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Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Ergebnisse einer Repräsentativerhebung | APuZ 48/1995 | bpb.de

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APuZ 48/1995 Immigration und Fremdenfeindlichkeit in Europa Staatliche und gesellschaftliche Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Ausländem in Westeuropa Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Ergebnisse einer Repräsentativerhebung Immigration und Fremdenfeindlichkeit in Italien Einwanderung, Rassismus und Xenophobie in Frankreich

Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Ergebnisse einer Repräsentativerhebung

Francis Hüsers

/ 18 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Obwohl Fremdenfeindlichkeit vor allem mit Blick auf die Gewalttaten gegen Ausländer öffentlich diskutiert wurde, ist sie nicht auf den kleinen Kreis der Täter aggressiv diskriminierender Handlungen beschränkt. Überdurchschnittlich starke fremdenfeindliche Haltungen lassen sich vielmehr bei gut 15 Prozent der Deutschen nachweisen. Allerdings drückt sich Fremdenfeindlichkeit unterschiedlich aus. So sind für den stark fremdenfeindlich eingestellten Teil der erwachsenen „Normalbevölkerung“ eher Ausdrucksformen typisch, die dem öffentlichen Leben meist verborgen bleiben: der Ruf nach staatlich durchgesetzter Repression von Minderheiten im Verbund mit der Vermeidung von persönlichem Kontakt zu diesen Gruppen. Als mögliche Ursache der aktuellen Fremdenfeindlichkeit ist insbesondere auf die dem allgemeinen sozialen Wandel innewohnende Individualisierung verwiesen worden, die zu Orientierungsdefiziten und einer Tendenz der „Ethnisierung sozialer Beziehungen“ geführt habe. So hilfreich solche Hypothesen für eine verantwortungsvolle Politik sind, eine ausreichend zuverlässige allgemeingültige Erklärung für Fremdenfeindlichkeit bieten sie nicht. Deutlichster Hintergrund einer an aktuellen Themen gemessenen Fremdenfeindlichkeit ist das Vorliegen einer ethnozentristisch-nationalistischen Grundhaltung und nicht einzelne Aspekte einer durch Modernisierungsprozesse verschlechterten Lebenssituation wie z. B. Arbeitslosigkeit. Maßnahmen zur Eindämmung von Fremdenfeindlichkeit sollten politisch-rechtliche Veränderungen, eine durchdachte sozialpädagogische Arbeit mit fremdenfeindlichen Jugendlichen sowie Neuansätze in der breit angelegten politischen Bildung umfassen.

I. Zur Thematisierung von Fremdenfeindlichkeit

In den Jahren nach der deutschen Vereinigung im Oktober 1990 wurde die Öffentlichkeit im In-und Ausland durch die plötzlich und unvermittelt überall in Deutschland massiv zunehmende Zahl gewalttätiger Ausschreitungen gegen Ausländer und als fremd wahrgenommene Personen aufgeschreckt. Insbesondere die bei diesen Greueltaten von den Tätern ausgeübte, in einigen Fällen bis zum Mord reichende Brutalität brachte die Vorfälle in die Schlagzeilen und in die öffentliche Diskussion. Von den Humanwissenschaften -vor allem Sozialwissenschaft, Psychologie und Politologie -wurden schnelle und griffige Erklärungen für diese Phänomene eingefordert, wobei zunächst eine Konzentration sowohl der öffentlichen Diskussion als auch der wissenschaftlichen Verlautbarungen auf den engen Kreis der meist jugendlichen, männlichen Täter zu bemerken war. Erst durch die Fernsehbilder einer Beifall klatschenden, dem Überfall auf ein Asylantenheim als Zuschauer beiwohnenden Menge, bestehend aus durch und durch „normalen“ Bevölkerungsteilen, wurde die Diskussion auf die Frage nach den fremdenfeindlichen Haltungen in der Gesamtbevölkerung ausgedehnt, vor deren Hintergrund -im buchstäblichen Sinne -die Unrechtstaten sich abzuspielen schienen. Gegen-demonstrationen, Lichterketten und öffentlich zelebrierte Beschwörungen des anderen, des „fremdenfreundlichen Deutschlands“ waren sodann der mehr oder minder hilflose Versuch, das wiederkehrende Bild vom „häßlichen Deutschen“ nur für eine Minderheit gelten zu lassen.

