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„Displaced Persons“. Ein vergessenes Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte | APuZ 7-8/1995 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 7-8/1995 Der Zweite Weltkrieg -Eine historische Bilanz Die Kriegsgefangenen Die Vertreibung der Deutschen -Ein unbewältigtes Kapitel europäischer Zeitgeschichte „Displaced Persons“. Ein vergessenes Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte

„Displaced Persons“. Ein vergessenes Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte

Juliane Wetzel

/ 17 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Als die alliierten Armeen 1945 Deutschland besetzten, fanden sie im späteren Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen etwa 6, 5-7 Millionen „Displaced Persons“ (DPs) vor. Es handelte sich in erster Linie um ehemalige Zwangsarbeiter, um KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene -also um Personen, die während des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat geflohen, vertrieben oder verschleppt worden waren. Problemlos verlief die Rückführung der Westeuropäer in ihre Heimatländer, erhebliche Schwierigkeiten bereiteten dagegen die Bürger aus den Ostblockstaaten, die sich mehrheitlich aus Angst vor Repressalien weigerten, nach Hause zurückzukehren. Eine zunächst vergleichsweise kleine Gruppe unter den DPs, dann jedoch vermehrt durch einen größeren Zustrom von Juden, die Polen wegen der dortigen antisemitischen Pogrome verließen, bildeten die jüdischen Überlebenden, die fast ausnahmslos keine Heimat mehr hatten und deshalb versorgt werden mußten, bis sich ein Aufnahmeland für eine Auswanderung fand. Selbstverwaltung und vielfältige kulturelle Aktivitäten halfen den DPs, den oft jahrelangen Aufenthalt in den eigens einge richteten DP-Lagern und die widrigen Lebensumstände zu ertragen.

Als die alliierten Armeen 1945 Deutschland besetzten, fanden sie im späteren Gebiet der drei westlichen Besatzungszonen etwa 6, 5 bis sieben 2 Millionen „Displaced Persons“ (DPs) vor; mit einem zahlenmäßig zwar geringeren Problem, aber einer insgesamt doch ähnlichen Situation wurden sie in Österreich und Italien konfrontiert. Unter den Status „DP“ fielen all jene Personen, die infolge des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat durch Kriegseinwirkungen und deren Folgen geflohen, vertrieben oder verschleppt worden waren In der Praxis beinhaltete diese Definition Zwangsarbeiter, die während des Krieges in deutschen Betrieben beschäftigt gewesen waren, Kriegsgefangene, ehemalige Konzentrationslagerhäftlinge und Osteuropäer, die entweder freiwillig nach Kriegsbeginn die deutsche Wirtschaft unterstützt hatten oder 1944 vor der sowjetischen Armee geflüchtet waren. Darunter fielen nicht die vielen Millionen deutschen Flüchtlinge, die -wie beispielsweise die Ostpreußen, Schlesier und Sudetendeutschen -durch die Folgen des Zweiten Weltkriegs gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen.

In der US-Zone erhielt nur derjenige DP-Status, der vor dem 1. August 1945 diesen Besatzungsbereich erreicht hatte; ausgenommen von dieser Beschränkung waren rassisch und politisch Verfolgte, die auch weiterhin großzügig als „Verschleppte“ anerkannt wurden, selbst wenn sie erst nach der Befreiung nach Deutschland gekommen waren. Die britischen Militärbehörden verweigerten einen solchen Status prinzipiell all jenen, die nach dem 30. Juni 1946 ihre Zonengrenze überschritten hatten

Ein sowjetisch-amerikanisches Rückführungsabkommen vom 11. Februar 1945 hatte festgelegt, daß alle DPs, die in den zu besetzenden Gebieten vorgefunden wurden, in ihre Heimat zurückgeführt werden sollten; auch mit Frankreich wurde ein Übereinkommen getroffen. Anfangs duldeten die Westalliierten die zwangsweise Rückführung der sowjetischen DPs mit allen negativen Konsequenzen für die Betroffenen, erkannten aber bald die Fragwürdigkeit des Abkommens. Gänzlich erfüllt hat die Vereinbarung nur die sowjetische Seite (bis auf die Deportationen von Deutschen als Zwangsarbeiter in ihrem Machtbereich); die westlichen Verbündeten hingegen hielten sich bald nicht mehr an die Bestimmungen. Schließlich legte eine UNO-Resolution vom Februar 1946 die Freiwilligkeit der Repatriierung fest 5.

