I. Das Ausgangsproblem: Soziale Ungleichheiten und Diskriminierungen von „Ausländern“
Die westeuropäischen Länder haben sich in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund der Zuwanderung und dauerhaften Niederlassung von Arbeitsmigranten, Migranten aus ehemaligen Kolonien, Flüchtlingen und deren Familienangehörigen faktisch zu multikulturellen Einwanderungsgesellschaften entwickelt Die Lebenssituation der zugewanderten Bevölkerungsgruppen ist in der Regel durch erhebliche soziale Ungleichheiten gekennzeichnet Diese lassen sich nicht allein auf subjektive „Defizite“ der Immigranten zurückführen. Sie ergeben sich auch nicht ausschließlich als automatische Folge technologischer Veränderungen und wirtschaftlicher Rezessionen, von denen die „Gastarbeiter“ in besonderer Weise betroffen sind. Eine nicht unbedeutende Rolle spielen auch Entscheidungsprozesse und Verhaltensweisen in Form von Diskriminierungen. Diese sind nicht identisch mit Unterscheidungen oder Auswahlentscheidungen jeglicher Art; vielmehr handelt es sich hierbei um Ungleichbehandlungen, die Gleichheits-und Gleichbehandlungsgrundsätzen widersprechen und eine Benachteiligung bzw. Bevorzugung zum Ziel oder zur Folge haben Je nach Art und Intensität kann Diskriminierung beabsichtigt oder unbeabsichtigt, offenkundig oder versteckt" und unmittelbar oder mittelbar sein Ermöglicht wird sie grundsätzlich durch ein Machtungleichgewicht zwischen Urheber und Objekt Dabei kann es sich um eine staatliche oder um eine gesellschaftliche Machtposition handeln. Von daher ist zu unterscheiden zwischen einer institutioneilen bzw. staatlichen Diskriminierung, die vom Gesetz oder von staatlichen Einrichtungen ihren Ausgangspunkt nimmt, und einer gesellschaftlichen Diskriminierung, die von einzelnen Personen oder sozialen Gruppen getragen wird.
Vor diesem Hintergrund wird in Westeuropa seit einigen Jahren unter wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten über die Frage diskutiert, wie die vielfältigen Diskriminierungen, die die Lebenssituation von Migranten prägen, präventiv verhindert oder wirksam abgebaut werden können Schlüssige Antworten auf diese Frage sind nicht leicht zu finden, da diese Phänomene komplexen Charakter haben. Ein erfolgreiches Vorgehen ist daher weder von einem einzelnen „Patentrezept“ (z. B. in Form des Strafrechts) noch von einem „schwärmerischen Antirassismus“ zu erwarten. Aussichtsreicher erscheint eine kombinierte Strategie, die verschiedene Maßnahmen umfaßt, auf mehrere gesellschaftliche Bereiche bezogen ist und von sozialen Akteuren sowohl „von oben“ wie auch „von unten“ getragen wird
In den folgenden Überlegungen wird dieser Fragestellung und Ausgangsthese nachgegangen. Zunächst werden grundlegende rechtliche Normen und gesellschaftspolitische Gesichtspunkte erläutert, die für die Durchführung von besonderen Antidiskriminierungsmaßnahmen sprechen. Dann wird aufgezeigt, wie die auf diese Problematik bezogenen Politiken durch den jeweiligen historischen und sozialen Kontext geprägt werden. Im Anschluß daran werden verschiedene, in westeuropäischen Ländern realisierte oder geplante Antidiskriminierungsmaßnahmen auf staatlicher und gesellschaftlicher Ebene erläutert, wobei auch auf damit verbundene Probleme und Kontroversen hingewiesen wird
II. Begründungen und Zielsetzungen von Antidiskriminierungsmaßnahmen
Relevant für Maßnahmen, die auf den Abbau von sozialen Ungleichheiten und Diskriminierungen gerichtet sind, sind sowohl rechtliche Normen als auch gesellschaftspolitische Zielsetzungen. Zu den rechtlichen Normen, die als verpflichtende Leitbil-der vor allem für staatliche Antidiskriminierungspolitiken besondere Bedeutung haben, sind insbesondere die folgenden zu zählen
1. Menschenwürde, Menschenrechte und Rechtsstaatsprinzip: Nach dem Grundsatz der Menschenwürde hat jeder Mensch eine angeborene und unverlierbare Würde; diese Eigenschaft macht seine Persönlichkeit aus und kommt in der Fähigkeit zur Selbstbestimmung und Selbstgestaltung in der Koexistenz mit anderen Menschen zum Ausdruck. Diese Würde darf weder von staatlicher noch von nichtstaatlicher Seite angetastet werden. Für staatliche Gewalten enthält das Prinzip der Menschenwürde eine zweifache Verpflichtung: erstens die Verpflichtung zur Unterlassung jeder Beeinträchtigung der Würde, und zweitens das Gebot eines positiven Handelns in den Fällen, in denen die menschliche Würde durch nichtstaatliche Akteure beeinträchtigt oder bedroht wird. Mit der rechtlichen Verankerung dieses Leitbildes gehen ein Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten und eine Bindung der staatlichen Gewalten an diese Rechte einher. Diese Unterwerfung der gesamten Staatsgewalt unter das (demokratisch zustandegekommene) Recht stellt den Kern des Rechtsstaatsprinzips dar.
