I. Historischer Rückblick
Leipzig nach Berlin die zweitgrößte Stadt der neuen Bundesländer, ist Zentrum des südöstlichen Agglomerationsraums Leipzig-Halle -Bitterfeld mit einer Bevölkerungszahl von etwa 5 Millionen Menschen und einer hohen Bevölkerungsdichte. Die schon vor dem Zweiten Weltkrieg als „mitteldeutsches Industriegebiet“ bekannte Region erstreckt sich nach der Länderneugliederung über die Ländergrenzen zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt, untersteht dementsprechend zwei Regierungspräsidien (Leipzig und Halle) und umfaßt mehrere Landkreise.
Die geographische Lage am Kreuzungspunkt der europäischen Fernhandelswege „Via regia“ und „Via imperii" begünstigte bereits seit dem 12. Jahrhundert Leipzigs Entwicklung zu einem wichtigen Wirtschafts-und Handelsplatz in Europa. Die Leipziger Messe, eine der ältesten Messen des Kontinents, hatte seit dem 14. Jahrhundert zentrale Bedeutung für Stadtentwicklung und Stadtwachstum und machte Leipzig zum Mittelpunkt des Ost-West-Handels. Mit der Gründung der Universität im Jahr 1409 und dem sich entwickelnden Buchdruck erlangte das Handelszentrum Leipzig bis zum 17. Jahrhundert eine weit über die damaligen Reichsgrenzen hinausreichende geistig-kulturelle Bedeutung.
Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts wird südlich von Leipzig Braunkohle abgebaut 2; der Wandel der Stadt zur Industriestadt setzte Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Neben einer kleinteiligen Hinterhof-industrie in den zentrumsnahen „inneren Vorstädten“ (wie dem Graphischen Viertel) entwickelte sich auf zusammenhängenden Industriegebieten am damaligen Stadtrand eine zum Teil mit dem Profil der Leipziger Messe verflochtene Verarbeitungsindustrie, die die Wirtschaftsstruktur von Stadt und Region Leipzig bis heute prägt.
Bis zum Zweiten Weltkrieg war Leipzig darüber hinaus einer der wichtigsten deutschen Banken-standorte und Sitz staatlicher Institutionen wie des Reichsgerichts. Auch Handel, Dienstleistungs(Mitteldeutscher Rundfunk) und Verwaltungseinrichtungen hatten in der Stadt ihren Platz und trugen zu einem damals breitgefächerten Branchenprofil bei. Nach der deutschen Teilung büßte die Stadt zwar zentrale Funktionen im Verwaltungs-, Bank-und Verlagsbereich ein, insbesondere mit der Messe konnte sie jedoch ihren Stellenwert in der 1949 gegründeten DDR behaupten und neu ausbauen
Vor allem mit der Industrialisierung war Leipzig zur Großstadt geworden. Rapide ansteigende Bevölkerungszahlen (1871: 106925 Einwohner, 1910: 589 850 Einwohner erzwangen einen umfassenden Wohnungsbau, der in einem Gürtel um das alte Stadtzentrum angelegt wurde. Mit etwa 700000 Einwohnern erreichte Leipzig zu Beginn der dreißiger Jahre seine höchste Bevölkerungszahl, die seither wieder kontinuierlich abnimmt.
II. Die Stadt zur DDR-Zeit
1. Wirtschaft und Umwelt Die starke Prägung der wirtschaftlichen Entwicklung Leipzigs durch das produzierende Gewerbe ist in zahlreichen Teilen der Stadt, so im Graphischen Viertel oder in Plagwitz, bis heute sichtbar. In 280 Industriebetrieben (davon 32 mit über 1000 Beschäftigen) war 1989 etwa ein Drittel der Leipziger Beschäftigten tätig Metallindustrie (44 Metall-industrieunternehmen im Stadtgebiet und weitere 45 Metallgroßbetriebe im damaligen Bezirk Leipzig Elektrotechnik/Elektronik, Textilindustrie und Drucktechnik bildeten die Schwerpunkte. Als Sitz von 14 Industriekombinaten mit den angeschlossenen Forschungs-und Entwicklungseinrichtungen und als Standort der Leipziger Messe -dem „Tor zur Welt“ -hatte der Raum Leipzig zentrale Bedeutung für die Volkswirtschaft der DDR.
Im damit wichtigsten industriellen Ballungsraum und Zentrum der Energieversorgung der DDR konzentrierten sich 1988 54, 4 Prozent der Chemieindustrie, 23, 6 Prozent der Energie-und Brennstoffindustrie und 24 Prozent des chemierelevanten Maschinen-und Anlagenbaus Die Entwicklung der Wissenschaftslandschaft wurde entsprechend stark auf diesen industriellen Bedarf ausgerichtet.
