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Die „What’s right?“ -Debatte. Das zaghafte Herantasten an eine zivile Rechte | APuZ 10/1995 | bpb.de

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APuZ 10/1995 Nationalbewußtsein und universale politische Ethik Nichts richtig, nichts übrig? Ein Stimmungsbild der ideellen Gesamtlinken Die „What’s right?“ -Debatte. Das zaghafte Herantasten an eine zivile Rechte What’s liberal? Der Liberalismus zwischen Triumph und Erschöpfung

Die „What’s right?“ -Debatte. Das zaghafte Herantasten an eine zivile Rechte

Norbert Seitz

/ 13 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Stand nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Experiments zwangsläufig die Frage „What’s left?“ auf der Tagesordnung, so fragte sich der interessierte Zeitgenosse: Wozu „What’s right?“? Die „What s right?“ -Debatte verstand sich nicht nur als ein Versuch, der Frage nach der Nation und dem Nationalbewußtsein Orientierung zu verleihen, sondern auch als Konzept gegen den postlinken . Dolchstoß der „political correctness“. Diese konservative Neubesinnung diente als Probelauf für die Neudefinition einer demokratischen Rechten. Entlarvend an dieser Debatte war, daß die angeblichen Opfer, derentwegen die Debatte geführt wurde, am Ende überhaupt nicht zu Wort kamen.

Opfer der „political correctness"

Atemberaubendes schien sich da anzukündigen. „What’s left?“ -das hatte noch ganz auf der Linie eines konservativen Blattes gelegen, das sich den ideologischen Triumph über die Linke nochmals von einer Mehrzahl von Konvertiten und Kronzeugen bestätigen lassen wollte. Am Ende war „What’s left?“ aber mehr als nur ein Abfertigungsdiskurs, eine Debatte mit notwendigen Verwerfungen und neuen Ortsbestimmungen. Doch was sollte dagegen „What’s right?“?

Ein gleichsam totalitarismustheoretisches Komplement zur „What’s left?“ -Debatte -das konnte es wohl nicht gewesen sein! Grund genug für den Versuch einer Neudefinition von , rechts'war vor allem der schleichende Verlust der konservativen Definitionsmacht über eine Mitte, die nach 1989 zu expandieren scheint, weil sich schier alles hinter ihr gruppiert, was mit dem niedergegangenen Realsozialismus nichts zu tun haben möchte.

Erinnern wir uns an das sogenannte Süskind-Syndrom: Als eine bequem eingerichtete Postlinke zum 40. Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik Deutschland ihr plötzliches Behagen am zivilgesellschaftlichen Eldorado des einst so bekämpften Gemeinwesens bekundete, kam vielen Konservativen die Vereinigung wie gerufen, um das politische Koordinatenkreuz neu zu justieren. So unterstrich denn auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) im Vorwort zur „What’s right?“ -Debatte, wie notwendig es sei, „in einer zunehmend unübersichtlichen politischen Landschaft Positionen zu erkennen und Unterscheidungen treffen zu können“

Erklärte nicht Ernst Nolte, daß die politische Mitte ohne existente Flügel zum „statischen Kern“, ja zur „trägen Masse des Systems“ verkomme? Gleichsam im inneren Konflikt zwischen der , Plausibilität Noltes und der Loyalität zum CDU

Kanzler leistete sich das konservative Blatt den intellektuellen Kompromiß eines defensiv geführten Diskurses, der blaß bleiben, aber dennoch bemerkenswert sein sollte.

