I.
Die offiziellen Beziehungen der Europäischen Union zu Israel sind nahezu ausschließlich wirtschaftlicher Natur. Sie beruhen auf dem 1975 unterzeichneten Freihandelsabkommen mit der Europäischen Gemeinschaft, das Israel Zollsenkungen für seine wichtigsten wirtschaftlichen Aus-fuhren vor allem im landwirtschaftlichen Bereich einräumte. Mit der Abschaffung der letzten noch verbliebenen Zölle gegenüber der Gemeinschaft durch Israel wurde ab Januar 1989 eine Freihandelszone im Bereich der Industrieerzeugnisse zwischen beiden Partnern verwirklicht. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft garantierte schon 1977 israelischen Industrieerzeugnissen den freien Zugang zu ihrem Markt.
Bereits 1978 wurde das Freihandelsabkommen um einen Zusatzvertrag über die industrielle, wissenschaftliche und landwirtschaftliche Zusammenarbeit ergänzt. Im Rahmen von zwei Finanzprotokollen erhielt Israel Darlehen in Höhe von 30 sowie 40 Millionen ECU. Ein drittes Finanzprotokoll wurde 1987 als Anpassung an die um Spanien und Portugal erweiterte Gemeinschaft unterschrieben, das mit einer fünfjährigen Laufzeit Finanzhilfen und Darlehen in Höhe von 63 Millionen ECU beinhaltete. Dieses Abkommen trat allerdings aufgrund der Forderung des Europäischen Parlaments, der Vertrag müsse auch volle Anwendung auf die von Israel besetzten arabischen Gebiete finden, erst mit erheblicher Verzögerung 1989 in Kraft.
Im Gegensatz zur positiven Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen blieben die politischen Beziehungen -auch wegen des Fehlens einer kohärenten gemeinschaftlichen Außenpolitik der Europäischen Union -unterentwickelt. Die Institutionalisierung eines ständigen Gesprächs als Entsprechung zum euro-arabischen Dialog und ab 1988 im Rahmen des Kooperationsabkommens mit dem Golf-Kooperationsrat kam nicht zustande. Angesichts der unterschiedlich stark entwickelten Verbindungen zu dem hebräischen Staat, insbesondere des durch den Nationalsozialismus geprägten besonderen Verhältnisses der Bundesrepublik Deutschland zu Israel, und der aus der Kolonialzeit stammenden engen politischen Beziehungen anderer EG-Länder zu Staaten des Mittelmeerraumes lag das Schwergewicht der politischen Kontakte zu Israel stets auf bilateraler Ebene.
Die im scharfen Kontrast zur wirtschaftlichen Integration stehende politische Uneinigkeit der EG kam Israel entgegen, das glaubte, in dieser Form der Beziehungen seine Interessen gegenüber seinen feindlich gesinnten Nachbarn besser behaupten zu können, indem der jüdische Staat versuchte, die aus seiner Sicht mehrheitlich zu proarabisch orientierte Europäische Gemeinschaft aus der Nahostpolitik herauszuhalten. Symbolhaft für diese Konstellation verlief der erste Besuch des israelischen Staatspräsidenten Chaim Herzog bei einer europäischen Institution. Es war bezeichnend, daß er in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament am 12. Februar 1985 mit keinem Wort auf die Nahostpolitik der Europäischen Gemeinschaft einging, die anders als der amerikanisch-israelische Ansatz stärker auf einen Ausgleich durch einen multinationalen arabisch-israelischen Dialog setzte 1.
In dieser Rede existierte die Europäische Gemeinschaft politisch nur als der gelungene Versuch, anstelle des Gegeneinanders und der Kriege in der Vergangenheit eine Zukunft zu begründen, die auf Zusammenarbeit und Verteidigung der gemeinsamen Werte beruhte. Eine multinationale Kooperationsform, die Herzog auch für den Nahen Osten als erstrebenswert bezeichnete. Er . verband aber mit dieser Feststellung den allgemein formulierten Vorwurf der mangelnden Solidarität. Es sei traurig zu beobachten gewesen, „daß Demokratien es für angebracht hielten, eine kleine Demokratie im Stich zu lassen, die in einer Region um ihre Existenz kämpfte, in der totalitäre Regime die Überhand hatten“ Politisch nutzte Herzog die Bühne des Straßburger Parlaments, um an die Sowjetunion zu appellieren, den jüdischen Bürgern die Ausübung ihrer Menschenrechte in den Bereichen Erziehung und Religion zu gewähren und denjenigen, die es wünschten, die Ausreise nach Israel zu ermöglichen. Er erkannte sogar an, daß das Europäische Parlament, das stets für die Rechte und die Würde des Menschen eintrete, auch angesichts der Inhaftierung jüdischer Bürger in der Sowjetunion nicht stumm geblieben sei. Doch auf die wiederholten Resolutionen des Europäischen Parlaments, in denen Israel aufgefordert wurde, die gleichen Grundrechte auch den Menschen in den besetzten arabischen Gebieten zukommen zu lassen, ging Herzog nicht einmal andeutungsweise ein.
