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„Political Correctness“ oder die Reinigung der Sprache | APuZ 21-22/1995 | bpb.de

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APuZ 21-22/1995 Schlagwort oder Kampfbegriff? Zur „Political Correctness“ -Debatte in den USA Political Correctness, Identität und Werterelativismus „Political Correctness“ oder die Reinigung der Sprache Jahresbände Aus Politik und Zeitgeschichte 25-dm Jahrgang DdS Parlament, 1953-1992 1994 - mit inhaltsverzeichnis, sach-und personenregister zuzügl. versandspesen noch begrenzt vorrätig (preis w. o.) jahrgang: 1993

„Political Correctness“ oder die Reinigung der Sprache

Sven Papcke

/ 30 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Kontrolle des Sprachgebrauchs zählt zu den Bereichen jener „Sinnstäbe“, die laut Max Weber seit eh und je die politische Ordnung der Gesellschaftsformen grundiert haben. Mit der funktionellen Differenzierung der Sozialwelt in der Moderne entsteht die öffentliche Meinung freilich als Streit um die Geltung von Weltbildern. Sie wiederum korrespondieren mit Interessen, Lagern und Schichten, die im Wettbewerb stehen und deren Redeweise zugleich auch ihre unterschiedlichen Belange. Bedürfnisse, Visionen etc. zu Wort kommen lassen will. Diese Interpretationskonkurrenz war in den langen Prosperitätsjahren hierzulande in den Hintergrund der Aufmerksamkeit getreten, weil sich die Meinungsträger im Grundsätzlichen auf eine Art von consensus omnium verpflichtet zu haben schienen. Mit Wirtschaftskrise, Modernitätsblockaden, Wiedervereinigung, überhaupt den neuen Unordnungs-und Gewalterfahrungen der Zeitläufte sieht sich die Sozial-und Lebenswelt erneut als Streitfall entdeckt. Dabei spielt nicht zuletzt die aus den USA importierte political correctness eine wichtige Rolle. Mit dieser Formel erst erschließen sich, so scheint es, der Zeit-genossenschaft auch wieder die Herrschafts-und Oppositionsfunktionen sprachlicher Verkehrsformen.

„Political Correctness“ versus Geistesfreiheit

Ein Gespenst geht um in der postmodernen Meinungsvielfalt. Die Rede ist von einem Verhaltenskodex, der Gleichheit, Mitsprache oder Menschenwürde als die formalen Grundlagen der zivilen Gesellschaft zu einer Charakterangelegenheit erheben möchte. Die Losung von der „Political Correctness“ (PC), d. h.dem „politisch korrekten“ Umgang miteinander, verlangt, den Wunsch nach Respektierung der Person über juristische Ansprüche hinaus in eine, noch dazu gesellschaftlich anerkannte, Bringschuld zu verwandeln, die -interindividuell ebenso wie gruppenbezogen -selbstverständlich zu erwarten sei und damit auch allenthalben abrufbar.

Gegenseitige Anerkennung als knapp bemessenes Bindemittel aller Sozialbeziehungen soll wenigstens auf semantischer, möglichst aber auch auf der Ebene der Werthaltungen und Gefühle ausgleichen, was den Individuen oder Gruppen durch strukturelle und andere latente Benachteiligungen bei der Zuteilung von Gütern, Lebenschancen, Aufmerksamkeit etc. entgeht.

Dieses Ansinnen rief eine Bewegung ins Leben, die als PC-Mode mittlerweile auch hierzulande die Gemüter beschäftigt. Sie stammt aus den USA und betrifft dort spezifische Konfliktlagen, die woanders vergleichbar nicht gegeben sind. Insofern haben wir es im PC-Zusammenhang heute mit sehr verschiedenen Debatten zu tun.

In den USA geht es um den wenigstens rhetorischen Abbau von Diskriminierungen aller Art. Dieser ursprünglich auf die Einübung von Toleranz zielende Ansatz bewirkt in Form der PC offenbar allerdings das genaue Gegenteil, indem das Land zunehmend einer Fragmentierung unterliegt. Denn eine Gesellschaft, die aus lauter hoch empfindsamen und daher zerstrittenen „communities“ besteht, beginnt sich zu retribalisieren. Dem entspricht im intellektuellen Mitein-ander nicht nur der Verlust gemeinsamer Werte. Die Akzeptanz einer allseits gepflegten „great tradition“ (F. R. Leavis) etwa in Literatur und Kunst geht verloren, wenn jede Gruppe ihren eigenen Ethno-, Libido-, Mytho-oder anderen Zentrismus pflegt und schlicht für Kultur hält.

Auch die Kontaktmöglichkeiten der unterschiedlichen Positionen und Aspekte sowohl im Alltag als auch coram publico leiden. Für Jeffrey Herf ist etwa die akademische Freiheit bedroht, wenn sich die Überwachung der Rede, die vor allem Parteilichkeit verlangt, zur Gedankenkontrolle aus-wächst. Wo jedes Wort zur Rechenschaft gezogen wird, geraten unfrisierte Gedanken zum Risiko. Wenn die Macht der sozialen Grammatik wächst, klappert die Schere der Zensur bereits frühzeitig im Kopf. Norman Stone hat daher von einem „modern equivalent of the Inquisition“ gesprochen, die all jene ereilt, die mit der PC in Berührung kommen.

In der Bundesrepublik haben wir es vor allem mit Auseinandersetzungen um die Geltung von historischen und politischen Sichtweisen im öffentlichen Raum zu tun Anders als in Amerika fehlt hier noch weitgehend das soziale beziehungsweise ethnische Reizklima -weswegen PC eher als Mode-vokabel für etwas zu bezeichnen ist, das bislang unter Meinungsstreit rubriziert wurde. Die ideologischen Auseinandersetzungen sind deswegen nicht weniger heftig oder unfair. Und auch sie pfleg(t) en die Betroffenen nach gut und böse, sprich nach innen und außen zu sortieren. Gerade für „Kopfarbeiter“ (Brecht) ist Konformismus offenbar verführerisch sei er rechts oder links gestrickt. Überwiegt die Sichtweise einer Seite, wie in den Jahren der Kanzlerdemokratie oder später in der Zeit jener legendären 68er, fühlt sich der jeweils andere Flügel mißachtet und sieht sich, je nachdem, als „Pinscher“ oder „Grufti“ verunglimpft. Das kann für die Ausgeschlossenen ebenso schlimme Folgen haben wie übrigens für die jeweiligen PC-Verwalter selbst. Denn die in welchem Rahmen (Gesellschaft, Gruppe, Institution, Zirkel) auch immer von einer rechten oder linken „tyranny of the prevailing opinion“ ausgegrenzten Personen werden stigmatisiert, benachteiligt, bedroht und um Veröffentlichungschancen gebracht. Die Mitglieder der jeweiligen Mehrheitsmeinung ihrerseits entwickeln ein Dominanzgebaren, das zumal bei kritischen Intellektuellen zu erheblichen Sicht-und Komplexitätseinbußen führen kann.

Das PC-Stichwort hat zu einer Meta-Debatte geführt, wie sie zu Anfang der achtziger Jahre schon durch die Auseinandersetzungen um die soge-nannte „Schweigespirale“ hätte ausgelöst werden können, die den innergesellschaftlichen Geltungswettbewerb so nachhaltig beeinflußt. Erst jetzt wird jedoch offen erörtert daß es so etwas gibt wie ein „mobbing“ der Meinungen. Zudem wird transparent, was frei nach „common sense is tacit reason“ (Hazlitt) tabu zu sein schien Nämlich daß auch hierzulande allenthalben eingefahrene Denkstile vorwalten, die sich bei Strafe nicht verletzen lassen. Das erfuhr Philipp Jenninger als Bundestagspräsident ebenso wie der wegen eher läßlicher Verstöße gegen die Offizialsprache schon im Vorfeld der Wahl gescheiterte Präsidentschaftskandidat Steffen Heitmann.

Die PC-Formel hat intellektuell dennoch anregend gewirkt. Unter ihrem Einfluß macht sich die hiesige Öffentlichkeit neuerdings wieder Gedanken über den Zusammenhang von Sprache und Macht mitsamt ihrem jeweiligen Darstellungs-und Begründungsbedarf.

