I. Gewalt und organisierte Kriminalität
Gewalt ist komplex. Dies gilt vor allem dann, wenn man mit Johan Galtung auch die sogenannte „strukturelle Gewalt“ darunter subsumiert Wird der Gewaltbegriff jedoch auf alle Erscheinungen ausgedehnt, die der menschlichen Selbstentfaltung im Wege stehen -also auf Abhängigkeit, Armut oder Entfremdung -, verliert der Begriff nicht nur seine wissenschaftliche Trennschärfe, sondern stiftet auch Verwirrung. Der Siegeszug dieses Gewalt-begriffs in der publizistischen und politischen Diskussion hat u. a. das zweifelhafte Verdienst, Akte physischer Gewalt als „Gegengewalt“ zu rechtfertigen, die sonst das Unwerturteil träfe, das illegale Gewaltanwendung normalerweise auslöst.
Aber auch dann, wenn man -etwa mit der Unabhängigen (Anti-) Gewaltkommission der Bundesregierung -den Gewaltbegriff herkömmlicherweise aus der Sicht des staatlichen Gewaltmonopols primär auf die physische Gewaltsamkeit beschränkt bleibt Gewalt ein facettenreiches Phänomen. Nicht nur an die Unterscheidung der Gewalt an Personen von der an Sachen ist zu denken, die in den Anfängen der Studentenbewegung eine Rolle spielte. Allein die Fülle an Straftatbeständen, die sich gegen Gewaltausübung richten, zeigt, wie vielfältig die Erscheinungsformen der Gewalt sind. Kaum noch bestritten ist, daß der seit langem zu beobachtende Wertewandel, der von einem mehr an Pflicht-und Akzeptanzwerten orientierten Wertsystem zu einem Selbst-und Weltverständnis führt, das die individuelle Selbstentfaltung in den Vordergrund stellt in Wechselwirkung mit Unzufriedenheit und wirklichen oder auch nur subjektiv für wahr gehaltenen Mißständen zu den förderlichen Bedingungen von Gewaltsamkeit gehört. Spontane Gewaltausbrüche insbesondere von Jugendlichen wechseln dabei mit der geplanten Gewaltanwendung durch organisierte Gruppen, wie sie namentlich für terroristische und extremistische Gruppierungen kennzeichnend ist.
Die Beschönigung, Verherrlichung und alltägliche „Normalität“ von Gewalt, wie sie vor allem durch das Fernsehen vermittelt wird, hat dazu beigetragen, daß in Deutschland ein viel zu gewaltfreundliches Klima herrscht. Da sich die Faszination, die offensichtlich für viele von der Gewalt ausgeht, mit einer schleichenden Gewöhnung an Gewaltsamkeit verbindet, sei daran erinnert, was der Aggressionsforscher Friedrich Hacker dazu bemerkt hat: „Gewalt ist verwerfenswert aus moralischen Gründen. Sie bedroht, schädigt und zerstört den Mitmenschen, der grundsätzlich dieselben Merkmale aufweist wie wir selbst und daher prinzipiell dieselben Rechte besitzt. Wir begeben uns des eigenen Anspruchs auf menschliche Solidarität, wenn wir ihn im Mitmenschen verletzen. Gewalt reduziert den Mitmenschen zum Objekt und Mittel, beleidigt und erniedrigt ihn und bewirkt über die verschiedenen Formen der Dehumanisierung schließlich eine irreversible Verdinglichung und Vernichtung.“ Ähnlich vielschichtig ist das, was man unter organisierter Kriminalität versteht. Als der Begriff auf-kam, siedelte man ihn im Bereich der Wirtschaftskriminalität an. Man dachte an die Mafia und an ähnlich weit verzweigte internationale Verbrecher-banden -die kriminellen Vereinigungen aus „ehrenwerten“ Leuten. Diese fanden in unserer Gesellschaft aufgrund der Entschlossenheit von Medien und Politikern, diese Gefahr nicht zur Kenntnis zu nehmen, einen geradezu idealen Nährboden. Immer wieder versuchte man sich -als ob es darauf ankäme -an möglichst exakten, wissenschaftlichen Definitionen; ja, man zog sich sogar den Ruf zu, das Problem der organisierten Kriminalität als Vorwand oder „Sesam-öffne-dich" für verbesserte Maßnahmen der Gefahrenabwehr und Verbrechensaufklärung zu benutzen Solche Verdächtigungen, die in Politik und öffentlicher Meinung den Widerstand gegen für nötig erachtete Methoden der Kriminalitätsbekämpfung (verdeckte Ermittler, Kronzeugen, „Großer Lauschangriff“, geheimdienstliche Mittel) schürten, verhinderten, daß die organisierte Kriminalität schon in ihren Anfängen, als dies noch durchaus möglich war, wirksam bekämpft werden konnte. Es wäre eine eigene Untersuchung wert, den eingetretenen wie den zu erwartenden Schaden zu beziffern, der durch diese fahrlässige „Laissez-faire“ -Haltung entstanden ist und weiter entstehen wird.