Sehr konkret wurde der israelische Staatspräsident aber, als er von der existentiellen Bedeutung der wirtschaftlichen Verbindung Israels zur Europäischen Gemeinschaft sprach. Wenn Israel politisch auf die absolute Rückendeckung durch die USA setzte, so hing es in seiner wirtschaftlichen Existenz in erster Linie von einer Anbindung an den Gemeinsamen Markt der EG ab. Angesichts der bevorstehenden Erweiterung der Gemeinschaft um Spanien und Portugal zum 1. Januar 1986 sah Israel sich in einer Konkurrenz zu diesen beiden Ländern, die mit einer ähnlichen, und von nun an privilegierten Produktpalette zu einer Bedrohung der wirtschaftlichen Grundlage Israels hätten werden können. In seinem Appell an die Europaabgeordneten machte Herzog die Abhängigkeit Israels von Europa exemplarisch deutlich: „Unser Handelsdefizit gegenüber der Gemeinschaft hat sich in den letzten Jahren vergrößert. Ihren Statistiken zufolge betrugen die Exporte in die Gemeinschaft im Laufe des Jahres 1983 2, 048 Milliarden ECU, während wir für 424 Milliarden ECU importierten. Mehr als ein Drittel unserer Exporte besteht aus frischen oder verarbeiteten landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Die Zukunft dieser Exporte steht auf dem Spiel, wenn nicht rechtzeitig angemessene Lösungen ausgehandelt werden. Wir haben für diese Produkte keine Alternative zu den EWG-Märkten. Trotz all unserer intensiven Bemühungen um eine Diversifizierung exportieren wir heute immer noch 80 Prozent unserer Blumen, 60 Prozent unserer Zitrusfrüchte, 85 Prozent unserer Zitrus-Nebenerzeugnisse und 90 Prozent unserer Erdbeeren auf Ihre Märkte.“ 3
II.
Die deutliche Ablehnung eines europäischen Einflusses auf die Entwicklung im Nahen Osten durch Israel hatte zur Folge, daß das Land bis heute lediglich einer der wichtigen Handelspartner der Gemeinschaft im Mittelmeerraum blieb. Schien diese südliche Nachbarregion angesichts der Umwälzungen in Mittel-und Osteuropa und des Einflusses, den die Europäische Union mit der Unterstützung des Prozesses der Transformation zu Demokratie und Marktwirtschaft nahm, aus dem Blickfeld zu geraten, so deutete sich -hervorgerufen durch den Golfkrieg, durch das Abkommen zwischen Israel und der PLO sowie durch das Phänomen des islamischen Fundamentalismus -in jüngster Zeit wieder eine verstärkte Hinwendung der EU zu diesem Raum an.
