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Die Lebenslage der ausländischen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland | APuZ 35/1995 | bpb.de

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APuZ 35/1995 Die Lebenslage der ausländischen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland 40 Jahre „Gastarbeiter“ und Ausländerpolitik in Deutschland Ausländische Jugendliche in Ausbildung und Beruf Das gefährliche Gerücht von der hohen Ausländerkriminalität

Die Lebenslage der ausländischen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland

Dietrich Thränhardt

/ 16 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Lebenslage der ausländischen Bevölkerung in Deutschland hat sich in wesentlichen Bereichen an das Niveau der sozialversicherungspflichtigen Bevölkerung insgesamt angeglichen. Die in der Bundesrepublik lebenden Ausländer sind keine abgekoppelte Unterschicht; es besteht aber nach wie vor ein gewisser Abstand zum Durchschnitt der Bevölkerung. Während in der Summe also eine eher integrative Tendenz festzustellen ist und die Mechanismen des Sozialstaates greifen, bestehen Defizite bei Kindergärten, im Schulsystem und im Berufsbildungssystem, bei der Einbürgerung und den kinderreichen Familien. Die Beseitigung dieser Defizite durch staatliches Handeln ist weitgehend möglich, sie würde die Integration wesentlich fördern und den „Standort Deutschland“ stärken.

I. Zur Fragestellung

Quelle: Statistisches Bundesamt. Schaubild 1: In Deutschland lebende ausländische Bevölkerung nach Staatsangehörigkeit (Ende 1994)

Wie weit partizipieren die in den letzten Jahrzehnten in die Bundesrepublik Deutschland eingewanderten Ausländer an der Lebensqualität einer der reichsten Gesellschaften der Weit? Welche Stellung nehmen sie in der Gesellschaft ein, welche besonderen Probleme haben sie? Inwiefern unterliegen sie spezifischen Diskriminierungen? Ergeben sich über die Jahrzehnte Integrationsprozesse, oder ist zunehmend eine soziale oder kulturelle Ausgrenzung zu beobachten? Werden vorhandene Benachteiligungen tendenziell abgebaut, oder bleiben sie bestehen? Und schließlich: Welche Probleme sind durch staatliches Handeln auflösbar? Kann man strategische Bereiche identifizieren, an denen solches Handeln die Lebenslage insgesamt entscheidend verändern würde?

Quelle: SOEP 1991; eigene Berechnungen (Bundesgebiet West).Schaubild 6: Arztbesuche (Männer) Durchschnittliche Anzahl der Arztbesuche in den letzten drei Monaten (1991)

Die Fragestellungen sollen im Folgenden mit Hilfe von Indikatoren überprüft werden, die die wesentlichen Lebensbereiche betreffen: Aufenthalt, Arbeit, Beruf, Wohnen, Einkommen, Haushaltsausstattung, Gesundheit, Bildung, Partizipation, soziale Kontakte und Beziehungen. Soweit möglich werden dabei Daten für das gesamte Bundesgebiet bzw. für die alten Bundesländer verwendet, in denen der Hauptteil der Ausländer lebt Differenziert wird ferner zwischen den fünf größten Nationalitäten aus der Anwerbezeit: Staatsangehörigen der Türkei, Italiens, Griechenlands, Spaniens und der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien

II. Zahlen, Charakteristika, Demographie

Quelle: Statistisches Bundesamt. Schaubild 2: Altersstruktur der in Deutschland lebenden Ausländer (Ende 1994)

Die Zahl und die sozialstrukturelle Zusammensetzung der „Ausländer“ in Deutschland (vgl. die Schaubilder 1 und 2) wird insbesondere durch das Verhältnis zwischen Einwanderungs-und Einbürgerungspolitik bestimmt. Deutschland hat in den letzten Jahrzehnten und insbesondere seit 1988 eine großzügige Zuwanderungspolitik betrieben, die es zum zweitgrößten Einwanderungsland der Welt nach den USA gemacht hat. Dabei erhält die eine große Zuwanderungsgruppe, die Volksdeutschen aus Kasachstan, Rußland, Polen und anderen ehemaligen Ostblockstaaten, die deutsche Staatsangehörigkeit im Zusammenhang mit der Aufnahme und taucht daher in den Statistiken nur in Ausnahmefällen als „Ausländer“ auf. Dagegen geht die Einbürgerung der langfristig ansässigen „Ausländer“, die überwiegend im Zusammenhang mit der Anwerbung zwischen 1955 und 1973 nach Deutschland gekommen sind, trotz grundsätzlich übereinstimmender politischer Willenserklärungen über die Wünschbarkeit ihrer Einbürgerung sehr schleppend voran. Nur Berlin und Hamburg haben 1993 mit zwei bzw. einem Prozent der dort lebenden Ausländer nennenswerte Einbürgerungsraten erreicht, die niedrigste Rate hat Bayern mit nur 0, Prozent 4. Viele Ausländer leben schon lange Zeit in Deutschland; 1993 betrug ihre Aufenthaltsdauer im Durchschnitt achtzehn Jahre Viele von ihnen gehören der „zweiten“ bzw. „dritten Generation“ an und sind bereits in Deutschland geboren. Auch im Arbeitsleben sind sie stabil verankert. 1992 waren Ausländer im Durchschnitt 8, 1 Jahre im selben Betrieb beschäftigt. Spanier lagen mit 9, 5 Jahren sogar fast gleichauf mit deutschen Staatsangehörigen (10 Jahre). Ausländer gehören vielfach zu den Kernbelegschaften der Betriebe ihre Beschäftigung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Expansionsphase zwischen 1960 und 1973.