Charakteristisch für die organisierte Kriminalität sind nach wie vor die internationalen Bezüge, die eine Vielzahl von Staaten tangieren. Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Hans-Ludwig Zachert, der sich als unermüdlicher und kenntnisreicher Warner vor der organisierten Kriminalität große Verdienste erworben hat, nennt 76 Staaten Dabei ist der Anteil Nichtdeutscher an der organisierten Kriminalität deutlich höher als bei der in den Polizeistatistiken erfaßten Gesamtkriminalität; und in zahlreichen Verfahren wirken Tatverdächtige unterschiedlicher Nationalität zusammen.
Das Lagebild des Bundeskriminalamts zur italienischen organisierten Kriminalität in Deutschland, die überwiegend der Mafia zuzuordnen ist, verzeichnet als Schwerpunkte die Schutzgelderpressung und die Rauschgiftkriminalität. Immer stärker wird jedoch das Potential, das aus Osteuropa nach Deutschland hineinwirkt. Vornehmlich handelt es sich dabei um den Diebstahl und die Verschiebung von Kraftfahrzeugen, um Diebstahl von Antiquitäten und Kunstwerken, Rauschgift-und Falschgeldkriminalität, Schmuggel von Alkohol und Tabak, aber auch um Waffen-und Menschenhandel, wobei Frauen in Rußland, Polen, Tschechien, Ungarn und Bulgarien sowie in der Slowakei mit lockenden Versprechungen angeworben und in Deutschland der Prostitution zugeführt werden. Schließlich spielen das Einschleusen von „Asylbewerbern“ und das illegale Vermieten von Arbeitnehmern eine gewichtige Rolle, ferner die Steigerung illegal erzielter Gewinne durch soge-nannte Geldwäsche -all dies ist mehr oder weniger straff organisiert, etwa in Gestalt von durch Informationsnetze miteinander verbundenen Gruppen.
Solange die organisierte Kriminalität vornehmlich auf Gebieten wucherte, die dem Durchschnittsbürger verschlossen oder kaum erkennbar sind, fehlte es in der Bevölkerung an Sensibilität für die Bedrohung, die aus der organisierten Kriminalität erwächst. Das hat sich indessen geändert, seitdem organisierte Straftäter in weite Bereiche der Massenkriminalität eingedrungen sind (selbst in die sogenannte Bagatellkriminalität) und sich der Unterschied zwischen organisierter und Allgemeinkriminalität verwischt. Nichts berührt Menschen stärker als die Verbrechen, die sie selbst oder in ihrem sozialen Umfeld erleben. Dazu gehört nicht zuletzt das Treiben von Banden, die sich auf Kfz-oder Einbruchdiebstähle spezialisiert haben.
Bedauerlicherweise ist die Wahrscheinlichkeit, daß solcherart Kriminalität -von Mord und vorsätzlicher Tötung außerhalb des politisch motivierten Terrorismus abgesehen -aufgeklärt wird und die Täter strafrechtlich verfolgt und verurteilt werden, nur gering. Bei rund der Hälfte aller Straftaten werden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen. Auch dann, wenn Täter ermittelt sind, kann davon, daß die Strafe der Tat auf dem Fuße folgt, nicht die Rede sein. Zwar ist allgemein anerkannt, daß es auf eine schnelle Verurteilung ankommt, wenn die Kriminalitätsbekämpfung effektiv sein soll. Aber die Verfahren ziehen sich oft in die Länge, wobei die Gründlichkeit der Gerichte und die Taktik der Verteidiger miteinander konkurrieren. Bekannt ist auch, daß heute wieder -wie gegen Ende der Weimarer Republik -ein Strafen-Schwund festzustellen ist. Um Straffälligen die Haft in den Vollzugsanstalten möglichst zu ersparen, ist der Anwendungsbereich der Strafaussetzung zur Bewährung immer mehr erweitert worden. Obwohl der Gesetzgeber Sicherungen gegen die allzu weite Ausdehnung der Bewährungsstrafe eingebaut hat, ist es heute üblich, so gut wie in jedem Fall bei einem Strafmaß, das zwei Jahre Haft nicht übersteigt, die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Ebenso kann ein Straftäter, der im Strafvollzug nicht unangenehm aufgefallen ist, nach der Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe in Freiheit gesetzt werden.