Will man der manifesten Fremdenfeindlichkeit in Deutschland jedoch wirksam begegnen, so sind die gewalttätigen Übergriffe gegen Ausländer auf ihren Zusammenhang mit den fremdenfeindlichen, aber nicht unbedingt aggressiv auffälligen Einstellungen bürgerlicher Bevölkerungsteile zu überprüfen. Dabei sind Vorsicht und Differenzierungsfähigkeit zu wahren. Einer nicht zulässigen, grob vereinfachenden Sicht zufolge sind die jugendlichen Täter fremdenfeindlicher Gewalt beispielsweise „nur“ die Vollstrecker des mutmaßlichen Volkswillens: An-gestachelt durch die latente Fremdenfeindlichkeit setzten sie nur das in brutale Praxis um, was eine nicht unbedeutend große Gruppe der Durchschnittsbevölkerung denke und was von etablierten Politikern z. B. in der Rede vom „Asylmißbrauch“ oder in ihrer Weigerung, die Bundesrepublik als Einwanderungsland zu definieren, verschlüsselt angedeutet werde. Im Hinblick auf die öffentlich geführte Diskussion über Fremdenfeindlichkeit und die von Politikern zu parteipolitischer Profilierung genutzten Themen mag diese Argumentation zwar bedenkenswert sein, zur Einleitung wirksamer Gegenmaßnahmen jedoch ist sie unbrauchbar, weil unzulässig pauschal. Denn einmal abgesehen davon, daß, wer sich diese Sichtweise zu eigen macht, Gefahr läuft, brutale Straftaten einzelner zu entschuldigen, blendet die „Vollstrecker-Hypothese“ den sozialen, psychologischen und biographischen Hintergrund der einzelnen Tat mittels Pauschalisierung aus und verhindert damit, daß brauchbare Ergebnisse der Tätergruppenforschung in eine präventive pädagogische Praxis zur Verhinderung manifest rechtsextremistischer Karrieren Jugendlicher umgesetzt werden. Die umgekehrte Denkrichtung ist vielmehr vonnöten: Um den Zusammenhang zwischen fremdenfeindlicher Gewalttat und dem weitgehend unauffällig bleibenden, fremdenfeindlich eingestellten Teil der Gesamtbevölkerung sinnvoll erfassen zu können, ist zunächst eine empirisch abgesicherte Bestimmung der entsprechenden Haltungen der Bevölkerung vorzunehmen. Die folgenden Darlegungen sollen einen Beitrag dazu leisten.

Aufgrund der oben angedeuteten gesellschaftlichen Situation in den unmittelbar auf die Wiedervereinigung folgenden Jahren führte das Kölner Institut für Massenkommunikation e. V. im Jahre 1993 in Zusammenarbeit mit dem Emnid-Institut, Bielefeld, eine gesamtdeutsche Repräsentativerhebung durch, um das Ausmaß fremdenfeindlicher Haltungen in der deutschen Bevölkerung zu be-stimmen und die mutmaßlichen Hintergründe der Fremdenfeindlichkeit mit sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden zu überprüfen. Die folgenden Darlegungen zur Fremdenfeindlichkeit der deutschen „Normalbevölkerung“ gründen sich im wesentlichen auf diese, mittlerweile in Buchform veröffentlichte Studie

II. Das Ausmaß von Fremden-feindlichkeit in der Bundesrepublik

Zur Erhebung eines sowohl an die aktuellen Themen der politischen Diskussion als auch an konkrete Alltagserfahrungen anschließenden Einstellungssyndroms, das als „Fremdenfeindlichkeit“ zu bezeichnen war, wurden 21 Fragen als mögliche Indikatoren fremdenfeindlicher Haltungen in den Fragebogen der mittels persönlicher Interviews durchgeführten Repräsentativbefragung eingefügt. Die über die gesamte Bundesrepublik gestreute Stichprobe umfaßte insgesamt 1398 Befragte ab 14 Jahren (983 in West-und 415 in Ostdeutschland). Durch die Beachtung der Prinzipien zur Streuung von Interviews sowie durch faktorielle Gewichtung der Ergebnisse wurde sichergestellt, daß die gewonnenen Daten repräsentativ sind für die Wohnbevölkerung mit deutscher Staatsangehörigkeit ab 14 Jahren.

Die als mögliche Indikatoren für Fremdenfeindlichkeit konstruierten Fragen bezogen sich auf fünf Themenbereiche: a) die Unzufriedenheit mit dem Zahlenverhältnis von Deutschen und Ausländern im Wohngebiet; b) die Vermeidung von Kontakten mit Ausländem; c) die Sympathien mit offen und aggressiv gegen Ausländer und als fremd wahrgenommene Personen gerichteten Aktionen;

d) die restriktive Forderung einer deutschen Ausländerpolitik (Asyl, ausländische Arbeitnehmer, deutschstämmige Aussiedler), mit der eine Verschlechterung des Status der ausländischen Bewohner Deutschlands verbunden wäre;

e) die große soziale Distanz zu verschiedenen, exemplarisch ausgewählten Nationalgruppen.

Bei der Auswertung der Ergebnisse wurde mit Hilfe statistischer Prüfverfahren zunächst aus insgesamt 21 möglichen Indikatoren eine Liste von 12 statistisch gültigen ausgewählt. Mit dieser Liste wurde ein auf Punktverteilung und Additionsverfahren beruhender „Index Fremdenfeindlichkeit“ erstellt, also ein nunmehr nur noch eindimensionales Merkmal, mit dem sich verschiedene Stärke-grade der zu untersuchenden Einstellung beschreiben ließen. Außerdem diente der Index bei der weiteren Auswertung zur Prüfung des Einflusses verschiedener anderer, soziodemographisch beschreibender oder erklärender Merkmale.

Aufgrund dieser Berechnungen ergaben sich folgende Anteilsmengen verschieden stark ausgeprägter Fremdenfeindlichkeit:

Insgesamt 15, 5 Prozent der Befragten waren als überdurchschnittlich stark fremdenfeindlich einzustufen, d. h., sie fielen aufgrund ihrer Antworten in die drei Gruppen mit der höchsten Punktzahl für Fremdenfeindlichkeit. Zur besseren Handhabung wurden die Gruppen verbal gekennzeichnet: -Eine „sehr starke Fremdenfeindlichkeit“ (höchste Punktzahl) fand sich bei nur einem Prozent der Befragten;

-eine „starke Fremdenfeindlichkeit“ bei 4, 2 Prozent; -eine „mittelhohe Fremdenfeindlichkeit“ bei 10, 3 Prozent.