Die Europäische Union, deren politische Verantwortung als einziger Stabilitätsfaktor in dieser Region nach dem Zerfall der bipolaren Weltordnung enorm zugenommen hat, will dieser neuen Verantwortung durch eine Doppelstrategie gerecht werden: Auf dem Gipfeltreffen der Staats-und Regierungschefs der Union am 9. und 10. Dezember 1994 unter deutschem Vorsitz in Essen wurden nicht nur eine Strategie zur Heranführung und Anbindung der mittel-und osteuropäischen Länder an die Europäische Union beschlossen, sondern auch die Grundzüge einer neuen Mittelmeerpolitik der Union formuliert. Es wurde die Zielsetzung deutlich, die Mittelmeerländer bei ihrem Bemühen zur schrittweisen Umwandlung ihrer Region in ein Gebiet des Friedens, der Stabilität, des Wohlstandes und der Zusammenarbeit durch die Entwicklung einer Partnerschaft Europa-Mittelmeerraum zu unterstützen und die Handelsbeziehungen zwischen den Parteien auf der Grundlage der Ergebnisse der Uruguay-Runde zu stärken. Im Herbst 1995 soll unter spanischem EU-Vorsitz eine große Mittelmeerkonferenz aller beteiligten Länder durchgeführt werden
Als Adressaten dieser Partnerschaft werden Ägypten, Algerien, Israel, Jordanien, Libanon, Marokko, Syrien, Tunesien und die von Israel besetzten arabischen Gebiete genannt. Bis zur Vollendung der beantragten Mitgliedschaft werden auch Malta und Zypern sowie die Türkei in die angestrebte umfassende Partnerschaft einbezogen. Äls mögliche Bereiche für einen solchen umfassenden Vertrag wur-den von der Europäischen Kommission in Brüssel sowohl die industrielle und die Entwicklungszusammenarbeit, die soziale und kulturelle Kooperation sowie die Bereiche Energie, Umwelt, Informations-und Kommunikationstechnologie genannt als auch die Bereiche Dienstleistungen, Kapitalverkehr, Wissenschaft, Technik, Fremdenverkehr, Infrastruktur, Verkehrswesen sowie die Bekämpfung des Drogenhandels und der illegalen Einwanderung als zentrale Politikfelder hervorgehoben.
In seinem Rechenschaftsbericht vor dem Europäischen Parlament über die deutsche Präsidentschaft in der Europäischen Union im zweiten Halbjahr 1994 wies Bundeskanzler Helmut Kohl darauf hin, daß es im Gegensatz zu der Strategie gegenüber den Ländern Mittel-und Osteuropas, die eine langfristige Beitrittsperspektive für diese Länder enthalte, ein solches Zukunftsversprechen im südlichen Kooperationsprogramm nicht geben werde: „Im Mittelmeerraum verfolgt die Union die Strategie des Ausbaus und der Vertiefung der vertraglich vereinbarten Kooperation im Rahmen enger nachbarschaftlicher Beziehungen der beiden Regionen, allerdings ohne Beitrittsperspektive.“ Kohl kündigte zugleich den Abschluß neuer Abkommen der Union mit Israel, Marokko und Tunesien sowie mit Ägypten an und erklärte, daß die Union im Rahmen dieser neuen Initiative unter Bereitstellung einer beträchtlichen Hilfe sowohl zum Friedensprozeß im Nahen Osten als auch zu einem „qualitativen Sprung“ nach vorn in der Region beitragen könne. >
Offenbar sind die Staats-und Regierungschefs der Europäischen Union im Rahmen dieser neuen Politik auch gewillt, die Beziehungen zu Israel über den wirtschaftlichen Austausch hinaus auf eine neue politische Grundlage zu stellen. Erstmals wird in dem Abschlußdokument eines Gipfel-treffens der Union Israel eine herausgehobene Stellung zugebilligt. In den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Essen heißt es dazu: „Der Europäische Rat geht davon aus, daß Israel in Anbetracht seines hohen Entwicklungsstandes auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und des gemeinsamen Interesses im Verhältnis zur Europäischen Union einen privilegierten Status erhält. Dadurch wird auch die regionale wirtschaftliche Entwicklung im Nahen Osten unter Einbeziehung der palästinensischen Gebiete gestärkt werden. Der Europäische Rat bittet den Rat und die Kommission, ihm auf seiner nächsten Tagung über das Unternommene zu berichten. Der Europäische Rat war sich einig, daß die Europäische Union als größter internationaler Geber weiterhin einen maßgeblichen politischen und wirtschaftlichen Beitrag bei der Unterstützung des Nah-Ost-Friedensprozesses, insbesondere bei dem Aufbau in den palästinensischen Gebieten, leisten wird. Der Europäische Rat begrüßt den Abschluß des israelisch-jordanischen Friedensvertrags, der die positive Entwicklung in den Beziehungen zwischen beiden Ländern konsolidiert und festigt.“
Aus dieser Erklärung wird zugleich deutlich, daß die Europäische Union weiterhin einen Anspruch auf politische Mitsprache im Nahen Osten aufrechterhält, und diesen auch aus ihrem überdurchschnittlichen finanziellen Engagement ableitet. In einer Presseerklärung, in der Jerusalem die Ankündigung des Mittelmeerprogramms durch die Union positiv bewertet, wurde die Israel zugedachte besondere Stellung begrüßt. Auf den politischen Ansatz in der Erklärung ging der Sprecher des Außenministeriums aber nicht ein
Erst eine Woche später, in der Reaktion auf die Erklärung des amtierenden EU-Ratsvorsitzenden, des deutschen Außenministers Klaus Kinkel, daß sich die Europäische Union mit Israel über Grundzüge eines erweiterten Handels-und Kooperationsabkommens sowie über zusätzliche Finanzhilfen geeinigt habe, wurde in Jerusalem zugestanden, daß das neue Abkommen auch den Weg für einen intensiven Dialog zu politischen Fragen eröffne.
