Mit schöner Regelmäßigkeit werden Trends und Megatrends darüber präsentiert, wie sich die Arbeitsgesellschaft der Zukunft entwickeln werde: weniger Arbeit im Verlauf eines Arbeitslebens, aber auch mehr Arbeitslosigkeit, weniger Handarbeit, dafür mehr „Investitionen ins Hirn“ mehr immaterielle Dienstleistungen und weniger materielle Produktion, „Enträumlichung" (Standortungebundenheit) der Arbeitsprozesse im Zuge der unaufhaltsamen Globalisierung, häufigerer Wechsel der Arbeitsplätze und daher die Notwendigkeit von Mobilität, flexibler Anpassung an wechselnde Situationen und Aufgaben -lebenslanges Lernen als Perspektive. High-Tech in der „Fabrik 2000" überall -daher die Entwertung alter Qualifikationen und die Auflösung der konzentrierten Orte des „Massenarbeiters“ der Industriegesellschaft in dezentralisierte, elektronisch vernetzte, weltumspannende Kooperationssysteme, die Aufhebung der traditionellen Trennung von Arbeit und Wohnen durch eine beträchtliche Zunahme von Heimarbeitsplätzen, mehr Kooperation und Verantwortung, Individualisierung als Chance der Modernisierung, Bereicherung der Arbeit für jene mit dispositiven Kompetenzen, zunehmende Stupidität für die anderen, deren Freiräume der Arbeitsgestaltung unter dem Regiment der „Lean Production“ vom „Kollegen Computer“ eingeengt werden.
Die Tendenzbeschreibung könnte fortgesetzt, verfeinert und um gegenläufige Prozesse korrigiert werden. Das Resultat ist ein teils freundlich stimmendes, teils bedrohliches Bild einer „Arbeitsgesellschaft von morgen“, die vielleicht angemessener als „Arbeitslosigkeitsgesellschaft“ zu bezeichnen wäre, wenn die Prognose des zukünftigen „jobless growth“ richtig ist. Und sind nicht die Hauptfiguren der „Arbeitsgesellschaft“, der Arbeiter im „Blaumann“ und der Angestellte mit „white collar", zwischenzeitlich -wie in Kapitel III ausgeführt wird -durch den smarten Geldvermögensbesitzer ersetzt worden, der sein „Geld für sich arbeiten“ läßt und sich die Hände nicht mehr selbst schmutzig macht?
Tatsächlich finden seit dem Beginn der Strukturkrise in den westlichen Industrieländern Mitte der siebziger Jahre beträchtliche soziale, ökonomische und technische Veränderungen der Arbeitsbeziehungen statt. Es ist schwierig und daher nicht risikolos, die Ursachen, Phänomene und Tendenzen des Wandels zu identifizieren. Davon zeugt beispielsweise die von der Deutschen Bank in mehrseitigen Anzeigen bundesweit verbreitete Debatte um die „Arbeit der Zukunft und die Zukunft der Arbeit“ deren Beitrag zum Renommee der Bank sicherlich größer war als derjenige zur wissenschaftlichen Erkenntnis und politischen Aufklärung über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft.
I. Dimensionen des Begriffs der Arbeit
Es ist manchmal nützlich, sich über scheinbar Selbstverständliches zu verständigen: über den Begriff der Arbeit. Nicht zu Unrecht wird die kapitalistische Marktwirtschaft als Arbeitsgesellschaft (und, so müssen wir hinzufügen, weil es für das Thema nicht unwesentlich ist, als „fossilistische“ Gesellschaft bezeichnet. Für die Klassiker der Politischen Ökonomie seit William Petty oder David Hume war Arbeit der Ursprung von Wert und Mehrwert, von Wohlstand und Reichtum. Adam Smith beginnt seine Untersuchung über den „Wohlstand der Nationen“ aus dem Jahre 1776 mit Ausführungen über Arbeitszerlegung und Arbeitsteilung, also über die gesellschaftliche Organisation der Arbeit, durch die die Produktivität enorm gesteigert werden könne. Dies ist eine unhinterfragte Ausgangsfeststellung des Plädoyers von David Ricardo für den Freihandel, also die trans-nationale Ausdehnung der Arbeitsteilung. Die vertiefte Arbeitsteilung steigere den Wohlstand aller am Freihandel beteiligten Nationen, gleichgültig ob sie Vorreiter oder Nachzügler der technischen Entwicklung sind und unabhängig davon, mit welchen (Produktions-) Faktoren eine Nation ausgestattet ist. Bis heute gehört das Theorem der komparativen Kostenvorteile Ricardos zu den ehrwürdigsten und am wenigsten hinterfragten Ecksteinen der ökonomischen Theorie.