II. Sicherheit als Menschenrecht
Hohe Kriminalitätsrate plus unzulängliche Strafverfolgung haben sich im Bewußtsein weiter Bevölkerungsteile zu dem Bild verfestigt, daß das Verbrechen überhandnimmt und der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger davor zu schützen. Es ist keineswegs so, daß die Deutschen -wie früher in ihrer Geschichte -die Freiheit, die sie genießen, geringschätzen. Das Gegenteil ist der Fall. Aber sie fühlen sich durch die steigende Kriminalität bedroht und vermissen die schützende Gewalt des Staates, die sie die Freiheiten, die sie haben, in Sicherheit genießen läßt.
Das ergibt auch die neueste Allensbacher Umfrage Danach sind nur 47 Prozent der Befragten der Meinung, daß man in Deutschland alles in allem in Sicherheit leben kann. 41 Prozent fühlen sich durch unser Recht nicht beschützt; in den ostdeutschen Ländern sind dies sogar 72 Prozent. Mit dem Schutz durch die Polizei nicht zufrieden sind in ganz Deutschland 50 Prozent, im Osten 76 Prozent. 36 Prozent der Befragten im Westen und 52 Prozent im Osten meinen, daß in unserem Staat ein Verbrecher besser geschützt wird als die normalen Bürger. Auch für den, der Umfragen nicht überschätzt, sind das alarmierende Zahlen. Ein Gemeinwesen ist nicht in Ordnung, wenn ein so hoher Prozentsatz der Bürgerinnen und Bürger sich von Verbrechen bedroht fühlt und zugleich der Auffassung ist, der Staat unternehme zu wenig, um dieses Sicherheitsinteresse auch gegen Widerstand durchzusetzen. Es ist eine primäre Aufgabe des Staates, seinen Bürgern und Bürgerinnen Schutz vor Verbrechen zu gewährleisten. Haben die dafür Verantwortlichen vergessen, daß Freiheit ein zerbrechliches Gut ist, das der Sicherheit und des Vertrauens bedarf, um nicht gefährdet zu sein?
Die Worte Freiheit und Sicherheit können nicht gegeneinander ausgespielt werden; beide sind grundlegende Menschenrechte. Die berühmten Erklärungen, von denen die neuere Menschen-rechtstradition ihren Ausgang nahm, statuierten nicht nur die Freiheit, sondern auch die Sicherheit als Menschenrecht so die Virginia Bill of Rights vom 12. Juli 1776, die Französische Erklärung der Rechte der Menschen und der Bürger von 1789 und die Französische Verfassung vom 24. Juni 1793. Daß diese Menschenrechtstradition bei der inneren Sicherheit, bei der es primär um den Schutz vor dem Verbrechen geht, heute weitgehend vergessen ist, hat mit der Dominanz der Abwehrrechte gegen den Staat in den vom Liberalismus geprägten neueren Verfassungen zu tun. Diese ändert aber nichts daran, daß es sich bei der Sicherheit um ein Menschenrecht handelt. Der Bürger wird nicht bloß von Machtansprüchen des Staates bedroht, sondern gerade heute auch und in noch viel größerem Maße von der Kriminalität.
Die Kriminologie unterscheidet zwischen Sicherheitslage und Sicherheitsgefühl. Betrifft die Sicherheitslage den objektiven Zustand der Gefährdung, so ist unter Sicherheitsgefühl die subjektive, innere Einschätzung der Sicherungslage zu verstehen, das Ausmaß der von der Bevölkerung empfundenen Betroffenheit durch die Gefährdung Sicherheit ist also die subjektive Befindlichkeit des Menschen, wobei sich Gefühl, Bewußtsein und Verhaltens-disposition miteinander verbinden. Maßgebend ist dabei nicht etwa die unmittelbar selbst erlebte persönliche Gefährdung. Bestimmungsgründe sind auch die Kommunikation und der Erfahrungsaustausch im sozialen Nahraum, das kollektive Alltagswissen sowie die veröffentlichte und die öffentliche Meinung.
Es ist richtig, daß die Furcht vor Kriminalität größer ist als der objektive Befund, das Sicherheitsgefühl also negativer als die tatsächliche Sicherheitslage. Das läßt sich statistisch belegen. Zwar nimmt die Eigentumskriminalität zu und das Berufsverbrechertum breitet sich aus. Bei Kapitalverbrechen ist jedoch kein nennenswerter Anstieg zu beobachten. Verteilt auf 80 Millionen Bundesbürger liegt -wie man ausgerechnet hat -das Risiko, Opfer einer Gewalttat zu werden, bei 0, 1875 Prozent. Mehr Menschen kommen im Straßenverkehr um als durch Gewaltverbrechen.
