I. Entwicklung einer gemeinsamen Agrarpolitik
Nach der Gründung der Europäischen Gemeinschaften im Jahre 1957 wurde vor dem Hintergrund der Zollunion und der Gemeinschaftspräferenz schrittweise ein Gemeinsamer Agrarmarkt geschaffen. Damit wurde zunächst die Agrarpolitik als einziger Politikbereich integriert, d. h., die Entscheidungsbefugnisse wurden weitgehend auf die EG-Organe übertragen.
Neben den allgemeinen Zielsetzungen und Regelungen enthält der EG-Vertrag konkrete Hinweise auf die anzustrebenden agrarpolitischen Ziele und die zur Zielerreichung anzuwendenden Instrumente. Im Hinblick auf die Ausrichtung der EG-Agrarpolitik umfaßt Artikel 39 Absatz 1 des EG-Vertrages folgende Ziele: 1. Förderung der Produktivität in der Landwirtschaft und Sicherstellung ausreichender Einkommen der Erzeuger; 2. ausreichende Versorgung der Verbraucher mit Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen und 3. Gewährleistung einer gleichgewichtigen Entwicklung der Agrarmärkte in der Gemeinschaft.
Im Zusammenhang mit diesen Zielen wird als Rahmenbedingung implizit gefordert, daß die Außen-handelsbeziehungen zu Drittländern aufrechterhalten werden.
Um die genannten Ziele zu erreichen, wurde ein System von Marktordnungen geschaffen, die etwa 90 Prozent der Agrarproduktion in der Gemeinschaft erfassen. Die vereinbarten Marktregelungen werden angewandt, um die vom Ministerrat beschlossenen Agrarpreise, die das Einkommen der Landwirte bilden, sicherzustellen. Preispolitik ist also im System der EG-Agrarpolitik in erster Linie Einkommenspolitik. Rahmenbedingungen dieser Politik sind einmal der Abbau innergemeinschaftlicher Handelshemmnisse und zum anderen die Einführung einer Gemeinschaftsregelung im Agraraußenhandel mit Drittländern, d. h. mit Nicht-EG-Staaten. Es entstand damit eine innergemeinschaftliche Präferenzzone, die im Gegensatz zu einer Freihandelszone einen gemeinsamen Außenzolltarif hat.
Die preiswirksamen Maßnahmen selbst greifen auf ein kompliziertes Zusammenspiel einzelner Instrumente zurück, wobei die Grundzüge dieses Systems sich auf die folgenden Maßnahmen stützen: Ausgangspunkt ist zunächst im Bereich der Inlandsmärkte der Beschluß von Rieht-oder Orientierungspreisen, die der einzelne Landwirt im Verlauf des Wirtschaftsjahres erzielen soll (Kennzeichnung des Preisniveaus). Darunter liegen Interventionspreise als garantierte Mindestpreise. Die nationalen Marktordnungsstellen sind nun verpflichtet, zu diesen Garantiepreisen in der Gemeinschaft erzeugte und ihnen angebotene Ware aufzukaufen, d. h. also eine Marktentnahme vorzunehmen, die über eine Interventionspflicht das Mindestpreis-niveau sicherstellt. Diese intervenierten Mengen müssen bestimmte Qualitätsnormen erfüllen, so daß eine Harmonisierung durch EG-Standardqualitäten möglich wird. Diese Interventionen, als mengenmäßige Maßnahmen zur Marktstützung im Interesse eines vereinbarten innergemeinschaftlichen Preisniveaus konzipiert, können für die Mitgliedstaaten verpflichtend sein, wie z. B. bei Getreide und Milch, das Instrument kann aber auch fakultativ in Abstimmung mit der Gemeinschaft, wie z. B. bei Schweinefleisch, eingesetzt werden.
