I. Einleitung
Die Zukunft des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) steht zur Disposition nicht weil der ihm übertragene Auftrag abgeschlossen wäre, sondern weil sich langsam die Erkenntnis durchsetzt, daß dem Entwicklungsproblem allein mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe nicht zu begegnen ist. Nur Politikfelder übergreifende Konzepte können Erfolge in Aussicht stellen.
In diesem Beitrag sollen nach einer kurzen Darstellung der Neuformulierung deutscher Entwicklungspolitik Anfang der neunziger Jahre und der Erläuterung des Entwicklungsdilemmas als zentraler Herausforderung für die Entwicklungspolitik die Grundsätze und Ziele deutscher Entwicklungspolitik untersucht werden. Dies geschieht anhand der öffentlichen Darstellungen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unter der Fragestellung, welcher Stellenwert dem Entwicklungsdilemma für die Formulierung von Zielen, insbesondere aber für die Konzeption der Entwicklungsstrategien der deutschen Entwicklungspolitik zukommt. Abschließend wird auf dem Hintergrund der abnehmenden gesellschaftlichen Unterstützung für die derzeitige Entwicklungspolitik ein erweitertes Konzept für die zukünftigen Aufgaben des BMZ skizziert, welches sich auch an den gesellschaftlichen Interessen orientiert, auf die Entwicklungshilfe in besonderem Maße angewiesen ist
II. Deutsche Entwicklungspolitik
Für kaum ein anderes Land haben sich durch den weltpolitischen Umbruch 1989/90 mit all seinen Konsequenzen dessen internationales Umfeld und die Rahmenbedingungen für seine Außenpolitik so entscheidend verändert wie für die Bundesrepublik Deutschland. Wie die Entwicklungspolitik als spezifischer Teil der Außenpolitik auf diese Veränderungen reagiert hat, erscheint bis heute widersprüchlich. Zum einen hat ein seit Januar 1991 amtierender Minister neue Kriterien für die Entwicklungszusammenarbeit erarbeiten lassen, die „zentrale Bedeutung für Umfang und Art deutscher Entwicklungszusammenarbeit“ gewinnen sollen -weil mit dem Ende der Ost-West-Konfrontation zumindest eine wichtige Orientierungsmarke für Entwicklungshilfe wegfiel: die sicherheitspolitische oder geostrategische Zielsetzung, die eigenen Einflußzonen in der sogenannten Dritten Welt zu sichern oder zu vergrößern.
Dieser Wegfall wurde durchaus als eine Art Befreiung der Entwicklungshilfe von entwicklungspolitisch fremden Zielen aufgefaßt, auch im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: „Das Jahr 1991 war eine Zeit weltweit einschneidender Veränderungen, die für die deutsche Entwicklungspolitik zugleich Herausforderung und Chance bedeutet. Die Überwindung des Ost-West-Konfliktes eröffnet nun neue Perspektiven für die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern. Nie war die Möglichkeit so groß, Entwicklungspolitik konsequent an den globalen und drängenden Herausforderungen unserer Zeit auszurichten und effizient zu gestalten.“
Diese Chance zu einer konsequenten und effizienten Entwicklungspolitik wurde in der Weise ergriffen, daß in Zukunft den Voraussetzungen in den sogenannten Entwicklungsländern für Entwicklungserfolge mehr Beachtung geschenkt werden soll: „Fünf Kriterien sind künftig neben der Bedürftigkeit des jeweiligen Partnerlandes von zentraler Bedeutung für Umfang und Art deutscher Entwicklungszusammenarbeit: die Beachtung der Menschenrechte, die Beteiligung der Bevölkerung am politischen Prozeß, die Gewährleistung von Rechtssicherheit, die Schaffung einer , markt-freundlichen Wirtschaftsordnung und die Entwicklungsorientierung des staatlichen Handelns, das darauf ausgerichtet sein muß, die wirtschaftliche und soziale Lage der ärmeren Bevölkerungsteile zu verbessern und die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten.“ 6