2. Gleichheitsgrundsatz, Diskriminierungsverbot und Sozialstaatsprinzip Der Gleichheitsgrundsatz bedeutet in allgemeiner Form, daß vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen, es sei denn, daß eine Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist. Darüber hinaus erfordert er in bestimmten Bereichen eine formale (egalitäre) Gleichstellung. Der Gleichheitsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot werden auf verschiedenen rechtlichen Ebenen, insbesondere im Völkerrecht, im Europarecht und im Verfassungsrecht, formuliert; damit sind für staatliche Institutionen jeweils bestimmte Verpflichtungen verbunden, gegen Formen der Diskriminierung allgemein und die von Wanderarbeitern bzw. Immigranten im besonderen vorzugehen, diese in bestimmten Bereichen gleichzustellen oder ihnen gewisse Mindestrechte zu gewähren Das Sozialstaatsprinzip enthält schließlich für staatliches Handeln die allgemeine Verpflichtung, die gesellschaftliche Entwicklung nicht dem freien Spiel der (Markt-) Kräfte zu überlassen, sondern die Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben zu schaffen und für eine gerechte und ausgeglichene Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu sorgen. Die demokratische Demokratie und Demokratisierung Staatsreform basiert auf dem Grundsatz der Volkssouveränität, wonach sich alle Staatsgewalt vom Willen des „Volkes“ herleitet. Dieses umfaßt grundsätzlich die Gesamtheit der in einem bestimmten Territorium dauerhaft ansässigen, rechtlich mündigen Bürger; diese sollen auf der Basis von rechtlicher Gleichheit und politischer Freiheit ihre Interessen und ihren politischen Willen artikulieren und organisieren können. Dynamisch verstanden, enthält das demokratische Prinzip auch die Vorstellung, eine Kongruenz zwischen den Inhabern politischer Rechte und den dauerhaft einer staatlichen Herrschaft Unterworfenen herzustellen und die Möglichkeiten einer freien und gleichen Entfaltung für Individuen und Gruppen in politischer, sozialer und kultureller Hinsicht zu erweitern. Unter diesem Gesichtspunkt stellen Antidiskriminierungsmaßnahmen einen Beitrag zur politischen und gesellschaftlichen Demokratisierung dar.
Zu den gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten, die für Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Zuwanderem relevant sind, gehören insbesondere die folgenden:
1. Nutzung menschlicher Ressourcen Unter eher funktionalen Gesichtspunkten stellen die Zuwanderer Ressourcen dar, die in der Regel einen positiven Beitrag für die ökonomische, demographische, soziale und kulturelle Entwicklung der Aufnahmegesellschaften leisten (können). Werden die bestehenden sozialen Ungleichheiten und Diskriminierungen nicht vermindert, so wird dieses „Humankapital“ nur unzureichend genutzt. Damit werden die Probleme verschärft, die in den westlichen Ländern aufgrund des Geburtenrückgangs und der „Überalterung“ bereits bestehen.
2. Integration Da die meisten westeuropäischen Länder faktisch zu Einwanderungsländern geworden sind, ist eine Eingliederung der Immigranten unabdingbar. Von der Grundbedeutung her zielt „Integration“ auf die Anerkennung der Zugehörigkeit der Zuwanderer zu den Aufnahmegesellschaften und auf eine Entwicklung, die der sozialen Marginalisierung dieser Bevölkerungsgruppe entgegenwirkt. Wenn entsprechende Maßnahmen nicht oder nur in unzureichender Weise durchgeführt werden, besteht die Gefahr, daß die Zuwanderer dauerhaft in dieser Situation verbleiben, sich die sozialen Konflikte zwischen Einheimischen und Zuwanderern verschärfen und die gesamtgesellschaftliche Integration gefährdet wird.
3. Zivilisation „Zivilisation“ kann als ein historischer Prozeß verstanden werden, in dessen Verlauf die Individuen sich zunehmend von Fremdzwängen lösen und lernen, ihre Triebe und Affekte selbst zu regulieren, Gewalttätigkeit und Gewalt-bereitschaft abzubauen, die Sitten und Umgangsformen zu verfeinern und Mitgefühl mit anderen Menschen in relativer Unabhängigkeit von deren Gruppenzugehörigkeit zu empfinden. Unter diesem Gesichtspunkt stellen Formen und Mechanismen der Diskriminierung Elemente der „Entzivilisierung“, dagegen gerichtete Maßnahmen demgegenüber Schritte zum historischen Zivilisationsprozeß dar.
III. Unterschiedliche Ausprägungen von Antidiskriminierungspolitiken
Ob und in welcher Weise in einzelnen Ländern Antidiskriminierungspolitiken durchgeführt werden, wird maßgeblich von den jeweils vorhandenen historischen und sozialen Bedingungen beeinflußt. Von Bedeutung sind die historische Entwicklung, die soziale Struktur, das Rechtssystem, die politische Kultur sowie die gesellschaftspolitischen Kräfteverhältnisse in den verschiedenen Ländern. In diesem Zusammenhang spielen auch die jeweiligen Merkmale der Zuwanderergruppen (Zahl, Herkunft, ethnische Zugehörigkeit usw.) und die migrations-und ausländer-politischen Zielsetzungen eine Rolle.
Während in einigen westeuropäischen Ländern Antidiskriminierungspolitiken nur unzureichend entwickelt sind (z. B. in Belgien, der Bundesrepublik Deutschland und in Italien), werden entsprechende Maßnahmen in anderen (vor allem in Großbritannien, den Niederlanden und in Frankreich) in systematischerer Form durchgeführt. In diesen Ländern folgen die Antidiskriminierungspolitiken allerdings unterschiedlichen politischen Logiken. Von Bedeutung ist vor allem der Unterschied zwischen der multikulturellen Minderheitenpolitik (Vereinigtes Königreich, Niederlande) und der Politik der Gleichstellung von Individuen (Frankreich). Zentrales Kriterium für diese Differenz ist die divergierende Interpretation des Verhältnisses von „Individuum“, „Ethnizität“ und „Demokratie“
In der multikulturellen Minderheitenpolitik wird die Zugehörigkeit von Individuen zu unterschiedlichen ethnischen Gruppen betont, diese werden als jeweils besondere ethnische Minderheiten bzw. „Rassen“ anerkannt und ihre Entfaltung sowohl rechtlich ermöglicht als auch politisch gefördert. Diese positive Bewertung kultureller und ethnischer Vielfalt ist geprägt von traditionellen Rücksichtnahmen auf religiöse und sprachliche Minderheiten und durch die Orientierung an Ideen der Dezentralisierung, des gesellschaftlichen Pluralismus und der kommunalen Selbstverwaltung. Entwicklung und Durchführung von gesetzlichen Antidiskriminierungsmaßnahmen sind (vor allem in Großbritannien) auch beeinflußt durch die Bürgerrechtsbewegung und -gesetzgebung in den USA und durch die Gesetzgebung gegen die Diskriminierung von Frauen. Antidiskriminierungsmaßnahmen gehen so einher mit einer Politik der Minderheitenvertretung und -emanzipation und positiven Maßnahmen für diese Gruppen.