Sprachfunktionen

Die Erkenntnis ist so alt wie die Grundsatzdebatte über das Wesen und die Formen der Politik. Alle Vergesellung ist Ausdruck unserer Sprachfähigkeit. Man lese nach bei Aristoteles, Jahrgang 384 v. Chr., für den die Gemeinschaft in der als Sprache präsenten Gemeinsamkeit der Werte und Empfindungen ihrer Bürger gründet(e). Doch handelt es sich bei dieser Annahme um Beschwörung oder Beschreibung? Denn der Sprachgebrauch verbindet nicht nur, er trennt zugleich. Zudem verleiht er gesellschaftlichen Differenz-systemen -welcher Art auch immer -die nötige Rechtfertigung. Das läßt sich nicht allein den Annalen der Politik entnehmen, sondern auch der Ideengeschichte, wie ein kurzer Blick zurück zeigt.

Bereits Protagoras aus Abdera, einer der originellsten Köpfe der griechischen Aufklärung, hatte im 5. Jahrhundert v. Chr. alle Gewißheiten über Gott und die Welt in Frage gestellt und zur Ansichtssache erklärt. Auch die Sprache war Teil der sich daraus ergebenden historischen Eristik (Kunst des Redestreits), sie war keineswegs von vornherein ein Medium der Übereinstimmung. Nicht zuletzt deswegen stand mit Hesiod aus Böotien am Anfang aller Anfänge das „Chaos“, wie es im 7. Jahrhundert v. Chr. in seiner „Theogonie“ (Vers 116) heißt, die mitverantwortlich zeichnet für die Prägung der abendländischen Kulturgeschichte.

Bändigung der chaotischen Zustände! So lautet seither die intellektuelle und administrative Gestaltungsaufgabe. Hesiod (Vers 901 f.) erdichtet als Kinder von Zeus und Themis zugleich die Horen: Sie sind Qualitäten der Vergesellschaftung, deren Beachtung immerhin erträgliche Verhältnisse ermöglichte, damals wie heute. Das solchermaßen utopisch auf den Begriff gebrachte Bemühen um Eunomia (Gesetzlichkeit), Dike (Gerechtigkeit) oder Eirene (Frieden) ist hingegen bereits Ausdruck einer Meinungs-und Interessenvielfalt, welche zu allen Zeiten den sozial-wie lebensweltlichen Erfahrungshorizont der Menschen ausgefüllt hat. Jedenfalls seit jener mythischen Vertreibung aus dem Paradies, in dem womöglich die Sprache noch mit Überlegen, Fühlen und Handeln in Einklang stand, weil Neugierde und Knappheit als Triebkräfte aller Entwicklung das Sein nicht restlos mit Beschlag belegten.

Denken diente und dient in der Geschichte der Menschen dem Überleben, nicht primär der Verständigung Die Sprache unterliegt ihren eigenen Regeln, Kommunikation freilich bleibt ontologisch überformt. Das gilt für die materielle Sphäre ebenso wie für das Reich der Ideen. Unter Bedingungen der Sorge/Angst = (f) Knappheit formieren sich Gedankensysteme mithin als sprach-politischer Ausdruck von, im weitesten Wortsinn, historischen Zuteilungsformationen. In ihnen aber herrscht Macht als Medium von Differenz Zur Kontrolle der jeweiligen Zustände waren immer schon von „Sinnstäben“ (Max Weber) verwaltete Sprachregelungen hinzuzuzählen. Wörter signalisieren mithin Zugehörigkeit, wie von Aristoteles unterstellt. Oder sie gelten als Risiko für die Anordnung sozialhistorischer Asymmetriemuster und wurden bzw. werden in ihrer Verwendung sanktioniert

Wortmacht

Die Kulturgeschichte läßt sich auch als Streit um den richtigen Wortgebrauch lesen. Bereits Epiktet aus Phrygien, gestorben 138 n. Chr., hat festgestellt, daß die Menschen nicht so sehr durch die Dinge selbst als vielmehr durch ihre Bezeichnungen verwirrt werden. Schon an der Wende zum 4. vorchristlichen Jahrhundert kommt diese Parteilichkeit von Sprache zum Ausdruck in dem ideen-geschichtlichen Drama der Aburteilung des Sokrates wegen Hierosylie, sprich Ideologiekritik. Angeblich ging es um „Sprachverderbnis“, durch die sich athenische Benennungscodes gefährdet wähnten. „Sokrates ging unter durch Sophisten.“ Hier irrt Friedrich Schiller, vielmehr fand der Kampf um Wörter als Konflikt um Macht und Geltung ein prominentes Opfer -beileibe nicht das erste und keineswegs das letzte.

Durch Sprache gestalten sich die gesellschaftlichen Beziehungen auch als Täuschung und Übervorteilung. Dieser Erfahrung widmete Thomas Hobbes zwei Jahrtausende nach Aristoteles sein Grundlagenwerk über den „Leviathan“ (1651), das die politische Neuzeit theoretisch eingeläutet hat. Auseinandersetzung und Übereinstimmung, diese grundlegenden Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens, werden nicht allein sprachlich erzeugt. Doch sie schlagen sich immer in den Tabu-oder Populärzonen der Sprache nieder. Nicht zuletzt in Wörtern, die der Zeitgeist erfindet, verwendet oder wieder aufgibt, um den öffentlichen Raum nach Maßgabe vorherrschender (Elite/Mehrheit) beziehungsweise oppositioneller (Gegeneliten/Minoritäten) Interessen mental oder ideographisch zu beeinflussen.

Der Blick auf das Hin und Her der Terminologien legt die Umrisse einer ins Semantische projizierten Politikgeschichte frei. Deutlich werden Leitbegriffe, Fahnenwörter, Klammerausdrücke, Kampf-vokabeln oder Verdammungsfloskeln, die den Wettbewerb als Wortklauberei um Beachtung beziehungsweise Machtanteile veranschaulichen. Oder mit Lewis Carroll formuliert: „When I use a word“, Humpty Dumpty said, in rather a scornful tone, „it means just what I choose it to mean. Neither more or less.“ „The question is“, said Alice, „whether you can make words mean so many different things.“ „The question is“, said Humpty Dumpty, „who is the master. That is all.“

Politik als Text? Die Gesellschaft eine Bühne? Das sind keineswegs neue Einsichten, auch hierzulande nicht. Dietz Bering Wolfgang Bergsdorf oder auch Thomas Niehr haben die Spracharena längst gründlich ausgeleuchtet. Zudem gab es immer wieder Zwiste um die parteiliche Besetzung von Konnotationen Insofern verwundert die Erregung, die sich im Zusammenhang mit der Debatte um die PC als Kürzel für (sprach) konformes Verhalten beobachten läßt. Kein Beitrag über kontroverse Themen, Verhaltensweisen oder auch Persönlichkeiten, ohne daß nicht neuerdings in dieser oder jener Weise auf korrekt/inkorrekt als neue Grenzmarkierungen oder auch Zuordnungen aufmerksam gemacht würde.

Die PC-Rede hat dabei längst die politisch-semantische Kniggerei einer „insensitive Speech“ verlassen. Von der „emotionalen“ bis zur „sexuellen“ Konformität sieht sich mittlerweile jede Äußerung, die irgendwelchen Betroffenen oder Minderheiten aus welchen Gründen auch immer nicht gefällt, unter den Vorbehalt gestellt, aus diesen oder jenen Motiven heraus von der richtigen PC-Linie abzuweichen.

Sprachreinigung

Dabei hatte dieses „mind-control“ -Diktat eher harmlos angefangen als „code of conduct“. Zur Abwehr von Diskriminierungen im Sprachverkehr weist der PC-Komplex auf reale Ungerechtigkeiten hin. Sie sahen sich bislang als Sozialstruktur-probleme rubriziert, werden seit geraumer Zeit jedoch vor allem mit Blick auf die Herkunfts-und Geschlechterdifferenz wahrgenommen.