Quelle: SOEP 1991; eigene Berechnungen (Bundesgebiet West). Schaubild 7: Arztbesuche und berufliche Tätigkeit Durchschnittliche Anzahl der Arztbesuche in den letzten drei Monaten (1991)

Die Zunahme der Zahl der Ausländer in den letzten Jahren geht zu einem großen Teil auf die natürliche Bevölkerungsbewegung zurück (vgl. Tabelle 1). Darunter sind allein etwa 40000 Geburten aus türkischen Ehen pro Jahr. Bei einer der fünf großen Nationalitäten, den Spaniern, machen allerdings Geburten aus deutsch-ausländischen Ehen inzwischen (1991) mit 73 Prozent die große Mehrheit aus. Diese Kinder erwerben in der Regel beide Staatsangehörigkeiten und erscheinen in der deutschen Statistik als Deutsche, in der spanischen als Spanier. Dementsprechend sind die Spanier auch die einzige Gruppe, deren Zahl nach der deutschen Statistik von Jahr zu Jahr kleiner wird. Diese weist inzwischen mehr Polen als Spanier aus.

Schaubild 8: Anteil weiterführender Schulabschlüsse bei den ausländischen Schulabgängern 1993 in den großen Bundesländern (in Prozent) Quelle: BMBW, Grund-und Strukturdaten, 1994/1995, S. 86f.; eigene Berechnungen.

Dagegen ist der Anteil der Kinder aus deutsch-türkischen Ehen mit sechs Prozent nach wie vor gering, obwohl sich sowohl die absolute Zahl als auch der Prozentwert seit 1980 verdoppelt haben. Nach wie vor ist die ausländische Bevölkerung im Durchschnitt relativ jung, ebenso wie die Aussiedler. Am stärksten sind die Jahrgänge im aktivsten Arbeitsalter vertreten (vgl. Schaubild 2). Damit wird die Überalterung der Bevölkerung mit deutscher Staatsangehörigkeit in einem gewissen Maße ausgeglichen. Entsprechend dieser Altersstruktur ist auch die Geburtenrate höher als bei den Deutschen. Im Vergleich mit den siebziger Jahren ist sie allerdings gesunken.

HL Erwerbsbeteiligung und Erwerbsstruktur

Tabelle 1: Geburten aus deutsch ausländischen und aus ausländischen Ehen in der Bundesrepublik Deutschland (1980-1991) Quelle: Statistische Jahrbücher der Bundesrepublik Deutschland.

Während in der Anwerbezeit die Erwerbsquoten der Ausländer wesentlich höher lagen als die der Deutschen, hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Angleichung ergeben. Bei den Frauen sind die Erwerbsquoten der deutschen Staatsangehörigen inzwischen sogar etwas höher, dies entspricht den Anteilen von Familien ohne Kinder, der unter den Deutschen größer ist.