Karl Marx hat in seiner „Kritik der politischen Ökonomie“ den Begriff der produktiven Arbeit präzisiert Unter kapitalistischen Verhältnissen ist nicht jede Arbeit produktiv, die zur Produktion des Reichtums einen Beitrag leistet, sondern nur die Arbeit, die Mehrwert und daher Kapital produziert. Die theoretische Entdeckung des „Doppelcharakters“ der Arbeit -durch Arbeit werden zugleich Stoffe und Energie systematisch in Gebrauchswerte verwandelt und Werte gebildet -hat beträchtliche Konsequenzen. Denn nun läßt sich die Logik von Arbeit näher bestimmen. Arbeit ist nicht nur die tätige, aktive Auseinandersetzung mit der Natur, die bewußte, zielgerichtete Verwendung von Instrumenten, um Naturstoffe in nützliche Dinge zu verwandeln, mit denen menschliche Bedürfnisse befriedigt werden können. Sie ist zugleich form-, also gesellschaftsspezifisches Verwertungshandeln. In dieser Eigenschaft ist Arbeit erstens fremdbestimmt und sie wird zweitens zur Gleichgültigkeit gegenüber den Naturbedingungen der Arbeit und gegenüber den gesellschaftlichen Kommunikationsformen verleitet. Hans Immler hat wegen dieses Sachverhalts die Klassiker der politischen Ökonomie, der sogenannten „Arbeitswerttheorie“, als „naturblind“ kritisiert hat dabei aber nicht genügend zwischen der gesellschaftlichen Form des degradierenden Umgangs mit der Natur und den Kritikern, die ja für den Gegenstand der Kritik nicht verantwortlich gemacht werden können, unterschieden.
Arbeit ist also erstens eine zweckgerichtete, instrumentelle Transformation der natürlichen Stoffe und Energien, zweitens in der Arbeitsteilung aktive, kommunikative Tätigkeit der Vergesellschaftung und drittens -im kapitalistischen Sinne -Verwertungshandeln, produktive Tätigkeit. Dadurch reproduziert, wie Marx hervorhebt, der Arbeiter mit dem Kapital auch immer wieder das Kapitalverhältnis, also seine eigene Abhängigkeit. Nur durch Arbeit erwirbt der Arbeiter das Einkommen, um den Lebensunterhalt der Familie bestreiten zu können. In diesem Sinne ist Arbeit Erwerbsarbeit; der Normalfall der Arbeit ist Lohn-arbeit, nicht etwa Eigenarbeit oder Gemeinwesen-arbeit. Der Zusammenhang zwischen diesen Aspekten von Arbeit ist höchst dynamisch: Durch die instrumenteile Tätigkeit wird die äußere und innere Natur der Menschen verändert, und je mächtiger die Arbeitsinstrumente sind, um so mehr. So kommt es, daß die „Umwelt“ seit der industriellen Revolution, zumal in den vergangenen Jahrzehnten, in einem Tempo und mit einer Radikalität verwandelt worden ist, wie niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte -bis zur Gefährdung der natürlichen Grundlagen der menschlichen Existenz. Die Ausdehnung des Wirkungsgrades instrumenteller Arbeit hat sowohl mit dem Erwerbscharakter der Lohnarbeit als auch damit zu tun, daß Arbeit Verwertungshandeln ist. Mit der Produktivität (mit dem Stoff-und Energieumsatz) wächst der Spielraum für Lohnerhöhungen (in jeder Tarifrunde wird dieses Argument verwendet) Die höhere Produktivität der Arbeit wirkt aber auch positiv auf die Produktivität des Kapitals, auf die Profit-rate und das wirtschaftliche Wachstum. Im internationalen Vergleich werden mit der Steigerung der Arbeitsproduktivität die Lohnstückkosten gesenkt. Es wird also ceteris paribus die Konkurrenz-position auf den Weltmärkten verbessert. Die Zunahme der Produktivität ist demnach nicht nur, wie Marx meinte, „historische Mission“ der kapitalistischen Produktionsweise, sondern mehr. Sie begründet das gemeinsame „Produktionsinteresse“ aller Akteure: der Gewerkschaften, der Unternehmer und der Regierungen in der Arbeitsgesellschaft Produktivitätserhöhung ist Ausgangspunkt und Ziel der Reformpolitik, die sich in diesem Jahrhundert gegen konservatives Beharren und gegen die Versuche der Systemtranszendenz in den „realsozialistischen“ Gesellschaften als geschichtsmächtig erwiesen hat.
II. Manufaktur, Fabrik, „Fordismus“
Doch was passiert, wenn Produktivitätssteigerungen innerhalb eines gegebenen Systems der Arbeitsteilung auf Grenzen stoßen, wenn die Zuwachsraten der Produktivität abflachen und daher Akkumulations-und Wachstumsraten zurückgehen, wenn sich die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt verschlechtert? Offensichtlich müssen in solcher Lage die systemischen Schranken der Produktivitätssteigerung niedergerissen werden. Dies kann durch technische Neuerungen, veränderte Arbeitsorganisation, höhere Arbeitsintensität erfolgen, die in ein „Produktivitätswunder“ münden können, wie der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nach der Krise Mitte der sechziger Jahre feststellte Allerdings können in „großen Krisen“ tiefer greifende Transformationsleistungen der Arbeitsgesellschaft auf der historischen Tagesordnung stehen. Dann reichen technische und organisatorische Verbesserungen zur Herbeiführung eines „Produktivitätswunders“ nicht mehr aus. Die Arbeitsgesellschaft muß reorganisiert, „transformiert“ werden, um die Potentiale der sogenannten „X-Effizienz“ zu mobilisieren.
