Beim Bundesparteitag 1994 der CDU forderte die Junge Union, die Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht und ihr Ersatz durch eine allgemeine Dienstpflicht sollten im Grundsatzprogramm der Partei festgeschrieben werden. Erst nach kontroverser Diskussion und Machtworten von Bundeskanzler und Verteidigungsminister wurde bei der Abstimmung der Antrag (mit 290 gegen 236 Stimmen) abgelehnt. Das Ergebnis der Abstimmung belegt zumindest eines: Das Anliegen des Antrages ist strittig, selbst innerhalb einer politischen Partei. Bei der Suche nach den Ursachen dieser Kontroverse stößt man sehr schnell auf die Verlaufskurve der, wie der Gesetzgeber sie nennt, Kriegsdienstverweigerung. Diese Entwicklung sowie die diskutierten Lösungsansätze bzw. Alternativmodelle sollen in der hier gebotenen Kürze dargestellt werden.
I. Säkularisierung des Gewissens
Theodor Heuß befürchtete 1948, die Aufnahme eines Rechts auf Kriegsdienstverweigerung in das Grundgesetz könnte zu einem „Massenverschleiß des Gewissens“ führen. Die auf diese Befürchtung bezogene Frage nach den unterschiedlichen Motiven für die Kriegsdienstverweigerung -bisher ging es tatsächlich immer nur um eine Wehrdienstverweigerung, was von den Kritikern jedoch aus ideologisch-propagandistischen Gründen stets verschwiegen wurde und wird -wurde seit Schaffung der Bundeswehr mehrfach gestellt und in Abhängigkeit von den gesellschaftspolitischen Interessenlagen jeweils unterschiedlich beantwortet. Heute, nach der Auflösung der unmittelbaren militärischen Bedrohung und der damit einhergehenden Neuorientierung der politischen Aufmerksamkeit auf die gesellschaftlichen Binnenverhältnisse, ist diese Nachfrage dringlicher denn je.
Um die Antwort vorwegzunehmen: Die Frage, ob es zu einem Massenverschleiß des Gewissens gekommen ist, ist nicht eindeutig zu beantworten. Einerseits läßt sie sich bejahen: Nach den Fall-zahlenist die Kriegsdienstverweigerung zu einem „Massenphänomen sozialer Normalität“ geworden. Sie beschränkt sich längst nicht mehr -wie einst in Preußen -auf Angehörige religiöser Sekten oder -wie in den sechziger Jahren -auf wortgewandte Abiturienten. Dabei gilt die gesetzliche Ausgangslage unverändert. Demnach ist die Landesverteidigung Staatsziel, nicht der Zivildienst via Kriegsdienstverweigerung. In der Wahrnehmung der männlichen Jugendlichen sind allerdings der Wehrdienst und der Monate länger dauernde Zivildienst zu gleichwertigen Alternativen geworden. So betrachtet, hat also der Massenverschleiß stattgefunden.
Gleichzeitig ist die Frage nach dem Massenverschleiß auch zu verneinen. Um sie nicht nur anhand der jüngsten Zahl der Verweigerer (1993: 130041) zu beantworten, ist auf eine einschlägige Begriffsbestimmung des Bundesverfassungsgerichtes zurückzugreifen. Danach ist das „Gewissen“ ein „seelisches Phänomen, dessen Forderungen, Mahnungen und Warnungen für den Menschen unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens“ sind Wichtige Bestimmungselemente dieser Definition werden mittlerweile von der Mehrheit der an der Kriegsdienstverweigerung interessierten Jugendlichen ihrem Inhalt nach als „säkularisiert“ begriffen Das heißt, Jugendliche sind zunehmend weniger bereit, moralische Verpflichtungen gegenüber dem Gemeinwesen anzuerkennen und ihnen nachzukommen. An die Stelle von Pflichtbewußtsein tritt die exzessive und „selbstsüchtige“ Inanspruchnahme staatlicher und gesellschaftlicher Leistungen Wenn ein „Dienst“ schon nicht zu umgehen ist, entspricht der bequemere, weil nichtkasernierte und uniformierte, nicht nach striktem Befehl und Gehorsam organisierte und heimatnah abdienbare Zivildienst der pragmatisch-utilitaristischen Grundhaltung der jungen Männer eher als der Militärdienst.
Der hohe Stellenwert persönlicher Kosten-Nutzen-Erwägungen, aber auch grundsätzlicher politischer Kalküle bei der Entscheidung, zum „Bund“ zu gehen oder zu verweigern, wird deutlich, wenn zurückblickend das jeweils sprunghafte Ansteigen der Antragszahlen (und damit die Inflation der „Gewissensbisse“) im Vorfeld von absehbaren Verlängerungen der Dienstzeit oder im zeitlichen Umkreis politischer Krisen (z. B. Golfkrieg) betrachtet wird. Zumindest darauf bezogen ist die ursprünglich ethisch-religiöse Begründung für die Entscheidung, die Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz festzuschreiben politisch unterlaufen. Als Zwischenbewertung läßt sich mithin festhalten: Die vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollte Möglichkeit zur Verweigerung des Kriegsdienstes geht wohl nach wie vor auf eine Gewissensentscheidung zurück, nur hat sich der wenig bestimmte Begriff „Gewissen“ bei den Jugendlichen mit anderen als vom Gesetzgeber gemeinten Inhalten gefüllt.