Defensiv verstand sich die „What’s right?" -Debatte demgemäß zuerst als eine Art Notgemeinschaft der Opfer jener „political correctness“, die -so die FAZ -fast immer nur dazu gedient habe, „die gegnerische Diskussionsposition zu diffamieren und den Streit, von dem die politische Kultur lebt, zu unterbinden“

Nicht zufällig wurde die „What’s right?“ -Debatte nämlich in einem Moment aus der Taufe gehoben, als mehrere intellektuelle Versuche einer konservativen Neubesinnung im wiedervereinigten Deutschland auf „Pawlowsche Reflexe“ (K. Weiß-mann) der linksliberalen Medien getroffen seien:

-Botho Strauß’ „Anschwellender Bocksgesang“ wurde meist nur als künstlicher Wiederbelebungsversuch einer Weimarer Kultur von rechts -z. B. von George, Klages oder Borchardt -empfunden. -Der sächsische Justizminister Steffen Heitmann scheiterte binnen weniger Wochen als Helmut Kohls Kandidat aus den neuen Bundesländern für das Amt des Bundespräsidenten, nachdem er gleich mehrfach des Kanzlers gesamtdeutsche Versöhnungsofferte mit rechtskonservativen Minderheitspositionen zur Familie und Geschichte konterkariert hatte. -Brigitte Seebacher-Brandts Versuch, noch den späten Wehner als ewigen Kommunistenstrolch zu denunzieren, um die nationalkonservative Stilisierung des Brandtschen Erbes zu betreiben, geriet zur „publizististischen Selbstverbrennung“ -Der Skandal um Rainer Zitelmann und seine illustre Solidaritätsliste, mit der der WELT-Redakteur seine publizistische Rehabilitation veranlaßte, ist ein weiteres Beispiel.

Somit versteht sich die „What’s right?“ -Debatte in der FAZ auch als Streitkultur gegen den post-linken , Dolchstoß der „political correctness". In Wahrheit jedoch tastet man sich trotz aller notorischen Bekenntnisse zur Mitte an die Neudefinition einer demokratischen Rechten heran, die jenseits von Kanzler Kohl notwendig werden könnte und sich mit dem Stahl-Papier in der Berliner FDP schon anzukündigen scheint.

Der Anlaß und die Begründung der Debatte sind wohl etwas scheinheilig. Hier wird „political correctness“ gleichsam als Statthalter für das Phantom des linken Zeitgeistes gebraucht, dessentwegen „rechte Hysteriker“ noch immer verschwörungsideologische Urständ zu feiern verstehen. Zudem wird geflissentlich verschwiegen, daß Zitelmann seinen Konflikt mit der WELT, die FAZ ihr Problem mit Seebacher-Brandt und Helmut Kohl seine Heitmann-Blamage auch in der eigenen Partei erlebte.

Entlarvend schließlich, daß die angeblichen Opfer, derentwegen die Debatte ins Leben gerufen wurde, am Ende -bis auf Brigitte Seebacher-Brandt -überhaupt nicht zu Wort kommen. Kein Heitmann, dafür Schäuble! Kein Zitelmann, dafür Weißmann! Kein Botho Strauß, dafür Schirrmacher! Abzüglich linker Autoren wie Hans-Ulrich Wehler, Erhard Eppler oder Dan Diner, Kohl-Jüngern wie Hubertus von Morr und Michael Mertes oder FAZ-Autoren wie Konrad Adam, Jan Ross oder Hans D. Barbier blieb der Opferphalanx am Ende nur der zartkonservative Vokal eines Wolf-Jobst Siedler oder Christian Meier. Das war’s, das intellektuelle Versuchstierchen wurde noch rechtzeitig in den Stall gebracht, ehe Kohls Machtmaschine im Wahlkampf die rechte Konkurrenz einstampfen sollte.

Drei Fehlschlüsse

Noch bevor die Serie anlief, steckte Ulrich Raulff in der FAZ das Terrain des Zitelmannschen Solidaritätskartells zwischen „rechten Replikanten oder jungen Leuten in alten Traditionen“ ab. Dabei macht der Autor eine „merkwürdige Gesellschaft“ ausfindig, die „überraschende Allianzen“ geschaffen habe, stammend aus dem „Veldensteiner Kreis“, der Burschenschaft Zitelmanns oder dem Umfeld der „Jungen Freiheit“. Fast alle Wege führten zu Nolte. Analytische Priorität genießt freilich die Feststellung einer Zusammenkunft von neuen Rechten und alten Linken.