Schon Marx war sich dieses Problems bei der Analyse verschiedener Formen der Kooperation sehr bewußt. So beschreibt er die „Manufaktur“ als System der Kooperation, durch die die Produktivität des Kapitals sozusagen „gratis“ gesteigert werden kann Die manufakturielle Arbeitsteilung freilich gründete ganz auf dem „subjektiven Faktor“, auf der Qualifikation für den und der Identifikation der Arbeiter mit dem Prozeß der Produktion. Die Grenzen der Produktivitätssteigerung in der Manufaktur traten aber -vor allem als Disziplinmängel -ebenso hervor, wie sich technische und soziale Neuerungen zur Etablierung einer anderen Form der Arbeitsteilung historisch ergaben: Die Maschinen wurden zunächst noch in den Manufakturen handwerklich erzeugt, formten aber bereits die Basis des Fabriksystems, der „großen Industrie“.
Die Arbeitsteilung und daher die Steigerungsmöglichkeiten der Produktivität hatten nun nur noch wenig mit Qualifikation und Identifikation der Arbeitskräfte zu tun, das Prinzip war in den „objektiven Produktionsbedingungen“, in den Produktionsmitteln als einem System inkorporiert. Die in der Manufaktur mangelnde Disziplin der Arbeit wurde jetzt durch die Maschinen „kasernenmäßig“ erzwungen. Sie waren die bestmöglichen Kontrolleure der Arbeitsabläufe und Handgriffe. Einstmals im Manufaktursystem qualifizierte Arbeiter wurden unter der Herrschaft von Fabrik und Maschine zu „hands“ degradiert Die Maschinen gaben nun das Tempo nicht nur in der Produktion, sondern auch im täglichen Leben vor. Die tradierten Familienstrukturen und Lebensformen wurden mit der Integration von Frauen und Kindern in den Produktionsprozeß aufgelöst. Es hat lange gedauert, bis sich die Gesellschaft auf diese neuen Herausforderungen des industriellen Raum-und Zeitregimes hat einstellen können, bis soziale Institutionen des Schutzes der Arbeitskraft erkämpft und dann auch -„reformistisch“ -verteidigt wurden.
Doch auch der Produktivitätssprung des Fabrik-systems wurde mit der Zeit kürzer. Die immanenten Grenzen der Produktivitätssteigerung konnten aber dadurch überwunden werden, daß die Prinzipien der Rationalisierung auf die lebendige Arbeit ausgedehnt wurden. Dies war die Umwälzung, die zu Beginn des Jahrhunderts von Frederick W. Taylor eingeleitet wurde. Alfred Sohn-Rethel interpretiert den „Taylorismus“ als eine „Vollvergesellschaftung der Arbeit... in extrem paradoxer Verkleidung“ Denn der Taylorismus erfaßt mit der ihm eigenen „Produktivitätstechnik“ die menschliche Arbeit als solche: Menschenarbeit und Maschinen„arbeit“ folgen der gleichen Logik; es gilt nur noch eine „Begriffs-Währung“ Das System von Taylor wird durch Fließband-und Massenproduktion (Henry Ford) und später durch die Politik der effektiven Nachfrage (John M. Keynes) zur Stützung der (Massen) konsumtion zu einem hocheffizienten Gesellschaftsmodell komplettiert, das in den Sozialwissenschaften unter dem Rubrum „Fordismus“ abgehandelt wird Die „Systematisierung“ zur fordistischen Arbeitsgesellschaft vollzieht sich keineswegs wie von starker -unsichtbarer und sichtbarer -Hand gelenkt, sondern als ein ungleichzeitiger und ungleichmäßiger, vom Zufall gesteuerter Prozeß, also ganz und gar unsystematisch. In der Regulationstheorie wird, um das historisch Kontingente dieses Prozesses hervorzuheben, das Ensemble historischer Formen einer letztlich kohärenten und daher effizienten gesellschaftlichen Organisation der Arbeit als eine „Fundsache“ bezeichnet. In diesem Prozeß setzen sich die Funktionsbedingungen und Institutionen durch, die ein stimmiges „System“ ausmachen. Die Regelhaftigkeit des Systems und die disziplinierenden Zwänge, den Pfad der Produktivitätssteigerung einzuhalten, sind in die technisch vorgegebenen Produktionsabläufe integriert. Dieses System hat die „technische Vernunft“ inkorporiert und muß sich dieser nicht jedes Mal durch hierarchisch legitimierte Anweisungen, durch „Taylorei“ versichern. Auch entstehen die Institutionen des Systems der industriellen Beziehungen, die für die Industrieländer in den Nachkriegs-jahrzehnten charakteristisch geworden sind: starke, selbstbewußte Gewerkschaften im mesoökonomischen Raum, Vertretungsorgane in der Mikroökonomie und hohe Regelungsdichte von Lohn-und Arbeitsverhältnissen auf der makro-ökonomischen Ebene, die in Europa mit der europäischen Integration partiell supranational ausgreift
Daß die Integration der Arbeiter in das fordistische System diese in ihrer doppelten Eigenschaft als Produzenten und als Konsumenten einbeziehen muß, hat bereits Ford erkannt. Denn Massenproduktion bedarf der Massennachfrage: „Hohe Löhne lassen sich nicht zahlen, wenn die Arbeiter sie sich nicht verdienen“; aber niedrige Löhne sind keine Garantie für bessere Geschäfte, so ließe sich Henry Fords Devise zusammenfassen Hohe Löhne ihrerseits bewirken nichts Gutes ohne soziale Kontrolle der Arbeiter in doppelter Richtung: im Produktionsprozeß die Effizienz zu steigern und gleichzeitig gute Konsumenten und Bürger zu erziehen. Das Fließband und die fordistische Arbeitsorganisation wurden zwar in den Schlachthäusern von Chicago schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt und das bezeichnendste Produkt dieser neuen Produktionsweise ist die Konservendose. Durch ihre massenhafte Verfügbarkeit werden die Hauswirtschaft und damit auch das Geschlechterverhältnis radikal verändert. Aber erst mit dem Automobil bringt sich der „Fordismus“ sozusagen auf den Begriff. Das Automobil ist nicht ein Produkt wie irgendein anderes auch, sondern der Kern der neuen Produktionsmethoden und der Flucht-punkt der neuen Lebensweise: der „automobilen Gesellschaft“.