III.
Die Ansätze für eine gemeinschaftliche Mittelmeerpolitik, in die Israel von Anfang an mit eingeschlossen werden sollte, liegen rund 25 Jahre zurück. Nach längeren Vorbereitungen hatten die Staats-und Regierungschefs der EG erstmals 1972 Leitlinien für ein ausgewogenes und umfassendes Konzept von Vereinbarungen mit den Ländern des südlichen Mittelmeers einschließlich Israels verabschiedet. Die daraus entstandenen Abkommen, zunächst im Jahr 1975 mit Israel und 1978 mit Algerien, Ägypten, Jordanien, dem Libanon, Marokko, Syrien und Tunesien, sollten ein Netzwerk bilden, das den Boden für eine politische europäisch-mediterrane Kooperation bilden sollte. Vor allem das umfassende Freihandelsabkommen mit Israel sollte dazu beitragen, die bis dahin herrschende politische Sprachlosigkeit zwischen Jerusalem und Brüssel zu beenden. Ein Ansatz, der auch von US-Außenminister Henry Kissinger unterstützt wurde
Doch anstelle des Aufbruchs zu einer engeren Zusammenarbeit kam es aufgrund der Spannungen im Nahen Osten und der veränderten Handels-ströme infolge der Ölkrise bald wieder zu Rückschlägen. Vor allem die Handelsrestriktionen der EG im Bereich von Textilien und Agrarprodukten führten dazu, daß die Mittelmeerländer ihre mit den Verträgen verbundenen Hoffnungen zutiefst enttäuscht sahen. Als Ergebnis der aus ihrer Sicht nicht eingelösten Versprechungen verlor die Gemeinschaft ihre Glaubwürdigkeit bei ihren Mittelmeerpartnern
Als Versuch, verlorenen Boden politisch wieder gutzumachen, starteten die EG-Staats-und Regierungschefs im Juni 1980 eine eigene Nahost-Initiative. In der Erklärung von Venedig versuchten sie unter Zugrundelegung der Resolutionen 242 und 338 der Vereinten Nationen, eine Brücke zum Frieden zwischen Israel und der PLO zu bauen In der H-Punkte-Erklärung wurden vier Grundbedingungen für eine Friedenslösung im Nahen Osten formuliert: -die Schaffung einer regionalen Sicherheitsstruktur, die insbesondere die Existenz des Staates Israel uneingeschränkt garantieren müsse; -die Beendigung der israelischen Siedlungspolitik in den besetzten arabischen Gebieten; -die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts auch für das palästinensische Volk sowie die Beteiligung der PLO am Friedensprozeß;
• -die Klärung des Status der Stadt Jerusalem, verbunden mit der Garantie auf freien Zugang zu allen Heiligen Stätten.