Dabei zeugt es nicht gerade von intellektueller Seriosität, wenn hinter Außenseitern, Einzelgängern oder Abtrünnigen wie Brigitte Seebacher-Brandt, Tilman Fichter, Rudolf Wassermann oder Alfred Mechtersheimer ganze sozialdemokratische Strömungen, linke Einflüsse oder grün-alternative Dominanzen vermutet werden.

Ein starkesStück ist es auch, wenn frühere Bürgerrechtler in der DDR, nur weil sie sich anstelle eines wiedervereinigten Deutschland auch eine demokratisierte DDR vorstellen konnten, in die Schublade von „DDR-Nostalgikern“ gesteckt werden, in der man gemeinhin nur deklassierte Alt-SEDler vermutet.

Daß Raulff mit dieser posttotalitären Mixtur eher ein altes Feindbild neu aufmischt als veränderte Verhältnisse im rechten Spektrum erklärt, wird durch drei Fehlschlüsse belegt, die den gedanklichen Kern jener „merkwürdigen Gesellschaft“ verfehlen. Die Neue Rechte schwenke zurück auf die „älteren Positionen des antiwestlichen Denkens“, quasi auf einen Komplex des „Antiliberalismus“. Raulffs Analyse versteigt sich sogar zu der Pointe, jene Rechte falle wieder ins archaischere Integrationsmuster des Antiamerikanismus zurück, der dem späteren Feindbild des Antikommunismus schon immer voraus gewesen sei. Sowohl die antiliberalistische wie antiamerikanische Pointierung der Neuen Rechten als auch deren Aufbereitung als Verbrüderungskumpanei von ehemaligen Gegnern zielen analytisch daneben: 1. Die antiliberalistische Pointierung versucht in quasi unionsüblicher Manier die Neue Rechte aus dem demokratischen Spektrum auszugrenzen, die Gefahr ignorierend, die von der Neuformierung einer zivilen Rechten gerade auch für die Unionsparteien ausgehen kann. In Wahrheit handelt es sich aber bei Zitelmanns Solidaritätskartell nicht primär um völkische Romantiker -eine Figur wie Gerd Bergfleth einmal ausgenommen! -, sondern um solche, die Micha Brumlik in den „Frankfurter Jüdischen Nachrichten“ unter das Rubrum einer „nationalistischen Existenzphilosophie“ faßt. Darunter versteht er die dezisionistische Unterwerfung unter die herrschenden Institutionen -wie die parlamentarische Konkurrenzdemokratie -„im schmerzlichen Bewußtsein der eigenen Modernität und Bodenlosigkeit". 2. Ebensowenig plausibel erscheint der Befund einer antiamerikanischen Prädominanz. Natürlich soll nicht bestritten werden, daß Antiamerikanismus auch dem Anti-Besatzer-Ressentiment der Neuen Rechten eigen ist und die „reeducation“ noch immer als Teufelswerk begriffen wird, durch die die Nation sich selbst entfremdet worden sei. Ebenso lamentiert Karlheinz Weißmann verschwörungsideologisch über einen „bewußt herbeigeführten“ Wertezerfall in unserer Gesellschaft und macht dafür den „hybriden Plan“ eines Fortschrittsoptimismus verantwortlich, an dem auch Neokonservative partizipierten

In Wahrheit ist dem neurechten Denken eine tiefe Euroskepsis wichtiger. Wer wie die meisten Rechtsintellektuellen im Umfeld Zitelmanns und Noltes dem souveränen Deutschland eine Mittlerstellung zwischen Ost und West zuschreiben möch'te, reibt sich in der Regel mehr am französischen Nachbarn als am amerikanischen Partner. Deshalb ist es auch wenig verständlich, wenn Raulff verwundert feststellen muß, daß selbst überzeugte Atlantiker wie Hans-Peter Schwarz oder Arnulf Baring die Solidaritätsliste für Zitelmann unterzeichnet haben! Die Neue Rechte stößt sich mehr an den Vereinigten Staaten von Europa als an den Vereinigten Staaten von Amerika. 3. Mit dem Befund der „älteren Figur des Antiamerikanismus“ rekrutiert der Autor eine altbekannte Rechts-links-Mischung, die für das probate antitotalitäre Feindbild schon immer herhalten mußte. Überhaupt orientiert sich das Interesse der Debattenbeiträge aus der konservativen Mitte mehr an linken Herkünften als an rechten Aussichten. Dies gilt für Wolfgang Schäuble ebenso wie für die Kanzleramtsmitarbeiter Michael Mertes und Hubertus von Morr, bei denen die Feststellung einer „seltsamen Allianz“ flugs zur posttotalitären Kiste nach bewährtem Unionsrezept wird. Dabei wird mit der analytischen Kneifzange festgestellt, wie sehr die Nation zum quasi natürlichen Utopieersatz für abhanden gekommenen Internationalismus geworden sei