I. Die jüdischen DPs

Eine vergleichsweise kleine Gruppe unter den DPs bildeten die jüdischen Überlebenden, die aber die Besatzungsbehörden vor schier unlösbare Probleme stellten: Eine Repatriierung kam hier nur in westliche Herkunftsländer in Frage; die Rückführung nach Osteuropa, woher die meisten Juden kamen, mußte aufgrund des dort weiter herrschenden Antisemitismus und der Zerstörung der jüdischen Gemeinden weitgehend ausgeschlossen werden. Waren die Voraussetzungen in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands günstiger, so konnten doch weder das Armeepersonal noch die hastig errichteten DP-Lager die besondere Hilfe, die diese Menschen aufgrund der Verfolgung während der NS-Zeit benötigten, gewährleisten.

Erst allmählich verbesserten sich für sie die Lebensbedingungen. Der zunächst nur als vorübergehend geplante Aufenthalt stellte sich bald als Illusion heraus. Für einige tausend jüdische Überlebende, die -nach der weitgehenden Repatriierung der nichtjüdischen DPs -als einzige noch in den sogenannten Assembly Centers (Sammellagern) verblieben waren, endete DP-und Lagerleben erst 1957, als das letzte jüdische und damit auch letzte DP-Lager überhaupt, Föhren-wald bei Wolfratshausen, geschlossen wurde

Trotz erlebter Verfolgung und Verlust des persönlichen und familiären Umfelds sowie der Tatsache, daß sie sich -soeben dem deutschen Terrorapparat entronnen -noch immer in Deutschland befanden, waren es gerade die jüdischen Überlebenden, die unter allen DPs am schnellsten versuchten, der Lethargie zu entkommen und innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft ein beeindruckendes kulturelles und religiöses Leben zu entwickeln, das ganz der osteuropäischen jiddischen Tradition verhaftet blieb. Dieser „Lebensmut im Wartesaal“ kennzeichnete die Situation der jüdischen DPs in Deutschland.

Zalman Grinberg, der erste Präsident des Zentral-komitees der befreiten Juden in der amerikanischen Besatzungszone, nahm in seiner Rede im Oktober 1945 in München darauf Bezug: „Hier sammelt sich der Rest des Judentums und hier ist der Wartesaal. Es ist ein schlechter Wartesaal, aber wir hoffen, daß der Tag kommen wird, an welchem man die Juden an ihren Platz führen wird.“ Die „Süddeutsche Zeitung“ titelte 1953: „Föhrenwald -Wartesaal der Unglücklichen“ und verwies damit auf die Tatsache, daß in diesem DP-Lager noch immer über 1500 Juden auf ihre Ausreise warteten.

Die Mehrheit war nach der Staatsgründung Israels 1948 und der etwa gleichzeitig erfolgten Liberalisierung der amerikanischen Einwanderungsgesetzgebung ausgewandert. Manche der noch in Deutschland Verbliebenen hatten inzwischen aufgrund der nicht enden wollenden schwierigen Lebensumstände den Weg aus den DP-Lagern in die Städte gesucht, sich dort mehr schlecht als recht eingerichtet und -trotz verständlicher anfänglicher Abwehr gegen eine Beteiligung am Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft -einen Neuanfang gewagt. Später traten sie den neu gegründeten jüdischen Gemeinden bei, und ihre Nachfahren stellen noch heute einen bedeutenden Teil der Mitglieder. Andere, vor allem Kranke und alte Menschen, hatten sich entweder nicht für ein Auswanderungsland entscheiden können oder wegen ansteckender Krankheit -meist Tbc -keine Aufnahme im Ausland gefunden; sie alle wurden schließlich, nachdem in den Jahren nach der israelischen Staatsgründung die meisten DP-Lager geschlossen worden waren, im jüdischen DP-Lager Föhrenwald, das seit 1951 unter deutscher Verwaltung stand, aufgenommen.

Erst als auch dieses geschlossen wurde, war für die „Sche’erit Haplejta“, den „Rest der Geretteten“, wie die jüdischen Überlebenden sich selbst in Anlehnung an einen Bibelabschnitt nannten, das jahrelange Lagerleben beendet. Gleichzeitig aber bedeutete dies auch den Schlußpunkt einer beeindruckenden Phase jiddischen Lebens in Deutschland, das sich völlig unabhängig von der deutschen Bevölkerung in den „Ghettos“ der DP-Lager abspielte.

