I. Gegenseitige Abhängigkeit
Der Nahe Osten, der hier im engeren Sinne als die vier Staaten des Jordanbeckens Israel, Jordanien, Syrien, Libanon und die Westbank definiert wird, ist weltweit eines der Gebiete mit der größten Wasserknappheit. Konflikte um Wasser könnten daher zu einem Fallstrick für den Friedensprozeß im Nahen Osten werden, wenn dieser nicht durch zwei Elemente ergänzt wird: Wasserdiplomatie und Wassermanagement.
Gegenwärtig kontrolliert Israel noch den größten Teil der Gebiete, aus denen es sein Wasser bezieht. Dies wird sich nach einem vollständigen Abzug aus der Westbank und von den Golanhöhen drastisch ändern. Dann werden etwa 45 Prozent des gegenwärtigen israelischen Wasserverbrauchs aus Quellen stammen, die außerhalb der Grenzen Israels liegen Auch Jordanien und die Westbank werden für ihre Wasserversorgung auf externe Quellen angewiesen sein, aber in geringerem Maße als Israel. Jordanien hofft, mehr als 20 Prozent seines Wasserverbrauchs aus dem bisher nur eingeschränkt nutzbaren Grenzfluß Yarmuk und aus dem Jordan zu decken. Auch die Palästinenser drängen auf ihren Anteil am Wasser des Jordan, dessen Wasserspiegel durch die israelische Wasser-entnahme aus dem See Genezareth zurückgegangen ist Je weiter der Friedensprozeß voranschreitet, desto größer wird also die hydrologische Interdependenz im Jordanbecken. Einerseits werden alle drei Staaten in einigen Landesteilen den Oberlauf von Gewässern kontrollieren, auf die ihre Nachbarn angewiesen sind (d. h., sie sind Oberlieger). Andererseits liegen Teile derselben Staaten am Unterlauf von Gewässern, deren Ober-lauf von ihren Nachbarn kontrolliert wird (d. h., sie sind Unterlieger): -Israel -ohne die besetzten Gebiete -wird am oberen Jordan und am Yarmuk der Unterlieger gegenüber dem Libanon, Syrien und Jordanien sein. In der Küstenebene würde Israel außerdem Unterlieger gegenüber einem palästinensischen Staat in der Westbank sein. Nur am unteren Jordan ist Israel Oberlieger gegenüber Jordanien und den palästinensischen Gebieten im Jordantal.
-Ein palästinensischer Staat wird im Jordantal gegenüber Israel Unterlieger, aber in der Westbank gegenüber der israelischen Küstenebene Oberlieger sein
-Jordanien ist gegenüber Syrien am Yarmuk und gegenüber Israel am unteren Jordan Unterlieger, aber am Yarmuk gegenüber Israel Oberlieger
Politisch bedeutet diese internationale hydrologische Konstellation für Israel, einen palästinensischen Staat in der Westbank und im Gaza-Streifen sowie für Jordanien, daß eine Zusammenarbeit bei der Bewirtschaftung der Wasservorräte unverzichtbar ist.
II. Wasserdiplomatie
Wasserdiplomatie ist die Kunst der gerechten Aufteilung grenzüberschreitender Wasserressourcen. Sie kann in drei Phasen unterteilt werden: die Einigung über Wasserrechte, die Überwachung der Wassernutzung und die Schlichtung von Auseinandersetzungen 1. Bisherige Anstrengungen Bisher befindet sich die Wasserdiplomatie im Jordanbecken noch in der ersten Phase. Sie läuft parallel auf einer bilateralen und einer multilateralen Schiene. Auf der bilateralen Ebene konnten sich Israel und Jordanien in dem Friedensvertrag vom Oktober 1994 auf eine Aufteilung der Wasser-rechte einigen. Mit der palästinensischen Seite und mit Syrien blieben bilaterale Verhandlungen in der Wasserfrage bisher ohne Erfolg.