Aber berechtigt dies dazu, den Deutschen vorzuhalten, daß sie ein „Volk von Angsthasen“ seien, die Lust auf Angst hätten und sich „an der Furcht vor Verbrechen berauschen“ Kriminalitätsfurcht orientiert sich nicht an Zahlen. Die Angst sitzt mittlerweile tief -so tief, daß sie nicht durch Statistiken weggeredet werden kann, erst recht nicht durch die hier wiedergegebenen Zynismen oder dadurch, daß man den Menschen, die fürchten, Opfer einer Straftat zu werden, Hysterie vorwirft.
Verfehlt ist es auch, die Verbrechensfurcht einseitig den Medien anzulasten. Der Boulevardpresse, die mit Crime und Sex ihre Schlagzeilen macht, steht eine Vielzahl von Zeitungen gegenüber, die durchaus sachlich über Kriminalität berichten, aber auch Publikationen -siehe oben -, die vor allem die durch Ausländer verursachte Kriminalität tabuisieren. Gunther Arzt, dem wichtige Studien über die Kriminalitätsfurcht zu verdanken sind meint, abgesehen von Zuständen akuter Erregung solle man der Bevölkerung eine zutreffende Einschätzung zutrauen. Kriminalitätsfurcht ist nicht nur die Angst um Leib und Leben. Namentlich massenhafte Kleinkriminalität, demonstrative und ohne Ahndung bleibende Rechtsbrüche, die den Staat in seiner Hilflosigkeit „vorführen“, aber auch Ordnungsstörungen, die alle Spielarten des Vandalismus wie Schmierereien, aggressives Betteln und Verwahrlosung umfassen, wirken sich aus. Bedenkt man des weiteren, daß einerseits die Taten immer brutaler, die Täter aber immer jünger werden, andererseits die Polizei Überfälle und Eigentumsdelikte nur noch registriert, aber kaum noch aufzuklären vermag, dann braucht man sich über das desolate Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung nicht zu wundern.
Zu Recht weist Arzt auf die für das Sicherheitsgefühl höchst nachteiligen Folgen hin, wenn die Erwartung, der Staat werde das Recht durchsetzen, dauerhaft enttäuscht wird Das gilt nicht nur für die als „ziviler Ungehorsam“ ausgegebenen, selektiven Rechtsbrüche, die Arzt im Auge hatte, sondern vor allem für die Alltagskriminalität. Während z. B. Parkverstöße unerbittlich geahndet werden, herrscht weithin Gleichgültigkeit gegenüber anderen Bereichen der sogenannten Bagatellkriminalität. Der kürzliche Vorschlag des Deutschen Anwaltvereins, die ersten vier Ladendiebstähle straflos und erst beim fünften Bestrafung eintreten zu lassen, erschien weiten Kreisen geradezu als Manifestation solcher Teilnahmslosigkeit, wie denn auch die Beobachtung, daß die um sich greifende Korruption eher auf die leichte Schulter genommen statt als Herausforderung für Justiz und Verwaltung begriffen wird, das Sicherheitsgefühl negativ beeinflußt. „Der Ehrliche ist der Dumme“ heißt das Buch eines Fernsehredakteurs, das seit Monaten obenan auf der Bestsellerliste steht Weit entfernt, den Titel des Buches als Provokation zu empfinden, wird er als zutreffende Sachverhaltsbeschreibung angesehen. Dem Niedergang der Moral in einer Gesellschaft, in der die Pflichtwerte einer unbekümmerten egoistischen Selbstentfaltung gewichen sind, entspricht die erstaunliche „Toleranz“ staatlicher Stellen, die gegenüber Straftaten geübt wird. Zum Glück, so stellte ein Staatsanwalt fest, weiß die breite Öffentlichkeit nicht, in welchem Umfang Strafverfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt werden. „Die Kriminellen“, so faßt der Schriftsteller Günter Kunert seine Beobachtungen über die mindere Moral als Nährboden für Kriminalität zusammen, „sind absolutiert, weil wir ihnen kein Ethos entgegenzusetzen haben.“ Und wer dies dennoch versucht, wird nicht selten öffentlich diffamiert.
III. Ausländer-Kriminalität
Soll diese negative Entwicklung nicht noch weitergehen, so muß die Verbrechensfurcht der Bevölkerung ernster genommen werden als bisher. Zu Recht mahnt der Bochumer Kriminologe Hans-Dieter Schwind: „Der Staat hat nicht nur für die Eindämmung der Kriminalitätsphänomene zu sorgen, sondern auch für die Eindämmung der Bedrohtheitsgefühle, die die Lebensqualität seiner Bürger beeinträchtigen können.“ Von der Gewalt ist gesagt worden, sie sei ansteckend wie Cho-lera. Nichts anderes gilt für die Kriminalitätsfurcht und das Gefühl mangelnder Sicherheit. Beides kann problematische Folgen für eine freiheitliche Demokratie haben.