Der insgesamt 84, 5 Prozent umfassende Anteil aller übrigen Befragten verteilte sich auf die mittleren und niedrigen Punktegruppen des Indexes. So waren 35, 3 Prozent aller Befragten als „etwas fremdenfeindlich“ einzustufen; 34, 5 Prozent als „kaum fremdenfeindlich“ und schließlich 14, 7 Prozent als „gar nicht fremdenfeindlich“. Wenn hier von Fremdenfeindlichkeit in verschiedener Ausprägung und unterschiedlichen Quantitäten die Rede ist, so ist damit stets die aus mehreren Aspekten sich zusammensetzende Haltung gemäß dem Index gemeint. Fremdenfeindlichkeit im hier vorgestellten Sinne bezieht sich somit auf folgende Aspekte: -auf eine von ethnischen Vorurteilen bestimmte, aktiv ausgrenzende soziale Distanz gegenüber den in Deutschland am stärksten diskriminierten Gruppen der Sinti und Roma, der Afrikaner, der Vietnamesen und der Türken;

-auf eine Sympathie für manifest aggressive Ausgrenzungshandlungen gegen Ausländer und vermeintlich Fremde (z. B.deutsche Juden oder Menschen dunkler Hautfarbe mit deutscher Staatsangehörigkeit), was von „Ausländer raus!“ -Rufen bis hin zum gewalttätigen Angriff auf fremd erscheinende Personen oder das Werfen von Brandbomben in Wohnungen von Ausländem reichen kann;

-auf eine subjektiv sowohl auf das Alltagsverhalten als auch auf die politisch zu entscheidenden Fragen der Ausländerpolitik bezogene Wahrnehmung von Ausländern in Deutschland als „Problem“

Schon die Tatsache, daß insgesamt nur etwa die Hälfte aller Befragten (49, 2 Prozent) als „kaum“ oder „gar nicht“ fremdenfeindlich einzustufen war, die andere Hälfte aber in -allerdings sehr wohl zu unterscheidenden Stärkegraden -tendenziell fremdenfeindliche Einstellungen hegte, macht auf den traurigen Umstand aufmerksam, daß die Ablehnung von Fremden in der Tat für einen großen Teil der bundesdeutschen Gesellschaft -wie im übrigen auch in anderen europäischen Ländern -„normal“ ist. Das Ergebnis beleuchtet dabei auch den von den Sozialwissenschaften in verschiedenen Zusammenhängen als „Zerrissenheit“ diagnostizierten Zustand unserer Gesellschaft, wenn der eine Teil der Deutschen sich bewußt als „Fremdenfreunde“ versteht, der andere demgegenüber fremdenfeindliche Haltungen offen vertritt. Am Thema des Umgangs der Deutschen mit Ausländem und vermeintlich Fremden wird u. a. die in anderen Zusammenhängen als „Struktur gegenseitigen Nichtverstehens“ bezeichnete Situation unserer Gesellschaft deutlich. Um das konfliktreiche Auseinanderdriften gesellschaftlicher Großgruppen einzudämmen, sind integrative Konzepte gefordert, die mit der Gleichzeitigkeit von Differenz und Identität umgehen. So wäre eine Vorstellung von Gesellschaft wünschenswert, die Unterschiede und Andersartigkeiten nicht ideologisch zu verdrängen oder zu verschleiern sucht, sondern sie bewußt aufnimmt, schätzt und respektiert, gleichzeitig aber aus der Erkenntnis des ihr innewohnenden Pluralismus eine einheitsstiftende Kraft der Toleranz entwickelt. Inwieweit beispielsweise das Konstrukt der Europäischen Union solcherart Identifikationsangebote einer Einheit in der Vielfalt ermöglichen wird oder aber ob sich hier im besten Fall nur eine Verlagerung der Problematik von der nationalstaatlichen Ebene auf das Territorium der „Festung Europa“ ergeben wird, bleibt abzuwarten.

Die für einen Großteil aller Deutschen bis zu einem gewissen Grad leider als normal anzusehenden fremdenfeindlichen Einstellungen sind im übrigen in allen soziodemographischen, nach Merkmalen wie Geschlecht, Alter oder Einkommen gebildeten Gruppen der Gesellschaft anzutreffen. So konnte in der genannten Studie auch festgestellt werden, daß die Ausländer und vermeintlich Fremde diskriminierenden Haltungen keineswegs ein altersspezifi­ sches Problem darstellen, sondern in allen Altersgruppen vorzufinden sind. Ähnlich verhält es sich hinsichtlich des Geschlechts: Frauen und Männer sind im Durchschnitt ähnlich häufig und ähnlich stark fremdenfeindlich eingestellt. Der bei organisationszentrierten Rechtsextremismus-Studien, bei der Wahlforschung und bei der Tätergruppenforschung fremdenfeindlicher Gewalttaten immer wieder auffallende Männerüberhang darf demnach nicht dahingehend interpretiert werden, als seien Mädchen und Frauen -etwa aufgrund der geschlechtsspezifischen Sozialisation oder ihrer immer noch benachteiligten Lebenssituation in der patriarchalischen Gesellschaft -in irgendeiner Weise „immun“ gegen die Übernahme rechtsextremistischer Weltbilder oder die Ausbildung fremdenfeindlicher Haltungen Daß die Mitglieder rechtsextremistischer Organisationen und die Täter fremdenfeindlicher Gewaltakte meist Männer sind und auch die Wählerschaft der Republikaner sich stets zum größeren Teil aus Männern zusammensetzt, verweist wohl lediglich darauf, daß die geschlechtsspezifische Sozialisation in unserer Gesellschaft dem Mann immer noch stärker als der Frau aktive, nach außen gerichtete bzw. bewußt als „politisch“ wahrgenommene Ausdrucksweisen der persönlichen Einstellungen nahelegt. Alltägliche und der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verborgen bleibende Ausgrenzungen von Ausländem und vermeintlich Fremden sowie die ihnen zugrundeliegenden Haltungen sind jedenfalls bei Frauen und Männern in Deutschland in etwa gleich häufig anzutreffen.