In den multilateralen Verhandlungen konnte bisher keine Einigung über die Aufteilung der Wasserrechte im Jordanbecken erreicht werden. Seit Mai 1992 trafen sich Israelis, Palästinenser und Jordanier sechs Mal in der Arbeitsgruppe zu Wasserfragen im Rahmen der multilateralen Friedensverhandlungen Syrien und der Libanon haben sich an diesen Verhandlungen nicht beteiligt. Eine Aufteilung der Wasserrechte, die alle Staaten des Jordan-Beckens einschließt, steht also noch aus. 2. Ungleicher Wasserverbrauch Die Wasserdiplomatie muß bei der Festlegung von Wasserrechten mit berücksichtigen, daß der gegenwärtige Pro-Kopf-Verbrauch in Israel weit höher als in Jordanien und in den palästinensischen Gebieten liegt. Daher beanspruchen die arabisehen Staaten mehr Wasserrechte, während Israel seinen gegenwärtigen Wasserverbrauch rechtlich absichern möchte.
Insgesamt nutzt Israel etwa 1900 Millionen Kubikmeter (MKM) Wasser pro Jahr Jeder der über fünf Millionen Einwohner Israels nutzt jährlich durchschnittlich etwa 390 Kubikmeter Wasser in Landwirtschaft (70 Prozent), Industrie (5 Prozent) und Haushalten (25 Prozent). Der Pro-Kopf-Wasserverbrauch für den häuslichen Gebrauch liegt bei 220 bis 250 Litern pro Tag
Die vier Millionen Einwohner Jordaniens verbrauchen etwa 800 MKM/Jahr oder 200 Kubikmeter Wasser pro Kopf und Jahr -etwa halb soviel wie in Israel. Wie in Israel verteilt sich der Verbrauch zu 70 Prozent auf die Landwirtschaft, zu 5 Prozent auf die Industrie und zu 25 Prozent auf die Haushalte.
Die etwa zwei Millionen Palästinenser verbrauchen 220 MKM/Jahr oder etwa 110 Kubikmeter pro Kopf und Jahr -mehr als dreimal weniger als in Israel Etwa 70 Prozent des Wassers werden in der Landwirtschaft und 30 Prozent in Haushalten und Kleinbetrieben verwendet.
Die israelischen Behörden haben eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um ein Ansteigen des palästinensischen Wasserverbrauchs über die im Jahre 1967 entnommene Menge hinaus zu verhindern Nur in einigen Fällen wird die gestiegene Nachfrage durch Kauf von Wasser aus dem israeli-sehen Netz gedeckt Die Palästinenser werfen den Israelis vor, ihnen dabei höhere Preise als den israelischen Verbrauchern abzuverlangen 3. Internationales Wasserrecht Welche Ansprüche auf Wasser haben die Staaten am Oberlauf und am Unterlauf eines Flusses? Auf diese Frage gibt das internationale Wasserrecht keine eindeutige Antwort. Es wurden lediglich rechtliche Prinzipien entwickelt, die zumindest Hinweise auf die Beantwortung dieser Frage geben können.
Das internationale Wasserrecht betont die Prinzipien der „gerechten Aufteilung“ (equitable apportionment) und der „Vermeidung spürbaren Schadens“ (Obligation not to cause appreciable harm) Diese Prinzipien lassen ausschließliche Rechtsansprüche der Oberlieger bzw. Unterlieger nicht zu: Ein Oberlieger kann nicht das gesamte Wasser eines Flusses für sich beanspruchen, während ein Unterlieger keinen Anspruch auf einen völlig unveränderten Zufluß erheben kann In jedem Einzelfall muß ein Kompromiß ausgehandelt werden, der sowohl historische Nutzungsrechte der Unterlieger als auch Quellrechte der Oberlieger berücksichtigt.
Wie weiter oben dargestellt, begünstigt die hydropolitische Konstellation im Jordanbecken einen solchen Kompromiß, da alle Staaten -bis auf den Libanon -gleichzeitig Ober-und Unterlieget sind. Kein Staat kann es sich leisten, sich konsequent auf eine einseitige Wasserrechtsposition festzulegen 4. Der israelisch-jordanische Friedensvertrag: Ein erster Schritt zu einer umfassenden Wasseraufteilung Am 26. Oktober 1994 wurde der Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien unterzeichnet und kurz darauf von beiden Parlamenten ratifiziert. Der Vertrag enthält im Annex II Vereinbarungen über die Aufteilung der Wasserressourcen des Jordan und des Yarmuk. Die Aufteilung ist von historischer Bedeutung, da es der erste Vertrag Israels zur Aufteilung grenzüberschreitender Wasserressourcen mit einem seiner Nachbarn ist. Entsprechende Verträge mit der palästinensischen Nationalbehörde, Syrien und dem Libanon stehen noch aus.
