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Der Rechtsanwalt als „Justizkader“. Zur Rolle des Verteidigers im politischen Strafverfahren der DDR | APuZ 38/1995 | bpb.de

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APuZ 38/1995 Fünf Jahre danach -Wieviel Einheit brauchen wir? Der Rechtsanwalt als „Justizkader“. Zur Rolle des Verteidigers im politischen Strafverfahren der DDR Die Ahndung des SED-Unrechts durch den Rechtsstaat Psychische Folgen politischer Inhaftierung in der DDR

Der Rechtsanwalt als „Justizkader“. Zur Rolle des Verteidigers im politischen Strafverfahren der DDR

Karl Wilhelm Fricke

/ 20 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Bemühungen der SED,'die Freiheit und Unabhängigkeit der Advokatur in der SBZ/DDR zu beseitigen, setzten schon in den ersten Nachkriegsjahren ein. Ihr entscheidendes Stadium erreichten sie allerdings erst, als durch Verordnung vom 15. Mai 1953 über die Bildung von Kollegien der Rechtsanwälte ein Prozeß eingeleitet wurde, der als „Kollektivierung der Rechtsanwaltschaft“ durchaus zutreffend umschrieben worden ist. Mit dem Gesetz über die Kollegien der Rechtsanwälte vom 17. Dezember 1980 wurde diese Entwicklung erstmals formellgesetzlich geregelt. Gleichzeitig mit der Einbindung selbständig praktizierender Anwälte in die Rechtsanwaltskollegien verringerte sich die Zahl der in der DDR tätigen Rechtsanwälte absolut. Während 1948, ein Jahr vor Gründung der DDR, in Ostberlin und den fünf ostdeutschen Ländern noch 1158 Rechtsanwälte zugelassen waren, belief sich ihre Zahl 1988, ein Jahr vor dem Ende der DDR, auf nur noch 606, wovon lediglich 26 als Einzelanwälte tätig sein durften, d. h., 580 arbeiteten als Kollegienanwälte. Indes durchlief die DDR-Anwaltschaft nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ einen radikalen Wandel. Der „sozialistische Rechtsanwalt“ hatte seine Aufgabe als „gesellschaftliche Funktion“ mit klar umrissenem politischen Auftrag zu begreifen: Die SED sah ihn als „Justizkader“ eigener Art. Erst wenige Wochen vor Beitritt der DDR zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wurde die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft in der DDR durch ein neues Rechtsanwaltschaftsgesetz vom 13. September 1990 garantiert.

Über die Mitschuld jener Richter und Staatsanwälte, die in der DDR an politischen Strafverfahren mitgewirkt haben, ohne nach Recht und Gerechtigkeit zu fragen, ist seit dem Ende des real existierenden Sozialismus viel geschrieben worden. Wenig dagegen sind bislang die Rolle des Rechtsanwalts und besonders sein Tun und Lassen als Verteidiger im politischen Strafverfahren erörtert worden, obwohl er dem „sozialistischen Rechtsstaat“ zunehmend zu Diensten stand. Es steht außer Frage, daß sich die Geschichte der Anwaltschaft von der Politisierung und Instrumentalisierung der Justiz im Staat der SED nicht trennen läßt.

Auch die Rechtsanwaltschaft der DDR hat in vierzig Jahren Diktatur einen qualitativen Wandel durchlaufen, der sie historisch ins Zwielicht rückt. Unter den gegebenen Voraussetzungen verhielten sich die Anwälte nicht anders als andere vergleichbare Berufsgruppen: Es gab widerständiges Verhalten ebenso wie politischen Opportunismus und ideologische Gläubigkeit. Der latente Argwohn speziell der Untersuchungsorgane des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gegenüber selbstbewußten Verteidigern im politischen Strafverfahren ist in diesem Zusammenhang ein Kapitel für sich.

I. Politischer Druck versus freier Anwalt

Die SED folgte der Logik ihres Herrschaftsanspruchs, wenn sie frühzeitig nach Wegen gesucht hat, auch und gerade die Freiheit und Unabhängigkeit der Advokatur in der DDR einzuengen, um sie schließlich aufzuheben. Sowenig wie der Nur-Jurist als Richter oder Staatsanwalt toleriert wurde, sowenig konnte die Politbürokratie den Rechtsanwalt dulden, der sich als Jurist mit allen gesetzlichen Mitteln für die Rechte und Interessen seines Mandanten einsetzen wollte. Daher wurden bereits in der Frühzeit der DDR spürbare Zwänge erkennbar, den Rechtsanwalt -zumal in seiner Funktion als Strafverteidiger -derselben politischen Zweckbindung zu unterwerfen, wie sie Richtern und Staatsanwälten zugedacht war. Auch der Rechtsanwalt sollte auf das Prinzip Parteilichkeit verpflichtet werden.

Allerdings war die ideologische und politische Gleichschaltung der Anwaltschaft nicht ohne weiteres zu vollziehen. Anders als Richter und Staatsanwälte waren die Rechtsanwälte lange Zeit nicht in feste Strukturen eingebunden, sie waren in eigenständigen Kanzleien tätig, konnten daher nicht ohne weiteres politisch kontrolliert und manipuliert werden, auch wenn sie bereits in den ersten Nachkriegsjahren unter dem Aspekt der Entnazifizierung überprüft worden waren. „Der Prozeß der Demokratisierung der Justiz“ -wie ihn Hilde, Benjamin verstand -„... hatte auch die Rechtsanwaltschaft erfaßt. Allerdings hatte diese im Vergleich zu den Justizorganen eine weit langsamere Entwicklung genommen: Bei der Entnazifizierung der Anwaltschaft waren zwar aktive Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen entfernt worden, aber nicht wenige konservative Kräfte verblieben.“ Es ging schon längst nicht mehr nur um die nationalsozialistische Vergangenheit.