Die Politik der individuellen Gleichstellung, die in Frankreich vorherrschend ist, geht demgegenüber von „Menschen“ -unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Zugehörigkeit zu Gruppen oder ihren Über-zeugungen -aus und praktiziert entsprechende Antidiskriminierungsmaßnahmen im Hinblick auf die Gleichstellung von Individuen -ohne die Minderheiten institutionell anzuerkennen oder deren Entfaltung zu fördern. Geprägt ist dieser Ansatz durch Orientierungen an Prinzipien der Aufklärung, des Zentralstaates und der Einheit der „Nation“ als Gesamtheit der „Bürger“.
Beide Politiktypen sind mit Problemen verbunden. So tendiert die multikulturelle Minderheitenpolitik dazu, Konzepte wie „Gemeinschaft“, „ethnische Minderheit“ und „Rasse“ allzu selbstverständlich zu verwenden und institutionell zu verankern, soziale Prozesse und Probleme zu „ethnisieren“, die Unterordnung von Individuen unter Gruppen-zugehörigkeiten zu erzwingen und durch die Hervorhebung von ethnischen oder kulturellen Besonderheiten Tendenzen der Segregation, der Segmentierung und der Stigmatisierung zu fördern. Demgegenüber tendiert die individuelle Gleichstellungspolitik zu einer Unsichtbarmachung real bestehender ethnischer Zusammenhänge, zur Durchsetzung einer assimilatorischen Eingliederung und zur Unterlassung positiver Förderungsmaßnahmen für benachteiligte Gruppen
IV. Rechtliche Maßnahmen zum Abbau institutioneller Diskriminierung
Die von staatlicher Seite ausgehende Diskriminierung ist nicht (von vornherein) gleichbedeutend mit der Unterscheidung zwischen Staatsangehörigen und Ausländern. Diese wird in der Regel als zulässig erachtet, sofern sie nicht willkürlichen Charakter hat, sondern sachlich begründet wird. So gehört die Staatsangehörigkeit nicht zu den Merkmalen, die unter das Völker-oder verfassungsrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot fallen, und im allgemeinen wird zwischen Menschen-und Bürgerrechten unterschieden. Aufgrund der erfolgten Einwanderungs-und Nieder-lassungsprozesse wird diese herkömmliche Unterscheidung jedoch fragwürdig. Aus den Grundrechten läßt sich nämlich als Folge dauernden Aufenthalts die Notwendigkeit zunehmender Statusangleichung von Staatsfremden und Staatsangehörigen ableiten Erfolgt eine solche Status-angleichung nicht, bleibt auf der Seite der staatlichen Institutionen die auf „Ausländer“ bezogene besondere staatliche Dispositionsgewalt auch gegenüber den „Inländern mit fremder Staatsangehörigkeit“ bestehen, was für diese wiederum erhebliche Benachteiligungen und Verunsicherungen in zentralen Lebensbereichen zur Folge hat oder haben kann. Diese Tendenzen sind insbesondere für die staatliche Ausländerpolitik in der Bundesrepublik charakteristisch
Zum Abbau dieser staatlichen Diskriminierung von „Inländern mit fremder Staatsangehörigkeit“ ist eine Reihe von rechtlichen Maßnahmen notwendig und geeignet. Von wesentlicher Bedeutung ist hierbei eine grundsätzliche Anerkennung der Zugehörigkeit der zugewanderten Bevölkerungsgruppen zu den Gesellschaften der einzelnen Aufnahmeländer sowie die zunehmende rechtliche Gleichstellung mit den Inländern entsprechend der Verlängerung der Aufenthaltsdauer. Zur Realisierung dieser „rechtlichen Emanzipation der Einwanderer in Westeuropa“ (Groenendijk) können beitragen -die Einbeziehung der Staatsangehörigkeit in die Merkmale, die dem Diskriminierungsverbot unterworfen sind; -Änderungen innerhalb des geltenden Ausländerrechts, und zwar vor allem der Bestimmungen, die sich für die Lebenssituation der Immigranten als besonders problematisch erwiesen haben; -ein Niederlassungsrecht, das den Aufenthalt der Zuwanderer ohne Aufgabe der Herkunftsnationalität absichert und ihnen einen freien und gleichen Zugang zum Arbeitsmarkt wie auch (weitgehend) gleiche soziale und politische Rechte einräumt; -die Verleihung von Bürgerrechten auf lokaler Ebene, z. B. in Form des (kommunalen) Wahlrechts an Zuwanderer; -eine konsequente Erleichterung des Erwerbs der Staatsangehörigkeit des Aufnahmelandes. Erreicht werden kann dies durch Reduzierung der gesetzlich geforderten Voraussetzungen, die Einführung von Rechtsansprüchen für die Betroffenen, die Zulassung der doppelten Staatsangehörigkeit und des Erwerbs der Staatsangehörigkeit aufgrund der Geburt im Inland und durch Ermöglichung eines kollektiven einmaligen Erwerbs der Staatsbürgerschaft für diejenigen, die sich im Aufnahmeland niedergelassen haben; -eine Verringerung der überkommenen und verfassungsrechtlich verankerten Unterscheidung zwischen Menschen-und Bürgerrechten, sowie -eine Verankerung von Rechten, die es den Angehörigen von Minderheitengruppen ermöglichen, ihre kulturelle Identität aufrechtzuerhalten oder weiterzuentwickeln.