Der Vertrag gibt Jordanien das Recht auf den größten Teil des Wassers im Yarmuk -bis auf 45 MKM/Jahr für Israel -und Israel das Recht auf den größten Teil des Wassers im Jordan -bis auf 40 MKM/pro Jahr für Jordanien Ein gemeinsames Komitee, das von jedem Land mit je drei Mitgliedern besetzt wird, soll die Einhaltung der Bestimmungen überwachen Der Vertrag sieht ausdrücklich den Bau eines von Jordanien lange gewünschten Damms am Yarmuk vor. Außerdem soll ein kleinerer Damm am Jordan gebaut werden
So wichtig dieser bilaterale Vertrag für die Wasser-aufteilung ist, so ist er doch nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einer umfassenden Lösung. Palästinenser, Syrer und Libanesen sind in die Wasser-aufteilung nicht einbezogen worden, obwohl sie Rechte am Wasser im Jordanbecken beanspruchen und ihnen diese Rechte gemäß dem Völkerrecht auch zustehen. Der Vertrag regelt nicht, ob Wasserrechte, die diesen drei Staaten in Zukunft gewährt werden, auf Kosten der Wasserrechte Israels oder Jordaniens vergeben werden. Das Konfliktpotential bezüglich der Wasseraufteilung bleibt daher weiter bestehen.
Bilaterale Verträge über die Wasseraufteilung im Jordanbecken können nur eine Teillösung sein. Eine vollständige Lösung kann nur durch eine multilaterale Vereinbarung der fünf Anrainerstaaten des Jordan erreicht werden. Die Vereinbarung zwischen Israel und Jordanien könnte ein Baustein für eine solche multilaterale Vereinbarung sein. 5. Internationaler Handel mit Wasserrechten?
Bei jeglicher Aufteilung der Wasserrechte ist es wahrscheinlich, daß ein Staat mehr Wasserrechte zugesprochen bekommt, als er dauerhaft oder zu einem bestimmten Zeitpunkt verbrauchen möchte, während ein anderer Staat gleichzeitig mehr verbrauchen möchte, als ihm seine Wasserrechte erlauben. Daher sollten internationale Verträge über Wasseraufteilung die Möglichkeit enthalten, Wasserrechte dauerhaft (Verkauf) oder befristet (Verpachtung) international zu handeln. Der israelisch-jordanische Friedensvertrag sieht diese Möglichkeit nicht vor; sie könnte jedoch in einem israelisch-palästinensischen Friedensvertrag enthalten sein. Vor allem palästinensische Wissenschaftler haben vorgeschlagen, mit Wasserrechten zu handeln Israel müßte dann für das aus der Westbank zufließende Grundwasser bezahlen, und der palästinensische Staat könnte seine Entwicklung zum Teil durch die Verpachtung von Wasserrechten an das wirtschaftlich fortgeschrittene Israel finanzieren. Der Preis für das Wasser müßte zwischen beiden Staaten ausgehandelt werden.
III. Wassermanagement
Wasserdiplomatie ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung zur Entschärfung der Wasserprobleme im Nahen Osten. Eine Umverteilung des Wassers kann die Wasserknappheit in der gesamten Region nicht verringern. Eine umfassende Lösung muß daher auch Ansätze des Wasser-managements einschließen -die Kunst, Angebot an und Nachfrage nach Wasser zu den geringstmöglichen ökonomischen und ökologischen Kosten in Übereinstimmung zu bringen. Wassermanagement kann durch eine Ausweitung des Wasserangebots oder durch Senkung der Wassernachfrage erfolgen. 1. Angebotsausweitung: Teure Visionen Israel, Jordanien und die palästinensischen Gebiete nutzen gemeinsam alle wirtschaftlich erschließbaren erneuerbaren Süßwasserressourcen innerhalb ihrer Landesgrenzen und beuten außerdem nichterneuerbare Grundwasservorräte aus. Zusätzliches Süßwasser kann langfristig nur importiert oder durch Entsalzung aus dem Meer gewonnen werden. Techniker haben zahlreiche Visionen in diesen beiden Richtungen entwickelt.