Versuche der EG, Israel bereits im Vorfeld des Gipfels für diese Vorschläge zu gewinnen, waren schon im Ansatz gescheitert. Nach dem Umzug der israelischen Regierung von Tel Aviv nach Jerusalem verlangte die israelische Regierung, daß auch der ständige Vertreter der EG unbedingt seinen Sitz in Jerusalem haben müsse. Mit dem auf der Grundlage des Handelsabkommens vertraglich vereinbarten Austausch von ständigen Vertretern sollten nun quasi die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der EG aufgenommen werden. Diese Forderung Israels wurde in Brüssel als Provokation aufgefaßt, da bis auf die Niederlande alle EG-Länder den Sitz ihrer Botschaften in Tel Aviv beibehalten hatten
Doch auch ohne derartige Irritationen war der Zeitpunkt, zu dem die Gemeinschaft mit der Erklärung von Venedig stärkeren Einfluß auf den Friedensprozeß im Nahen Osten gewinnen wollte, denkbar ungünstig. Die USA waren daran nicht interessiert, da sie bei ihrer Vermittlung des Abkommens zwischen Ägypten und Israel im März 1979 alle Fäden in der Hand zu haben schienen und den erhofften Fortgang des Prozesses nicht gestört wissen wollten. Israel wiederum sah sich durch den Friedensvertrag von Camp David in seiner Strategie bestätigt, wonach Israel nur mit jedem arabischen Nachbarn einzeln zu verhandeln bereit war und nicht mit allen zugleich auf einer Gesamt-Friedenskonferenz zum Nahen Osten. Nachdem mit Ägypten der große Durchbruch gelungen war, kam der europäische Vorschlag einem Rückschritt gleich. Selbst von arabischer Seite erhielt Brüssel wenig Zuspruch. Der ägyptisch-israelische Vertrag hatte im arabischen Lager derartige Spannungen ausgelöst, daß es zum Ausschluß Ägyptens aus der Arabischen Liga und zu einem Einfrieren des europäisch-arabischen Dialogs kam. Ein neuer Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen Europa und Israel zeichnete sich ab, der auch in verbalen gegenseitigen Angriffen und Verdächtigungen zum Ausdruck kam. So verstieg sich der israelische Außenminister Itzhak Shamir zu der Anschuldigung, die Europäische Gemeinschaft unterstütze den antisemitischen Terrorismus. Anlaß war ein Treffen der EG-Außenminister mit Vertretern arabischer Staaten in Luxemburg am 7. Oktober 1980
Noch größere Verärgerung rief in Jerusalem ein EG-Vorschlag hervor, der von den Europäern zwar als nicht öffentliches Arbeitsdokument heruntergespielt wurde, das aber dennoch Grundlage von offiziellen Gesprächen des holländischen Außenministers Christoph van der Klaauw in mehreren Hauptstädten des Nahen Ostens war. Auch die Außenminister Großbritanniens und Frankreichs, Lord Carrington und Jean Francois-Poncet, fühlten bei Vertretern der Reagan-Administration in Washington vor, welche Chancen ein solcher Vorschlag haben könne. Danach sollte sich Israel in einem Zeitraum von zwei Jahren in die Grenzen von 1967 zurückziehen und die Siedlungen in der Westbank und im Gaza-Streifen sowie auf den Golanhöhen wieder aufgeben. Eine Interimsverwaltung sollte zunächst von den Vereinten Nationen errichtet werden, bis die Voraussetzungen für eine jordanisch-palästinensische Selbstverwaltung gegeben seien. Als Gegenleistung sollte die Sicherheit und die Existenz Israels garantiert werden -unter anderem durch die Einrichtung von demilitarisierten Zonen und den Überwachungseinsatz von Einheiten der Vereinten Nationen und der Europäischen Gemeinschaft
Als Reaktion darauf verweigerte Israels Ministerpräsident Menachem Begin den Europäern die gewünschte Teilnahme an der Friedenstruppe, die die Einhaltung des Camp-David-Vertrages auf der Sinai-Halbinsel überwachen sollte Auf der Gegenseite stellten die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft am 9. Juni 1982 öffentlich Überlegungen an, Wirtschaftssanktionen gegen Israel zu verhängen, wenn Jerusalem seine Truppen nicht umgehend aus dem Libanon zurückziehe
IV.