Mit dieser Preispolitik wird versucht, die Preisentwicklung zu stabilisieren und im Interesse der Einkommen im Agrarbereich auf einem relativ hohen, aber für die Verbraucher noch akzeptablen Niveau zu verankern. Es hat sich bisher gezeigt, daß dieses Preisniveau bei allen Agrarprodukten über den Weltmarktpreisen lag. Um störende Einflüsse auszuschalten, die sich aufgrund der Preisdifferenzen vom Konkurrenzangebot aus Drittländern ergeben, mußte, eine außenwirtschaftliche Absicherung eingebaut werden. Die zweite zentrale Komponente der EG-Agrarpreispolitik ist deshalb das Instrumentarium, das den grenzüberschreitenden Warenverkehr mit Drittländern steuert. Auf der Einfuhrseite ist das System durch folgende Elemente gekennzeichnet: Es wird zunächst ein Einfuhr-oder Einschleusungspreis ermittelt. Das ist in der Regel der Preis für das Warenangebot aus Drittländern frei Grenze EG -also der Preis vor Einfuhrbelastung. Diesem Frei-Grenze-Preis steht ein Schwellenpreis gegenüber. Dieser Preis wird von der Gemeinschaft festgelegt.Soweit der Einfuhrpreis der Drittlandsangebote nun unter dem Schwellenpreis liegt, wird die Differenz durch eine variable Einfuhrbelastung abgeschöpft, d. h., der Produktpreis wird auf das Gemeinschaftsniveau heraufgeschleust. Diese „Abschöpfungen“ werden als variable Wertzölle fortlaufend an die Entwicklung der Weltmarktpreise angepaßt, so daß ein lückenloser Schutz der Inlandspreise gewährleistet ist.
Diese Preisbelastung ist das Kernstück des Außenhandelsschutzes. Im Vergleich dazu wird das Instrument der Einfuhrkontingente, d. h.der mengenmäßigen Importbeschränkung, nur in besonderen Fällen angewandt, so z. B. als Zollkontingent bei Obst und Gemüse, wenn ein saisonales Über-angebot zu ernsthaften Marktstörungen führt.
Auf der Exportseite ist die Gemeinschaft infolge ihres hohen Binnenpreisniveaus nicht konkurrenzfähig. Sie ist deshalb gezwungen, die exportierten Waren zu verbilligen. Hierzu werden analog zur Abschöpfung Exporterstattungen gewährt, die sich ebenfalls als Differenzbetrag zwischen Schwellen-preis und Weltmarktpreis ergeben und laufend an die Entwicklung der Preisverhältnisse angepaßt werden.
Das System der EG-Agrarpolitik ist zusammenfassend durch einen ausgeprägten Interventionismus gekennzeichnet. Es wird direkt in den Preismechanismus durch Begrenzung des marktwirksamen Angebotes eingegriffen. Der damit verbundene Dirigismus zeigt sich vor allem im Bereich des Außenhandels, so daß der EG immer wieder der Vorwurf des Protektionismus gemacht wurde. Inwieweit sich nun dieser Außenhandelsschutz bzw. die Politik der Exportförderung auf die internationale Arbeitsteilung auswirkt und dabei vor allem die Entwicklungsländer als Handelspartner betroffen sind, wird in den folgenden Abschnitten behandelt.
II. Zur Entwicklungspolitik der EG
Mit der Schaffung einer Zollunion und der Einführung einer Gemeinschaftspräferenz für den EG-Binnenhandel wurden prinzipiell die Handelsbeziehungen zwischen dem EG-Gründungsmitglied Frankreich und seinen früheren Kolonial-gebieten unterbrochen. Deshalb hat Frankreich bereits in den Verhandlungen über die Ausgestaltung des EG-Vertrages darauf bestanden, die außenwirtschaftlichen Beziehungen zu den ehemaligen Kolonien in die Konzeption des Gemeinsamen Marktes zu integrieren. Mit dem EG-Beitritt Großbritanniens am 1. Januar 1973 gewann dieser Aspekt dann im Hinblick auf die gleichen Interessen auch der Commonwealth-Partner erneut an Bedeutung.
In den Artikeln 131 bis 136 des EG-Vertrages ist dementsprechend als Ziel der EG-Entwicklungspolitik festgelegt worden, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der mit der EG durch besondere Beziehungen verbundenen Überseegebiete zu fördern und zu ihnen enge Wirtschaftsbeziehungen herzustellen.