Noch ehe die DDR gegründet worden war, ließ die SED auf ihrer 1. Parteikonferenz (25. -28. Januar 1949) gegenüber der Anwaltschaft eine härtere Tonart anschlagen. Max Fechner, damals Präsident der Deutschen Justizverwaltung und Vize-Vorsitzender der SED, reklamierte die von ihm geforderte „Wachsamkeit des Volkes und Kontrolle der Justiz durch die demokratische Öffentlichkeit“ ausdrücklich „auch für die Rechtsanwälte“. Zwar dächte die SED nicht daran, „eine Kollektivierung oder Verstaatlichung der Rechtsanwälte vorzunehmen. Wir werden eine Form finden, die die Stellung der Anwaltschaft als ein Organ der Justiz klar zum Ausdruck bringt ... Natürlich aber müssen wir von der Anwaltschaft erwarten, daß sie von ihrer Seite aus an dem Auf-1 bau einer demokratischen Justiz ehrlich mitarbeitet.“

Die Signale waren unüberhörbar. Politische Säuberungen, die mit der Entnazifizierung nichts mehr zu tun hatten, setzten bald nach Gründung der DDR ein. In den Jahren 1950/51 wurde auf Weisung des Ministeriums der Justiz Dutzenden von Anwälten in jedem der fünf ostdeutschen Länder die Zulassung erstmals „wegen negativer Einstellung zur DDR und zur Sowjetunion“ entzogen, denn niemand sollte Anwalt sein dürfen, wie ein paar Jahre später unverblümt eingeräumt wurde, „der unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat feindlich gegenüber steht oder auch die Gesetze nur deshalb anwendet, weil sie eben eingehalten werden müssen“ Unpolitische Anwaltstätigkeit war verpönt.

Der politische und moralische Druck auf die Anwaltschaft wurde massiver. Der Vorwurf, in der Rechtsanwaltschaft wären „die innerhalb der Justiz langsamste Vorwärtsentwicklung, die unentwickeltsten Formen einer neuen Gestaltung festzustellen“, wurde mit der Forderung verknüpft: „Wir verlangen, daß der Anwalt, der eine Verteidigung übernimmt oder übertragen erhält, sie in Verantwortung gegenüber dem Angeklagten führt, wobei seiner Tätigkeit Grenzen gezogen sind durch seine Stellung als Organ der Rechtspflege, durch die auch für ihn bestehende Verpflichtung zur Anerkennung unserer staatlichen Ordnung.“ Der Rechtsanwalt als „Justizkader“ -so wurde seine Rolle zwar nicht definiert, wohl aber gesehen.

Im Jahre 1948, also im zeitlichen Vorfeld der DDR-Gründung, waren in Ost-Berlin und den fünf Ländern 1158 Rechtsanwälte zugelassen 1951 wurden in der DDR schon nur mehr 901 Anwälte gezählt Mehr und mehr Anwälte sahen ihre Alternative in der Flucht nach West-Berlin oder in die Bundesrepublik -wie Rechtsanwalt Johannes Bohlmann aus Dresden, der im Schauprozeß gegen den Oberschüler Hermann Joseph Flade vor dem seinerzeitigen Landgericht Dresden beziehungsweise im Revisionsverfahren vor dem Oberlandesgericht als Pflichtverteidiger beigeordnet worden war. Sein Einsatz für seinen jungen Mandanten machte ihn den Mächtigen so verhaßt, daß er die DDR verließ. Durch ihn wurden die Hintergründe des Flade-Prozesses aktenkundig

Eine genaue Zahl der aus der DDR geflüchteten Rechtsanwälte und Notare konnte der Autor nicht recherchieren. In den Jahren 1954 bis 1962 waren es immerhin 704, deren Flucht nachgewiesen ist Die Zahlen spiegeln wider, wie sich die Pressionen gegen die Rechtsanwaltschaft in der DDR verstärkten, nachdem die SED auf ihrer 2. Parteikonferenz (9. -12. Juli 1952) mit ihrem Beschluß über den Aufbau des Sozialismus eine Verschärfung des Klassenkampfes eingeleitet hatte, die zwangsläufig mit einem härteren Kurs in der Strafpolitik verbunden war. In diesem Kontext müßten sich auch die Maßregelungen unbotmäßiger Anwälte mehren.

II. Die Kollektivierung der Anwälte

Gleichzeitig sollte die strukturelle Eigenständigkeit der Anwaltschaft beseitigt werden. Entgegen Fechners diesbezüglicher Äußerung wurde in der DDR tatsächlich die Kollektivierung der Rechtsanwaltschaft sowjetischem Vorbild entsprechend eingeleitet. Intern ist die Entscheidung über die Bildung von Kollegien der Rechtsanwälte unter Kuratel der SED in der Sitzung des Politbüros am 31. März 1953 gefallen Ihre juristische Formalisierung erfuhr sie durch die Verordnung über die Bildung von Kollegien der Rechtsanwälte vom 15. Mai 1953 (GBl.der DDR, S. 725). Sie trug die Unterschriften von Ministerpräsident Otto Grotewohl und Justizminister Max Fechner.

