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Wege zu mehr Beschäftigung aus der Sicht der Wirtschaft | APuZ 15/1995 | bpb.de

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APuZ 15/1995 Die Krise der Arbeitsgesellschaft: Machtpolitischer Kampfplatz zweier „Ökonomien“ Hohe Arbeitslosigkeit in den Industrieländern Was sagen die Ökonomen? Die Arbeitsgesellschaft vor den Herausforderungen von Geld und Natur Wege zu mehr Beschäftigung aus der Sicht der Wirtschaft

Wege zu mehr Beschäftigung aus der Sicht der Wirtschaft

Robert Reichling

/ 14 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Angesichts der drängenden Probleme auf dem Arbeitsmarkt ist es dringend erforderlich, alle politische Kraft darauf zu konzentrieren, rentable und dauerhafte Arbeitsplätze auf dem regulären Ersten Arbeitsmarkt zu schaffen und zu erhalten. Im Rahmen einer Gesamtstrategie, in die alle relevanten Politikbereiche einbezogen sind, müssen die ökonomischen Spielregeln festgelegt und die Rahmenbedingungen so justiert werden, daß menschliche Arbeitsleistung auch im globalen Wettbewerb am Standort Deutschland eine Chance hat. Nur über diesen Weg können wir zu mehr Beschäftigung -unabdingbare Voraussetzung für den Abbau der Arbeitslosigkeit -kommen. Und nur über diesen Weg können wir die zur Abfederung vorübergehender Arbeitslosigkeit notwendige Sozialpolitik auch künftig noch finanzieren.

I. Ausgangssituation

Die derzeitige Arbeitsmarktlage ist geprägt durch knapp vier Millionen Arbeitslose und weitere rund 1, 5 Millionen Personen, die durch Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit vor Arbeitslosigkeit bewahrt werden. Diese Beschäftigungslücke wieder zu schließen ist die entscheidende Herausforderung der neunziger Jahre.

In Ostdeutschland ist die fundamentale Anpassungskrise auf dem Arbeitsmarkt zwar noch nicht überwunden, aber zunehmend werden Stabilisierungstendenzen spürbar. In Westdeutschland verharrt die Arbeitslosigkeit ungeachtet der wirtschaftlichen Erholung auf hohem Niveau. Der insbesondere durch veränderte Kostenstrukturen bedingte Qualitätsverlust des deutschen Wirtschaftsstandortes ist gegenwärtig verantwortlich dafür, daß die Beschäftigung nicht angemessen am konjunkturellen Aufschwung partizipiert. Vor allem bleibt die Sorge, daß nach dem jetzigen Wirtschaftsaufschwung erneut eine höhere Sockel-arbeitslosigkeit -Arbeitslosigkeit, die auch in konjunkturellen Hochphasen besteht -zurückbleibt.

Um diesen Sockel ebenso wie die Langzeitarbeitslosigkeit nachhaltig zu reduzieren, stehen alle Politikbereiche vor der Aufgabe, durch neue Ordnungsstrukturen sowie durch eine Neujustierung ihrer Instrumente die Beschäftigung insgesamt spürbar, zu erhöhen. Die Beschäftigungslage in Deutschland kann nur im Rahmen einer grundsätzlichen und längerfristig wirksamen Gesamtstrategie nachhaltig verbessert werden. Deren Erfolge werden um so größer sein, je besser es dabei gelingt, insbesondere die im folgenden skizzierten Fehlentwicklungen aus der Vergangenheit zu korrigieren. 1. Arbeit zu teuer und zu unflexibel In der Bundesrepublik Deutschland ist der Faktor Arbeit zu teuer und zu unflexibel geworden. Viele Arbeitsplätze haben wegen hoher Löhne und Lohnzusatzkosten ihre Rentabilität eingebüßt. Zwischen dem Nettoeinkommen, das das Arbeitsangebot der Arbeitnehmer bestimmt, und den Arbeitskosten, die die Arbeitsnachfrage der Unternehmen bestimmen, klafft eine stetig wachsende Lücke. Sie erfordert in den Unternehmen permanente Rationalisierungen zu Lasten der Beschäftigung. Zugleich verhindert sie, daß Arbeitsplätze, die im Zuge des Strukturwandels und der fortschreitenden Rationalisierungen wegfallen, durch neue, rentable und zukunftssichere Arbeitsplätze an anderer Stelle ersetzt werden können. Hierdurch wird auch der Strukturwandel zu mehr regulären Dienstleistungsarbeitsplätzen gestört.

