Die gefährliche Verharmlosung der „Ausländerkriminalität“
Zum Beitrag von Rainer Geißler, Das gefährliche Gerücht von der hohen Ausländerkriminalität (B 35/95)
In der Ausgabe vom 25. August (B 35/95) hat mein Kollege Rainer Geißler unter der Überschrift „Das gefährliche Gerücht von der hohen Ausländerkriminalität“ Thesen vertreten, die zum Widerspruch reizen, weil sie (zumindest) einen falschen Eindruck erwecken. Geißlers Artikel mag gut gemeint sein (er macht sich über die Ausländerfeindlichkeit Sorgen), aber entspricht leider keineswegs den Realitäten. Daran ändert auch die Vielzahl der Fußnoten nichts. * Zu den Realitäten, die sich nicht einfach wegdiskutieren lassen, gehört z. B. die Tatsache, daß inzwischen weit über 20 Prozent der Insassen unserer Strafvollzugsanstalten (für erwachsene Straftäter) Nichtdeutsche sind, in den Jugendstrafanstalten sind es grundsätzlich sogar über 30 Prozent. Müssen da nicht die Alarmglocken schrillen? Da lediglich nur rund sechs Prozent aller Verurteilten ihre Strafe im Strafvollzug absitzen müssen (die übrigen erhalten eine Geldstrafe oder Bewährung), gelangen dort (von Ausnahmen abgesehen, die mit der Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafen zu tun haben) keine Straftäter hin, die nur Bagatelldelikte verübt haben.
Wer die Entwicklung in den Justizvollzugsanstalten, die sich nur als Spitze des Eisberges darstellen dürfte, verkennt oder nicht wahrhaben will, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, realitätsblind zu sein. Geißler sieht das offenbar nicht so. Im Gegenteil: Auf den ersten drei Seiten seines Beitrages empört er sich darüber, daß es Wissenschaftler und Politiker gibt, die die Entwicklung als eher bedrohlich einschätzen. Auch der Verfasser dieser Zeilen bekommt darin sein Fett ab. Schließlich beklagt Geißler eine „tendenziöse, einseitig-dramatisierende Medienberichterstattung zur Ausländerkriminalität“. Dafür tauscht der Leser seines Artikels dann eine Darstellung ein, in der ihm (offenbar wissenschaftlich belegt) klar gemacht wird, daß es sich bei der „Ausländerkriminalität“ um ein eher harmloses Phänomen handelt. In einem achtstufigen „Reinigungsverfahren“ werden die Zahlen z. T. bedenkenlos minimiert, so daß man sich zum Schluß fragt, woher denn dann die vielen Ausländer kommen, die im Strafvollzug einsitzen müssen. Die Wäsche wird so lange gewaschen, bis das übrig bleibt, was der Autor sich offenbar wünscht. Was stimmt an Geißlers Beweisführung nicht? Weshalb ist die hohe Ausländerkriminalität keineswegs nur ein „Gerücht“? 1. Zunächst: Geißler hat recht, wenn er die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für kein zuverlässiges Meßinstrument hält; die PKS weist zweifellos Fehlerquellen auf, die die Resultate verzerren. Aber das ist keine neue Erkenntnis: Das Bundeskriminalamt, das diese Statistik jährlich herausgibt, weist selbst darauf hin. Aber: Wir haben eben (noch) kein besseres Meßinstrument. Die Verlaufsstatistik, die die Anti-Gewaltkommission der Bundesregierung angeregt hat, gibt es noch nicht: Gemeint ist eine Statistik, die es erlaubt, einen Fall von der Anzeige bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens in der Statistik nachzuverfolgen. Geißler übertreibt jedoch, wenn er behauptet, daß die Daten der PKS „ausländerfeindlich verschmutzt“ seien. Auf solchen Attacken wuchern dann Vorschläge vor allem aus dem liberalen Politikerlager, die darauf hinauslaufen, die Kriminalitätszahlen der Deutschen und Nichtdeutschen in der Statistik nicht mehr getrennt auszudrucken. Einen solchen Schritt scheint auch Geißler für wünschenswert zu betrachten; ganz klar ist das allerdings nicht. Oder wie soll man den Satz interpretieren, daß die „Verantwortlichen der PKS... von der kriminologisch unsinnigen, ethisch problematischen und sozialgefährlichen Kategorie der , nichtdeutschen Tatverdächtigen 6 Abstand nehmen und das entsprechende Kapitel völlig umgestalten“ sollten? Brauchen wir insoweit keine kriminalpolitische Lagebeurteilung mehr? * Da im Rahmen dieser Stellungnahme kein Platz für Fußnoten zur Verfügung gestellt werden konnte, wird insoweit auf die entsprechenden Quellenhinweise verwiesen, die ein Buch enthält, das auch Rainer Geißler zitiert: Hans-Dieter Schwind, Kriminologie. Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen, Heidelberg 19956, S. 367-394.Zur Zeit vermittelt die PKS unter anderem (noch) folgende Informationen: Der Anteil der Nichtdeutschen an allen Tatverdächtigen betrug 1994 insgesamt 30, 1 Prozent. Rechnet man fairerweise (wie das in der PKS aber auch schon geschieht) die Straftaten aus diesem Prozentsatz heraus, die Deutsche selbst nicht verüben können, (nämlich Verstöße gegen das Ausländer-und gegen das Asylverfahrensgesetz), bleiben 23, 3 Prozent übrig. Unter diesen befinden sich aber keineswegs nur harmlose Straftäter. So betrug der Anteil der Nichtdeutschen an den Mord-und Totschlagsverbrechen im letzten Jahr 37 Prozent, der Anteil an der schweren und gefährlichen Körperverletzung 33, 4 Prozent, an der Vergewaltigung 38 Prozent und an den Raubtaten 41, 3 Prozent. Recht hat Geißler allerdings mit dem Hinweis, daß man diese Zahlen nicht ohne weiteres mit der Wohnbevölkerung vergleichen darf, und zwar deshalb nicht, weil zu der nichtdeutschen Wohnbevölkerung (die er für 1992 auf neun Prozent schätzt) nicht die ausländischen „Touristen“ bzw. „Durchreisenden“, die Stationierungsstreitkräfte und solche Personen gezählt werden, die sich illegal im Bundesgebiet aufhalten. Aber: Die Schere zwischen den Tatverdächtigenzahlen und der Ausländergrundgesamtheit wird dadurch kaum erklärt. So meint Geißler selbst, daß sich unter Berücksichtigung der nicht erfaßten Bevölkerungsgruppen die Wohnbevölkerung nur auf zehn Prozent erhöhen würde. Die Differenz zur offiziellen Wohnbevölkerung der Nichtdeutschen macht danach also nur ein Prozent aus.