Außerdem werden, um die Orientierung der soge-nannten Entwicklungsländer auf die eigene Entwicklung zu überprüfen, die Rüstungsausgaben der Empfängerländer von Entwicklungshilfe untersucht, als ein Indikator oder eine Art Operationalisierung des fünften Kriteriums. Insoweit lassen sich Anzeichen für eine gelungene Umorientierung und überzeugende Anpassung angesichts des globalen Wandels von 1989/90 erkennen
Andererseits erlebte diese auf dem Papier so konsequent erscheinende Politik schon bei den ersten Versuchen der Umsetzung in die Praxis auch herbe Niederlagen und Enttäuschungen, etwa ihre Desavouierung durch einen Staatssekretär des BMZ durch innenpolitische Erfordernisse durch die deutsche Außenwirtschaftspolitik durch den Haushaltsausschuß des Bundestages oder den massiven Druck auf das BMZ, zur Sicherung eines deutschen Großauftrages doch den Bau einer U-Bahn zu fördern, in einem zwar wirtschaftlich potenten, aber auch für seine Mißachtung der Menschenrechte und die Steigerung seiner Militär-ausgaben bekannten Land
Außerdem war im Hinblick auf die Hungerkatastrophe in Somalia schon der Versuch des BMZ, hier seine Zuständigkeit zu behaupten, zum Scheitern verurteilt. Hinzu kommt die Einschränkung des finanziellen Handlungsspielraums durch die deutsche Haushaltslage, mitverursacht durch die Fehleinschätzung der Kosten der deutschen Einheit und die daraus resultierenden realen Kürzungen am Etat des BMZ
So bleibt der Eindruck vom BMZ als einem politischen Leichtgewicht zurück, dessen Ziele zwar hoch anständig sind, im Zweifelsfall aber hintangestellt oder hintergangen werden können. Die Entwicklungspolitik des neuen Deutschland hat (noch) keine sichere Rollendefinition gefunden, die über den Augenblick -einen Minister-oder gar Regierungswechsel -hinaus von Bestand sein könnte.
III. Das Entwicklungsdilemma
Was sind die zentralen Herausforderungen für die Entwicklungspolitik? Für die erste Entwicklungsdekade 1961-1970 stand das (zu) geringe Bruttosozialprodukt der sogenannten Entwicklungsländer im Mittelpunkt, und seine Steigerung war primäres Ziel der Entwicklungshilfeanstrengungen. Doch Wirtschaftswachstum konnte das wachsende Massenelend in der sogenannten Dritten Welt nicht aufhalten. Aus Fehlern wollte man lernen und fortan die Not der Menschen in den Mittelpunkt der Entwicklungspolitik stellen; dafür wurden Grundbedürfnisstrategien in den siebziger Jahren entwickelt und angewandt. Doch gleichzeitig wur-den auch schon di^ ökologischen Grenzen von Entwicklung, verstanden als Wachstum, erkennbar Erste Zweifel wurden geäußert, ob die ressourcenverschwenderische Wachstumspolitik der Industrieländer nachahmenswert sei. Inzwischen haben die aus der fortschreitenden Industrialisierung resultierenden Umweltbelastungen vielfach die Grenze zur massiven Schädigungen von Mensch und Umwelt überschritten. Andererseits warten immer noch etwa drei Viertel der Weltbevölkerung auf „Entwicklung“, auf Hilfe aus Hunger, Not und Unterdrückung Damit ist die zentrale Herausforderung für Entwicklungspolitik genannt: ein Entwicklungsdilemma in dem „die Entwicklungspolitik sich selbst zum Problem geworden“ ist, weil Entwicklung durch wirtschaftliches Wachstum ohne Umorientierung bei den ökologischen Kosten die gesamte Erde zerstören wird. Ausbleibende Entwicklung in der sogenannten Dritten Welt nimmt jedoch drei Vierteln der Weltbevölkerung jegliche Hoffnung auf ein Überleben ohne Hunger, Not und Unterdrückung Theoretisch gedacht, gibt es angesichts dieses Dilemmas zwei Möglichkeiten, damit umzugehen: die Verteidigung des dominan ten Wachstumsmodells durch die Industriestaaten mit ihrer weitgehend monopolistischen Verfügung über die natürlichen Ressourcen und die notfalls militärische Verteidigung dieser Ansprüche ohne spürbare Entwicklung der sogenannten Dritten Welt oder eine weltweite Nivellierung des Ressourcenverbrauchs und der Umweltbelastungen, um die Lebenschancen aller Menschen einander annähern zu können, was auch eine nachhaltige Intervention der Industrieländer in die eigenen Lebensformen notwendig macht.