Mitte der achtziger Jahre versuchten beide Seiten, wieder ein wenig aufeinander zuzugehen. Erster sichtbarer Ausdruck war die vom israelischen Staatspräsidenten angenommene Einladung, das Europäische Parlament in Straßburg zu besuchen. Den Durchbruch zu einem besseren Klima schaffte Anfang 1986 dann Ministerpräsident Shimon Peres, der sich im Gegensatz zu den Vertretern des mitregierenden Likud-Blocks von besseren Beziehungen zur EG nicht nur wirtschaftliche Vorteile versprach, sondern auch ein zusätzliches Element bei der Suche nach einer Verhandlungslösung für den Nahen Osten. Auf seiner Europareise, die ihn nach Brüssel, London, Den Haag und Bonn führte, fand er nicht nur Unterstützung für sein Anliegen, sondern auch die Versicherung von Seiten der Kommission, daß trotz des Beitritts von Spanien und Portugal zur EG das Exportvolumen Israels in den Gemeinsamen Markt nicht verringert werden solle. Man kam überein, schnell entsprechende Protokolle zur Anpassung des Freihandelsabkommens an die erweiterte Gemeinschaft abzuschließen. Entscheidend aber für die Verbesserung der Beziehungen wurde ein Treffen mit Spaniens Ministerpräsident Felipe Gonzales in Den Haag. Die dort getroffene Vereinbarung, erstmals zwischen beiden Ländern diplomatische Beziehungen aufzunehmen, wurde selbst in Washington überschwenglich begrüßt. Heftige Kritik an der Entscheidung Spaniens kam dagegen vom Generalsekretär der Arabischen Liga, Chedli Klibi
Der lang herbeigesehnte Frühling in den Beziehungen wurde sehr bald einer neuen Belastungsprobe ausgesetzt. Zwar hatte die EG-Kommission ihr Versprechen eingehalten, die drei zusätzlichen Finanzprotokolle zu dem 1975 abgeschlossenen Handelsabkommen zwischen der EG und Israel zügig auszuhandeln, doch die für das Inkrafttreten notwendige Hürde im Europäischen Parlament konnten die Abkommen nicht überwinden. Mit der Einheitlichen Akte hatten die Europaabgeordneten 1987 das Recht erhalten, wirtschaftspolitische Verträge mit Drittstaaten mit der absoluten Mehrheit der Mitglieder des Parlaments ratifizieren zu dürfen. Und obwohl es sich bei den Protokollen um verfahrenstechnische Anpassungen an die veränderte Situation nach dem Beitritt Spaniens und Portugals zur EG handelte und allenfalls die Finanzzusagen überwiegend politischer Natur waren, wurden die Protokolle in der Ratifikationsdebatte im Februar 1988 auf Antrag der linken Fraktionen des Parlaments in den Ausschuß zurücküberwiesen. Als Begründung nannte Berichterstatter Rüdiger Hitziggrath (SPD/D) die fehlende Zusicherung der EG-Kommission, daß die finanziellen Mittel der EG anteilsmäßig auch der arabischen Bevölkerung in den von Israel besetzten Gebieten zukomme. Außerdem müsse Israel noch eine Erklärung abgeben, daß die Exporte der Palästinenser aus den besetzten Gebieten den gleichen freien Zugang zu der Gemeinschaft hätten wie die israelischen Waren
Schon in der Januar-Sitzung waren die Verträge, wenn auch ohne formale Abstimmung, von der Tagesordnung des Parlaments abgesetzt worden. Statt dessen wurde eine Dringlichkeitserklärung verabschiedet, in der die israelische Regierung aufgefordert wurde, die Vertreibung von palästinensischen Bürgern in den besetzten Gebieten einzustellen. Die israelischen Behörden sollten entsprechend der Genfer Konvention auf jede Form von kollektiven Repressalien gegen die Palästinenser verzichten und die Rechte und das Eigentum der Zivilbevölkerung achten
Mit dem erneuten Scheitern der Verträge im dritten Anlauf im März war deutlich geworden, daß es dem Parlament nicht nur um eine Drohgebärde ging, sondern daß es tatsächlich Ernst machte mit der Forderung nach verbindlichen zusätzlichen Erklärungen, damit die EG-Finanzhilfe und die zins-begünstigten Kredite der Europäischen Investitionsbank in Höhe von 130 Millionen Mark auch der palästinensischen Bevölkerung zugute kommen sollten. Der in den internationalen Beziehungen ungewöhnliche Fall war eingetreten, daß ein bereits ausgehandelter Vertrag aufgrund parlamentarischen Drucks nachgebessert werden mußte