2. Geißler weist dann darauf hin, daß es Verzerrungsfaktoren gibt, die bei der Interpretation der PKS-Zahlen zu berücksichtigen sind; das ist richtig. Hierzu zählen vor allem alters-, geschlechts-und schicht-spezifische, aber auch wohnortbedingte Unterschiede zwischen der deutschen und nichtdeutschen Bevölkerung; hinzu kommen sozialstrukturelle Benachteiligungen der Ausländer, aber auch mitunter Kultur-konflikte, die sich z. B. in Generationenkonflikten entladen: Die Kinder sind nicht mehr bereit, dem Vorbild der Eltern zu folgen, das sich oft noch an den Normen bzw. Wertvorstellungen der Herkunftsländer orientiert. Geißler hat auch recht, wenn er meint, daß es ärgerlich ist, wenn manche Medien über Ausländerkriminalität ohne die entsprechenden „relativierenden Kommentare“ berichten. Aber: Die (teilweise) Erklärbarkeit der Kriminalität beseitigt diese doch (grundsätzlich) nicht. Das heißt, dem konkreten Opfer hilft sie nicht weiter; auch nicht den Strafverfolgungsbehörden (Polizei und Justiz), die sich mit den Problemen der Kriminalität der Nichtdeutschen herumschlagen müssen. Die Verhältnisse im Strafvollzug sind durch den hohen Ausländeranteil so verändert, daß sich ein Resozialisierungsvollzug schon deshalb nicht mehr durchführen läßt. Das sind keine bloßen „Gerüchte“.
3. Die Hauptthese Geißlers (die er immer wieder auch anderswo vorträgt) knüpft daran an, daß zahlreiche Ausländer, die in der Polizeilichen Kriminalstatistik als tatverdächtig erscheinen, später nicht (rechtskräftig) verurteilt werden. Geißler meint den Nachweis führen zu können, daß diese Tatsache damit zu tun hat, daß Ausländer oft zu Unrecht verdächtigt oder schon wegen jeder Bagatelle (von der deutschen Bevölkerung) angezeigt werden und es deshalb später zu keiner Verurteilung kommt („These von der Reduktion des Strafvorwurfs durch die Strafjustiz“). Aber: Geißler sollte eigentlich wissen, daß man die PKS nicht ohne weiteres mit der Verurteiltenstatistik vergleichen darf. Hier macht er genau das, was er anderen in anderem Zusammenhang vorwirft: nämlich Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Beide Statistiken beziehen sich z. B. auf unterschiedliche Zeiträume. Im übrigen ist keineswegs abgeklärt, ob die Verfahrenseinstellungen nicht (auch oder primär) mit der geringeren Geständnisbereitschaft der Ausländer, mit Identifizierungsproblemen und mit Sprachbarrieren zu tun haben. Werden eher deshalb weniger Nichtdeutsche schließlich verurteilt? Diese Auffassung wird jedenfalls von Justizpraktikern und zunehmend auch von Wissenschaftlern vertreten. Manche Verfahren können schließlich deshalb nicht zu Ende geführt werden, weil die Beschuldigten mit unbekanntem Ziel verschwinden, „untertauchen“; sie treiben sich ohne festen Wohnsitz herum. Nicht zuletzt spielen Vollstreckungsverzichte im Hinblick auf Ausreise oder Ausweisung eine Rolle. Weiß Geißler das alles nicht oder will er nichts wissen, damit er seine Argumentation nicht aufs Spiel setzt? Er weiß es -gleichwohl findet eine „Reduktion des Ausländeranteils auf dieser umstrittenen Reinigungsstufe“ statt (so Geißler selbst).