Ein erster Vergleich dieser Zielvorstellung mit der protektionistischen Ausrichtung der EG-Agrarpolitik, vor allem im Außenhandel, legt den Widerspruch zwischen Handels-und Entwicklungspolitik nahe. Es stellt sich die Frage, wie den Interessen der agrarexportorientierten Entwicklungsländer Rechnung getragen werden kann, wenn andererseits z. B. durch Abschöpfungsregelungen der Zugang zu den kaufkräftigen Märkten der Gemeinschaft verschlossen ist. Eine Auflösung dieses Widerspruchs hängt deshalb davon ab, inwieweit Entwicklungsländer eine Sonderbehandlung erfahren, die ihnen Marktchancen eröffnen kann. Es ist deshalb zu prüfen, inwieweit die EG die Bereitschaft zeigt, die Außenwirtschaftsbeziehungen zur Dritten Welt so zu gestalten, daß damit Entwicklungsimpulse erreicht werden können.
Um die entwicklungspolitische Zielsetzung zu erreichen, wurde vorgesehen, die folgenden Maßnahmen zu ergreifen: 1. Aufbau eines Kredit-und Zuschußfonds. 2. Stufenweise Herstellung eines zollfreien Zugangs zum EG-Markt. 3. Gewährung von Sonderkonditionen, die es den ehemaligen Kolonialgebieten erlauben, die präferenziellen Handelsbeziehungen zu Frankreich und Großbritannien beizubehalten. Gleichzeitig wurde den überseeischen Gebieten das Recht eingeräumt, Schutzzölle zur Förderung ihrer Industrialisierung einzuführen. 4. Vereinbarung von Assoziierungsabkommen mit Drittländern gemäß Absatz 7 der Präambel und Artikel 238 des EG-Vertrages.
Die genannten Ansatzpunkte sind die Kernelemente der EG-Entwicklungs-und Außenhandelspolitik im Hinblick auf die jeweils von diesen Maßnahmen erfaßten Entwicklungsländer. Die konkrete Ausgestaltung dieser Politik wird im nächsten Abschnitt dargestellt.
III. Assoziierungspolitik und Abkommen von Lome
Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit der EG umfaßt die beiden folgenden Bereiche: 1. Globale Maßnahmen, die prinzipiell alle Entwicklungsländer in Anspruch nehmen können, wie z. B. Nahrungsmittelhilfe, Handelsabkommen, technische und finanzielle Zusammenarbeit. 2. Regionale Abkommen mit dem Ziel einer engen Zusammenarbeit.
Im Hinblick auf den EG-spezifischen Charakter der regionalen Abkommen im Zusammenhang mit der o. a. Sonderbehandlung von Entwicklungsländern soll im folgenden dieser Aspekt im Vordergrund der Betrachtung stehen.
Kernpunkt der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit ist die Assoziierungspolitik. Verträge zur Assoziierung von Drittländern haben das Ziel einer Kooperation auf der Grundlage einer Freihandelszone durch gegenseitigen oder einseitigen Zollabbau. Die EG hat Assoziierungsabkommen als Vorstufe einer späteren Vollmitgliedschaft (Türkei), mit den Rest-EFTA-Staaten als Schritt zur Bildung eines Europäischen Wirtschaftsraumes und mit zahlreichen Entwicklungsländern vereinbart. Hierzu gehören z. B. die Verträge mit den MAGHREB-Ländem (Tunesien, Algerien und Marokko) sowie mit den MASCHREK-Ländern (Ägypten, Syrien, Jordanien, Libanon) und mit Israel.