Festschreibung der Wirtschaftsstruktur und überalterte Produktionstechniken führten zu einer kontinuierlichen Verschärfung der regionalen Umweltsituation. Die am Boden gemessenen Schadstoffbelastungen waren Ende der achtziger Jahre im engeren Stadtgebiet und in Teilen der Umgebung mit über 100 Mikrogramm Stickoxid/Kubikmeter die höchsten in der DDR 2. Wohnen und Städtebau In städtebaulicher Hinsicht erschien der Zustand Leipzigs manchem Beobachter im Herbst 1989 fast desolater und hoffnungsloser als bei Kriegsende Hatte es in der Phase der Wiederaufbauplanung 1945 noch einen Konsens darüber gegeben, die historische Identität der Stadt, ihres Zentrums und der Vorstädte trotz eines Zerstörungsgrades von 60 Prozent zu erhalten, die alten gemischten Strukturen wiederaufzunehmen und die Stadt von innen nach außen zu entwickeln, so ist man bereits ab Mitte der fünfziger Jahre von dieser Vorstellung abgewichen. Konzepte für Stadtentwicklungsplanung und Stadterhaltung wurden auch in Leipzig zurückgestellt zugunsten eines extensiven Wohnungsneubauprogramms, das seit 1958 in industrieller Großplattenbauweise wie in anderen „Aufbaustädten“ der DDR die Wohnungsprobleme lösen sollte 100000 Wohnungen wurden in Leipzig nach 1946 gebaut, vorrangig an peripheren Standorten, darunter für etwa 100000 Einwohner die Siedlung Leipzig-Grünau -nach Berlin-Marzahn zweitgrößter Wohnungsbaustandort der DDR. Für die Stadtentwicklung bedeuteten die Neubaustandorte verstärkte Funktionstrennung, hohe Infrastruktur-aufwendungen und demographische Entleerung der inneren Stadt. Diese eindeutige Schwerpunkt-setzung seit Ende der fünfziger Jahre zählt neben dem niedrigen technologischen, materiellen und personellen Niveau des Leipziger Baukombinats und seiner Betriebe, das seit der Mitte der siebziger Jahre Gebäudesanierungen verhinderte, zu den maßgeblichen Ursachen des desolaten Zustands der Leipziger Altbausubstanz
Nach einer Bestandsaufnahme durch städtische und externe Fachleute waren 1991 196000 zumeist im Gründerzeitgürtel der Stadt gelegene Wohnungen, d. h. drei Viertel des gesamten Bestandes von 258 324 Wohnungen, in stark erneuerungsbedürftigem Zustand und 25000 Wohnungen unbewohnbar
Im historischen Leipziger Stadtzentrum befanden sich bis 1990 renovierte und teilrenovierte Bürger-häuser und Messepaläste, aber auch Neubau-ensembles, die mit dem Anspruch einer neuen „sozialistischen Funktionsbestimmung“ des Stadt-zentrums entstanden waren, in enger räumlicher Nachbarschaft mit Kriegsruinen und Baulücken. In den sechziger Jahren wurde auch in Leipzig das neue städtebauliche Leitbild der DDR mit „zentralen Plätzen und Magistralen für Massenkundgebungen“ und für ein „neues sozialistisches Gemeinschaftsleben“ durchgesetzt Die Sprengung des historischen Bauensembles der Universität und der Universitätskirche (Paulinerkirche) am zentralgelegenen Augustusplatz (Karl-Marx-Platz) und der an gleicher Stelle erfolgte Neubau des Universitätshochhauses gerieten zum symbolischen Höhepunkt einer „Kahlschlagstrategie“ die die „Folgen des Krieges nicht beseitigte, sondern zementierte“
Ein geschlossenes Konzept für die bauliche, kulturelle und funktionale Weiterentwicklung der Stadt und ihres historischen Zentrums, wie es sich beispielsweise 1929 noch im ersten Generalbebauungsplan der Stadt Leipzig, einem „baupolitischen Programm auf lange Sicht“ manifestiert hatte, entwickelte die Stadt erst Ende der achtziger Jahre wieder. 1988 gelang es dem Stadtarchitekten Dietmar Fischer gegen zentrale Widerstände, für das Leipziger Stadtzentrum einen DDR-offenen Ideenwettbewerb auszuloben Dieser knüpfte an die räumlichen Entwicklungsvorstellungen der Vorkriegs-und unmittelbaren Nachkriegszeit an und betonte erstmals die bis heute relevanten Stärken eines kompakten Stadtkörpers und des in seiner Geschlossenheit einmaligen historischen Zentrums Leipzigs.
III. Wende und Umbruch nach dem Herbst 1989
1989 rückte Leipzig als „Stadt der Wende“ in den Mittelpunkt des deutschen und des internationalen Interesses. Die friedliche Revolution in der DDR nahm von Leipzig ihren Ausgang. 1. Städtebau Im Januar 1990 fand in Leipzig die 1. Volksbaukonferenz -als quasi öffentlicher „Schrei nach konstruktiver Veränderung“ -statt. Die Konferenz, eine Initiative Leipziger Architekten, Wissenschaftler und Künstler, erbrachte eine städtebauliche und umweltpolitische Bestandsaufnahme, die Formulierung von Ansprüchen und Handlungsoptionen für Leipzigs Revitalisierung und geriet zu einer Abrechnung mit den Funktionären sozialistischer Stadtentwicklungspolitik. Parallel dazu wurden in den Stadtbezirken die ersten Bürgerinitiativen und unabhängigen Architektenbüros tätig
Von Oktober 1989 bis Ende 1990 erarbeitete eine auf Beschluß des Ministerrats der (noch existierenden) DDR und der „Regierungskommission zur Entwicklung der Stadt Leipzig“ eingerichtete und mit einem eigenen Budget ausgestattete „Planungsgruppe Stadtentwicklung Leipzig“, bestehend aus dem Stadtarchitekten, ehemaligen Mitgliedern der Bauakademie und freien Architekten, neue Bereichsentwicklungspläne und erste Stadterneuerungskonzepte für besonders gefährdete Stadtteile. 2. Umwelt und Verkehr Nicht nur die städtebaulichen Zerstörungen, auch die Zerstörungen und Belastungen der städtischen Umwelt waren Themen der 1. Volksbaukonferenz Leipzig. Eine Bestandsaufnahme und ein umfänglicher Handlungskatalog, der energiepolitische Maßnahmen ebenso umfaßte wie naturschützende, und verkehrspolitische sowie die Strukturen einer künftigen Umweltverwaltung, wurden im Anschluß an die Konferenz in Leipzig veröffentlicht