Einige dieser Vorschläge könnten im Rahmen des Friedensprozesses mit finanzieller Unterstützung des Auslands verwirklicht werden. Allerdings sind sie sehr teuer, und die meisten setzen eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den Staaten der Region voraus, die vermutlich auch nach einer Friedenslösung schwierig sein wird.
Peace Pipeline aus der Türkei Eine „Peace Pipeline“ könnte das Wasser der in das Mittelmeer mündenden türkischen Flüsse Seyhan und Ceyhan in den Nahen Osten transportieren. Durch die Beteiligung von mindestens fünf Staaten (Türkei, Syrien, Jordanien, Palästina, Israel) ist dieses Projekt -auch nach einem umfassenden Friedensschluß -politisch besonders heikel. Selbst wenn Konflikte mit Israel in Zukunft ausbleiben, sind innerarabische Konflikte sowie Konflikte zwischen der Türkei, den Kurden und arabischen Staaten wahrscheinlich. Ein Beispiel für zukünftiges Konfliktpotential ist die Auseinandersetzung zwischen Syrien, dem Irak und der Türkei um Euphrat und Tigris Die Bereitschaft Israels, der Palästinenser, Jordaniens und Syriens, sowohl von der Türkei als auch voneinander in bezug auf ihre Wasserversorgung abhängig zu sein, ist daher begrenzt. Der Bau einer „Peace Pipeline“ würde vermutlich erst Jahre gegenseitiger vertrauensvoller Zusammenarbeit auf anderen Gebieten voraussetzen.
Umleitung des Litani In der Vergangenheit ist Israel wiederholt von arabischer Seite vorgeworfen worden, das Wasser des libanesischen Litani-Flusses nach Israel umleiten zu wollen oder dies bereits zu tun Der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin erklärte allerdings bei der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit Jordanien in Washington im Juli 1994 an die Adresse Libanons: „Wir wollen keinen Tropfen libanesischen Wassers!“ Möglicherweise ist gegenwärtig ein Friedensabkommen mit dem Libanon für Israel wichtiger als der Zugriff auf das Wasser des Litani. Wasser aus dem Nil Die Idee des Imports von Nilwasser in den Gaza-Streifen und nach Israel ist vor kurzem wieder aufgegriffen worden Bereits Theodor Herzl schrieb 1902 in seinem Tagebuch über den Plan, die Wüste Negev mit Nilwasser fruchtbar zu machen Das Wasser könnte dem kürzlich fertiggestellten Salam-Kanal entnommen werden: Der Kanal führt Nilwasser in einem Tunnel unter dem Suez-Kanal hindurch und anschließend in einem offenen Kanal bis nach El Arisch unmittelbar an der Grenze zum Gaza-Streifen. Dieses Wasser soll jedoch zur Bewässerung des ägyptischen Sinai verwendet werden. Ägypten weigert sich bisher, dieses Wasser auch Israel zur Verfügung zu stellen. Auf einer Konferenz in Lausanne im Jahr 1990 lehnten die Ägypter einen entsprechenden israelischen Vorschlag strikt ab. In Ägypten selbst werde das Wasser inzwischen knapp, und ein Wasserexport komme nicht in Frage
Auch wenn das Nilwasser nicht bis nach Israel kommt, könnte doch der im Bau befindliche ägyptische Kanal in den Gaza-Streifen verlängert werden. Allerdings könnte die schlechte Qualität des Nilwassers problematisch sein. Das Wasser wird dem Strom nahe seiner Mündung entnommen und enthält unzureichend geklärte städtische und industrielle Abwässer sowie verschmutzte Rückflüsse aus der Landwirtschaft. Teure Reinigungsverfahren wären notwendig, um das Nilwasser auf Trinkwasserqualität aufzubereiten.