Das jüdische Nachkriegsleben in Deutschland wurde getragen von den ostjüdischen Einwanderern, deren größter Strom im Sommer und Herbst 1946 nach erneuten Pogromen in Kielce/Polen die westlichen Besatzungszonen Deutschlands erreichte. Mehr als 100000 Juden -vor allem aus Polen, aber auch aus anderen osteuropäischen Ländern -fanden damals auf illegalen Routen über die tschechische und österreichische Grenze ihren Weg in die bereits bestehenden oder neu eingerichteten DP-Lager, wo sie auch weiterhin in ihren alten Traditionen lebten, jiddisch sprachen und aus den Lagern Föhrenwald, Belsen, Landsberg, Feldafing, Deggendorf, Lechfeld, Zeilsheim, Eschwege, Pocking und vielen weiteren größeren und kleineren „Assembly Centers“ kulturelle Zentren mit einem regen religiösen Leben machten.

Jüdische Hilfsorganisationen aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Palästina unterstützten die Überlebenden nicht nur mit finanziellen Zuwendungen, leisteten medizinische Hilfe und verteilten Lebensmittel, sondern gaben den körperlich und geistig gebrochenen jüdischen DPs die dringend notwendige psychische Unterstützung. Die Befreier -auf den Zustand der Überlebenden nur unzureichend vorbereitete Soldaten der alliierten Armeen -mußten sich in dem Chaos Nachkriegsdeutschlands zunächst auf die Organisation des täglichen Lebens besinnen, die dringend benötigten Unterbringungsmöglichkeiten nicht nur für die jüdischen, sondern für die Millionen nicht-jüdischer schnelle schaffen und ihre möglichst Repatriierung planen, waren also kaum in der Lage, den Juden die erforderliche besondere Betreuung zukommen zu lassen. Erst nach und nach entwickelten Westalliierten die Militärs der mehr Verständis für die speziellen Probleme der jüdischen DPs. Vor allem in der amerikanischen Regierung und Armeeführung erfolgte seit Sommer 1945 ein deutliches Umdenken, das positive Auswirkungen auf die Situation der Juden in der amerikanischen Besatzungszone zeigte.

Die britische Militäradministration und die Regierung in London allerdings folgten weder der liberalen amerikanischen Handhabung in der Frage, wer unter den besonderen Status eines DPs fiel, noch der Einsicht, daß jüdische Überlebende getrennt von anderen DPs unterzubringen waren. Geleitet wurde die britische Politik von der Rücksicht auf die Probleme in Palästina. Als Mandats-macht befürchtete man arabische Reaktionen auf eine Liberalisierung der jüdischen Einwanderung nach Eretz-Israel (Land Israel). Diese Fragen standen wiederum in engem Zusammenhang mit der britischen Haltung gegenüber den jüdischen DPs in der von ihnen verwalteten Besatzungszone Deutschlands

Waren in der britischen Zone in der Höchstphase etwa 15 000 Juden in Lagern -insbesondere in Belsen-Hohne -untergebracht, so mußte die amerikanische Militäradministration nach dem Massenzustrom aufgrund der antisemitischen Pogrome in Polen im Sommer 1946 mehr als 140000 jüdische DPs in den Lagern, vor allem in Bayern, versorgen. In der französischen Zone hingegen befanden sich Ende 1945 nur etwa 1000 Juden in DP-Lagern und kleineren landwirtschaftlichen Ausbildungsstätten, den sogenannten Kibbuzim.

In der sowjetisch besetzten Zone wurde das Problem der DPs nicht als solches anerkannt, also auch den jüdischen Überlebenden kein besonderer Status zugesprochen. Dies war vor allem auf das gänzlich andere Verständnis der sowjetischen Behörden von ihrer Funktion als Besatzungsmacht zurückzuführen. Die vollständige Umstrukturierung der Gesellschaft und die Besetzung der wichtigsten Ämter durch Kommunisten, die zum Teil die NS-Zeit in Konzentrationslagern zugebracht bzw. die Stalinschen Säuberungen in der Sowjetunion überlebt hatten, war vorrangigstes Ziel ihrer Politik. Die Verfolgten selbst übernahmen nun die politische Führung, was gleichzeitig bedeutete, daß die Angehörigen dieser Gruppe als rehabilitiert galten, also keiner besonderen oder besseren Fürsorge bedurften. Die Sowjets sahen sich folglich nicht dazu genötigt, DP-Lager in ihrer Zone zu errichten und Tausende von DPs zu ernähren. Alle größeren Ansammlungen von DPs wurden sofort aufgelöst, indem man die Betroffenen vor die Wahl stellte, entweder zurück in ihre Heimat zu gehen, sich im neuen deutschen „antifaschistischen“ Staat zu integrieren oder zu verhungern