Heute stehen gesamtgesellschaftliche Erklärungsoder gar Änderungsmodelle nicht nur in den USA nicht mehr zur Verfügung. Viele Ungleichheiten können nicht länger abgebaut werden, etwa durch die Umorganisation der Verteilung. Um hier und dort dennoch Abhilfe zu schaffen, bestätigen die Korrekturmaßnahmen die leidigen Differenzen: Eine Unzahl von „affirmative action programs“, die mit Hilfe von Quoten jederlei Zukurzgekommene unterstützen greifen gerade auf das zu­ rück, was sie verneinen. Und sie haben die fatale Folge, daß sich immer neue Gruppen als Benachteiligte identifizieren, um in den Genuß von Zuteilungen zu kommen. Vom oft beschworenen „melting-pot“ der USA ist keine Rede mehr. Seit der „roots“ -Welle in den siebziger Jahren zerfällt die amerikanische Bevölkerung in sich nach allerlei Kriterien abgrenzende Groß-, Klein-und Kleinstkulturen. Denn was „race“ und „gender“ recht war, ist „gays“ und anderen Outsidern billig, bis hin zu den Kleinwüchsigen oder Unansehnlichen, die sich gleichfalls als randständig und damit irgendwie benachteiligt fühlen können.

Das Bemühen der offenen Gesellschaft um die Isovalie ihrer Bürger hat sich, schon weil nur Gesetze einzuklagen sind, aus dem Bereich der Rechtsgüterordnung nach und nach in die Sprachregelung verlagert. Wobei diese beiden Streitebenen miteinander korrespondieren. Denn um in den Genuß von Sonderrechten zu gelangen, muß man als zuteilungswürdig anerkannt sein, also benachteiligt, unterrepräsentiert, abgedrängt etc. wirken. Eine Form, rechtlich Aufmerksamkeit zu erwecken, ist mithin die Selbstidentifikation und ihre sprachliche Durchsetzung als Sonderfall.

Die PC vornehmlich als „Akademikerdoktrin“ unterstellt folglich, die der Postmoderne einzig angemessene Terminologie sei allemal jene, die mit den Eigenbildern von Gruppen, Ethnien oder Bewegungen übereinzustimmen versucht. Nur so sei womöglich zu vermeiden, ihnen irgendwie zu nahe zu treten. Zu Ende gedacht löst diese Absicht jeden (gemeinsamen) Bedeutungskanon und damit die innergesellschaftliche Verständigung auf, weil die Kommunikation vorab von Interessen, Meinungen oder Einschätzungen entsorgt werden müßte, damit indes auch von Individualität und Differenz. Als unwillkürlicher Ausdruck des Epochengeistes gar unterläge die Sprache öffentlich und privat einer strikten Kontrolle, was einer (Selbst-) Zensur gleichkommt. Das aber wäre immer noch nicht ausreichend, weil sowohl auf der Zeitachse als auch im Differenzraum der Gesellschaft die Fülle verletztender Gedanken, Handlungen und Wörter unbegrenzt ist. „PC is, strictly speaking, a totalitarian philosophy.“ Dieses Fazit mag weniger verwundern, hält man sich vor Augen, daß wir es dabei ursprünglich mit dem Versuch von Minderheiten zu tun haben, über Sprachregelungen das öffentliche Bewußtsein zu beeinflussen. Demnach stünde die PC in einer sozialreformerischen Tradition. Spiegelt die Sprache als „Geist der Zeiten“ (Goethe) zumeist bestehende Ordnungsmuster, so bringen historische Veränderungen nicht nur eine neue Redeweise hervor, wie der Blick auf die politische Ideengeschichte erweist. Solchen Ereignissen pflegen überdies Definitionszerwürfnisse voraus-zugehen, zumal in Form von gezielten Umbenennungen.

Die PC und ihre heiklen Auswirkungen sind sicher nicht von dieser Reichweite. Aber immerhin werden selbst auf dem Alten Erdteil mittlerweile problematische Effekte verzeichnet. Stichworte wie Denkgleichschaltung, Zensur oder Phrasenmacht drängen sich in unseren Zeiten einer symbolischen Politik und der medialen Welterschließung ohnedies in den Vordergrund der Wahrnehmung. Sie haben eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit gegenüber den unterschiedlichsten Bemühungen bewirkt, die Alltagssprache, wenngleich womöglich im Namen bester Absichten, einer wie auch immer ausgerichteten moralischen Reinigung zu unterziehen.

Zuspitzung

Anfangs nahm kaum jemand Notiz von der Angelegenheit. Erst als die Medien darüber berichteten kam es zu einer heftigen Debatte über den aus Kalifornien importierten PC-Virus, der nun auch England zu bedrohen schien. Was war geschehen? Auslöser der Erregung war ein Vorfall, der sich im Herbst 1993 abgespielt hatte. Die Lehrerin Jane Brown an der Londoner Kingsmead Grundschule lehnte das Angebot der Hamlyn Foundation ab, einigen ihrer Schüler Karten für Sergei Prokofjews Ballett , Romeo und Julia 4 zu spendieren. Sie gab eine Reihe von Gründen an, etwa die hohen Transportkosten und die Tatsache, daß nicht alle Kinder mitkommen konnten. Aber ihre Absage erwähnte zudem die Heterosexualität des Stückes. Das erwies sich als »gefundenes Fressen'für eine Öffentlichkeit, die von der Regierung Major in eine moralische „Back-to-basics“ -Kampagne verwickelt wurde Versuchte die lesbische Lehrerin Brown die ihr anvertrauten Kinder im Sinne ihrer Neigungen zu beeinflussen?

Es kam jedoch erst richtig zum Eklat, als die Aufregung schon wieder abzuflauen schien und die Haß-Post an Frau Brown weniger wurde. Denn während sich die Schulaufsicht anfangs mit der Bemerkung, das sei „kulturelle Spießbürgerei“, von der Pädagogin distanziert hatte, änderte sie später ihre Haltung Im Nachgang zu der Affäre wurde in einem Sechs-Seiten-Papier das Unterrichts-personal über PC belehrt. Danach seien die Kinder vor allen Texten oder Meinungen zu schützen, die sogenannte eurozentrische, sexistische oder anderweitig vorurteilshafte Tendenzen aufwiesen. Shakespeare beispielsweise sei hinfort ebenso mit Vorsicht zu genießen wie andere Klassiker, die im Verständnis eines neulinken Puritanismus nicht ganz koscher wirkten Denn auch im Rückblick auf womöglich unkompliziertere Zeitläufte seien die Volksweisheiten der Altvorderen heute oft nicht mehr tragbar.

Die Entrüstung im Lande über derartige Zensur-vorschriften, die bislang eher ein Einzelfall geblieben sind, war enorm. Die englische Öffentlichkeit registrierte verblüfft, daß die PC längst von Amerika über den großen Teich geschwappt war. Die Bewegung zur Kontrolle der innergesellschaftlichen Ausdrucksformen und damit der öffentlichen wie privaten Einstellungen könne als die abgemagerte Linke von heute bezeichnet werden, hat Boris Groys vermerkt. Liegt in dem PC-Thema auch international ein neues Wirkfeld, nachdem die Klassenfrage verpufft zu sein scheint?

In der Besetzung der Begriffe greift man überdies auf ältere Vorwürfe (Ungleichheit) und Einflußkanäle (Ideokratie) einer Oppositionsbewegung zurück, die -inzwischen politisch zwischen allen Stühlen -nach neuen Handlungsfeldern sucht. Und in der Tradition einer jakobinisch-babouvistischen Rechtschaffenheitskontrolle befände man sich fraglos wieder an der Spitze eines Fortschritts-gedankens, der seit der Französischen Revolution die Weltgeschichte „in eine Geschichte des Bewußtseins“ (Marx) umzumünzen trachtet.

Die deutsche Öffentlichkeit hat von der Renaissance des Tugendmythos als Politikum lange Zeit wenig bemerkt. Dieses Thema wurde bislang, wenn überhaupt, als amerikanisches, noch dazu reichlich akademisches Tummelfeld verbucht Der Journalist Dieter E. Zimmer fragte immerhin nach, ob so etwas wie PC auch hierzulande verübt wird. Er mußte das Konzept freilich anders verorten, als es in der Neuen Welt diskutiert wird, weil in einem (Noch-) Nichteinwanderungsland trotz aller Asyldebatten der , multikulturelle 1 Hintergrund fehlt, jedenfalls als realpolitisches Zentralproblem

Statt dessen artikulierte Zimmer eine Kritik grundlegender Paradoxe der freien Gesellschaft, die unter dem Stichwort der „ideologischen Hegemonie“ schon früher erörtert worden sind, wenngleich es bisher um andere Inhalte oder Formfragen ging. Allerdings wurde im Umkreis der PC deutlich, daß es Unduldsamkeit im Namen der Liberalität gibt, ja geradezu eine repressive Toleranz: Sie pflegt dichotomisch all das als böse oder falsch zu verwerfen, was sich rechts oder links von ihr selbst befindet, weil es den eigenen Vorstellungen von Biederkeit nicht entsprechen will.