Auch unter dem Merkmal des Einkommens der Befragten ließen sich keine wesentlichen statistischen Unterschiede feststellen, was bedeutet, daß fremdenfeindliche Haltungen in allen Einkommens-gruppen in etwa gleich häufig Vorkommen.

Hinsichtlich der Unterscheidung nach West-gegenüber Ostdeutschland ließ sich zwar ein geringfügig höherer Anteil stärkerer Fremdenfeindlichkeit unter den Ostdeutschen feststellen (von den West-Befragten waren insgesamt 14, 6 Prozent in die Gruppen überdurchschnittlich hoher Fremden-feindlichkeit einzustufen, von den Ost-Befragten 19 Prozent), der Unterschied rechtfertigt es jedoch keineswegs, die Verbreitung fremdenfeindlicher Einstellungen als ein speziell ostdeutsches Problem anzusehen.

III. Typische Ausdrucksformen von Fremdenfeindlichkeit: Gewaltdelegation und Kontaktvermeidung

Fügt man die Beobachtungen verschiedener mit Fremdenfeindlichkeit in Zusammenhang stehender Phänomene, wie sie von der Tätergruppenforschung, den Wahlanalysen und der Vorurteils-forschung vorgelegt werden, zu einem Bild zusammen, so lassen sich theoretisch verschiedene Muster der Ausdrucksformen von Fremdenfeindlichkeit konstruieren. Sie unterscheiden sich danach, wie stark die fremdenfeindliche Einstellung und/oder Aktivität öffentlich auffällig wird. Die aktive und aggressive Diskriminierung von Ausländern und vermeintlich Fremden, wie sie sich im Extrem in den gewalttätigen Überfällen auf Ausländer (und deren Wohnungen) zeigt, macht stets nur den kleinsten Anteil der Erscheinungsformen von Fremdenfeindlichkeit aus. Ihr gegenüber stehen die der Öffentlichkeit weitgehend verborgen bleibenden Ausdrucksformen, bei denen fremden-feindliche Haltungen sich etwa in der Forderung nach staatlich durchgesetzter Repression von Minderheiten äußert. Als ein Beispiel für einen zwischen betont aktivem und vorwiegend unauffälligem Verhalten liegenden Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit ist die Wahl einer rechtspopulistischen Partei anzusehen, die -wie z. B. Die Republikaner -fremdenfeindliche Ressentiments gezielt programmatisch aufgreift.

Obwohl die fremdenfeindlichen Greueltaten einer rechtsextremistischen Minderheit gerade in Deutschland besonders aufschrecken lassen, weil sie vor dem Hintergrund der Geschichte eine deutliche Provokation der auf betonte Abgrenzung zum deutschen Faschismus sich gründenden demokratisch-pluralistischen Gesellschaft darstellen, sind dennoch eher unauffällige Ausdrucksformen von Fremdenfeindlichkeit weitaus typischer. So ließ sich in der genannten Studie zur Fremdenfeindlichkeit der deutschen Bevölkerung ein Zusammenhang zwischen einer steigenden Bereitschaft zu illegalen und/oder gewalttätigen Handlungen einerseits und den zunehmend stärkeren Graden von Fremdenfeindlichkeit nicht ausmachen. Die stark fremdenfeindlich eingestellten Personen waren nämlich zu ähnlich vielen bzw. wenigen illegalen oder gewalttätigen Handlungen zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele bereit wie die Personen mit kaum oder gar nicht fremdenfeindlichen Grundhaltungen

Da Fremdenfeindlichkeit, Ethnozentrismus und Nationalismus, wie schon die frühen sozialpsychologischen Studien nahelegen, stets mit einem Hang zum Autoritarismus, also zur Unterordnung unter die Herrschaft einer einzelnen Person oder einer kleinen Gruppe, verbunden zu sein scheinen, ist der Ruf nach dem „starken Staat“ deutlich häufiger verbreitet als die auffällige und gewalttätige Ausgrenzungshandlung. In den politischen Forderungen stark fremdenfeindlich eingestellter Personen drückt sich deshalb häufig der Wunsch zur Delegation von repressiver Gewalt gegen Minderheiten an die anonymen Institutionen des Staates aus, beispielsweise in Form der Forderung, alle in Deutschland lebenden ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien in ihre Heimatländer zurückzuschicken; dafür sprachen sich in der genannten Studie fünf Prozent aller Befragten aus