Wasserimport zur See Ein anderer Vorschlag zum Wasserimport in den Nahen Osten stammt von der kanadischen Firma Medusa. Medusa hat gigantische Plastikcontainer entwickelt, die von Schleppern über das Mittelmeer gezogen werden sollen, um Süßwasser zu transportieren. Das Wasser soll von dem türkischen Fluß Manavgat stammen und nach Israel oder in den Gaza-Streifen exportiert werden. Wasser aus dieser Quelle ist deutlich billiger als entsalztes Meerwasser oder als Wasser aus der „Peace Pipeline“
Meerwasserentsalzung Alle Vorschläge zum Wasserimport haben den Nachteil, daß die Wasserversorgung im Fall einer Krise unterbrochen werden kann. Daher favorisieren einige Wasserplaner die Entsalzung von Meerwasser innerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen. Umstritten ist allerdings die Wirtschaftlichkeit der Anlagen. Die geschätzten Kosten für die Entsalzung von einem Kubikmeter Meerwasser weichen je nach der Quelle der Berechnung stark voneinander ab und liegen zwischen 0, 75 und zwei US-Dollar. Die gesamten Kosten der Meerwasserentsalzung sind höher als der Ertrag eines Kubikmeters Wasser in der Landwirtschaft und auch höher als die Zahlungsfähigkeit der verarmten palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen. Allein israelische Haushalte und Industriebetriebe könnten sich solch teures Wasser leisten.
In jüngster Zeit ist die alte Idee wieder aufgenommen worden, die für den Betrieb von Meerwasser-entsalzungsanlagen notwendige Energie durch Ausnutzung des 400 Meter hohen Gefälles zwischen dem Meeresspiegel und dem Toten Meer zu gewinnen. Die Idee wurde in zwei Varianten vorgebracht: -Zum einen könne Wasser aus dem Mittelmeer in das Tote Meer geleitet werden (Med-DeadCanal).
Dieses Vorhaben könnte auf dem Gebiet Israels in den Grenzen von vor 1967 verwirklicht werden.
-Zum anderen könnte im Arava-Tal an der Grenze zwischen Israel und Jordanien eine Pipeline gebaut werden, die Wasser aus dem Roten Meer entnimmt (Red-Dead-Canal).
Beide Projekte -der Kanal aus dem Mittelmeer und der aus dem Roten Meer -sollen außerdem das Absinken des Wasserspiegels im Toten Meer aufhalten Die Entsalzung auf diesem Weg ist unter Umständen noch teurer als die Entsalzung unter Verwendung fossiler Energieträger. 2. Nachfragesteuerung: Hohe Einsparpotentiale In allen Sektoren, vor allem jedoch in der Landwirtschaft, bestehen Potentiale zur Wassereinsparung. Ein Weg, diese Einsparpotentiale auszu-schöpfen, ist die Anhebung der bisher stark subventionierten Wassertarife. Bislang wird in allen Staaten der Region Wasser subventioniert und damit Verschwendung begünstigt. In Israel werden dafür jährlich etwa 200 Millionen US-Dollar bereitgestellt In Jordanien wird die Subvention der Wasserbereitstellung auf jährlich 75 Millionen US-Dollar geschätzt Die Einsparung von Wasser ist in den meisten Fällen billiger als die Ausweitung des Wasserangebots.
Landwirtschaft Etwa 70 Prozent des Wassers in Israel, den palästinensischen Gebieten und Jordanien wird in der Landwirtschaft verbraucht. Um in der Landwirtschaft Wasser zu sparen, gibt es zwei Wege: -Der Wasserbedarf wird durch den Einsatz neuer Technologien oder die Veränderung des Anbaumusters gesenkt, wobei Beschäftigung, Einkommen und Produktion in der Landwirtschaft weitgehend aufrechterhalten werden oder sogar steigen. -Die Bewässerungslandwirtschaft wird reduziert, wobei für die freigesetzten Arbeitskräfte Beschäftigungsmöglichkeiten in anderen Sektoren geschaffen werden müssen.
Wassersparende Technologien: Auf dem ersten Weg sind alle drei Staaten bereits weit vorangeschritten: Die Tropfbewässerung, bei der das Wasser in perforierten Plastikschläuchen unter Druck direkt an die Wurzelzone der Pflanzen herangeführt wird, ermöglicht es, durch Reduzierung von Sicker-und Verdunstungsverlusten bis zu 50 Prozent Wasser einzusparen. Gleichzeitig steigen bei vielen Anbauprodukten die Erträge erheblich an, so daß sich die Anschaffungskosten der neuen Anlage amortisieren. Die Tropfbewässerung ist heute in Jordanien und Israel weit verbreitet Auch in den palästinensischen Bewässerungsprojekten in der Westbank wird oft Tropfbewässerung verwendet. Dennoch sind technische Einsparpotentiale vorhanden, deren Ausschöpfung durch ökonomische Anreize begünstigt wird.