4. Geißler erwähnt ferner die Dunkelfeld-Problematik, geht jedoch davon aus, daß die Zahl der nicht bekannt gewordenen Straftaten bei Nichtdeutschen geringer ist als bei Deutschen. Dazu werden zwei Belegstellen angeführt. Aber: Sind die Resultate hinreichend abgesichert? Räumen Nichtdeutsche, die im Rahmen von Täterbefragungen interviewt werden, tatsächlich alle Straftaten ein? Oder gibt es bei Nichtdeutschen größere Hemmschwellen als bei deutschen Probanden? Werden Nichtdeutsche tatsächlich von Deutschen mehr angezeigt als deutsche Straftäter? Belege dafür gibt es kaum; es könnte auch umgekehrt sein. Und wird eine eventuelle Dramatisierungsneigung der Deutschen (unterstellt, es gäbe sie) durch eine verminderte Bereitschaft der Polizei zur Anzeigenaufnahme, wenn es um ausländische Tatverdächtige geht, nach unten hin korrigiert? Auch diese Meinung wird im Schrifttum vertreten. Gelangt die Kriminalität (insbesondere die Gewaltkriminalität), die Ausländer untereinander verüben, überhaupt immer zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden? In der Literatur wird geschätzt, daß dies bei einem Großteil solcher Straftaten nicht der Fall ist. Auch die Schutzgelderpressung bleibt fast immer im Dunkeln; das gilt ferner z. B. für den größten Teil der Schwarzarbeit, die Ausländer (z. B. auf Baustellen) leisten. Immerhin räumt Geißler ein, „daß bestimmte Ausländergruppen bqj bestimmten Delikten -z. B. im Rauschgifthandel -dominieren“. Also zumindest insoweit keine bloßen „Gerüchte“?
5. Grundsätzlich zustimmen darf man Geißler, wenn er schreibt, daß es „unsinnig ist, alle Ausländer in einen Topf zu werfen und unter der Rubrik , Nichtdeutsche* zusammenzufassen“. Der Oberbegriff der „Nichtdeutschen“ wurde übrigens deshalb gewählt, weil sonst die Staatenlosen nicht mit erfaßt werden. Aber: Wenn nun Geißler aus dieser Gruppe die „Tourismuskriminalität“ (wie er sie nennt) wieder her-ausrechnet, dann fragt man sich, was das soll. Macht es für das Opfer einen Unterschied, ob es von einem durchreisenden Ausländer (z. B. aus Polen oder Rumänien) beraubt wird, oder von einem Ausländer, der zur gemeldeten Wohnbevölkerung zählt? Man ist geneigt, sich an Taschenspielertricks zu erinnern. Außerdem wäre es wünschenswert gewesen, wenn Geißler auch weitere Ausländergruppen erwähnt hätte. Denn „die“ Nichtdeutschen bilden keineswegs eine homogene Gruppe. Gering ist z. B. die Kriminalitätsbelastung der Ausländer aus den meisten EG-Staaten. Zunehmend Sorgen bereiten hingegen die kriminellen Aktivitäten nicht nur des organisierten Verbrechens (das Geißler erwähnt), sondern auch solche der extremistischen Gruppen, die ihre Bürgerkriege (die im Heimatland geführt werden) auf deutschem Boden fortsetzen. Auch das sind doch keine bloßen „Gerüchte“.
6. Geißler beklagt ferner die „schädliche und fragwürdige These“ von der „eher mißlungenen Integration“ der zweiten und dritten Ausländergeneration. Ihm ist unverständlich, weshalb auch der , Papst* der deutschen Kriminologen, Günther Kaiser, diesen Ansatz vertritt. Weiß Geißler nicht, daß es vor allem diese (14-bis 21jährigen) Nichtdeutschen sind (primär junge Türken und Kurden), die zunehmend in unseren Justizvollzugsanstalten einsitzen müssen? Geißler geht offenbar von einer gelungenen Integration aus. In bezug auf die große Mehrheit der Nichtdeutschen hat er damit wahrscheinlich auch recht. Es bleiben jedoch weit überproportional viele Fälle übrig, in denen das offensichtlich nicht der Fall ist. So könnten Geißlers Behauptungen (wenn sie jemand an den politischen Schalthebeln ernst nehmen würde) zu einer Blockierung der weiteren Integrationsanstrengungen führen. Denn warum sollte man noch Gelder ausgeben, wenn Geißler recht hätte mit dem Satz: „Ohne ausländische Wohnbevölkerung wäre die Kriminalität in Deutschland nicht niedriger, sondern höher“.
Die „Unterschichtungsthese“, die er insoweit vertritt, ist zumindest interessant. Aber: Geißler verstrickt sich. Auf der einen Seite erklärt er Ausländerkriminalität mit schichtspezifischen Einflußfaktoren, auf der anderen Seite möchte er suggerieren, daß es die Kriminalität (jedenfalls in Besorgnis erregender Weise) überhaupt nicht gibt. Richtig ist, daß sich die Probleme, die wir auch bei deutschen Jugendlichen beobachten können, bei den Nachkommen der Gastarbeitergeneration potenzieren: nämlich Erziehungsdefizite, Schulschwierigkeiten, fehlende Angebote zur Freizeitgestaltung, keine Lehrstellen, Arbeitslosigkeit und Wohnbedingungen, die für die gesunde soziale Entwicklung junger Menschen nicht geeignet erscheinen. Die mangelhaften Unterbringungsmöglichkeiten werden übrigens oft von denjenigen kritisiert, die zugleich für die unkontrollierte Zuwanderung weiterer Ausländergruppen eintreten.