Diese Entwicklung mündet in die Sackgasse einer Beschäftigungskrise und wachsender Schattenwirtschaft. Sie erschwert die Erschließung neuer Märkte, die den Einsatz innovativer Technologien und Produktionsverfahren voraussetzen, während unsere traditionellen Industriemärkte kostenbedingt ausbluten und ihr Beschäftigungspotential teilweise durch Produktionsverlagerung in Länder mit niedrigeren Arbeitskosten für Deutschland verlorengeht. Zugleich erhöht sich im Lande der politische Druck auf die Schaffung sozialer Ersatzbeschäftigungsformen. Unabdingbar ist daher die Rückkehr zu gesamtwirtschaftlich vertretbaren Kostenbedingungen, die die Voraussetzungen für Wachstum, Innovationen und Investitionen und damit für das Entstehen neuer, wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze sind.

Wenn die Rahmenbedingungen entsprechend ausgerichtet werden, ist die Befürchtung, daß sich der wirtschaftliche Erholungsprozeß auf Grund steigender Produktivität nicht hinreichend stark in Beschäftigung umsetzen werde, unbegründet: „Wachstum ohne Arbeitsplätze“ (jobless growth) ist kein Schicksal, dem wir hilflos ausgesetzt sind. Gerade die Erfahrungen der achtziger Jahre in Deutschland zeigen, daß ein beschäftigungsintensives Wachstum möglich ist, wenn nur die Kosten-relationen stimmen. Die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und bei den Gewerkschaften haben es daher selbst in der Hand, mit der Überwindung der Konjunktur-und Strukturkrise mehr Arbeitsplätze zu schaffen. 2. Belastungsgrenzen für Wirtschaft und Sozialstaat überschritten Der marktwirtschaftliche Funktionsmechanismus ist nachhaltig gestört. Ein Staatsanteil -der Anteil des öffentlichen Sektors an den gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten -von rund 50 Prozent ist weit überhöht und beschneidet private Aktivitäten. Gleichzeitig ist'die Staatsverschuldung mit rund zwei Billionen DM längst überreizt. Die Zinslast ist zum zweithöchsten Etatposten geworden und beschränkt so die Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft empfindlich.

Das Sozialbudget zehrt bereits jede dritte Mark auf. Die volkswirtschaftliche Steuer-und Abgabenquote liegt mit 45 Prozent wettbewerbsfeindlich hoch. Zu den hohen Lohnkosten summieren sich so fast ebenso hohe Lohnzusatzkosten, also der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung. Immer weniger Unternehmen können diese Kosten-last tragen, die zur Deckung notwendigen Mittel aus eigener Kraft erwirtschaften. Die dringend erforderlichen zusätzlichen Arbeitsplätze können so nicht entstehen. Die Sozialpolitik selbst muß einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung leisten.

Notwendig sind auch mehr Initiative und Tatkraft beim Abbau lähmender Regulierungsdichte, Erstarrung und Verkrustung. Mangelnde Flexibilität und institutioneile wie auch gesetzliche Hemmnisse und Regelungen im gesamten Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Arbeitsrechts-und Sozialsystem behindern die Beschäftigungsdynamik und müssen überwunden werden. 3. Arbeit und Arbeitslosigkeit im gesellschaftlichen Wertewandel Bei der gesellschaftspolitischen Bewertung der gegenwärtig hohen Arbeitslosigkeit muß berücksichtigt werden, daß sich ein gesellschaftlicher Wandel in der Einstellung zur Arbeitslosigkeit vollzogen hat. Statt des individuellen Bemühens um Vermeidung oder Verkürzung der Arbeitslosigkeit ist es praktisch normal geworden, Ansprüche bei Arbeitslosigkeit extensiv auszuschöpfen oder auf diese Weise Wartezeiten zu überbrücken.