Strukturwandel und Weltmarktintegration: Der zweite Weg zur Einsparung von Wasser in der Landwirtschaft, nachdem das technische Einsparpotential ausgeschöpft ist, besteht in der Reduzierung der Bewässerungslandwirtschaft.
Wirtschaftlich hat die Bedeutung der Landwirtschaft in Israel und Jordanien ohnehin abgenommen. In Jordanien erwirtschaftet die Landwirtschaft sieben Prozent des Bruttosozialprodukts, in Israel mittlerweile sogar nur noch drei Prozent. Der durchschnittliche Ertrag pro Kubikmeter Wasser wird für die israelische Landwirtschaft auf gegenwärtig etwa 0, 37 US-Dollar geschätzt
Der Grenzertrag des Wassers in der Landwirtschaft liegt unter den oben genannten Kosten der Angebotsausweitung durch Wasserimport oder Meerwasserentsalzung. Wassereinsparungen in der Landwirtschaft sind also volkswirtschaftlich effizienter als eine kostspielige Angebotsausweitung
Viele Kibbuzim und Moshavim haben bereits die Konsequenzen aus der geringen Wirtschaftlichkeit der Landwirtschaft gezogen und investieren stärker als zuvor im Industrie-und Dienstleistungsbereich. In den Kibbuzim liegt das Verhältnis zwischen landwirtschaftlicher und industrieller Produktion inzwischen bei ungefähr 50: 50
Das in der Landwirtschaft eingesparte Wasser könnte in der Industrie produktiver verwendet werden. In Jordanien ist beispielsweise die Wasserproduktivität (Wertschöpfung pro Kubikmeter Wasser) in der Industrie 40 mal höher als in der Landwirtschaft, und in der Industrie können pro Kubikmeter Wasser 13 mal mehr Arbeits-plätze geschaffen werden als in der Landwirtschaft
Ein beschleunigter Strukturwandel von der Bewässerungslandwirtschaft hin zu Industrie und Dienstleistungen könnte für eine steigende Bevölkerung über Jahrzehnte ausreichend Wasser freisetzen.
Handelbare Wasserrechte Wie soll jedoch die Wassereinsparung in der Landwirtschaft herbeigeführt werden? Eine wichtige Frage bei der Nachfragesteuerung in der Landwirtschaft ist, wem das Recht an dem Wasser zugesprochen wird. Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten: -Das Wasserrecht gehört dem Staat. Dieser könnte -den politischen Willen vorausgesetzt -
die Tarife heraufsetzen, bis die Landwirtschaft sich das Wasser nicht mehr leisten kann und es für den städtischen Verbrauch freigesetzt wird.
Die Anpassungskosten müßten von der Landwirtschaft getragen werden (Gebührenlösung). -Das Wasserrecht gehört den Landwirten. Diese können ihr Recht auf einem Markt für Wasser-rechte verkaufen. Die städtischen Verbraucher würden die Landwirte entschädigen. Mit der Entschädigung könnten die Landwirte entweder Investitionen in wassersparende Anlagen finanzieren, oder sie hätten ein Startkapital für den Aufbau einer neuen Existenz außerhalb der Landwirtschaft. Die Anpassungskosten müßten von den städtischen Verbrauchern und den Landwirten (Aufbau einer neuen Existenz)
gemeinsam getragen werden (Marktlösung)
Diese beiden Möglichkeiten müssen sich nicht ausschließen. Wenn zum Beispiel das Wasser von einem Wasserversorgungsbetrieb unter hohen Kosten aus einer entfernten Region bereitgestellt wird, liegt eine Gebührenerhöhung nahe. Wenn allerdings die Wasserquelle auf dem Grundstück des Landwirts liegt, bietet sich eine Marktlösung an.
Im Nahen Osten ist der reine Handel mit Wasser-rechten (Marktlösung) -sei es innerhalb eines Staats, sei es zwischen Staaten -noch unbekannt. Nach dem gegenwärtigen israelischen und jordanisehen Wasserrecht ist Wasser Staatseigentum und kann an sich nicht verkauft werden Allerdings wird in Jordanien in einzelnen Fällen beim Verkauf von Land auch das vom Staat gewährte Recht zur Wasserentnahme mit übertragen, was einem Handel mit Wasserrechten nahekommt.