7. Vor diesem Hintergrund bleibt auch die „multikulturelle Gesellschaft“ nur ein Traum, eine Utopie. Eine solche Gesellschaft funktioniert unter den Bedingungen der Arbeitslosigkeit und fehlendem Wohnraum auf der ganzen Welt nicht. Dementsprechend schrieb Rudolf Augstein am 21. November 1994 im „Spiegel“: „Wo es sie gibt, funktioniert sie nicht. In Kalifornien nicht, in New York nicht; im Frankreich des Charles Pasqua schon lange nicht, und auch im Frankfurt des multikulturellen Stadtrats Cohn-Bendit ist sie schwach und atmet kaum.“ Aktuell ist der Bosnien-Konflikt, der vor allem mit ethnischen Rivalitäten zu tun hat; das gilt auch für Ruanda-Burundi oder Aserbaidschan. Die Rassenkrawalle in den USA sollten eigentlich ebenfalls nachdenklich machen. Wenn Deutschland von solchen Problemen in Zukunft verschont bleiben will, kommt es zunächst darauf an, die Integrationsangebote zu verstärken. Integration setzt jedoch auch Anpassungswilligkeit voraus, die nach Geißer „empirisch belegt ist“. Zweifel sind angebracht -zahlreiche junge Türken und auch junge Zuwanderer z. B. aus der früheren UdSSR wollen an ihrer (nationalen) Identität eher festhalten; auch das läßt sich nachweisen. Deshalb müssen sie vor die Entscheidung gestellt werden, wo sie hin wollen. 8. Integrationspolitik setzt im übrigen -wenn sie Erfolg haben soll -die Absicherung durch eine eindeutige Begrenzungspolitik voraus. Man bekommt Probleme nur in den Griff, wenn sie sich nicht ständig vergrößern. Mit anderen Worten: Man darf ohne Schaden für das Gemeinwesen nur so viele Zuwanderer aufnehmen, wie auch integriert werden können. Insoweit kommen vor allem in Frage: die weitere Begrenzung des Zuzugs, die effektivere Bekämpfung der illegalen Einreise (einschließlich der entschiedenen Bekämpfung des Schlepperunwesens), die Einschränkung von Bleiberechten und die konsequente Abschiebung, insbesondere von Straftätern. In diesem Rahmen muß vom Staat verlangt werden, sich im Interesse der Erhaltung des inneren Friedens auch von manchen lieb gewordenen liberalen Positionen zu trennen. Zu einer restriktiven Ausländerpolitik haben sich inzwischen selbst so liberale Staaten wie Holland und Dänemark durchgerungen -sicherlich nicht ohne Grund!
9. Der Anteil derjenigen, die jährlich in die Bundesrepublik einwandern (obgleich sich Deutschland ausdrücklich nicht zu den Einwanderungsländern zqhlt), steigt seit der Auflösung des Ostblocks und der deutschen Wiedervereinigung sowie im Rahmen der Aufhebung europäischer Grenzen an. Allein 1992 kamen 438141 Asylbewerber (die sich weitgehend mit der Zahl der Wirtschaftsflüchtlinge dekken) zu uns. Ihre Anerkennungsquote liegt weit unter zehn Prozent; über 90 Prozent werden also nicht anerkannt. Ein Drittel von diesen taucht (wie von den Bundesländern geschätzt wird) in die Illegalität unter: Wovon leben sie da? Daß es 1994 „nur“ noch 127210 waren, hat mit dem sogenannten Asylkompromiß zu tun, der Ende dieses Jahres in bezug auf das Prinzip der sicheren Herkunftsländer, der Flughafenregelung und der Drittstaatenklausel auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe steht. Sollte das Gericht die Asylrechtsänderung vom 1. Juli 1993 kippen, stehen der Bundesrepublik nicht nur neue Wellen von Zuwanderem bevor, sondern (vermutlich) auch wieder weiter ansteigende Kriminalitätsraten („importierte“ Kriminalität). Denn beide Phänomene haben miteinander zu tun. Daß das so ist, kann man bereits daran erkennen, daß der Anteil der Asylbewerber an der Kriminalität der Nichtdeutschen nach dem Asylkompromiß deutlich absank (1993: 37, 1 Prozent, 1994: 25, 3 Prozent).