Damit einher geht ein verändertes Verhältnis zur und Verständnis von Arbeit, deren Stellenwert sich erheblich verändert hat. Über die materiellen Zwecke hinaus treten Werte wie individuelle Entfaltung -„Selbstverwirklichung“ -oder die Verfolgung von Freizeitinteressen stärker hervor.

Gleichzeitig werden die Grenzen zwischen regulärer Beschäftigung und Nicht-Beschäftigung zunehmend unscharf. Über das Standarderwerbsverhältnis hinaus gibt es nach Dauer, Intensität und Einkommenserzielung unterschiedliche Betätigungsformen: von flexiblen Arbeitsverhältnissen über ehrenamtliche Tätigkeiten bis hin zur Nachbarschaftshilfe und Schwarzarbeit. In der Schattenwirtschaft werden die Grenzen legalen Handelns in unterschiedlicher Weise überschritten. Wenn auch manches als Akt der persönlichen und spontanen Deregulierung, der Befreiung von Abgabenlasten und Reglementierungen verständlich erscheint, so muß dieses Phänomen doch Anlaß geben, die tiefer liegenden Ursachen zu beseitigen.

II. Umfassende gesamtwirtschaftliche Politik für mehr Beschäftigung

Einen Königsweg zur Überwindung der Beschäftigungskrise gibt es nicht. Da sie vielfältige Ursachen hat, muß sie auch umfassend und vom Grunde her durch eine koordinierte gesamtwirtschaftliche Offensivstrategie bekämpft werden. Mit den im folgenden skizzierten Handlungsfeldern der Tarif-, Arbeitszeit-, Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitik kann nur der drängendste Revisionsbedarf benannt werden. Die Arbeitsmarktpolitik muß diese gesamtwirtschaftliche Offensivstrategie fördern und flankieren; keinesfalls kann sie sie ersetzen. 1. Handlungsfeld Lohn-und Tarifpolitik In Deutschland haben Höhe und Entwicklung der Kosten für Arbeit eine wettbewerbsfeindliche und somit beschäftigungsschädigende Dimension erreicht. Lohn und Leistung sind aus dem Gleichgewicht geraten, Erwirtschaftetes und Verteiltes klaffen inzwischen weit auseinander. Die Lohn-politik muß und kann einen maßgeblichen Beitrag zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme leisten.

Nur rentable Arbeitsplätze sind sichere Arbeitsplätze. Erst wenn die Rentabilitätsschwelle für neue Projekte erreicht wird, entstehen zusätzliche Arbeitsplätze. Eine Korrektur des Kostenniveaus stärkt die Ertragskraft, eröffnet weitere Finanzierungs-und Handlungsspielräume und schafft so mehr Produktion und Beschäftigung.

Die tarifliche Lohnpolitik muß wieder angemessen flexibel und ausreichend differenziert gestaltet werden, damit der Lohn seine Lenkungs-und Marktausgleichsfunktion erfüllen kann. Die Tarifverträge müssen wieder Mindestvereinbarungen im tatsächlichen Wortsinn festlegen, mit denen auch schwächere Unternehmen unter dem Dach eines Flächen-und Branchentarifes leben können. Insgesamt brauchen die Betriebe deutlich größere Spielräume bei der konkreten Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen vor Ort.

Spezielle tarifliche Wiedereinstiegsklauseln können gleichfalls ein Weg sein, gezielt die Einstellungschancen von Arbeitslosen zu erhöhen. Allgemeine Öffnungs-und Härtefallklauseln sind demgegenüber allenfalls ein Notbehelf zur nachträglichen tariflichen Lohnkorrektur in einzelnen Betrieben. Sie können den Zwang zur Gesamtkorrektur mit dem Ziel einer beschäftigungsgerechten Tarifpolitik nicht mindern und sind deshalb kein dauerhaftes Instrument der Tarifpolitik.