Die Relevanz der Themenfelder Umwelt/Umwelt-Sanierung und ökologische Stadtplanung wurde während der Wendezeit auch in der Gründung zahlreicher Umweltinitiativen, ihrer institutionellen Einbeziehung in die neugewählten politischen Gremien und in einigen stadtökologischen Projekten deutlich. Nach einer Bürgerumfrage der Stadt Leipzig 1991 stellte sich für 91 Prozent der Leipziger Bürger die Umweltsituation, insbeson-dere die Luftbelastung, als ein zentrales Kriterium der Unzufriedenheit mit den städtischen Lebensbedingungen dar. 1992 war durch Schließung großer Emittenten (Kraftwerke, Industrieanlagen) eine gewisse Reduzierung der Luftschadstoffe eingetreten, aber gleichzeitig hatten sich der motorisierte Individualverkehr und der Straßengüterverkehr drastisch erhöht und diese Umweltentlastungen wieder relativiert
„Die Umweltsituation als weicher Standortfaktor“, so betonten Gesprächspartner aus Wissenschaft und Politik im Juli 1993, „ist nach wie vor eine der größten Schwächen Leipzigs.“ Dabei habe die Stadt hervorragende Potentiale für eine ökologische Entwicklung: Stadtkörper, Stadtstruktur, Stadtgröße und Siedlungsdichte böten „exzellente Möglichkeiten für eine ökologisch orientierte Planung und Versorgung“. 3. Wirtschaft und Arbeitsmarkt Die Umstrukturierungs-und Privatisierungsmaßnahmen der Treuhandanstalt trafen nach 1989 die produzierenden Großbetriebe Leipzigs und deren Beschäftigte besonders hart. Sicherte der industrielle Sektor 1989 noch etwa 80000 Leipzigern einen Arbeitsplatz, so ging diese Zahl bis Ende 1993 auf nur noch 17 000 Beschäftigte zurück -mit weiter sinkender Tendenz Die industrielle Basis der Stadt ist weggebrochen, ohne daß an deren Stelle entsprechende Mittelstandsbetriebe getreten wären
Heute, so Gesprächspartner aus den verschiedenen Bereichen von Politik, Verwaltung und Wissenschaft, besteht in Stadt und Region Leipzig weitgehend Einigkeit darüber, daß die künftige Stadtentwicklung -insbesondere die Entwicklung als Dienstleistungs-und Handelszentrum -einer modernisierten industriellen Basis bedarf, daß Stabilisierung und Neuformierung des industriellen Sektors folglich vorrangige Aufgaben sein müssen. Es gehe um den Erhalt und die Neuansiedlung produzierender Betriebe durch planungsrechtliche, infrastrukturelle und subventionierende Maßnahmen
Mit dem Niedergang und der Umstrukturierung der Leipziger Industrie vollzogen sich auch der Niedergang der industrienahen Forschung (in der DDR vorrangig in Akademien und Hochschulinstituten angesiedelt) und die Abwanderung von wissenschaftlichem Potential. Mit nur noch 20 Prozent der Vor-Wende-Kapazitäten beziffern Leipziger Gesprächspartner aus Wissenschaft und Wirtschaftsinstitutionen das heutige Forschungs-und Entwicklungspotential der Stadtregion. Den Hochschulevaluierungen in Sachsen fiel auch die Technische Hochschule Leipzig zum Opfer, die allerdings mit erweitertem Programm in eine Fachhochschule überführt wurde. Inzwischen werden Befürchtungen geäußert, daß weder die derzeit vorhandenen Hochschulpotentiale noch die Bemühungen der Industrie-und Handelskammern Leipzig und Halle geeignet und ausreichend seien, das verbliebene Innovationspotential zu stabilisieren, zu vernetzen und für das wirtschaftliche „Zukunftsprofil“ Leipzigs -Entwicklung einer neuen „intelligenten Produktionstechnologie“ -nutzbar zu machen.
Die Diskussion über das Zukunftsbild Leipzigs -Dienstleistungsmetropole contra Produktionsstandort -wird nach Ansicht von Beobachtern gegenwärtig fast wie ein Glaubenskrieg geführt. Im bereits erwähnten Gutachten des Leipziger Amtes für Wirtschaftsförderung wird jedoch versucht, zwischen „Dienstleistungstheoretikern“ und den „Anhängern der Vision vom Produktionsstandort“ zu vermitteln: Die Stadt müsse bereit sein, eine zentrale Dienstleistungsfunktion für die Region zu übernehmen; Stadt und Region brauchten auch in Zukunft Produktion und Dienstleistung; Produktion könne aber auch in der Region vonstatten gehen.
Der Strukturwandel der Leipziger Wirtschaft spiegelt sich in den Arbeitsmarktstatistiken der Stadt wider: Zwischen 1989 und 1993 schrumpfte der Beschäftigtenanteil des produzierenden Gewerbes in der Stadt von 37 Prozent auf etwa 20 Prozent zwischen 1990 und 1992 stieg der Anteil der Beschäftigten in Kreditinstituten, Versicherungen, anderen Dienstleistungsbereichen und Gebietskörperschaften hingegen von 25, 8 Prozent auf 42, 2 Prozent, der Anteil der Erwerbstätigen in Handel, Verkehr und Nachrichtenwesen von 13, 3 Prozent auf 21, 7 Prozent
4. Die „Boomtown"
Leipzig sieht sich als künftiges Finanz-, Messe-und Dienstleistungszentrum der Superlative. Öffentliche und private Kapitaltransfers machten die Stadtregion in den vergangenen Jahren zum Wirtschaftsstandort mit dem größten Investitionsvolumen in Deutschland. Zwischen 1991 und 1995 flossen 50 Milliarden Mark öffentlicher Investitionen in die Region Leipzig-Halle, davon 15 Milliarden in den Ausbau des Messe-und Dienstleistungszentrums Leipzig, weitere 18 Milliarden an Subventionen in Produktionsbetriebe und den Bergbau