Die verspätete Zurkenntnisnahme dieser Rechthaberei mag auch damit zu tun haben, daß bislang wenig Literatur zur PC vorliegt, wissenschaftliche Definitionsversuche fehlen fast völlig Zwar hat Nigel Rees der Mitwelt erste Hinweise darauf gegeben, wovon die unterschiedlichen PC-Wächter „behaupten, man dürfe es in den neunziger Jahren nicht mehr sagen“. Aber selbst autoritative Lexika führen das PC-Phänomen als Stichwort noch gar nicht auf

Debatte

Insofern war es verdienstvoll, daß eine einschlägige Arbeit deutschen Lesern in aller Ausführlichkeit vor Augen führte, „wie sich die Amerikaner in political correctness verstrickt haben“. Deutlich wurden die Folgen dieser Argumentationsvorschriften nicht nur für die akademische Freiheit sondern überhaupt ihre Wirkung auf den Zusammenhalt einer Gesellschaft, die sich durch die PC-Psychose in lauter Separatgesinnungen auflösen kann Denn „Polarisierung macht süchtig“ Vor allem dann, wenn eine veritable Betroffenheits-und Anschuldigungs-Industrie gesellschaftlicher Teileinheiten die Politik als Vertretung des Gemeininteresses abzulösen droht, wie sich seit geraumer Zeit in den USA beobachten läßt. Mit Betroffenheitsritualen und gegenseitigen Vorhaltungen, für die Notlage beziehungsweise die angeblichen oder tatsächlichen Akzeptanzdefizite dieser oder jener Minderheit verantwortlich zu sein, wird die Zweck-Kommunikation als Voraussetzung demokratischer Entscheidungsfindung gefährdet. Der aus Australien stammende, in den USA lebende Autor Hughes ist ein bekannter Kunst-kritiker, der mit Aufsätzen, die seinem Buch zugrunde liegen, in den USA große Beachtung fand. Das inzwischen weltweite Echo mag damit zu tun haben, daß Hughes fairerweise von einer doppelten PC-Frontstellung in der amerikanischen Öffentlichkeit ausgeht.

Denn in den USA ringt seit längerem nicht nur eine akademische Linke um Einfluß, die jederlei Beschwernisse ethnischer, feministischer oder homoerotischer Art aus einem Punkt kurieren möchte, ganz so wie früher der Marxismus alles durch die Klassenbrille sah. Ihr geht es um die Beseitigung der vielfältigen Ungleichheiten beziehungsweise Benachteiligungen durch die Stilisierung der jeweiligen Differenz zum archimedischen Punkt einer Erlösung aus allen Übeln, seien es nun reale Leiden oder aber unterstellte Anerkennungsschwierigkeiten. Das klingt paradox und ist es laut Außenwahrnehmung auch: Denn die Heterogenität einer Einwanderungsgesellschaft wie der amerikanischen verlangt nach gegenseitiger Achtung der einander Unähnlichen. Um überhaupt demokratisch kooperieren zu können, ist diese Ambiguitätstoleranz vonnöten, nicht jedoch der gefühlsmäßige Separatismus als Folge eines falsch verstandenen Multikulturalismus.

Es gibt aber nicht nur eine PC-Therapeutik, die das Opfer zum Helden stilisiert und damit einen aggressiven Kult der Sensibilisierung für das Anderssein pflegt, was in der Seelenlandschaft der betroffenen Gesellschaften notwendig eine Mehrheit von Minderheiten zur Folge haben muß. Darüber hinaus scheint der innergesellschaftliche Zusammenhalt der USA ebenso wie die Redefreiheit in der gegenwärtigen „Phase der Intoleranz“ (Hughes) auch durch einen rechtsgestrickten Monismus gefährdet, der einer Art von „patriotischer Korrektheit“ als eigener Form von PC huldigt.

Man denke an die „all-american“ -Mythologie jener Buckley, Buchanan, Falwell oder Quayle, die ihrerseits mit schlichten Zugehörigkeitsmodellen eine schweigende Mehrheit zum Brüllen bringen möchten. In ihrer neuesten Fassung einer „virtuecracy“ predigen diese Beckmesser eine moralische Wiederaufrüstung der USA. Für die politische Zukunft intoniert ihr Charakter-Kreuz-zug durchaus die Konflikte um die wahre Identität Amerikas, das mit Blick auf das Bevölkerungsprofil in einem raschen Wandel begriffen ist. Werden doch demnächst die Weißen gegenüber den Schwarzen, Hispanics und Asiaten ihre beruhigende Mehrheit verlieren Das PC-Syndrom hat sich in den USA zu einem „gesellschaftlichen Minenfeld“ (Hughes) ausgewachsen Entsprechend nachdenklich stimmen die Folgen seiner ja durchaus gutgemeinten Kontroversen. Die Verabsolutierung der Unterschiede auf Kosten allgemeingültiger Regeln fördert am Ende die Einfalt, weil strikt voneinander abgeschottete Partikular, kulturen 1 dazu neigen, sich selbst zum letzten Bezugspunkt zu erheben. Aus der gesellschaftlichen Vielfalt droht eine Art von Multi-Monolithik zu werden, das an sich reichhaltige Sowohl -Als auch der Spätmoderne wird zum eher simplen Entweder -Oder. In Kunst und Wissenschaft bleiben bereits im Vorfeld des Versuches, durch „affirmative actions“ und andere Ausgleichsstrategien wie Quotenregelung etc. alle Gruppenbenachteiligungen abzutragen, herkömmliche Werte wie ein allgemeingültiger Qualitätsbegriff auf der Strecke. Absprachen oder akademische Lese-sprich Nichtlesevorschriften, die Platon durch Frantz Fanon ersetzen, damit ethnisches Zugehörigkeitsbewußtsein ja gestärkt werde, mögen als „school of resentment“ (Harold Bloom) alles mögliche erreichen: Keinesfalls aber fördert solche Pseudotoleranz die gegenseitige Anerkennung und damit den sozialen Zusammenhalt. Eher schon das Gegenteil, wie sich unter Verweis auf die Entwicklung des US-„Afrozentrismus“ mit dessen antisemitischer, ansonsten aber überhaupt anti-nichtafrikanischer Stimmungsmache befürchten läßt, die ausgesprochen aggressiv daherkommt

Toleranz

Der PC lassen sich indes auch komische Seiten abgewinnen. Nicht nur, weil heiliger Ernst immer zum Spott reizt; die bisweilen geradezu neurotischen Verrenkungen des einschlägigen Sprachpurismus wirken einfach albern Das „Eintauchen in die Wasser des Euphemismus“ (Hughes) verliert leicht den Boden unter den Füßen. Denn wenn der Blinde „other-visioned“, der Lahme „differently abled“ oder der Zwergwüchsige „vertically challenged“ genannt wird, was ist damit gewonnen? Ob „dead“ oder „terminally challenged“, wo liegt für Opfer wie Hinterbliebene der Unterschied?

Allerdings hat dieses PC-sprachliche Lourdes den Effekt, eine Gemeinde semantisch Gleichgesinnter zu stiften, die sich qua Sprachcode besser oder auch fortschrittlicher dünken mag als die Noch-nicht-Sensibilisierten. Und es findet zudem eine Entlastung statt, was womöglich wichtiger ist. Viele Ärgernisse scheinen mit ihrer Umbenennung aus der Welt geschafft. Man kann jetzt darum streiten, notfalls auf dem Klagewege, nicht mehr als häßlich zu gelten, sondern als „cosmetically different“; nicht kahlköpfig zu sein, sondern „hairimpaired“; nicht länger arm, sondern „differently advantaged“. Die Betroffenen mögen sich besser fühlen oder auch nicht. Hat sich etwas an ihrer Lage geändert?