Die stark gestiegenen Lohnzusatzkosten, seien sie gesetzlich, tariflich oder betrieblich bedingt, müssen wieder auf ein vertretbares Maß zurückgeführt werden. 2. Handlungsfeld Arbeitszeitpolitik Eine beschäftigungsfördernde Lohnpolitik muß durch eine offensive Arbeitszeitpolitik flankiert werden. Die Beschäftigungspolitik verläuft günstiger, wenn die Arbeitszeitregelungen der tatsächlichen Beschäftigungslage der Unternehmen deutlich flexibler als bisher angepaßt werden können und dabei insbesondere auch eine partielle oder zeitweise Verlängerung der individuellen Arbeitszeiten ohne einen überproportionalen Lohn-kostenanstieg ermöglichen.

Tarifpolitische Ansatzpunkte hierfür können die Vereinbarung von Arbeitszeitkorridoren und Jahresarbeitszeitregelungen sein. Ein System „atmender Arbeitszeiten“ senkt die Arbeitskosten, indem es automatisch Minder-und Mehrarbeit innerhalb einer Spannbreite untereinander verrechnet. Zugleich können durch flexible Arbeitszeitgestaltung die Betriebsnutzungszeiten stärker als bisher von den individuellen Arbeitszeiten entkoppelt und damit mit positiven Kostensenkungseffekten auf das Niveau bei unseren ausländischen Konkurrenten ausgeweitet werden.

Auch bei Arbeitszeitmodellen, die Entlassungen verhindern oder abfangen wollen, ist die Kosten-frage entscheidend. Unrentable Arbeitsplätze können auch durch Umverteilung der Arbeitszeit nicht dauerhaft erhalten werden. Eine Rationierung und Umverteilung von Arbeit kann keinen substantiellen Beitrag für die Bewältigung der Kostenkrise und der Arbeitsplätzeknappheit leisten. Jede Arbeitszeitverkürzung muß Volks-und betriebswirtschaftlich kostenneutral erfolgen und darf die Betriebsnutzungszeiten nicht weiter reduzieren.

Die Ausschöpfung des großen Teilzeitreservoirs sollte offensiv gefördert werden. Alle Erhebungen ergeben ein großes Potential an Teilzeitwünschen auf Seiten der Arbeitnehmer ebenso wie von Teilzeitmöglichkeiten auf Seiten der Wirtschaft. Tatsächlich ist der Spielraum noch längst nicht ausgeschöpft. Der weitere Ausbau der Teilzeitarbeit verlangt Flexibilität bei allen Beteiligten. Ein konstruktives Weiterdenken ist nicht nur in den Betrieben erforderlich, sondern auch auf Seiten der Gewerkschaften und Betriebsräte. 3. Handlungsfeld Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitik Die Wirtschafts-und Finanzpolitik muß einen konsequenten Konsolidierungskurs verfolgen, um Vertrauen in die zukünftige wirtschaftliche und soziale Entwicklung zurückzugewinnen. Der hohe Staatsanteil, die exorbitante Steuer-und Abgaben-quote und die enorme Staatsverschuldung sind alarmierende Zeichen einer Fehlentwicklung, die korrigiert werden muß. Dazu gehört auch, daß sich der Staat aus Handlungsfeldern zurückzieht, die grundsätzlich der Privatinitiative Vorbehalten sein sollten.

Entsprechende Rahmenbedingungen können entscheidende Impulse für die unternehmerischen Forschungs-, Entwicklungs-und Innovationsaktivitäten geben. Das reicht von der Entschlackung überflüssiger bürokratischer Reglementierungen bis zur Überwindung einer irrationalen Technik-feindlichkeit in weiten Kreisen der Bevölkerung.

Gefordert ist auch eine bessere Verzahnung von Forschung und Anwendung und damit eine schnellere Umsetzung von Forschungsergebnissen in innovative, wettbewerbsfähige Produkte und Produktionsverfahren. Gen-, Bio-, Kernenergie-, Umwelt-, Verkehrs-, Luft-und Raumfahrttechnologien sind -so diskussionsbedürftig sie im einzelnen sind -Schlüsselbereiche für die Gewinnung der Zukunft.

In der sozialen Sicherungspolitik ist eine Neuabgrenzung von Solidarität und Subsidiarität in Richtung auf mehr Eigenverantwortung unabdingbar. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, daß die gesetzlichen Personalzusatzkosten -und hierbei insbesondere die Sozialversicherungsbeiträge -deutlich und nachhaltig gesenkt werden können.