Wenn wir nicht die grundlegenden menschlichen Werte oder die allein in den ersten drei Artikeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegten Ansprüche eines jeden Menschen auf Freiheit, Gleichstellung und Leben aufgeben wollen, bleibt allerdings kein anderer Weg, als die Entwicklung der sogenannten Dritten Welt zu ermöglichen durch eine radikale Umorientierung der Entwicklungs-und Umweltpolitik. „Die Armen werden auf das falsche Entwicklungs-Denken nur verzichten, wenn die, deren Erfolg sie sich zum Vorbild genommen haben, ihrerseits von dieser Lebensauffassung Abschied nehmen.“ Die Entwicklung der sogenannten Dritten Welt kann also nur dann gefördert werden und voranschreiten, wenn gleichzeitig für alle Länder Maßnahmen getroffen werden, daß die Gesamt-Umweltbelastung der Erde dadurch nicht steigt, sondern sogar reduziert wird. „Es ist indessen ... eine Illusion zu glauben, man könne die Umweltprobleme der Dritten Welt mit ökologischer Entwicklungshilfe lösen, solange der Norden seinen eigenen ökologisch zerstörerischen Lebensstil nicht ändert“ denn schon das heutige Niveau der Umweltbelastungen hat insbesondere langfristig massive Schädigungen der natürlichen Lebensgrundlagen zur Folge.
Damit ist die zweite Ebene des Dilemmas benannt: Auch wenn die Grundentscheidung zugunsten der Entwicklung der sogenannten Dritten Welt getroffen wird -wie etwa in der Agenda 21 der UNCED -, kommt eine Bearbeitung des Dilemmas erst dann zustande, wenn Entscheidungen über die Kostenverteilung getroffen werden. Genau dies aber ist bis heute ausgeblieben, weil für alle Industriestaaten die Nutznießer-Rolle aufgrund der kurzfristigen Ausrichtung ihrer Politik die größte Attraktivität besitzt. Deklaratorisch betonen sie die enge Verzahnung von Umwelt und Entwicklung (UNCED), sie treffen jedoch keine Maßnahmen, die ihnen, ihrer Industrie oder Bevölkerung Kosten verursachen könnten oder grundlegende Umorientierungen erfordern würden, weil sie der demokratischen Legitimation und Unterstützung einer solchen Politik nicht sicher sind. Gleichzeitig halten sie an ihrer Politik zur Entwicklung der sogenannten Dritten Welt, sei sie nun erfolgreich oder nicht, fest. Sie sehen sehr klar, daß dieser Wagen auf den ökologischen Abgrund zufährt, aber keiner steigt aus und kümmert sich um die Weichenstellungen. Obwohl sich in anderen Bereichen gezeigt hat, daß Umwelt-Dilemmata unter bestimmten Bedingungen überwindbar sind ist bis heute, auch nach dem Berliner Klima-Gipfel, der ernsthafte Versuch ausgeblieben, das Dilemma der Kostenverteilung zu bearbeiten, um das Entwicklungsdilemma zugunsten der Lebenschancen in der sogenannten Dritten Welt aufzulösen.
Das Entwicklungsdilemma kann nicht durch die Entwicklungspolitik allein und auch nicht allein von Deutschland bearbeitet werden. Aber sowohl der Entwicklungspolitik als auf die sogenannte Dritte Welt ausgerichteter Außenpolitik als auch Deutschland als einem der größten Industrieländer und wichtigem Akteur in der Europäischen Union kommt entscheidende Bedeutung dabei zu, ob diese große Aufgabe in Angriff genommen wird, oder die Menschenrechte, ganz zu schweigen von den hehren Zielen der Entwicklungspolitik, zu hohlen Phrasen werden. Wie geht die deutsche Entwicklungspolitik mit dem Entwicklungsdilemma um?
IV. Entwicklungsrhetorik: Neunter Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung
Seit 1971 erscheint alle zwei Jahre der „Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung“. Er enthält jeweils eine Darstellung der politischen Schwerpunkte und Orientierungslinien der ent-wicklungspolitischen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland sowie Berichte über die Situation der sogenannten Entwicklungsländer. Somit eignet sich dieser Text besonders dafür, die Frage nach den Grundsätzen und Zielen sowie nach der Situationsdefinition in bezug auf die deutsche Entwicklungspolitik zu beantworten Der im Folgenden zitierte „Neunte Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung“ umfaßt als Berichtszeitraum die Jahre 1989-1991, also genau jene Zeit, in der die Anpassung an die neue Rolle Deutschlands in der veränderten Weltlage vollzogen wurde. Welche Rolle spielt das die gesamte Entwicklungsproblematik überschattende Entwicklungsdilemma bei dieser Anpassung der deutschen Entwicklungspolitik?