Gleichwohl: Die Asylbewerber verüben noch immer etwa so viele Straftaten wie alle anderen Nichtdeutschen-Gruppen (ohne die „Touristen“) zusammen. Aber auch insoweit versucht Geißler die Probleme wieder herunterzuspielen. Jedenfalls teilt er mit, daß es sich bei der Kriminalität der Asylbewerber „hauptsächlich um Bagatellkriminalität“ handeln würde: „um einfache Diebstähle, vor allem Warenhausdiebstähle“. Stimmt das denn nicht? Nein, zumindest wird wieder ein falscher Eindruck erweckt. Asylbewerber wurden (nach der von Geißler verachteten PKS, die er jedoch selbst benutzt) nicht nur überproportional häufig (nämlich mit 30, 1 Prozent) als Tatverdächtige von Einbrüchen und einfachen Diebstahlsdelikten registriert, sondern auch (mit 21, 4 Prozent) als Tatverdächtige von Gewaltstraftaten: Jede 14. gefährliche oder schwere Körperverletzung, jede 12. Raubtat, jede 10. Vergewaltigung und jedes 9. Tötungsverbrechen mußte dieser Gruppe (1994) zur Last gelegt werden. Und das bei einem Bevölkerungsanteil, der nach Geißler lediglich 600000 Menschen umfaßt. Warum wird die kriminelle Belastung der Asylbewerber bzw.der sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge unterschlagen? Sind die in der PKS registrierten nichtdeutschen Gewalttäter etwa alle unschuldig? Es kommt noch schlimmer! Dem Reinigungsverfahren von Geißler fällt nämlich, nachdem er das (wie schon erwähnt) bei der sogenannten „Tourismuskriminalität“ bereits praktiziert hatte, auch die Gruppe der Asylbewerber , zum Opfer 1: Die Kriminalität der Asylbewerber bzw. Wirtschaftsflüchtlinge rechnet er jedenfalls auch noch, und zwar aus wenig überzeugenden Gründeh, aus seinen Zahlen heraus. Geißlers Begründung: es handele sich um bloße „Notdelikte“; außerdem seien „die Ausländer noch besonderen Stigmatisierungs-und Kriminalisierungsprozessen ausgesetzt“. Diese Begründung dürfte nicht reichen. Spätestens an dieser Stelle hätte Geißler zumindest auffallen müssen, daß die Überschrift zu seinem Artikel nicht paßt. Sein Verfahren erinnert fatal an die frühere DDR-Praxis, die darin bestand, die Kriminalstatistik zu manipulieren bzw. zu „schönen“: Was nicht ins Bild paßte, wurde eliminiert.
10. Der politische Spielraum ist im übrigen gar nicht so groß, wie manche Wissenschaftler und (Kriminal-) Politiker meinen. Die Ausländerkriminalität zu unterschätzen, wäre jedenfalls ein schwerer kriminalpolitischer Fehler, der schon in anderen Ländern (mit z. T. verheerenden Folgen) gemacht worden istr nicht zuletzt in England und in den Vereinigten Staaten. Eine entsprechende falsche Lagebeurteilung ist gefährlich, wenn sie die (für den inneren Frieden) notwendigen Entscheidungen der gewählten Organe abbremst. Auch eine zweite Gefahr sollte man nicht übersehen: Wenn man die (nicht unberechtigten) Bedrohtheitsgefühle der Bevölkerung nicht ernst nimmt bzw. die Ursachen für diese verharmlost und zu bloßen „Gerüchten“ erklärt, darf man sich nicht wundern, wenn (wie z. B. in Frankreich) die Zahl derer zunimmt, die sich von dritter Seite Hilfe erhoffen. Radikale präsentieren dann die Rechnung. Prof. Dr. Hans-Dieter Schwind Universität Bochum
„Ausländerkriminalität“ ist und bleibt ein gefährliches Unwort
Es ist erfreulich und für die Sache nützlich, daß mein Kollege Hans-Dieter Schwind durch meine -durchaus und absichtlich pointiert formulierte -These ypm gefährlichen Gerücht von der hohen Ausländerkriminalität zum Widerspruch „gereizt“ wurde und diesen Widerspruch in einem Kommentar auch konkret zum Ausdruck gebracht hat. Wissenschaft lebt -ebenso wie Aufklärung durch politische Bildung -von der kontroversen Diskussion.
Etwas stutzig machen zunächst einige Formulierungen zu meiner angeblichen Vorgehensweise und ihren Ergebnissen -z. B. „realitätsblind“; „Taschenspielertricks“; die Zahlen würden „z. T. bedenkenlos minimiert“ oder gar: „Sein Verfahren erinnert fatal an die frühere DDR-Praxis, die darin bestand, die Kriminalitätsstatistik zu manipulieren bzw. zu . schönen 4: was nicht ins Bild paßte, wurde eliminiert.“ Vorwürfe dieser Art aus der Feder eines Kollegen sind schon relativ starker Tobak. Die aufmerksamen Leserinnen und Leser unserer Beiträge werden jedoch schnell merken, daß sie nicht belegt werden können. Die zitierten Formulierungen -und auch einige andere mehr -lassen sich am besten unter der Rubrik „politische Polemik“ ablegen, denn Hans-Dieter Schwind ist nicht nur in der Wissenschaft, sondern als ehemaliger Landesjustizminister auch in der Politik zu Hause -zwei Bereiche mit recht unterschiedlichen Argumentationskulturen. Ich werde versuchen, durch den Pulverdampf der politischen Polemik hindurch zum sachlichen Kern seiner Argumente vorzudringen. Nicht ansprechen werde ich die in Schwinds Beitrag erwähnten Funktionsprobleme der „multikulturellen Gesellschaft“ und die Probleme von Einwanderung und Asylgesetzgebung. Sie waren nicht Gegenstand meines Artikels und sind auch nicht wissenschaftlich seriös auf wenigen Seiten abzuhandeln. 1. Übereinstimmungen. Zunächst lassen sich über die kontroversen Standpunkte hinweg vier wichtige Gemeinsamkeiten festhalten (ich zitiere im folgenden immer H. -D. Schwind): 1. Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) ist „kein zuverlässiges Meßinstrument“, sie „weist zweifellos Fehlerquellen auf, die die Resultate verzerren“ -u. a. zu Lasten der Ausländer. 2. Zu den wichtigen Verzerrungsfaktoren zu Lasten der Ausländer zählen „vor allem alters-, geschlechts-
und schichtspezifische, aber auch wohnortbedingte Unterschiede zwischen der deutschen und nichtdeutschen Bevölkerung; hinzu kommen sozialstrukturelle Benachteiligungen der Ausländer ...“ 3. Auch meiner Kritik am unsinnigen Konzept der „Nichtdeutschen“ stimmt Schwind grundsätzlich zu, denn „, die‘ Nichtdeutschen bilden keineswegs eine homogene Gruppe“. 4. Schließlich findet es auch Schwind „ärgerlich..., wenn manche Medien über Ausländerkriminalität ohne die entsprechenden . relativierenden Kommentare 1 berichten“. (Allerdings komme ich an dieser Stelle nicht umhin, nochmals auf den bereits kritisierten Artikel Schwinds in der FAZ hinzuweisen, -der ebenfalls die „relativierenden Kommentare“ vermissen läßt.)