Der lagegünstige Nordraum der Region mit Autobahnknoten und Flughafennähe wurde neben dem Stadtzentrum zum räumlichen Investitionsschwerpunkt. Als symbolhaftes Kernstück des Investitionsgeschehens (und als Kraftakt der Stadtplanung) stellt sich die Entwicklung des neuen Messe-geländes im nördlichen Stadtteil Mockau dar: 1, 3 Milliarden Mark Gesamtinvestitionen, 80 000 Quadratmeter Hallenfläche, erster Spatenstich nach nur zwei Jahren Planungsvorlauf. Mit modernster Infrastruktur will sich Leipzig im umkämpften deutschen Messemarkt einen Platz sichern und den Messestandort gleichzeitig zum Nukleus einer dynamischen Dienstleistungsregion entwickeln, um den sich weitere Großinvestitionen gruppieren
Stadtplanungs-und Bauordnungsamt Leipzig fügten zu Beginn des Jahres 1994 weitere Superlative hinzu: 15000 genehmigte Bauanträge von 1990 bis 1993 (schwerpunktmäßig für Büro-, Hotel-und Einzelhandelsnutzungen); viele hundert Baustellen im Stadtgebiet, auf denen 1993 rund zehn Milliarden Mark verbaut wurden; eine Bauinvestitionssumme von weiteren 22 Milliarden Mark in Planung
Ein beispielloser Run auf Immobilien, insbesondere in Innenstadtlagen, ließ bis Anfang 1994 die Bodenpreise in spekulative Höhen schnellen (Innenstadt 1993 durchschnittlich 10500 DM/qm) und verschaffte Leipzig einen Platz unter den 25 teuersten Städten der Welt. Bis 1995, so die Einschätzung von Immobilienfirmen, werden eine Million Quadratmeter Büroflächen neu auf dem Markt sein; der Bestand hätte sich dann gegenüber 1992 verdoppelt und wäre nach Aussage von Immobilienfachleuten „selbst bei stabiler Nachfrage nicht absorbierbar“
In dieser allgemeinen Hektik empfand der Stadtentwicklungsdezernent von Leipzig, Niels Gormsen, Mitte 1993 fast eine gewisse Zufriedenheit über die vielfach ungeklärten Eigentumsverhältnisse (zum damaligen Zeitpunkt 58000 registrierte Restitutionsansprüche), die „nicht gleich alles zulassen, was einer bauen will“ Die Innenstadt allerdings betrachtet er als „verlorenes politisches Projekt“. Ihre Entwicklung sei „unter Marktbedingungen nicht zu steuern“ da man die Grundstücke nicht habe und schnelle Aufkäufer Restitutionsansprüche en gros aufzukaufen wußten. Gormsens Befürchtung lautet daher: „In ein paar Jahren wird die Leipziger City genauso aussehen wie irgendeine westdeutsche Innenstadt.“ 5. Stadtmarketing: Drei Projekte Die allgemeine Planungshektik, von der bisweilen auch öffentliche Akteure erfaßt wurden, verdeutlicht sich exemplarisch im Projekt der Messe-verlagerung (199H 92) und dem daraus resultierenden Entwicklungsprojekt „Altes Messegelände“ (1992/93). Durch die -vielfach kritisierte -Verlagerung der Messefunktionen an den Stadtrand stand das etwa 90 Hektar große traditionelle, innenstadtnahe Gelände der Technischen zur Neunutzung an. Die Koppelung der Finanzierung Neue Messe an eine möglichst lukrative Vermarktung des alten Terrains zwang dazu, in kürzester Frist für beide Großprojekte Planungen vorzulegen, vermarktungsfähige Teilräume der Alten Messe zu definieren und um Investoren zu werben. Zwar wird im Ergebnis eines städtebaulichen Gutachterverfahrens und der Rahmenplanung des Entwicklungsprojektes „Alte Messe“ die Entwicklung eines vielfältig gemischten Stadtteils mit hohen Wohnanteilen empfohlen, aber die eingegangenen Finanzierungsrisiken und Vermarktungsbedarfe drohen den ohnehin hohen Anteil rentierlicher Nutzungen weiter nach oben zu treiben. Nach Aussagen von Kritikern wird ein zweites, konkurrierendes Stadtzentrum geschaffen, das angesichts bereits vorhandener Büro-und Einzelhandelsflächenüberhänge vom Markt nicht angenommen werden könne
Als Entwicklungsagentur für die „Vision“ der Medienstadt Leipzig und als Stadtmarketing-Instrument wurde 1992 die „Medienstadt Leipzig GmbH“, das zweite hier vorzustellende Projekt, ins Leben gerufen. Nach Ansicht von Gesprächspartnern orientierten die Gesellschafter -die Stadt Leipzig, Messegesellschaft, die Industrie-und Handelskammer (IHK), große Immobilienfirmen und Developer -die Aktivitäten der GmbH jedoch zu stark und nahezu ausschließlich auf Immobilien-management und Akquisition von Großprojekten (Medienhaus, Teleport).
Die Bestandspflege des noch Vorhandenen zählte zunächst nicht zu den Schwerpunkten des Medienstadt-Konzepts Inzwischen hat ein 1993 im Auftrag der Medienstadt GmbH erstelltes Gutachten Nachdenken und Neuorientierung ausgelöst. Empfohlen wird ein bescheideneres Auftreten, die Konzentration der Aktivitäten auf Schwerpunkt-branchen und die stärkere Unterstützung vorhandener Medienbetriebe
Das dritte Projekt -„Leipzig kommt“, die Image-und Identifikationskampagne der Stadt -vermittelt seit 1993 ein Gefühl von Wachstum, Dynamik, Erfolg und einen nahezu unerschütterlichen Optimismus, den ihre Erfinder -Mitarbeiter im Büro des Oberbürgermeisters -für die Stadtentwicklung als unerläßlich erachten: Ziel der Kampagne, die von Kommune und Wirtschaft gemeinsam finanziert wird, ist es, nicht nur die Investoren, sondern auch die Leipziger Bevölkerung von der „Stadt mit Zukunft“ (Teil des Kampagnenslogans) zu überzeugen und zum Bleiben zu animieren.