Grundsätzlich ist festzuhalten, daß sich der Duktus des Textes im Vergleich zu vorausgegangenen Berichten höchstens minimal geändert hat. Vorherrschend ist die Perspektive von oben, der Blick der Entwickelten auf die noch zu Entwickelnden. Die Wahrnehmung der „Einen Welt“, der Tatsache, daß nur gemeinsame Strategien das Überleben der gesamten Menschheit sichern können, findet nur in der Rhetorik statt: „Die politischen Entscheidungen im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts stellen die Weichen für die Sicherung der Zukunft der Menschheit. Der Entwicklungspolitik kommt dabei eine herausragende Rolle zu. Die Aufteilung in Erste, Zweite und Dritte Welt ist fragwürdig. Angesichts der zunehmenden globalen Probleme gibt es nur noch die Eine Welt, die es als Existenzgrundlage für die gesamte Menschheit zu bewahren gilt. Dies kann nur dann gelingen, wenn das große Gefälle zwischen Industrie-und Entwicklungsländern verringert und besonders die Lebensbedingungen der in Armut lebenden Menschen verbessert werden.“
Hierbei handelt es sich deshalb nur um Rhetorik, weil aus dieser Feststellung am Beginn des zweiten Kapitels „Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland“ unter der Überschrift „Politische Schwerpunkte und Orientierungslinien“ keine Maßnahmen oder Handlungsoptionen abgeleitet werden. Statt dessen folgt der Hinweis auf die großen finanziellen Belastungen Deutschlands aus Vereinigung und Umbruch im Osten und die diesen finanziellen Restriktionen geschuldeten Konsequenzen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, nämlich Konzentration auf Armutsbekämpfung und Umweltschutz sowie Orientierung der Zusammenarbeit an den fünf neuen Kriterien. Die „Konzentration auf... Umweltschutz“ könnte jedoch Elemente des Entwicklungsdilemmas aufnehmen und Entwicklungsmaßnahmen zur Reduzierung ökologischer Gefährdungen beinhalten. Abschnitt 1. 3 dieses Kapitels überschrieben mit „Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen“, beginnt mit einer Beschreibung des Entwicklungsdilemmas: „Die Frage der Vereinbarkeit von Umwelt-und Entwicklungszielen steht im Mittelpunkt der globalen Herausforderung; dies gilt nicht zuletzt unter dem Aspekt einer langfristig umwelt-erhaltenden Nutzung von Energie und nicht erneuerbaren Ressourcen. Um den Erfordernissen eines nachhaltigen Umweltschutzes gerecht zu werden, muß sich allerdings Entwicklung national wie international an den Grenzen der ökologischen Tragfähigkeit orientieren. Die Steigerung des Lebensstandards der Menschen in den Entwicklungsländern sowie die ausreichende Versorgung der gesamten Menschheit mit Nahrungsmitteln und anderen Gütern ist jedoch nur über eine Verbesserung der agrarischen und industriellen Produktion möglich. Eine der Ursachen für die weltweite Umweltkrise ist unbestritten die rohstoff-und energieintensive Wirtschaftsweise der industriell hochentwickelten Länder, einschließlich der Industrieländer Mittel-und Osteuropas. Der Ressourcenverbrauch auf der nördlichen Halbkugel überfordert bereits jetzt die globalen Ökosysteme. Er kann daher nicht Vorbild für Produktionsweisen und Konsumstandards in den Entwicklungsländern sein.“ Aus dieser Problembeschreibung leitet der Bericht drei Aufgaben „für die entwickelten Marktwirtschaften in Nordamerika, Europa und Japan“ ab: „Zum einen müssen sie zu einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise finden, die ökonomische und ökologische Notwendigkeiten in Einklang bringt und weltweit anwendbar ist.“ „Des weiteren muß die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern mit dem Ziel verstärkt werden, diesen die Beteiligung an den globalen Umweltschutzbemühungen zu ermöglichen.“ „Schließlich wird auch eine ökologische Sanierung der Volkswirtschaften des ehemals kommunistischen Machtbereichs nicht ohne Mitwirkung der westlichen Industrieländer möglich sein.“