Voraussetzung für den Erfolg von Strategien, die sowohl die Kriminalität als auch die Bedrohtheitsgefühle eindämmen, ist die Anerkennung der Realität auch und gerade dort, wo die Sicht durch ideologische Brillen getrübt wird. Zu dem Bild, das die nahezu acht Millionen Ausländer, die in Deutschland leben, so darstellt, wie man sie zu sehen wünscht, paßt der hohe Anteil von Kriminalität nicht, der jedoch vor allem auf das Konto von Asylbewerbern sowie der illegal oder als „Touristen“ einreisenden Ausländer geht. Deshalb soll davon nicht gesprochen, ja ihr Anteil nicht gesondert in den Kriminalstatistiken ausgewiesen werden. Seit den rassistischen Ausschreitungen gegen Ausländer -insbesondere gegen Asylbewerber -fürchtet man, daß Angaben darüber der virulent gewordenen Feindseligkeit gegen Ausländer weiteren Auftrieb geben könnten.
Nichts ist indessen falscher als Tabuisierungen. Natürlich haben bestimmte Ausländergruppen Grund, sich bedroht zu fühlen, wenn man an die zahlreichen Brandstiftungen und Attentate denkt. Aber nicht zu übersehen ist, daß sich auch Deutsche von bestimmten Gruppen von Ausländern bedroht fühlen. Außer Frage steht, daß die Statistik ein verzerrtes Bild der Ausländer-Kriminalität gibt -vor allem, weil darin Straftaten -wie Verstöße gegen das Ausländer-und das Asylverfahrensgesetz -einfließen, die von Deutschen nicht begangen werden können. Aber der „statistische Nachteil“ betrifft nicht den Kern der Problematik. Es läßt sich z. B. nicht leugnen, daß die hohe Beteiligung von Ausländern die organisierte Kriminalität kennzeichnet Auch Heime von Asylbewerbern stehen unter dem Verdacht, als zentrale Anlaufstellen mißbraucht zu werden, etwa für den Rauschgifthandel, für Euroscheck-Diebstähle, Trickdiebstähle und Betrügereien -ganz zu schweigen vom verbreiteten Mißbrauch des Asylrechts selbst.
Zur derzeitigen Situation der Ausländer-Kriminalität äußerte sich kürzlich der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Prof. Kurt Scheiter: „In den letzten Jahren hatte sich die Ausländer-Kriminalität insgesamt sprunghaft erhöht. Eine wesentliche Ursache hierfür war der Anstieg der Asylbewerber-Kriminalität. Von der Mitte der 80er Jahre bis 1993 verzeichneten wir eine kontinuierliche und Anfang der 90er Jahre sprunghafte Zunahme tatverdächtiger Asylbewerber. Dies betraf sowohl die absoluten Zahlen als auch den Anteil der Asylbeweber an den nichtdeutschen Tat-verdächtigen insgesamt. Gerade die Gruppen der , Asylbewerber 4 und derjenigen Ausländer, die nur kurz in unserem Land verweilen, sind stark kriminalitätsbelastet, stellen doch Asylbewerber auch 1994 wieder 26, 3 Prozent der nichtdeutschen Tat-verdächtigen. 1984 waren es nur 7, 7 Prozent. Daher muß immer wieder -um nicht falschen Schlüssen den Weg zu ebnen -festgestellt werden: Die Kriminalitätsbelastung der bereits langfristig in der Bundesrepublik Deutschland lebenden ausländischen Mitbürger unterscheidet sich kaum von der der deutschen Bevölkerung. Es ist vielmehr das Verhalten der kurzfristig sich in Deutschland aufhaltenden Gruppen von Ausländern, die überproportional insgesamt und bei bestimmten Straftaten in Erscheinung treten, dadurch die Innere Sicherheit gefährden und das ansonsten problemlose Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern gefährden können. Besonders hohe Quoten an ausländischen Tatverdächtigen stellen wir bei Delikten wie Waffen-, Menschen-und Falschgeld-handel sowie Diebstahl, Unterschlagung, Raub, Erpressung und im Bereich der Drogenkriminalität fest. Besonders erfreulich ist es daher, wenn wir sagen können, daß die 1994 zu verzeichnende Abnahme der nichtdeutschen Tatverdächtigen in erster Linie eine Folge des rapiden Rückgangs tat-verdächtiger Asylbewerber ist ... Die rückläufige Zahl nichtdeutscher Tatverdächtiger ist vor allem eine Folge des geänderten Asylrechts.“
Die von Staatssekretär Scheiter angesprochene hohe Kriminalitätsrate bei Asylbewerbern ist wohl dann nicht verwunderlich, wenn man sich der Tatsache bewußt ist, daß es sich hier bereits im . Vorfeld'um einen weitverbreiteten, in betrügerischer Absicht -auch in Formen der organisierten Kriminalität -begangenen Mißbrauch des Asylrechts handelt. Allein die Kosten dieses betrügerischen Mißbrauchs dürften mittlerweile einen höheren zweistelligen Milliardenbetrag ausmachen. Nach wie vor verwunderlich ist jedoch, wie wenig Politik und veröffentlichte Meinung auf diesen skandalösen, die innen-wie außenpolitischen Interessen Deutschlands in hohem Maße beeinträchtigenden Sachverhalt reagieren. Dabei hätten gerade diejenigen allen Grund, vernehmbar gegen diesen eklatanten Mißbrauch eines elementaren Menschenrechts zu protestieren, die stets auf 1933 verweisen.