Mit Blick auf einige der deutschen PC-Felder wie z. B. die -Tabuierung der Korrelation von Kriminalitätstyp und (ausländischer) Täterherkunft, -Verdächtigung jeder Euro-Kritik als antieuropäisch und damit friedensfeindlich, rückständig etc., -Gleichsetzung von Reformnotwendigkeiten im gesellschaftlichen Unterstützungsbereich mit „Sozialabbau“, -Hysterisierung des sexuellen Miteinanders als wenigstens latent antifeministisch oder -Verwerfung jeder außenpolitischen Erwägung staatspolitischer Sicherheits-und Eigeninteressen des Landes als „nationalistisch“ lassen sich erhebliche Eintrübungen des Diskussionsklimas erkennen. Fragen und Probleme wie diese sind zu erörtern -kontrovers, aber offen, gerade um mit Blick auf das Allgemeinwohl als Quersumme individueller Lebenschancen politisch innovativ und damit überhaupt gesamtgesellschaftlich handlungsfähig zu bleiben.

Das aber setzt nicht nur parlamentarische Transparenz und eine plurale Öffentlichkeit voraus. Es verlangt zudem, „lechts wie rinks“ (Jandl), die Abwehr von Einschränkungen der Partizipation etwa durch die -Denunziation und damit Mißachtung wichtiger Themen und Fragestellungen als verwerflich, unzulässig oder überholt, -Ignorierung ideen-klimatischer Wandlungen als Folge gesellschaftspolitischer, wirtschaftsstruktureller beziehungsweise nationalstaatlicher Veränderungen sowie die -Verdrängung der Belange der einen oder anderen Sozialgruppe aus den Orientierungsprozessen beziehungsweise der Entscheidungsfindung in der Gesellschaft.

Ob es sich bei der PC um interkulturelle Konkurrenz, den „Verrat der Intellektuellen“ (Benda) an ihren eigenen Kommunikationsvorgaben, um „ideologische Kammerjägerei“ oder einfach nur um Rechthaberei von Gruppen handelt, stets mag ein Blick in die Ideengeschichte ihre bedenklichen Folgen für die allgemeine Gedanken-und Ausdrucksfreiheit erhellen.

Die Welle der PC und ihrer Effekte mag wieder abflauen Moden kommen und gehen bekanntlich, nicht zuletzt in den geistigen Gefilden. Das Anliegen der PC ist es immerhin wert, präsent zu bleiben. Doch lehrt die Erfahrung, daß die angestrebte Universalisierung von Anerkennung in der demokratischen Moderne ganz andere Vehikel benötigt als die Sprachsteuerung.

Weder ist die PC-typische Anspruchshaltung noch der damit zum Ausdruck kommende Kampf um Hegemonie historisch besonders neu und schon gar nicht die resultierenden Verhärtungen im Gesellschaftsverkehr. Zwar unter vormodernen Bedingungen, aber immerhin mit Blick auf das gleiche Menschengeschlecht hat schon John Locke in seinem „Letter on Toleration“ (1689) einen Vorschlag zur Güte versucht. Die Problematik der allfälligen Differenz als PC-Motiv ist schwerlich zu beseitigen. Es läßt sich aber mit ihren Folgen umgehen, indem aus der Not eine Tugend gemacht wird. Doch Toleranz ist nicht Gleichgültigkeit, sondern sucht überall dort nach Ausgleich, wo Ungerechtigkeit augenfällig ist. Sie würdigt den Anspruch auf Respekt, akzeptiert zugleich jedoch aktiv wie passiv jene Unterschiedlichkeiten, aus denen die Realwelt gestrickt zu sein pflegt.

Hemmnisse

Das ist leichter gesagt als getan, wie ein Blick auf die Sozial-oder auch Ideengeschichte zeigt. Denn alle Vergesellung beruht auf dem „Zugehörigkeitsbedarf“ (Plessner) der Menschen. Daraus ergibt sich notwendig soziale Kontrolle, mithin zu allen Zeiten eine wie auch immer mit Inhalten gefüllte PC. Hingegen ist die Ausformung, Zulassung und Förderung von Abweichungen der verschiedensten Art -folglich Freidenkerei durch Pluralismus -historisch gesehen ein spätes Kind der Neuzeit.

Der Nonkonformismus in all seinen Tonarten spiegelt die Auffächerung der Lebens-und Erwartenswelten bei der funktionellen Differenzierung der Arbeitswelt als Folge der Durchindustrialisierung. Politisch wirkte sich die Vervielfältigung der Daseinsformen als Demokratisierung der Machtverhältnisse aus: Mühsam genug, wie noch die Verteidigung der „Mannigfaltigkeit“ durch Benjamin Constant belegen mag -ganz zu schweigen von den totalitären Versuchungen rechter wie auch linker Machart des 20. Jahrhunderts.

Gleichviel, Freizügigkeit war und ist das Signum der Moderne. Laut Erkenntnis der Sozialwissen-schäften bedeutet sie zudem ihre Fatalität, weil mit der grenzenlosen Mobilität aller Lebensbereiche die mentalen wie strukturellen Einbindungen entfallen. Wirklich zeitgemäß wäre demnach erst eine Gesellschaft, in welcher alle Mitglieder gleichermaßen die individuelle Kompetenz zur Meinungsbildung mit der persönlichen Mündigkeit vereinten. Unter Beweis zu stellen etwa in dem Sinne, wie einst Lord Acton den Umgang mit Minderheiten aller Art zum Lackmustest gesellschaftlicher Liberalität erklärt wissen wollte.

In diesem glücklichen Fall wäre Freiheit tatsächlich die Freiheit der Andersdenkenden, wie Rosa Luxemburg es formuliert hat, jedenfalls soweit die Andersdenkenden solche Rückkoppelung ihrerseits anerkennen. Diesen Vorbehalt hatte schon John Locke gemacht. Er nahm in seinem zeitgenössischen Erfahrungshorizont die „Atheisten“ von der Toleranz aus, weil man mit Blick auf gemeinsame Grundwerte nicht wissen könne, woran man mit ihnen sei. Solche Vorsicht entsprang nicht der PC: Wir haben es vielmehr mit Angst vor dem Unbekannten/Fremden und damit vor dem Unberechenbaren zu tun. Furcht hat in der Sozialevolution ohnedies eine herausragende Rolle gespielt, und die Geschichte der Zivilisation läßt sich mit Spinoza als unablässiger Versuch entziffern, der Angst irgendwie Herr zu werden. „His safety must his liberty restrain“, hat Alexander Pope diesen neurotischen Zusammenhang frühzeitig für die Neuzeit geltend gemacht. Und noch immer wird die Freiheit mit dem Preis der Wachsamkeit bezahlt, was sich in der Kategorie der „wehrhaften Demokratie“ niederschlägt. Wachsamkeit als Sozialkontrolle und Anomieabwehr, Wachsamkeit aber auch gegenüber Meinungsbildungen, die die offene Gesellschaft selbst in Frage stellen. Oder sie in Fage zu stellen scheinen? Denn der Zeitgeist ist allemal „der Herren eigener Geist“ (Goethe). Der Vielförmigkeit sozialer Strukturen beziehungsweise marktbezogener Bedürfnislagen in unserer volksparteilichen Moderne entspricht mitnichten auch ein „offener Himmel des Gemeinsinns“ (Schiller). Eine autonome Meinungsbildung im Rahmen des allseits freien Austauschs eigener mit fremden und abweichenden Gedanken bleibt Utopie.

Das hat vielerlei Gründe, die keineswegs immer mit der PC-Problematik Zusammenhängen. Nicht nur ist die Summe originärer Ansichten in jeder Epoche begrenzt. Obendrein hat die Meinungsbildung grundsätzlich mehr mit Abgrenzung und Ich-behauptung denn mit Großzügigkeit und Anerkennung zu tun. Wir pflegen leichter vom Interesse oder Widerpart her zu denken als im Bemühen um Verständigung oder Wahrheit. Andere Meinungen und Ansichten sind offenbar schwerer zu ertragen als, beispielsweise, unterschiedliche Lebenschancen. Das führt in der Gesellschaft zu allerlei Konformitätsdruck, wie er von Soziologie, Psychologie oder Publizistik vermessen werden konnte. Die vorauseilende Anpassungsbereitschaft ist der Boden aller Vergesellung, aber eben auch aller PC-Spielarten, denn sie entscheidet zugleich über die Verfassung der sozialen, politischen und symbolischen Formen.