Haushalte In den Haushalten ist insgesamt wenig Wasser einzusparen. Zwar können wohlhabende Haushalte deutliche Wassermengen einsparen, doch gleichzeitig wird der Pro-Kopf-Verbrauch der ärmeren Haushalte vermutlich steigen. Höhere Tarife könnten den durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch bestenfalls stabilisieren. Die finanzielle Belastung der ärmeren Haushalte durch höhere Tarife ist tragbar, wenn weiterhin die in der Region üblichen progressiven Tarife angewandt werden, d. h., für niedrige Mengen niedrige Kubikmeterpreise verlangt werden.
Industrie In der Industrie, die mit fünf Prozent in Israel und in Jordanien einen geringen Anteil am Wasserverbrauch hat, scheinen die Einsparpotentiale ebenfalls gering zu sein. In Israel haben die Behörden durch Auflagen durchgesetzt, daß die meist aus dem Netz versorgten Industriebetriebe wassersparende Technologien verwenden. In Jordanien, wo die großen Industriebetriebe eigene Brunnen betreiben, wurden oft wassersparende Technologien eingesetzt, weil die Brunnen nicht genügend Wasser fördern können, um wasserintensive Kühlsysteme oder Produktionsverfahren zu betreiben 3. Innenpolitische Blockade: Starke Lobby für die Landwirtschaft Allerdings stehen einem Strukturwandel von der Landwirtschaft zu Industrie und Dienstleistungen mächtige Interessen entgegen, und er wird durch die institutioneilen Strukturen behindert. In allen drei Ländern bereitet die Erkenntnis, daß die Landwirtschaft aufgrund der Wasserknappheit ihre Grenzen erreicht hat und eventuell reduziert werden muß, den Politikern und der Öffentlichkeit Kopfzerbrechen. Israel Der Wassersektor wird in Israel in hohem Maß durch landwirtschaftliche Interessengruppen dominiert So untersteht der Water Commissioner, der die Wasserquoten für landwirtschaftliche Betriebe festlegt, dem Landwirtschaftsministerium.
Der Stellenwert der Landwirtschaft ist auch im Bewußtsein der israelischen Öffentlichkeit hoch. In Israel war die Fruchtbarmachung der Wüste ein zentrales Ziel der zionistischen Bewegung. Die Bereitstellung von Wasser war dabei eng mit der Landesverteidigung verbunden. Da bei der Unabhängigkeit 1948 weite Teile Israels, insbesondere in den Grenzgebieten, nicht von Juden bewohnt waren, wurde eine gleichmäßigere Bevölkerungsverteilung zum Staatsziel erhoben. Oder mit den Worten von David Ben Gurion: „Wir müssen zu den Grenzen gehen oder die Grenzen kommen zu uns.“ Nicht zuletzt dienten die in der Bewässerungslandwirtschaft unter hohem Kapitaleinsatz erzielten Erfolge auch als Rechtfertigung für die Besiedlung des Landes, das die Araber zuvor „ungenutzt“ gelassen hätten.
Palästinensische Gebiete In den palästinensischen Gebieten liegt die Trinkwasserversorgung in der Hand der Gemeinden und kommunaler Betriebe. Aufgrund des Fehlens einer staatlichen Wasserbehörde müssen die kommunalen Betriebe -anders als in Israel und Jordanien -ohne Subventionen auskommen und kostendeckende Tarife erheben. Auch die bescheidene Bewässerungslandwirtschaft in den besetzten Gebieten erhält nicht die der israelischen Landwirtschaft gewährten Vergünstigungen. Die Kosten der wenigen bestehenden Brunnen müssen von den Landwirten selbst getragen werden. Für die Zukunft wird mit einer Ausdehnung der Bewässerungslandwirtschaft gerechnet.