Welche sachlichen Argumente hat nun Schwind gegen die These vom gefährlichen Gerücht der hohen Ausländerkriminalität ins Feld zu führen? 2. Kein ernsthafter Einwand gegen die Kernthesen. Meine Argumentation läßt sich stark gerafft wie folgt skizzieren: Es wird zunächst der empirische Nachweis geführt, daß die Kriminalitätsbelastung der ausländischen Wohnbevölkerung geringer ist als diejenige von Deutschen in vergleichbarer Soziallage. Daraus ergeben sich zwei wichtige Schlußfolgerungen: 1. Die Unterschichtung der deutschen Gesellschaft durch ausländische Erwerbspersonen hat die Kriminalitätsprobleme nicht verschärft, sondern eher gemindert. 2. Das Gerede von der „hohen Ausländerkriminalität“ ist ein Gerücht, da diese pauschale Aussage aufdie über sechs Millionen Angehörigen der ausländischen Wohnbevölkerung nicht zutrifft; und das Gerücht ist gefährlich, weil es diese Gruppe diffamiert und allgemeine ausländerfeindliche Ressentiments schürt.
Gegen diese Kernthesen kann ich lediglich einen konkreten Einwand erkennen: Schwinds Kritik an der „Reinigungsstufe 4“. Dabei geht es um den Sachverhalt, daß tatverdächtige „Ausländer“ seltener rechtskräftig verurteilt werden als tatverdächtige Deutsche. Zunächst ist deutlich hervorzuheben, daß diese „Reinigungsstufe“ im Gesamtzusammenhang meiner empirischen Beweisführung quantitativ relativ unbedeutend ist; auch ohne sie läßt sich die Kernthese von der niedrigeren Kriminalitätsbelastung der ausländischen Wohnbevölkerung aufrechterhalten. Dennoch will ich kurz auf Schwinds Ausführungen dazu eingehen.
Schwind stimmt mit mir überein, daß die Deutung dieses Sachverhalts unter Experten umstritten ist. Richtig ist sein -quantitativ nicht präzisierter -Hinweis, daß einige der tatverdächtigen Ausländer „untertauchen“, ausreisen oder ausgewiesen werden und daher nicht bestraft werden (können). Empirisch gut belegt ist jedoch auch meine Interpretation vom häufigeren „falschen bzw. übertriebenen Tatverdacht“. Keine Belege gibt es dagegen für die Vermutungen Schwinds über die geringere Geständnisbereitschaft der Ausländer oder über die Auswirkungen von „Identifizierungsproblemen“. Reine Spekulation ist auch die These, daß Sprachbarrieren ein Vorteil für Ausländer seien. Sicherlich sind sie für die Beamten der Strafverfolgung manchmal ein ärgerliches Erschwernis bei ihren Ermittlungsbemühungen. Vermutlich schlagen sie sich jedoch insgesamt eher als „Defizit an Verteidigungsfähigkeit“ nieder. Ein sprachgewandter deutscher Kaufmann oder Professor wird sich gegen erhobene Vorwürfe besser zur Wehr setzen können als ein Tatverdächtiger, der die deutsche Sprache nur mangelhaft beherrscht. Im Prinzip richtig ist auch Schwinds Hinweis auf Probleme beim Vergleich von PKS und Verurteiltenstatistik; völlig falsch ist es allerdings, die dabei entstehenden Ungenauigkeiten mit denjenigen des Vergleichs von PKS und Bevölkerungsstatistik auf eine Stufe zu stellen -die Unvergleichlichkeit hat in beiden Fällen völlig andere Dimensionen. Hier handelt es sich -wie gezeigt -um den Verlgeich von Äpfeln mit sauren Gurken, dort nur um den Vergleich von Boskop und Golden Delicious. 3. Zu den „Ausländeranteilen“ unter den Strafgefangenen. Schwind teilt im Grundsätzlichen meine Kritik am kriminologisch und kriminalistisch unsinnigen Sammel(suriums-) konzept „Nichtdeutsche“ bzw. „Ausländer“. Dennoch fällt er in seinem Kommentar z. T. hinter diese Einsicht zurück. Er stellt erneut Daten zu den „Ausländeranteilen“ unter den Strafgefangenen und unter den einer Gewalttat Verdächtigten in der üblichen pauschalen Form vor, die Vorurteile gegenüber Ausländern im allgemeinen und gegen die ausländische Wohnbevölkerung im besonderen schüren können. Ich möchte nochmals am Beispiel des „Ausländeranteils“ unter Strafgefangenen, der in Schwinds Gegenargumentation eine zentrale Rolle spielt, illustrieren, warum Aussagen dieses Typs „gefährliche Gerüchte“ sind.