Quelle: SOEP 1991; eigene Berechnungen (Raumbezug NRW) Schaubild 9: Kontakte der ausländischen Bevölkerung zu Deutschen (1991)

Ausländer arbeiten hauptsächlich im produzierenden Gewerbe, auch in der Bauindustrie und im Bergbau finden wir Schwerpunkte. Diese aus der Zeit der Anwerbung stammenden Verteilungsmuster bestehen fort. Die Berufe mit den höchsten Ausländeranteilen sind Halbzeugputzer, Spanende Berufe, Süßwaren-und Wurstwarenhersteller, Fahrzeugpfleger, Bergleute, Blechpresser, Metallerzeuger, Maschinenreiniger und Gummihersteller. Am Strukturwandel hin zu den Dienstleistungsberufen haben die Ausländer dagegen kaum partizipieren können. Dies gilt auch für die jüngere Generation, deren Berufsstruktur fast identisch mit der der älteren Generation ist. Ein Vergleich der Einkommen führt zu einem ähnlichen Ergebnis: Während für die „erste Generation“ der Einwanderer ein fester Arbeitsplatz in einem prosperierenden Industriezweig durchaus als trans-nationaler biographischer Aufstieg gewertet werden kann, ist dies für die bereits in Deutschland geborene „zweite Generation“ kein Erfolg mehr. Zugleich lassen die harten Einschnitte in Wirtschaftsbereichen wie Kohle, Stahl, Maschinenbau und Automobilindustrie diese Arbeitsplätze immer weniger sicher erscheinen. Zu den Berufen mit den niedrigsten Ausländeranteilen gehören Beamten-, Bank-und Versicherungsberufe, Buchhalterinnen), Buchhändler(innen), Steuerberater(innen) und auch Erzieher(innen) (vgl. Tabelle 2).

Vergleicht man die Zukunftserwartungen von Ausländern und Deutschen, so fällt auf, daß Ausländer weit weniger davon ausgehen, beruflich in ihren Betrieben aufzusteigen. Stärker ausgeprägt sind bei ihnen die Befürchtung des Verlusts des Arbeitsplatzes und die Erwägung, sich selbständig zu machen. Zwischen den einzelnen Nationalitäten ergeben sich daher deutliche Unterschiede: Unter den Italienern und vor allem unter den Griechen gibt es einen vergleichsweise hohen Prozentsatz (9 bzw. 14 Prozent) Selbständiger; bei den Spaniern und den Beschäftigten aus dem ehemaligen Jugoslawien ist der Anteil der Facharbeiter (knapp ein Drittel) höher (vgl. Tabelle 3). Ein knappes Viertel der in Deutschland lebenden Bürger all dieser Nationalitäten arbeitet als Angestellte bzw. Angestellter. Vergleicht man die Ausbildung, so stellt man migrationstypische Qualifikations-und Dequalifikationsprozesse fest. So haben einerseits 13 Prozent der Facharbeiter eine Schulausbildung von weniger als vier Jahren, andererseits haben 17 Prozent der ungelernten Arbeiter eine Schulausbildung von zehn und mehr Jahren

Seit der Ölkrise von 1974 liegt die Arbeitslosenquote der Ausländer höher als die der Deut-sehen; in den letzten Jahren ist sie auf fast das Doppelte angestiegen. Betroffen sind insbesondere Griechen, Türken und Italiener. Dies hängt deutlich mit der beschriebenen Ausbildungs-und Beschäftigungsstruktur zusammen. Ausländer sind kaum in den krisensicheren Berufen der Staats-, Wohlfahrts-, Banken-und Versicherungssektoren vertreten und sind daher konjunkturellen Schwankungen stark ausgesetzt. Hinzu kommt ihre vergleichsweise schlechte Ausbildung. Die höhere Arbeitslosigkeit der Ausländer läßt sich aus diesen strukturellen Faktoren voll erklären, die Diskrepanz ist jedoch geringer als in Nachbarländern mit vergleichbaren Rahmendaten Es gibt wenig Indizien für eine Besserung dieser Lage; Ausländer und vor allem Ausländerinnen sind bei Weiterbildungsmaßnahmen empfindlich unterrepräsentiert.

IV. Haushaltsstruktur und Einkommenssituation

Quelle: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1994, Wiesbaden 1994. Tabelle 2: Anzahl der Beschäftigten insgesamt und der ausländischen Beschäftigten in ausgewählten Wirtschaftsbereichen (1993)

Bei Deutschen ebenso wie bei Ausländern finden wir unterschiedliche Haushaltstypen. Einer Mehrzahl von Haushalten mit Kindern stehen bei den Deutschen 38, 6 Prozent, bei den Ausländem 44, 2 Prozent Haushalte ohne Kinder gegenüber (vgl. Schaubild 3). Während bei Deutschen inzwischen der Ein-Personen-Haushalt der verbreitetste Haushaltstyp ist, leben Ausländer am häufigsten in Vier-und Mehr-Personen-Haushalten.