Damit die „Synthese von Wirtschaft und technischer Vernunft“ gelingt, müssen auch die Mechanismen der Überführung der Einkommen in konsumtive Nachfrage entwickelt werden. Mit wissenschaftlichen Methoden werden die Versuche der „geheimen Verführung“ durch Marktforschung und Werbung angestellt. Die geheimen Verführer können jedoch nur vorhandene Kaufkraft mobilisieren und sie je nach Geschick der Werbestrategen zwischen den Anbietern umverteilen. Neue Kaufkraft entsteht nur mit höheren Einkommen oder infolge veränderter Sparneigung oder wenn zugleich ein Kreditsystem ausgebildet wird, das Konsumenten den Vorgriff auf zukünftiges Einkommen ermöglicht. Die Anfänge des kommerziellen Konsumentenkredits (also abgesehen von den genossenschaftlichen Konsumvereinen, die eine längere Geschichte haben) finden sich in den zwanziger Jahren; das System wird aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg zur Blüte getrieben.
Massenkaufkraft wird auch dadurch mobilisiert, daß bislang im Haushalt vollzogene (persönliche) Dienste und die kleine (Subsistenz) produktion durch Waren, die auf Märkten von Produzenten verkauft und von Konsumenten gegen Geld gekauft werden müssen, verdrängt werden So werden alle Haushalte mehr und mehr von Lohneinkommen abhängig. Folglich steigt die Bedeutung der formellen Erwerbsarbeit enorm an. Es werden die regulierenden Institutionen von Arbeit und Lohn auf der mikro-, meso-und makroökonomischen Ebene ausgebildet, die Lohn-und Produktivitätswachstum einerseits und Einkommens-, d. h. Konsumwachstum andererseits kompatibel gestalten. In der aktuellen Kritik an hohen Löhnen und Lohnnebenkosten ist dieses „Entsprechungsverhältnis“ von großer Bedeutung. Geldlöhne und andere monetäre sozialstaatliche Leistungen können vergleichsweise niedrig sein, wenn die Reproduktion der Arbeiterfamilien noch im Haushalt, sozusagen subsistenzwirtschaftlich stattfinden kann, wenn demzufolge nicht alle Lebensmittel und persönlichen Dienstleistungen als Waren auf dem Markt gekauft werden müssen. Internationale Lohnkostenvergleiche haben daher nur dann Sinn, wenn die Produktions-und Reproduktionsbedingungen einigermaßen vergleichbar sind. Die Lohnkostendifferentiale z. B. zwischen der BRD und Portugal oder Polen drücken die unterschiedlichen Reproduktionsbedingungen der Arbeit aus, den unterschiedlichen Modernisierungs-und „Kommerzialisierungsgrad“ einer Gesellschaft.
Der „Fordismus“ ist eine technische und soziale Innovation, die einen neuen Umgang mit der äußeren Natur einschließt. Natur wird mehr als jemals zuvor in der Gesellschaftsgeschichte durch die Menschen und ihre Artefakte her-und zugerichtet. „More intensive use of energy“ also der hohe Input von energetischen (und mineralischen und agrarischen) Rohstoffen sowie das technische und soziale Energiewandlungssystem des Fordismus, sind die Vehikel der beträchtlichen Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität. Der Fordismus kann nur als Fossilismus seine überlegene Dynamik entfalten.
Nur durch Arbeit lassen sich die Einkommen verdienen, die zum Erwerb der lebensnotwendigen Produkte notwendig sind, und selbst die erst mit Zeitverzögerung entstehenden sozialstaatlichen Einrichtungen sind mit ihren Leistungen an die (förmliche) Arbeit gebunden. Aus der Vielfalt von Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnissen bildet sich das „Normalarbeitsverhältnis" heraus; die fordistische Standardisierung und Normierung macht also vor der sozialen Regelung von Arbeit und Lohn nicht Halt. So kommt das paradoxe Resultat zustande, daß die Bedeutung der Arbeit als „systematisierende“ Größe für die gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Institutionen, für die Kultur schlechthin enorm zunimmt und zugleich infolge der fossilistischen Eigenschaft des Fordismus die biologische Energie des Arbeiters mehr und mehr durch Maschinen, die mit exosomatischen fossilen Energiequellen und entsprechenden komplexen Energiewandlungssystemen operieren, substituiert wird. Der Fordismus ist also paradoxerweise durch und durch fossilistisch und zugleich durch die „Zentralität der Arbeit“ charakterisiert.