Das Pendant zur Delegation der Gewalt auf dem politisch-öffentlichen Sektor ist im privaten Bereich die Vermeidung sozialer Kontakte zu Ausländern und vermeintlich Fremden. So zeigte sich im Rahmen der genannten Repräsentativerhebung, daß Personen mit überdurchschnittlich stark fremdenfeindlichen Einstellungen den Kontakt zu Ausländern in ihrem Alltag bewußt zu umgehen suchen. Und auch umgekehrt liegt hier ein Zusammenhang vor, denn Befragte, die „zufällig“ oder „unfreiwillig“ in ihrem Alltag kaum Kontakt zu Ausländern hatten, waren im Durchschnitt etwas stärker fremdenfeindlich eingestellt als Personen, die in ihren Arbeitszusammenhängen (z. B. als Kollegen) oder im Wohnumfeld (z. B. als Nachbarn oder bei der Freizeitgestaltung) mit Ausländern in Kontakt standen Das läßt sich dahingehend interpretieren, daß zumindest dort, wo fremdenfeindliche Ressentiments (noch) nicht mit einem komplexen, rechtsextremistisch orientierten Weltbild Zusammenhängen, Vorurteile und aus-grenzende Haltungen gegenüber Fremden durch alltäglichen Kontakt gemindert werden können. Andererseits aber führt eine multikulturelle Alltagssituation dort, wo Fremdenfeindlichkeit Bestandteil einer gefestigten ethnozentristischnationalistischen Grundhaltung ist, zur bewußten Vermeidung von Kontakt und auf diesem Wege zur permanenten Bestätigung bestehender Vorurteile. Solange ethnozentristisch-nationalistische Weltbilder nicht durch extreme Krisenentwicklungen an Popularität gewinnen -und das bedeutet umgekehrt: solange soziale Konfliktlinien nicht aufgrund kollektiver Weltbilder eine „Ethnisierung“ erfahren -, werden wohl alle Maßnahmen, die Kontakte zwischen Deutschen und Ausländern, Majorität und Minorität fördern, tatsächlich geeignet sein, fremdenfeindliche Haltungen abschwächen zu helfen.

IV. Erklärende Hintergründe von Fremdenfeindlichkeit

Bei der Diskussion möglicher Ursachen der aktuellen rechtsextremistisch-fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Deutschland sind von den Sozialwissenschaften Stichwörter wie „Individualisierung“, „Wandel der Strukturen der sozialen Ungleichheit“ und „Ethnisierung von Konfliktlagen“ eingebracht worden, wobei außerdem der deutschen Wiedervereinigung eine wenigstens symbolische Rolle als auslösendes historisches Datum zugesprochen wurde, da mit ihr einige gesellschaftliche Problemlagen und Widersprüche in besonderer Weise zutage traten. Die genannten Stichwörter beziehen sich alle auf Aspekte eines übergreifenden gesellschaftlichen Wandels, wie er mit mehr oder minder großer Einhelligkeit von Soziologen als aktuell sich vollziehende „Modernisierung der Moderne“ beschrieben wird.

Mit Individualisierung ist hier ein gesellschaftlicher Entwicklungsprozeß gemeint, in dessen historischem Verlauf die Individuen zunehmend aus traditionellen Bindungen (Familie, Stand, Klasse, Schicht) herausgelöst und einem „Wahlzwang“ zur Gestaltung ihrer Lebensverläufe und Lebenssituationen unterworfen werden Individualisierung vollzieht sich sowohl in normativer („Wertewandel“) als auch materiell-struktureller Hinsicht. Als faktisch-materielles Indiz für die weiter zunehmende Individualisierung kann beispielsweise auf die kontinuierlich sinkende Zahl der durchschnittlich in einem Haushalt zusammenlebenden Personen verwiesen werden, als strukturelles Indiz auf die zunehmend individualisiert vollzogene sozial-staatliche Behandlung von Problemlagen wie Arbeitslosigkeit oder Armut. Bezüglich des Wertewandels schließlich wäre exemplarisch der Bedeutungsverlust der Zugehörigkeit zu den ehemals Sozialprestige gewährenden Großgruppen wie Klassen oder Schichten und ihrer Statussymbole zu nennen. An ihre Stelle ist eine sich in Betonung des Lebensstils und in bestimmten Konsumgewohnheiten ausdrückende Individualität getreten, die ihrerseits wiederum mit erhöhter Ästhetisie-rung alltäglicher Handlungsabläufe und gestiegener Erlebnis-, Freizeit-oder Selbstverwirklichungsorientierung zusammenzugehen scheint. Individualisierung bedeutet so gleichermaßen Freisetzung und Erhöhung der Möglichkeiten wie auch die Gefahr der Orientierungslosigkeit. Einzelne Ansätze der Jugendforschung zum Rechtsextremismus gehen denn auch davon aus, daß der mit der Individualisierung verknüpfte Orientierungsverlust jungen Menschen im Prozeß des Identitätsaufbaus abweichende oder gar extremistische Symbolisierungen und Lebensverläufe nahelegen kann

Die Wahrnehmung einer veränderten Struktur der sozialen Ungleichheit in unserer Gesellschaft bezieht sich zum einen auf die in Teilbereichen beobachtbare Verschärfung sozialer Gegensätze, festgemacht beispielsweise daran, daß immer mehr Menschen in Deutschland unter die Armutsgrenze fallen während sich gleichzeitig die allgemeine Tendenz zur Wohlstandsvermehrung fortsetzt. Zum anderen hat sich soziale Ungleichheit für den einzelnen ausgeweitet und individualisiert: Neben die klassischen Dimensionen (Besitz; Sozialprestige, soziale Absicherung) sind „neue“ Dimensionen wie Arbeits-und Freizeitbedingungen, Chancen zur politischen Partizipation, Kommunikation usw. getreten, deren Auswirkungen und individuelle Wichtigkeit sich nicht mehr im Rahmen herkömmlicher Schicht-oder Klassenmodelle beschreiben lassen

