Die westlichen Industrieländer haben seit zwei Jahrzehnten mit dem Problem hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Speziell in Westeuropa hat sich nach jedem Konjunkturzyklus eine höhere Sockelarbeitslosigkeit herausgebildet. Derzeit sind in den OECD-Ländern rd. 35 Millionen Menschen oder 8, 5 Prozent der Erwerbsbevölkerung arbeitslos. Die Ökonomen sind eine Antwort auf die Frage schuldig, warum die Vollbeschäftigung in den letzten zwanzig Jahren so stark in Mitleidenschaft gezogen worden ist und was man tun kann, um diesem Problem beizukommen. Im folgenden wird über vier international vergleichende Studien berichtet, die si Prozent der Erwerbsbevölkerung arbeitslos. Die Ökonomen sind eine Antwort auf die Frage schuldig, warum die Vollbeschäftigung in den letzten zwanzig Jahren so stark in Mitleidenschaft gezogen worden ist und was man tun kann, um diesem Problem beizukommen. Im folgenden wird über vier international vergleichende Studien berichtet, die sich in jüngster Zeit dieser Frage angenommen haben.
I. EG-Weißbuch: Es gibt kein Allheilmittel
Das Weißbuch der EG-Kommission entstand auf Aufforderung des Europäischen Rates während seiner Sitzung in Kopenhagen im Juni 1993. Es trägt den Titel „Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung -Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert“. Darin kommen zwei Grundüberzeugungen der Kommission zum Ausdruck: -Wachstumspolitik, internationale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung gehören zusammen;
ein Allheilmittel gegen die Arbeitslosigkeit wie etwa generelle Arbeitszeitverkürzungen oder gar die Flucht in den Protektionismus gibt es dagegen nicht 1.
-Die Wiederereichung der Vollbeschäftigung ist keine Utopie; konkret wird als Ziel genannt, bis zum Ende des Jahrhunderts 15 Millionen neue Arbeitsplätze in der EU zu schaffen 2.
Zwar sind nach Angaben der Kommission zwischen 1986 und 1990 bereits neun Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstanden; dies sei nicht zuletzt eine Folge des Binnenmarktprogramms, welches auch für einen halben Prozentpunkt zusätzliches Wachstum pro Jahr gesorgt habe. Aber dies sei nicht ausreichend gewesen, um das Beschäftigungsproblem zu lösen; noch immer seien 17 Millionen Menschen in der EU arbeitslos: „In Wirklichkeit verhält es sich so: zwar haben wir uns geändert, doch hat sich die Welt noch schneller geändert.“ 3
Die Arbeitslosigkeit ist daher nach Auffassung der Kommission nur zum geringeren Teil konjunkturell bedingt; der größte Teil sei als strukturelle oder „technologische Arbeitslosigkeit“ zu charakterisieren. Als Beleg führt die Kommission an, daß auch Ende der achtziger Jahre, inmitten einer konjunkturellen Erholungsphase, noch 12 Millionen Menschen in der EU arbeitslos gewesen seien 4.