In der Folgezeit wurde jeweils ein Rechtsanwalts-kollegium in Ostberlin und den vierzehn Bezirks-städten der DDR gegründet, gesteuert vom Justizministerium im Einvernehmen mit den jeweiligen Bezirksleitungen der SED, ohne daß von einem durchschlagenden Erfolg gesprochen werden konnte. Die Gründungsphase dauerte ein Jahr. Nach dem Stand vom 22. Mai 1954 waren von 840 Rechtsanwälten in Ostberlin und in der DDR lediglich 143 einem Kollegium beigetreten „Die Bildung der Kollegien war kein einfacher und selbstverständlicher Prozeß. Es war zunächst eine Minderheit von Rechtsanwälten, die sich zu diesem Schritt entschloß. Sie mußten sich gegen den Widerstand von Einzelanwälten durchsetzen, die nicht nur ihre bisherige Arbeitsweise aufrechterhalten wollten, sondern in der Gründung der Kollegien eine Verletzung der Grundsätze der freien Advokatur sahen“ -zu Recht, wie hinzuzufügen ist, denn derselbe Autor räumt ein: „Die Bildung und Entwicklung der Kollegien ist von Anfang an nicht nur als die Schaffung einer neuen Organisationsform aufgefaßt worden, sondern als ein Auftrag, über die Form hinaus eine grundlegende ideologische Wandlung in der Rechtsanwaltschaft der DDR zu erzielen.“

So war es in der Tat. Friedrich Wolff, Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender des Ostberliner Anwaltskollegiums, hat es positiv formuliert: „In den Kollegien schlossen sich diejenigen Anwälte zusammen, die erkannt hatten, daß das Kollegium die sozialistische Form der Organisation der Arbeit der Rechtsanwälte ist und daß dem Sozialismus auch in Deutschland die Zukunft gehört.“ 1959, als Wolff dies niederschrieb, waren von 863 Anwälten 415 Mitglieder eines Kollegiums. Erst in den Folgejahren sank die Zahl der Einzelanwälte rapide. 1988, also in der Endzeit der DDR, waren von 606 Anwälten 580 Mitglieder eines Kollegiums -mithin waren noch 26 als Einzelanwälte tätig, Rechtsanwalt Wolfgang Vogel zum Beispiel, der ein Vierteljahrhundert ein Mandat der DDR-Regierung in Sachen Häftlingsfreikauf innehatte, und der als Inoffizieller Mitarbeiter des MfS enttarnte Rechtsanwalt Wolfgang Schnur.

Der Kollegiumsverordnung war ein Musterstatut beigefügt. Danach wurde das Kollegium, „ein Zusammenschluß von Rechtsanwälten“, von einem für zwei Jahre zu wählenden Vorstand geleitet, der aus seiner Mitte den Vorsitzenden wählte. Der Beitritt zum Kollegium sollte zwar freiwillig erfolgen, aber dieser Freiwilligkeit wurde durch politisehe und ökonomische Zwänge so drastisch nachgeholfen, daß dem Einzelanwalt auf die Dauer kaum eine Chance zur Selbstbehauptung blieb.

Jedes Kollegium unterhielt eine zentrale Verwaltungsstelle am Sitz des Bezirksgerichts sowie Zweig-oder Außenstellen, deren Zahl und Umfang nach einem vom Justizministerium zu bestätigenden Plan bestimmt wurde. Es gab Zweigstellen, in denen mehrere Anwälte tätig waren. Dem Rechtssuchenden stand es frei, für welchen Anwalt in welcher Zweigstelle er sich entscheiden wollte. Gegebenenfalls wurde ein Mandat, falls kein besonderer Wunsch bestand, auch durch den Kollegiumsvorsitzenden zugeteilt. Die Kontrolle über die Tätigkeit der Kollegien und ihrer Mitglieder wurde vom Justizministerium, informell auch durch die Staatssicherheit, sowie politisch-ideologisch durch die Parteiorganisationen der SED in den Kollegien ausgeübt.

Die Verbindung zwischen dem Justizministerium und den Rechtsanwaltskollegien wurde über die am 6. Juni 1957 gebildete Zentrale Revisionskommission der Anwaltskollegien aufrechterhalten, die sich aus den Vorsitzenden der Kollegien zusammensetzte und die dazu gedacht war, „die Kollegien der Rechtsanwälte hinsichtlich der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und des Statuts zu kontrollieren mit dem Ziel, durch die einheitliche Entwicklung der Rechtsanwaltskollegien bei der Erfüllung ihrer Aufgaben Hilfe zu leisten“

Zu den Mechanismen, mit denen der Freiwilligkeit zur Mitgliedschaft in den Anwaltskollegien nachgeholfen wurde, zählten bestimmte Privilegien. Nur Kollegialanwälte durften fortan zu Offizialverteidigern berufen oder beim staatlichen Vertragsgericht tätig werden, ihre Einkünfte wurden deutlich niedriger besteuert als diejenigen der Einzelanwälte und ihre Altersversorgung war ungleich besser ausgestaltet. Nicht zuletzt ihre materiellen Privilegien waren es, die viele Rechtsanwälte an das Regime gebunden haben. „Die guten Verdienstmöglichkeiten haben uns auch immer diszipliniert. Das darf man nicht unterschätzen, denn natürlich wollte kaum eine Anwältin oder ein Anwalt riskieren, den Beruf -auf welche Art und Weise auch immer -zu verlieren“ -hat Rechtsanwalt Gregor Gysi 1992 bekannt

