet ist, an der Oberfläche von Interessen-kämpfen verschlissen zu werden.

Erratischer Block

Wie immer die Befunde jenes fünfköpfigen Ehren-rats ausfallen, für deren Objektivität seine Mitglieder bürgen: Er wird die geglückte Reformation eines Clubs erhärten, der in direkter, niemals unterbrochener Linie von jenem PEN-Zentrum Deutschland abstammt, welches 20 deutsche Autoren mit Unterstützung von Thomas Mann im Nachkriegsjahr 1948 gründeten. Die Abspaltung und Verselbständigung einer Gruppe westdeutscher Mitglieder von diesem Zentrum im Jahre 1951 stand unter dem Druck einer Zeit, die von den Antagonismen des kalten Krieges beherrscht war. Die Sezessionisten fürchteten die Obstruktion einer Minderheit von Autoren, von denen sie voraussetzten, daß sie die Anforderungen ihrer Parteimitgliedschaft höher stellen würden als eine PEN-Verpflichtung, die allerdings der Friedens-wahrung ebenso galt wie der Freiheit des öffentlichen Worts; um diese war es damals in beiden deutschen Staaten nicht gut bestellt. Sie beraubten sich damit eines Gremiums, in dessen gesamtdeutschem Rahmen die Frage der literarischen Freiheit nicht agitatorisch, aber diplomatisch allzeit aufzuwerfen gewesen wäre. Die Destruktion (das zeigte die Bonner Ministeriumsbroschüre von 1951) hing mit einem unmittelbar politischen Interesse zusammen: Die Fortexistenz eines Zentrums mit Autoren aus beiden deutschen Staaten lief dem Alleinvertretungsanspruch der Adenauer-Republik kenntlich zuwider.

Alle diese Gründe und Ursachen der damaligen PEN-Sezession sind seit 1990 entfallen. Kein Mitglied des in Berlin ansässigen Zentrums, das in einer von geheimen Wahlen gewährleisteten personellen Kontinuität auf die Göttinger PEN-Gründung von 1948 zurückgeht, gehört noch einer zentralistisch organisierten Kaderpartei mit ihren besonderen Verpflichtungen an. Zugleich ist der Alleinvertretungsanspruch der alten Westrepublik im Sommer 1990 auch explizit entfallen, als im Zuge der Wiederherstellung eines einheitlichen Deutschlands von Bonner Seite alle Vorbehalte aufgegeben wurden, die der gleichberechtigten Anerkennung der DDR bis dahin im Wege gestanden hatten

Beide Motivationen der westdeutschen PEN-Separation von 1951 sind dergestalt hinfällig geworden. So wäre nichts folgerichtiger, als wenn die Mitglieder des Darmstädter PEN die von ihren Vorgängern aus mehr oder weniger guten Gründen vollzogene Sezession rückgängig machten, indem sie in das Berliner Zentrum als den Nachfolger und Stammhalter des ersten deutschen Nachkriegs-PEN einkehrten. Die von 72 Mitgliedern des Darmstädter PEN aufgenommene Zweitmitgliedschaft im Berliner PEN konnte von daher als Schritt in eine Richtung erscheinen, die von der Geschichte selbst vorgezeichnet ist. Der andere Weg gleicht dem von 1948; er besteht in der Neugründung eines deutschen Zentrums in der neuen deutschen Republik vermittels symmetrischer Auflösung der beiden bestehenden Zentren. Eine im Mai 1995 auf dem Mainzer Kongreß des Darmstädter PEN durchgesetzte Resolution liegt als erratischer Block, als ein versprengtes Eiszeitgestein auf diesen Wegen; er soll einen Prozeß aufhalten, der im Wesen der Sache selbst liegt. So ist es kein Wunder, daß Intention und Wirkung sich in deutlicher Gegenbewegung zeigen: Was die deutsche PEN-Spaltung festschreiben sollte, hat ihrer Behebung einen spezifischen Auftrieb gegeben. Das bloße Nein ist keine Aussicht und seine Verschleierung bietet keine Alternative. Nur kooperativ ist der Weg zur deutschen PEN-Einheit, diesem Nachzügler und Bummelanten der deutschen Staatseinheit, zu finden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Karl Corino (Hrsg.), Die Akte Kant, Reinbek bei Hamburg 1995.

  2. In den Volksmärchen der Gebrüder Grimm („Der Teufel und seine Großmutter“, „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“) fungiert des Teufels Großmutter als eine Observierungsinstanz eigener und völlig positiver Art; sie erscheint dort als ein Sicherheitsorgan, das sich mit den bedrängten Subjekten verbündet und ihnen Gelegenheit gibt, den Drachen, ihren Enkel, im sicheren Versteck, sei es in einer Höhlung, sei es als Ameise (oder Wanze?), zu belauschen, damit sie dessen lebensgefährliche Rätsel lösen können.

