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Deutschlands Rolle in der UNO | APuZ 42/1995 | bpb.de

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APuZ 42/1995 Zur Geschichte der Vereinten Nationen Der Beitrag der Vereinten Nationen zur Fortentwicklung des Völkerrechts Deutschlands Rolle in der UNO Aktivieren, reformieren, negieren? Zum 50jährigen Bestehen der Vereinten Nationen

Deutschlands Rolle in der UNO

Hans Arnold

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Rolle Deutschlands in der UNO war bis zur Herstellung der deutschen Einheit von eigener, mit der Rolle anderer UNO-Mitglieder nicht vergleichbarer Art. Von 1950 bis 1973 war die Bundesrepublik Deutschland als alleiniges deutsches Mitglied in allen Sonder-und Spezialorganisationen, nicht jedoch in der Generalversammlung und im Sicherheitsrat der UNO vertreten. Von 1973 bis 1990 waren die beiden deutschen Staaten Vollmitglieder der UNO. Bis 1973 konzentrierte die Bundesrepublik, bis 1990 konzentrierten dann die beiden deutschen Staaten ihre Mitarbeit in der UNO auf deren nichtmilitärischen Kooperationsbereich. Seit 1990 hat Deutschland mit einer deutschen Beteiligung an der Friedenssicherung durch militärische Intervention im Rahmen der UNO und mit dem deutschen Wunsch nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat neue Akzente gesetzt. Der Beginn der UNO-Mitgliedschaft des geeinten Deutschland 1990 ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und der deutschen Mitarbeit in der UNO in den letzten 50 Jahren als ein Neuanfang zu verstehen. Eine neue Konzeption für die deutsche UNO-Politik hat sich jedoch noch nicht entwickelt.

Ursprünge

Die Organisation der Vereinten Nationen

Die Frage nach der Rolle Deutschlands in der UNO ist die Frage, welches Deutschland in welcher UNO welche Rolle spielen kann bzw. spielen sollte. Sie steht im Zentrum der generellen Frage nach der weltpolitischen Rolle Deutschlands.

Die Beziehungen zwischen Deutschland und der UNO sind älter als die UNO selbst. Sie begannen unmittelbar nach dem von Deutschland ausgelösten Zweiten Weltkrieg, als die USA und Großbritannien 1939/40 erste Konsultationen darüber aufnahmen, wie nach einem Sieg über Deutschland der Weltfriede wirksamer als bis dahin gesichert werden könne, die dann in der Atlantik-Charta (1941) ihren Niederschlag fanden. Deutschland und später Japan waren der Anlaß für die Gründung der UNO. Deutschland und die UNO waren die beiden Themen der für die Nachkriegszeit entscheidenden Konferenz der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs in Jalta im Jahre 1945.

Die 50 Staaten, die am 26. Juni 1945 in San Franzisco die Charta der Vereinten Nationen Unterzeichneten, taten dies als Kriegskoalition gegen Deutschland und Japan und deren Verbündete. Dies ist mit den sogenannten „Feindstaatenklauseln“ in der UNO-Charta (Artikel 53 und 107) bis heute festgeschrieben. Die Artikel sind heute freilich obsolet, da alle diese Staaten inzwischen gemäß Artikel 4 der UNO-Charta als „friedliebende Staaten, welche die Verpflichtungen aus dieser Charta übernehmen und nach dem Urteil der Organisation fähig und willens sind, diese Verpflichtungen zu erfüllen“, in die UNO aufgenommen worden sind.

Anfänge

In den Jahren unmittelbar nach Gründung der UNO und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war das besetzte Deutschland teils Terrain für, teils Gegenstand von UNO-Politik. UNO-Hilfsorganisationen, wie die Flüchtlingsorganisationen UNRA, IRO und UNHCR und die Kinderhilfsorganisation UNICEF, sorgten in Deutschland für Flüchtlinge, Verschleppte und Kinder. Zweimal war Deutschland Gegenstand der UNO-Politik. 1948 wurde versucht, die UNO mit der Blockade Berlins durch die Sowjetunion zu befassen. Der Versuch scheiterte jedoch im Sicherheitsrat an dem Veto der Sowjetunion, das diese mit dem Hinweis auf die Unzuständigkeit der UNO für den Feindstaat Deutschland eingelegt hatte. In den Jahren 1951/52 mißlang vor dem Hintergrund des -die internationale und vor allem die europäische Politik bereits prägenden -Ost-West-Konflikts ein Versuch, gesamtdeutsche Wahlen in der Bundesrepublik und der DDR unter der Ägide der UNO durchzuführen. Von da ab war die Deutschland-frage in der UNO kein Thema mehr. Der Westen wollte sie nicht den Unwägbarkeiten einer Behandlung in der UNO überlassen, der Osten setzte dem nichts entgegen.