Daß die Neue Rechte als Einheit nicht existiert, gibt Weißmann, ihr Ideologe, zwar zu -dennoch macht er in ihr mit einem Horrorbegriff das erste „Meinungslager“ (!) nach der Wiedervereinigung aus. Im Mittelpunkt der „What’s right?“ -Debatte steht das Verhältnis zwischen Westbindung und normalisierter’ Nation.

Geisterdebatte um die Westbindung

Mehr denn je wird heute die Debatte um die Westbindung unaufrichtig geführt. Dies gilt für die kosmopolitische Linke wie für die Neue Rechte, aber auch für die konservative Mitte: -So verweist Panajotis Kondylis in seinem Serien-beitrag auf eine naive kosmopolitische Linke, die ausgerechnet in Zeiten verschärfter interessenpolitischer Kollisionen „an einen Zusammenhalt des Westens auf Grund der bloßen Gemeinsamkeit der Werte“ glaubt. Doch wer zu spät kommt, den bestraft die Stunde der europäischen Wahrheit, wo nicht mehr „Wohlstand, sondern Lasten und Schulden verteilt werden müssen“ -Karlheinz Weißmann hält der konservativen Mitte die Dürftigkeit des eigenen „westlichen“ Credos vor, will sagen: Westbindung immer nur als „ideologisches Versatzstück“ in Zeiten des Kalten Krieges eingesetzt zu haben. Dabei will er gar nicht bestreiten, „daß es im Kern nicht um die Frage geht, ob die Nato in der Vergangenheit eine sinnvolle Allianz gewesen ist und als einzige mögliche Bündniskonzeption verbleibt“ Doch stellt sich weniger die Frage, ob die Neue Rechte für die Nato eintritt, sondern was die konservative Mitte über eine antikommunistisch motivierte Nato und ein strukturkonservatives Verständnis von Westbindung hinaus je zu bieten hatte. Die Differenz zwischen dem kulturellen Westen und einem militärstrategischen Einbindungsgebot wird nicht dadurch aufgehoben, daß man die Nato zur Wertegemeinschaft verklärt. -Die westliche Kultur mußte gegen die konservative Adenauer-Regierung erst mühsam erkämpft werden. Heute sind die Befunde des Christdemokraten Schäuble wie des Jungrechten Weißmann zum Thema , Werteverfall fast identisch. Letzterer konstatiert gesellschaftliche „Atomisierung“, die „Mißachtung der Überlieferung“ wie die „Zerstörung spontaner Ordnungen“. Ebenso beklagt Schäuble „geschwächte Institutionen“, „demontierte Autoritäten“ und „verkümmerten Gemein-sinn“ Hier lamentiert ein strukturkonservativer Politiker über nicht mehr als die Resultate einer modernen westlichen Kultur, deren schonungslose Durchsetzung Habermas einmal „die große intellektuelle Leistung unserer Nachkriegszeit“ nannte.

Quasi binnenmarktideologisch, aber auch nicht darüber hinaus, distanziert sich Schäuble von den „diskussionswürdigen Argumenten für mehr Autorität im Innern“, die lediglich „das eigentliche Plädoyer für mehr autoritäres Gebaren nach außen“ drapierten. Die „souveränitätsseligen Großmacht-träumereien“ der Neuen Rechten seien zwar „nicht aggressiv gemeint“, zielten aber gleichwohl auf „Abgrenzung“, was schädlich ist in Zeiten des Gemeinsamen Marktes.