  3. Vgl. Alexander Stephan, Im Visier des FBI/Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste, Stuttgart -Weimar 1995, S. VII.

  4. „Erich Kästner“, erinnert sich Hans Mayer, einer der Teilnehmer der Düsseldorfer Tagung, „war nicht erschienen: Er dürfte gewußt haben, was sich vorbereitete, und begehrte wohl insgeheim, nicht schuld daran zu sein. ... Vom ersten Augenblick an war zu spüren, daß eine mächtige Gruppe der westdeutschen Kollegen, offensichtlich mit politischer Rükkendeckung sowohl in Bonn wie bei dem inzwischen sehr eifrigen , Kongreß für kulturelle Freiheit 1 des Melvin J. Lasky, ein weiteres Zusammenwirken mit ihren .. . Kollegen aus der DDR nicht weiter zu tolerieren gedachte.“ (Hans Mayer, Ein Deutscher auf Widerruf. Erinnerungen II, Frankfurt am Main 1984, S. 69.)

  5. Das von dem Generalsekretär Martin Gregor-Dellin 1978 im Münchner Goldmann Verlag herausgegebene und eingeleitete „Mitgliederbuch“ des deutschen West-PEN beschreibt die Verhältnisse in aller Kürze präzis: „ 1949 konstituierte sich der deutsche P. E. N. -Club bei einer Sitzung in Göttingen . .. 1951 brach dieser deutsche P. E. N., der aus Schriftstellern aus Ost und West zusammengesetzt war, unter dem Druck des . kalten Krieges 1 auseinander. Auf der Jahrestagung des deutschen Zentrums in Düsseldorf kam es bei der Erörterung der Lausanner Friedensresolution über die Auslegung der Begriffe . Frieden 1 und . Freiheit 1 zu unüberwindbaren Meinungsverschiedenheiten. 43 westdeutsche P. E. N. -Mitglieder gründeten daraufhin im Dezember 1951 in Darmstadt das . Deutsche P. E. N. -Zentrum der Bundesrepublik 1, das im Jahr darauf [es war 1953 -F. D ] von der internationalen Exekutive anerkannt wurde.“ (S. 17) In dem kurzen Vorwort des Generalsekretärs Hanns Werner Schwarze zu dem „Autorenlexikon 11 des BRD-PENs von 1988 heißt es lakonisch: „Unser P. E. N. ist nicht , der deutsche 1! Anfang der fünfziger Jahre wurde deutsche Zweistaatlichkeit auch im P. E. N. eine Realität.“ (S. 9)

  6. Siehe auch den einleitenden Vortrag von Therese Hörnigk zu einem öffentlichen Berliner PEN-Gespräch am 13. November 1992 in: Gespräche zur Selbstaufklärung ’ 92/Dokumentation nach Tonbandkassetten, hrsg. vom Deutschen PEN-Zentrum (Ost), Berlin 1993, S. 169 ff.

  7. Siehe auch Christine Malende, Die „Wiedererrichtung“ und Trennung des PEN-Zentrums Deutschland 1946/48 bis 1951/53, in: Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge, (1995) 1, S. 82-95.

  8. In der Wochenzeitung „Sonntag“ vom 17. Dezember 1950; ähnlich Bechers Brief an die Mitglieder des deutschen PEN-Zentrums vom 13. Dezember 1950. Beide Texte sind mit vielen andern wiedergegeben in der vom Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands (also von Becher selbst) Mitte 1951 herausgegebenen Broschüre „Standort des deutschen Geistes oder: Friede fordert Entscheidung/Johannes R. Becher und der PEN-Club. Eine Antwort“, die eine Gegenschrift zu der Bonner Ministeriumsbroschüre (s. Anm. 9) war.

  9. „Die Freiheit fordert klare Entscheidungen /Johannes R. Becher und der PEN-Club“, hrsg. vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, Bonn 1951, S. 5.

  10. S. Ch. Malende (Anm. 7), S. 91.

  11. Thomas von Vegesack, Aus der Geschichte des P. E. N. -Clubs, in: PEN-International, hrsg. von Gerd E. Hoffmann, München 1986, S. 26.