II. Die Hilfsorganisationen

Vorrangiges Ziel der westalliierten DP-Politik war die Versorgung und vor allem die schnelle Repatriierung, also die Rückführung der Verschleppten in ihre Heimatstaaten. Keine größeren Probleme bereiteten die Franzosen, Niederländer, Belgier, Italiener und andere westliche Staatsangehörige, deren Repatriierung Ende Juni 1945 im großen und ganzen abgeschlossen war. Weit mehr Schwierigkeiten ergaben sich dagegen bei der Rückführung der ehemaligen Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge aus den Ostblockstaaten -nicht nur aufgrund mangelnder Transportmöglichkeiten, sondern auch, weil viele unter ihnen aus politischen Gründen nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren wollten bzw. konnten. Die Ukrainer etwa, die schon ziemlich früh freiwillig in das nationalsozialistische Deutschland gekommen waren, befürchteten nicht ohne Grund Repressalien der kommunistischen Machthaber. Die Rückführung der polnischen „Displaced Persons“ hingegen ging aufgrund erheblicher Transportprobleme in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands und in Polen selbst nur langsam voran

Aufgrund der Verzögerungen, die sich bei der Repatriierung ergeben hatten, bzw. weil sich diese für die jüdischen Überlebenden als unmöglich erwies, mußten mehr und mehr DP-Lager in ehemaligen Arbeitersiedlungen, Kasernen etc. eingerichtet werden. Deren Betreuung übernahmen die Armeen der jeweiligen Besatzungszonen und ab Herbst 1945 bzw. Frühjahr 1946 unter Obhut der Militäradministration die Hilfsorganisation der Vereinten Nationen, die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), bzw. ab Juli 1947 die International Refugee Organization (IRO). Ende 1945 betreute die UNRRA in den westlichen Zonen Deutschlands 227 DP-Lager und in Österreich weitere 25; im Juni 1947 belief sich ihre Zahl auf 762: acht in Italien, 21 in Österreich, 416 in der amerikanischen und 272 in der britischen Zone Deutschlands. Diese Steigerung war im wesentlichen auf die Zuwanderung der osteuropäischen Juden seit dem Sommer 1946 zurückzuführen, denn immerhin hatte die UNRRA vom 1. November 1945 bis 30. Juni 1947 aus den drei Westzonen Deutsch-lands 741987 DPs -die meisten nach Polen -repatriieren können Immer noch befanden sich aber am 1. Juli 1947 in Deutschland 611469 DPs, davon in der amerikanischen Zone 336700, in der britischen Zone 230 660 und in der französischen Zone 44109 „Verschleppte“, darunter 196780 Polen, 168440 Juden und 157 859 Balten. Ein Jahr später, am 1. August 1948 hatte sich die Zahl der DPs bereits deutlich verringert. In Deutschland lebten nun noch 493928 Personen mit diesem Status, wobei die beiden stärksten Gruppen nach wie vor die Polen (131961) und die Juden (122708) waren

Die Aufgaben der UNRRA und später der IRO erstreckten sich (in Zusammenarbeit mit den Besatzungsbehörden, die in den DP-Lagern auch weiterhin für die Zuteilung von Lebensmitteln, Kleidung und sonstigen Bedarfsmitteln zuständig waren) von der Erfassung, Betreuung und Repatriierung der verschleppten Personen bis hin zur Verteilung von zusätzlichen Lebensmitteln und Medikamenten, die vor allem das Rote Kreuz aus den verschiedensten Ländern zur Verfügung stellte.

Die zuständigen UNRRA-Teams, die im Frühjahr 1946 rund 750000 DPs zu betreuen hatten, bemühten sich zunächst darum, zur individuelleren Handhabung der unterschiedlichen Bedürfnisse der Ukrainer, Russen und vor allem der zahlenmäßig stärksten polnischen DP-Gruppe die einzelnen Lager nach Nationalitäten getrennt zu belegen. Dies bedeutete für die nichtjüdischen DPs eine erhebliche Verbesserung ihrer Situation, konnte sich doch durch die Konzentration der einzelnen nationalen Gruppen ein größeres Zusammengehörigkeitsgefühl und damit auch ein regeres kulturelles Leben entwickeln.