Schwind führt an, daß „weit über 20 %“ der erwachsenen Strafgefangenen und „sogar über 30 %“ der Häftlinge in den Jugendstrafanstalten Ausländer sind. Diese nackten Zahlen bedürfen einer Interpretation: Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes liegen die letzten repräsentativen Daten für das Jahr 1991 vor. Damals gab es in den alten Bundesländern 33392 erwachsene Strafgefangene, davon 4635 „Nichtdeutsche (= 13, 8 %); in den Jugendstrafanstalten kamen 930 „Nichtdeutsche“ auf 3889 Häftlinge (= 23, 9 %). Angaben aus einzelnen Ländern, z. B. aus Nordrhein-Westfalen, deuten darauf hin, daß die „Ausländeranteile“ seitdem gestiegen sind; es ist jedoch völlig unklar, aus welchen Gruppen diese „Neuzugänge“ stammen und welche Ursachen hinter dieser Zunahme in den neunziger Jahren stecken. Wie hoch ist z. B.der Anteil der kriminellen „Grenzgänger“ aus den Nachbarländern („Touristenkriminalität“), nachdem der Grenzübertritt insbesondere nach der Öffnung der Grenzen im Osten, aber auch durch den Abbau von Kontrollen im Westen erheblich erleichtert wurde? Die Zahlen sind durchaus alarmierend. Allerdings muß der verantwortungsvolle Experte bei der Präsentation derartiger Daten stets nachdrücklich auf zwei wichtige Punkte aufmerksam machen: Zum einen sagen diese Zahlen nichts Sinnvolles über die Kriminalitätsbelastung der mehr als sechs Millionen ausländischen Erwerbspersonen und ihrer Familien aus. Denn mit der Strafvollzugsstatistik ist es noch schlimmer bestellt als mit der PKS, da sie die unsinnige Gruppe der „Nichtdeutschen“ nicht differenziert aufschlüsselt. Aus der PKS geht immerhin noch hervor, daß 1994 gerade einmal 27 % der nichtdeutschen Tatverdächtigen zu den ausländischen Arbeitnehmern, Gewerbetreibenden, Studenten oder Schülern gehörten. Ein sehr großer Teil der „ausländischen“ Häftlinge dürfte also -entgegen dem ersten Anschein -nicht aus der ausländischen Wohnbevölkerung stammen. Und zweitens muß auf den enormen schichtspezifischen Filter bei der Strafverfolgung hingewiesen werden, der empirisch gut belegt ist. So hat z. B. Schwind bereits vor langer Zeitin seinen eigenen Dunkelfeldstudien herausgefunden, daß mehr als die Hälfte der untersuchten Jura-Studenten ein oder auch mehrere Delikte begangen hatten, die nicht zu den Bagatelldelikten zählen -wie z. B. Diebstahl, Urkundenfälschung, Betrug oder gar Raub, Brandstiftung oder Notzucht. Viele Untersuchungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen, auch für Gymnasiasten. Dennoch landen Straftäter mit guter Ausbildung nur in Ausnahmefällen im Gefängnis. 1988 waren nur 0, 1 % (!) der männlichen Häftlinge in den Jugendstrafvollzugsanstalten Gymnasiasten oder Abiturienten, die immerhin bereits etwa ein Viertel der Schulabgänger ausmachten; statt dessen sind mehr als zwei Drittel der Häftlinge ohne Hauptschulabschluß -eine Gruppe, die unter den Schulabgängern inzwischen auf unter 10 % geschrumpft ist. Unsere Gesellschaft vollstreckt also ihre härtesten Strafen hauptsächlich an einer kleinen Gruppe aus den untersten Schichten -was nur z. T. mit schichtspezifischen Unterschieden im kriminellen Verhalten Zu sammenhänge
Der skizzierte Filter ist auch auf eine Fülle von Faktoren auf den verschiedenen Stufen der Strafverfolgung zurückzuführen, die sich -jeder für sich -geringfügig zu Lasten der Unterschichtangehörigen auswirken und die sich dann aber im Endeffekt zu einer deutlichen schichtspezifischen Auslese aufaddieren. Da Ausländer überwiegend der Unterschicht angehören, ist die Annahme plausibel, daß sie ebenfalls von diesen Auslesemechanismen zu ihren Ungunsten betroffen sind. Diese Überlegung wird zusätzlich gestützt durch die beiden bereits erwähnten Dunkelfeldstudien, die neben deutschen auch ausländische Jugendliche erfassen -trotz aller methodischen Tücken, die bekannterweise mit Dunkelfeldstudien, sei es über Deutsche, sei es über Ausländer, verbunden sind. Schicht-und „Ausländer“ -Quoten unter den Strafgefangenen sind also wegen der Selektionsprozesse ein denkbar schlechter Indikator für die Verbrechensrealität, so wie auch die ca. 4% weiblichen Strafgefangenen ein schiefes Bild vom kriminellen Verhalten der Geschlechter vermitteln. 