Die Kommission teilt allerdings nicht den naiven -u. a. auch von den Marxisten vertretenen -Glauben, der technische Fortschritt vernichte per Saldo Arbeitsplätze, im Gegenteil: „Beispielsweise ist die Beschäftigungslage durchschnittlich in denjenigen Unternehmen günstiger, die Mikroelektronik einsetzen, als in denjenigen, die dies nicht tun.“ 5 Es sei allerdings eine Kluft enstanden zwischen der Geschwindigkeit, mit der in den zukunftsträchtigen Bereichen neue Arbeitsplätze entstehen, und dem Tempo, in dem sie in den überkommenen Industriezweigen verlorengehen. Diese Kluft habe vor allem politische Gründe: „Unsere Einbindung in die neue internationale Arbeitsteilung war nicht optimal, weil wir die Zukunftsmärkte vernachlässigt und zu sehr auf die Positionen gesetzt haben, die wir in den traditionellen Sektoren erobert hatten.“
Das Weißbuch hält zur Überwindung dieser Kluft folgendes für notwendig 1. Gesunde makroökonomische Rahmenbedingungen: Zum einen müsse Geldwertstabilität angestrebt werden, damit die Zinsen niedrig gehalten und gute und verläßliche Rahmenbedingungen für mehr Investitionen erreicht werden. Zum anderen seien die öffentlichen Defizite und die öffentlichen Ausgaben abzubauen und möglichst zugunsten investiver Ausgaben umzuschichten (qualitative Konsolidierung). Beides schränkt freilich die Spielräume für staatliche Sozialpolitik ein. 2. Eine offene Wirtschaft ohne Protektionismus: Die Kommission verweist hier vor allem auf die Stärkung des multilateralen Handelssystems im Sinne des Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommens GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) bzw.seiner Nachfolgeorganisation seit 1995, der World Trade Organisation (WTO). Das Weißbuch betont zu Recht, daß ein freier Welthandel ein „Positivsummenspiel“ in dem Sinne ist, daß letztlich alle daran beteiligten Länder davon profitieren 3. Dezentralisierung von Wirtschaft und Verwaltung: Das Weißbuch verweist hier auf die wachsende Bedeutung der lokalen Ebene im staatlichen Bereich und auf die vergleichsweise große Flexibilität der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) gegenüber Großkonzernen. Die hier schlummernden Energien sollen vor allem durch Vereinfachung und Durchforstung des gesetzlichen Regelungsdschungels geweckt werden
Die staatliche Strukturpolitik nimmt im Weißbuch gegenüber früheren Stellungnahmen der EG einen wesentlich geringeren Raum ein. Im wesentlichen wird hier der Ausbau der sogenannten transeuropäischen Infrastrukturnetze (Verkehr, Telekommunikation) sowie die Förderung einer begrenzten Zahl von Forschungsgroßprojekten (Informationstechnologien, Bio-und Ökotechnologie) genannt. Am Rande wird auch die Regionalpolitik erwähnt
Unter dem Stichwort „Solidarität in der Wirtschaft“ schlägt die Kommission „eine Art europäischen Sozialpakt“ vor Er besteht im wesentlichen aus zwei Elementen:
Erstens soll der Produktivitätszuwachs weitgehend für neue Investitionen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze verwendet werden. Dies bedeutet im Prinzip die Abkehr von der bei Tarifverträgen bisher üblichen Formel, wonach der Produktivitätszuwachs ein genuiner Bestandteil des jährlichen Lohnzuwachses ist. In der Tat kann diese Formel in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit keinen Bestand haben, und die Kommission begründet ihren Vorschlag zu Recht mit der Forderung nach „Solidarität derer, die Arbeit haben, mit denen, die keine haben“
Zweitens soll der Sozialstaat effizienter gestaltet werden, insbesondere durch mehr Mitverantwortung und stärkere Selektivität bei der Gewährung sozialer Hilfen. Das Schwergewicht soll außerdem weg von der passiven Leistungsgewährung hin zu der aktiven Wiedereingliederung von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt verlagert werden, beispielsweise durch Qualifizierungsmaßnahmen und „lebenslanges Dazulernen“. Die Kommission wendet sich eindeutig gegen die defensive Strategie, durch Frühverrentung, Arbeitszeitverkürzung und dergleichen den Arbeitsmarkt von der Angebots-seite her zu entlasten. Statt dessen gelte es, u. a. auch wegen der demographischen Probleme, das Arbeitsangebot zu erhöhen, indem z. B. vermehrt Teilzeitarbeitsplätze geschaffen und die beruflichen Chancen von Frauen verbessert werden.