III. Tendenzen „postfordistischer“ Arbeitsgesellschaft
Das fordistische System der Arbeitsorganisation gerät freilich ebenso an Produktivitätsschranken wie die manufakturielle, industrielle und tayloristisehe Organisationsform in früheren Perioden. Sie konnten jeweils durch einen Schumpeterschen Prozeß der „kreativen Zerstörung“ überwunden werden Warum sollte es heute anders sein, und welche Perspektiven für die Zukunft einer „postfordistischen“ Arbeitsgesellschaft lassen sich aufzeigen? In welche Richtung weisen die gesellschaftlichen „Systematisierungen“ in der Krise des Fordismus? Wegen der Unwägbarkeiten der Zukunft sind Tendenzen schwer zu prognostizieren. Doch sollen drei Aspekte diskutiert werden, die auf den ersten Blick mit dem geläufigen Verständnis von „Arbeitsgesellschaft“ wenig zu tun haben: erstens das Verhältnis von Geld und Arbeit, zweitens das Verhältnis von Natur und Arbeit und drittens das von Politik und Arbeit. 1. Geld und Arbeit Es ist eine (bereits erwähnte) paradoxe Tendenz in kapitalistischen Gesellschaften, daß sie einerseits arbeitszentriert sind, andererseits Arbeit überflüssig machen. Im Verlauf der Industrialisierung im 19. Jahrhundert haben 50 Millionen Menschen Europa verlassen müssen, weil sie nicht mehr gebraucht wurden Sie haben Nordamerika und Australien, zum Teil Südamerika und Afrika kolonisiert und einen bedeutenden Beitrag zur Europäisierung der Welt, zur Ausweitung des Weltmarkts und zur Globalisierung des Produktionsmodells geleistet -mit fatalen und in vielen Fällen letalen Folgen für die einheimische Bevölkerung.
Und heute? Heute haben wir nach dem „goldenen Zeitalter“ der Vollbeschäftigung Massenarbeitslosigkeit überall. Auch wenn es schwierig ist, die Arbeitslosigkeit international zu messen, kann nach Angaben des International Labour Office (ILO) davon ausgegangen werden, daß zu Beginn der neunziger Jahre an die 125 Millionen Menschen ohne Arbeit sind und weitere 700 Millionen prekär, d. h. nicht im formellen Sinne beschäftigt oder unterbeschäftigt werden Kapitalakkumulation bedeutet also Ausgrenzung von Arbeit, auch wenn in den „goldenen Zeiten“ hoher ökonomischer Dynamik die Freisetzungen durch Neu-einstellungen wettgemacht werden. Schon aus ökologischen Gründen ist es aber dauerhaft unmöglich, die wirtschaftlichen Wachstumsraten so zu stimulieren, daß die Freisetzungen von Arbeit ohne Arbeitszeitverkürzung kompensiert werden können.
Wird Arbeit in der globalen Ökonomie also immer unwichtiger? Eine Antwort auf diese Frage kann nur gegeben werden, wenn das Thema scheinbar verlassen und dem Finanzsystem Aufmerksamkeit gewidmet wird. Denn Kapital tendiert nicht nur dazu, Arbeit zu ersetzen, sondern in der globalen Konkurrenz die besten und sichersten Anlagemöglichkeiten auszunutzen, also weniger liquide Anlagen tendenziell durch höchst liquide zu ersetzen. Daher kennzeichnen nicht nur technologische und soziale Innovationen das Geschehen in der postfordistischen Arbeitsgesellschaft, sondern auch Finanzinnovationen auf globalisierten Geld-und Kapitalmärkten.
Die Auslandsguthaben der Banken sind weltweit von 1836 Milliarden US-Dollar 1980 auf 7 021 Milliarden US-Dollar 1993 gestiegen, also auf das Vierfache Bei diesem Umfang kurzfristig liquidierbarer Mittel kann die nationale Zentralbank nicht mehr, wie Keynes noch erwartete, die Zinssätze absenken, um Real-Investitionen profitabel zu machen und auf diese Weise Arbeitsplätze zu schaffen. Die Senkung der nationalen Zinssätze unter das internationale Niveau ist bei der Konvertibilität und hoher Mobilität des Kapitals eine freundliche Einladung zur Kapitalflucht. Die Folgen dieses Siegs des ökonomischen Prinzips über die politische Steuerung sind die Verfestigung der Arbeitslosigkeit und die Krise des arbeitszentrierten Sozialstaats. Die Perforation des nationalstaatlichen Raums durch globale, höchst liquide und volatile, also flüchtige Finanzbeziehungen ist ein Element der Krise der fordistischen Arbeitsgesellschaft: Sie kann sich nicht mehr gegen die Tendenzen der Arbeitslosigkeit schützen und verliert daher die so beeindruckende und überzeugende systemische Kohärenz.