Mit dem Begriff der Ethnisierung sozialer Beziehungen schließlich ist ein Prozeß gemeint, in dessen Verlauf vermeintlich untrügliche ethnische Merkmale (Hautfarbe und kulturell geprägtes Erscheinungsbild, Sprache, ausgewiesene Staatsangehörigkeit etc.) in einer faktisch multikulturellen Situation oder bei deren ängstlicher Antizipation zunehmend als Symbolisierungen von Unterschieden zwischen „Eindringlingen“ und rechtmäßig „Angestammten“ herangezogen werden Die Ethnisierung sozialer Beziehungen wird dabei als Voraussetzung für eine aktive Diskriminierung von Ausländern und vermeintlich Fremden gesehen, die dazu dient, den Verunsicherungen und Bedrohungen der eigenen Existenz einen Ausgleich zu verschaffen. Mit Bezug auf diese soziologischen Thesen ist dann im Hinblick auf frem­ denfeindliche Straftäter beispielsweise von „Modernisierungsverlierern“ die Rede, deren Gewalt-taten sich als individuelle Reaktion auf die orientierungslose und konfliktbeladene Lebenssituation im Zeichen dieser Wandlungsprozesse verstehen lassen.

In der Tat sind solche Erklärungsansätze in zweierlei Hinsicht beachtenswert: Zum einen können sie bei der Analyse fremdenfeindlicher Straftaten Hinweise zur individuellen Erklärung der Tat liefern, d. h., ihr Erklärungspotential ist in sozialpsychologischer und biographisch orientierter Perspektive durchaus auf konkrete Personen zu beziehen. Zum anderen sollten die angedeuteten Erklärungsansätze bei der Entwicklung gesamtgesellschaftlich greifender, staatlicherseits zu initiierender Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit bedacht werden. Denn angesichts des ablaufenden sozialen Wandels scheint eben nicht eine weitere Orientierung gesellschaftspolitischen Handelns am Prinzip von Deregulierung und Ausgrenzung gefordert, sondern eine verantwortungsvolle und bewußte Gestaltung sich vollziehender Prozesse. Als unmittelbar mit Fremdenfeindlichkeit zusammenhängendes Beispiel für eine Politik des behutsamen Eingreifens ist die Notwendigkeit zu nennen, die faktisch schon heute zumindest in den Ballungsgebieten bestehende Multikulturalität der Bundesrepublik staatsbürgerlich und politisch nicht länger zu verleugnen, sondern endlich gestaltend ernst zu nehmen: Eine Reform der am ethnischen Abstammungsprinzip („Ius sanguinis“) orientierten Definition „deutscher Volkszugehörigkeit“, die Zulassung von Doppelstaatsbürgerschaften, die Regelung des Zuzugs von Einwanderern und schließlich auch eine Neudefinition der „Nation“, die nicht mehr auf den nebulösen Begriff des Volkes, sondern auf die Gemeinschaft im demokratisch-pluralistischen Rechtsstaat verweisen sollte, sind zentrale Themen des hier anstehenden Handlungsbedarfs. Eine ebenso starke Notwendigkeit zum gestaltenden Eingriff ergibt sich hinsichtlich der wenigstens mittelbar mit Fremden-feindlichkeit verbundenen Bereiche der Wirtschafts-, Sozial-und Wohnungspolitik.

So wichtig die Beachtung von auf den sozialen Wandel verweisenden Erklärungshypothesen zur manifesten Fremdenfeindlichkeit in beiden genannten Richtungen aber auch immer ist -das Phänomen läßt sich dennoch nicht auf einfache und griffige Einzelaspekte dieser Wandlungsprozesse reduzieren. Sowohl aggressiv-auffällige als auch öffentlich unauffällig bleibende Fremden-feindlichkeit ist ursächllich und vollständig eben nicht mit einzelnen Auswirkungen von Modemisierungs-und Umstrukturierungsprozessen sowie damit verbundenen Orientierungsverlusten zu erklären. Ein sinnfälliges Beispiel hierfür liefert die auch von der rechtspopulistischen Propaganda für ihre Zwecke immer wieder thematisierte Arbeitslosigkeit. Bei der erwähnten Repräsentativerhebung zur Fremdenfeindlichkeit konnten keinerlei nennenswerte Verbindungen zwischen Berufstätigkeit, Berufszufriedenheit, Ausbildungsabbrüchen, drohender und manifester Arbeitslosigkeit einerseits und den stärkeren Graden fremdenfeindlicher Haltungen nachgewiesen werden wie es gemäß der populären These, Fremdenfeindlichkeit ließe sich auf die reale oder phantasierte Konkurrenz von Deutschen und Ausländern auf dem Arbeitsmarkt zurückführen, zu erwarten gewesen wäre.

Letztlich gewähren die mit Modemisierungs-bzw. Individualisierungsprozessen argumentierenden Erklärungshypothesen zur Fremdenfeindlichkeit und/oder zum Rechtsextremismus eine zu wenig zuverlässige Vorhersagbarkeit. Sie können nicht in allgemeingültiger Weise erklären, warum zwei Individuen in gleichen bzw. ähnlich von Individualisierung und Orientierungsverlust gekennzeichneten Lebenssituationen völlig unterschiedliche Entwicklungsverläufe einschlagen. Rechtsextremistische Handlungsorientierungen stellen da nur eine unter vielen Möglichkeiten dar, Überangepaßtheit, Drogenkonsum oder auch linksterroristische Radikalisierungen wären Beispiele für andere Wege, die vor dem Hintergrund der Individualisierungsthese ebenso plausibel sind.