Um Mitnahmeeffekte zu verringern, sollten steuerfinanzierte Sozialtransfers noch stärker als bisher einkommensabhängig gewährt und damit auf die wirklich Bedürftigen konzentriert werden. Ohne solche Korrekturen ist der Trend zu einer immer höheren Verschuldung des Staates nicht mehr aufzuhalten, wird die Last der öffentlichen Ausgaben nicht mehr beherrschbar sein.

In diesem Zusammenhang ist auch das Problem zu sehen, daß es sich im Rahmen des derzeitigen Sozialhilferechts für einen Sozialhilfeempfänger kaum mehr lohnt, ein reguläres Arbeitsverhältnis einzugehen, weil jedes zusätzliche Arbeitseinkommen bei der Bedürftigkeitsprüfung angerechnet wird. Es wäre viel gewonnen, wenn das in einer Reihe von Wirtschaftsbereichen vorhandene große Arbeitspotential der einfachen Tätigkeiten und Dienstleistungen durch eine Änderung dieser An-27 rechnungsregelung -d. h. durch die Einführung einer nur teilweisen Anrechnung des Arbeitseinkommens auf die Sozialhilfeleistungen -stärker ausgeschöpft werden könnte.

III. Gezielte Arbeitsmarktpolitik zur Flankierung von Wachstum und Beschäftigung

Arbeitsmarktpolitik soll die Ausgleichsvorgänge auf dem Arbeitsmarkt unterstützen und durch ein vielfältiges Förderinstrumentarium die Brücke zur Schaffung neuer wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze schlagen. Arbeitsmarktpolitik kann kein Ersatz für eine schlüssige Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitik sein, und sie kann von sich aus -entgegen weit verbreiteter Erwartung -keine Arbeitsplätze schaffen. Dieses Mißverständnis, das übrigens eine totale Überforderung der Arbeitsmarktpolitik impliziert, gilt es aufzulösen. Effizienz und Finanzierbarkeit sowie Gestaltungsspielräume sind mit Blick auf die großen Herausforderungen zurückzugewinnen bzw. die dafür notwendigen Parameter sind neu zu bestimmen. 1. Korrekur des arbeitsmarktpolitischen Finanzierungssystems Die großen arbeitsmarktpolitischen Anstrengungen beim Transformationsprozeß in den neuen Bundesländern -von der zentralen Planwirtschaft in das marktwirtschaftliche System Deutschlands -sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die dementsprechend von der Gesamtheit aller Staatsbürger und nicht nur -wie dies bisher systemwidrig der Fall ist -von den Beitragszahlern zur Bundesanstalt für Arbeit (BA) bewältigt werden muß.

Ganz grundsätzlich muß die Arbeitsmarktpolitik auf eine breitere und ausgewogenere Finanzierungsbasis gestellt werden. Die Aufgabenbereiche, die mit der Arbeitslosenversicherung in engerem Sinne verbunden sind, müssen von den arbeitsmarktpolitischen Aufgaben im weiteren Sinne finanziell getrennt werden. Die versicherungsbezogenen Leistungen -wie Arbeitslosengeld, Arbeitslosen-hilfe und Kurzarbeitergeld -müssen systemgerecht beitragsfinanziert, die versicherungsfremden Leistungen -wie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Qualifizierungsmaßnahmen -müssen demgegenüber steuerfinanziert werden.

Durch diese Mitfinanzierung aus allgemeinen Steuermitteln würde die über die BA hinausreichende beschäftigungspolitische Gesamtverantwortung von Staat und Gesellschaft deutlich und zugleich mit der Gesamtpolitik und deren Finanzierungsgrundlagen verknüpft. In der Beschäftigungskrise könnten so prozyklische Beitragserhöhungen vermieden werden. Im Gegenteil -der bisher kontraproduktiv hohe Beitragssatz könnte durch Befreiung des Faktors Arbeit von Zusatzlasten spürbar reduziert und so mehr Beschäftigung gefördert werden. Dies hätte insbesondere in den personalintensiven Bereichen der Wirtschaft unmittelbar positive Wirkungen. 2. Stärkung der regionalen Kompetenzen am Arbeitsmarkt Mit der Überprüfung*des Finanzierungssystems sollte eine stärkere Einbindung von Ländern und Kommunen in Mitfinanzierungsstrukturen und beschäftigungspolitische -Verantwortlichkeiten erfolgen. Dies würde die Reaktionsgeschwindigkeit der Arbeitsmarktpolitik erhöhen und ihre Zielgenauigkeit und Effektivität verbessern.