Eine Überprüfung all derjenigen rechtlichen Normen, in denen Ungleichbehandlungen von „Ausländern“ festgeschrieben sind, ist auch außerhalb des Staatsangehörigkeits-und Ausländerrechts erforderlich. Sofern diese nicht (mehr) sachlich begründet sind, müssen die entsprechenden Bestimmungen (z. B. im Bereich des Arbeitserlaubnis-und Sozialrechts und bei der Ausbildungsförderung) in Richtung einer Gleichstellung geändert werden
Auch auf der Ebene der Europäischen Union stellt sich das Problem der institutioneilen Diskriminierung. Erstens weist das im EU-Recht verankerte Diskriminierungsverbot bis heute auch für EU-Angehörige bestimmte Defizite auf, die nicht zuletzt aus der Übereinstimmung der EU-Freizügigkeitspolitik mit der Gastarbeiterpolitik resul-tieren Das Problem der institutioneilen Diskriminierung auf Gemeinschaftsebene stellt sich zweitens im Hinblick auf Drittstaatsangehörige, die sich dauerhaft in einem EU-Mitgliedstaat niedergelassen und sich damit sozial zu „EU-Inländern“ entwickelt haben, aufgrund ihrer fehlenden Zugehörigkeit zu einem EU-Mitgliedstaat aber weiterhin als „Drittstaatler“ gelten. Zum Abbau der institutioneilen Diskriminierung auf der Ebene der Europäischen Union können beitragen -eine Berücksichtigung des Merkmals der „Rasse“ bzw.der „ethnischen oder kulturellen Herkunft“ bei den Merkmalen, die dem Diskriminierungsverbot auf der EU-Ebene unterworfen sind; -eine Verminderung der rechtlichen Differenz zwischen Angehörigen von EU-Mitgliedstaaten und den Drittstaatsangehörigen, die sich dauerhaft in einem der EU-Mitgliedstaaten niedergelassen haben, durch die Schaffung eines Niederlassungsstatus und durch Gewährung von politischen Rechten für diese Personengruppe; -die Erleichterung des Erwerbs der Staatsangehörigkeit in den Mitgliedstaaten, da die Staatsangehörigkeit eines dieser Staaten die Voraussetzung für die Unionsbürgerschaft und die damit verbundenen Rechte darstellt, und -die Weiterentwicklung der bestehenden Ansätze einer Unionsbürgerschaft, wobei dies auch von einer Demokratisierung der Institutionen der Europäischen Union begleitet sein muß.
Die aufgeführten rechtlichen Maßnahmen sind unabdingbar für die Verminderung institutioneller Diskriminierung von Immigranten; sie haben darüber hinaus auch eine symbolische Bedeutung, da sie anzeigen, wie der Umgang mit „Ausländern“ im nichtstaatlichen Bereich erfolgen soll. Die vielfältigen gesellschaftlichen Diskriminierungen werden damit aber nicht unmittelbar erfaßt, so daß zu deren Abbau weitere Maßnahmen und Aktivitäten erforderlich sind.
V. Rechtliche Maßnahmen zum Abbau gesellschaftlicher Diskriminierung
Das Spektrum gesellschaftlicher oder ethnischer Diskriminierungen ist breit. Von besonderem Gewicht sind zum einen die Benachteiligungen, die von Personen ausgehen, die über gesellschaftliche Macht verfügen; Benachteiligungen erfolgen hier vor allem im Zusammenhang mit dem öffentlichen Angebot bzw. Verkauf von Waren, Dienstleistungen, Wohnungen und Beschäftigungsmöglichkeiten Zum anderen sind in dieser Hinsicht die offenen und aggressiven Diskriminierungen durch rechtsextremistisch, ausländerfeindlich und rassistisch motivierte Propaganda, Aktivitäten und Gewaltanschläge von Relevanz
Rechtliche Maßnahmen zum Abbau von gesellschaftlicher Diskriminierung zielen darauf ab, diesen Phänomenen durch verbindliche und mit Sanktionen verbundene Gebote und Verbote vorzubeugen und in tatsächlichen Fällen die Opfer und ihre Rechte zu schützen und/oder die jeweiligen Täter zu bestrafen. Hierbei sind verschiedene Gesichtspunkte und Probleme zu berücksichtigen:
Da staatliche Interventionen zum Abbau gesellschaftlicher Diskriminierung in gesellschaftliche Bereiche eingreifen, in denen Privatpersonen im Rahmen der Grundrechte über weite Spielräume der freien Entfaltung verfügen, müssen sie dem verfassungsmäßigen Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Erforderlich und möglich erscheinen derartige Eingriffe insbesondere in den gesellschaftlichen Bereichen bzw. bei den Rechts-geschäften, die öffentlichen Charakter haben, mit einer gesellschaftlichen Machtentfaltung des jeweiligen Anbieters einhergehen und relevante Leistungen für die Betroffenen beinhalten Dies kann mit Hilfe eines besonderen Antidiskriminierungsgesetzes oder durch Normen erfolgen, die in unterschiedlichen Rechtsbereichen verankert werden. Hierzu gehören insbesondere das Zivilrecht, das Arbeitsrecht und das Strafrecht. Insbesondere über die Eignung strafrechtlicher Normen zur Bekämpfung von Diskriminierung wird kontrovers diskutiert
Auf der einen Seite werden Forderungen nach einer Verschärfung von strafrechtlichen Normen, insbesondere in Fällen von rassistisch motivierter Propaganda und Gewalt, erhoben; andererseits wird darauf verwiesen, daß das Strafrecht nur das letzte Mittel des Schutzes von Rechtsgütern sei, zu problematischen Einschränkungen der Meinungsund Pressefreiheit führe, sehr hohe Anforderungen an das Beweisverfahren stelle, in erster Linie auf den Schutz öffentlicher Rechtsgüter und nicht der Rechte der Opfer ziele und kein geeignetes Instrument der Kontrolle politischer Gesinnungen darstelle. Zudem sei fraglich, ob das Strafrecht im Sinne der Zielsetzungen wirksam sei oder nicht auch mit unerwünschten Folgen einhergehe, indem z. B. potentielle Märtyrer geschaffen und soziale Konflikte verschärft würden.