Anschließend wären, wie dies bei der Beschreibung des Schwerpunkts „Armutsorientierung“ praktiziert wird, die Umsetzungsstrategien zu erwarten. Doch hier endet offenbar die Zuständigkeit und Kompetenz des BMZ, denn der erste Punkt, die Suche nach einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise in den Industrieländern, ist allein mit seiner Benennung schon abgehakt. Der zweite Punkt wird noch einmal angesprochen mit der unverbindlichen Formulierung: „Die Bundesregierung hält eine Intensivierung der Technologie-kooperation unter dem Gesichtspunkt der Entwicklungsförderung für geboten.“
Der dritte Punkt taucht wiederum gar nicht mehr auf. Statt dessen aber wird die Armut in vielen sogenannten Entwicklungsländern als „eine der wichtigsten Ursachen für Umweltzerstörung“ ausgemacht, zu deren Verschärfung wiederum wesentlich ein hohes Bevölkerungswachstum beitrage -woraus sich dann folgern läßt: „Armutsbekämpfung ist deshalb ein Schwerpunkt der deutschen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern; ebenso spielen bevölkerungspolitische Maßnahmen eine wichtige Rolle.“
Im Folgenden ist dann nur noch „die Verankerung des Umweltschutzes in Politik und Gesellschaft der Entwicklungsländer entscheidend. Umweltschutz muß aus den Staaten selbst erfolgen. Zentraler Ansatzpunkt für die Entwicklungszusammenarbeit im Umweltbereich ist es, die Partner zu befähigen, ihre eigenen Umweltstrategien zu erarbeiten, sie bei der Gesetzgebung zu beraten, die Verwaltung.. .“ Kein Wort oder Gedanke mehr an die Mitverantwortlichkeit der Industrieländer und dort eingrei fende Maßnahmen über Umweltschutz-Knowhow, das im Rahmen der Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt werden könnte’ oder Maßnahmen zur ökologischen Sanierung in Mittel-und Osteuropa -oder gar die Entwicklung einer Strategie, wie diese drei Aufgaben miteinander zu verbinden wären. Schlußpunkt dieses Abschnitts über die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ist allerdings ein erneuter Hinweis auf das Entwicklungsdilemma, verbunden noch mit der Hoffnung, daß die Entwicklungspolitik doch bitte mehr beachtet werden soll: „Angesichts der globalen Umweltkrise, der daraus resultierenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen für Industrie-und Entwicklungsländer und angesichts des mit der Bedrohung der menschlichen Lebensgrundlagen verbundenen Konfliktpotentials sind Nord-Süd-Fragen Überlebensfragen der gesamten Menschheit. Vor diesem Hintergrund globaler Herausforderungen ist die Bedeutung der Entwicklungspolitik auf der politischen Prioritätenskala neu zu bewerten.“
Wer, wenn nicht das BMZ selbst, sollte den Wert der Entwicklungspolitik auf der politischen Prioritätenskala steigern? Wer, wenn nicht das BMZ selbst, sollte die Nord-Süd-Fragen als Überlebensfragen der gesamten Menschheit häufiger auf die Tagesordnung bringen? Wer, wenn nicht das BMZ selbst, sollte die aus der globalen Umweltkrise resultierenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen für Entwicklungs-und Industrieländer immer wieder thematisieren?