Die im Bundeskriminalamt erarbeiteten Lagebilder über die organisierte Kriminalität enthalten konkrete Angaben, und die Experten stimmen darin überein, daß insbesondere die Öffnung der Grenzen nach Osten für einen ständigen Zustrom von Ausländern sorgt, die in Deutschland Straftaten begehen. Bei der Öffnung der Grenzen innerhalb der Europäischen Union aufgrund des Schengener Abkommens wird sich noch zeigen müssen, inwieweit damit weitere Kriminalität „importiert“ wird.
Ausländer-Kriminalität gibt es in beträchtlichem Umfang auch außerhalb der organisierten Kriminalität, wofür Jochen Kummer detailliertes Material zusammengetragen hat Diese Untersuchung ist weit davon entfernt, Ausländer pauschal als kriminell zu denunzieren. Die gesetzestreuen, arbeitsamen Ausländer, die die große Mehrheit bilden, verurteilen selbst -wie kürzlich der Ausländerbeirat von Frankfurt am Main -das kriminelle Verhalten von Nichtdeutschen, weil sie befürchten, daß es auf sie zurückschlägt. Aber auch wenn man differenziert, stößt man auf bedrükkende Fakten, etwa auf die hohe kriminelle Energie von Ausländern, mit der Straftaten begangen werden.
Beispielhaft dafür, wie z. B. die immer mehr zunehmenden Banden aus Osteuropa vorgehen, ist der Bericht aus der Berliner Ausgabe der Tageszeitung „Die Welt“, in dem es u. a. heißt: „Sobald die Dämmerung einsetzt, schlagen gutorganisierte Banden im Süden Berlins zu. Ihr Ziel sind Einfamilienhäuser und Wohnungen in abgelegenen Seitenstraßen, die Späher vorher ausgekundschaftet haben. Sie hebeln lautlos die Fenster oder Terrassentüren auf oder steigen über Balkone im ersten Stock ein. Bei den Tätern handelt es sich nach Angaben der Polizei um Südosteuropäer, vorwiegend aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Rumänien, und Täter aus Polen. So werden seit Ende vergangenen Jahres jeden Monat rund 300
Wohnungseinbrüche registriert. Zuvor waren es 150 Einbrüche weniger, die die Polizei pro Monat bearbeiten mußte.“ Die Aufklärungsquote liege bei höchstens zehn Prozent.
Wie Schwind berichtet, sind derzeit -mit zunehmender Tendenz -20 bis 30 Prozent der im Strafvollzug einsitzenden Straftäter Nichtdeutsche, im Jugendstrafvollzug noch weit mehr Beunruhigend ist auch die importierte, politisch motivierte Kriminalität, die daraus hervorgeht, daß politische Auseinandersetzungen aus dem Ausland nach Deutschland verlagert werden -häufig unter dem Deckmantel des Asylanspruchs -und sich in Brandanschlägen, Mordtaten und anderen Gewaltdelikten entladen, wie etwa im Fall der PKK („Arbeiterpartei Kurdistans“).
Das Zauberwort, mit dem man der Ausländer-Kriminalität präventiv Herr zu werden hofft, heißt Integration. Vielfach haben sich die Erwartungen erfüllt, in großem Umfang aber auch nicht. Das gilt auch für die Kinder der Ausländer, also für die sogenannte zweite und dritte Ausländergeneration. Schwind zieht daraus -übereinstimmend mit den Warnungen von Politikern wie Wehner und Helmut Schmidt schon aus den frühen achtziger Jahren -den Schluß, daß man nur so viele Zuwanderer aufnehmen darf, wie integriert werden können, wobei der kulturelle Hintergrund der Zuwanderer bedeutsam ist Bisher hat man die Folgen der Zuwanderung für die Kriminalität ebenso unterschätzt wie die sozialen Folgen. Erst allmählich wächst die eigentlich selbstverständliche Erkenntnis, daß die Bevölkerung des Aufnahmelandes sich bedroht fühlt, wenn dem Zustrom von Ausländern kaum wirksame Grenzen gesetzt sind. Dies zumal dann, wenn für sie weder Wohnungen noch Arbeitsplätze zur Verfügung stehen -der Ausweg in die Kriminalität also vorgegeben ist. Die multikulturelle (realistischer: multiethnische) Gesellschaft funktioniert nirgends richtig, auch nicht in dem klassischen Einwanderungsland USA, wo der Begriff des „Schmelztiegels“ längst durch den Verzicht auf Integration zugunsten konfliktträchtigen Nebeneinanders von Ethnien und Kulturen abgelöst ist, die in vielfältigen Auseinandersetzungen ihre Sonderheit zu bewahren suchen. Damit zeichnet sich die Gefahr ab, daß die Separierung zur Bildung von Ghettos führt, in denen die Kriminalität überproportional zu Hause ist.