  12. Hermann Friedmann schlägt J. R. Becher in Briefen vom 20. April und vom 4. Mai 1951 vor, „auf seine Präsidialeigenschaft“ zu verzichten und sich durch ein „politisch weniger aktives PEN-Mitglied aus dem Osten“ ersetzen zu lassen (nach Christine Malende). Nach der Düsseldorfer Abspaltung sind es Eggebrecht, Nossack, Weisenborn, Jahnn und Beheim-Schwarzbach, die Becher dies in Gesprächen und am 6. November 1951 in einem gemeinsamen Brief vergebens nahelegen.

  13. Das Protokoll der Tagung vom 28. April 1965 vermerkt: „Um die Kandidatur von Wolf Biermann entspann sich eine langwierige Debatte. Seine Kandidatur wurde wegen eines zu geringen literarischen QEuvres stark angefochten. Ingeburg Kretzschmar versuchte die Wahl zu verschieben. Dr. Peter Hacks bestand auf Weiterführung der Diskussion und Aufnahme in die Wahllisten.“

  14. Da bei den Mitgliedswahlen nur Zustimmungen gerechnet wurden (Stimmenthaltungen hatten damit faktisch den Charakter von Gegenstimmen), haben die beiden Teilnehmer der Versammlung, die vor der Abstimmung gegangen waren (offenbar wollten sie weder gegen die SED-Empfehlung verstoßen noch gegen Biermann stimmen), dessen Wahl begünstigt, indem sie die Stimmenmehrheit um eine entscheidende Stimme (von elf auf zehn) verminderten. Nach dem Satzungsmuster der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ist 1990 im Berliner PEN-Zentrum eine Wahl-ordnung eingeführt worden, die verhindert, daß Stimmenthaltungen bei einer Mitgliedszuwahl automatisch als Gegenstimmen gerechnet werden.

  15. Die siebenhunderttausend Menschen, die am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz zusammenströmten, demonstrierten für die Inkraftsetzung jener Verfassungsartikel, die -mit den Worten der PEN-Charta -„Äußerungsfreiheit“ und „freie Kritik gegenüber den Regierungen, Verwaltungen und Einrichtungen“ garantierten. Daß jene gewiß nicht lokalen Polizei-und Sicherheitsinstanzen, die diese Kundgebung zu genehmigen hatten, und auch einige der Initiatoren (als Antragsteller fungierte die Betriebsgewerkschaftsleitung des Berliner Ensembles) sich von dieser Kundgebung die Unterstützung des neu gewählten Staats-und SED-Chefs Krenz versprachen, ergab sich aus der Tatsache der polizeilichen Genehmigung ebenso wie aus Teilen der Rednerliste. Der Gedanke, eine Presse-und Demonstrationsfreiheit einfordernde Versammlung könne sich zugunsten von Krenz auswirken, der sich als langjähriger FDJ-Chef ins Bewußtsein der jungen Generation plastisch eingeschrieben hatte, wurde schon durch den ungeheuren Zustrom ad absurdum geführt, der sich einige Tage vorher angekündigt hatte; er zeigte an, daß hier eine unmittelbare Volksabstimmung über den Sekretärswechsel an der Spitze der SED und über die SED-Herrschaft schlechthin stattfinden würde, so daß nachmals von dem Versuch zuständiger Stellen zu hören war, den Leiter des Berliner Ensembles zwei Tage vorher zur Absage der Kundgebung zu veranlassen.

  16. Bei einem vom Deutschen PEN-Zentrum (Ost) am 13. November 1992 in der Berliner „Literaturwerkstatt“ veranstalteten Podiumsgespräch, dessen Protokoll in den „Gespräche“ -Band (s. Anm. 6) einging, erläuterte Heinz Kahlau: „Nach der Biermann-Ausbürgerung und dem Fortgehen der anderen Schriftsteller meinte man, eine SED-Parteigruppe des PEN installieren zu müssen. Und ich war als deren Sekretär vorgesehen. Im Gebäude des ZK wurde eine Versammlung aller SED-Mitglieder des PEN einberufen, und man wählte mich mehrheitlich. . .. Eine Zeitlang hatte ich diese Funktion inne, ohne daß es zu irgendwelchen Aktivitäten gekommen wäre. Eines Tages, nach dem Tode von Keisch, erfuhr ich von Kamnitzer, daß die Parteigruppe des PEN überflüssig wäre.“ (S. 185) Es hat also etwa sieben Jahre lang -von 1978 bis 1985 -pro forma auch eine organisierte SED-Parteigruppe im PEN-Zentrum gegeben. Auch Stephan Hermlin hat sich auf dem Berliner PEN-Forum vom November 1992 zu den „Fraktionssitzungen“ geäußert, „die vor den PEN-Mitgliederversammlungen abgehalten wurden“ (S. 204).