Die Neigung dieser Fragen, rhetorische Fragen zu sein, führt direkt zu den Defiziten, aber auch zu den Zukunftschancen deutscher Entwicklungspoli-tik. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß im Bericht vielfach die Verantwortung der Industrieländer für ein günstiges weltwirtschaftliches Umfeld angesprochen wird denn auch bei diesem Punkt werden keinerlei Überlegungen oder gar Strategien auch nur angedeutet, wie durch politische Maßnahmen der Industrieländer auf der eigenen Seite zu einer Verbesserung der Entwicklungsbedingungen der sogenannten Dritten Welt beigetragen werden könnte. Immer bleibt das Entwicklungsdilemma nur Rhetorik ohne die Tendenz, es endlich entschieden in Angriff zu nehmen. Es soll erkannt werden, aber damit hat es sich dann auch: „Die nachhaltige Schädigung und Zerstörung der Umwelt und der natürlichen Ressourcen in den Entwicklungsländern zeigt erhebliche Ausmaße und hat teilweise schon die Grenzen der Tragfähigkeit der Erde überschritten. Dabei muß der strukturelle Zusammenhang zwischen unseren eigenen wirtschaftlichen Ansprüchen und der Schädigung der Umwelt in den Entwicklungsländern erkannt werden.“
Mit dieser Entwicklungsrhetorik geht die Gefahr einher, daß die Rolle, welche Deutschland und insbesondere das BMZ mit seiner Hilfe zur Entwicklung ohne begleitende Maßnahmen zur Reduzierung der ökologischen Belastungen praktiziert, verschleiert wird. Zugleich besteht der noch weitergehende Verdacht, daß die gesamte Politik des BMZ, gemessen an ihrem Anspruch, zur Entwicklung der sogenannten Dritten Welt beizutragen, nur „symbolische Politik“ ist, und die Ausgaben für die Entwicklungshilfe eine ungeheure Verschwendung öffentlicher Mittel darstellen -abge-sehen von der Stützung deutscher Wirtschaftsinteressen über Lieferbindungen etc. Wenn es stimmt und es keine Anstrengungen dagegen gibt, daß die gesamte Entwicklungshilfe aller OECD-Länder nicht den Schaden ausgleichen kann, der den soge-nannten Entwicklungsländern durch die Handelsbeschränkungen der Industrieländer zugefügt wird dient die Legitimation der Politik des BMZ als „Entwicklungshilfe“ primär zur Entlastung unseres Gewissens angesichts unserer ungerechten Handels-und Agrarpolitik -ganz abgesehen von den zusätzlichen Schädigungen der sogenannten Entwicklungsländer durch Entwicklungshilfe wie beispielsweise durch die Fleischexporte der EG nach Westafrika. Daß angesichts solcher Befunde Entwicklungshilfekritik, welche die Qualität, nicht die Hilfe überhaupt kritisiert, immer weniger begründet zurückzuweisen ist, wird nur allzu verständlich.
V. Argumente für Entwicklungshilfe
Die Rechtfertigung der Ausgaben des BMZ als einseitiger Leistungen zu marktabweichenden Bedingungen -weitgehend ohne sichtbare Erfolge in den sogenannten Entwicklungsländern -wird zunehmend schwieriger. Das Aufnehmen der Zeit-trends -Frieden, Menschenrechte, Demokratisierung, Umwelt -als zusätzliche Begründungsfaktoren schafft zwar jeweils kurzzeitige zusätzliche Unterstützung. Gleichzeitig untergräbt ein solcher Wandel der Begründungen für Entwicklungshilfe die Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit des Ziels „Entwicklung“. Damit hängt möglicherweise auch die in den letzten Jahren deutlich zunehmende negative Beurteilung der von der Bundesregierung geleisteten Entwicklungshilfe zusammen. ‘Noch 1985 beurteilten doppelt so viele Befragte die Entwicklungshilfe der Bundesregierung „eher positiv“ als „eher negativ“ (44 Prozent vs. 22 Prozent), 1993 bewerteten 37 Prozent die deutsche Entwicklungspolitik als „eher negativ“ und nur noch gleich viele als „eher positiv“
Auch die nahezu protestlos hingenommene reale Kürzung des BMZ-Etats ist ein Indiz für die Schwierigkeit des BMZ, gute Gründe für die eigene Arbeit legitimationswirksam aufbieten zu können. Der Bundeskanzler konnte 1992 in Rio versprechen, Deutschland wolle „so bald wie möglich erreichen“, daß seine Entwicklungshilfe-Gelder das von den UN gesteckte Ziel von 0, 7 Prozent des Bruttosozialprodukts erreichen, ohne daß ihn bei gleichzeitig sinkenden Entwicklungshilfeleistungen irgend jemand öffentlich an seine Worte von gestern erinnert. Die Dritte-Welt-Arbeit ist in eine strukturelle und finanzielle Krise geraten die Mitglieder der Solidaritätsbewegungen und von Dritte-Welt-Gruppen haben sich vielfach zurückgezogen oder sind auf andere Felder, etwa in die Asyl-und Flüchtlingsarbeit, gewechselt, teilweise frustriert, resigniert oder vorsichtig geworden angesichts nationaler Stimmungen und Tendenzen.