Für die jüdischen DPs war die Unterbringung zusammen mit ihren polnischen, lettischen, ukrainischen Landsleuten, die sich nicht selten als Helfershelfer der Nationalsozialisten erwiesen hatten, keineswegs eine befriedigende Lösung gewesen -im Gegenteil, es trug eher zur Verschlechterung ihrer Situation bei. In der amerikanischen Zone war den dort lebenden Juden bereits im Herbst 1945 ein genuin jüdischer Status zuerkannt worden; entsprechend erfolgte bald die Einrichtung von jüdischen Lagern. Die Briten hingegen verweigerten den Juden diese Anerkennung und gestanden ihnen, und dies auch erst sehr spät, allenfalls eigene Blocks innerhalb der DP-Lager zu. Das führte schließlich dazu, daß die jüdischen Zuwanderer aus Osteuropa im wesentlichen in die amerikanische Zone drängten.

III. Die kulturelle Vielfalt

Die Homogenität, die sich -trotz unterschiedlich starker religiöser Ausrichtung und politisch divergierender Meinungen -in der US-Zone durch die gemeinsame Unterbringung jüdischer DPs bzw. jüdischer Flüchtlinge aus Polen bilden konnte, war die grundlegende Voraussetzung, daß sich in den Lagern ein gut durchorganisiertes Schulsystem, Bibliotheken, unzählige Theatergruppen, mehrere Orchester, alle wichtigen religiösen Einrichtungen wie Synagogen, Mikwen (rituelles Tauchbad), Koscher-Küchen sowie ein breit gefächertes Zeitungsangebot, das sich zumeist der jiddischen Sprache bediente (allerdings anfangs mangels hebräischer Drucklettern in lateinischen Buchstaben), entwickeln konnten.

Kulturelles Leben regte sich aber auch in den Lagern der nichtjüdischen DPs; vor allem die Religion spielte bald eine bedeutende Rolle. Kirchen wurden eingerichtet, Schulen gegründet, Sport-clubs ins Leben gerufen, Fußballspiele und Sportfeste, wie etwa die jährliche „Baltische Olympiade“, abgehalten Ähnlich wie in den jüdischen DP-Lagern entstanden auch in den anderen „Assembly Centers“ eigene kleine Staaten im Staate, die sich innerhalb der neu gebildeten Lagerselbstverwaltungen entwickelten. In Belsen-Hohne etwa hatten sich die Angehörigen der verschiedenen Nationen bereits wenige Tage nach der Befreiung zu Selbsthilfekomitees zusammengeschlossen. Etwas später bildete sich auch innerhalb der jüdischen Gruppe eine eigene Vertretung, aus der im September 1945 das Zentralkomitee der befreiten Juden in der britischen Zone entstand.

Diese Eigenständigkeit konnte -weil sie aufgrund des britischen Mißtrauens gegenüber der Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltung in dieser Zone dort nicht zu einer Einflußnahme auf die DP-Politik führte -nur in der US-Zone auch praktisch umgesetzt werden. Eines dieser erfolgreich durchgeführten Projekte ist das Pressewesen, das nicht nur zur Kommunikation der einzelnen Nationalitätengruppen untereinander beitrug, sondern gleichzeitig auch den physisch und psychisch zum Teil stark angeschlagenen DPs ein großes Maß an Selbstvertrauen zurückgab.

Die erste größere DP-Zeitung, der „DP-Express", wurde im Juli 1945 an einem der wichtigsten Standorte der DP-Presse, in München, erstmals herausgegeben. Unter Chefredakteur Jerzy Swede wurde er wöchentlich vom „DP-Transient and Infor-mation Center“, das nach dem Eintreffen der UNRRA-Teams im November 1945 in deren Verantwortung überging, im Deutschen Museum herausgegeben. Um die DPs verschiedenster Staatsangehörigkeit zu erreichen, erschienen Beiträge in Deutsch, Englisch, Slowakisch, Polnisch, aber auch in Jiddisch. Am 18. Dezember 1947 wurde der „DP-Express" in „Displaced Person’s Newspaper-EXPRESS polish editio Dezember 1947 wurde der „DP-Express" in „Displaced Person’s Newspaper-EXPRESS polish edition“ umbenannt und nur noch in polnischer Sprache gedruckt. Damit trugen die Herausgeber der inzwischen stark veränderten DP-Struktur Rechnung. Die polnischen DPs waren nun neben den jüdischen Überlebenden die stärkste noch verbleibende Gruppe. Letztere hatten inzwischen selber zahlreiche Zeitungen gegründet, mußten also nicht mehr auf ein allgemeines DP-Organ zurückgreifen.