Weiterhin ist von Bedeutung, daß in Fällen von Diskriminierung den davon Betroffenen ein wirksamer Rechtsschutz gewährleistet werden muß, einschließlich eines Anspruches auf Entschädigung oder Genugtuung. Zu diesem Zweck kann auch Institutionen und Organisationen ein Recht auf Klage und die Befugnis eingeräumt werden, Ermittlungen durchzuführen. Zu berücksichtigen ist auch, daß bei Klageverfahren in Fällen von Diskriminierung einerseits die generellen rechtsstaatlichen Verfahrens-und Beweisvorschriften eingehalten werden müssen, andererseits konkrete Beweise vor allem in Fällen versteckter und indirekter Diskriminierung nur sehr schwierig zu erbringen sind
In dieser Hinsicht gibt es in den westeuropäischen Ländern Ansätze, Erfahrungen und Problemlösungsstrategien, die zum Teil übereinstimmen, zum anderen aber auch voneinander ab-weichen Zum Beispiel hat das Vereinigte Königreich zum Abbau ethnischer Diskriminierung eine umfassende Gesetzgebung entwickelt Kernstück ist der Race-Relations-Act von 1976. Dieses Gesetz erklärt (direkte und indirekte) rassische Diskriminierung als ungesetzlich im Beschäftigungsbereich, bei der Vermietung und dem Verkauf von Wohnungen und Häusern sowie bei Dienstleistungen und Einrichtungen, die für die Öffentlichkeit oder einen Teil der Öffentlichkeit vorgesehen sind (z. B. Schule, Unterhaltung, Erholung, wirtschaftliche Aktivitäten und Bankgeschäfte).
Als Sanktionen sind entweder Schadensersatzleistungen oder Verpflichtungen des Beklagten vorgesehen, eine bestimmte Maßnahme in einer bestimmten Zeit durchzuführen, um die negativen Auswirkungen der Diskriminierung zu reduzieren oder zu beseitigen. Jede Person erhält das Recht, gegen Diskriminierung bei zivilen oder Arbeitsgerichten zu klagen, und einen Schutz vor benachteiligenden Folgen im Falle eines derartigen Vorgehens. Im Bereich des Erziehungswesens ist Diskriminierung aufgrund der „Rasse“ nicht nur unzulässig; darüber hinaus sind die jeweiligen Institutionen verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß ihre Leistungen allen Bürgerinnen und Bürgern zugute kommen. Weitere Antidiskriminierungsbestimmungen sind in dem (Strafrechts-) Gesetz über die öffentliche Ordnung enthalten; hier wird das Konzept des Rassenhasses und eine Liste der entsprechenden Vergehen (Worte, Verhalten, Schriften, Theater-und audiovisuelle Vorführungen, Rundfunk-und Fernsehsendungen) verankert.
In der Bundesrepublik Deutschland sind demgegenüber bisher nur ansatzweise Maßnahmen zum Abbau gesellschaftlicher Diskriminierung eingeleitet worden. Das verfassungsrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG) hat im Bereich der Privatrechtsbeziehungen (nur) mittelbare Wirkung. Allerdings sind auch hier die grundsätzlichen Wertentscheidungen der Verfassung, zu denen insbesondere die Grundrechte gehören, zu berücksichtigen. Das Diskriminierungsverbot erfaßt im geltenden Recht vor allem die direkte, weniger die indirekte Diskriminierung. Im Strafrecht gibt es zwei Vorschriften, die sich spezifisch gegen den Rassismus richten und besonders schwere Ausprägungen von Diskriminierungen unter Strafe stellen. Hierunter fällt zum einen der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Strafgesetzbuch), zum anderen die Herstellung und Verbreitung von Schriften und Informationen, die zum Rassenhaß aufstacheln und Gewaltdarstellungen enthalten, verharmlosenden Charakter haben und die Menschenwürde verletzen (§ 131 Strafgesetzbuch) Zusätzlich zu diesen strafrechtlichen Vorschriften ist eine einfachgesetzliche Regelung des Diskriminierungsverbots im Bereich des Arbeitsrechts erfolgt (§ 75 Betriebsverfassungsgesetz und entsprechende Regelungen im Personalvertretungsgesetz).
Im Rahmen der Diskussion über eine Antidiskriminierungsgesetzgebung sind von Experten und gesellschaftlichen Gruppen verschiedene Defizite der bisherigen rechtlichen Maßnahmen zum Abbau gesellschaftlicher Diskriminierung verdeutlicht und insbesondere die folgenden Reformvorschläge entwickelt worden -Das in Art. 3 Abs. 3 GG verankerte Verbot der Diskriminierung soll um das Kriterium der Staatsangehörigkeit ergänzt werden.
-Das Völker-und verfassungsrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot soll durch einfachgesetzliche Normen („Antidiskriminierungsgesetz“) konkretisiert werden, die in klarer und unmittelbarer Weise Privatpersonen verpflichten und auch pädagogische Wirkung entfalten. -Im zivilrechtlichen Bereich sollen Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz und Genugtuung bei diskriminierenden Handlungen in den Bereichen Verkauf und gewerbliche Vermietung von Wohnungen, Ausbildung und Beruf sowie Warenverkauf und öffentliche Dienstleistungen aller Art (Ladengeschäfte, Gastwirtschaften, Diskotheken, Hotels, Banken, Versicherungen) gewährleistet werden. -Die vorhandenen strafrechtlichen Normen sollen konsequenter als bisher bei der Verfolgung von ausländerfeindlichen und rassistischen Übergriffen, Gewaltakten und Propaganda von den Strafverfolgungsbehörden und der Rechtsprechung umgesetzt werden. Darüber hinaus wird eine Verschärfung strafrechtlicher Normen insbesondere bei rassistisch motivierten Gewalt-taten und Propaganda gefordert. -Antirassistische Vereinigungen sollen die Möglichkeit erhalten, bei Prozessen als Nebenkläger aufzutreten. -Diskriminierungsfälle sollen von amtlichen Stellen systematisch erfaßt, dokumentiert und veröffentlicht werden.