Entwicklungspolitik wird immer mehr zu einem unbedeutenden Nebenschauplatz der Außen-und Wirtschaftspolitik, und entsprechend entbehren die Vorschläge zur Auflösung des BMZ nicht einer gewissen Konsequenz. Hier und da scheint das BMZ seine Auflösung sogar schon vorwegzunehmen, etwa wenn es bei bedeutenden Gipfeltreffen zu Themen der Entwicklungspolitik -wie etwa dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen -keinerlei öffentlichkeitswirksame Aktivitäten entwickelt und der Arbeitsminister die Öffentlichkeit über die Entwicklungspolitik aufklären muß Eine über zeugende Anpassung an die globalen Herausforderungen, die der Entwicklungspolitik zu eigenständiger Bedeutung verhelfen könnte, hat auch in den vergangenen Jahren nicht stattgefunden. Hat also die deutsche Entwicklungspolitik noch eine Zukunft?
Die Doppelgleisigkeit der Entwicklungshilfebegründung, mit ethisch-humanitären Argumenten auf der einen Seite und Hinweisen auf den Eigennutz im Bereich sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Gründe andererseits, ist zunehmend schwieriger aufrechtzuerhalten. Auch die Orientierung an aktuellen Themen scheint nicht mehr quasi automatisch gesellschaftlichen Rückhalt für die betriebene Entwicklungspolitik zu liefern. Aus der Umweltbewegung kommt eher Kritik als Unterstützung für die Politik des BMZ Ebenso wird die Entwicklungshilfekritik zunehmend lauter; ihr ist weder mit den entwicklungspolitisch eingeschlagenen Wegen und Strategien von 1991 zu begegnen, noch mit erneuerter Rhetorik, weil auch die Differenz zwischen Rhetorik und Realität immer weniger zu überdecken ist So läßt sich die betriebene Politik mit ethisch-humanitären Argumenten kaum mehr legitimieren. Und für die Eigennutz-Begründung ist das sicherheitspolitische Argument aus dem alten Ost-West-Konflikt vollends weggefallen, so daß als Rechtfertigung für entwicklungspolitische Geschenke an sogenannte Dritte-Welt-Staaten nur noch das außenwirtschaftliche Argument „Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland“ zu bleiben scheint. Sich primär darauf einzulassen hieße für das BMZ aber, mittel-oder sogar kurzfristig zur Abteilung „Außenwirtschaftshilfe“ eines anderen Ministeriums zu werden.
VI. Eine Zukunft für das BMZ
Sind die Rahmenbedingungen für Entwicklungspolitik wirklich so schlecht, wie es der Zustand der deutschen Entwicklungshilfe zu vermitteln scheint, oder ist ein neuer Entwurf vorstellbar, der dem BMZ zu neuer Bedeutung und öffentlichem Rückhalt für eine, an den zentralen Herausforderungen des Entwicklungsdilemmas ausgerichteten Politik verhilft und damit die Bundesrepublik Deutschland in eine Führungsposition in den entsprechenden internationalen Verhandlungen bringt? Die Einsichten in das Entwicklungsdilemma sind seit der UNCED in Rio auf der internationalen Tagesordnung: daß das nördliche Entwicklungsmodell nicht global anwendbar ist, die Industrieländer die Hauptverantwortlichen für die ökologische Krise sind und der Süden ein Recht auf Entwicklung hat. „Es mangelt nicht an Erkenntnis, sondern an angemessenen politischen Folgerungen.“
Auch wenn seit den siebziger Jahren, intensiviert vor allem durch den „Brundtland-Bericht“ 1987, von „Sustainable Development“ immer häufiger die Rede ist, ist es auch in Rio nicht gelungen, Konzepte zur Umsetzung „dauerhafter Entwicklung“ zu vereinbaren. Statt dessen wurde am uneingeschränkten Wachstumsmodell festgehalten und insbesondere der Beitrag des Südens zur Bearbeitung ökologischer Probleme thematisiert. Die internationale Gemeinschaft beweist sich ein um das andere Mal, daß sie es mit einem Dilemma zu tun hat, für das es keine einfachen Lösungen gibt. Insofern ist die deutsche Entwicklungsrhetorik nur ein getreues Abbild der international vorherrschenden Situation. i Doch unterscheidet sich möglicherweise das innenpolitische Umfeld für die deutsche Entwicklungspolitik in wichtigen Punkten von dem vieler anderer Industrieländer. In Deutschland gibt es eine an Entwicklungspolitik interessierte und Entwicklungshilfe befürwortende Öffentlichkeit außerdem eine starke Umweltbewegung, die in den letzten Jahren dafür gesorgt hat, daß auch in der Entwicklungspolitik der Umwelt-Dimension ein größerer Rang eingeräumt wird und Deutsch-lands Interesse an der sogenannten Dritten Welt basiert nicht nur auf ethisch-humanitären Motiven, sondern auch auf handfesten wirtschaftlichen Interessen als Exportnation Dies begründet, warum Deutschland in der Lage sein könnte, zur Bearbeitung des Entwicklungsdilemmas in eine Vorreiterrolle zu schlüpfen, und warum das BMZ sich hierfür als Motor anbietet.