In Wirtschaftskreisen kommt die Kampagne hervorragend an: „Leipzig schafft es, in ungeheurem Umfang sich selbst Mut zu machen“, erklärte ein Gesprächspartner der Medien GmbH. „Man jammert Ihnen hier nicht die Ohren voll. ... Leipzig macht Stadtmarketing -andere reden nur davon.“ Die Wirkung nach innen auf die eigene Bevölkerung war dagegen bislang -wie auch die Organisatoren zugeben -eher zwiespältig: „Ostdeutsche haben ein anderes, schwieriges Verhältnis zur Werbung... die Leipziger Bürger hatten hach Umfragen das Gefühl, in der wirtschaftsorientierten Kampagne überhaupt nicht vorzukommen.“
IV. Neue Entwicklungen und Strategien seit 1993
1. Wirtschaft und Arbeitsmarkt Seit Ende 1993 mehren sich auch bei Akteuren in Politik und Verwaltung Zweifel am eingeschlagenen Entwicklungsweg der Stadt. „Leipzig kommt“, so ein Gesprächspartner, „auf den Boden der Tatsachen zurück.“ Vorzeigeprojekte des Aufschwungs im Leipziger Norden, wie Teile der Flughafenerweiterung, die S-Bahn-Anbindung der Neuen Messe oder das Güterverkehrszentrum, müssen angesichts öffentlicher Finanzschwäche auf bescheidenere Varianten umgeplant werden Büroprojekte außerhalb zentraler Lagen werden aufgrund gesunkener Renditeerwartungen zurückgestellt oder ganz aufgegeben. Viele im Boom erstellte Büroneubauten erweisen sich zudem als nicht marktgerecht, zu groß und zu teuer
Der zentrale Wirtschaftsfaktor Messe konnte sich trotz einzelner erfolgreicher Ausstellungen bislang nicht ausreichend stabilisieren und gerät angesichts zweistelliger Millionendefizite (1993: 35 Millionen Mark) zunehmend unter Druck Um der Glaubwürdigkeit willen, so mahnen Beobachter der Messe-Entwicklung, sei es an der Zeit, „mehr von der rauhen Wirklichkeit im Messewesen und den Schwierigkeiten in Leipzig auch in der Öffentlichkeit darzustellen“
Auch auf dem Arbeitsmarkt deutet sich noch kaum eine Veränderung zum Besseren an -ein weiteres Zeichen der rauhen Wirklichkeit. Zwar waren in Leipzig Ende 1993 mit 58 000 registrierten Arbeitslosen (Quote für die Stadt Leipzig: 12, 5 Prozent) deutlich weniger Menschen arbeitslos als im ostdeutschen Durchschnitt (knapp 16 Prozent), aber es gibt (auch) in Leipzig Probleme der verdeckten Arbeitslosigkeit (Gesprächspartner schätzten sie auf etwa 40 Prozent), der unzureichenden Qualifizierung für den Dienstleistungsbereich und der Langzeitarbeitslosigkeit -Probleme, die eine Bedrohung für den sozialen Frieden in der Stadt darstellen. Rapide wachsende Sozialausgaben aufgrund von Dauerarbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug (1993: 14200 Sozalhilfeempfänger) belasten den städtischen Haushalt mit mehr als 50 Millionen Mark im Jahr.
Kritik an einer einseitig orientierten Wirtschaftsund Stadtentwicklungspolitik formulierte nicht nur die politische Opposit Millionen Mark im Jahr.
Kritik an einer einseitig orientierten Wirtschaftsund Stadtentwicklungspolitik formulierte nicht nur die politische Opposition; auch Wirtschaftsinstitutionen, unter anderem Kreishandwerkerschaft, Handwerkskammer und Mittelstandsvereinigung, kritisierten in einem offenen Brief an die Stadt-spitze, „daß die wirtschaftliche Bedeutung mittelständischer Betriebe in der Stadtverwaltung nur unzureichend erkannt wird“ 49. Große westliche Investoren würden bevorzugt und unterstützt, „der einheimische Mittelstand jedoch zerstört“. Gefordert wurde eine Konzeption, um Handwerk und Gewerbe langfristig in der Stadt zu halten und zu stabilisieren. Ein zielgruppengerechteres Flächen-management, das „preisbildend auf den überspannten Leipziger Immobilienmarkt“ einwirken könnte, sowie die Konzentration der Wirtschaftsförderungskapazitäten auf die Sicherung der ansässigen Betriebe stellen auch die Autoren des bereits erwähnten Wirtschaftsgutachtens 50 in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Sie empfehlen der Stadt, Wirtschaftsförderung und Betriebsbetreuung künftig stärker räumlich-dezentral und in enger kooperativer Abstimmung mit den planenden Ämtern (Amt für Stadtplanung, Amt für Stadt-sanierung und Wohnungsbauförderung) zu organisieren. Entsprechende Umstrukturierungen und neue Schwerpunktsetzungen, so ein maßgeblicher Verwaltungsvertreter, seien seit Mai 1994 eingeleitet, ein modifiziertes „Wirtschaftsförderungsprogramm der Stadt Leipzig“ befinde sich in Arbeit.
Auch in der Gewerbeflächenpolitik begann nach Auskunft eines verantwortlichen Stadtpolitikers 1993 ein Umsteuern: „Es wurde festgestellt, daß nicht Büroarbeitsplätze, sondern fehlende Produktionsarbeitsplätze das Problem sind. In der ersten Phase waren in ehemaligen und neuen Gewerbegebieten Büros und Einzelhandel zugelassen worden; dadurch wurde der Grundstückspreis nicht selten so hochgetrieben, daß er für Produktionsstätten uninteressant werden mußte.“ Mittlerweile wird versucht, Kerngebietsflächen im Stadtgebiet wieder umzuwidmen und Büros in Gewerbegebieten auszuschließen.