Neben dem überregionalen Informationsblatt aus dem Deutschen Museum waren auch in den DP-Lagern selbst eigene Zeitungen entstanden, viele davon „illegal“, d. h. nicht -wie erforderlich -durch die Militärbehörden lizensiert. Nach der Einführung eines ordentlichen Lizensierungsverfahrens für Verleger von DP-Presseerzeugnissen im August 1946 erhielten innerhalb weniger Wochen in der US-Zone 21 Zeitungen und Zeitschriften eine Lizenz, darunter sieben lettische, drei estnische, je vier jüdische und litauische sowie eine kalmückische, eine weißrussische und eine mehrsprachige 16. Trotz dieser nun erfolgten Legalisierung standen die Zeitungen auch weiterhin unter starker Kontrolle der amerikanischen Besatzungsoffiziere -sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch des Inhalts. Durch die allgemeine Papier-knappheit und die wenigen funktionsfähigen Druckereien ergaben sich automatisch Beschränkungen bezüglich der Seitenzahl und Auflagen-stärke; die Texte wurden auf ihren demokratischen Inhalt und unzulässige Propaganda gegen die Repatriierung geprüft. Die bis Jahresende 1947 erreichte Zahl von 29 Zeitungen und 39 Zeitschriften mit einer Gesamtleserschaft von über einer Million zeigt den Erfolg und die Bedeutung dieser DP-Presseerzeugnisse 17.

Aus dem Bereich des facettenreichen kulturellen Spektrums sei hier noch eine weitere Besonderheit herausgegriffen: die Einrichtung eigener DP-Universitäten. In der britischen Zone war eine „Baltische Universität“ in Hamburg und in der amerikanischen Zone Hochschulen in Pinneberg, Ravensburg, Esslingen, Ludwigsburg und München eröffnet worden. Die Gründung der UNRRA-Universität im Deutschen Museum in München erfolgte am 16. Februar 1946; einzelne Hochschulkurse gab es bereits seit September 1945. Zum ersten Semester waren rund 2000 Studenten der verschiedensten Nationalitäten zugelassen, die von etwa 200 Professoren unterrichtet wurden; Mitte 1946 bestanden bereits sechs Fakultäten. Am 31. Mai 1947 wurde der Lehrbetrieb eingestellt und die Studenten auf die bayerischen Universitäten verteilt. Ein Antrag der Universitätsleitung und der Studenten, die UNRRA-Hochschule zu einer internationalen Universität umzufunktionieren, war gescheitert 18. Die Schließung war erforderlich geworden, weil die UNRRA am 30. Juni 1947 ihre Arbeit in Deutschland beendete und die Nachfolgeorganisation IRO nicht sofort tätig werden konnte.

IV. Vorurteile der deutschen Bevölkerung

Der schwierige Umgang der deutschen Bevölkerung mit dem DP-Problem resultierte primär aus der Unfähigkeit, die moralische Verantwortung für die Folgen des Krieges zu übernehmen, war aber auch mit den realen Alltagsproblemen verbunden. Die meisten Deutschen hatten das Ende des Krieges nicht als Befreiung empfunden. Für sie bedeutete es das Ende der Illusion von der deutschen Übermacht, einen Zusammenbruch also, dessen Konsequenz Kampf ums Überleben, Mangelwirtschaft und Flüchtlingsströme waren. Schon die Aufnahme der acht Millionen eigenen Flüchtlinge und Vertriebenen aus Ostpreußen, Schlesien und dem Sudetenland allein in den Westzonen hatte Unmut bei der ortsansässigen Bevölkerung erzeugt. Es ging ihr mindestens ebenso schlecht, oft sogar lebten sie unter noch widrigeren Umständen. Die Millionen DPs hingegen, die jahrelang bestenfalls als Sklaven gegolten hatten, wurden nun bevorzugt behandelt, erhielten Lebensmittel-zuteilungen, die einen Satz von ca. 2000 Kalorien gegenüber maximal 1000 Kalorien für die deutsche Bevölkerung gewährleisteten -das führte zu Unverständnis und Neid. Übertriebene Gerüchte über angebliche Plünderungsaktionen der DPs waren immer noch Folge der NS-Propaganda gegen „Untermenschen“, zu denen man neben den Juden vor allem die Polen und Sowjetbürger gemacht hatte. Eine Rolle spielte auch die ungewisse eigene Zukunft, die Frage, wie schnell es gelingen würde, Deutschland wirtschaftlich wiederaufzubauen, und welchen Platz man selber in dieser sich neu strukturierenden Gesellschaft erhalten könne -kurz, all jene Überlegungen, die das Verhalten gegenüber „Fremden“ schon immer beeinflußt haben und sich auch in der Geschichte der Bundesrepublik mit einer gewissen Regelmäßigkeit wiederholen. Hinzu kam die Tatsache, daß die DPs praktisch für die deutsche Polizei und Rechtsprechung nicht greifbar waren, weil sie ausschließlich der Militärgerichtsbarkeit unterstanden. Wegen mehrerer Zwischenfälle durfte etwa deutsche Polizei seit Anfang April 1946 in der amerikanischen Zone jüdische DP-Lager nicht mehr betreten.