IV. Abbau von Kriminalität und Kriminalitätsfurcht
Die Ausländer-Kriminalität ist nur ein Ausschnitt aus dem Gesamtbereich der Kriminalität, wenngleich ein gesellschaftlich wie kriminalpolitisch und nicht zuletzt von seinen Tatbeständen her besonders brisanter. Macht man sich das klar, dann dürfte es nicht mehr weit bis zu der Erkenntnis sein, daß der wuchernden Kriminalität und dem starken Bedrohtheitsgefühl in der Gesellschaft mit punktuellen Eingriffen nicht beizukommen ist. Not tut eine kriminalpolitische Gesamtstrategie, die fälschlich aufgebaute Polarisierungen bzw. Tabuisierungen überwindet. So ergibt es wenig Sinn, Repression und Prävention in einen Gegensatz zu bringen. Beide müssen Zusammenwirken, wenn die objektive Sicherheitslage verbessert und das subjektive Bedrohtheitsgefühl vermindert werden soll.
Berechtigt ist zunächst einmal die Forderung, daß der Staat, populär gesprochen, dem Verbrechen die Zähne zeigen, also entschiedener mit den Mitteln des Strafrechts gegen Straftäter vorgehen und das Mißerfolgsrisiko erhöhen muß. Das bedeutet keine Abkehr von der Strafrechtsreform der siebziger Jahre, sondern eher eine Rückbesinnung auf deren Zweck Die einseitige Betonung der liberalen Komponente der Reform hat dazu geführt, daß deren gesellschaftspolitische Komponente -der Schutz der Gesellschaft gegenüber dem Verbrechen -ebenso zurücktrat wie die Aufgabe, einer pluralistischen Gesellschaft mit unterschiedlichen Wertvorstellungen die Normen des gesellschaftlichen Miteinanders zu verdeutlichen. Das zu ändern tut not -nicht im Sinne einer rigiden Kriminalpolitik, für die der Begriff „Law and Order“ steht, sondern im Blick darauf, daß gerade eine liberale, humane Rechtsordnung auf ihre konsequente Durchsetzung angewiesen ist, wenn sie nicht zum Gespött werden und das ohnehin ge-schwächte Rechtsbewußtsein nicht weiter der Erosion ausgesetzt werden soll
Nehmen wir z. B. die Jugendkriminalität: Allzuoft ist festzustellen, daß Elternhaus und Schule es nicht vermocht haben, jungen Gewalttätern klar-zumachen, daß es Grenzen gibt, die auch in einer liberalen Gesellschaft nicht überschritten werden dürfen. So glauben die jungen Menschen, um die es sich hier handelt, sich alles erlauben zu dürfen. Die Menschenwürde anderer existiert für sie nicht, erst recht nicht die von Ausländern. In dieser Situation müssen sich die Jugendgerichte nolens volens der Aufgabe stellen, den straffällig gewordenen jungen Menschen die Erfahrungen der Grenze zu vermitteln und zu vereiteln, daß diese das Gefaßtwerden lediglich als Betriebsunfall werten, der sie nur lehrt, sich nicht wieder erwischen zu lassen.