Der Arbeitslosigkeit und ihren Auswirkungen will man in Leipzig seit Anfang 1994 mit einem kommunalen Beschäftigungsprogramm im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes begegnen. Ziel dieser Maßnahme ist es, Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger wieder in den Arbeitsprozeß zu integrieren und den kommunalen Haushalt mittelfristig zu entlasten. Mehr als 1000 Arbeitsgelegenheiten in gemeinnützigen Bereichen hat die Stadt unter dem Motto „Arbeit für Leipzig“ bis zum Jahresende 1994 zusammen mit ihrer kommunalen Beschäftigungsgesellschaft (ABM-Stützpunkt) neu geschaffen. 2. Stadterneuerung Kommunales Planungshandeln und Stadterneuerung bewegen sich in Leipzig nach Einschätzung von Planungsfachleuten im polarisierten Stadt-raum, zwischen „Boomtown“ und „Poortown“ dem neuen Reichtum der City und vielen nach wie vor vernachlässigten Wohnvierteln. Zwar flossen zwischen 1990 und 1993 insgesamt 727, 7 Millionen Mark an Wohnungsbau-und Städtebaufördermitteln in 19 Leipziger Stadterneuerungsgebiete -der Umfang der Probleme konnte jedoch nach Auskunft zuständiger Verwaltungsfachleute durch bauliche Sicherungsprogramme bislang allenfalls begrenzt, nicht jedoch merklich reduziert werden: „ 40000 Wohnungen zerbröseln uns unter der Hand.“
Das 1993 vom Amt für Stadtsanierung und Wohnungsbauförderung durchgesetzte Leitziel und Programm „Stadtentwicklung im Bestand“, das Innenentwicklung und Modernisierung Priorität vor großflächigem Neubau einräumt, wurde nach Ansicht von Kritikern nicht mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattet: 1993 standen im Verwaltungshaushalt der Stadt 30 Millionen Mark für die Stadterneuerung zur Verfügung -das Vierfache wäre nach Ansicht von Verwaltungsfachleuten notwendig gewesen.
Restitutionsansprüche, „massenhaft spekulatives Verhalten“ -vier von fünf restitutionsbehafteten Gebäuden im Gründerzeitgürtel der Stadt werden nach Rückgabe zum Teil mehrfach verkauft -und Wohnraumzweckentfremdung schaffen den Sanierungsverantwortlichen weitere Probleme: „Durch Zweckentfremdung“, so ein Vertreter des zuständigen Amtes, „gehen mittlerweile mehr Wohnungen verloren als durch Zerfall.“
Vorsichtig optimistisch glauben Vertreter der „Stadtentwicklung im Bestand“ dennoch, daß für die Wohnungsbestandspflege und die Innenentwicklung künftig mehr Aufmerksamkeit und Finanzmittel vorhanden sein werden, um den immer deutlicher werdenden Segregationstendenzen in der Bevölkerung begegnen zu können. Ein im Entwurf vorliegender „Stadtentwicklungsplan Wohnen“ der planenden Ämter in Ergänzung des Flächennutzungsplans soll einen höheren Stellenwert und einen besseren strukturellen Rahmen für die Stadtsanierung einfordern, neue, stärker konzeptionell orientierte Aufgabenfelder (Boden-management und Stadtteil-/Projektmanagement) definieren und Koordinierung sowie Konsensbereitschaft zwischen planenden und wirtschaftsfördernden Instanzen ausbauen helfen. 3. Bevölkerung Leipzig und sein Umland werden nicht erst seit 1989 durch Bevölkerungsverluste geprägt. Bereits in den siebziger und achtziger Jahren hatte die Stadt sowohl durch Geburtenrückgänge als auch durch Abwanderung einen negativen Bevölkerungssaldo zu verzeichnen. Etwa 50000 Einwohner verließen zwischen 1971 und 1989 die Stadt Mit der Wende verringerte sich Leipzigs Bevölke-rung durch Abwanderung weiter: allein im Jahre 1989 um 16908 Einwohner, in den Jahren 1990 und 1991 um weitere 29 680 Personen Als Gründe für die Abwanderung gelten vor allem „der politische und wirtschaftliche Umbruch, die gravierenden städtebaulichen Mißstände, die prekäre Umweltsituation und die ungelösten Wohnungsprobleme“ 1993 und 1994 konnte zwar eine Abnahme der Wanderungsverluste registriert werden, anhaltende Geburtenrückgänge -1993 wurden weniger als halb so viele Geburten wie 1989 registriert -lassen jedoch für die nächsten Jahre einen weiteren Rückgang der Bevölkerung und merkliche Altersstrukturverschiebungen erwarten. Zählte Leipzig 1989 noch 530000 Einwohner, so sank die Bevölkerungszahl bis zur Jahresmitte 1993 unter die Halbmillionengrenze (Juli 1993: 494000 Einwohner) Die weitere Bevölkerungsentwicklung ist für Verwaltungsfachleute „noch mit vielen Fragezeichen verbunden“. Im Entwurf des Flächennutzungsplans der Stadt wird von einem Bevölkerungswachstum und einer Stabilisierung bei 500000 Einwohnern ausgegangen, aber es gibt auch pessimistischere Einschätzungen. Danach wäre mit einem weiteren Bevölkerungsrückgang auf etwa 400000 Einwohner zu rechnen. 4. Stadt und Region Die Region Leipzig wird seit 1989 durch eine selbst für ostdeutsche Verhältnisse beispiellose Gewerbe-und Verkaufsflächenexplosion geprägt. Im Regierungsbezirk Leipzig werden allein 58 neue Gewerbegebiete gefördert (vier davon auf Leipziger Stadtgebiet), ein nach Ansicht von Immobilienfachleuten „auf Jahre hin ausreichendes Angebot“
Die absehbare Baulandentwicklung der Region, so ein Kurzgutachten für die Leipziger Stadtentwicklungsplanung, signalisiert einen hohen Flächenverbrauch bei vergleichsweise geringer Nutzungsintensität: Etwa 11700 Hektar neue Baugebietsflächen -vorwiegend für Gewerbe-und Industriegebiete -sind genehmigt oder raumordnerisch befürwortet. „Auf die ausgewiesenen zentralen Orte entfällt bei einem Anteil von 78 Prozent an der Bevölkerung der Region nur circa ein Drittel der neuen Baugebietsflächen, obwohl ihnen in den Landesplanungsgesetzen explizit eine besondere Entwicklungs-und Bündelungsfunktion zugemessen wird.“
Nach einer Untersuchung des Instituts für Geographie der Universität Kiel werden bei Fertigstellung aller bereits genehmigten Einzelhandelsprojekte bis Ende 1995 in der Stadtregion etwa 840000 Quadratmeter Einkaufsfläche vorhanden sein, davon 80 Prozent außerhalb der gewachsenen Stadt-strukturen Einige Großzentren (Saale-Park, Sachsen-Park) entwickeln gezielt die Attraktivitätspotentiale einer City und verbinden Angebots-vielfalt mit Einkaufserlebnis, Vergnügungs-und Kulturangeboten. Für den innerstädtischen Einzelhandel, insbesondere jedoch für die vorhandenen und geplanten Stadtteilzentren Leipzigs, bedeutet die Entwicklung „auf der grünen Wiese“ Kaufkraftabzug und Schwächung, für die Stadtstruktur Versorgungsdefizite im Nahbereich und zunehmende Verkehrsbelastung. Vertreter des Regierungspräsidiums rechtfertigten ihre großzügige Genehmigungspraxis 1993 damit, daß „noch weit umfangreichere Flächenkapazitäten, nämlich 1, 5 Millionen Quadratmeter, rund um Leipzig angeplant“ gewesen seien und sich der Bebauungsgrad der Stadtregion „in den nächsten Jahren lediglich von 22 Prozent auf 27 Prozent erhöhen“ werde.