Wenn Schäuble in seinem jüngsten Buch konstatiert, daß Patriotismus „unter den Bedingungen der modernen Demokratie“ nur schwer zu erhalten sei, dann wäre mit der Politologin Sibylle Quack zu fragen: „Wäre Patriotismus unter obrigkeitsstaatlichen Bedingungen einfacher?“ Wo Patriotismus und moderne Demokratie nicht zu konvenieren scheinen, fordern Linke in der Regel die Abschaffung des Patriotismus und Rechte die Abschaffung der modernen Demokratie. Schäuble hingegen drückt lieber der modernen Demokratie den Patriotismus aufs Auge und nennt dies „Mitte“. Auch die gelehrigen Mertes und von Morr kommen trotz allen Europathos nicht umhin, ein warmes Unterfutter zu fordern: „Wie dünn ist die Firnis der Postmoderne, deren hochmütiger Relativismus fanatischer Glaubenskraft unterlegen sein dürfte.“

Ebenso unterstreicht Christian Meier Schäubles Pflichtethos, freilich in moderateren Tönen. Der weitgetriebene Individualismus müsse „kommunitarisch“ modifiziert werden. Mit dem „Verteiler-, Kasko-und Nachtwächterstaat“ kämen wir nicht mehr aus. Die Solidar-und Verantwortungsgemeinschaft sei „in irgendeiner Weise“ eben doch auf „Homogenität“ angewiesen. Insofern spiele Nation noch immer, wenn auch verwandelt, eine wichtige Rolle

Dagegen hält Wirtschaftspublizist Hans D. Barbier, der fast schon nostalgisch die Vorzüge der früheren Bundesrepublik preist, immerhin vierzig Jahre ihren Platz in der Welt gefunden zu haben, „ohne das Nationale auch nur zu vermissen“ „Praktizierte Liberalität“ -lautet sein Stoßseufzer -falle den Deutschen nun mal leichter, wenn sie auf die Betonung des Nationalen verzichteten.

Adenauer-Linke und Schumacher-Rechte

Die Debatte um die Westbindung war aber auch auf Seiten der Linken stets eine Gespensterdebatte. So verhöhnt Tilman Fichter die Brandt-Enkel gern als veritable „AdenauerLinke“. Und in der Tat scheint ein Teil der westdeutschen Linken Adenauer inzwischen als bundesrepublikanischen Ahnherren entdeckt zu haben, ohne auf die einst so konfliktträchtigen kulturellen Differenzen und repressiven Gegnerschaften noch zu rekurrieren. Unter den post-linken Alt-68ern gesteht Micha Brumlik heute zumindest noch eine „Verhunztheit" Adenauers ein, derentwegen sich die Akzeptanz von Westintegration und sozialer Marktwirtschaft zum Krötenschlucken für die Linke gestalten sollte Aber trotz der richtigen Bonner Grundentscheidungen glaubt Brumlik es seinem Kombattantenstatus als früherer 68er schuldig zu sein, dem , Alten von Rhöndorf zwar Respekt, aber weder „Dank“ noch „Anerkennung“ zuteil werden zu lassen.

Dazu neigt schon eher der Ökolibertäre Thomas Schmid, aus dessen affirmativer Sicht sich Adenauers „antipreußischer Fundamentalismus“ wie „nüchterner Pragmatismus“ zu einer fast kulinarischen Mixtur zu fügen scheint, bei der freilich das anti-etatistische Ressentiment zum Kellner wird. Wer die kleine Einheit als progressives Movens verklärt, zieht noch jeden Kleingärtner einem Klinikchef vor. So wird Adenauer postum die Ehre zuteil, mit Adorno, Ökobauern und antiautoritären 68ern in eine westliche Traditionslinie gepreßt zu werden, während sich Kurt Schumacher in einer „zentralistischen“ Traditionslinie zwischen Jutta Ditfurth und dem Brathendl-Jahn wiederfindet.