  17. So erreichten auf der Mitgliederversammlung des Jahres 1970 von 13 Zuwahlvorschlägen des Präsidiums (sie waren, wie die Akten des Zentrums ausweisen, vom ZK-Apparat genehmigt und der Ad-hoc-Parteigruppe zur Wahl empfohlen) nur sechs die erforderliche Mehrheit. Aus der Mitte der Versammlung kamen sieben weitere Vorschläge, von denen einer (Alfred Wellm) die Zwei-Drittel-Hürde nahm.

  18. In einem vom Deutschen PEN-Zentrum (Ost) 1992 veranstalteten und von Dieter Schlenstedt geleiteten öffentlichen Gespräch zwischen Friedrich Schorlemmer und Hermann Kant sprach der letztere von „unserer absoluten Unfähigkeit, mit der uns gegebenen oder von uns genommenen Macht umzugehen“, und fügte ein Bekenntnis zur neuen Ordnung hinzu, das das Auditorium mit „leisem Gemurmel“ quittierte: „Ich hoffe nur, daß es anderen, denen, die die demokratische Macht jetzt haben, beim Umgang mit ihr besser ergehen wird als mir. Und ich will sie sogar heftig darin unterstützen.“ („Gespräche“ [Anm. 6], S. 87)

  19. An dieser Stelle schleicht sich eine Fehlinformation in den Treffbericht des IMS Martin ein: Er vermeldet das Scheitern der Wahl.

  20. Wolfgang Harich, Der entlaufene Dingo, in: Sinn und Form, (1973) 1, S. 189-218. Siehe auch: Judith R. Scheid (Hrsg.), Zum Drama in der DDR: Heiner Müller und Peter Hacks, Stuttgart 1981.

  21. Wolfgang Harich, Keine Schwierigkeiten mit der Wahrheit. Zur nationalkommunistischen Opposition 1956 in der DDR, Berlin 1993, S. 252.

  22. Auf dem Berliner PEN-Forum vom 13. November 1995 hat Hermlin, der 1969 als PEN-Präsidiumsmitglied offenbar in einer zu schwachen Position war, um diese Mitgliedsemennung zu verhindern, ein Wort Gotsches zitiert, das -in der Parteigruppe des Schriftstellerverbands -wohl im Umkreis des 11. ZK-Plenums von 1965 fiel: „Ihr irrt euch alle ganz gewaltig, wenn ihr glaubt, daß wir jetzt den bürgerlichen, reaktionären und sonstigen Leuten hier bei uns in der DDR Freiheiten gestatten würden. Im Gegenteil, wir werden sie von nun an an der Mauer zerquetschen.“ („Gespräche“ [Anm. 6], S. 184 f.)

  23. Vgl. Friedrich Dieckmann, Der P. E. N., die Hochregale und die Utopie, in: ders., Glockenläuten und offene Fragen, Frankfurt am Main 1991, S. 246-265, und ders.. Starke Veränderungen, in: F. A. Z. vom 18. 5. 1995, S. 33.

  24. S. Wer war wer -DDR. Biographisches Lexikon. Berlin 1992, S. 217 f.

  25. Vgl. „Gespräche“ (Anm. 6), S. 206.

  26. Daß die Generationenablösung, die der DDR mißriet, in der westdeutschen Republik Anfang der siebziger Jahre politische Dynamik gewann, hatte damit zu tun. daß die Älteren, gegen deren Machtpositionen die Jugendrevolte antrat, eben nicht, wie großenteils in der DDR, aus Exil und Widerstands-kampf kamen, sondern aus dem Establishment der Hitlerzeit.

  27. Dies ist, wie sich herausstellt, nicht der Fall.

  28. Vgl. Friedrich Dieckmann, Temperatursprung, Frankfurt am Main 1995, S. 441 f.

Weitere Inhalte

Friedrich Dieckmann, geb. 1937; Schriftsteller und Publizist, lebt in Berlin-Treptow; 1972-76 Dramaturg am Berliner Ensemble; 1989/90 Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Buchveröffentlichungen u. a.: „Streifzüge“ (1977), „Theaterbilder“ (1979), „Richard Wagner in Venedig“ (1983), „Orpheus, eingeweiht“ (1983), „Hilfsmittel wider die alternde Zeit“ (1990), „Glockenläuten und offene Fragen“ (1991), „Die Geschichte Don Giovannis“ (1991), „Vom Einbringen“ (1993), „Wege durch Mitte“ (1995), „Dresdner Ansichten“ (1995), „Temperatursprung“ (1995).