Eine regionalisierte Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik könnte die Verzahnung von Wirtschafts-, Struktur-, Bildungs-und Sozialpolitik mit der Arbeitsmarktpolitik unterstützen. Die wesentlichen Entscheidungen im arbeitsmarktrechtlichen Steuerungsprozeß wären dann mit den lokalen Akteuren abzustimmen. Es müssen neue Wege der dezentralen Aufgabenerledigung und der Optimierung von Arbeitsabläufen gegangen werden.

Hierdurch kann auch der Einsatz arbeitsmarktrelevanter Fördermittel der Länder mit den übrigen Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung optimiert werden. Dies gilt insbesondere auch für die Nutzung beschäftigungspolitischer Förderhilfen aus EG-Mitteln, die im Rahmen eines abgestimmten regionalen Gesamtkonzeptes eingesetzt werden und die die Wirkung der Instrumente des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) möglichst verstärken und nicht konterkarieren sollen. 3. Verbesserung der Arbeitsvermittlung Trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten gibt es eine Vielzahl von offenen Stellen, deren Summe faktisch dreimal größer ist als das bei den Arbeitsämtern registrierte Stellenangebot. Der geltende gesetzliche Vorrang der Vermittlung in Arbeit vor jedem Leistungsbezug muß wieder stärker in das allgemeine Bewußtsein und zur Richtschnur des praktischen Handels gemacht werden. Wir brauchen eine Vermittlungsoffensive, die die Arbeitsvermittler der Arbeitsämter, die Arbeitslosen und die Arbeitgeber gleichermaßen einbezieht und herausfordert. Offene Stellen müssen so schnell wie möglich besetzt, Beschäftigungsmöglichkeiten konsequent genutzt werden. Jeder unmittelbar besetzte Arbeitsplatz ist zugleich ein individueller, ein arbeitsmarktpolitischer und ein gesamtwirtschaftlicher Gewinn. Private Vermittlungskonkurrenz kann und wird diesen Prozeß nach den bisherigen Erfahrungen erheblich fördern.

Die Arbeitsämter müssen unbürokratischer als bisher agieren und die Arbeitsvermittlung unter Nutzung aller modernen Methoden deutlich stärker in den Mittelpunkt ihrer Dienstleistungsfunktion stellen. Die Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern ist bewußt auszubauen, um damit zusätzliches Vermittlungspotential zu erschließen. Aber auch die Arbeitlosen müssen verstärkt zur Kooperation verpflichtet werden. Mehr Eigeninitiative bei der Arbeitsplatzsuche sollte zur Regel werden. Die Ablehnung von Arbeitsangeboten darf leistungsrechtlich nicht folgenlos bleiben. Die strikte und systematische Anwendung der Zumutbarkeitsregeln bis hin zur Verhängung von Sperrzeiten ist im Interesse des Abbaus von Arbeitslosigkeit und zum Schutze der Solidargemeinschaft dringend notwendig.

Die Unternehmen unterstützen diesen Prozeß, wenn sie den Arbeitsämtern mehr als bisher ihre offenen Stellen melden. Sie sollten auch stärker von sich aus aktiv bei der Gestaltung des Vermittlungsgeschehens mitwirken, z. B. durch Nutzung der Vermittlung mit direkter Beteiligung des Arbeitsamtes („assistierte“ Vermittlung, Gruppenbewerbungsgespräche). Wichtig ist ein besserer Informationsfluß zwischen Unternehmen und Arbeitsämtern. Arbeitgeber sollten sich daher auch nicht scheuen, dem Arbeitsamt in jedem Fall die wahren Gründe für das Nichtzustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit einem Arbeitslosen mitzuteilen. 4. Gezielter Einsatz der aktiven arbeitsmarkt-politischen Instrumente zur Förderung regulärer Beschäftigung Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen müssen einer zügigen und paßgenauen Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt dienen und Initiative, Anpassungsfähigkeit wie auch Mobilität stärken. Es sollten die Arbeitsaufnahme gefördert und Hilfen und Anreize zum Ein-oder Umstieg in reguläre Beschäftigung gegeben werden.