Die Kommission sieht hier ein großes Reservoir von bisher unerschlossenen Reserven für neue Beschäftigungsmöglichkeiten im Umfang von bis zu einer Million neuer Arbeitsplätze in der Gemeinschaft. Als Beispiele nennt sie die sogenannten Nachbarschaftsdienste (Haushaltshilfe, Kinderbetreuung, Gebäudesicherheit etc.), das Freizeit-und Kulturangebot, Städtesanierung und öffentlichen Nahverkehr (z. B. Sammeltaxen) sowie den Umweltschutz Solche Arbeitsplätze würden zu Unrecht als zweitklassig und die zu leistenden Arbeiten als erniedrigend empfunden; gerade diese Tätigkeiten setzten vielmehr „gewisse wertvolle Eigenschaften voraus“
Die Kommission nennt aber auch handfeste ökonomische Hindernisse für die Besetzung solcher im allgemeinen relativ niedrig entlohnter Arbeitsplätze. Sie bestehen zum einen in den hohen Lohn-nebenkosten und zum anderen in mangelnden Anreizen zur Arbeitsaufnahme aufgrund hoher Sozialtransfers (sogenannte Armutsfalle). Die Kommission schlägt vor, an beiden Seiten des Problems anzusetzen -Die Lohnnebenkosten sollen speziell im Niedriglohnbereich gesenkt werden;, als Gegen-finanzierung verweist die Kommission vor allem auf die von ihr vorgeschlagene CO 2-Energiesteuer sowie auf eine „homogene Besteuerung von Kapitaleinkünften an der Quelle“. -In einigen Mitgliedsländern biete sich die Möglichkeit der sogenannten negativen Einkommensteuer an. Diesem Modell liegt die Idee zugrunde, den Beziehern niedriger Einkommen zusätzlich zu ihrem Lohneinkommen ein staatliches Transfereinkommen zu gewähren, das erst bei steigendem Lohneinkommen allmählich abgeschmolzen wird und schließlich in die normale, „positive“ Einkommensbesteuerung übergeht. Auf diese Weise könnte ein gleitender Übergang zwischen dem Bezug von Sozial-transfers und eigenem Erwerbseinkommen realisiert werden.
Die Vorschläge des Weißbuchs heben sich in ihrer marktwirtschaftlichen Ausrichtung deutlich von früheren, viel stärker interventionistischen Konzepten der EG ab. Manches erscheint zwar unausgegoren, so z. B. die Gegenfinanzierungsvorschläge für den Abbau der Lohnnebenkosten Auch die geforderten Großprojekte im Infrastrukturbereich und in der Forschung bereiten einiges Unbehagen, vor allem wenn man an die Finanzierung denkt
Aber das Weißbuch ist trotzdem ein bemerkenswertes Dokument der Einsicht, daß ein großer Teil der Beschäfigungsprobleme nicht etwa einem Zu-viel an Markt und Wettbewerb, sondern einem Zu-viel an staatlichen Eingriffen und scheinbaren sozialpolitischen Errungenschaften zuzurechnen ist.
II. OECD-Beschäftigungsstudie: Die Industrieländer müssen beweglicher werden
Die OECD-Beschäftigungsstudie entstand auf Anforderung der Ministertagung des Rats der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) im Mai 1992 und wurde im Juni 1994 vorgelegt. Da sie in ihrer Problemdiagnose und in den Handlungsempfehlungen weitgehend mit dem EG-Weißbuch übereinstimmt, soll sie hier nur kurz dargestellt werden
Auch die OECD hält die Arbeitslosigkeit in den Industrieländern für ein im wesentlichen strukturelles Problem, welches von der zyklischen Komponente lediglich überlagert wird. Allerdings wird die strukturelle, also nicht konjunkturell bedingte Arbeislosigkeit für die USA mit etwa sechs Prozent der Erwerbsbevölkerung deutlich niedriger veranschlagt als für Europa, Kanada und Australien/Neuseeland, wo sie nach Einschätzung der OECD sieben bis zehn Prozent beträgt. In Japan sei sie dagegen mit zwei Prozent fast vernachlässigbar gering
Das Grundproblem der Industriestaaten sieht auch die OECD darin, daß der weltwirtschaftliche Strukturwandel immer schneller voranschreitet, die Anpassungsfähigkeit der OECD-Länder aber durch vielfältige „Verkrustungen“ eher abgenommen hat. Daher gelte es, die Anpassungsfähigkeit durch entsprechende Reformen im Entlohnungs-, Bildungs-und sozialen Sicherungssystem zu erhöhen. In dieser Beziehung, so die OECD, gibt es deutliche Unterschiede zwischen den USA und Europa: -Die USA haben vor allem mit einer starken Lohnspreizung und mit zeitlich sowie quantitativ eng begrenzten Unterstützungszahlungen für Arbeitslose reagiert. Dadurch konnte zwar die Beschäftigung auch in niedrigen Qualifikationsbereichen weiter gesichert werden, es entstand aber das Problem der sogenannten „working poor“: Viele Beschäftigte vor allem im Dienstleistungssektor arbeiten für Entgelte, die -zumindest nach europäischen Vorstellungen -
einen angemessenen Mindestlebensstandard nicht gewährleisten.