Diese Verordnung stieß auf Unverständnis bei den zuständigen deutschen Behörden, zumal die angebliche Verwicklung von jüdischen DPs in Schwarzmarktgeschäfte und damit zusammenhängende Schiebereien einen ständigen Streitpunkt zwischen der amerikanischen Militärregierung und deutschen Stellen bildeten. In der amerikanischen Zone lebten, wie erwähnt, die jüdischen Überlebenden in jüdischen DP-Lagern, konnten also leicht von den deutschen Nachbarn als Juden identifiziert werden. Fremdenfeindlichkeit sowie Abwehr gegen die Notwendigkeit, Verantwortung gegenüber den Opfern der NS-Herrschaft zu spüren, mischten sich mit alten antisemitischen Vorurteilen und führten dazu, daß den Juden eine überproportionale Kriminalitätsrate unterstellt wurde. Der Landrat des Kreises Wolfratshausen, zu dem das DP-Lager Föhren-wald gehörte, schrieb etwa am 21. Dezember 1945 an den Regierungspräsidenten in München, daß „besond Dezember 1945 an den Regierungspräsidenten in München, daß „besonders die Lagerbewohner, überwiegend Ostjuden, ... Schwarz-und Schleichhandel in unvorstellbarem Ausmaß betreiben. Der Geld-besitz der Genannten geht bei jedem einzelnen in die Zehntausende.“ 20

Diese Anschuldigungen -vor allem was das finanzielle Ausmaß anbelangt -entbehrten jeder realen Grundlage, wie der damalige Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone, General Lucius D. Clay, bestätigte: „Die unsichere Wirtschaftslage in Deutschland haben den Tauschhandel und Schwarzmarktgeschäfte zu einem allgemeinen Problem werden lassen. Selbst in diesem Bereich fallen die jüdischen Displaced Persons, verglichen mit anderen Displaced Persons oder gar der deutschen Bevölkerung, nicht besonders auf... In Anbetracht der Bedingungen, unter denen sie [die jüdischen DPs] in Deutschland leben mußten, mit ungewisser Zukunft und schwer an ihrer Vergangenheit leidend, ist es meiner Meinung nach eine bemerkenswerte Leistung, wie sie Recht und Gesetz achten.“ 21

Sofern sich die jüdischen DPs tatsächlich eines Deliktes schuldig machten, handelte es sich eher um Kleinkriminalität, die damals auch bei den Deutschen notgedrungen an der Tagesordnung war, wie etwa Tauschhandel und der Besitz von falschen Ausweispapieren. In Kapitalverbrechen oder Raubüberfälle waren die überlebenden Juden so gut wie nie verwickelt. Im Rahmen der gesamten Gruppe der DPs wiederum, die etwa an den 11445 im Dezember 1948 in der amerikanischen Zone registrierten Schwarzhandelsvergehen nur in 401 Fällen beteiligt war, machte die Gruppe der jüdischen DPs im Verhältnis einen noch geringeren Teil aus Untersuchungen haben ergeben, daß die in ganz Deutschland von der Bevölkerung verbreiteten Plünderungs-und Gewaltlegenden über die DPs nur in Ausnahmefällen einen realen Hintergrund hatten