Die individuellen Nettoeinkommen der Ausländer lagen 1991 377 DM unter denen der Deutschen. Gegenüber 1984 hatte sich der Einkommensabstand absolut und prozentual vergrößert, was mit der generellen Tendenz zu mehr Einkommensungleichheit in Deutschland und anderen westlichen Ländern im letzten Jahrzehnt zusammenhängt. Allerdings hat dieser Abstand und seine Ausweitung keine ausländerspezifischen, sondern strukturelle Gründe. Innerhalb der einzelnen Beschäftigungsgruppen verdienen Ausländer nämlich etwa dasselbe wie Deutsche. Dies gilt exakt für Facharbeiter und Angestellte mit einfacher Tätigkeit. Bei angelernten und ungelernten Arbeitern verdienten die Ausländer sogar etwas mehr als Deutsche, was mit der häufigeren Teilzeitbeschäftigung von Deutschen erklärbar ist. Bei Angestellten mit qualifizierter Tätigkeit verdienten die Deutschen im Durchschnitt 385 DM mehr; dies hängt mit der differenzierten Struktur dieser Gruppe und den höheren Positionen eines Teils der Deutschen zusammen.

Innerhalb der ausländischen Bevölkerungsgruppe ergeben sich beträchtliche Unterschiede in den Einkommen von Frauen und Männern, die sich in den vergangenen Jahren weiter verschärft haben. Stieg das durchschnittliche Bruttoeinkommen der Männer zwischen 1984 und 1991 von 1775 auf 2 296 DM, so erreichten die Frauen nur eine Steigerung von 1097 auf 1206 DM. Sie fielen damit von 61, 8 auf 52, 5 Prozent der Männereinkommen zurück. Der strukturelle Grund ist die geringere Einbindung der ausländischen Frauen in die betrieblichen Tarifsysteme und der höhere Anteil ungeschützter Arbeitsverhältnisse, deren Entlohnung mit dem starken Ansteigen der Arbeitslosigkeit seit 1982 prekär geworden ist.

Das durchschnittliche Haushaltseinkommen ausländischer Haushalte lag 1993 bei 3219 DM pro Monat. Größere Haushalte erreichten im Durchschnitt etwas höhere Einnahmen als kleinere, was mit der Kumulation mehrerer Einkommen und mit Transferleistungen wie Kindergeld zu erklären ist. Ganz anders sieht die Situation aus, wenn man das Pro-Kopf-Einkommen berechnet. Haushalte mit mehr als vier Personen fallen gegenüber den übrigen Haushalten radikal ab, sie konnten 1993 in Nordrhein-Westfalen pro Kopf nur über 770 DM verfügen Die generelle Tendenz der bisherigen deutschen Familienpolitik, sich auf die Sicherung der Alterseinkommen zu konzentrieren und kinderreiche Familien insofern doppelt zu benachteiligen, als sie relativ geringe Transferleistungen erhalten und gleichwohl zugunsten der Alterssicherung hoch belastet werden, wirkt sich insofern auf ausländische Familien besonders drückend aus. Der Zirkel Geburtendefizit -Einwanderung -Geburtendefizit ist also strukturell vom Wirtschafts-und Sozialsystem her angelegt. In bezug auf die kinderreichen Familien kann deutlich von relativer Verelendung gesprochen werden; bei den angeführten 770 DM handelt es sich ja noch um eine Durchschnittszahl, die wegen der Ungleich-verteilung der Einkommen von mehr als der Hälfte der Familien unterschritten wird.

V. Wohnsituation

Quelle: Marplan 1993; eigene Berechnungen (Raum-bezug Bundesgebiet [West]). Tabelle 3; Berufsstatus der ausländischen Beschäftigten nach Herkunftsländern (in Prozent/1993)

Nach langen Jahren der Anwesenheit in Deutschland ist es keine Überraschung, daß nur ein sehr kleiner Teil der Einwanderer noch auf Gemeinschaftsunterkünfte oder Untermiete angewiesen ist. 84 Prozent lebten 1993 in Mietwohnungen, nur 6, 4 Prozent hatten Wohnungen oder Häuser erworben. Nicht bekannt ist allerdings, wieviel Wohneigentum es in den Herkunftsländern gibt. Die Vermögenstransfers sind inzwischen auf etwa 1000 DM pro Kopf und Jahr gesunken, das ist -bereinigt nach dem Lebenshaltungsindex -nur ein Drittel des Standes von 1970.

Die Wohnungen der in Deutschland lebenden Ausländer waren 1991 ganz überwiegend mit den üblichen Standards wie Küche, Keller, Warmwasser, WC, Bad und Telefon, zu drei Vierteln auch mit Zentralheizung ausgestattet, nur zu 41 Prozent dagegen mit Balkon oder Terrasse und nur zu 14 Prozent mit einem Garten (vgl. Schaubild 4). Bei den letzteren drei Kategorien ergeben sich noch große Abstände zur Durchschnittsbevölkerung, was zum einen mit den geringeren Einkommen, zum zweiten mit dem Fehlen ererbten Eigentums und zum dritten mit der lange gehegten Idee von einer Rückkehr zusammenhängt.