III. Die Anwälte neuen Typs

Die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltschaft wurde schon in der DDR der fünfziger Jahre nicht mehr anerkannt. Die Anwaltskollegien vollzogen die Gleichschaltung. „Im Kollegium hat sich der sozialistische Rechtsanwalt entwickelt, der seine Aufgaben als gesellschaftliche Funktion auffaßt und sie mit hohem politischen Bewußtsein qualifiziert erfüllt. Es ist gelungen, eine gefestigte Anwaltschaft herauszubilden, die sich von der individualistischen Advokatur bürgerlicher Provenienz prinzipiell unterscheidet.“ 17 Das Rollenverständnis dieses „sozialistischen Rechtsanwalts“ hat letztlich zu einer gänzlich neu begriffenen Aufgabenstellung in der DDR geführt, nämlich der, „die Interessen des Bürgers in Einklang mit den gesellschaftlichen Interessen zu bringen. Der Erziehungsauftrag’ des Rechtsanwaltes besteht darin, dem Mandanten Einsicht in diesen Zusammenhang zu vermitteln. Da die gesellschaftlichen Interessen von der SED formuliert werden, bilden deren politische Grundsätze letztlich die Leitlinie, an der sich die anwaltlichen Bemühungen zu orientieren haben. Diese Forderung wird in der DDR damit umschrieben, daß der Rechtsanwalt durch seine Tätigkeit zur Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit beiträgt. Eine wirksame Interessenvertretung wird hierdurch zwar nicht ausgeschlossen, aber notwendigerweise relativiert. Sie findet dort ihre Grenze, wo die Interessen des Mandanten mit denjenigen von Partei und Staat kollidieren.“ 18

Die politisch-ideologische Disziplinierung der Anwaltschaft, die ein solches Rollenverständnis zur Voraussetzung hatte, besorgten die Parteiorganisationen der SED in den Anwaltskollegien. „Die Entwicklung der Rechtsanwaltschaft zu einer der entwickelten sozialistischen Gesellschaft entsprechenden Institution der Rechtspflege ist ohne die führende Rolle der SED nicht denkbar“, konstatierte 1979 der später als Verteidiger Erich Honeckers hervorgetretene Rechtsanwalt Wolff. „Die zunächst in Parteigruppen, dann überall in Betriebsparteiorganisationen zusammengeschlossenen Genossen Rechtsanwälte standen an der Spitze des Kampfes um eine neue, sozialistische Anwaltschaft gegen überkommene bürgerliche Denk-, Verhaltens-und Arbeitsweisen.“ 19 Die Parteiorganisationen übten zugleich eine gewisse Kontrolle der Anwaltskollegien aus und signalisierten der Politbürokratie, wo es politisch-ideologische Konflikte gab.

Ein Erlaß des Staatsrates der DDR vom 4. April 1963 über die grundsätzlichen Aufgaben und die Ar63 über die grundsätzlichen Aufgaben und die Arbeitsweise der Organe der Rechtspflege (GBl.der DDR, Teill, S. 21), mit dem -nach der 1952 durchgesetzten ersten Justizreform -die soge-nannte zweite Justizreform eingeleitet wurde, definierte Stellung und Aufgaben der Rechtsanwaltschaft in der DDR vorbehaltlos folgerichtig als „eine gesellschaftliche Einrichtung der Rechtspflege“, die die Kollegien der Rechtsanwälte und die Einzelanwälte umfaßt, und fügte hinzu: „Die Rechtsanwaltschaft der Deutschen Demokratischen Republik, besonders die Kollegien, nehmen auf der Grundlage der Gesetze die Rechte und berechtigten Interessen der Rechtssuchenden wahr. Sie tragen durch ihre Tätigkeit zur Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit und zur Entwicklung des sozialistischen Staats-und Rechtsbewußtseins der Bürger bei.“ Das als liberalistisch verworfene Selbstverständnis von einer unabhängigen Anwaltschaft war endgültig zu den Akten gelegt worden.

Die Verabschiedung des Gesetzes über die Kollegien der Rechtsanwälte der DDR vom 17. Dezember 1980 (GBl.der DDR, Teill, 1981, S. 1) sollte an dieser Entwicklung nichts wesentliches mehr ändern. Immerhin bedeutete es erstmals in der DDR eine formell-gesetzliche Regelung anwaltlicher Tätigkeit, auf die bei Schaffung der Anwaltskollegien verzichtet worden war -vermutlich aus Sorge vor einem Eklat in der Volkskammer.

Im Grunde wurde mit dem Kollegiengesetz nur der erreichte Entwicklungsstand festgeschrieben. An die Stelle der Zentralen Revisionskommission der Anwaltskollegien trat „zur Mitgestaltung einer einheitlichen Entwicklung der Kollegien der Rechtsanwälte“ der Rat der Vorsitzenden, dem seiner Bezeichnung entsprechend die Vorsitzenden aller fünfzehn in der DDR existierenden Rechtsanwaltskollegien angehörten. Den Vorsitz des Rates der Vorsitzenden der Rechtsanwaltskollegien hatte jeweils der Vorsitzende des Ostberliner Anwaltskollegiums, der zuvor auch schon der Zentralen Revisionskommission der Anwaltskollegien vorgesessen, mithin stets eine Schlüsselfunktion wahrzunehmen hatte, zumal im Hinblick auf den Kontakt zur Abteilung Staats-und Rechtsfragen im Zentralkomitee der SED und zum Ministerium der Justiz. Bis 1990 übten dieses Amt die Rechtsanwälte Friedrich Wolff (1957-1970 und 1984-1988), Gerhard Häusler (1970-1984) und Gregor Gysi (1988-1990) aus.