Zentraler Problembereich der Leipziger Region ist der Südraum mit einer durch den Braunkohle-abbau „leergenutzten“ Landschaft (auch drei Quadratkilometer Leipziger Gemarkung fielen dem Kohleabbau zum Opfer), mit wirtschaftlicher Monostruktur, Umweltproblemen, Arbeitslosigkeit, Bevölkerungsschwund und verlorener Identität
Eine direkt nach der Wende ins Leben gerufene „Entwicklungsgesellschaft Südraum Leipzig“ versammelte in mehreren Workshops regionale Akteure und externe Experten und versuchte, Entwicklungspotentiale, spezifische Ansprüche und Bedarfe des Ballungsraumes Leipzig und mögliche künftige Funktionen für den Südraum zu definieren. Als zentrale Handlungsziele wurden dabei die „Rekultivierung der Braunkohlefolgelandschaften“ für die Naherholungszwecke, die Förderung einer „ökologischen Ausgleichsfunktion“ des Südraums und die „Attraktivitätssteigerung“ der weichen Standortfaktoren im Wirtschaftsraum Leipzig festgeschrieben. Mit einer Reihe von Leitprojekten (Europäischer Energie-und Umweltpark, Internationale Bauausstellung Südraum, Bundesgartenschau 2000) sollte der Raum zudem zu einem „Labor-und Ausstellungsfeld“ für die „modellhafte Umgestaltung einer geschundenen, ausgebeuteten Landschaft“ gemacht werden Geschehen ist bislang wenig. Chancen drohen verschenkt zu werden.
Welches „Gesicht“ die Region langfristig bekommen wird, erscheint heute unklarer als vor vier Jahren: Teile der Südregion werden aufgrund wirtschaftspolitischer Entscheidungen weiterhin durch den Braunkohleabbau geprägt bleiben; andere Teilräume drohen, so die Befürchtung maßgeblicher Vertreter der Leipziger Umweltverwaltung, zu „einem Mekka des Mülltourismus“ zu werden, mit großräumigem und hochdimensioniertem Zugriff der Entsorgungswirtschaft (Deponien, Groß-kraftwerke, Altlastenrecycling-Anlagen).
Die „Entwicklungsgesellschaft Südraum Leipzig“, nur unzureichend mit Finanzmitteln, Flächen-potentialen und Durchsetzungsmacht ausgestattet, ist 1994 in einer „Strukturfördergesellschaft West-Sachsen“ aufgegangen, deren institutioneller (Beteiligung des Freistaats Sachsen), räumlicher (Grenzen des Regionalen Planungsverbandes West-Sachsen) und inhaltlicher Zuschnitt stärkere Durchsetzungskraft signalisieren und Investoren locken soll. Wirtschaftsförderung, Akquisition, Flächenmanagement und Developing von komplexen Projekten werden nach dem Willen der Initiatoren künftig Aufgabenschwerpunkte sein. „Bestandsaufnahmen und Konzepte“, so ein Gesprächspartner im Regierungspräsidium, „haben wir jetzt genug.“ „Leipzig“, so Gesprächspartner aus planungspolitischen und Wissenschafts-Institutionen, „hat regionale Initiativen zwar wohlwollend begleitet, engagiert sich jedoch unzureichend.“ Leipzigs Planung höre an der Stadtgrenze auf. Als „boomende Insel mit dem Ödland im Süden“, so ein Oppositionspolitiker warnend im Juli 1993, verspiele die Stadt langfristige Entwicklungschancen.
Ein etwas stärkeres regionalpolitisches Augenmerk richtet sich heute auf den Raum zwischen Leipzig und Halle. Der Nordwesten, so verschiedene Gutachten wird zunehmend zu einem ein-heitlichen Wirtschaftsraum und einer einheitlichen Arbeitsmarktregion, die der arbeitsteiligen Entwicklung insbesondere in den Bereichen Wirtschafts-und Technologieförderung sowie Raum-planung bedürfen.
Erste Schritte zu einer verbesserten Regional-kooperation wurden mit der Gründung des Regionalen Planungsverbandes West-Sachsen, der Unterzeichnung des Staatsvertrags zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt (1993), der Absicht, bis 1996 einen regionalen Verkehrsverbund zu gründen, und der Entscheidung der beiden Oberzentren Leipzig und Halle zur Gründung einer gemeinsamen „Entwicklungsagentur“ (Anfang 1994) eingeleitet.
V. Stadtentwicklungsplanung
Als „Stadt ohne Plan“ beschrieb 1993 die Wochen-zeitung „Die Zeit“ Leipzig und sein Entwicklungsgeschehen 70 komplexe Planungsgebiete gleichzeitig in Arbeit, keine Vorlaufplanungen, mangelhafte Datenlage und zu wenig Fachpersonal. „Westdeutsche Städte“, so entschuldigte ein verantwortlicher Stadtpolitiker im Juli 1993 die noch fehlende kommunale Gesamtplanung, „konnten ihre Entwicklungsstufen langfristig beobachten und daraus Perspektiven ableiten. Wir können noch nicht einmal aus den letzten drei Jahren etwas ableiten -zu abenteuerlich ist die Entwicklung abgelaufen.“ Keinen Hehl allerdings macht er aus der Einschätzung, daß in den verschiedenen Ressorts „noch zu viele einzelne Säulen nebeneinanderstehen, die miteinander keine Verbindung haben“. Das Fehlen eines vernetzten Entwicklungskonzeptes bemerke man immer erst bei der Haushaltsplanberatung und der mittelfristigen Finanzplanung.