Die Wohnflächen der Haushalte konnten inzwischen weitgehend an die der Deutschen angeglichen werden. Pro Kopf betrachtet liegen sie aber weit darunter, was hauptsächlich mit höheren Kinderzahlen zusammenhängt. Immerhin zwei Drittel der Ausländer hielten ihre Wohnungsgröße für „gerade richtig“. Ausländer wohnen keineswegs, wie es für die Einwanderungsjahre typisch war, überwiegend in Altbaugebieten, sondern zu einem höheren Prozentsatz als die Deutschen in Neubaugebieten. Der Anteil der Ausländer, die in einem renovierungsbedürftigen Haus lebten, hat sich zwischen 1984 und 1991 entscheidend verringert. Auch bei der Höhe der Mieten hat sich ein Angleichungsprozeß vollzogen. Die Mieten der ausländischen Haushalte liegen zwar immer noch unter denen der Deutschen, sie sind aber schneller gestiegen. Dies dürfte mit den gewachsenen Ansprüchen an den Wohnstandard Zusammenhängen, die viele Ausländer inzwischen haben. Andererseits müssen 29 Prozent aller Haushalte von Ausländern mehr als 30 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Miete aufwenden, weitere 19 Prozent mehr als ein Viertel.

Einige dieser Angaben erscheinen zunächst überraschend positiv, wenn man sie mit den Stereotypen vergleicht, die gerade über die Wohnverhältnisse von Ausländern bestehen. Man muß in dieser Beziehung aber zwischen den aktuellen Schwierigkeiten auf dem angespannten Wohnungsmarkt nach der großen Bevölkerungszunahme seit 1988 und den langfristigen Tendenzen unterscheiden. Während es heute insbesondere für Ausländer schwierig ist, eine neue Wohnung zu bekommen, galt dies Mitte der achtziger Jahre nicht. Damals gab es in vielen großen Wohnanlagen sogar Leer-stände, und auch Ausländer hatten die Chance, gut ausgestattete Wohnungen zu mieten oder zu erwerben. Hat man eine Wohnung erhalten, so ergibt sich nach dem deutschen Mietrecht eine weitgehend stabile Situation, während es für neue Mieter seit dem Wiedervereinigungsboom schwierig ist, eine Wohnung zu bekommen.

VI. Gesundheit

Quelle: Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, (1993) April 1991 Schaubild 3: Kinder in ausländischen und deutschen Haushalten im vergleich (1993)

Gesamtvergleiche des Gesundheitszustandes der deutschen und der ausländischen Bevölkerung, in denen eine höhere Belastung der Deutschen deutlieh wird, führen in die Irre, da bei den Deutschen die Gruppe der im Rentenalter befindlichen Personen eine wesentlich größere Bedeutung hat. Umgekehrt ist vielen Untersuchungen zu besonderen gesundheitlichen Belastungen von Ausländern vorzuwerfen, nicht genügend wissenschaftlich abgesichert zu sein und auf Vermutungswissen aufzubauen. Dies gilt in besonderem Maße für Studien zur psychischen Situation, die vielfach in der Gefahr stehen, kulturalistische Vorurteilsstereotypen zu duplizieren. Auch wenn gesundheitsrelevante kulturelle Unterschiede bestehen, und zwar in unterschiedlichen Richtungen, gibt es keinen empirischen Beweis für statistisch relevante Folgen von „Migrationsstreß“ oder ähnlich bezeichneten Syndromen. Deshalb wird hier eine Einschätzung anhand quantitativer Indikatoren vorgenommen. Die Häufigkeit des Arztbesuchs als Kriterium für den Gesundheitszustand unterliegt zwar ebenfalls kulturellen Unterschieden und Schwellenängsten, die einleuchtende Verteilung des Kriteriums innerhalb der Gruppe der Ausländer ergibt jedoch eine weitgehende Plausiblität der Ergebnisse.