Es entsprach der minderen Bedeutung der Einzel-anwälte, wenn im Kontext des Kollegiengesetzes am 18. Dezember 1980 eine Anordnung über die Aufgaben und die Tätigkeit der Einzelanwälte (GBl.der DDR, Teill, 1981, S. 10) erlassen wurde. Durch sie wurde formell erst die bis dahin gültige Provisorische Zulassungsordnung der Deutschen Justizverwaltung für Rechtsanwälte vom 18. Juni 1946 außer Kraft gesetzt.

Bei diesen Regelungen blieb es bis zum Desaster des DDR-Sozialismus. Unter der Regierung Hans Modrow begannen sich die Rechtsanwälte der DDR aus dem Knebelgriff der SED zu lösen. Durch Verordnung vom 22. Februar 1990 über die Tätigkeit und die Zulassung von Rechtsanwälten mit eigener Praxis (GBl.der DDR, Teill, S. 147) wurde erst einmal der bis dahin faktisch bestehenden Blockade bei der Zulassung selbständiger Anwälte ein Ende gesetzt. Die Eröffnung privater Anwaltspraxen war fortan unproblematisch. Dagegen lösten sich die Kollegien der Rechtsanwälte formell auf, sie zerfielen im Laufe des Jahres 1990 in einzelne Anwaltspraxen oder in neue Kanzleien, ihre Zeit war vorbei. Die auf diese Weise eingeleitete Reform des Anwaltsrechts der DDR gipfelte schließlich in einem neuen Rechtsanwaltschaftsgesetz vom 13. September 1990 (GBl.der DDR, Teill, S. 1504). In der Endzeit der DDR hatte die erste und letzte frei gewählte Volkskammer noch dafür gesorgt, daß die Rechtsanwaltschaft ein unabhängiges Organ der Rechtspflege geworden war.

Bei der Darstellung des Wandels, den die Rechtsanwaltschaft der DDR im Laufe von vier Jahrzehnten erfahren hat, muß daran erinnert werden, daß sich Hunderte von Rechtsanwälten dem Zugriff des Regimes entzogen haben, indem sie den ungeliebten Staat verließen. Einzelne wie die Rechtsanwälte Götz Berger (Ostberlin) und Rolf Henrich (Eisenhüttenstadt) büßten ihre oppositionelle Haltung mit Berufsverboten, andere kamen sogar ins Gefängnis, so die Rechtsanwälte Henning Frank (Reichenbach) und Herbert Schmidt (Gotha), letztgenannter übrigens bis 1955 Vorsitzender des Anwaltskollegiums Erfurt. Der Gleichschaltungsprozeß war indes nicht aufzuhalten.

IV. Der Anwalt im Dienste des Staates

Die politisch-ideologische Disziplinierung der Rechtsanwaltschaft in der DDR hat vor allem auch die Rolle des Verteidigers im politischen Strafprozeß geprägt, in jenen Verfahren also, in denen sogenannte Staatsverbrechen sowie Straftaten gegen die staatliche Ordnung geahndet wurden. Gerade als Strafverteidiger hatten es viele Anwälte schwer, sich gegen die Zudringlichkeiten des Regimes zu behaupten. Schon frühzeitig setzte Hilde Benjamin Zeichen zur Einschüchterung. Wenn sie, wie bereits zitiert, dem DDR-Strafverteidiger in seiner Tätigkeit Grenzen gezogen wissen wollte und ihn schon 1951 kategorisch auf eine „Anerkennung unserer staatlichen Ordnung“ 22 verpflichtete, so meinte sie de facto sein vorbehaltloses Ja zu Herrschaft und Politik der SED. Nicht zufällig verwies die seinerzeitige Vizepräsidentin des Obersten Gerichts uhd spätere Justizministerin den Schutz des Angeklagten gegenüber dem Staat und die Analyse seiner Motive in die Bedeutungslosigkeit: „Diese Momente müssen zurücktreten gegenüber der für unsere Strafjustiz entscheidenden Aufgabe des Schutzes unserer Ordnung und der Gesellschaft.“ Da waren Anwälte, die sich in erster Linie für ihre Mandanten einsetzten, politisch wie juristisch unbequem.

Auch und gerade dem Strafverteidiger in politischen Verfahren wurde Unabhängigkeit nicht zugestanden. „Der Verteidiger ist genau wie der Richter und der Staatsanwalt ein bewußter Bürger des Arbeiter-und-Bauern-Staates. Verteidigung im sozialistischen Staat ist immer Verteidigung von der Position des realen Sozialismus aus. Die politisch-ideologische Verbundenheit mit dem Arbeiter-und-Bauern-Staat ist schlechthin eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Verteidigung.“ Regimekritisch eingestellte Rechtsanwälte kämpften auf verlorenem Posten.

Zu bedenken ist ferner, daß die Position des Verteidigers nach den geltenden strafprozessualen Bestimmungen ohnehin schwach war im Verhältnis zum Staatsanwalt einerseits, zu den Untersuchungsorganen andererseits, die bei politischen Strafsachen ja im Regelfall die Untersuchungsorgane des Ministeriums für Staatssicherheit waren. Im MfS waren dafür die Hauptabteilung IX und ihre nachgeordneten Abteilungen in den Bezirksverwaltungen der Staatssicherheit zuständig. Sie verfügten über eigene Gefängnisse -unabhängig von den Untersuchungsgefängnissen des Ministeriums des Innern -, in denen die Untersuchungshaft an politischen Häftlingen vollzogen wurde. Das Regime in diesen Untersuchungshaft-anstalten war durch besondere Strenge charakterisiert. Unbeschadet der seit 1968 verfassungsmäßigen Garantie, wonach das Recht auf Verteidigung während des gesamten Strafverfahrens gewährleistet sein sollte, waren die Untersuchungshäftlinge der Staatssicherheit weithin der Willkür ihrer Vernehmungsoffiziere preisgegeben. Meist dauerte es Wochen, ehe sie überhaupt einen Verteidiger benennen und benachrichtigen konnten.