Dazu gehören die Behebung von Qualifikationslücken durch Förderung von Fortbildung und Umschulung, insbesondere in der praxisbezogenen Betriebsvariante der Einarbeitungszuschüsse. In Betracht kommen weiterhin Eingliederungsbeihilfen und Lohnkostenzuschüsse zum Ausgleich verschiedener Merkmale der Schwervermittelbarkeit sowie flankierende Überbrückungshilfen für Arbeitslose, die sich selbständig machen wollen.

Durch gezielte Lohnkostenzuschüsse kann das Beschäftigungsniveau zwar generell kaum beeinflußt werden, wohl aber sind bei struktureller Arbeitslosigkeit zeitlich befristete und degressiv gestaltete Vermittlungshilfen für Problemgruppen aus sozialpolitischen Gründen durchaus wirksam und unumstritten. Einstellungshilfen für schwer vermittelbare Arbeitslose, für Langzeitarbeitslose und für ältere oder behinderte Arbeitslose verbessern deren Wettbewerbsposition. Sie verhindern zugleich, daß sich das Arbeitslosenrisiko ungleich verteilt und verfestigt.

Gerade diese Arbeitsförderungsinstrumente mit unmittelbarer Wirkung auf den Ersten Arbeitsmarkt sind angesichts der personellen und finanziellen Überforderung der BA stark zurückgefahren worden. Sie müssen -insbesondere auch durch die Möglichkeiten der Förderung befristeter Beschäftigungsverhältnisse -wieder attraktiver ausgestaltet und entsprechend finanziell ausgestattet werden. Dabei gilt es, Rückschnitte u. a. bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) in Kauf zu nehmen. 5. Stärkere Einbeziehung der Betriebe in die operative Arbeitsmarktpolitik Die Betriebe müssen als Akteure und Träger der Arbeitsmarktpolitik stärker als bisher -präventiv und gestaltend -mit den Arbeitsämtern Zusammenwirken. Dies gilt für Personaleinstellungen, aber auch bei notwendigen Personalanpassungen. Das Instrumentarium muß auf die akuten, praktischen Belange ausgerichtet werden.

So sind zum Beispiel „Probebeschäftigungen“ auch arbeitsförderungsrechtlich auszubauen. Die auf dem niederländischen „START“ -Modell basierende Konzeption, schwervermittelbare Arbeitslose über den Verleih zusammen mit „normalen Arbeitslosen“ in reguläre Dauerbeschäftigung zu vermitteln, verdient als innovatives arbeitsmarkt-politisches Instrument Unterstützung. Die hinter dieser Konzeption stehenden Gesellschaften erhöhen den sozialpolitischen Auftrag, indem sie unter Marktbedingungen operieren, d. h. die anfallenden Kosten grundsätzlich selbst erwirtschaften.