Ausländische Frauen wie Männer (vgl. die Schaubilder 5 und 6) gehen in den unteren Altersgruppen weniger häufig zum Arzt als Deutsche; dies läßt sich mit höherer Schwellenangst der Ausländer bzw. -umgekehrt -der Gewöhnung der Deutschen an eine weitgehende Nutzung des Gesundheitssystems erklären. In den höheren Altersgruppen steigt die Häufigkeit des Arztbesuches bei Ausländern an, bei den Frauen übersteigt sie sogar die der Deutschen. Vergleicht man allerdings die Arztbesuche je nach beruflicher Tätigkeit (vgl. Schaubild 7), so ergeben sich wenig Unterschiede zwischen Deutschen und Ausländern. In allen Gruppen außer bei den Selbständigen gehen Ausländer etwas weniger häufig zum Arzt als Deutsche, was mit Schwellenphänomenen und bei den Älteren auch mit der Tatsache der Gesundheitskontrolle bei der Anwerbung erklärt werden kann, die wahrscheinlich macht, daß es sich gesundheitlich gesehen um eine positive Auswahl handelt. Deutlich ist allerdings ohne jeden Unterschied der Nationalität, daß in bestimmten Industriezweigen hohe Lärmbelästigung besteht, daß schwere Lasten zu tragen sind, daß die Arbeitskräfte Zugluft, Schmutz, Staub, Gasen und Dämpfen ausgesetzt sind und Nacht-und Wechselschichten zu besonderen Beanspruchungen führen. Da Ausländer in diesen Bereichen überproportional vertreten sind, ergibt sich für sie eine relativ höhere Belastung, die auch höhere Krankenstände mit sich bringt.

VII. Bildung und Erziehung

Schaubild 4: Ausstattung der Wohnungen der ausländischen und der deutschen Bevölkerung (1991)

Bei der untersten Stufe von Bildung und Erziehung -den Kindergärten -fällt eine eklatante Unterversorgung ausländischer Kinder ins Auge. Während in den alten Bundesländern 61, 6 Prozent der Kinder deutscher Nationalität ein Platz zur Verfügung steht, ist das nur bei 48, 6 Prozent der ausländischen der Fall Ein Teil dieser Unterschiede ergibt sich aus lokalen Disproportionen hinsichtlich Angebot und Nachfrage. Über das Aufnahmeverhalten der Kindergärten existieren keine umfassenden Untersuchungen, allerdings gibt es klare Präferenzen von konfessionellen Kindergärten für Kinder der eigenen Konfession oder auch Christen oder Deutsche insgesamt, was moslemische Kinder -und damit die Mehrzahl der ausländischen Kinder -ausschließt. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die angestrebte Vollversorgung mit Kindergartenplätzen die Benachteiligungen voll aufheben wird, insbesondere in Stadtteilen mit vielen Kindern türkischer Herkunft.

Eine deutliche Aufwärtsentwicklung gibt es bei den Schulabschlüssen von Jugendlichen ausländischer Nationalität. Während 1983 nur 3200 ausländische Jugendliche das Abitur ablegten, waren es 1993 schon 11376. Leicht abgenommen hat die Zahl der Schüler ohne Hauptschulabschluß. Der Abstand zu den deutschen Schülern bleibt aber gleichwohl groß. Eklatant sind die großen Unterschiede zwischen den Bundesländern (vgl. Schaubild 8). Während 1993 in Nordrhein-Westfalen mehr als die Hälfte aller Schulabgänger mit ausländischer Nationalität die Fachoberschulreife oder einen höheren Abschluß erwarb, war es in Bayern nur ein Viertel. Ursächlich dafür sind die differierenden schulorganisatorischen Konzepte der einzelnen Bundesländer In Nordrhein-Westfalen sind insbesondere erleichterte Übergangsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Schultypen und das zehnte Pflichtschuljahr relevant, in Bayern die isolierenden „Nationalklassen“, aus denen heraus weiterführende Abschlüsse nur sehr schwer erreicht werden können.

Auch gute Schulabschlüsse führen allerdings vielfach nicht zu einem qualifizierten Berufsabschluß. Nach wie vor sind zudem Berufe im Staatsdienst für ausländische Jugendliche weitgehend verschlossen. Ähnliches gilt trotz der öffentlichen Fürsprecherrolle der Kirchen auch für Sozialberufe, in denen die Kirchen gestaltenden Einfluß haben. Die Berufe Polizist(in) und Erzieher(in) sind für die beiden Sektoren beispielhaft. Auch die Ausländeranteile in der beruflichen Bildung sind immer noch relativ niedrig, so daß viele Jugendliche ohne Berufsabschluß bleiben -was zu der eingangs erwähnten Festschreibung der beruflichen Situation über-die Generationen hin führt und für den „Standort Deutschland“ ein Handikap bedeutet (vgl. Schaubild 8).