Zur Abwicklung des Welthandels reichten bei einem Weltexportvolumen von 3686 Milliarden US-Dollar im gesamten Jahr 1993 täglich etwa 10 Milliarden US-Dollar. Seit den achtziger Jahren jedoch wechseln in den globalen, computerisierten Finanznetzen tagtäglich mehr als 1000 Milliarden US-Dollar den (Geldvermögens) besitzer. Die zur „Zukunftssicherung“ von Finanzanlagen und -transaktionen ausgegebenen neuen Papiere (Futures, Optionen, Swaps etc.) hatten Ende 1993 ein weltweites Nominalvolumen von 14000 Milliarden US-Dollar, gegenüber nur 1300 Milliarden US-Dollar Ende 1987. In der Bundesrepublik wuchs der Nominalbetrag dieser „Finanzderivate“ von 1990 bis Mitte 1994 um jährlich 53 Prozent (Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im gleichen Zeitraum jährlich weniger als 2 Prozent) auf 5100 Milliarden DM. Dazu müssen noch weitere 3100 Milliarden DM „traditionelle“ Devisentermingeschäfte hinzugezählt werden
Dieses spekulative Kartenhaus, an dem John Law aus den Zeiten von „South Sea bubble" und der „Tulpenspekulation“ im frühen 18. Jahrhundert seine Freude haben würde kann zusammen-brechen, wenn nur eine Karte einknickt oder weggezogen wird. Selbst die mächtigsten Zentralbanken der ökonomisch potentesten Nationalstaaten sind gegen die spekulative Wucht der derivativen Finanzinnovationen machtlos. „Super markets“ haben das Sagen, nicht mehr die „superpowers“ Selbst wenn Staaten oder internationale Institutionen wie im Falle der Mexiko-Krise in kürzester Frist Milliardenbeträge zur Rettung des Finanz-systems mobilisieren, reagieren sie nur auf die immanenten Krisentendenzen der Finanzmärkte.
Die innovativen Finanzderivate sind so attraktiv und leicht zu handeln, weil technische Innovationen den langsamen Arbeiter und Angestellten durch Computer-Hard-und -Software ersetzt haben, die fast in „Echtzeit“ auf geringste Bewegungen auf den internationalen Geld-und Kapitalmärkten 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr reagieren können. Arbeit als kommunikatives und als Verwertungshandeln verschwindet in den Computerprogrammen. Das bereitet Geldvermögensbesitzern keine Probleme. Denn ihnen geht es nicht um Verwertung von Kapital durch Arbeit im Produktionsprozeß, sondern um zinsgünstigste und vermögenssichere Anlagen liquider Mittel. Die Bundesbank weist darauf hin, daß bei einem Teil der Geschäfte mit Finanzderivaten der Gewinn des einen Geldvermögensbesitzers der Verlust des anderen ist, daß also „Nullsummenspiele“ gespielt werden Dies hat zur Folge, daß -solange Geldvermögen nicht entwertet werden -Schuldner beträchtliche Transfers an die internationalen Geldvermögensbesitzer zu leisten haben. Die Schuldenkrise der Dritten Welt, die -das Beispiel Mexikos zeigt es deutlich -keineswegs gelöst und vorbei ist, ist dafür ebenso Beleg wie die steigende Staatsverschuldung in aller Welt, durch die ja Zinsansprüche der Geldvermögensbesitzer, die Staatspapiere halten, generiert werden. Die Krise der öffentlichen Haushalte ist somit zu einem Teil mit den strukturellen Veränderungen des Weltmarkts zu erklären.
Die Folgen für die internationale Arbeitsteilung sind beträchtlich. Ein Beispiel: Die deutschen Direktinvestitionen auf dem afrikanischen Kontinent sind zwischen 1984 und 1990 von 1, 6 Milliarden DM auf 660 Millionen DM reduziert und auf den Cayman-Islands (in der Karibik) von 407 auf 930 Millionen DM gesteigert worden. Das Kalkül von Geldvermögensbesitzern steuert mit den internationalen Kapitalbewegungen auch die internationale Arbeitsteilung, die Wahl von „Standorten“, und zwar gewiß nicht nach den Prinzipien des Ricardianischen Theorems von den komparativen Kostenvorteilen. Standorte konkurrieren daher weltweit als Attraktionspunkte für Kapital-anleger gegeneinander, indem sie die Arbeit so billig wie möglich anzubieten versuchen indem sie den Kapitalanlegern im Renditevergleich mit anderen „Standorten“ eine Art „Differentialrente“ offerieren
So kommt es, daß heute globale Geldbeziehungen für das Funktionieren des postfordistischen Kapitalismus wichtiger zu sein scheinen als die Arbeitsbeziehungen „vor Ort“. Die oben erwähnte Paradoxie, daß die kapitalistische Produktionsweise eine arbeitszentrierte Gesellschaft ist und dennoch Arbeit überflüssig macht, ist auf den globalisierten Finanzmärkten extrem zugespitzt. 2. Arbeit und Natur Die Möglichkeiten zu dieser Ungebundenheit in Raum und Zeit sind freilich nur entstanden, weil im Zuge der technischen Umwälzungen des Produktionsprozesses biotische, auch menschliche Energien immer mehr durch fossile (exosomatische) Energien und die von ihnen angetriebenen Systeme der Stoffwandlung ersetzt worden sind. Neben dem Auto sind auch andere Transport-und Kommunikationsmittel auf der Basis von im wesentlichen fossilen Energien entwickelt und alltags-weltlich selbstverständlich geworden: Flugzeug, Hochgeschwindigkeitsbahn, integrierte Fracht-'transportsysteme, elektronische weltweite Vernetzung etc. Sie haben Arbeit und Leben in den vergangenen Jahrzehnten radikal umgewälzt.