Eine diskriminierende Einstellung gegenüber den DPs manifestierte sich auch, als die Betreuung der DP-Restgruppe am 30. Juni 1950 in deutsche Zuständigkeit überging und die bundesrepublikanischen Behörden damit beauftragt wurden, die endgültige Abwicklung des DP-Problems zu übernehmen. Aus den „Displaced Persons“ wurden „heimatlose Ausländer“, denen eine rechtliche Gleichstellung mit deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen verwehrt wurde

Der jahrelang praktizierte Verdrängungsmechanismus gegenüber der NS-Geschichte insgesamt hat sich auch auf die Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen der DPs im Nachkriegsdeutschland ausgedehnt. Nur selten spielte dieses Thema in den letzten Jahrzehnten in Untersuchungen zur Nachkriegsgeschichte eine Rolle. Bis auf wenige Ausnahmen entdeckte die Geschichtswissenschaft erst in den letzten Jahren dieses Thema. Im Sommer dieses Jahres wird anläßlich des 50. Jahrestages der Befreiung erstmals in Deutschland eine internationale Konferenz zur Problematik der jüdischen DP-Geschichte stattfinden

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Institut für Zeitgeschichte (IfZ), Archiv, Fi 01. 76; J. J. Schwartz, DP-Report, 19. August 1945, S. 1.

  2. Vgl. Jewish Committee -Blaustein Library, The Problem of the Displaced Persons. Report of the Survey Committee on Displaced Persons of the American Council of Voluntary Agencies for Foreign Service Inc., Juni 1946.

  3. Vgl. Mark Wyman, DP. Europe’s Displaced Persons, London-Toronto 1989, S. 58.

  4. Vgl. zur Gesamtgeschichte der jüdischen DPs in Deutschland Angelika Königseder/Juliane Wetzel, Lebensmut im Wartesaal. Die jüdischen DPs (Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt a. M. 1994.

  5. Yivo Institute for Jewish Research, New York, Leo W. Schwarz Papers (Mikrofilmkopie im Zentrum f. Antisemitismusforschung, TU Berlin), fol. 135. Protokoll Nr. 13 der Sitzung des Rates beim Zentral-Komitee der befreiten Juden in Bayern, Deutsches Museum München, 14. Oktober 1945.

  6. Vgl. Peter Jakob Kock, Lager Das Föhrenwald: . Eldorado 1 oder , Wartesaal der Unglücklichen'?, in: Maximilianeum, 4 (1993), S. 43.

  7. Vgl. A. Königseder/J. Wetzel (Anm. 6), S. 23, 44f., 54f.

  8. Vgl. ebd., S. 10f.

  9. Vgl. Wolfgang Jacobmeyer, Vom Zwangsarbeiter zum heimatlosen Ausländer, Göttingen 1985, S. 66f.

  10. Vgl. M. Wyman (Anm. 4), S. 47, 75.

  11. Vgl. E. Jahn (Anm. 5), S. 31.

  12. Vgl. Malcolm J. Proudfoot, European Refugees 1939-1952, London 1957, S. 257.

  13. Vgl. M. Wyman (Anm. 4), S. 118.

  14. Vgl. Bernhard Zittel, Die UNRRA-Universität in München 1945-1947, in: Archivalische Zeitschrift, 75 (1979), S. 281-301; vgl. auch Juliane Wetzel, Jüdisches Leben in München. Durchgangsstation oder Wiederaufbau, München 1987, S. 123f.

  15. Vgl. E. Jahn (Anm. 5), S. 60; A. Königseder/J. Wetzel (Anm. 6), S. 44ff.

  16. YIVO, LWSP fol. 69. Rabbi Bernstein’s Report, 26. Oktober 1947, S. 9f.

  17. Vgl. IfZ, Archiv, Fi 01. 81; Gerhard Jacoby, The Story of the Jewish DP vom 6. 6. 1948, S. 14.

  18. Vgl. W. Jacobmeyer (Anm. 11), S. 210-215.

  19. Vgl. ebd. S. 229.

  20. Veranstalter der Konferenz, die im Juli 1995 in München stattfinden wird, sind u. a. das Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt und das Institut für Zeitgeschichte in München.

Weitere Inhalte

Juliane Wetzel, Dr. phil., geb. 1957; 1986-1991 Mitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte, München; seit 1991 wiss. Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin. Veröffentlichungen zum Thema jüdische Verfolgungs-und Nachkriegsgeschichte und zum Rechtsextremismus, u. a.: (zus. mit Angelika Königseder) Lebensmut im Wartesaal. Die jüdischen DPs (Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt a. M. 1994.