-Demgegenüber wurden in Europa die Löhne auch für gering qualifizierte Tätigkeiten ständig angehoben, teilweise sogar überproportional, und sie wurden außerdem nach unten durch vergleichsweise großzügige staatliche Unterstützungszahlungen für Arbeitslose abgesichert.
Dies führte zu hoher Arbeitslosigkeit, insbesondere auch zu Langzeitarbeitslosigkeit, gerade im Bereich der gering Qualifizierten.
Das von der OECD angeregte „globale Aktionsprogramm“ zur Lösung des Beschäftigungsproblems basiert im wesentlichen auf den gleichen Ideen wie der Ansatz des Weißbuchs. Es fehlt allerdings die -in der Tat problematische -Komponente eines massiven, staatlichen Infrastruktur-und Forschungsförderungsprogramms. Statt dessen konzentriert die OECD ihre Empfehlungen ganz auf ordnungspolitische Reformen: Abbau überflüssiger Regulierungen und gezielte Förderung der mittelständischen Wirtschaft, flexiblere Arbeitszeiten, Abbau von Lohnnebenkosten vor allem bei gering qualifizierten Tätigkeiten, Über-prüfung von überzogenen Kündigungsvorschriften, Verbesserung des Bildungssystems im Sinne des lebenslangen Lernens und mehr aktive Arbeitsmarktpolitik im Sinne der Wiedereingliederung der Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt anstelle von reinen Unterstützungszahlungen.
Stärker noch als im Falle des Weißbuchs setzt die OECD damit auf die Kräfte des Marktes und warnt deutlich davor, durch überzogene und falsch konstruierte soziale Sicherungssysteme die Anpassungsbereitschaft an eine sich ständig wandelnde Welt zu unterminieren.
III. McKinsey-Studie: Raum für neue Märkte schaffen
Im November 1994 legte das private McKinsey Global Institute in Washington eine Studie zur „Employment Performance“ vor, welche auf einem Vergleich von sechs Staaten (Japan, USA, Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien) für den Zeitraum 1980 bis Anfang der neunziger Jahre basiert und neben einer jeweils allgemeinen Analyse Fallstudien für sieben Branchen enthält Die zentrale Botschaft dieser Studie lautet: Neben den Funktionsmängeln auf den Arbeitsmärkten behindern vor allem Restriktionen auf den Gütermärkten das Entstehen neuer Arbeitsplätze. Auf die Beseitigung letzterer konzentrieren sich die Handlungsempfehlungen des McKinsey-Institutes. Ähnlich wie die EG-Kommission und die OECD vertreten auch die McKinsey-Autoren die These, daß technischer Fortschritt und Strukturwandel sich letztlich positiv auf die Beschäftigung auswirken: Die Realeinkommen steigen, neue Produkte werden angeboten und nachgefragt und der Wettbewerb führt zu immer neuen Anstrengungen der Unternehmen, effizienter zu produzieren und neue Wege zu gehen. Dieser Prozeß verläuft jedoch nicht reibungslos, und er läuft vor allem in einigen Ländern besser als in anderen; der Hauptgrund dafür sind nach den Erkenntnissen der McKinsey-Studie die jeweiligen Regulierungen, vor allem im Dienstleistungssektor
Die McKinsey-Studie stellt die These, wonach die USA in den achtziger Jahren vorwiegend niedrig-bezahlte „McDonalds-Jobs“ kreiert hätten, ausdrücklich in Abrede. Vielmehr seien in den USA relativ zur Erwerbsbevölkerung sogar mehr hochqualifizierte Arbeitsstellen geschaffen worden als in Frankreich oder Deutschland. Das in den europäischen Ländern stärker gestiegene qualitative Durchschnittsniveau der Arbeitsplätze sei nur dadurch zustande gekommen, daß diese Länder in den niedrig qualifizierten Bereichen massiv Arbeitsplätze abgebaut haben, während die USA auch hier Zuwächse realisieren konnten