Aufgrund eines zwischen der Regierung Jerusalems und der Brüsseler Kommission vereinbarten Aide-memoire von Ende Mai 1988 kam die Verabschiedung der drei Abkommen im Juli erneut auf die Tagesordnung des Parlaments. Die israelische Regierung hatte zugesagt, daß die palästinensischen Erzeuger direkt mit europäischen Käufern verhandeln könnten, daß zudem der Transit durch israelisches Gebiet ermöglicht werde und daß israelische Häfen zur Versendung der palästinensischen Erzeugnisse zur Verfügung ständen. Auf Fragen der Abgeordneten gestand der für den Außenhandel zuständige Kommissar Willy de Clercq jedoch zu, daß es keine Gewähr dafür gebe, daß diese Zusagen auch eingehalten würden oder daß bei Nichteinhaltung eine Vertragsverletzung entstehe. Um die Gefahr einer nochmaligen Verweigerung der Zustimmung durch das Europäische Parlament zu vermeiden, schlug das Präsidium dem Plenum vor, die Abstimmung auf Oktober zu verschieben, um die Abkommen dann mit ähnlichen Protokollen zum Vertrag mit Syrien zu verabschieden. Eine Ratifizierung im September sollte deshalb nicht vorgenommen werden, weil in dieser Sitzungswoche der Besuch von Palästinenser-Führer Arafat auf Einladung der sozialistischen Fraktion in Straßburg anstand
Im fünften Anlauf gelang es endlich, die Verträge im Oktober mit einer Verzögerung von einem dreiviertel Jahr zu verabschieden. Zwischenzeitlich war das Ringen um die Protokolle zu einem Wahlkampfthema in Israel geworden. Besonders enttäuscht zeigte sich Jerusalem über Bonn, das es als Ratspräsidentschaft nicht vermocht hatte, das Parlament zum Einlenken zu bewegen, obwohl der Außenminister wie auch der Kanzler selbst alles versucht hatten, die Haltung der Parlamentarier positiv zu beeinflussen. In den israelischen Medien war die Meinung zu hören, daß sich das Land von den Europäern nicht alles gefallen lassen dürfe und selbst zurückschlagen solle. Immerhin liefere die EG Waren für über sechs Milliarden US-Dollar im Jahr nach Israel, das seinerseits nur Güter im Wert von knapp drei Milliarden nach Europa exportiere. Dennoch lenkte Jerusalem schließlich ein. Zwei Tage vor der Abstimmung in Straßburg gab der israelische Landwirtschaftsminister die Unterzeichnung eines Abkommens mit der EG bekannt, in dem die Forderungen des Europaparlaments hinsichtlich der Palästinenser voll erfüllt wurden. Während die Sozalisten in Straßburg deutlich machten, daß ihr Ja zu den Protokollen dennoch keinesfalls eine Einverständniserklärung mit der israelischen Politik in den besetzten Gebieten sei, erklärten die Christdemokraten, daß sie die Verzögerung bedauerten und immer für die Unterzeichnung der Abkommen gewesen seien. Sie räumten aber ein, daß durch die Standhaftigkeit des Parlaments am Ende ein hervorragendes Resultat erzielt worden sei
Das ungewöhnlich harte Ringen um die Zusatzprotokolle zu einem Vertrag hatte dennoch einen positiven Ausgang. Wenn auch unter größten Schwierigkeiten, war ein neuer Dialog entstanden und mit ihm auch ein gewisser Respekt vor der Haltung der Europäer. Lord Plumb, der Präsident des Europäischen Parlaments, wurde im Januar 1989 nach Jerusalem eingeladen, um vor der Knes-set zu sprechen. Wohl wissend, daß er nicht auf Zustimmung stoßen würde, vertrat er dennoch die europäische Position, die nach wie vor lautete: Einberufung einer internationalen Konferenz zur Lösung des Nahost-Problems unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen. Andernfalls drohe Israel mehr und mehr isoliert zu werden. Israel solle die Chance der veränderten weltpolitischen Konstellationen nicht verpassen. Die Zeit für den Frieden sei gekommen
Doch statt des Friedens nahm die Gewalt im Nahen Osten zu. Je länger die Intifada, der Widerstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzungsmacht, dauerte, desto härter reagierten die israelischen Behörden. Die Eskalation der Gewalt nahm derartige Formen an, daß sich die Europäische Union nach dem Gipfel von Rom veranlaßt sah, die Außenminister-Troika, bestehend aus der amtierenden, der vorhergehenden und der nachfolgenden Ratsmacht der EG, zu Gesprächen nach Jerusalem zu schicken. Unter Hinweis, daß sich die Europäische Union auf Druck des Europäischen Parlaments gezwungen sehen könnte, wirtschaftliche Sanktionen gegen den hebräischen Staat zu verhängen, verlangten die Außenminister Italiens, Irlands und Luxemburgs erneut die Bereitschaft Israels, in direkte Verhandlungen mit der PLO im Rahmen einer internationalen Nahost-Friedenskonferenz einzutreten
V.