Meinungsbildung spielt sich in jedem Gesellschaftssystem als Ringen um jene Ansichten ab, welche die Köpfe der Zeitgenossen erobern. In der modernen Welt beteiligen sich allerdings viel mehr Diskutanten als früher am Deutungsstreit, was diesen Wettbewerb mit friedlichen Mitteln noch erbitterter macht Die Konkurrenz um die öffentliche Auslegung des richtigen Sinns kann sich dabei nicht mehr -wie in historischen Konstellationen -einem Begründungstest entziehen. Es handelt sich dennoch keineswegs um einen „herrschaftsfreien Diskurs“ (Habermas), nicht nur weil so viel und heftig gestritten wird. Vielmehr geht es im außer-akademischen Bereich eben nicht um „Letztbegründungen“, sondern um die Geltung von Interpretationen als Ausdruck von gegensätzlichen Interessen.

In diesem Verständnis wäre PC jene ideologische Sprachregelung auf Zeit, deren Ignorierung oder gar Verletzung zu einer politischen, medialen, wissenschaftlichen etc. Ausgrenzung führt. Es haftet nicht nur das Stigma der Querdenkerei an der Nichtbeachtung des Sprachkodes, sondern zudem die Schmach, einer „lunatic fringe“ anzugehören. Die Normalität etablierter Denkmuster ist nicht nur sehr stabil, sondern auch erschreckend selbstgerecht. Von einer wirklichen Diskussionsfreude als Interesse an der Optimierung der Dinge auch durch Widerspruch kann nirgendwo die Rede sein. Entsprechend ist Parteilichkeit statt Originalität nicht nur in der Politik, sondern überhaupt im weiten Feld der Symbolarbeit das wirkliche Entreebillet des Erfolges. „Die wahre Liberalität ist Anerkennung.“ Goethe hatte damit freilich keineswegs -im Sinne jener Zugehörigkeitsrituale, die die Welt der Ideen und Meinungen nicht zuletzt als PC tatsächlich bestimmen -die Zustimmung zur jeweiligen Ordnung gemeint, sondern die aufgeschlossene Haltung gegenüber der Vielfältigkeit der Welt und die wenigstens intellektuelle Würdigung einander widersprechender Standpunkte.

Davon sind wir noch immer weit entfernt. Bereits Alexis de Tocqueville hat sein Grundlagenwerk , De la Democratie en Amerique‘ (1835) nicht zuletzt dem Konformismus gewidmet, der gleichsam als Ersatz für eine mit der Mobilität verloren-gegangene embededdness früherer Zeitläufte für Einhelligkeit zu sorgen hat, bei Strafe der Ächtung abweichender Verhaltens-, Denk-oder auch Argumentationsstile

Konformismus brächte auch eine kritische Kultur-geschichte Nachkriegsdeutschlands zutage. Auch hierzulande zeigen sich Verhärtungen des zugelassenen Meinungsspektrums. Es bestanden und bestehen öffentlich zugelassene Diskurse die wechseln mögen und zu denen von Bewegungen oder Gruppen hin und wieder Einsprüche vorgebracht wurden, die aber gleichwohl als PC für all diejenigen Symbolarbeiter (Politiker, Wissenschaftler, Journalisten etc.) verbindlich blieben, die um Publikum bemüht waren.

Fazit

Schon für Tocqueville hatten die Medien in der Gegenwart die Aufgabe übernommen, besagte „Einhelligkeit“ zu sichern. Ohne ihre Dienste ließ sich mithin auch PC nicht transportieren. Dabei galten der Moderne anfangs die Medien als die demokratischsten aller demokratischen Einrichtungen. Mit den Medien hat sich Öffentlichkeit von Anfang an als eine der Grundideologien der Neuzeit erwiesen. Ideologie nicht etwa deswegen, weil schon Pietro Aretino, Jahrgang 1492, als Urvater des Journalismus geflissentlich Mißbrauch mit der Publizität trieb; oder weil „öffentliche Meinungen -private Faulheiten“ sind, wie Nietzsche meinte. Es war und ist vielmehr eine Illusion, Wirklichkeit oder gar Wahrheit und Öffentlichkeit für identisch zu halten.

Seit Friedrich Schiller 1784 in seinem Mannheimer Vortrag „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“ vom Zeitgeist als von einer „künstlichen Welt“ sprach, gleichsam einer eigenen Dimension menschlicher Verständigung, galt die Öffentlichkeit -also die Bereitstellung, der freie Erwerb und die Deutungsvielfalt von Nachrichten -als notwendige Aufklärung der Gegenwart über sich selbst. Die Schaubühne, so daher Schiller noch voller Optimismus, „ist der gemeinschaftliche Canal ... Richtigere Begriffe, geläuterte Grundsätze, reinere Gefühle fließen von hier durch die Adern des Volkes; der Nebel der Barbarei, des finsteren Aberglaubens verschwindet, die Nacht weicht dem siegreichen Licht“

Der in Kontinentaleuropa damals festsitzende Feudalismus hatte mit Informationsfreiheit wenig im Sinn. Im vorrevolutionären Frankreich etwa wurden Zeitschriften, Bücher oder Traktate von Henkershand verbrannt, stellvertretend für die nichtgenehme Öffentlichkeit. Kaum verwunderlich, daß sich der aufkommenden Bürgerära die Informationsfreiheit als Symbol der Selbstbestimmung darstellte.

Alles, was unter Ausschluß der Öffentlichkeit geschah, geriet nach und nach in den Verdacht der Privilegienwirtschaft. Die Französische Revolution bewirkte mithin eine Explosion der Veröffentlichung. Bereits im Januar 1789 gab der Abbe Sieyes als Losung aus: „Die Vernunft schätzt keine Geheimnisse.“ Wahrhaftig, vernünftig und richtig war nur noch, was sich vor aller Augen abspielte. Das Nichtöffentliche hingegen schien verdächtig, weil es sich der Rechtfertigung entzog. Und wohin die Kontrolle durch Präsenz nicht reichte, dahin mußten die Medien leuten, die sich hinfort der öffentlichen Angelegenheiten nicht nur in Form einer expandierenden Presse annahmen.

Indem Meinungsbildung und Willensbildung verschmolzen, fand im Verständnis der aufgeklärten Zeitgenossenschaft tatsächlich ein „Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant) statt, in der die Vergangenheit befangen schien. Dieses Verständnis von Öffentlichkeit war freilich am Feudalismus als Widersacher orientiert: Es stritt gegen überkommene Sozialformen, die sich dem Allgemeinwohl nicht verantwortlich fühlten und insofern auch jene „Freiheit der Feder“ schlecht vertrugen, die Kant für ein „Palladium der Volksrechte“ hielt. Auf der Bühne der neuzeitlichen Politik hingegen stellten sich in aller Öffentlichkeit rasch neue Komplikationen ein, übrigens sogar mit der Öffentlichkeit selbst. So läßt sich schon die Französische Revolution als ein erbittertes Ringen sehr verschiedener Öffentlichkeiten um Geltung deuten und damit auch als Tummelfeld der PC.

Es war leider ein Trugschluß der Aufklärung, Öffentlichkeit mit Vernunft beziehungsweise Wahrheit gleichzusetzen. Inzwischen spiegelte die veröffentlichte Meinung die sehr verschiedenen Wahrnehmungen der Realität, wie sie sich im Alltag nebeneinander fanden. Deren Verarbeitung wiederum hing mehr von der eigenen Betroffenheit und weniger vom unbefangenen Vernunftsgebrauch ab. Öffentlichkeit geriet zum Forum, um innergesellschaftliche Spannungen auszutragen; denn die komplizierten Sozialverhältnisse, die mit der auf Verantwortlichkeit und Mitsprache in der Gesellschaft begründeten Moderne ans Tageslicht traten, waren eine Abfolge immer neuer Übervorteilungen. Auch der Publizität standen bald schwere Zeiten ins Haus, nicht zuletzt deswegen, weil sie zur Steuerung der Meinungsbildung mißbzw. gebraucht wurde. Zu lernen ist aus diesen Verwerfungen immerhin, daß Öffentlichkeit das einzige Medium ihrer Bewältigung darstellt. Denn nur, indem sich die unterschiedlichen Bedürfnisse vor aller Öffentlichkeit artikulieren, ohne durch PC , abgewürgt‘ zu werden, lassen sich auf die Dauer vielleicht Formen finden, wie ihnen politisch, sozial oder auch symbolisch entsprochen, aber auch widersprochen werden kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Arthur M. Schlesinger Jr., The Disuniting of America, New York 1992.