Nach Ansicht der McKinsey-Autoren sind in Zukunft neue Arbeitsplätze nur noch im Dienstleistungssektor zu erwarten. Gerade hier gebe es aber in Europa im Gegensatz zu den USA zahlreiche Marktbarrieren und Regulierungen, die eine entsprechende Entfaltung der Marktkräfte behinderten. Als Beispiele werden u. a. genannt: -restriktive Ladenschlußzeiten, welche die Entstehung neuer (auch Teilzeit-) Arbeitsplätze im Einzelhandel behindern;
-restriktive Bodennutzungsregulierungen und „Myriaden von Bauvorschriften“, welche neben dem Einzelhandel auch die Wohnungswirtschaft und die Erweiterung und Neuansiedlung von Produktionsunternehmen behindern und verteuern;
-restriktive Umweltvorschriften, die in die gleiche Richtung wirken;
-restriktive Rahmenbedingungen für Radio-und Fernsehsender (insbes. Werbebeschränkungen)
sowie für Kabeldienste und Filmproduktionen, welche für den Vorsprung der USA auf diesen Gebieten mitverantwortlich seien
Die McKinsey-Autoren ziehen aus ihrer Analyse nicht den Schluß, daß alle genannten Regulierungen -etwa im Umweltbereich -insgesamt schädlich und damit abzuschaffen seien. Sie sollten aber unter dem Gesichtspunkt ihrer beschäftigungshemmenden Wirkungen zumindest auf den Prüfstand gestellt werden. Viele seien zudem selbst in bezug auf die mit ihnen eigentlich verfolgten Ziele kontraproduktiv
IV. Bertelsmann-Studie: Marktwirtschaftliche Gesamtstrategie ist entscheidend
Während die bisher behandelten Untersuchungen schwerpunktmäßig Funktionsdefizite der Arbeitsmärkte, der Gütermärkte und der sozialen Sicherungssysteme behandeln, folgt die im Frühjahr 1994 vorgelegte Bertelsmann-Studie einem globaleren Ansatz 25. Es werden 17 Industrieländer für den Zeitraum 1980 bis 1993 daraufhin verglichen, worauf die Unterschiede im beschäftigungspolitischen Erfolg im genannten Zeitraum zurückzuführen sind. Kernpunkt der Studie ist ein multikausaler Erklärungsansatz, d. h., es wurde eine Vielzahl von möglichen Einflußfaktoren empirisch getestet, wobei sich letztlich zehn Wirkungsfaktoren als statistisch relevant für den beschäftigungspolitischen Erfolg herauskristallisierten. Letzterer wurde anhand einer zusammengesetzten Zielgröße gemessen, in welche neben den standardisierten Arbeitslosenquoten auch der Beschäftigungszuwachs in den vergangenen vierzehn Jahren einging. Die zehn Wirkungsfaktoren wurden wie folgt in vier Gruppen eingeteilt (Gewichte in Klammern) 1. Wirtschaftswachstum (20 Prozent); zusammengesetzt aus -Zuwachsrate des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP);
-Anteil der privaten Anlageinvestitionen am BIP;
2. Finanzpolitik (10 Prozent); zusammengesetzt aus -Staatsquote (Verhältnis der Staatsausgaben zum Bruttosozialprodukt [BSP]);
-Abgabenquote (Steuern und Sozialabgaben in Prozent vom BSP);
3. Arbeitsmarktpolitik (30 Prozent); zusammengesetzt aus -Anteil aktiver Maßnahmen an den Gesamtausgaben; -Anteil der Qualifizierungsmaßnahmen an den aktiven Maßnahmen;
-Anteil der Langzeitarbeitslosen an den Gesamtarbeitslosen; 4. Tarifpartner (40 Prozent); zusammengesetzt aus -Streikhäufigkeit; -Anstieg der Lohnstückkosten in nationaler Währung;
-Anteil der Teilzeitarbeitsplätze an den Gesamtarbeitsplätzen.