Von besonderer Bedeutung war das 1963 in Jaunde (Kamerun) geschlossene und 1969 erneuerte Assoziierungsabkommen mit 17 afrikanischen Staaten und Madagaskar, die ehemalige Kolonien der EG-Staaten waren. Inhalt dieser Abkommen waren die weitgehende Zollfreiheit für Lieferungen in die EG und Zollvorteile für die EG-Lieferungen an die Assoziierten sowie bedeutende finanzielle und technische Hilfen. Die zugesagten finanziellen Mittel wurden in erster Linie über den Europäischen Entwicklungsfonds finanziert. Im ebenfalls 1969 vereinbarten Arusha-Abkommen (Arusha, Tansania) wurden die ostafrikanischen Staaten Kenia, Tansania und Uganda mit der EG assoziiert. Dieses Abkommen enthielt im Vergleich zum Jaunde-Abkommen nur begrenzte Zollvorteile und sah im übrigen keine Zusage im Rahmen der finanziellen und technischen Entwicklungshilfe vor.
Eine wesentliche Erweiterung der Kooperationsabkommen sind die vier Abkommen von Lome (Lomä I 1975; Lome II 1979; Lome III 1984 und Lom 6 IV 1989) zwischen der EG und zunächst 46, später dann 70 AKP-Staaten (Länder im afrikanischen, karibischen und pazifischen Raum). Die Laufzeit dieser Abkommen, die zunächst fünf Jahre umfaßte, wurde in Lom 6 IV auf zehn Jahre verlängert. Mitgliedsländer sind in erster Linie frankophone Entwicklungsländer und die Commonwealth-Staaten aufgrund ihrer kolonialen Beziehungen zu EG-Mitgliedstaaten.
In Teil III des Abkommens Lome IV sind die Bereiche der Zusammenarbeit genannt; sie umfassen: 1. Handelspolitische Zusammenarbeit vor allem in Form des freien Zugangs für Produkte aus den AKP-Staaten auf den Gemeinschaftsmarkt. 2. Zusammenarbeit im Bereich der Grundstoffe mit der Regelung des Ausgleichs von Exporterlösschwankungen bei bestimmten landwirtschaftlichen Rohstoffen (Stabex-System: Stabilisierung der Exporterlöse), mit einer garantierten EG-Einfuhrquote von 1, 3 Millionen Tonnen Zucker pro Jahr zu festgelegten Preisen und mit einer finanziellen Hilfe zur Sanierung von Bergbauuntemehmen und Diversifizierung (Sysmin). 3. Zusammenarbeit in der Entwicklungsfinanzierung mit der Bereitstellung von 12 Milliarden ECU für den Zeitraum von 1990 bis 1995. 4. Allgemeine Bestimmungen betreffend die am wenigsten entwickelten AKP-Länder, AKP-Binnenstaaten und AKP-Inselstaaten.
Sicherlich sind hierbei sowohl die handelspolitischen Regelungen als auch die Zusammenarbeit im Bereich der Grundstoffe von zentraler Bedeutung. Im Bereich der Handelspolitik gewährt das Lome-Abkommen den AKP-Staaten für ihre Produkte weitgehend freien Zugang zum Gemeinschaftsmarkt ohne Gegenpräferenzen. Ursprungswaren der AKP-Staaten sind grundsätzlich frei von Zöllen und ohne mengenmäßige Beschränkungen zur Einfuhr in die Gemeinschaft zugelassen. Mit dieser Regelung ist der freie Marktzugang für den weitaus größten Teil aller AKP-Waren gewährleistet. Eine Ausnahme gilt lediglich für Agrarerzeugnisse, die bei der Einfuhr in die Gemeinschaft im Rahmen der Durchführung der gemeinsamen EU-Agrarpolitik nichttarifären Belastungen (z. B. DIN-Vorschriften oder lebensmittelrechtliche Regelungen) unterliegen. Für diese Produkte bietet die Gemeinschaft eine präferenzierte Behandlung an.Die Präferenzbehandlung ist je nach Produkt unterschiedlich und besteht aus Null-Zöllen und/oder Abschöpfungssenkungen bzw. -aussetzungen. Der von der Gemeinschaft gewährte freie bzw. präferenzielle Marktzugang gilt nur für Ursprungswaren der AKP-Staaten. Die Definition von Ursprungs-regeln soll gewährleisten, daß die besonderen Vergünstigungen der Handelsregelung in erster Linie den AKP-Ländern selbst und nicht etwa durch Handelsverlagerungen vorwiegend Dritten Ländern zugute kommen. Deshalb wird unter anderem festgelegt, in welchem Umfang Rohmaterial aus Dritten Ländern bei der Herstellung einer Ware in den AKP-Staaten verwendet werden darf, wenn diese Ware präferenzberechtigt in die Gemeinschaft eingeführt werden soll.