  2. Vgl. dazu kritisch Allan Bloom, Der Niedergang des amerikanischen Geistes, Hamburg 1988.

  3. Vgl. Jeffrey Herf, Publizierend scheitern, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. 6. 1991, S. N 3.

  4. Vgl. Norman Stone, A Plague on the West, in: Sunday Times vom 17. 4. 1994, Teil X, S. 8ff., hier S. 10.

  5. Typisch dafür ist der Benennungsstreit mit Blick auf das Kriegsende von 1945. Die komplexe Ausgangslage wird über den Kamm der Nachgeborenen geschoren, wenn die richtige Bestimmung der Stunde Null als politische Befreiung Deutschlands und der Welt vom Joch des Nationalsozialismus nach der Devise: , Nur wir sind Täter'es nicht mehr zuläßt, mit Trauer auch der Leiden von Vertreibung, Mord, Unterdrückung, Vergewaltigung, ethnic cleansing etc.der deutschen Zivilbevölkerung nach der Kapitulation zu gedenken, die eben auch eine Niederlage mit allen ihren bitteren Folgen besiegelte.

  6. Zur historisch evidenten Eilfertigkeit der Denker, „Kerzenhalter der Macht“ (Semprün) zu spielen, vgl. Thomas Molnar, Kampf und Untergang der Intellektuellen, München 1966.

  7. John St. Mill, On Liberty (1859), hrsg. von David Spitz, New York-London 1975, S. 6.

  8. Beispielsweise die eher aufgenötigt klingende Selbstkritik von Jürgen Habermas, bis zuletzt auf einem Auge blind gewesen zu sein gegenüber dem Stalinismus und seinen vielen realsozialistischen Spielarten, vgl. Jürgen Habermas/Adam Michnik, Overcoming the Fast, in: new left review, (1994) 203, 8. 3ff., hier S. 10.

  9. Elisabeth Noelle-Neumann, Öffentliche Meinung, Frankfurt am Main-Berlin 19892.

  10. Vgl. Martin Walser, Über freie und unfreie Rede, in: Der Spiegel, (1994) 45, S. 130ff.

  11. Für die philosophische Dimension vgl. Alexander Dill, Weise erdenken neue Gedanken, Narren verbreiten sie, in: Die Zeit vom 11. 9. 1992, S. 66, der sich kritisch mit der These von Jürgen Habermas auseinandersetzt, westdeutsche Geistesarbeiter seien intellektuellen Anpassungsprozessen nicht unterworfen gewesen.

  12. Wie dringlich die Einsicht in den unablässigen Kampf um die Köpfe ist, das mag ein Streitbeitrag (Hans-Martin Lohmann [Hrsg ], Extremismus der Mitte, Frankfurt am Main 1994) erweisen, in dem sich unter Generalverdacht gestellt sieht, schlicht reaktionär zu sein, was politisch nicht in die vertraute Optik der Nachkriegserfahrungen paßt. Die momentan wieder einmal modische Rundumverdächtigung der Studentenbewegung als Einstieg in den Ausstieg bildet dazu spiegelbildlich nur ein gegenpoliges Pendant.

  13. Höchstens abgeleitet, was freilich erst auf einer Kultur-stufe möglich wird, in der eine spürbare Entlastung vom Kampf um Versorgung oder Anerkennung erreicht ist. Außerhalb der Sphäre wissenschaftlicher Arbeit in zweck-rationalen Verbänden, und selbst dort nur bezogen auf das Erkenntnisziel, nicht aber etwa auf die Wissenschaftsorganisation oder Forschungspolitik, scheint dieser Idealzustand kaum irgendwo erreicht zu sein.

  14. An materiellen (Unterhalt) ebenso wie an ideellen (Anerkennung/Sinn), moralischen (Gerechtigkeit) beziehungsweise emotionalen (Liebe/Fürsorge) Gütern.

  15. Historisch organisiert als Hierarchie in einer segmentären Gesellschaft, in der funktionell differenzierten Moderne hingegen verwaltet durch die Mehrheitsregel.

  16. Oder aber eine abweichende Redeweise setzte sich durch, so daß hinfort neue Sprachgewohnheiten als Ausdruck veränderter Bauformen des Sozialen und ihrer symbolischen Geltungsgründe zählen.

  17. Im Sinne von (erkenntnistheoretisch) wahrheitsgemäßer oder (politikgeschichtlich) zulässiger Benennungskompetenz.

  18. Vgl. I. F. Stone, The Trial of Socrates, Boston-Toronto 1988, S. 210ff.

  19. Through the looking-glass and what Alice found there, New York-London 1872, Kap. 6.

  20. Vgl. Dietz Bering, Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes, Stuttgart 1978.

  21. Vgl. Wolfgang Bergsdorf, Herrschaft und Sprache, Pfullingen 1983.

  22. Vgl. Thomas Niehr, Schlagwörter im politischen Kontext, Wiesbaden 1993.

  23. Vgl. Martin Greiffenhagen (Hrsg.), Kampf um Wörter? Politische Begriffe im Meinungsstreit, München 1980.

  24. Sie stehen in den USA im Zentrum eines erbitterten politischen Streites um den Sinn solcher Maßnahmen, vgl. Howard Fineman, Race & Rage, in: Newsweek vom 3. 4. 1995, S. 26 ff. Dadurch würden nicht nur neue Benachteiligungen geschaffen, zudem verstärkten derartige Programme die sozial-gesellschaftliche Zersplitterung und begünstigten damit geradezu (mter) ethnische Spannungen.

  25. Nicolas Comfort, Brewer s Politics. A Phrase and Fable Dictionary, London 1993, S. 464.

  26. Jerry Adler u. a., Thought Police, in: Newsweek vom 14. 1. 1991, S. 42ff„ hier S. 45.

  27. Vgl. die Beiträge von Christian Meier, Denkverbote -Nachhut des Fortschritts? oder Gert Mattenklott, Zwölf Thesen zu political correctness, in: Neue Rundschau, (1995) 1, S. 9ff; S. 73ff.

  28. Vgl. Evening Standard vom 23. 2. 1994, S. 18.

  29. Vgl. The Times vom 20. 2. 1994, Teil 1, S. 5.

  30. Vgl. Ruth Picardie, Two women of Hackney, in: The Independent vom 3. 2. 1994, S. 23.

  31. In diesem Zusammenhang ist in den USA seit längerem verächtlich von „Dwems“ als Akronym für die Dead white European males die Rede, das mithin gegen den vorgeblich im Lande verbreiteten Euro-und Machozentrismus zugleich votiert, vgl. Hans E. Tütsch, Kulturkampf in Amerika, in: Schweizer Monatshefte, (1991) 3, S. 179f.

  32. Man denke nur an die weitgehenden Interventionsvorstellungen im Rahmen einer Anti-Diskriminierungspolitik der Commission for Racial Equality (CRE), die das Risiko von „ethnic penalties“ in der Arbeitswelt mindern helfen sollen, vgl. Cyril Dixon, Labour council top discrimination league, in: Sunday Times vom 17. 4. 1994, 1, S. 7.

  33. Vgl. Boris Groys, Abschied vom Homogenen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. 3. 1995, S. 29.

  34. Lars Gustafsson greift noch weiter zurück, vgl. Die neuen Wiedertäufer, in: Focus, (1993) 51, S. 80.

  35. Den Beginn der Debatte dokumentierte Der Spiegel, (1994) 28, S. 160ff. Zur hiesigen PC-Sprache frühzeitig Eckhard Henscheid, Dummdeutsch, Stuttgart 1993 (1985). Klaus Bittermann/Gerhard Henschel (Hrsg.), Das Wörterbuch des Gutmenschen. Zur Kritik der moralisch korrekten Schaum-sprache, Berlin 1994.