Diese Vorreiterrolle bei „Umwelt und Entwicklung“ könnte gleichzeitig eine neue innenpolitische Legitimation deutscher Entwicklungspolitik ermöglichen, indem eine überzeugende Verbindung von internationaler Solidarität, Umweltorientierung, Verfolgung wirtschaftlicher Ziele und langfristigem Eigennutz angeboten wird. Die Konzipierung von Entwicklungspolitik auf der Basis gesellschaftlicher Interessen kann in dem Maße an Überzeugungskraft -nach außen und nach innen -gewinnen, in dem die verschiedenen Bedürfnisse in ein in sich konsistentes Konzept einfließen und dieses möglichst konsequent verwirklicht wird. Es geht letztlich um die Umsetzung der vielfach vorhandenen Rhetorik, allerdings mit erweiterten Kompetenzen und einem erweiterten Blickfeld. Der dem BMZ zugewiesene Aufgabenbereich wird sich dabei vergrößern und der ihm vorgegebene Blick nach Süden muß erweitert werden, damit die globale Rhetorik abgelöst wird von globaler Verantwortung, die auch vor im eigenen Land eingreifenden Maßnahmen nicht haltmacht.
Könnte eine solche erweiterte Entwicklungspolitik wirklich breite Unterstützung in der Bevölkerung erzielen, wenn es auch um Maßnahmen geht, die nur sehr langfristig Nutzen versprechen, die kurz-und mittelfristig aber auch mit Wohlfahrtseinbußen verbunden sein könnten? Es gibt ein Beispiel in der jüngeren deutschen Geschichte, daß eine Bundesregierung auch gegen den anfänglichen Widerstand, aber mit dem festen Vorsatz, die Bevölkerung von dem langfristigen Zugewinn an politischer Handlungsfreiheit, Solidarität und globaler Sicherheitsvorsorge zu überzeugen, eine Politik durchgesetzt hat, die Jahr für Jahr zweistellige Milliardenbeträge gekostet hat -mit steigender Tendenz -und trotzdem zunehmend von großen Teilen der Bevölkerung mit getragen wurde: die Wiederbewaffnungs-und militärische Sicherheitspolitik seit den fünfziger Jahren.
Ist es undenkbar, daß eine global denkende deutsche Entwicklungshilfeministerin mit Unterstützung durch wissenschaftliche Expertise, durch selbstbewußte, engagierte Nichtregierungsorganisationen im Umwelt-und Entwicklungsbereich, die Umweltbewegung und eine wieder aktivierte, nicht kleine Anzahl sympathisierender und dies notfalls auch öffentlich dokumentierender Gruppen und Teile der Bevölkerung, denen Entwicklungspolitik am Herzen liegt, ein in diesem Text nur angedeutetes Projekt zur Bearbeitung des Entwicklungsdilemmas in Angriff nimmt? Sollte es nicht bekannt sein, daß sich nur langfristig Eigennutz, kurz-und mittelfristig aber vor allem die Belastung durch Kosten -zur Überwindung eines menschheitsbedrohenden Dilemmas -versprechen läßt, dabei das BMZ aber schnell zu einem der am meisten beachteten Ministerien würde und in seiner Politik durch zahlreiche andere europäische Staaten, die möglicherweise nur darauf warten, daß endlich ein großer europäischer Staat diese Vorreiterrolle übernimmt, unterstützt und somit die Europäische Union zum Vorreiter im Bereich Umwelt und Entwicklung würde