Jordanien In Jordanien sind -ähnlich wie in Israel -die Vertreter landwirtschaftlicher Interessen einflußreich. Für die Wasserwirtschaft ist formal das Ministerium für Wasser und Bewässerung zuständig. Wichtige Entscheidungen, wie die Anpassung der Tarife, werden allerdings in letzter Instanz vom Kabinett getroffen. Dort fließen die Interessen aller Ressorts, einschließlich des Landwirtschaftsministeriums, ein. Im Kabinett und in den höheren Rängen der Verwaltung sind die Palästinenser, die in Dienstleistungen und Industrie stark vertreten sind und etwa die Hälfte der Bevölkerung des Königreichs stellen, unterrepräsentiert. In einflußreichen Positionen dominieren die „ursprünglichen“ Jordanier, die in höherem Maß über Landbesitz verfügen und in der Bewässerungslandwirtschaft aktiv sind.
Nur noch sieben Prozent der jordanischen Bevölkerung sind heute in der Landwirtschaft beschäftigt. Jordanier machen jedoch nur etwas über die Hälfte der Beschäftigten in der jordanischen Landwirtschaft aus Die übrigen sind zum größten Teil ägyptische Wanderarbeiter, die bereit sind, zu geringeren Löhnen und schlechteren Bedingungen als Jordanier zu arbeiten.
Abhängigkeit durch Nahrungsmittelimporte?
Angesichts der instabilen politischen Lage in der Region befürchten vor allem viele arabische Staaten, eine Einschränkung der Landwirtschaft würde wegen dadurch erforderlicher höherer Nahrungsmittelimporte ihre Abhängigkeit vom Ausland erhöhen. Diese Furcht verstärkt sich dadurch, daß die wichtigsten gegenwärtigen -und voraussichtlich auch die zukünftigen -Getreide-exporteure in Nordamerika und Europa liegen. In Jordanien machen die Importe inzwischen 90 Prozent des Getreideverbrauchs aus. Die UNO-Embargos gegen den Irak (seit 1990) und gegen Libyen (seit 1992) haben weiter die Angst geschürt, bei der Versorgung mit diesem strategischen Gut abhängig zu sein -obwohl aus humanitären Gründen keines der UNO-Embargos Nahrungsmittel einschloß.
Eine völlige Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln wäre jedoch in Israel, den palästinensischen Gebieten und Jordanien bei der gegenwärtigen Bevölkerungszahl aufgrund der Wasserknappheit nur unter enormen wirtschaftlichen und ökologischen Kosten denkbar. Faktisch haben alle drei Staaten nur die Wahl zwischen der bereits jetzt hohen und einer noch höheren Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten.
IV. Schlußfolgerungen
Damit Konflikte um Wasser nicht zu einem Fallstrick im Friedensprozeß werden, sollte die gegenwärtige Wasserdiplomatie im Nahen Osten durch Wassermanagement ergänzt werden. Zentrale Elemente des Wassermanagements in Trockengebieten sind höhere Wassertarife und die Einsparung von Wasser in der Landwirtschaft
Erfolgreichem Wassermanagement stehen jedoch in Israel und in Jordanien innen-und außenpolitische Interessen entgegen. Diese Interessen könnten zu einem Teufelskreis führen: Außenpolitische Argumente -gegenseitiges Mißtrauen, das sich in der Aufrechterhaltung von Grenzsiedlungen auf israelischer Seite und der Sicherung eines hohen Selbstversorgungsgrads mit Nahrungsmitteln auf arabischer Seite äußert -blockieren die Wasser-einsparung in der Landwirtschaft. Durch den steigenden Wasserbedarf auf beiden Seiten wird wiederum eine Einigung über die Aufteilung der Wasserrechte erschwert und damit der Friedensprozeß insgesamt behindert.
Allerdings könnte diese Wirkungskette auch umgekehrt werden: Wenn genügend Vertrauen in die Dauerhaftigkeit des Friedens besteht, werden die außenpolitischen Argumente für die Begünstigung der Landwirtschaft wirkungslos. Wasser könnte eingespart werden, und der dadurch gewonnene Spielraum würde eine Einigung über die Aufteilung der Wasserrechte erleichtern, wodurch wiederum der Friedensprozeß gefestigt würde.
Die Wasserkrise ist wirtschaftlich und technisch lösbar. Eine Lösung wird allerdings durch innenpolitische Faktoren (die traditionelle Bevorzugung der Landwirtschaft) und außenpolitische Faktoren (das andauernde gegenseitige Mißtrauen) erschwert. Vor allem aufgrund dieser politischen Interessen, und nicht in erster Linie aufgrund von Wasserknappheit, ist eine Lösung der Wasserprobleme im Nahen Osten so schwierig.