Etwa zum gleichen Zeitpunkt begann die partielle Aufnahme der Bundesrepublik in die (bis zum Aufkommen der Dritten Welt in den sechziger Jahren) westlich beherrschte UNO. Bereits 1950 wurde die erst ein Jahr alte Bundesrepublik in eine der großen UNO-Sonderorganisationen, die Welternährungsorganisation (FAO), aufgenommen. 1952 konnte sie bei der UNO in New York, 1954 zusätzlich am zweiten UNO-Platz Genf eine Beobachtermission errichten. 1955, also zu dem Zeitpunkt, zu dem sie gleichzeitig mit ihrem Eintritt in die NATO ihre (wenn auch eingeschränkte) Souveränität erhielt, war die Bundesrepublik Mitglied in allen UNO-Sonderorganisationen geworden, wie etwa der Kulturorganisation (UNESCO), der Gesundheitsorganisation (WHO), der Arbeitsorganisation (ILO) usw. Und sie war, was nicht unbedingt von den Aufgaben her, aber UNO-politisch bedeutsamer ist, Mitglied auch aller der UNO-Generalversammlung unmittelbar zugeordneten Spezialorganisationen, wie etwa der Kinderorganisation (UNICEF), der Flüchtlingsorganisation (UNHCR) usw., geworden. Von den UNO-Vollmitgliedern unterschied sie sich somit nur durch ihre Nicht-Mitgliedschaft in der Generalversammlung und im Sicherheitsrat.1973 wurden die Bundesrepublik und die DDR Voll-Mitglieder der UNO. 1990 wurde die Mitgliedschaft der DDR beendet. Von da ab führte das geeinte und voll souveräne Deutschland die Mitgliedschaft der Bundesrepublik fort. Bis dahin war die UNO-Politik der Bundesrepublik zwangsläufig immer von ihrer besonderen außenpolitischen Position und Handlungsfähigkeit her bestimmt.

Aktive Nicht-Mitgliedschaft

In den Anfangsjahren der Bundesrepublik, in denen es in erster Linie um die Rückkehr Deutschlands in die Völkergemeinschaft ging, wurde die UNO in der deutschen Politik häufig als eine Art übergeordnete Institution und Berufungsinstanz verstanden. Bei der Verabschiedung des Grundgesetzes war die UNO das einzige existierende „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“, dem sich nach Artikel 24 des Grundgesetzes „der Bund“ unter „Beschränkung seiner Hoheitsrechte“ hätte „einordnen“ können. Im Deutschlandvertrag von 1954 etwa, mit dem das Besatzungsregime beendet und die deutsche Wiederbewaffnung vorbereitet wurde, verpflichtete sich die Bundesrepublik, „ihre Politik im Einklang mit den Prinzipien der Vereinten Nationen“ zu führen. Auch in wichtigen Erklärungen mit internationalem Bezug wurde im Bundestag und bei anderen Gelegenheiten immer wieder bekennend auf die „Grundsätze und Ziele der Vereinten Nationen“ Bezug genommen.

Operativ blieb die UNO-Politik der Bundesrepublik bis zur deutschen Einheit immer ein wichtiger, doch gleichzeitig immer auch ein eher beigeordneter Teil ihrer Außenpolitik. Ebenso wie für die übrige deutsche Außenpolitik waren auch hier die Einbindung der Bundesrepublik in die westeuropäische Zusammenarbeit (EG/EU), in die Nordatlantische Allianz (NATO) und die Priorität von Europa-und Ost-West-Politik die bestimmenden Faktoren. Auch in der UNO-Politik hatte für die deutsche Außenpolitik die Zugehörigkeit zum Westblock Vorrang vor allen anderen Überlegungen. Auch in der UNO war deutsche Außenpolitik gemäß der damaligen internationalen Position der Bundesrepublik vorwiegend nicht national, sondern im westeuropäischen und transatlantischen Verbund multilateral angelegt.

Auf dieser Linie betrieb die Bundesrepublik bis zu ihrem Beitritt zur UNO als Vollmitglied (1973) das, was seither häufig und am zutreffendsten als eine aktive Nicht-Mitgliedschaft umschrieben wird. Und in gewisser Weise gewann sie in all diesen Jahren in der UNO gerade dadurch Ansehen und Gewicht, daß sie keine besonderen nationalen Ansprüche vertrat und daß sie -die sie zwar in allen UNO-Organisationen, nicht aber in den beiden betont machtpolitisch orientierten Gremien Generalversammlung und Sicherheitsrat Mitglied war -keinerlei weit-oder machtpolitische Ambitionen entwickelte.

Alleinvertretung

Das einzige, im klassischen Wortsinn wirklich nationale Ziel der damaligen Außenpolitik und damit auch der UNO-Politik der Bundesrepublik war der mit Beginn der westdeutschen Souveränität (1955) postulierte sogenannte „Alleinvertretungsanspruch“, das heißt der Anspruch, der einzige legitime deutsche Staat zu sein. Um ihm zu genügen, mußte verhindert werden, daß der andere deutsche Staat, die DDR, von anderen Staaten völkerrechtlich anerkannt würde. Das Mittel hierfür war die nach dem damaligen Staatssekretär im Auswärtigen Amt benannte sogenannte „HallsteinDoktrin“. Sie besagte, daß die Bundesrepublik ihre diplomatischen Beziehungen zu jedem Staat, der die DDR anerkenne, abbrechen würde.