Von allen der bei der erläuterten Studie auf ihren hemmenden oder fördernden Einfluß auf Fremdenfeindlichkeit geprüften Merkmalen erwies sich denn auch das Vorliegen einer deutlich ethnozentristisch-nationalistisch geprägten Grundeinstellung als das einzige im statistischen Sinne signifikant mit Fremdenfeindlichkeit korrelierende Merkmal Obwohl also einzelnen Merkmalen der Lebenssituation oder der Person, wie z. B.dem vorhandenen Kontakt zu Ausländern oder dem Grad der erreichten Bildung, durchaus ein gewisser Einfluß auf die Stärke der fremdenfeindlichen Haltung beizumessen war, war die Einflußkraft aller geprüften Zusammenhänge stets schwächer als die einer untergründig vorhandenen ethnozentristisch-nationalistischen Orientierung. Und deren Ursachen wären wiederum nur mittels tiefer greifender sozialpsychologischer Hypothesen wie der von der „autoritären Persönlichkeit“ in Verbindung mit nationalhistorischen Entwicklungen und entsprechenden Sozialisationserfahrungen zu erklären. Mit dem erläuterten Ergebnis bestätigt sich auch die bereits angedeutete Annahme, daß eine an aktuellen Fragen gemessene Diskriminierung von Ausländern und vermeintlich Fremden stets dort am stärksten in Erscheinung tritt, wo bereits in komplexe Weltbilder integrierte Ausgrenzungsmechanismen existieren. Die Inhalte dieser Weltbilder sind dabei selbstverständlich gruppen-spezifisch. So wurde das Vorhandensein einer ethnozentristisch-nationalistischen Grundhaltung als wichtigster Erklärungshintergrund aktueller Fremdenfeindlichkeit in Deutschland bei der erwähnten Repräsentativerhebung mit Hilfe von skalierten Listen positiv und negativ formulierter Aussagen erhoben. Die Auswertung ließ diesbezüglich einen Anteil von 15 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung mit einem stark nationalistisch-ethnozentristisch ausgerichteten Weltbild errechnen. Als konkrete Inhalte dieser Grund-orientierung konnten drei Hauptaspekte isoliert werden: a) der irrationale Glaube an die kulturelle Überlegenheit Deutschlands und „der Deutschen“; b) der irrationale Glaube an die Existenz national oder ethnisch begründeter Unterschiede zwischen Menschen, die somit eine pauschale Höherbewertung der eigenen „Ethnie“ (des eigenen „Volkes“) und entsprechende Abwertungen fremder Ethnien subjektiv möglich machen; c) die mit dem Hinweis auf die deutsche Wirtschaftskraft gerechtfertigte Höherbewertung Deutschlands und ein daraus abgeleiteter Führungsanspruch Deutschlands über andere Länder -eine Art Nationalstolz mithin, den man als Wirtschaftschauvinismus bezeichnen könnte.

V. Gegenmaßnahmen

Was die Frage nach wirksamen Gegenmaßnahmen zur aktuellen Fremdenfeindlichkeit in Deutschland angeht, so betonen die geschilderten Zusammenhänge die schon angesprochene Notwendigkeit einer bewußten sozialstrukturellen Gestaltung gesellschaftlicher Wandlungsprozesse, insbesondere in den Bereichen des Staatsbürgerrechts, der Im-migration sowie der Wirtschafts-, Sozial-und Wohnungspolitik. Darüber hinaus verdeutlichen die Daten zu den nationalistisch-ethnozentristischen Grundorientierungen als Hintergründe aktueller Fremdenfeindlichkeit die Unverzichtbarkeit breit angelegter Maßnahmen der politischen Bildung. Diesbezüglich ist allerdings kritisch zu fragen, inwieweit das klassische Instrumentarium einer an schulischen Lernprozessen orientierten politischen Bildung allein heute noch erfolgreich gegen die Ausbildung fremdenfeindlicher Einstellungen wirksam werden kann. So ist von verschiedenen Seiten bereits darauf hingewiesen worden daß aufgrund des mit dem Nachwachsen der Nachkriegsgenerationen verbundenen Schwundes von persönlichen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus auch eine Tendenz zur „Historisierung“ des deutschen Faschismus eingesetzt hat, die im Extrem bis zum Geschichtsrevisionismus und zur Wendung von der „Auschwitzlüge“ reichen kann. Bloß intellektuelle, auf historisches Faktenwissen konzentrierte Aufklärung hat dieser Gefahr kaum etwas entgegenzusetzen.

Des weiteren ist die wohl in besonderer Weise auf Deutschland zutreffende Problematik der Faschismus-Tabuisierung zu bearbeiten. Denn auch aufgrund der proklamativen Ächtung der nationalsozialistischen Ideologie und ihrer Symbole, die in beiden ehemaligen deutschen Teilstaaten nach 1945 die offizielle politische Bildung bestimmt hat, ergibt sich heute, daß diese Symboltradition und die mit ihr verknüpften Diskriminierungshandlungen gesellschaftlich besonders provokativ wirken. Sie können deshalb eine gefährliche Attraktivität für junge Menschen beinhalten, die nach Symbolisierungen für eine Abgrenzung gegenüber einer inhaltslos in Wahlritualen erstarrten, kaum noch glaubhaft wirkenden politisch-demokratischen Öffentlichkeit suchen.