Mit dieser Bedeutungsveränderung des Gewissens-begriffs ging (seit 1984) eine Vereinfachung des Anerkennungsverfahrens einher: der Übergang von der mündlichen, hochnotpeinlichen Darlegung der moralisch-ethischen Beweggründe vor einem Prüfungsausschuß hin zur schlichten Vorlage einer -möglicherweise aus der einschlägigen Beratungsliteratur abgeschriebenen -Erklärung als „schlüssige“ Begründung des Antrags. Nicht nur das Gewissen wurde säkularisiert, sondern auch das Verfahren profanisiert.
Die „Entzauberung“ (Max Weber) der Kriegsdienstverweigerung wurde durch ihre Ökonomisierung befördert Ausgangspunkt ist die fehlende Staatszielbestimmung Damit wird es allen Beteiligten leichtgemacht, ihren Nutzen daraus zu ziehen. Hinzu kommt die vom Gesetz vorgeschriebene Arbeitsmarktneutralität des Zivildienstes.
Zwar existiert kein Arbeitsmarkt für „Zivis“. In einer durchschnittlich älter und damit pflegebedürftiger werdenden Gesellschaft sind sie aber heute „aus vielen Bereichen der sozialen Versorgung alter, kranker und behinderter Menschen kaum noch wegzudenken“ Im Klartext: Die Arbeitsmarktneutralität wird -zumindest teilweise -im letztlich gemeinsamen Interesse von den staatlichen Kostenträgern wie den privaten Leistungserbringern ignoriert Da die „Zivis“ zudem für die Trägerorganisationen konkurrenzlos billig sind, behindert das praktizierte Ersatzdienstsystem letztlich die Entwicklung einer leistungsfähigen, professionellen staatlichen Pflege-und Betreuungswohlfahrt mehr, als daß es sie unterstützt: Der subventionierte Preis für die Leistung der Zivildiener steht einer akzeptablen Entlohnung und der Einrichtung zumutbarer bzw. attraktiver Arbeitsbedingungen für professionelle Pflegekräfte im Wege und verleitet zur Verschwendung von Arbeitskraft. Dabei ist der Unterschied zwischen der Qualität einer erzwungenen und nur angelernten Betreuung hier und einer professionellen Pflege dort nicht berücksichtigt.
Offen bleiben muß die Frage, ob bei einem Wegfall des Zivildienstes eine hinreichende Zahl von Fachkräften auf dem zivilen Arbeitsmarkt überhaupt gewonnen und bezahlt werden könnte Allerdings gibt es Belege dafür, daß unter annehmbaren Bedingungen eine vermehrte Nachfrage nach professionellen Pflegekräften rasch zu einem größeren Angebot führt.
Mit der Frage der Arbeitsmarktneutralität ist die nach dem finanziellen Aufwand für den Zivildienst unmittelbar verschränkt Für den Staat fallen jährlich zwischen 20000 und 30000 DM Kosten pro Zivildienstleistenden an. Diesen Beträgen stehen die auf etwa 33000 DM geschätzten Nettogewinne pro „Zivi“ bei einigen der Träger entgegen Diese Erträge (insgesamt rd. 2, 2 Mrd. DM) kommen, zurückhaltend formuliert, der „Kostenkalkulation“ dieser Träger zugute. Die lange Zeit weitgehend reibungslose Trennung zwischen dem staatlichen Kostenträger und den privatwirtschaftlich handelnden Nutzenempfängern hat seit Bekanntwerden dieser Zahlen und angesichts leerer öffentlicher Kassen zu heftigem sozialpolitischem Streit geführt.