Diese Politik verhinderte eine Anerkennung der DDR durch andere Staaten als die des Ostblocks bis 1957, als Jugoslawien trotz seiner Beziehungen zur Bundesrepublik diplomatische Beziehungen mit der DDR aufnahm -und die Bundesrepublik folgerichtig die Beziehungen zu Jugoslawien abbrach. Aber auch danach ließ sich der Alleinvertretungsanspruch dank der starren Konfrontation von Ost-und Westblock und dank der wirtschaftlichen Möglichkeiten der Bundesrepublik noch weiter durchhalten. In der UNO war es das Ziel dieser Politik, die Aufnahme der DDR in UNO-Organisationen zü verhindern. Obwohl dies -nämlich die Verhinderung des Zustandekommens von Mehrheiten zugunsten der DDR -teilweise komplizierter war als die Verhinderung einer Anerkennung durch einzelne Staaten, gelang es bis zu der Aufnahme der beiden deutschen Staaten als Vollmitglied in die UNO im Jahre 1973.

In ihrem Endstadium hinkte diese Politik freilich etwas hinter der veränderten deutschen Ost-und Deutschlandpolitik hinterher. Denn sie wurde noch fortgeführt, nachdem 1968 die Bundesrepublik die diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien trotz dessen Beziehungen zur DDR wieder aufgenommen hatte, womit die „Hallstein-Doktrin“ praktisch liquidiert worden war. Noch zu einem Zeitpunkt, zu dem mit dem Grundlagenvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten im Jahre 1972 bereits die Voraussetzung für deren UNO-Beitritt geschaffen worden war, kämpfte die Bundesrepublik vehement und erfolgreich gegen einen Beitritt der DDR zur Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Die Vor-bzw. Nachteile, welche diese Politik in den deutschlandpolitischen Zusammenhängen brachte, sind hier nicht zu untersuchen. Doch ist festzuhalten, daß sie teilweise zu einer gewissen außenpolitischen Selbstfesselung der Bundesrepublik bis hin zur Erpreßbarkeit führte und daß sie gelegentlich gegenüber den westlichen Alliierten und gegenüber Staaten der Dritten Welt einen hohen politischen oder wirtschaftlichen Preis forderte. Für die Außenpolitik der Bundesrepublik innerhalb der UNO bleibt daher festzuhalten, daß ihre Optionen und ihr Bewegungsspielraum durch den Alleinvertretungsanspruch manchmal erheblich eingeschränkt wurden. Diese Politik war zwar weltweit wirksam; sie diente aber nicht irgendeiner Teilnahme der Bundesrepublik an der Weltpolitik, sondern ausschließlich der Wahrung ihrer internationalen Position in einem bestimmten Punkt.

Doppelrolle

Die anschließende 17jährige deutsche Doppelrolle mit zwei gleichberechtigten deutschen Mitgliedstaaten in der UNO (1973-1990) war deutschland-politisch neutral. Die beiden deutschen Staaten befaßten die Weltorganisation nicht mit dem, was nach dem deutsch-deutschen Grundlagenvertrag noch als deutsche Frage verstanden werden konnte. Die internationale Staatengemeinschaft betrachtete diese Frage mit der Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO als geregelt. Beide Staaten unterschieden sich in nichts von den anderen UNO-Mitgliedern; sie übernahmen z. B. turnusmäßig den Vorsitz in der Generalversammlung und allen anderen Gremien wie alle anderen UNO-Mitglieder auch.

Die Phase der Ost-West-Entspannung in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, die den west-östlichen Konsens über eine Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO ermöglicht hatte, erleichterte auch das deutsch-deutsche Nebeneinander in der UNO. Freilich blieben die Positionen der beiden deutschen Staaten durch deren Zugehörigkeit zum West-bzw. Ostblock gemäß den jeweiligen internen Blockverhältnissen konditioniert; die der Bundesrepublik etwas weniger, die der DDR etwas mehr. Die Bundesrepublik setzte als Vollmitglied im Grunde mit verbessertem Status auf der ganzen Bandbreite der UNO-Aktivitäten das fort, was sie bereits als „aktives Nicht-Mitglied“ getan hatte. Die DDR nahm an der UNO eher selektiv teil. Einige Organisationen, wie etwa die der Weltbankgruppe (Weltbank, Währungsfonds etc.), mied sie aus ideologischen Gründen, anderen, wie etwa einigen entwicklungspolitischen Organisationen, blieb sie aus Devisen-mangel fern.

Deutlich kamen die unterschiedlichen Positionen der beiden deutschen Staaten in deren Abstimmungsverhalten zum Ausdruck, insbesondere in der Generalversamlung. Die Stimmabgabe der Bundesrepublik war immer durch eine doppelte Rücksichtnahme bestimmt: einmal durch Rücksicht auf den Westblock und die transatlantische Allianz und zum anderen durch die aus ihrer Position an der Nahtstelle zwischen Ost und West zu beachtenden ostpolitischen Zusammenhänge. Dies führte häufig zu einer Stimmenthaltung (die daher von einigen ihrer Alliierten gelegentlich freundschaftlich-spöttisch als das typische „german vote“ bezeichnet wurde). Die DDR hingegen lag mit ihren Voten meistens im Hauptstrom der Meinungsbildung in der Generalversammlung, die in den siebziger und in der ersten Hälfte der achtziger Jahre bekanntlich von den Staaten des Ostblocks und den Staaten der Dritten Welt dominiert wurde.