Die Zusammenarbeit im Bereich der Grundstoffe greift im wesentlichen auf das Stabex-System zurück. Durch diese kompensatorische Finanzierung erhalten die AKP-Länder auf Antrag einen produktbezogenen Erlösausgleich für den Rückgang ihrer Exporterlöse aus Agrarprodukten. In Lome IV ist geregelt, daß der Erlösausgleich nicht mehr als Kredit, sondern als Zuschuß gezahlt wird.
Für 49 landwirtschaftliche Produkte, Rohstoffe und Halbfabrikate können Stabex-Zahlungen in Anspruch genommen werden. Weitere Produkte können bei Erlösrückgängen auf Antrag eines oder mehrerer AKP-Länder durch Entscheidung des EG-Ministerrates in die Liste aufgenommen werden. Voraussetzung ist, daß die Wirtschaft des oder der betroffenen AKP-Länder in erheblichem Umfang von der Ausfuhr dieses Produktes abhängig ist und es sich hierbei um landwirtschaftliche Rohstoffe oder Produkte mit geringem Verarbeitungsgrad handelt. Der Anspruch auf Erlösausgleich ergibt sich aus folgenden Parametern: -Ausgleichsberechtigt ist ein Land, wenn seine Exporterlöse bei dem betreffenden Produkt im Jahr vor dem Anwendungsjahr mindestens 5 Prozent seiner gesamten Erlöse betragen. Für die am wenigsten entwickelten Länder, Binnen-und Inselstaaten beläuft sich diese Schwelle auf 1 Prozent. -Der Ausgleichsanspruch errechnet sich aus einem Vergleich der Exporterlöse im Jahr des Rückganges der Exporte in die EG mit dem Bezugsniveau, das sich aus dem Durchschnitt der Exporteinnahmen für dieses Erzeugnis der letzten sechs Jahre vor dem Anwendungsjahr ergibt, wobei das Jahr mit den höchsten und niedrigsten Werten nicht mitgerechnet wird.
Von dem so ermittelten Bruttotransferanspruch wird grundsätzlich ein Betrag von 4, 5 Prozent des Bezugsniveaus abgezogen. Dies ist die sogenannte Eigenbeteiligung der AKP-Länder am Erlösausfall. Für die am wenigsten entwickelten Länder beträgt die Eigenbeteiligung 1 Prozent. Die Eigen-beteiligung ersetzt die Auslöseschwelle des Abkommens Lome III, nach welcher der Erlösausfall einen bestimmten Prozentsatz des Bezugsniveaus erreichen muß, um einen Transferanspruch zu begründen.
Der Stabex-Fonds wurde von 925 Millionen ECU auf 1, 5 Milliarden ECU aufgestockt -ein Betrag, der in fünf gleiche Jahrestranchen von 300 Millionen ECU aufgeteiligt wird. Übersteigen die festgestellten Transferansprüche die vorhandenen Jahresmittel, so erfolgt zunächst ein Vorgriff bis zu 25 Prozent auf die folgende Jahrestranche. Reichen die Mittel dann noch nicht aus, so sind die Transferansprüche bis zu 10 Prozent zu kürzen. Übersteigen die Transferansprüche dann weiterhin die verfügbaren Mittel, so hat der EG-AKP-Ministerrat zu entscheiden, ob die Mittel aus Beträgen des Europäischen Entwicklungsfonds aufgestockt werden oder ob weitere Kürzungen erfolgen sollen.