Demnach kommt dem Verhalten der Tarifparteien mit 40 Prozent die größte Bedeutung für den beschäftigungspolitischen Erfolg zu. Tendenziell waren diejenigen Länder vergleichsweise erfolgreich, in denen maßvolle Lohnerhöhungen ohne große Verteilungskämpfe vereinbart wurden und in denen vergleichsweise flexible Arbeitsbedingungen (hier gemessen an dem Anteil der Teilzeitarbeit) herrschten
Der absoluten Höhe des Wirtschaftswachstums kommt demgegenüber eine geringere Bedeutung zu; wichtiger ist nach den Ergebnissen der Studie, daß der zur Verfügung stehende Verteilungsspielraum nicht überschätzt wird, weder von den Tarif-parteien noch vom Staat. So zeigt sich denn auch, daß eine vergleichsweise niedrige Staats-und Abgabenquote auf längere Sicht tendenziell von Vorteil für die Beschäftigungsentwicklung ist.
Was die aktive Arbeitsmarktpolitik betrifft, so wird sie in der Studie eher als Korrektiv für Defizite in den anderen Bereichen betrachtet. Insbesondere die skandinavischen Staaten haben es lange Zeit verstanden, durch Qualifizierungsmaßnahmen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und starke Anreize für die Arbeitslosen, möglichst rasch wieder in ein Beschäftigungsverhältnis zu gelangen, ihre Arbeitslosenquoten gering zu halten. In den letzten Jahren ist diese Politik aber zunehmend an Finanzierungsgrenzen gestoßen, und sie stellt gegenüber der Schaffung regulärer Arbeitsplätze im Wettbewerb ohnehin nur die zweitbeste Strategie dar
Die Bertelsmann-Studie enthält neben dem globalen Vergleich anhand der beschriebenen Kennziffern auch kurze Einzelanalysen zu jedem der verglichenen 17 Länder. Basierend darauf werden vier unterschiedliche Beschäftigungsstrategien herausgearbeitet, die jeweils deutliche Unterschiede im beschäftigungspolitischen Erfolg mit sich brachten -Am erfolgreichsten sind danach diejenigen Länder gewesen, die dem Strategietyp der „stabilitätsorientierten Marktwirtschaft“ gefolgt sind. Sie nehmen durchweg vordere Plätze in dem Gesamtranking der Länder für den be-trachteten Zeitraum ein Es sind dies die Schweiz (1), Japan (2), Österreich (5), (West-) Deutschland (6) sowie -mit einigen Abstrichen -die USA (8). Gemeinsam ist diesen Ländern ein vergleichsweise hohes Maß an sozialer und monetärer Stabilität, die weitgehende Vermeidung von unproduktiven Verteilungskämpfen sowie vergleichsweise moderate Staats-und Abgabenquoten. -Relativ gut abgeschnitten hat auch eine zweite Gruppe von Ländern, die als „beschäftigungspolitisch aktive Wohlfahrtsstaaten“ bezeichnet werden. Hierzu zählen Norwegen (3), Schweden (4) und -wiederum mit einigen Einschränkungen -Portugal (7) Diese Länder sind zwar weniger stabilitätsbewußt und haben höhere Streikquoten als die Länder der erstgenannten Gruppe, aber sie konnten dies lange Zeit durch eine entsprechend aktive Arbeitsmarktpolitik ausgleichen. In der Studie werden allerdings Zweifel geäußert, ob dieser Weg auf Dauer gangbar ist; insbesondere das schwedische Modell hat inzwischen viel von seinem Glanz verloren.