VIII. Partizipation, Integration-Resümee

Quelle: SOEP 1991; eigene Berechnungen (Bundesgebiet West).Schaubild 5: Arztbesuche (Frauen) Durchschnittliche Anzahl der Arztbesuche in den letzten drei Monaten (1991)

Während Deutschland bei der sozialen und wirtschaftlichen Integration trotz aller Probleme im Vergleich zu anderen Ländern relativ gut abschneidet, ist es bei der Partizipation ein Nachzügler. Einzige Ausnahme ist der betriebliche Sektor, in dem die ausländischen Arbeitskräfte bei der Wahl der Betriebsräte seit 1972 völlig gleichberechtigt sind. Dies hat nach Problemen in der Anfangszeit zu einer aktiven Teilnahme und einer steigenden Zahl ausländischer Betriebsräte geführt. In bezug auf die Mitgliedschaft in den Gewerkschaften sind Ausländer den Deutschen sogar etwas voraus, was wiederum mit der Beschäftigungsstruktur zusammenhängt.

Die große Mehrzahl der befragten Ausländer gab an, Kontakte zu Deutschen zu haben (vgl. Schaubild 9). 54 Prozent fühlten sich ganz als Türke, Grieche etc., die übrigen bezogen sich auf unterschiedliche Formen gemischter Identität. Unter „Sorgen und Probleme“ wurde 1993 -kurz nach den Anschlägen von Solingen -hauptsächlich die Ausländerfeindlichkeit genannt, daneben spielten Aufenthaltsfragen, die finanzielle Situation, die Trennung von der Heimat und die Mietkosten eine große Rolle. Die Mehrheit interessierte sich für die deutsche Staatsbürgerschaft, 37 Prozent gaben an, wegen der Schwierigkeit des Verfahrens noch keinen entsprechenden Antrag gestellt zu haben. Bei • der Frage nach der Zufriedenheit in verschiedenen Lebensbereichen ergaben sich beim Zustand der Umwelt die positivsten Antworten, beim Einkommen die negativsten.

Insgesamt wird deutlich, daß die Lebenslage der meisten Ausländer sich in den letzten Jahren verbessert hat und daß Integrationsfortschritte erzieltworden sind. Die wirtschaftliche und soziale Lage ist im großen und ganzen mit der der sozialversicherungspflichtigen deutschen Arbeiter und Angestellten vergleichbar, was angesichts der Art der Anwerbung insgesamt als Erfolg betrachtet werden kann -auch im Vergleich zu einigen Nachbar-ländern. Dabei ist zu betonen, daß die Einwanderer eine hochproduktive Gruppe sind, die durch harte Arbeit in den letzten Jahrzehnten unsere und ihre Lebenssituation verbessert hat. Die Konstruktion des deutschen Arbeits-und Sozialrechts hat dies in vielfacher Weise erleichtert.

Nach wie vor gibt es in der Bundesrepublik Deutschland aber eine ganze Reihe von gravierenden Ausgrenzungsmechanismen: 1. Durch die mangelhafte Integration in Kindergarten, Schule und beruflicher Bildung werden Kinder und Jugendliche sozial ausgeschlossen, der Zugang zu qualifizierten Berufen wird verhindert. 2. Durch Defizite bei der Einbürgerung wird der Zugang zu den krisensicheren Staatsberufen unmöglich gemacht und so die Identifikation mit der Bundesrepublik wesentlich erschwert, was wiederum den „Mythos der Rückkehr“ bzw.des Andersseins aufrechterhält. 3. Materielle Probleme kinderreicher Familien mit geringen Einkommen führen zu sozialer Ausgrenzung und erschweren eine optimale Ausbildung der Kinder und Jugendlichen.

Alle diese Probleme sind im Kern durch gezieltes staatliches Handeln behebbar; einen Hinweis darauf geben die eklatanten Unterschiede zwischen den Bundesländern in bezug auf Einbürgerung von in Deutschland lebenden Ausländern sowie Schulerfolg und Kindergartenbesuch ihrer Kinder. Dabei sei betont, daß es besonders bei der Einbürgerung nicht um Kosten-, sondern um Konzeptionsprobleme geht.