Starke Preiseinbrüche bei Rohstoffen, wie z. B. Kaffee und Kakao, führten dazu, daß das Antrags-volumen in einigen Jahren (1980, 1981, 1987, 1988, 1989) bei Lome II und Lome III die vorhandenen Mittel überstieg.
Eine kritische Beurteilung der entwicklungspolitischen Effizienz der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Handelspolitik und der Grundstoffe kommt zu folgenden Ergebnissen:
Die Marktöffnung im Bereich der Handelspolitik konnte nicht die erwarteten Impulse für eine Ausweitung des Außenhandels mit den AKP-Ländern geben. Im Bereich der Importnachfrage der Industrieländer sind hierfür die folgenden Ursachen verantwortlich: -Trotz Reduzierung tarifärer Handelshemmnisse (Zölle u. a.) können nichttarifäre Einfuhrbelastungen (z. B. lebensmittelrechtliche oder veterinärpolizeiliche Vorschriften) die Absatzmöglichkeiten erheblich beeinträchtigen. -Angesichts der relativ hohen Einkommens-niveaus in Industrieländern ist die Nachfrage z. B. nach Agrarprodukten und ihren Verarbeitungserzeugnissen unelastisch und wächst im Verhältnis zur Einkommenserhöhung unter-proportional. Wegen erreichter Sättigungsgrenzen stagniert der Pro-Kopf-Verbrauch. Gemeinsam mit dem niedrigen Bevölkerungswachstum ist dementsprechend die Zunahme des Gesamtverbrauchs begrenzt. -Die Verwendung von agrarischen und mineralischen Rohstoffen wird durch Substitute eingeschränkt. Darüber hinaus führt der materialsparende technische Fortschritt zur Verminderung der spezifischen Rohstoffintensität, d. h., der Rohstoffanteil pro Produkteinheit (industrielle Halb-und Fertigfabrikate) sinkt tendenziell. -Schließlich treffen die potentiellen Lieferländer aus dem AKP-Raum auf einen intensiven Wettbewerb z. B. auf westeuropäischen Märkten. Im Hinblick auf Qualität, Serviceleistungen, Lieferung großhandelsfähiger Mengen und die Anwendung von Marketingstrategien sind diese Anbieter vielfach noch nicht konkurrenzfähig.
Aus den genannten Gründen sind die Chancen einer Nutzung des Absatzpotentials nach Marktöffnung a priori begrenzt.
Aber auch in der Zusammenarbeit im Bereich der Grundstoffe stellen sich Fragen im Hinblick auf die entwicklungspolitischen Konsequenzen: -Inwieweit verdeckt die Stabilisierung der Exporterlöse die Notwendigkeit zur Diversifizierung der Wirtschaftsstruktur in den Herkunftsländern? -Wie konsequent kann die Verwendungskontrolle der ausgezahlten finanziellen Mittel durchgeführt werden? -Können ausreichende und schnell verfügbare Beträge für diejenigen Empfängerländer bereitgestellt werden, die die Mittel zu einer Erhöhung der Produktivität verwenden? -Inwieweit sind die Auszahlungen auf wenige Länder und/oder Produkte konzentriert? -Es handelt sich nicht um ein sich selbst finanzierendes (revolvierendes) System, weil die Transferleistungen inzwischen nicht mehr zurückgezahlt werden müssen.
IV. Wirkungen der Agrarhandelspolitik nach außen Ausgewählte Beispiele
Angesichts des hohen Erzeugerpreisniveaus auf den Agrarbinnenmärkten der Gemeinschaft sind verschiedene Märkte in der EG durch preisinduzierte strukturelle Überschüsse belastet. Um die Ware auf den Weltmärkten absetzen zu können, müssen Produkte wie Getreide oder Zucker durch Exporterstattungen verbilligt werden. In dieser Situation steht die EG in Konkurrenz mit anderen Nettoexporteuren wie z. B.den USA. Der Wettbewerb um Marktanteile am Weltmarkt führt deshalb zu einem Subventionswettlauf auf Kosten der agrarexportorientierten Entwicklungsländer. Der Preisdruck am Weltmarkt geht damit zu Lasten der Länder, die auf die Devisenerlöse zur Finanzierung ihres Entwicklungsprozesses angewiesen sind.