VI. Positive Maßnahmen: Förderung der Angehörigen von Minderheiten
Um über eine rechtliche Gleichbehandlung hinaus strukturelle soziale Benachteiligungen von zugewanderten Personen(gruppen) zu vermindern, sind sogenannte positive Maßnahmen erforderlich Hierbei kann zwischen der „positiven Diskriminierung“ und der „positiven Aktion“ unterschieden werden Der Ansatz der positiven Diskriminierung ist vor allem in den USA (als affirmative action) zur Verstärkung der Wirksamkeit der Bürgerrechtsgesetze entwickelt worden. Eine effektive Durchsetzung des Gleichheitsgrundsatzes erfordert danach nicht nur gleiche Zugangschancen für alle Bewerber, sondern eine Gleichheit des Resultats
Das Konzept der positiven Aktion versucht, Chancengleichheit vor allem durch Mittel zu verwirklichen, die auf der Seite der Minderheiten die Voraussetzungen im Wettbewerb um Arbeitsplätze und Aufstiegsmöglichkeiten verbessern. So sollen Angehörige von Minderheitengruppen unterstützt und ermutigt werden, auf einer gleichen Grundlage mit Angehörigen bisher privilegierter Gruppen um Beschäftigung und soziale Leistungen zu konkurrieren. Hierbei soll vermieden werden, neue Benachteiligungen für Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen zu produzieren. Beispielhaft für diesen Ansatz sind Maßnahmen, die in Großbritannien als „positive action schemes“ praktiziert werden. Diese umfassen besondere Ausbildungsund Unterstützungsprogramme für Angehörige ethnischer Minderheiten in denjenigen Beschäftigungszweigen, in denen sie in den letzten zwölf Monaten unterrepräsentiert waren, sowie besondere Maßnahmen, um sie auf ausgeschriebene Stellen aufmerksam zu machen und ihre Bewerbungschancen zu erhöhen Über die Konzipierung, Durchführung und Wirksamkeit von positiven Maßnahmen wird kontrovers diskutiert. So wird auf der einen Seite eine Verstärkung der Unterstützungsprogramme im Sinne der amerikanischen „affirmative action“ und eine Verpflichtung der öffentlichen Institutionen zu einer Angehörige der ethnischen Gruppen stärker berücksichtigenden Quotierung (bis zur Realisierung der Gleichstellung) gefordert Andererseits wird insbesondere die Form positiver Diskriminierung, aber auch die der positiven Aktion problematisiert vor allem im Hinblick auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit (Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und des Diskriminierungsverbots), ihre Wirksamkeit (unzureichende Verminderung struktureller Ungleichheiten), ihre mangelnde Akzeptanz bei der einheimischen Bevölkerung und ihre (unbeabsichtigten) Folgen (Förderung ethnischer Orientierungen und Konkurrenzmechanismen)
Unabhängig davon, auf welchem Wege eine Förderung von Angehörigen benachteiligter Minderheiten erfolgt, sprechen vor allem sozialstaatliche und integrationspolitische Gesichtspunkte grundsätzlich für eine derartige Förderung. Wie nicht nur die Erfahrungen im Ausland, sondern auch die Erfahrungen mit der Integration von Aussiedlern in der Bundesrepublik zeigen, gehören dazu vor allem Maßnahmen zur Verbesserung der sprachlichen und beruflichen Qualifikation der Zuwanderer und deren stärkere Berücksichtigung bei Einstellungen und Beförderungen im öffentlichen Dienst, in Unternehmen, in den Medien, im Bildungssystem usw.
VII. Gesellschaftspolitische Initiativen und Aktivitäten
Für Antidiskriminierungsmaßnahmen, die auf die Herstellung von menschenwürdigen Lebensverhältnissen abzielen, sind Maßnahmen rechtlicher und institutioneller Art von zentraler Bedeutung; deren Konzipierung und Realisierung ist aber wiederum im hohen Maße abhängig von Initiativen und Aktivitäten, die von Einzelpersonen, gesellschaftlichen Gruppen und politischen Kräften getragen und in den demokratischen Willensbildungsprozeß eingebracht werden. Insbesondere als Reaktion auf die Zunahme rassistisch motivierter Gewaltanschläge auf Immigranten und Angehörige anderer Minderheiten haben sich in den vergangenen Jahren in den westeuropäischen Ländern auf verschiedenen Ebenen eine Vielzahl derartiger gesellschaftspolitischer Initiativen und Aktivitäten entwickelt. Hierzu gehören insbesondere die „Zivilcourage“ von Einzelpersonen, die Antidiskriminierungs-und -rassismusarbeit von Initiativgruppen, Protestdemonstrationen und Lichterketten, „Runde Tische“ mit Vertretern der Bevölkerung, der gesellschaftlichen Gruppen und der Parteien, Antirassismus-und Flüchtlingstage sowie Ausländer-bzw. Interkulturelle Wochen, Erklärungen von gesellschaftlichen Verbänden und politischen Parteien, Entschließungen und Aufrufe von politischen Institutionen sowie Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt, bei denen staatliche und nichtstaatliche Stellen eng Zusammenwirken
Bei diesen verschiedenen Initiativen und Aktivitäten geht es vor allem darum, den Personen, die von Diskriminierung und Gewalt bedroht oder betroffen sind, Schutz, Beratung und Hilfe zu bieten, gegen Fälle von Diskriminierung zu protestieren und darüber Diskussionsprozesse zu initiieren, öffentliche Signale gegen Rassismus, Fremden-feindlichkeit und Rechtsextremismus zu setzen, für die Realisierung eines gleichberechtigten und multikulturellen Zusammenlebens von Mehrheit und Minderheiten einzutreten, die positive Funktion der Immigranten für die ökonomische, soziale und kulturelle Entwicklung der westeuropäischen Länder hervorzuheben, die Lösung von Konfliktfällen auch auf dem Wege von Kontakten und Gesprächen zu ermöglichen, demokratische und antirassistische Bewußtseinsformen und Verhaltensweisen im Alltag zu verankern, die Kooperation und Netzwerke zwischen antirassistischen Initiativen und Gruppen zu fördern und Einfluß auf politische Organisationen, Institutionen und Medien auszuüben und deren Zusammenarbeit in diesem Bereich zu verbessern.