4. Differenzierte Sichtweise, aber keine „Datenmanipulation“. Schwind wirft mir vor, aus den PKS-Daten die Kriminalität der „Touristen“ und Asylbewerber „herauszurechnen“ und fühlt sich dabei an „Taschenspielertricks“ und Datenmanipulation ä la DDR erinnert. Schlimmer kann man eigentlich mein Vorgehen und meine Argumentation nicht mißverstehen! Oder mißverstehen wollen? Ziel des „Reinigungsverfahrens“ der PKS-Daten ist, der tatsächlichen Kriminalitätsbelastung der ausländischen Wohnbevölkerung auf die Spur zu kommen, und dazu ist es nötig, andere Ausländergruppen mit ganz spezifischen Lebens-umständen auszusondem. Schwinds Hinweis auf die Betroffenheit der Opfer überzeugt in diesem Zusammenhang nicht. Es ist zwar richtig, daß es einem Geschädigten egal ist, ob er von einem durchreisenden oder ansässigen Ausländer beraubt wurde; es ist ihm jedoch genauso egal, ob der Täter ein Ausländer oder -was häufiger vorkommt -ein Deutscher war. Aus der Betroffenheitsperspektive lassen sich keine kriminologisch sinnvollen Kriterien zur Strukturierung der Tätergruppe gewinnen. Wer sich von der Pauschalkategorie „Ausländerkriminalität“ verabschiedet, vermeidet dagegen nicht nur deren gefährliche Effekte, sondern schärft auch seinen Blick für die Verbrechensrealität -nämlich dafür, daß die Straftaten von Ausländern (so wie auch diejenigen von Deutschen) aus sehr verschiedenen Zusammenhängen heraus entstehen und zu bekämpfen sind. 5. Zur „Anpassungswilligkeit“ der ausländischen Wohnbevölkerung. Schwinds Hinweis auf den Wunsch zahlreicher junger Zuwanderer, an ihrer nationalen Identität festzuhalten, spricht ein kompliziertes Problem der „Integration“ an, hat aber mit meiner Argumentation nichts zu tun. Mir geht es bei der „Anpassungsthese“ um den Nachweis, daß sich ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien mit den strukturellen Nachteilen ihrer Soziallage besser arrangieren als Deutsche und daher, so hier die Konkretisierung dieser These, seltener kriminell werden als Deutsche mit ähnlichen Benachteiligungen. Die These von der „Anpassungswilligkeit“ wird im übrigen auch durch arbeitssoziologische Untersuchungen bestätigt: Obwohl ausländische Arbeitnehmer überproportional häufig Nacht-und Schichtarbeit sowie belastende und gefährliche Tätigkeiten verrichten und häufiger von Arbeitslosigkeit bedroht sind als Deutsche, sind sie mit ihrer Arbeit genauso zufrieden wie ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen. 6. Zur „Integration“ der zweiten und dritten Ausländergeneration. Auch in diesem Punkt beruhen die Einwände und Überlegungen Schwinds auf einem Mißverständnis. Ich gehe nicht „von einer gelungenen Integration aus“, wie Schwind schreibt, sondern kritisiere die falsche Vorstellung, daß es eine -im Vergleich zu Deutschen in ähnlicher Soziallage -besonders hohe Kriminalität der zweiten und dritten Ausländergeneration gibt (dies wird von Schwind unterstellt, überprüfbare Belege dafür bringt er allerdings nicht bei) und daß dieser angebliche Sachverhalt dann als Symptom für eine „mißlungene Integration“ herangezogen wird. Die vielen Facetten der vielschichtigen Integrationsprobleme junger Ausländer sindein Thema für sich und bedürften einer besonderen Abhandlung (einige Aspekte werden in den Beiträgen von Thränhardt und Herrmann in B 35/95 behandelt). 7. „Ausländerkriminalität“ ist und bleibt ein diffamierendes Konzept. Die Vorstellung von einer besonders hohen kriminellen Belastung der ausländischen Wohnbevölkerung hält -wie gezeigt -einer empirischen Überprüfung nicht stand. Gegen diese Erkenntnis, die nicht allen politisch willkommen ist, läßt sich zwar politisch polemisieren, nicht aber überzeugend wissenschaftlich argumentieren. Daher ist und bleibt die Pauschalkategorie „Ausländer“ im Zusammenhang mit Kriminalität ein diffamierendes und gefährliches Konzept, vor dem sich Statistiker, Wissenschaftler, Politiker und Publizisten hüten müssen, die an einem friedlichen Zusammenleben der Deutschen mit ihren ethnischen Minderheiten interessiert sind.