In welchem Ausmaß die EG durch ihre Außenhandelspraxis die Warenströme an den Weltmärkten beeinträchtigt, zeigt das folgende Beispiel: 1987 verkaufte die EG 100000 Tonnen Butter an die frühere UdSSR, nachdem das Angebot durch Exporterstattungen zum Weltmarktpreis geliefert werden konnte. Die UdSSR hat die Liefermenge -wegen eigener Butterbestände -zu höheren Preisen an Chile weiterverkauft, so daß Chile als Nach-frager auf dem Weltmarkt für Butter ausfiel. Australien als Exporteur verlor damit Marktanteile und mußte neue Absatzmöglichkeiten in Südostasien erschließen. Die EG hat ihr Überschußproblem auf Australien abgewälzt, was vor dem Hintergrund der Subventionspraxis als ökonomischer Darwinismus zu bezeichnen ist.
Als Folge dieser Außenhandelspraxis hat sich eine Gruppe von 14 agrarexportorientierenden Entwicklungsländern 1986 in Cairns/Australien im Vorfeld der GATT-Verhandlungen (UruguayRunde) zur sogenannten CAIRNS-Gruppe zusammengeschlossen, um unter anderem auch die EG zu einer Verhaltensänderung im Außenhandel zu veranlassen.
In ähnlicher Weise lassen sich weltweit Außenhandelseffekte auf die Märkte der Landwirtschaft feststellen. So hat das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik 1995 eine Untersuchung vorgelegt, die sich mit den Auswirkungen von Exporterstattungen der EU auf die Rindfleischsektoren westafrikanischer Länder befaßt. Die Marktanalyse kommt u. a. zu folgenden Ergebnissen: -Die Dumpingeffekte von Gefrierfleischimporten auf die Verbraucher-und Großhandelspreise der Elfenbeinküste haben sich auch auf das Niveau der Lebendviehpreise an den Viehmärkten Malis und Burkina Fasos ausgewirkt. -Die Preiswirkungen haben vermutlich -die verfügbaren Marktdaten sind unzuverlässig und lückenhaft -zu einem Rückgang der Exporterlöse aus Rindfleischausfuhren von 30 bis 50 Prozent zwischen 1985 und 1990 geführt. -Die Preiseffekte haben sich restriktiv auf die Entwicklung einer standortgerechten und arbeitsteiligen Rindermast ausgewirkt.-Die unmittelbaren Folgen sind negative Auswirkungen auf die realen Einkommen und damit auf die gesamte materielle Lebenshaltung der Nomaden in Mali und in Burkina Faso. -Schließlich ergeben sich Überweidungseffekte durch Ausweitung der Bestände an Rindern als Folge des niedrigen Preisniveaus. Eine fortschreitende Erosion und Desertifikation sind die entsprechenden Konsequenzen.
Zusammenfassend zeigen diese beiden Beispiele, daß die Märkte für konkurrierende Produkte (Getreide und Rindfleisch werden sowohl in Entwicklungs-als auch in Industrieländern erzeugt) unmittelbar bzw. indirekt durch die Markt-und Preispolitik der EU beeinflußt werden. Verlagerungen von Handelsströmen, Verdrängungswettbewerb und Preisverzerrungen stehen im Gegensatz zu entwicklungspolitischen Zielsetzungen. Hier zeigt sich erneut, wenn auch nur in bestimmten Produktbereichen, ein Widerspruch zwischen Handels-und Entwicklungspolitik.