Die Bundesrepublik hatte durch die Erreichung ihrer Vollmitgliedschaft in der UNO, ebenso wie zuvor durch das Herausnehmen der Deutschland-frage aus der internationalen Politik und durch ostpolitische Initiativen, ihren außenpolitischen Spielraum generell und insbesondere auch in der UNO trotz ihrer unverändert fortbestehenden Einbindung in die EG und die NATO vergrößert. Sie nutzte ihn, indem sie den fortbestehenden Mangel an eigener nationaler Macht mit den Machtfaktoren NATO und EG kombinierte. Sie kompensierte ihren eigenen Mangel durch die Tatsache, daß sie als Mitglied der Staatenverbünde EG und NATO, wie man so sagt, „etwas im Rücken hatte“. Sie folgte damit an sich der außenpolitischen Linie der kleineren Mitgliedstaaten von EG und NATO, doch dank ihrer größeren in diese Organisationen eingebrachten Potenzen mit größerer Legitimierung.Auf dieser Linie nutzte die Bundesrepublik innerhalb der UNO intensiv die Möglichkeiten der zeitgleich mit dem deutsch-deutschen Grundlagenvertrag, der Aktivierung der deutschen Ostpolitik und der Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO entstandenen Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) der Staaten der EG. Diese hat auch in der UNO bisher zu keinem wirklichen gemeinsamen außenpolitischen Profil der Staaten der EG bzw.der Europäischen Union (EU) führen können. Wobei in der UNO hinzukommt, daß Frankreich und Großbritannien ihre Position und Politik als ständige Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates konsequent aus der EPZ heraushalten. Doch war und ist die innerhalb aller UNO-Organisationen von den Staaten der EU ständig und regelmäßig praktizierte EPZ, die seit dem Vertrag von Maastricht Teil der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik (GASP) der EU-Staaten ist, für die deutsche UNO-Politik und deren europäische Harmonisierung von großem Nutzen.

Machtverzicht

Festzuhalten ist, daß die Bundesrepublik bis zur Wiederherstellung der deutschen Einheit in der UNO zwar immer aktiv und gelegentlich auch besonders prominent mitarbeitete. So beispielsweise 1980 mit ihrer sogenannten „Flüchtlingsinitiative“, die nach zäher Arbeit in den Gremien 1986 zu einem Beschluß der Generalversammlung über frühzeitige präventive Politik beim Aufkommen von Flucht-und Migrationsbewegungen führte. Doch auch nach ihrer Aufnahme als Vollmitglied in die UNO verzichtete sie auf eine über die angemessene Wahrung der eigenen Interessen hinausgehende UNO-Politik und insbesondere auf eine Machtausübung unter dem Vorzeichen der UNO. Machtpolitisch betrieb die Bundesrepublik in den 17 Jahren ihrer Vollmitgliedschaft in der UNO bis zur Herstellung der deutschen Einheit grundsätzlich das, was seither im politischen Diskurs in Deutschland im Zusammenhang mit Einsätzen der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes für politische Zwecke vielfach als eine „Kultur der Zurückhaltung“ bezeichnet wird.

In spektakulärer Weise wurde dies deutlich, als die Bundesrepublik 1983 vom UNO-Generalsekretär wieder einmal und etwas nachhaltiger als früher aufgefordert wurde, Einheiten der Bundeswehr für Einsätze von „Blauhelmen“ (für die damals ausschließliche Aufgabe der Sicherung von vertraglich vereinbarten Waffenstillständen) zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung erklärte sofort und ohne eingehendere Nachprüfung der Rechtslage, daß die deutsche Verfassung einen solchen Einsatz der Bundeswehr nicht zulasse. Die innerdeutschen Folgewirkungen sind bekannt. UNO-politisch war die Entscheidung folgerichtig, entsprach sie doch der doppelten Grundlinie der damaligen deutschen Außenpolitik. Einmal der Linie, diese Außenpolitik innerhalb von EG und NATO zu multilateralisieren (was für „Blauhelm“ -Aktionen damals nicht möglich gewesen wäre), und zum anderen der Linie, auf einen Einsatz von bewaffneter Macht für politische Zwecke, also jenseits der Landesverteidigung, zu verzichten.

Für eine Beurteilung der Rolle des heutigen Deutschland in der UNO muß von einigen weltpolitischen Veränderungen seit 1945 und von den Veränderungen innerhalb der UNO seit deren Gründung ausgegangen werden.