Das bedeutet, daß auf den Appell, der in der Strafe liegt, nicht verzichtet werden kann. Die Sanktion muß so gestaltet werden, daß sie das begangene Unrecht verdeutlicht, vornehmlich aber die Werte und Normen, die das Strafrecht schützt. „Ausgrenzen“ darf man jedoch auf keinen Fall. So schlimm junge Menschen auch gefehlt haben, so wenig dürfen sie aufgegeben werden. Repression darf deshalb nicht die einzige Antwort des Staates bleiben. Aber man muß dort, wo Unrechtsbewußtsein und Reue über das Getane fehlen, auf fühlbare Weise deutlich machen, daß die Gesellschaft ein Recht hat, ihre Werte zu verteidigen, wenn diese nicht respektiert werden
Ebenso wichtig -ja, langfristig betrachtet, sogar noch wichtiger -ist die Prävention, weil sich diese an den primären Ursachen von Kriminalität orientieren kann. Das ist heute allgemein anerkannt, ebenso, daß nicht nur eine effektive Strafverfolgung, sondern auch deutliche und nachhaltige Bemühungen um Kriminalitätsverhütung den Bürgern das Gefühl, der Kriminalität ausgeliefert zu sein, nehmen können. Vor allem Pionierleistungen auch ehrenamtlich tätiger Gruppen außerhalb der Staatsbürokratie haben den Weg zur Erkenntnis freigemacht, daß die Kriminalitätsbekämpfung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen ist, die jeden Bürger angeht In den darauf beruhenden Programmen, die in allen Bundesländern un-ter Verwertung auch ausländischer Erfahrungen angelaufen sind, wird die Bedeutung struktureller Mängellagen wie Arbeits-und Perspektivlosigkeit hervorgehoben, aber besonders auch die von Elternhaus und Schule, deren erzieherischer Einfluß auf junge Menschen zu unterstützen ist Die positive Beeinflussung des Freizeitverhaltens wird ebenso verlangt wie die Abkehr von Fernsehsendungen, die die Gewöhnung an Gewalt fördern, indem sie Gewalttätigkeit als Konfliktlösungsmethode darstellen.
Adressat der Programme ist in besonderem Maße die ehrenamtliche Jugend-und Sozialarbeit. Der Beitrag, den die Polizei zur Kriminalitätsverhütung leisten kann, besteht nicht nur in der wünschenswerten Erhöhung ihrer Präsenz, sondern auch in der professionellen Information und Beratung in Sicherheitsfragen. Für alternative Sanktionsformen in der Justiz, die der Prävention dienen, liefern die Begriffe „Diversion“ (Absehen von Strafe im Jugendstrafrecht auf Grund anderweitigen erzieherischen Zugriffs) und „TäterOpfer-Ausgleich“ die Stichworte. Kriminalitätsabwehrende Bauplanung und Architektur sowie reformorientierte Drogenpolitik, die Drogen-abhängige in engem Kontakt zu Hilfseinrichtungen bringt, runden die Präventionsprogramme ab, die auch die ausländischen Mitbürger und Zuwanderer einbeziehen müssen.
Die besten Chancen hat die Kriminalprävention im lokalen Umfeld Zur Bündelung und Abstimmung der Maßnahmen kommunaler Kriminalprävention sind vielfach „Runde Tische“ eingerichtet, die teilweise nach skandinavischem Vorbild als „Räte zur Kriminalitätsverhütung“ institutionalisiert sind. Es ist der Vorzug der lokalen Kriminalprävention, daß sie auch die kleinen Probleme des Alltags einbezieht, um Ängste abzubauen: von der Straßenbeleuchtung und den Schulwegen der Kinder bis zur Aktivierung von Nachbarschaftshilfe und der nachbarlichen Information.
Als Mittel, das Gefühl der Unsicherheit zu steuern, macht sich manchenorts auch der Selbstschutz der Bürger bemerkbar, etwa durch Patrouillengänge in gefährdeten Gebieten oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. Private Sicherheitsdienste, Bürgerwehren und Sicherheitswachen sollen darüber hinaus die unter fehlendem Personal leidende Polizei insoweit unterstützen, als es sich nicht um Ausübung hoheitlicher Befugnisse handelt; sie stoßen aber auch häufig auf Kritik wegen der ihnen fehlenden rechtlichen und fachlichen Ausbildung.
Vielfach sind im kommunalen Bereich Arbeitsgruppen, Gesprächskreise oder Bürgerforen eingerichtet, in denen interessierte Bürger über Kriminalitätsverhütung nachdenken und sich Schritte zur größeren Sicherheit der Bürger überlegen. Die brandenburgische Regierung z. B. läßt auf Bürger-Versammlungen aus den Reihen der interessierten Bürger „Sicherheitspartner“ bestellen, die zur Ergänzung der Polizeiarbeit dort eingesetzt werden, wo in besonderem Maße das Bedürfnis nach Schutz besteht
Man kann dieses Programm sozialer Verteidigung durch engagierte Teilnahme der gesamten Gesellschaft als Kriminalitätsverhütung unter der Leitidee bürgerschaftlicher Verantwortung und Verpflichtung bezeichnen. Seine fortschreitende Verwirklichung hat alle Aussicht, nicht nur der Kriminalität wirksam zu Leibe zu rücken, sondern auch die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß sich mehr und mehr ein Gefühl von Sicherheit, vielleicht sogar von Geborgenheit entwikkelt, wo derzeit Angst vor dem Verbrechen anzutreffen ist.