Auch die Arbeitsgesellschaft der Zukunft wird von der reibungslosen Versorgung mit nicht-biotischer Energie abhängig sein. Nun sind die Lagerstätten fossiler Energieträger (Erdöl, Erdgas, Kohle) auf der Erde ungleich verteilt. Also verlangt der tendenzielle Ersatz der biotischen durch fossile Energien nach einem weltumspannenden logistischen System, das so viel technische und organisatorische Kompetenz, finanzielle Mittel, ökonomisches Know-how, Transportmöglichkeiten und politische Beziehungen voraussetzt, wie sie auf unabsehbare Zeit nur von den hochentwickelten Industrieländern aufgebracht werden können. Die Tendenz zur Globalisierung ergibt sich daher keineswegs nur aus den von der realen Akkumulation losgelösten volatilen Finanzbeziehungen, sondern auch aus der Logik des der kapitalistischen Produktionsweise angemessenen Energie-systems. Die Tendenz der Produktivitätssteigerung und die Überwindung aller Schranken, die ihr im Wege stehen, haben tatsächlich den nichtbiotischen Energien eine Bedeutung gegeben, die sie niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte hatten Noch Adam Smith konnte sich die Kohle nur zur Heizung von Räumen vorstellen, nicht aber als Antriebsenergie komplexer Maschinensysteme.
Allerdings ist damit eine Reihe von Konsequenzen verbunden: Erstens ist ein Gegensatz zwischen Industrieländern (den vorwiegenden Nutzern von Energien und Rohstoffen) und „Syntropieinseln“ (Rohstoffländern) entstanden, der sich in vielfältigen Formen in der Weltgesellschaft manifestiert: als Nord-Süd-Gegensatz, als Widerspruch von Produktions-und Extraktionsökonomien, als Armut und Reichtum in der Welt. Es ist also notwendig, die Gesamtheit der Beziehungen vor Augen zu behalten, wenn in den Techno-Utopien einer postmodernen, postfordistischen Arbeitsgesellschaft geschwelgt wird. Die Art und Weise der Sicherung der Energieversorgung zeichnet die Charakterzüge der Arbeitsgesellschaft der Zukunft.
Zweitens haben die von fossilen Energien angetriebenen Transport-und Produktionssysteme infolge der nun möglichen Beschleunigung in der Zeit und der Ausdehnung der Reichweite im Raum Arbeit und Leben der Menschen radikal umgewälzt. Nicht nur der Femtourismus ist für die Menschen in den reichen Industrieländern zu einer alltagsweltlichen Errungenschaft geworden -mit durchaus zwiespältiger Wirkung. Arbeitsbeziehungen sind räumlich entbunden und globalisiert worden, so daß transkontinentale Entwicklungsarbeit und Dispositionen zum Zwecke der verbesserten Konkurrenzfähigkeit auf Weltmärkten möglich -und notwendig -geworden sind. Das „Weltprodukt“ setzt sich aus Komponenten zusammen, die möglicherweise „just in time“ in verschiedenen Ländern, ja Kontinenten produziert und komponiert werden. Diese moderne Art des „global sourcing“ und „global producing“ hängt aber vollständig von Verfügbarkeit und Billigkeit der Energien ab, ist also prinzipiell gefährdet.
Dies ist um so mehr der Fall, als die Verbrennung der fossilen Energieträger für den Treibhauseffekt hauptverantwortlich ist, ganz abgesehen von der Zerstörung von Lebensräumen durch die Adern der Transportsysteme (Straßen, Flughäfen etc.) und die „normalen Katastrophen“ die dem unvollkommenen Risikomanagement von Energie-systemen geschuldet sind, die weit über die menschlichen Sensorien und Beeinflussungsmöglichkeiten hinausgehen. Die Substitution der biotischen (vor allem menschlichen) Energie durch fossile Energien resultiert in einer Degradation der Natur. Da instrumentelle Arbeit als zielgerichteter Stoff-und Energieumsatz definiert wurde und da auch Kommunikation nur im Medium der Natur stattfinden kann, ist die ökologische Zerstörung nicht ohne Konsequenzen für die Arbeit. Hier bauen sich schon jetzt absehbare natürliche Grenzen der Produktivitätssteigerung in der noch gar nicht in all ihren Facetten ausgebildeten „postfordistischen“ Arbeitsgesellschaft auf. Was passiert mit der gemeinsamen Produktionsorientierung aller gesellschaftlichen Akteure, wenn Produktionssteigerungen begrenzt werden, weil die Verbrennung fossiler Energien eingeschränkt werden muß?