Grundsätzlich konnte als Strafverteidiger jeder in der DDR zugelassene Anwalt gewählt werden, aber im Regelfall wurde dem Beschuldigten nur eine enge Auswahl unter Kollegialanwälten ermöglicht, die dem MfS als „spezifische Vertrauensanwälte“ genehm waren. Die Prozeßvollmacht für den Verteidiger wurde zumeist so lange hinausgezögert, bis die Ermittlungen abgeschlossen waren. Häufig konnte ein Verteidiger sogar erst nach Fertigstellung der Anklageschrift durch den Staatsanwalt tätig werden -nicht selten erst wenige Tage vor der gerichtlichen Hauptverhandlung.

Laut Strafprozeßordnung sollte der Verteidiger das Recht haben, den Beschuldigten oder Angeklagten zu sprechen, aber in der Untersuchungshaft des MfS verkam dieses Recht bis zur Absurdität. Nicht nur wurde ein Gesprächstermin unerträglich lange hinausgezögert, sondern der aufsichtsführende Staatsanwalt -der im Regelfall eng mit den Untersuchungsorganen des MfS zusammenarbeitete -konnte für die Anwaltskontakte Bedingungen festlegen, damit der Zweck der Untersuchung nicht gefährdet wurde. Sie sahen in jedem Fall vor, daß der Anwalt bis zur Anklageerhebung mit seinem Mandanten über persönliche Fragen, nicht aber über den Gegenstand der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen sprechen durfte. „Waren politische Interessen im Spiel, so hatten die Verteidiger weder auf das Ermittlungsverfahren noch auf die Beweisaufnahme oder die Urteilsfindung einen korrigierenden Einfluß. Akteneinsicht erhielten sie überhaupt erst nach Abschluß der Ermittlungen. Ihre Hilfe für Beschuldigte und Angeklagte beschränkte sich oft auf menschlichen Zuspruch, die Hervorhebung mildernder Tatumstände in der Hauptverhandlung und die Vermittlung von Kontakten zu Familienanghörigen.“ Dieser Einschätzung ist nur hinzuzufügen, daß zumindest in den fünfziger Jahren in wichtigen politischen Strafverfahren die Hinzuziehung eines Verteidigers seitens des MfS sogar verhindert wurde.

Bezogen auf die Schau-und Geheimprozesse jener Zeit vor dem Obersten Gericht kann zur Verteidigung der Angeklagten folgende Erfahrungsnorm festgestellt werden: „Waren die Verhandlungen öffentlich, wurden Verteidiger bestellt. Wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt, ließ das Untersuchungsorgan oder der Generalstaatsanwalt meist vom Beschuldigten eine Erklärung unterschreiben, daß er auf einen Verteidiger verzichte. Daß solche Verzichtserklärungen gerade in bedeutsamen Prozessen dem Gericht überreicht wurden, läßt darauf schließen, daß man den Betreffenden -vorsichtig ausgedrückt -dahingehend beeinflußt hat. Ein unabhängiges Gericht wäre verpflichtet gewesen, einzuschreiten; es hätte dafür sorgen müssen, daß der Angeklagte durch einen Anwalt vertreten wird.“ Nachweislich liefen sogar Geheimprozesse vor dem Obersten Gericht, in denen auf Todesstrafe erkannt worden ist, ohne Hinzuziehung eines Wahl-oder Pflichtverteidiger, ab Erst nach der 3. Parteikonferenz der SED, die die Justiz auf die „Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit“ orientierte, änderte sich diese Einstellung, die durchaus als „Anwaltsfeindlichkeit der Justiz“ zu charakterisieren war.

Fraglos war diese Anwaltsfeindlichkeit darauf zurückzuführen gewesen, daß manche Strafverteidi-ger sich mutig für die legitimen Interessen ihrer Mandanten einsetzten, zum Teil sogar die Ermittlungsergebnisse der MfS-Untersuchungsorgane in Zweifel zogen und die Mißhandlung von Untersuchungshäftlingen zu Zwecken der Geständnis-erpressung anprangerten. Erst nachdem solche unbequemen Verteidiger aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen und durch gefügige, beflissene Anwälte ersetzt worden waren, änderte sich dies. Selbst im MfS begriffen die führenden Köpfe, wie politisch nützlich, weil dem Image des „sozialistischen Rechtsstaates“ zuträglich, die Mitwirkung eines Verteidigers im Strafprozeß sein konnte, wenn er nur fortschrittlich gesinnt war. Häufig waren das Rechtsanwälte, die auf Empfehlung des MfS zu ihrem Mandat gekommen waren. Eine erhebliche Minderheit unter den Anwälten der DDR war der Politbürokratie durchaus loyal ergeben und gefügig genug, durch ihre Mitwirkung in politischen Strafverfahren den Schein der Rechtsstaatlichkeit hervorrufen zu helfen. Das mußten keineswegs Inoffizielle Mitarbeiter (IM) des MfS gewesen sein, die es in der Rechtsanwaltschaft der DDR selbstverständlich auch gegeben hat. Allein in Berlin ist bislang fünf, in Thüringen vier ehemaligen DDR-Anwälten die Zulassung, weiterhin anwaltliche Tätigkeit auszuüben, entzogen worden, weil sich inzwischen ihre Verpflichtung als IM herausgestellt hat, weil sie nicht nur ihre Mandanten, sondern auch ihre Kollegen bespitzelt haben.