Doch Schumachers Nationalneutralismus als ideologisches „Wandeln zwischen den Welten“ zu deuten ist gewiß so falsch, wie Österreichs außenpolitischer Neutralität eine geistige Äquidistanz zwischen Sowjetdiktatur und westlicher Demokratie nachzusagen. Insofern hat Seebacher-Brandt nicht Unrecht, wenn sie in ihrem Beitrag die spitze Frage stellt: „Schumacher war antikapitalistisch, was erlaubt sein mußte in jener Zeit. War er deshalb auch antiwestlich?“

Doch welche Westbindung ist gemeint? Für Jan Ross ist diese mitnichten eine „säkulare Staatsreligion“, aus der die Bürger des Landes eine Weltanschauung beziehen müßten. „Es herrscht Bekenntnisfreiheit.“

Auch Panajotis Kondylis plädiert für eine Versachlichung der Debatte und widerspricht einer „pauschalen Westbindung“, ohne sich einen deutschen Sonderweg noch vorstellen zu können. Die Westbindung der Deutschen sei in einer einmaligen Situation entstanden, ohne daß daraus ein „geschichtlicher Maßstab“ abgeleitet werden könne. Zumal in gewisser Weise das Ende des Kalten Krieges auch das Ende des Westens in die Wege geleitet habe. Die Wertegemeinschaft zerfalle ohne die unifizierende Stärke des ideologischen Gegners in konkurrierende Einzelinteressen. Deshalb rät der Autor der „nationalistischen Rechten“, endlich die „planetarische Gesamtsituation“ zu berücksichtigen: „Man mag als deutscher „Rechter“ den Franzosen oder den Engländer nicht besonders mögen, den Chinesen wird man aber noch weniger mögen.“

Doch die Neue Rechte bleibt trotz solcher Eselsbrücken frankophobisch. Sie hält in der Regel Maastricht nur für eine perfide Mogelpackung der französischen Interessenpolitik, um dem Identitätsstück der alten Bundesrepublik -der DM -den Garaus zu machen. Dagegen muß ein normalisiertes Deutschland startklar sein für den wahren politischen Konkurrenzkampf der Völker. Weißmanns Nationalneutralismus beschwört nach außen die Horrorvision eines europäischen „Superstaates“ und nach innen eine „Romantik des Multikulturalismus“ herauf

Alles nur „Rollenprosa“?

Als wichtigstes Hindernis, um Deutschland aus den Bindungen zu lösen, betont die Neue Rechte jene „Schuldmetaphysik“, sich wegen Auschwitz das weltpolitische Handeln „vorschreiben“ zu lassen. Christian Meier widerspricht dem energisch. Es will ihm nicht einleuchten, daß „nationale Würde“ dadurch entstehen könne, daß man an der eigenen Geschichte „herumretuschiert“. Historisieren ließen sich jene weltgeschichtlich einmaligen deutschen Verbrechen nicht: „Denn Auschwitz ist nicht nur ein historisches Ereignis aus dieser Zeit, sondern es hat zugleich mythische Qualität, es ragt weit über alles andere hinaus und wirft seine Schatten darüber.“

Mit einem beißenden Bonmot entlarvt Christian Meier die Selbstgerechtigkeit von Helmut Kohls konservativer Mitte, die immer noch das rechte Spektrum fest im Griff zu haben glaubt. Die beiden Kanzlerschreiber Mertes und von Morr gefielen sich mit einer nahezu „Hegelschen Geschichtsdeutung, wonach auf die vormoderne These und die moderne Antithese jetzt der postmoderne Kanzler als Synthese folgt“. Dazu Meier süffisant: „Wir kommen damit in die einzigartige Lage, im Oktober (1994, N. S.) den Weltgeist persönlich wählen zu können.“ So plätscherte eine Debatte dahin, bis endlich der Feuilletonchef der FAZ höchstpersönlich intervenierte und dem erstaunten Publikum erklärte, daß alles nur „Rollenprosa“ sei, ob nun Botho Strauß den Spengler probe, Glotz darauf wie Ossietzky reagiere, oder Nolte den Moeller van den Bruck einstudiere .. . Wie sehr die FAZ jedoch mit jenem „links-konservativen Meinungsstrom“ in der neuen Mitte hadert, erfährt der Leser erst außerhalb der Serie ein paar Monate danach -von Eckhard Fuhr, in dessen Abrechnung mit linken Kampagnen der „political correctness". Danach sei Heitmann vom linken „Kampagnen-Hammer“ getroffen worden, um zu verhindern, „daß der politische Konservatismus sich aus seiner geduckten Haltung erhebt, daß nur seine zeitgemäße, terminologisch und ideell rundgelutschte Variante , salonfähig bleibt“