Veränderte Welt

Die UNO ist 1945 in der aus den Entwicklungen im 19. Jahrhundert hervorgegangenen Welt der Nationalstaaten entstanden, in der die wesentlichen weltpolitischen Entwicklungen durch Auseinandersetzungen oder durch Zusammenarbeit zwischen Staaten oder Staatengruppierungen ausgelöst und verarbeitet wurden. Die UNO soll zwar, nach dem ersten Satz ihrer Charta, den „Völkern der Vereinten Nationen“ dienen. Aber sie ist nicht nur völkerrechtlich, sondern auch nach ihrer Grundidee, deren gedankliche Vorläufer bekanntlich bis in das 18. Jahrhundert und weiter zurückreichen, als eine Staatenorganisation gegründet worden. Ferner war die UNO, trotz der großen Zahl nichteuropäischer Gründerstaaten, nach den militärischen und wirtschaftlichen Machtverhältnissen in der Welt von 1945 eine eurozentrische Schöpfung mit maßgeblicher amerikanischer und sowjetrussischer Beteiligung. Sowohl hinsichtlich der Rolle der Staaten als auch hinsichtlich des Eurozentrismus sind seit der Gründung der UNO wesentliche Veränderungen eingetreten.

In den letzten fünf Jahrzehnten wurde die weltweite Kommunikation immer umfassender, wurden alle Arten von Beziehungen, Zusammenhängen und Problemen immer mehr globalisiert, und die Demokratisierung der Politik machte Fortschritte. Dank dieser Entwicklungen entstehen neben der Welt der Staaten, also der internationalenStaatengemeinschaft, die sich in der UNO zusammengefunden hat, eine Wirtschaftswelt, eine Welt der Gesellschaften und eine Welt der Kulturen, die alle drei für die weltpolitischen Entwicklungen zunehmend und nach den ihnen eigenen nichtstaatlichen Gesetzmäßigkeiten Bedeutung haben.

Innerhalb der Wirtschaftswelt vollziehen sich die weltweiten ökonomischen und finanziellen Zusammenhänge, Probleme und Problemlösungen in zunehmender Unabhängigkeit von nationalstaatlichen Einbindungen und Entscheidungen. Dies wird u. a. durch die wachsende Bedeutung von transnationalen Unternehmen (TNCs, „Multis“), durch das Tempo und den Umfang von globalen Geldbewegungen sowie durch die globalen Zusammenhänge für die Entwicklungen der nationalen Währungen illustriert. Das weltwirtschaftliche Geschehen wird zunehmend „staatenlos“. Die UNO kann es nicht beeinflussen; sie muß es in Rechnung stellen.

In der vor allem von den Gesellschaften der industrialisierten Demokratien getragenen und erweiterten Welt der Gesellschaften treten neben die nationalstaatliche Interessenpolitik grenzüberschreitende gesellschaftliche Interessen und entsprechende politische Kräfte, die wiederum auf die Politik der Staaten einwirken. Sie wurden in der jüngeren Vergangenheit zunehmend auch für globale Belange aktiv. Wenn auch die Dimension der Welt der Gesellschaften insgesamt weiter gespannt ist, so sind doch einige jüngste Proteste, wie die gegen die Versenkung einer Öl-Plattform der Firma Shell in der Nordsee oder die gegen die französischen Nukleartests im Pazifik, für sie typisch. In der UNO wird die Bedeutung der Welt der Gesellschaften durch den wachsenden Einfluß von Nicht-Regierungs-Organisationen (NROS/NGOs) illustriert.

In der Welt der Kulturen gewinnen auch von Staaten unabhängige kulturelle, insbesondere religiöse, aber auch ethnische Kräfte eigenes politisches Gewicht in den internationalen Beziehungen. Sei es durch ihre tatsächliche Wirkung, sei es durch eine politische Instrumentalisierung von angenommenen oder behaupteten Wirkungen. In der UNO gab 1994 die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo deutliche Beispiele für die Wirksamkeit der Kulturen im religiösen Bereich.

Der frühere weltpolitische Eurozentrismus schließlich war bereits bei Gründung der UNO durch den Zweiten Weltkrieg und durch die Teilnahme der USA und der Sowjetunion an ihm geschwächt. Seither wurde er durch das Zusammenwirken zwischen der Dekolonialisierung und der bipolaren, in Europa zentrierten Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion quasi liquidiert. Das Ende des Kalten Krieges und der Zerfall der Sowjetunion brachten keine Renaissance für die weltpolitischen Residuen der führenden Mächte des früheren Eurozentrismus, ganz zu schweigen von einer weltpolitischen Rolle der Europäischen Union. Die Grundlage für die Arbeit der UNO ist eine undeutlich geordnete weltpolitische Multipolarität.

Veränderte UNO

Verändert hat sich mit der Welt auch die Weltorganisation UNO. Sie war 1945 geschaffen worden, um, wie es im ersten Satz ihrer Charta heißt, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“. Das heißt, sie wurde gegründet, um einen dritten Weltkrieg zu verhindern. Das durchlaufende, immer wieder erwähnte Thema der Charta ist der „Weltfriede und die internationale Sicherheit“. Kein anderer Teil der Charta ist so detailliert formuliert wie ihre Kapitel VI. und VII., die der Friedenssicherung, d. h.der Verhinderung bzw.der Beendigung von bewaffneten Konflikten zwischen Staaten, gewidmet sind. Alle anderen in der Charta behandelten Themen sind dem Problem Friedenssicherung, vorwiegend subsidiär, zugeordnet. Die UNO wurde geschaffen, um zu der Welt von vor 1939 zurückkehren und in ihr sicherer als zuvor leben zu können.