Auch wenn diese verschiedenen Initiativen und Aktivitäten in den westeuropäischen Einwanderungsgesellschaften bisher nicht den Charakter einer „neuen sozialen Bewegung“ angenommen haben und zudem mit verschiedenen Problemen und Widerständen konfrontiert werden, sind sie doch Ausdruck einer zivilen und demokratischen politischen Kultur und tragen zu deren Weiterentwicklung bei. Dies kann wiederum durch Lernprozesse politischer, sozialer und interkultureller Art begünstigt werden.
VIII. Politisches, soziales und interkulturelles Lernen
Die ethnische Diskriminierung ist beeinflußt durch subjektive Einstellungen und Verhaltensweisen, die in Vorurteilen, Intoleranz, Abwertungen oder Aggressionen gegenüber „Ausländern“, „Fremden“ und „Schwarzen“ zum Ausdruck kommen. Von daher müssen Antidiskriminierungsmaßnahmen auch darauf gerichtet sein, bei Individuen Einstellungen, Sichtweisen und Verhaltensweisen, die Diskriminierung in direkter oder indirekter Weise begünstigen, abzubauen bzw. präventiv zu verhindern und an deren Stelle Reflexions-, Handlungs-und Kommunikationsfähigkeit zu fördern. In dieser Hinsicht sind Prozesse des politischen, sozialen und interkulturellen Lernens von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im schulischen und außerschulischen Bereich von erheblicher Bedeutung.
Derartige Lernprozesse können zum einen durch die Massenmedien gefördert werden. In den vergangenen Jahren hat deren Berichterstattung in den westeuropäischen Ländern allerdings in eher gegenteiliger Richtung gewirkt. Insbesondere durch die „Präsentation von Einwanderung, Einwanderern oder Minderheiten als problembehaf* konfliktbeladen oder sogar als bedrohlich“ und durch die Verbreitung von unzutreffenden und die Unterlassung von relevanten Informationen wurden bei der einheimischen Bevölkerung stereotype Feindbilder produziert und Ängste geschürt. Sollen demgegenüber demokratische, tole rante und interkulturelle Orientierungen gefördert werden, erfordert dies eine Berichterstattung, die generell auf Aufklärung über gesellschaftspolitische Sachverhalte und Zusammenhänge gerichtet ist und in der die Minderheiten nicht nur in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Problemen und vermeintlichen Bedrohungen, sondern als ein integraler und selbstverständlicher Bestandteil der Gesellschaft thematisiert werden. Auf diese Weise könnten Grundlagen für eine selbständige Meinungs-und Urteilsbildung geschaffen, Kommunikationsprozesse gefördert sowie Anregungen für eine demokratische Bewältigung bestehender sozialer Probleme entwickelt werden.
In diese Richtung zielen auch Konzeptionen interkultureller Erziehung. In kritischer Abgrenzung zur traditionellen Ausländerpädagogik und zu romantisierenden Vorstellungen von einem Problem-und konfliktlosen gesellschaftlichen Zusammenleben stellen diese darauf ab, -die Empathie, Toleranz, Solidarität und Konfliktfähigkeit, die Aufgeschlossenheit für den anderen („Fremden“) und dessen Probleme sowie das wechselseitige Verständnis zu fördern (soziales Lernen)', -durch die Vermittlung von grundlegenden gesellschaftlichen und politischen Kenntnissen und Einsichten die Angehörigen von Mehrheit und Minderheiten zum Umgang mit der Einwanderungssituation im gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Kontext zu befähigen und in diesem Zusammenhang eine Überwindung nationalistischer, ethnozentristischer und monokultureller Denkweisen zu fördern {politische Bildung)', -über die vielfältigen Formen des gesellschaftlichen und institutionellen Rassismus und der strukturellen Benachteiligung der Immigranten aufzuklären, bei den Heranwachsenden ein politisches Bewußtsein zu wecken und sie zu einem kritischen Umgang mit Phänomenen des alltäglichen Rassismus zu befähigen (antirassistische Erziehung)', -Kindern und Jugendlichen -sowohl auf seiten der Minderheiten als auch bei der Mehrheitsbevölkerung -Hilfen zur Identitätsentwicklung unter den Bedingungen einer multikulturellen Gesellschaft zur Verfügung zu stellen und sie zu befähigen, in der Einwanderungssituation mit widersprüchlichen kulturellen Einflüssen umzugehen (Hilfe zur Identitätsentwicklung), und -die jeweiligen Muttersprachen und Herkunftskulturen systematisch in den verschiedenen Bildungsinstitutionen zu berücksichtigen, da ihnen eine besondere Bedeutung für die Denk-und Persönlichkeitsentwicklung der Immigranten (-kinder) zugemessen wird (bikulturelle Bildung).