Sie unterscheiden sich damit prinzipiell von Gesellschaften des sogenannten Zweiten Arbeitsmarktes, die ihre Existenz letztlich aus staatlichen Subventionen ableiten, und haben diesen gegenüber daher förderungsrechtliche Priorität. Der arbeitsplatzschaffende Verleih von Arbeitslosen muß grundsätzlich für alle Branchen offenstehen und insoweit gerade auch den Baubereich als einen der Arbeitsplatzaktivposten erfassen. Das bedingt jedoch entsprechende Änderungen im Arbeitsförderungsgesetz. Die Bundesanstalt für Arbeit selbst sollte ihre gesetzlichen Möglichkeiten zur Vermittlung von Probearbeitsverhältnissen weit stärker als bisher ausschöpfen. Arbeitserprobung und Eignungsfeststellung sowie Probebeschäftigungen zur Verbesserung der Vermittlungsaussichten sind aktive Eingliederungsinstrumente im Rahmen der Förderung der Arbeitsaufnahme. Sie ermöglichen insbesondere Langzeitarbeitslosen den unmittelbaren Arbeitskontakt im Betrieb, ohne diesem das wirtschaftliche Risiko der temporären Beschäftigung aufzuerlegen. 6. Möglichkeiten und Konditionen öffentlich subventionierter Ersatzbeschäftigung Angesichts der Größenordnung und strukturellen Verfestigung der Arbeitsmarktungleichgewichte läßt sich die Arbeitslosigkeit trotz des massiven Einsatzes aller beschäftigungspolitischen Gegenmittel weder schnell noch im erhofften Umfang abbauen. Überlegungen zur Installierung eines Zweiten Arbeitsmarktes, die hier ansetzen, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Beschäftigungsproblem nur durch Schaffung zusätzlicher wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze zu lösen ist. Ein subventionierter Zweiter Arbeitsmarkt, der in Wahrheit das Gegenteil eines wirklichen Marktes ist, kann keine Alternative für den Ersten Arbeitsmarkt sein.

Programmatische Ansätze für staatlich subventionierte Ersatzbeschäftigung sind Ausdruck akuter, sozialpolitisch gebotener Notstandsmaßnahmen. Im Grunde gibt es kaum eine Arbeit, die nicht in einem regulären Beschäftigungsverhältnis getan werden könnte, solange sie nicht zu teuer ist. Mit Subventionierung wird insofern in den Markt eingegriffen, als hierdurch künstlich Arbeitsplätze geschaffen werden, die sonst -unter Marktbedingungen -nicht bestehen könnten. Wegen des absolut zwingenden Vorrangs regulärer Beschäftigung ist eine solche Subventionierung nur in äußerst engen und klar definierten Grenzen denkbar. Folgende Konditionen sind hierbei unerläßlich:

-Der Lohnabstand muß so deutlich sein, daß ein Anreiz zum baldmöglichen Übergang in den Ersten Arbeitsmarkt besteht.

-Die Betätigung muß befristet sein, um Verkrustungen und Beharrungstendenzen zu vermeiden.

-Eigeninteressen der Träger müssen zurückstehen, um einer Verselbständigung und Perpetuierung von Trägerinteressen entgegenzuwirken.

-Die arbeitsrechtliche Bindung muß so flexibel sein, daß jederzeit der Ausstieg möglich und attraktiv ist und der Einstieg in reguläre Beschäftigungen sofort erfolgen kann.

-Die Einsatzfelder müssen deutlich von denen des Ersten Arbeitsmarktes getrennt sein, damit die subventionierte Betätigung die reguläre Arbeit, z. B. im Bereich des Handwerks, nicht verdrängt.

-Es muß sich wirklich um Arbeiten handeln, bei denen Leistungs-und Effizienzkriterien gelten und diese auch kontrolliert werden, und nicht um beschäftigungstherapeutische Aufbewahrungsmaßnahmen. -Ersatzbeschäftigungen können jeweils nur für bestimmte Zielgruppen vorgesehen werden, weil es angesichts der großen Zahl der Arbeitslosen und der knappen Mittel illusorisch wäre, allen Arbeitslosen unterschiedslos ein solches Angebot zu machen.

-Die Zumutbarkeitsregeln müssen auch bei diesen Angeboten entsprechend Anwendung finden.

Die deutsche Wirtschaft lehnt insgesamt eine forcierte Politik zugunsten des Zweiten Arbeitsmarktes ab. Dieser belastet die öffentlichen Haushalte und behindert den Strukturwandel. Der Zweite Arbeitsmarkt muß weiter zurückgeführt werden und sich, indem Brücken zum Ersten Arbeitsmarkt geschlagen werden, auf die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit konzentrieren.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Robert Reichling, Rechtsanwalt, geb. 1948; Studium der’Rechtswissenschaften in Bonn und Freiburg; Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Berufsbildung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Köln. Veröffentlichungen: Diverse Publikationen zum Thema Vorruhestand/59er Regelung.