Keiner der Gründer der UNO dachte 1945 an eine Dekolonialisierung und an eine staatliche, wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entwicklung von über 130 neu entstehenden Nationalstaaten oder an globale Probleme, wie sie das moderne Wirtschaften mit sich bringt. Niemand dachte damals an Gefahren für die Umwelt bis hin zu Veränderungen des Weltklimas oder an eine explosive Vermehrung der Weltbevölkerung. All diese Themen und einige mehr waren zu dem Zeitpunkt inexistent.

Heute ist die UNO -ohne daß ihre Charta je geändert worden wäre -als die einzige universale Welt-organisation für zwischenstaatliche Zusammenarbeit thematisch und organisatorisch weit über ihren ursprünglichen, sicherheitspolitisch bestimmten Rahmen hinausgewachsen. Trotz der in den letzten Jahren sprunghaft angestiegenen Aktivitäten der UNO im Bereich der Friedenssicherungmachen diese immer noch nur knapp 30 Prozent der gesamten Arbeit der UNO aus. Unumstritten ist auch, daß die meisten bewaffneten Konflikte ihre Ursachen in nichtmilitärischen Konfliktsituationen haben. Und es ist ebenso unumstritten, daß durch einen Ausbau und eine verbesserte Nutzung des nichtmilitärischen Netzwerkes der UNO die Möglichkeiten einer vorbeugenden Sicherung des Friedens vor dem Ausbruch bewaffneter Konflikte verbessert würden.

In diesem Sinne geht beispielsweise die von Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali der UNO-Generalversammlung 1992 vorgelegte „Agenda für den Frieden“ in Übereinstimmung mit dem Ergebnis einer kurz zuvor veranstalteten Gipfelkonferenz des UNO-Sicherheitsrates davon aus, daß die Hauptursachen für die Bedrohung von Frieden und Sicherheit die „Instabilitäten im wirtschaftlichen, sozialen, humanitären und ökologischen Bereich“ sind. Demgemäß ist die „Agenda für den Frieden“ auch vorwiegend auf nichtmilitärische, vor allem präventive Maßnahmen abgestellt. Folgerichtig legte der UNO-Generalsekretär der Generalversammlung zwei Jahre später eine „Agenda für Entwicklung“ vor.

Insgesamt erweist sich für die UNO die Erfüllung des Zwecks, für den sie ursprünglich geschaffen worden war, nämlich die Friedenssicherung durch gemeinsames Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft gegen einen Friedensstörer, aus Gründen, deren Darstellung den Rahmen der hiesigen Betrachtung sprengen würde, als immer schwieriger. Seit dem Ende des Kalten Krieges reichen die Beispiele hierfür vom Golfkrieg bis zu den Kämpfen im ehemaligen Jugoslawien. Des weiteren erweist sich die UNO aus Gründen, die offenkundig sind, immer mehr als eine unverzichtbare Organisation für nicht-militärische weltweite Zusammenarbeit, insbesondere für die Lösung globaler Probleme. In ihren 50 Jahren hat sich die UNO also schwerpunktmäßig -auf einen kurzen Nenner gebracht -von einer Weltorganisation zur Intervention zu einer Weltorganisation für Kooperation verändert.

Dem trug z. B. die von UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali berufene und von dem früheren pakistanischen Ministerpräsidenten Moeen Qureshi und dem früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker geleitete „Independent Working Group on the Future of the United Nations“ in ihrem im Juni 1995 vorgelegten Bericht mit dem Vorschlag Rechnung, in der UNO neben dem Sicherheitsrat einen Rat für wirtschaftspolitische Fragen („Economic Council“) und einen Rat für gesellschaftspolitische Fragen („Social Council“) einzurichten.

Neubeginn

Die tiefgreifenden weltpolitischen Veränderungen, die das Ende des Kalten Krieges und der Sowjetunion in den Jahren 1989-1991 mit sich brachte, bedeuteten für alle, und insbesondere auch für die mit der Bundesrepublik in EU und NATO verbundenen Staaten, eine außenpolitische Zäsur. Für das mit dieser Zäsur geeinte und mit der Einheit voll souverän gewordene Deutschland bedeuteten sie zusätzlich das Ende der durch Krieg und Nachkriegszeit und die jahrzehntelange Konfrontation von Ost-und Westblock bedingten Außenpolitik der immer nur begrenzt souveränen Bundesrepublik. Wie immer sich auch die deutsche Außenpolitik künftig entwickeln mag, die Zäsur von 1989 bis 1991 bedeutete für sie einen Neubeginn. Denn zwischen Deutschland und den anderen aus dem Kalten Krieg entlassenen Staaten, insbesondere auch denen der EU und NATO, besteht ein wesentlicher Unterschied.