Noch deutlicher werden diese Zusammenhänge mit dem Inkrafttreten der EU-Bananenmarktordnung am 1. Juli 1993. Mit Einfuhrzöllen und Kontingenten werden die Bananenimporte aus mittel-und südamerikanischen Ländern (soge-nannte Dollar-Bananen) beschränkt zugunsten höherer Marktanteile der Bananenproduzenten in der EU und ihrer überseeischen Lieferanten. Die Eingriffe in den Markt führten auf den Binnenmärkten zu einem Preisanstieg für Bananen und zu einem ungeregelten Handel mit Einfuhrlizenzen im Hinblick auf die mengenmäßige Beschränkung der Gesamtimportmenge. Im Außenhandel ergaben sich (die gewollten) handelsumlenkenden Effekte zu Lasten der traditionellen Lieferländer. Dort sind mit den Exporteinbußen Arbeitsplatz-verluste und der Zwang zu Produktionsumstellungen verbunden. Insgesamt hat die Anwendung der Marktordnung dazu beigetragen, daß durch Interventionen und dirigistische Steuerung weder Markt noch Ordnung gegeben sind.
Auch dieses Beispiel zeigt, daß im Agraraußenhandel Diskriminierung, Handelsumlenkung und damit Preisverzerrungen zu beobachten sind, die Verbraucher sowie Import-und Binnenhandel belasten. Die Bundesregierung hat dementsprechend Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erhoben, die am 5. Oktober 1994 aber abgewiesen wurde. Damit sind die Auseinandersetzungen noch nicht abgeschlossen, denn nach dem soge-nannten Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Oktober 1993 kann die EU die Bundesrepublik Deutschland nicht zwingen, internationale vertragliche Verpflichtungen wie etwa die Anwendung der WTO (World Trade Organisation-Regeln zu brechen. Hierzu wurde bereits in einem Schiedsverfahren der WTO festgestellt, daß die EU-Bananenmarktordnung nicht mit der Welthandelsordnung der WTO vereinbar ist. Im übrigen regelt selbst der EWG-Vertrag in Artikel 234 den Vorrang internationaler Altverträge vor Gemeinschaftsrecht.
V. Ergebnisse
Vor dem Hintergrund der EU-Markt-und -Preispolitik und ihrer Wirkungen auf Binnenmärkte und auf den Außenhandel ist die Haltung der EU gegenüber Entwicklungsländern ambivalent, inkonsistent und diskriminierend. Mit der Einführung der gemeinsamen Agrarmarktordnungen und mit der Schaffung einer innergemeinschaftlichen Präferenzzone wurde der Außenhandel mit Dritt-ländern durch Protektionismus belastet. Im Warenverkehr mit anderen Industrieländern (z. B.den USA und Japan) hat dies teilweise zu ernsthaften, kurzfristigen Konflikten geführt.
Im Handel mit Entwicklungsländern wurden Sonderbehandlungen eingeführt, die dem multilateralen Charakter der internationalen Arbeitsteilung nicht gerecht werden. Mit der Vereinbarung der Abkommen von Lomä wurden zwar für 70 Entwicklungsländer marktkonforme Regelungen im Agraraußenhandel festgelegt -gleichzeitig wird diese Ländergruppe privilegiert, mit der Gefahr einer Spaltung der sogenannten Dritten Welt.
Es ist unverkennbar, daß Liberalisierungsschritten im Agraraußenhandel (Marktöffnung) negative Effekte der Exportförderung und dirigistischer Importregelungen gegenüberstehen. Es kann deshalb nur eine Bilanz der handelsschaffenden Wirkungen im Vergleich mit den durch Protektionismus verhinderten Absatzchancen eine abschließende Beurteilung ermöglichen, die allerdings wegen der Komplexität der internationalen Handelsbeziehungen hohe Anforderungen an die analytische Behandlung stellt. .
Tendenziell ist nicht auszuschließen, daß z. B. mit einem Verzicht auf den Subventionswettlauf im Bereich der Exportförderung die Devisenerlöse agrarexportorientierter Entwicklungsländer erhöht bzw. stabilisiert werden könnten (aid by trade), so daß auf einen Teil entwicklungspolitischer Leistungen verzichtet werden könnte. Dies aber setzt eine internationale Arbeitsteilung voraus, die sich im Interesse der Wohlstandseffekte für alle beteiligten Welthandelspartner am freien Warenverkehr nach dem Prinzip der komparativen Kostenvorteile orientieren sollte.