Jenseits eines noch fernen Horizonts der postfordistischen Vergesellschaftung ist es durchaus vorstellbar, daß die für moderne Kommunikation benötigte elektrische Endenergie vor allem aus regenerativen Energieträgern gewonnen, also zum Beispiel aus der Flußenergie der Sonne abgezweigt werden kann. Die Arbeitsorganisation einer „solaren Gesellschaft“ ist allerdings heute schwer vorstellbar. Sie dürfte aber räumlich begrenzter, „entschleunigt“ und letztlich weniger produktiv als in der fordistischen oder postfordistischen Gesellschaft sein. Für Arbeit als Verwertungshandeln ist dies negativ, denn die Produktion von Wert je Arbeits-und Zeiteinheit wird nicht steigen, wahrscheinlich sogar zurückgehen. Aber muß das für die Qualität von Arbeit und Leben unbedingt ein Nachteil sein? 3. Arbeit und Politik Wenn die fordistische Form der Arbeit, wie herausgearbeitet worden ist, in eine Krise geraten ist, dann geht diese nicht spurlos an den Organisationen der Arbeit am Ende des „sozialdemokratischen Jahrhunderts“ (Ralf Dahrendorf) vorbei. Denn der Form der Arbeit entspricht eine spezifische Form der Politik, die ebenso „transformiert“ wird wie die Arbeitsgesellschaft auch. Der keynesianische Staatsinterventionismus als ein integrales politisches Projekt (Vollbeschäftigung) der fordistischen Regulationsweise hat vor den globalen Finanzmärkten infolge der Erosion nationalstaatlicher Souveränität kapitulieren müssen. Das Versprechen von „full employment in a free society“ wurde gebrochen, als die „Zinssouveränität“ verloren ging Damit mußte die Politik doch noch die kapitalistische Marktlogik nachvollziehen, daß Arbeit zwar als Verwertungshandeln im Kapitalismus unverzichtbar ist, aber gleichzeitig auch mit der Verbesserung der instrumenteilen Tätigkeit (Steigerung der Produktivität) überflüssig wird. Vollbeschäftigung ist unter kapitalistischen Bedingungen die Ausnahme und nicht die Regel. Dieses Urteil gilt auch für Vollbeschäftigungspolitik.
Die Konsequenzen für den Sozialstaat sind hart, wenn dessen auf der Fiktion der Vollbeschäftigung gründendes Institutionensystem mit dem „Skandal“ der Dauerarbeitslosigkeit'konfrontiert wird. Leistungsansprüche und Einzahlungen geraten unweigerlich in ein Mißverhältnis, das zum Ruf nach „Umbau und Abbau“ sozialstaatlicher Regelungen Anlaß gibt. Es ist offensichtlich, daß das sozialstaatliche System den veränderten Verhältnissen der Arbeit angepaßt werden muß. Die enge Kopplung von Einkommen und Arbeit (im Sozialversicherungssystem) kann nicht aufrechterhalten werden, wenn nicht mehr (Erwerbs) arbeit für alle da ist. Das „Normalarbeitsverhältnis“ steht zur Disposition, ein neuer Arbeitsbegriff bildet sich in den wohlfahrtsstaatlichen Diskursen heraus.
Für die Gewerkschaften sind die Folgen der Auflösung fordistischer Regulation der Arbeit dramatisch, bis zur Zuspitzung als Orientierungskrise. Nicht nur, daß sie als Organisationen des Arbeitsmarktes geschwächt werden, wenn Arbeitslose auf Löhne und Arbeitsbedingungen der „Arbeitsplatzbesitzer“ drücken. Die Gewerkschäften verlieren, wenn die territorialen Grenzen des Nationalstaats durchlässig werden und daher sozialstaatliche Ausgleichsleistungen nicht mehr leicht einzugrenzen sind, wenn obendrein „das Kapital“ als Tarifvertragspartei mit der Globalisierung und höheren Flüchtigkeit seine „Bodenhaftung“ aufgibt (dies eröffnet die Option der Auslagerung und der „Verbandsflucht“), innerhalb des tradierten Systems der industriellen Beziehungen den „Partner“. Das System der Tarifautonomie, eine Basisinstitution der sozialen Demokratie, ist gefährdet. Mehr Markt auf dem Arbeitsmarkt, gefördert durch den Diskurs der Deregulierung, könnte das Diktum von Karl Polanyi über den unregulierten Arbeitsmarkt als einer „Satansmühle“ wahrmachen, zumindest für die steigende Zahl derjenigen, die weltweit aus dem System der formellen Arbeit ausgegrenzt werden, weil sie für die Verwertung nicht gebraucht werden und sie daher ihre Arbeit auch instrumentell und kommunikativ außerhalb des förmlichen Systems der kapitalistischen Produktion leisten müssen. Diese „Informalisierung“, das soll nicht unter den Tisch fallen, kann allerdings auch neue Optionen einer „ganz anderen“ Arbeitsgesellschaft eröffnen.
Die Schwierigkeit der politischen Regulation der Arbeit in der postfordistischen Arbeitsgesellschaft ist deshalb gerade für die Gewerkschaften so groß, weil sie sich nicht mehr auf die Vertretung der Arbeit beschränken und globales Finanzsystem und Natur sich selbst überlassen können. Sie müssen die oben angedeuteten tief-greifenden Veränderungen des globalen Finanz-systems in ihre Politikkonzepte einbeziehen und auf die ökologischen Probleme Antworten erarbeiten. Dies kann nur mit Erfolg geschehen, wenn die Rigidität der politischen Interessenvertretung durch die Flexibilität der Organisation von Diskursen zur Politikgestaltung ersetzt wird. Nur so läßt sich Einfluß auf die veränderten Rahmenbedingungen gewinnen, nur so können die „äußeren Sachzwänge“ dahingehend politisiert werden, daß neue regulierende Institutionen gegen den Trend der De-Regulierung herausgearbeitet werden. Mit den Veränderungen in der Welt der Arbeit verändern sich also auch die politischen Formen der Artikulation von Interessen, sofern diese auch in der Arbeitsgesellschaft der Zukunft erfolgreich vertreten werden sollen.