Es gab auch Rechtsanwälte, auf die sich die Staats-sicherheit verlassen konnte, ohne daß sie zu Inoffiziellen Mitarbeitern verkommen waren. Sie wurden als Strafverteidiger geschätzt und gefördert, weil ihre politische Nützlichkeit erkannt worden war. „Es zeugt vom humanistischen Charakter des sozialistischen Strafverfahrens“, war in einer Forschungsarbeit der Juristischen Hochschule in Potsdam-Eiche, der ideologischen Kaderschmiede des MfS, zu lesen, „daß auch Personen mit feindlichen Einstellungen gegenüber dem Sozialismus und dabei vor allem auch gegenüber dem MfS in jedem Falle das Recht und die Möglichkeit gegeben wird, die gesetzlichen Möglichkeiten ihrer Verteidigung zu nutzen“ Und kein Geringerer als Erich Mielke, der Minister für Staatssicherheit höchst-persönlich, äußerte in einem Referat vor Untersuchungsführern des MfS, die offenbar ihre Anwaltsfeindlichkeit noch nicht überwunden hatten, die Auffassung: „Die Institution der Verteidigung ist doch eine Waffe für uns zur Festigung der sozialistischen Gesetzlichkeit.“ Das Recht auf Verteidigung war aus der Sicht des MfS eine Frage der politischen Zweckmäßigkeit.

In den Szenarien, die die Untersuchungsorgane der Staatssicherheit in Gestalt von Vorschlägen oder Informationen bei politisch wichtigen Strafprozessen dem Minister unterbreiteten, wurde nicht nur die Hauptverhandlung genau geplant, sondern häufig sind sogar die Namen der beteiligten Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte verbindlich fixiert worden.

Zum Beispiel wurde in einer „Information“ der Hauptabteilung IX des MfS vom 29. März 1972 die Durchführung eines Strafprozesses vor dem 1. Strafsenat des Obersten Gerichts bis in die Einzelheiten hinein vorab festgelegt. Das Verfahren richtete sich gegen fünf Angeklagte, die beschuldigt wurden, ein Attentat auf Walter Ulbricht vorbereitet zu haben -eine völlig unsinnige Anklage übrigens In besagter Information, die ein Hauptmann namens Stein unterzeichnet hatte, war acht Tage vor der Hauptverhandlung nicht nur der Termin vorgeschrieben, sondern auch der Ausschluß der Öffentlichkeit, die Zusammensetzung des erkennenden Senats, der Schuldspruch und das Strafmaß sowie die Bestellung dreier Pflichtverteidiger -unter ihnen wie so häufig Rechtsanwalt Wolff. Und lakonisch stellte der MfS-Hauptmann fest: „Die Durchführung der gerichtlichen Hauptverhandlung erfolgt entsprechend der konkreten Festlegung des Ministers.“ Und das schier Unfaßliche ist geschehen: Die Hauptverhandlung entsprach bis ins Detail dem Szenarium. Welcher Sinn war unter diesen Bedingungen noch der Mitwirkung eines Strafverteidigers vor Gericht zuzuschreiben? Das Recht auf Verteidigung war jedes Sinnes beraubt.

Ein zweites Beispiel: Als das Kreisgericht Fürsten-walde gegen Robert Havemann verhandelte und ihn am 20. Juni 1979 unter der Beschuldigung eines Devisenvergehens zu einer hohen Geldstrafe verurteilte, hatte die Staatssicherheit ebenfalls ein Szenarium „erarbeitet“. Der Wahlverteidiger, den sich der Angeklagte in der Person des Madrider Rechtsanwalts Enrique Gimbernat ausgesucht hatte, wurde ihm aus formalen Gründen verweigert. Havemann hatte sich für den spanischen Juri-sten entschieden, nachdem drei Jahre zuvor sein Anwalt Götz Berger, wie erwähnt, aus dem Ostberliner Anwaltskollegium ausgeschlossen und mit Berufsverbot belegt worden war.

Statt dessen wurde Robert Havemann durch Gerichtsbeschluß einen Tag vor der Urteilsverkündung Rechtsanwalt Gysi als Pflichtverteidiger beigeordnet. Bei dem Zusammenspiel von Staats-sicherheit, Staatsanwaltschaft und Gericht war das keine zufällige Entscheidung, getroffen aus der Situation des Augenblicks, sondern ein längst beschlossener Coup. Wer bestimmte politische Strafprozesse in der DDR daraufhin untersucht, welche Rechtsanwälte zu Offizialverteidigern bestellt wurden, der stößt auf Namen, die sich häufig wiederholen. Tut ihnen Unrecht, wer sie als Vertrauensanwälte der Staatssicherheit charakterisiert?

Und ist es ein Zufall, daß die Rechtsanwälte Wolff und Gysi zeitweilig als Inoffizielle Mitarbeiter des MfS geführt wurden -Wolff als IM „Jura“, Gysi als IM „Gregor“ und „Notar“? Soviel Zufall mutet merkwürdig an. „Die Loyalität zum SED-Regime ging bei manchen (Anwälten) sogar soweit, daß sie gegen ihre Mandanten mit dem Staatssicherheitsdienst zusammenarbeiteten und an ihnen Verrat übten.“

Fussnoten

Fußnoten

  1. Autorenkollektiv (Leitung: Hilde Benjamin), Zur Geschichte der Rechtspflege 1949-1961, (Ost-) Berlin 1980, S. 217.

  2. Protokoll der 1. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, (Ost-) Berlin 1949, S. 250.

  3. Thomas Lorenz, Die . Kollektivierung 1 der Rechtsanwaltschaft -als Methode zur systematischen Abschaffung der freien Advokatur, in: Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Steuerung der Justiz in der DDR. Einflußnahme der Politik auf Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte, Köln 1994, S. 411.