In den anderen Staaten beleben sich seit dem Ende des Kalten Krieges im Zuge einer Renätionalisierung ihrer Außenpolitik wieder deren traditionelle Prinzipien, Interessenlagen, Beurteilungen und Überlegungen, die bis dahin durch die Zwänge der Konfrontation zwischen den beiden Blöcken zurückgedrängt worden waren. Deutschland hingegen steht, im Gegensatz zu diesen Staaten, in keiner auch nur einigermaßen ungebrochenen außen-politischen Kontinuität. Sieht man von den wenigen Jahren mit außenpolitischen Möglichkeiten während der Weimarer Republik ab, dann hat es seit der Entlassung Bismarcks im Jahre 1890 keine selbständige deutsche Außenpolitik mehr gegeben, die gleichzeitig einigermaßen vernünftig und durchsetzbar gewesen wäre. Im hiesigen Zusammenhang interessiert nur die künftige Rolle Deutschlands in der Weltorganisation UNO, damit aber letztlich seine weltpolitische Rolle. Für eine Weltmacht-Rolle wären die Voraussetzungen unzureichend.

Zunächst fehlt eine historische Anknüpfung, da Deutschland, sieht man von den bekannten Episoden ab, keine Kolonialmacht war. Der daraus resultierende Mangel wird aus einem Vergleich mit Großbritannien und Frankreich deutlich. Deren heutige weltpolitische Rolle knüpft nach wie vor an ihre noch kein halbes Jahrhundert vergangenenKolonialreiche an. Mit ihnen haben sie sich weiträumige, auch über die ehemaligen Kolonien hinausreichende politische, wirtschaftliche, sprachlich/kulturelle und persönlich/familiäre Vernetzungen geschaffen, die zusammen mit den aus ihnen gewachsenen Erfahrungen die Grundlage für ihre heutige Rolle in der Weltpolitik bilden. Diese Rolle mindert sich. Doch Deutschland fehlt für seine Rolle eben das, was sich mindern könnte.

Zu den üblichen realen Mitteln für eine Welt-macht-Rolle zählt im allgemeinen die Fähigkeit zur Machtausübung für militärische Zwecke. Die in dieser Hinsicht besondere Lage Deutschlands bedarf keiner Erläuterung. Das zweite übliche Mittel, die Wirtschaftskraft, dürfte für eine weltpolitische Rolle Deutschlands wegen der starken Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom Export manchmal eher ein belastendes Gewicht als eine stützende Kraft sein. Bei den öffentlichen Finanzen dürfte der weltpolitische Spielraum aus innerdeutschen und europäischen Gründen auch eher klein sein.

Akzente

Am 26. September 1990, wenige Tage vor der Herstellung der deutschen Einheit, sagte Außenminister Hans-Dietrich Genscher vor der UNO-Generalversammlung, Deutschland strebe mit seinem nun größeren Gewicht „nicht nach mehr Macht“, sei sich aber „der größeren Verantwortung bewußt“. Es wolle in der UNO eine „Politik der guten Beispiele“ betreiben. Nirgends wird deutsche Außenpolitik gegenwärtig so mit dem abstrakten und in jeder Hinsicht flexiblen Begriff von einer „größeren Verantwortung“ begründet wie gerade in Richtung Weltpolitik und UNO.

Läßt man die deutsche UNO-Politik der fünf Jahre seit der Herstellung der deutschen Einheit im weiten Kooperationsbereich der UNO Revue passieren, dann präsentiert sie sich im wesentlichen als eine Fortsetzung der früheren Politik. Es gibt positive Aspekte, wie etwa die starke deutsche Beteiligung an der für die Kooperation im Bereich der Rüstungskontrolle wichtigen Einrichtung eines UNO-Waffenregisters. Und es gibt negative Aspekte, wie etwa die Verminderung des deutschen Engagements in der Entwicklungskooperation mit der Dritten Welt entgegen der auf der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio im Jahre 1992 gegebenen Zusage einer Verstärkung. Doch ein schlüssiges oder gar neues und besseres Gesamtkonzept für die kooperative Rolle Deutschlands in der UNO will sich nicht zeigen.

Hingegen wurden im engeren Interventionsbereich zwei deutliche neue Akzente gesetzt. Das Bild der deutschen UNO-Politik und seiner Präsentation ist gegenwärtig von der ständig erklärten Bereitschaft zu einer deutschen Beteiligung an militärischen Operationen zur Friedenssicherung und von einer unverkennbaren Suche nach Möglichkeiten für eine solche Beteiligung geprägt. Doch bisher fehlt eine klare Gesamtkonzeption nach innen und außen.

Intern kann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1994 kein Ersatz für eine politische Konzeption sein, und sie läßt zudem mehr als eine Frage offen. Die Politik bewegt sich von einer militärischen Einzelfall-Entscheidung zur nächsten. Im Deutschen Bundestag finden hochemotionalisierte Einzelfalldebatten statt, wie etwa die über den Einsatz von einigen deutschen Soldaten in einem NATO-Aufklärungsflugzeug oder die über den Einsatz von sechs Kampfflugzeugen der Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien. Doch fehlt bisher in Parlament und Öffentlichkeit eine grundsätzliche Debatte darüber (von einem Konsens ganz zu schweigen), was das seit 1990 letztlich nur sich selbst und gegenüber dem Völkerrecht verantwortliche Deutschland mit seinen Streitkräften jenseits der Landesverteidigung in der Welt vernünftigerweise wollen soll.