Eindeutig negativ fällt das Urteil über eine dritte Ländergruppe aus, die als „beschäftigungspolitisch passive Wohlfahrtsstaaten“ klassifiziert werden. Es sind dies die Niederlande (9), Frankreich (11), Belgien (14) und Dänemark (16). Diese Länder haben hinsichtlich Stabilität und tarifpolitischer Vernunft ähnliche Probleme wie die zuvor genannten, verwenden ihre ebenfalls hohen Staats-und Abgabenquoten aber darüber hinaus vorwiegend für reine Unterstützungszahlungen und den immer weiteren Ausbau des Wohlfahrtsstaates, während die aktive Arbeitsmarktpolitik nur eine untergeordnete Rolle spielt. -Am unteren Ende des Rankings stehen schließlich die „Volkswirtschaften mit gravierenden Verteilungskonflikten“: Australien (10), Kanada (12), Großbritannien (13) Italien (15)
und Spanien (17). Wie die Bezeichnung dieser Gruppe schon andeutet, leiden sie unter hoher Streikhäufigkeit, ständigen Lohn-Preis-Spiralen und zusätzlich relativ hohen Staats-und Abgabenquoten. Obwohl sie teilweise durchaus hohe Wachstumsraten aufweisen, können sie davon kaum profitieren, weil die dadurch geschaffenen Verteilungsspielräume vom Staat und von den Tarifparteien ständig überfordert werden.
Wie die Problemanalyse und die Charakterisierung der einzelnen Länder schon andeutungsweise erkennen läßt, gehen die Lösungsvorschläge der Bertelsmann-Studie in ähnliche Richtung wie die Forderungen der drei anderen Untersuchungen. Das Schwergewicht der Analyse liegt hier allerdings wesentlich stärker auf makroökonomischen Daten wie Preisniveaustabilität, Staatsquote und Lohnstückkosten. Die grundsätzliche Empfehlung zur Lösung des Beschäftigungsproblems lautet, eine konsequent marktwirtschaftliche und auf soziale und monetäre Stabilität gerichtete Strategie zu betreiben bzw. -im Falle Deutschlands -sich auf diese zurückzubesinnen. Ähnlich wie das Weißbuch und die OECD-Beschäftigungsstudie warnt auch die Bertelsmann-Studie davor, die Arbeitslosigkeit mit einem immer weiteren Ausbau des Sozialstaates und damit letztlich nur an den Symptomen zu bekämpfen.
V. Fazit: Die Marktkräfte politisch stärken
Alle vier Untersuchungen setzen hinsichtlich der Lösung des Beschäftigungsproblems eindeutig auf die Kräfte des Marktes. Sie folgen damit aber keineswegs einem blinden Glaubensbekenntnis, sondern zeigen detailliert -wenn auch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung -auf, wo diesen Kräften politische Fesseln angelegt worden sind bzw. wo sie aufgrund mangelnder Leistungs-und Effizienzanreize zu erlahmen drohen.
Die Forderung lautet keineswegs einfach „Zurück in die sechziger Jahre“. Alle vier Studien bemühen sich vielmehr darum, neuen Herausforderungen wie dem gewachsenen Bedürfnis nach sozialer Sicherheit, dem wachsenden Umweltbewußtsein und dem härter gewordenen internationalen Standortwettbewerb gerecht zu werden. Gleichwohl ist die Antwort auf die beschäftigungspolitische Herausforderung letztlich eindeutig: Nicht mit defensiven Strategien wie der Abschottung von den Weltmärkten und einem immer weiteren Vordringen des Staates in die Wirtschaft können die Beschäftigungsprobleme gelöst werden, sondern nur auf dem Wege der offensiven Umgestaltung der westlichen Industriegesellschaften mit dem Ziel, den Prinzipien von Effizienz und Wettbewerb neue Geltung zu verschaffen.