Alle Ausführungen dieses Aufsatzes beziehen sich auf die Anwerbe-Ausländer, die einen gesicherten Rechtsstatus haben. Menschen in Sammelunterkünften konnten in den zugrundeliegenden Umfragen nicht erfaßt werden. Die soziale Situation von Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen, deren Existenz völlig provisorisch ist, unterscheidet sich deutlich von all dem Gesagten. Gerade die geschilderten Erfolge der Integration machen klar, wie entscheidend diese Differenz ist -besonders auch für die fast 400000 Bürgerkriegsflüchtlinge, die nach dem Parteien-Kompromiß vom Dezember 1992 einen eigenen Rechtsstatus erhalten sollen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Daten zu den folgenden Ausführungen basieren weitgehend auf einer Untersuchung im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Dietrich Thränhardt/Renate Dieregsweiler/Bernhard Santel/Martin Funke, Ausländerinnen und Ausländer in Nordrhein-Westfalen. Die Lebenslage der Menschen aus den ehemaligen Anwerbeländem und die Handlungsmöglichkeiten der Politik. Landessozialbericht Bd. 6, Düsseldorf 1994). Dort finden sich weitere Belege und Differenzierungen. So weit wie möglich sind die Zahlen aktualisiert und fortgeschrieben worden. Dafür danke ich Uwe Hunger.

  2. Eine valide statistische Unterscheidung zwischen den Staatsangehörigen dieser Nachfolgestaaten ist bisher nicht möglich, da die Umstellung der Meldedaten nicht abgeschlossen ist und nur ein Teil der Staatsangehörigen Kroatiens, Bosniens etc. entsprechend erfaßt ist.

  3. Vgl. die verschiedenen Gesetzentwürfe der Beauftragten der Bundesregierung, der SPD und der Grünen zur Erleichterung der Einbürgerung und jetzt auch die Koalitionsvereinbarung von CDU, CSU und FDP für die 13. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, Kap. VII/3, CDU-Dokumentation 37/1994, S. 37.

  4. Die Daten der Bundesländer vgl. in: RWI (Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung e. V.) Essen/Institut für Politikwissenschaft Münster, Kosten der Nicht-integration von Zuwanderern, Essen-Münster 1995, S. 89. Die internationalen Vergleichsdaten siehe in: OECD, Trends in International Migration. Annual Report 1994, Paris 1995, S. 224-228.

  5. Eigene Berechnungen nach Marplan-Umfrage 1993 (Dietrich Thränhardt u. a. [Anm. 1] S. 51). Da ein neugeborenes „ausländisches“ Kind in die Statistik als Ausländer mit null Jahren Aufenthalt eingeht und somit ein falscher Eindruck entsteht, wurde die Berechnung auf die über Sechzehnjährigen beschränkt.

  6. So auch schon die Aussage der Repräsentativuntersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung für 1985: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Situation der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland. Repräsentativuntersuchung 85, Bonn 1986.

  7. Berechnung durch Intelligenz System Transfer Münster nach Marplan-Umfrage 1992.

  8. Vgl. Heinz Werner, Integration ausländischer Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt. Vergleich von Frankreich, Deutschland, Niederlanden und Schweden, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, 26 (1993), S. 348-361; OECD, Trends in International Migration. Annual Report 1994, Paris 1995, S. 32 f.

  9. Bei der Berechnung der Personenzahlen habe ich gleich gewichtet und damit nicht das vielfach verwendete Verfahren übernommen, die zweite und weitere Personen degressiv nur mit 0, 7 bzw. 0, 6 Einheiten zu berechnen. Bestimmten Kostenermäßigungen bei gemeinsamer Haushaltsführung stehen nämlich auch wesentlich höhere Aufwendungen für Kinder gegenüber. Das betrifft etwa die Kinderbetreuung, die finanziell mindestens ebenso hoch veranschlagt werden muß wie die materiellen Aufwendungen, ganz abgesehen beispielsweise von erhöhten Urlaubskosten für Familien mit schulpflichtigen Kindern.

  10. Auskunft Statistisches Bundesamt.

  11. Alle Bildungszahlen nach BMBW, Grund-und Strukturdaten 1994, Bonn 1994, S. 86f.; eigene Berechnungen. Die Stadtstaaten und die kleineren Bundesländer mit geringen ausländischen Bevölkerungsanteilen wurden wegen der geringen Vergleichbarkeit ausgeklammert.

Weitere Inhalte

Dietrich Thränhardt, Dr. rer. soc., geh. 1941; Professor für Politikwissenschaft, Universität Münster. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit Jürgen Puskeppeleit) Vom betreuten Ausländer zum gleichberechtigten Bürger. Perspektiven der Beratung und Sozialarbeit, der Selbsthilfe und Artikulation und der Organisation und Integration der eingewanderten Ausländer, Freiburg 1990; (Hrsg.) Europe -A New Immigration Continent, Münster-Boulder 1992; (Hrsg. zus. mit Robert Miles) Migration and European Integration. The Dynamics of Inclusion and Exclusion, London 1995.