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Vorspann zu Brigitte Seebacher-Brandt, Strudel im Meinungsstrom. Gegen den geistigen Konformismus, in: FAZ vom 18. 4. 1994.

  2. Ebd.

  3. Vgl. Norbert Seitz, Hochwasser in Unkel, in: die tageszeitung vom 26. 1. 1995.

  4. Ulrich Raulff, Auch eine geistige Welt. Rechte Replikanten oder Junge Leute in alten Traditionen, in: FAZ vom 13. 4. 1994.

  5. Micha Brumlik, Existenzphilosophie und Nationalliberalismus. Die intellektuelle Rechte in Deutschland, in: Frankfurter Jüdische Nachrichten vom Dezember 1994.

  6. Vgl. Karlheinz Weißmann, Die Nationen denken. Wir sind keine Verschwörer, in: FAZ vom 22. 4. 1994.

  7. Vgl. Michael Mertes/Hubertus von Morr, Linke, rechts drehend. Neue Allianzen, in: FAZ vom 20. 4. 1994.

  8. Panajotis Kondylis, Das planetarische Denken. Die Rechte, die Linke und Deutschland, in: FAZ vom 27. 4. 1994.

  9. K. Weißmann (Anm. 4).

  10. Wolfgang Schäuble, Der Platz in der Mitte. Sonderwege und Staatsräson, in: FAZ vom 6. 7. 1994.

  11. Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Gurus und Irrlichter, in: FAZ vom 6. 5. 1994.

  12. Vgl. Wolfgang Schäuble, Und der Zukunft zugewandt, Berlin 1994.

  13. Sibylle Quack, Brauchen wir Patriotismus?, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 41 (1994) 9.

  14. M. Mertes/H. v. Morr (Anm. 5).

  15. Vgl. Christian Meier, Die Republik denken. Deutschlands Rechte und die Wirklichkeit, in: FAZ vom 29. 4. 1994.

  16. Hans D. Barbier, Anschwellende Zumutung. Bedarf an nationaler Rhetorik gedeckt, in: FAZ vom 25. 4. 1994.

  17. Vgl. Micha Brumlik, Die Linke und Adenauer-Versuch über ein anderes Phantom, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 36 (1989) 12.

  18. Thomas Schmid, Berlin: Der Kapitale Irrtum. Argumente für ein föderalistisches Deutschland, Frankfurt a. M. 1991.

  19. B. Seebacher-Brandt (Anm. 1).

  20. Jan Ross, Schwellendes Philistertum. Gegen politisch korrekte Westbindung und Metaphysikverbot, in: FAZ vom 3. 5. 1994.

  21. P. Kondylis (Anm. 8).

  22. K. Weißmann (Anm. 6).

  23. Chr. Meier (Anm. 15).

  24. Ebd.

  25. Vgl. Frank Schirrmacher, Rat der Wiederkehr. Die nachholende Generation debattiert, in: FAZ vom 10. 6. 1994.

  26. B. Seebacher-Brandt (Anm. 1).

  27. Eckhard Fuhr, Systematische Verlogenheit, in: FAZ vom 23. 12. 1994.

Weitere Inhalte

Norbert Seitz, Dr. phil., geb. 1949; seit 1989 Redakteur der Monatszeitschrift Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte in Bonn. Zahlreiche Veröffentlichungen und Buchbeiträge zu kultur-und geschichtspolitischen Themen; zuletzt: Als Rudolf Augstein 70 wurde ..., in: Hans-Martin Lohmann (Hrsg.), Extremismus der Mitte. Vom rechten Verständnis deutscher Nation, Frankfurt a. M. 1994.