  36. Vgl. Dieter E. Zimmer, PC oder: Da hört die Gemütlichkeit auf, in: Die Zeit vom 22. 10. 1993, S. 59f. Zur Debatte seiner Thesen vgl. Oliver Marchart, Für eine gewisse Korrektheit, in: Forum, (1993) 480, S. 8ff.

  37. Wenngleich gerade dieses Thema PC-wundersam zu Abgrenzungen reizt, vgl. Dieter Oberndorfer, Abschied vom völkischen Wahn, in: Die Zeit vom 4. 2. 1994, S. 6f., mit seinem Vorwurf der „politischen Brandstiftung“ gegen den Frankfurter Soziologen Karl-Otto Hondrich (Grenzen gegen die Gewalt, in: Die Zeit vom 28. 1. 1994, S. 4), der multikulti-kritisch zu fragen gewagt hatte, ob Zuwanderung nicht auch Probleme für die Aufnahmegesellschaften mit sich bringt.

  38. Andrew Heywood, Political Ideas and Concepts, London 1994, ist kursorisch auf den Versuch eingegangen (S. 2f.), „to develop bias-free terminology“. Er hält eine „objective language“ freilich für illusorisch, so daß sich ihre Inanspruchnahme allemal ideologisch auswirkt.

  39. Vgl. Nigel Rees, The politically correct phrasebook, London 1994.

  40. Vgl. etwa Vernon Bogdanor (Hrsg.), Blackwell Encyclopaedia of Political Science, Oxford-Cambridge, Mass. 1992.

  41. Vgl. Robert Hughes, Nachrichten aus dem Jammertal, München 1994.

  42. Peter F. Drucker, Political correctness and American academy, in: Social Science and modern society, 32 (1994) 1, S. 58ff., vergleicht die Absicht der PC-Bewegung, „to beat academia into conformity“, mit der Einschüchterungstaktik der fellow-traveiiers an den US-Universitäten in den dreißiger Jahren gegen Andersdenkende, die wiederum den McCarthyismus vorweggenommen hätten.

  43. Vgl. Ronald Takaki, Multiculturalism: Battleground or Meeting Ground? * in: The Annals of the American Academy, (November 1993), S. 109ff.

  44. R. Hughes (Anm. 41), S. 45.

  45. Vgl. Doris Kunz/Peter-Erwin Jansen, PC -Amerikanische Hochschulen unter konservativem Beschuß, in: Die Neue Gesellschaft, (1992), S. 31 ff.

  46. Newsweek vom 13. 6. 1994, S. 13ff.

  47. Vgl. Jonathan Alter/Pat Wingert, The return of Shatne, in: Newsweek vom 6. 2. 1995, S. 15ff.

  48. Zu den Daten vgl. Peter Gruber, Rassisten aus Begeisterung, in: Focus, (1994) 14, S. 196ff.

  49. Deutlich bei B. D. Ayres Jr., A war over preferences, in: International Herald Tribüne vom 17. 2. 1995, S. 2.

  50. Worauf der Literaturwissenschaftlicher Harold Bloom mit Nachdruck hinweist, vgl. Walhall der Autoren, in: Der Spiegel, (1994) 44, S. 235f. Zum Problem eines literarischen Gütebegriffs Conal Condren, The Status and Appraisal of Classic Texts, Princeton (N. J.) 1985.

  51. Zu deren Schwierigkeiten Charles Taylor, Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, Frankfurt am Main 1993.

  52. R. K. Landers, Multikulturelle Bildung -Ein Diskurs, in: Amerika Dienst, (1992) 34, S. lff.

  53. Kritisch über diese „Wieder-Rassifizierung des Andersartigen“ Ferenc Feher, Multikulturalismus, in: Europäische Rundschau, (1994) 3, S. 99ff., und auch Yehudi O. Webster, The Racialization of America, New York 1992.

  54. Sie erinnern dadurch zuweilen an jenen aus „patriotischer Korrektheit“ inszenierten „Alamode-Kehraus“, so Fedor von Zobeltitz (Almanach: Velhagen/Klasings Monats-hefte, Berlin 1915, S. 3Ö 9ff.), der die deutsche Sprache um den Gesichtserker statt der Nase bereichern wollte, vgl. Eduard Engel, Sprich deutsch! Zum Hilfsdienst am Vaterland, Leipzig 1917.

  55. Wie es Heidi Schüller, „Gesundheitsministerin“ im SPD-Schattenkabinett, jüngst mit ihrem durchaus ernst-gemeinten Ansinnen vertrat, die Älteren, mithin die Mehrheit der Bürger, durch Wahlrechts-Beschneidung aus dem Sozialdiskurs auszuschalten, vgl.der Spiegel, (1995) 12, S. 223.

  56. Eckhard Fuhr, Systematische Verlogenheit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. 12. 1994, S. 1.

  57. Worauf die Anti-anti-discrimination-Stimmung in Washington hinzuweisen scheint, vgl. Bob Cohn u. a., What about women?, in: Newsweek vom 27. 3. 1995, S. 24ff.

  58. So widmet bereits Claude-Adrien Helvötius in seinem umstrittenen „De L’Esprit“ (1758) [2 Bde., Paris 1822, hier Bd. I, S. 15611. ] unter dem Titel , Du bon ton et du belle usage'nicht nur dem ewigen Streit zwischen „mot juste“ und „mot vrai“ ein eigenes Kapitel (IX). Zudem sei in der Neuzeit „toute socidte divisäe d’interet et de goüt“, so daß man sich in ihr allemal „s’accuse respectivement de mauvais ton“. „Quand le bon ton parait“, kommentiert schon Helvätius (S. 160) daher die Übertreibungen jeder unvermeidlich zeitgeistabhängigen Sprachüberwachung, „le bon sens se retire.“

  59. Vgl. Benjamin Constant, Über die Gewalt (1814), Stuttgart 1948, S. 39 ff.

  60. Vgl. The History of Freedom and other Essays, hrsg. von J. N. Figgis, London 1909, S. 4.

  61. Alexander Pope, Essay on Man (1733/34), Vers 277, in: ders., Collected Poems, hrsg. von Bonamy Dobrde, London-New York 1963, S. 204.

  62. Um gar nicht zu reden von gewaltsamen Auseinandersetzungen um die gültige Weltanschauung, deren Formen und Folgen sich gegenwärtig etwa in Algerien beobachten lassen beim Kampf zwischen Fundamentalismus und (Teil-) Modernisierung.

  63. Brief vom 25. 11. 1807, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, hrsg. von Ernst Beutler, Zürich 1948ff., Bd. 17, 8. 529.

  64. Die beispielsweise Nathaniel Hawthorne in seinem Roman: The Scarlet Letter, Boston 1850, literarisch veranschaulicht hat.

  65. Wobei die Bezuggruppentheorie erklärt, wieso die etwa im politischen Raum dominanten Redeweisen mit der im intellektuellen oder medialen Feld geltenden Wortwahl nicht unbedingt oder gar insgesamt übereinstimm(t) en. Was besagt, daß bisweilen mehrere, zum Teil widersprüchliche PC-Modi zu beachten waren oder sind; man denke etwa an den mittlerweile entsorgten Antikommunismus-Komplex. Wie der neue Geschichtsstreit über das Kriegsende belegt, kann aber auch Übereinstimmung zwischen den genannten Kreisen herrschen, so daß wenigstens in dieser Frage dann eine allgemeingültige Sprachregelung besteht.

  66. Um einmal von der manipulativen Rolle der Demoskopie abzusehen, die sich immer mehr als Volkes Stimme zu gerieten scheint.

  67. Sämtliche Werke in zwölf Bänden, Bd. X, Stuttgart -Tübingen 1838, S. 77 f.

  68. Qu’est-ce que le tiers etat?, Paris 1888, S. 92.

  69. Vgl. Heinrich Cunow, Die Parteien der großen französi sehen Revolution und ihre Presse, Berlin 19122.

Weitere Inhalte

Sven Papcke, Dr. rer. soc., geb. 1939; Professor für Soziologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Veröffentlichungen u. a.: Gesellschaftsdiagnosen. Klassische Texte der deutschen Soziologie im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main-New York 1991; Deutsche Soziologie im Exil. Gegenwartsdiagnosen und Epochenkritik, Frankfurt am Main -New York 1993; Humanistische Soziologie in Deutschland und ihre Widersacher, Münster-Hamburg [1995].