Im Außenverhältnis bleibt undeutlich, ob Deutschland die UNO und ihre Möglichkeiten zur Friedenssicherung stützen und stärken oder ob es die Möglichkeiten der UNO für nationale militärische Machtausübung allein oder im Verbund mit anderen Staaten oder Allianzen wie der NATO nutzen will. Insbesondere die beiden konkreten Fälle deutscher Einsätze in Somalia und Bosnien geben hierüber kein klares Bild. Einige Anzeichen lassen vermuten, daß der UNO, vorsichtig formuliert, nicht immer erste Priorität zuerkannt wird. Insgesamt ist der Wille zu deutscher militärischer Machtausübung deutlicher erkennbar als das Ziel, zu dem er drängt.

Ganz anders wird mit dem zweiten Akzent ein deutliches Ziel gesetzt: mit dem Streben nach einem ständigen Sitz für Deutschland im UNO-Sicherheitsrat. Es ist freilich nicht erkennbar, welche Überlegungen die deutsche Außenpolitik von ihrer ursprünglichen (untadeligen) Position „Wenn man uns will, dann werden wir uns nicht verweigern“ zu der (zweifelhaften) Position „Wir wollen hinein“ haben wechseln lassen. Und dies, so ist anzunehmen, in voller Kenntnis der äußerst schwierigenProzedur für eine dafür erforderliche (in der Geschichte der UNO erstmalige) Änderung der UNO-Charta (Zustimmung aller fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates und Ratifizierung in zwei Dritteln der Mitgliedstaaten der UNO).

Mit dieser Politik wurde zunächst einmal stillschweigend das ständige deutsche Credo, die Europäische Union solle einen gemeinsamen Sitz im Sicherheitsrat haben, liquidiert. Ferner befindet sich Deutschland nun in der außenpolitisch immer ungünstigen Position eines Antragstellers. Und es dient sich als Rammbock für Versuche einer Veränderung der gegenwärtigen UNO-Konstruktion mit äußerst ungewissem Ausgang an. Schließlich werden auch alle noch so vernünftigen deutschen Beiträge zu einer Reform des Sicherheitsrates immer nur als Teil des deutschen Strebens nach einem ständigen Sicherheitsratssitz verstanden werden.

Am 26. September 1985 -auf den Tag genau fünf Jahre vor der Feststellung einer „größeren deutschen Verantwortung“ -hatte Außenminister Genscher vor der UNO-Generalversammlung, als Beitrag zu der damals laufenden Diskussion über den Multilateralismus der UNO, gesagt: „Wir brauchen keine neue Charta. Aber wir brauchen einen neuen Geist in den Vereinten Nationen.“ So, wie das geeinte und voll souveräne UNO-Mitglied Deutschland bisher zwei neue Akzente für seine Mitgliedschaft gesetzt hat, zeugen diese von dem uralten Geist nationalen Machtstrebens.

Künftige Rolle

Die bisherige Rolle Deutschlands in der UNO war von singulärer Art. Bis zur Herstellung der deutschen Einheit unterschied sie sich von der aller anderen UNO-Mitglieder. In ihren ersten 40 Jahren war die Bundesrepublik einer der größten Welthandelsstaaten. Sie war durch ihre besondere politische Position und durch ihre weltpolitische „Kultur der Zurückhaltung“ globalpolitisch eine Zivil-macht. Ihre Mitwirkung in der UNO lag in deren Kooperationsbereich. Das heutige Deutschlands scheint eine Art Nachholbedarf für eine Mitwirkung im Interventionsbereich der UNO zu verspüren. Doch die künftige Entwicklung dieser Rolle und damit die gesamte künftige Rolle Deutschlands in der UNO ist noch offen. „Das vereinigte, größere, souveräne Deutschland“, stellte Außenminister Klaus Kinkel 1992 in einem Namensartikel in der Zeitschrift „NATOBrief“ fest, „muß nun vollbringen, was Deutschland zweimal vorher nicht geschafft hat: Es muß in der Welt eine Rolle finden, die sowohl dem Vermögen und den Wünschen unserer Bevölkerung entspricht, wie für die Nachbarn und Partner akzeptabel ist.“ Dies bleibt die Aufgabe der deutschen Außen-, Welt-und UNO-Politik.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Hans Arnold, Dr. phil., geb. 1923; von 1951 bis 1986 im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland, u. a. in Paris und Washington, als Botschafter in den Niederlanden, Italien und bei der UNO in Genf; Publizist. Veröffentlichungen u. a.: Europa am Ende?, München 1993; Deutschlands Größe. Deutsche Außenpolitik zwischen Macht und Mangel, München 1995; zahlreiche Beiträge in Sammelbänden, Zeitschriften und Zeitungen.