  4. Bericht über eine Arbeitstagung der Vorsitzenden der Kollegien der Rechtsanwälte, in: Neue Justiz, 11 (1957) 9, S. 271.

  5. Hilde Benjamin, Fragen der Verteidigung und des Verteidigers, in: Neue Justiz, 5 (1951) 2. S. 51 und 53.

  6. Vgl. Peter-Andreas Brand, Der Rechtsanwalt und der Anwaltsnotar in der DDR, Köln u. a. 1985, S. 166.

  7. Vgl. Christian Gerlach, Die Rechtsanwaltschaft, in: Im Namen des Volkes? Über die Justiz im Staat der SED, Leipzig 1994, S. 145.

  8. Vgl. Unrecht als System. Dokumente über planmäßige Rechtsverletzungen im sowjetischen Besatzungsgebiet, hrsg. vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, Bonn 1952, S. 81.

  9. Vgl. Falco Werkentin, Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht, Berlin 1995, S. 357.

  10. Vgl. T. Lorenz (Anm. 3), S. 413.

  11. Vgl. ebd., S. 426.

  12. Gerhard Häusler, Die Entwicklung der sozialistischen Rechtsanwaltschaft in der DDR, in: Neue Justiz, 27 (1973) 12, S. 340f.

  13. Friedrich Wolff, Der Weg zur sozialistischen Rechtsanwaltschaft, in: Neue Justiz, 13 (1959), Sammelband, S. 683.

  14. Vgl. T. Lorenz (Anm. 3), S. 426.

  15. Paragraph 2 des Statuts der Zentralen Revisionskommission, zit. in: Walther Rosenthal, Die Justiz in der Sowjetzone. Aufgaben, Methoden und Aufbau, Bonn-Berlin 1962, S. 102.

  16. Zit. in: Frohmut Müller, Gerichtsverfassungsrecht, in: Uwe-Jens Heuer (Hrsg.), Die Rechtsordnung der DDR. Anspruch und Wirklichkeit, Baden-Baden 1995, S. 264.

  17. Friedrich Wolff, Der Werdegang der sozialistischen Rechtsanwaltschaft in der DDR, in: Neue Justiz, 33 (1979) 10, S. 435.

  18. Vgl. Paragraph 12 des Kollegiengesetzes.

  19. Vgl. dazu Henning Frank, Sechs Jahre Anwalt in der DDR, in: Im Namen des Volkes? (Anm. 7), S. 57ff.

  20. Ebd.

  21. F. Wolff (Anm. 13), S. 683.

  22. Vgl, die Paragraphen 74-82 der Strafprozeßordnung der DDR vom 2. Oktober 1952 (GBl.der DDR, S. 997) bzw. die Paragraphen 61-68 der Strafprozeßordnung der DDR vom 12. Januar 1968 (GBl.der DDR, Teilt, S. 49).

  23. Bericht der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, Deutscher Bundestag/Drucksache 12/7820 vom 31. Mai 1994, S. 96.

  24. Rudi Beckert, Die erste und letzte Instanz. Schau-und Geheimprozesse vor dem Obersten Gericht der DDR, Gold-bach 1995, S. 38.

  25. Das war z. B.der Fall in dem Geheimprozeß gegen Bruno und Susanne Krüger, zwei hauptamtliche Mitarbeiter des MfS, die nach ihrer Flucht aus West-Berlin entführt und am 4. August 1955 vom 1. Strafsenat des Obersten Gerichts zum Tode verurteilt wurden. Ihre Hinrichtung wurde Stasi-intern durch Befehl Nr. 224/55 bekanntgegeben. Vgl. Karl Wilhelm Fricke/Bernhard Marquardt, DDR-Staatssicherheit. Das Phänomen des Verrats/Die Zusammenarbeit zwischen MfS und KGB, Bochum 1995, S. 48f.

  26. Zit. in: Herbert Ziehm, Die Einflußnahme des Ministeriums für Staatssicherheit auf gerichtliche Entscheidungen, in: Die Steuerung der Justiz im SED-Staat, hrsg. von der Gedenkstätte für die Opfer politischer Gewalt in Sachsen-Anhalt, Magdeburg 1994, S. 76.

  27. Ebd.

  28. Vgl. R. Beckert (Anm. 27), S. 309ff.

  29. Information der Hauptabteilung IX/4 vom 29. März 1972, Kopie im Archiv des Verfassers.

  30. Bericht der Enquete-Kommission (Anm. 26), S. 96.

Weitere Inhalte

Karl Wilhelm Fricke, geb. 1929; Publizist in Köln. Veröffentlichungen u. a.: Opposition und Widerstand in der DDR. Ein politischer Report, Köln 1984; Die DDR-Staatssicherheit. Entwicklung, Strukturen, Aktionsfelder, Köln 19893; Politik und Justiz in der DDR. Zur Geschichte der politischen Verfolgung 1945-1968, Bericht und Dokumentation, Köln 19902; MfS intern. Macht, Strukturen, Auflösung der DDR-Staatssicherheit, Köln 1991; Akten-Einsicht. Rekonstruktion einer politischen Verfolgung, Berlin 1995.