Zwischen dem Anspruch, nach der Wende in den Planungsprozessen „soviel Planungsdemokratie wie möglich zu retten“ und den Sachzwängen -Zeitdruck, Investorendruck, Chancenlosigkeit herkömmlicher Planungsverfahren -wurden der Planungsworkshop und die Planungswerkstatt zu gängigen Leipziger Verfahren für die räumliche Bereichsentwicklungsplanung. Stadtplaner, Architekten, Politiker und Vertreter von Bürgerinitiativen sollten gemeinsam, schnell und effizient Ideen und Lösungsansätze für teilstädtische Räume entwickeln. Nicht selten scheiterten die guten Absichten: „Während die Workshops noch laufen, werden schon Baugenehmigungen gegeben“, kritisierten Stadtteilvertreter und politische Akteure die Verfahrenshektik. In eine kohärente Stadtentwicklungskonzeption mündeten die Ergebnisse der zahlreichen Planungsveranstaltungen nicht ein. Die Leipziger Stadtplanung, so Gesprächspartner aus Fachkreisen, setze ihre Schwerpunkte bei städtebaulichen und architektonischen Fragen.
Stadtentwicklungsplanung als kommunales Aufgabengebiet wurde in Leipzig erst 1992 institutionalisiert und aufgebaut. Mit den Grundlagen und Perspektiven der Stadt befaßt sich innerhalb des Stadtplanungsamtes die Abteilung Stadtentwicklung. Die Schaffung eines eigenen Amtes für Stadtentwicklung und damit eine Aufwertung der Grundlagen-und Konzeptarbeit waren in der ersten Phase des Verwaltungsaufbaus nicht vorgesehen. Eine gewisse Unterbewertung des Aufgaben-gebiets drückt sich auch, so ein Gesprächspartner im Juli 1993, in unzureichender Personalausstattung und der zeitweise praktizierten „Zweckentfremdung“ als Projektmanagement-Abteilung (Umnutzung des alten Messegeländes) aus. „Es ist keine Zeit für Leitlinien-Diskussionen in Leipzig“, beklagen verwaltungsinterne Kritiker das aus ihrer Sicht bestehende Konzeptdefizit, „maßnahmenbezogene Planung ist angesagt.“
Um das „Mißverhältnis zwischen operativer und konzeptioneller Stadtplanung“ (ein Verwaltungsmitarbeiter) zu beseitigen und den „verschiedenen Druckwellen“ in den Bereichen Büro, Gewerbe, Einzelhandel und Wohnen besser gewappnet begegnen zu können, arbeitet Leipzig seit 1993 am Entwurf des Flächennutzungsplans (FNP), der insbesondere von Wirtschaftsinstitutionen und politischen Fraktionen im Sinne perspektivischer Orientierung gefordert worden war. Untersuchungen und Gutachten zur Zentrenstruktur der Stadt (1991/92), zur Entwicklung der Arbeitsstätten (1992/93) und zu den Potentialen der künftigen Wohnflächenentwicklung (1992) werden als Grundlagen ebenso integriert wie Fachplanungen des Verkehrs, Landschaftsplanung und andere sektorale Rahmen-und Strukturplanungen. „Durch die maßvolle Bereitstellung neuer Bauflächen“, so die FNP-Zielbeschreibung, werden die Voraussetzungen geschaffen für „Leipzig als Dienstleistungsmetropole, Medien-und Messestadt, Leipzig als attraktiven Wohnort und Leipzig als Kulturstadt“ Nicht (oder noch nicht) erwähnt wird der Erhalt des Produktionsstandortes Leipzig. Mit dem Flächennutzungsplan hofft man auch, einen Beitrag zur koordinierten Regionalentwicklung leisten und Fehlentwicklungen durch die Ausuferung und Zersiedelung der Randzone vermeiden zu können.
Ergänzend zum Flächennutzungsplan ließ die Leipziger Stadtentwicklungsabteilung eine „Stadtentwicklungskonzeption Leipzig“ erarbeiten, die Mitte 1994 als Entwurf vorlag. Die Konzeption soll, so ein Verwaltungsfachmann, der Öffentlichkeit in „populärer Form“ darstellen, welche Entwicklungen für Leipzig seit 1990 „angedacht, diskutiert und bearbeitet“ wurden. Der als „Bericht zur Stadtentwicklung“ apostrophierte Entwurf bemüht sich um eine ungeschminkte Bestandsaufnahme und fordert zu offener Diskussion über Situation und Perspektiven der Stadt auf: „Leipzig ist eine Stadt im Umbruch. ... An den Baustellen-zäunenstehen die Leipziger und schauen gleichzeitig in Vergangenheit und Zukunft dieser Stadt. ... Wir erleben und gestalten eine Gründerzeit... mit allen Erfolgen und Belastungen, Widersprüchlichkeiten und Unwägbarkeiten.“ Standortpotentiale, Traditionen und Werte werden in dem Bericht ebenso angesprochen wie Mißstände, Konflikte und Fehlentwicklungen der letzten Jahre: Suburbanisierungstendenzen, Gefahren neuer stadträumlicher Disproportionen und sozialräumlicher Segregation, Brachfallen von Stadtteilen durch Deindustrialisierung, belastende Entwicklungen des Individualverkehrs oder Probleme der Stadterneuerung im Bestand. Zwei Entwicklungsszenarien „Leipzig 2009“ stellen plastisch mögliche künftige Entwicklungspfade gegenüber: einen ihnovationsorientierten einerseits oder -so das Krisenszenario -einen ökologisch langfristig zerstörerischen und sozialräumlich polarisierenden. Welcher dieser Pfade Leipzigs Zukunft langfristig prägen wird, ist derzeit noch ungewiß.