Die Annexion Kuwaits durch den Irak und der nachfolgende Golfkrieg veränderten die politische Landschaft im Nahen Osten nachhaltig, ebenso die Beziehungen Europas zu Israel. Die Tatsache, daß vor allem britische, französische und italienische Truppen ohne zu zögern bereit waren, an der Seite der USA den Irak auf sein Territorium zurückzudrängen, führten in Verbindung mit der finanziellen Solidarität Europas mit dem erneut in seiner Existenz bedrohten jüdischen Staat in Israel zu einem Umdenken. Auch wenn nach der Beendigung des Krieges die USA unter Außenminister James Baker sofort die Initiative ergriffen, um die Situation, hinter der die Europäer mit ihrer schwerfälligen außenpolitischen Zusammenarbeit stets hinterherhinkten, für politische Lösungen zu nutzen, so hatte Israel fortan aber nichts mehr gegen die Europäer am Verhandlungstisch für eine Nahostlösung einzuwenden
Im Gegenteil, Shimon Peres entwickelte sich immer mehr zu einem Fürsprecher enger europäisch-israelischer Verbindungen und stellte wiederholt Europa als Vorbild für ein künftiges friedliches Miteinander im Nahen Osten hin Die positive Entwicklung in den Beziehungen setzte sich fort, auch wenn sich die Europäer weiterhin nicht in die auf bilateraler Ebene unter Vermittlung der Vereinigten Staaten zu verzeichnenden Fortschritte im Friedensprozeß einzuklinken vermochten. So begannen 1992 Verhandlungen, um das seit 1975 bestehende Abkommen neu zu fassen; über dessen Grundlinien einigten sich die Außenminister im Dezember 1994. Danach soll sich das Abkommen künftig auf vier Pfeiler der Zusammenarbeit stützen: -einen politischen Dialog; -die Erweiterung des Freihandelskonzeptes über die gewerblichen Erzeugnisse hinaus auf das Niederlassungsrecht, auf transnationale Dienstleistungen, auf das öffentliche Vergabewesen, den Kapitalverkehr und den Wettbewerb; -eine intensive Zusammenarbeit in allen Bereichen, vom Bankwesen bis zur Forschung, Technologie und Energie, sowie -eine Unterstützung der regionalen Zusammenarbeit. Ein noch nicht gelöstes Problem stellt im Handel zwischen Israel und der Europäischen Union nur der zunehmende Import von europäischen Waren dar, dem ein stagnierender Export in die Union gegenübersteht. Dadurch hat sich zuletzt ein Außenhandelsüberschuß von 5, 6 Milliarden US-Dollar im Jahr 1993 für die EU ergeben
Nach Abschluß des Abkommens zwischen Israel und der PLO stellte die Europäische Union sofort eine umfangreiche Hilfe für den Aufbau der palästinensischen Selbstverwaltung bereit. So überstieg bereits im Jahr 1993 die Hilfe für die Palästinenser die 100-Millionen-ECU-Marke. Für den Zeitraum 1994 bis 1998 sind 500 Millionen ECU Direkthilfe vorgesehen zur Unterstützung der Projekte in den Bereichen Wohnungsbau, Bildung, der Gründung kleiner und mittlerer Unternehmen sowie für technische Hilfe beim Aufbau demokratischer Institutionen. Darüber hinaus sind im Rahmen einer horizontalen finanziellen Zusammenarbeit im Zusammenhang mit der Mittelmeerpolitik der Union von der Kommission weitere Finanzmittel für die besetzten Gebiete vorgesehen, die sowohl aus dem Gemeinschaftshaushalt als über Darlehen der Europäischen Investitionsbank finanziert werden sollen.
Die inzwischen gute europäisch-israelische Zusammenarbit wurde 1992 noch durch den Abschluß eines Freihandelsabkommens zwischen Israel und den EFTA-Staaten ergänzt, das Israel inzwischen einen Status einräumt, der einem Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraumes sehr nahe kommt. Ein Zustand, der -abgesehen von der geringen industriellen Zusammenarbeit und den kaum vorhandenen europäisch-israelischen Joint ventures -wenig wirtschaftliche Wünsche offenläßt. So sieht Israel seine Zukunft denn auch aufs engste mit der gesamteuropäischen wirtschaftlichen und währungspolitischen Integration verbunden.