Statt sich auf eine plakative Ausgrenzung faschistischer Symbolisierungen und/oder fremdenfeindlicher Diskriminierungen zu beschränken, sind deshalb pädagogische Konzepte gefragt, die Ansätze einer „akzeptierenden Jugendarbeit“ mit rechtsextremistischen jungen Menschen mit der Tradition einer auf demokratische Wertorientierungen abzielenden politischen Bildung zu verknüpfen verstehen. Wie die Erfahrungen mit den ersten Ansätzen einer sozialpädagogischen Betreuung rechtsextremistischer Jugendlicher sowie mit der entsprechenden Präventionsarbeit zeigen ist diese schwierige Gratwanderung -wenn überhaupt -nur von Menschen zu leisten, die in der Lage sind, auch die eigenen Vorurteile und Orientierungsmuster zu reflektieren, um den Jugendlichen als glaubhafte Persönlichkeiten begegnen zu können. Bloße Lippenbekenntnisse im Sinne der „political correctness“ jedenfalls wirken wohl eher kontraproduktiv.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe z. B.: Helmut Willems/Stefanie Würtz/Roland Eckert, Fremdenfeindliche Gewalt. Eine Analyse von Täter-strukturen und Eskalationsprozessen, hrsg. vom Bundesministerium für Frauen und Jugend, Bonn 1993; Wilhelm Heitmeyer, Rechtsextremistische Orientierungen von Jugendlichen, Weinheim-München 19924; ders. u. a., Die Bielefelder Rechtsextremismus-Studie, Weinheim 1992; An-nette Streeck-Fischer, „Geil auf Gewalt“. Psychoanalytische Bemerkungen zu Adoleszenz und Rechtsextremismus, in: Psyche, 46 (1992) 8, S. 745-768.

  2. Alphons Silbermann/Francis Hüsers, Der „normale“ Haß auf die Fremden. Eine sozialwissenschaftliche Studie zu Ausmaß und Hintergründen von Fremdenfeindlichkeit in Deutschland, München 1995.

  3. Für genaue Angaben zur Methodik und den Einzelergebnissen vgl. A. Silbermann/F. Hüsers (Anm. 2), S. 20-42.

  4. Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt am Main 19922, S. 364.

  5. Vgl. z. B. Klaus-Peter Schmid, Europa wird zur Festung ausgebaut, in: Die Zeit, Nr. 24 vom 11. Juni 1993, S. 8.

  6. Zur Diskussion dieser Aspekte siehe: Ursula Birsl, Frauen und Rechtsextremismus, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, B 3-4/92, S. 22-30; Cornelia Lohmeier, Wie immun sind Mädchen gegen Rechtsextremismus?, in: deutsche jugend, 43 (1991) 1, S. 33-38; Gertrud Silier, Junge Frauen und Rechtsextremismus. Zum Zusammenhang von weiblichen Lebenserfahrungen und rechtsextremistischem Gedankengut, in: ebd., S. 23-32.

  7. Vgl. A. Silbermann/F. Hüsers (Anm. 2), S. 92-97.

  8. Vgl. Theodor W. Adorno, Studien zum autoritären Charakter, Frankfurt am Main 1973.

  9. Vgl. A. Silbermann/F. Hüsers (Anm. 2), S. 24.

  10. Vgl. ebd., S. 60-63.

  11. Vgl. Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main 1986; ders., Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung, Frankfurt am Main 1993.

  12. Vgl. die Arbeiten von W. Heitmeyer (Anm. 1).

  13. Vgl. Walter Ftanesch u. a., Armut in Deutschland. Der Armutsbericht des DGB und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Reinbek bei Hamburg 1994.

  14. Vgl. Stefan Hradil, Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen Gesellschaft, Opladen 1987; Peter A. Berger/Stefan Hradil (Hrsg.), Lebenslagen, Lebensläufe, Lebens-stile, Göttingen 1990.

  15. Vgl. Hans-Gerd Jaschke, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Begriffe, Positionen, Praxisfelder, Opladen 1994, S. 90-99.

  16. Vgl. A. Silbermann/F. Hüsers (Anm. 2), S. 67-75.

  17. Vgl. ebd., S. 85-91.

  18. Th. W. Adorno (Anm. 8).

  19. Vgl. u. a. H. -G. Jaschke (Anm. 15), S. 161-171.

  20. Vgl. Karl-Heinz Heinemann/Wilfried Schubarth (Hrsg.), Der antifaschistische Staat entläßt seine Kinder. Jugend und Rechtsextremismus in Ostdeutschland, Köln 1992; Kursbuch 113, Deutsche Jugend, Berlin, September 1993; Klaus Farin/Eberhard Seidel-Pielen, Skinheads, München 1993.

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Francis Hüsers, M. A., Dipl. -Soz. päd., geb. 1960; Studium der Soziologie, Germanistik und Anglistik in Köln sowie der Sozialpädagogik in Mönchengladbach; Projektleiter sozialwissenschaftlicher Forschungsprojekte am Kölner Institut für Massenkommunikation e. V. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Alphons Silbermann) Ein verpöntes Vergnügen. Eine soziologische Studie zu Automaten-spielen in Deutschland, Düsseldorf 1993; (zus. mit Alphons Silbermann) Der „normale“ Haß auf die Fremden. Eine sozialwissenschaftliche Studie zu Ausmaß und Hintergründen von Fremdenfeindlichkeit in Deutschland, München 1995; (zus. mit Almut König) Bisexualität, Stuttgart 1995.