In anderen pädagogischen Ansätzen werden nicht so sehr die zwischen unterschiedlichen Gruppen bestehenden Unterschiede, sondern deren Gemeinsamkeiten in den Vordergrund gestellt. Dem liegt die Einschätzung zugrunde, daß sich Lernprozesse in erster Linie im Zusammenhang mit der gemeinsamen Bewältigung von Problemen entwikkeln können
Vor dem Hintergrund des Anwachsens rechtsextremistischer Orientierungen bei Jugendlichen hat im vereinigten Deutschland die Frage an Bedeutung gewonnen, wie mit diesen Jugendlichen umgegangen werden soll und auf welche Weise sie in Lernprozesse einbezogen werden können. Als Antwort auf diese Frage sind im sozialpädagogischen Bereich Konzeptionen einer „akzeptierenden Jugendarbeit mit rechten Jugendszenen“ (F. J. Krafeld) entwickelt und erprobt worden
Im Hinblick auf den Abbau von Diskriminierungen sind Formen und Prozesse des politischen, sozialen und interkulturellen Lernens nicht nur für Kinder und Jugendliche in Schule und Freizeit, sondern auch in der Aus-und Weiterbildung von Erwachsenen von Bedeutung. Dies gilt zum einen für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst (Polizei, Ausländerbehörden, Ämter, Schulen usw.), die mit „Ausländern“ als „Kunden“ zu tun haben, zum anderen für den Umgang mit Angehörigen der Einwanderungsminderheiten als Kolleginnen und Kollegen. Obwohl die Integration der „Ausländer“ im betrieblichen und gewerkschaftlichen Bereich vielfach als erfolgreich und problemlos angesehen wird, gibt es auch hier noch zahlreiche Phänomene der Diskriminierung und des Rassismus. Darauf beziehen sich Konzepte antirassistischer gewerkschaftlicher Bildungsarbeit; in diesen wird versucht, Öffentlichkeit über diese Phänomene herzustellen, in den Belegschaften Diskussionen über deren Hintergründe, Motive und Folgen zu initiieren und solidarische Reaktionen auf die sich verschärfenden Mechanismen der Konkurrenz und der Ausgrenzung von einzelnen Belegschaftsgruppen in kooperativer und solidarischer Weise zu fördern
Antirassistische bzw. interkulturelle Lernprozesse sollten allerdings nicht in Form einer „Bindungspädagogik“ erfolgen, d. h. nicht auf eine Anpassung der Lernenden an vorgegebene und nicht mehr hinterfragbare Zielsetzungen und Wertungen gerichtet sein; sie sollten vielmehr „offenen“ Charakter haben und somit den Lernenden Möglichkeiten der Partizipation, der eigenständigen Reflexion und Beurteilung sowie des praktischen Verhaltens einräumen Derartige Lernprozesse können durch didaktisch-methodische Anregungen, Anleitungen und Stukturierungen initiiert, begleitet und gefördert werden
IX. Abschließende Bemerkung -Notwendige ergänzende Politiken
Die Wirksamkeit von Antidiskriminierungspolitiken wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zunehmen, wenn für deren Umsetzung, Überprüfung und Bewertung besondere institutioneile und organisatorische Vorkehrungen getroffen werden. Von Bedeutung sind in dieser Hinsicht spezielle Institutionen und Organisationen, die über entsprechende Kompetenzen, ausreichende sachliche Voraussetzungen und qualifiziertes Personal verfügen. Eine Rolle können vor allem staatliche oder halbstaatliche Institutionen auf nationaler und regionaler Ebene, Ombudsstellen, lokale Einrichtungen und nichtstaatliche Organisationen spielen.
Zu einem Abbau der sozialen Ungleichheiten und Diskriminierungen, von denen Immigranten betroffen sind, sind auf gesellschaftlicher und politischer Ebene entschiedene, vielfältige und flexible Maßnahmen erforderlich. Grundsätzlich sollten diese in einem engen Zusammenhang mit Gleichstellungsmaßnahmen für Angehörige anderer benachteiligter sozialer Gruppen konzipiert und realisiert werden. Die Wirksamkeit auch einer derartigen kombinierten Strategie ist allerdings nicht nur abhängig von der jeweiligen konzeptionellen Ausgestaltung und praktischen Umsetzung dieser Maßnahmen selbst, sondern auch von der Zahl und dem Ausmaß von Problemen, die in anderen gesellschaftlichen Bereichen bestehen, und der Art und Weise, wie diese von der Bevölkerung und den gesellschaftlichen, politischen und institutioneilen Akteuren verarbeitet und bewältigt werden (können). Negativ wirken sich in dieser Hinsicht vor allem Probleme aus, die mit Tendenzen der gesellschaftlichen Desintegration einhergehen Hieraus resultieren für erhebliche Teile der Bevölkerung Verunsicherungen, Benachteiligungen, Bedrohungen und Diskrepanzen zwischen demokratischen Normen und der gesellschaftlichen Realität. Dies fördert wiederum Tendenzen, sich vermittels der Identifizierung von vermeintlich Schuldigen zu entlasten und durch die Ausübung von latenter und/oder manifester Gewalt gegenüber anderen, in der Regel sozial Schwächeren Gefühle der Orientierung, der Vergemeinschaftung, der Handlungsfähigkeit, der Überlegenheit und des Selbstbewußtseins zu gewinnen. Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Immigranten werden so nur dann eine gewisse Wirksamkeit entfalten können, wenn diese in der Gesamtgesellschaft bestehenden Phänomene und Prozesse der Desintegration reduziert und in rationaler und demokratischer Form bewältigt werden (können). Von daher müssen spezielle Antidiskriminierungspolitiken eingebettet werden in eine allgemeine „Sozialintegrationspolitik“ (Fijalkowski), die darauf gerichtet ist, Lebensrisiken zu vermindern und Lebensperspektiven zu verbessern, soziale Ungleichheiten abzubauen sowie Demokratisierungsprozesse zu initiieren und Partizipationsmöglichkeiten zu erweitern.