Ein weiterer Aspekt: Gemeinhin sollte der Personalumfang der Streitkräfte vor allem von sicherheitspolitischen Bewertungen und internationalen Verträgen abhängig sein. Neuerdings ist mehr denn je der Betrag der für die Landesverteidigung verfügbaren öffentlichen Haushaltsmittel von Bedeutung. Angesichts eines stagnierenden Verteidigungsetats und der Verteilungskämpfe zwischen den Ressorts sind der Personalumfang der Bundeswehr, die Dauer des Grundwehrdienstes und die Wehrform generell strittig geworden. Zwar wird der Umfang des Zivildienstes auch von öffentlichen Haushalten mitbestimmt, unterliegt aber ansonsten momentanen Opportunitätserwägungen. Dies bedeutet u. a., daß aus der nach oben offenen Zahl der anerkannten Zivildienstplätze (Sommer 1994: rd. 166000) nicht auf einen gleichgroßen Bedarf an Zivildienstleistenden geschlossen werden sollte. Zudem bleibt die Personal-stärke des Zivildienstes nach wie vor letztlich von individuellen („Gewissens“ -) Entscheidungen abhängig. Ohne festgelegtes Limit stellt der Zivildienst damit auch „für den sozialen Bereich eine nur schwer einplanbare Größe“ dar
Wenn auch die Wehrpflicht vom Gesetzgeber und den maßgeblichen politischen Parteien als vorrangig bewertet wird, bewegen sich die jährlichen Zahlen der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung und die der Zivildienstleistenden (Februar 1994: 119 727) hin auf die Größenordnung des jährlichen Ergänzungsbedarfs der Bundeswehr an Grundwehrdienstleistenden (demnächst 155 000) Somit erhebt sich die Frage nach der gesellschaftspolitischen Priorität: Ist die Wehrpflicht nur noch -oder besonders -dazu da, um via Zivildienst soziale Lücken „in einer auf materiellen Wohl-stand ausgerichteten privatkapitalistischen Wettbewerbsgesellschaft“ zu füllen? Oder: Wie weit sind der Auftrag der Bundeswehr und die Wehrpflicht noch in der Landesverteidigung und -neuerdings -in der Friedenssicherung begründet? Entwickeln sich etwa Kriegsdienstverweigerung bzw. Zivildienst schon von ihrem Umfang her zu einer „ernsten Gefahr für die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht“ und damit zu einem sicherheitspolitischen Risiko Es wird deutlich: Der Zivildienst ist, alltagspolitisch gesehen und damit faktisch, gleichwertig an die Wehrpflicht gekettet Und: Die Kriegsdienstverweigerung und mit ihr der Zivildienst haben eine so nicht vorgesehene eigenständige sicherheits-und sozialpolitische Konnotation erhalten.
Letztlich hat sich somit eine paradoxe Situation ergeben: Einerseits hat die Institutionalisierung der Kriegsdienstverweigerung zur Konkurrenz von zwei Sozialfiguren -dem Staatsbürger in Uniform und dem Verweigerer -geführt. Andererseits findet im Wege des Zivildienstes eine Ausweitung bürgerlicher Pflichten über das Militär hinaus statt.
II. Gesellschaftsdienst als Patentrezept?
Vieles weist auf eine baldige Aussetzung oder sogar Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht hin Weitreichende gesellschaftspolitische Verwerfungen sind absehbar; indirekt wurden sie bereits angesprochen. Auf den Punkt gebracht dürften die folgenden drei besonders bedeutsam sein: Die erste bezieht sich auf Weiterungen der unmittelbaren gesetzlichen Anbindung des Zivildienstes an die Wehrpflicht. Wegen dieser Koppelung und der gebotenen Gleichbehandlung zumindest der männlichen Jugendlichen würde mit der Aufgabe der Wehrpflicht auch der Zivildienst obsolet. Damit träte zweitens der Personalmangel im Sozialsektor offen zutage. Das tatsächliche Ausmaß dieser Misere wurde bislang durch den Zivildienst kaschiert. Drittens ist nochmals darauf zu verweisen, daß die sozialen Dienste längst von der für sie billigen Arbeit der Zivildienstleistenden abhängig geworden sind.
Die militärischen Personalplaner und die Sozial-strategen der Parteien und Verbände brüten angesichts dieser Entwicklungen über Konzepten und Modellen, wie man die „Sozialkatastrophe“ vermeiden bzw. die absehbaren Kollateralschäden der Wehrpflichtaufhebung gering halten könnte. Nahezu einhellig wird dabei als Patentrezept ein Gesellschaftsdienst oder die allgemeine Dienstpflicht (in den USA präziser: „National Youth Service“) gepriesen Mehrere Hoffnungen sind mit einem solchen Dienst verbunden:
Erstens wird eine Linderung des Pflegenotstandes, zumindest die Beibehaltung des Status quo im Netz sozialer Dienstleistungen erwartet. Der besondere Stellenwert dieser Hoffnung ergibt sich aus der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung, der damit korrespondierenden Zahl von Pflegebedürftigen sowie der aufgrund gewandelter Familienstrukturen abnehmenden Kapazität häuslicher Pflege Zwar hatte in den frühen siebziger Jahren die damalige Wehrstrukturkommission der Bundesregierung eine allgemeine Dienstpflicht abgelehnt, „weil zwingende Aufgaben des Gemeinwohls für diese Dienstpflicht... nicht erkennbar sind“. Die seinerzeitigen Verhältnisse haben sich mittlerweile aber grundlegend geändert: Damals gering geachtete „Aufgaben“ wurden „zwingend“. Nach wie vor nicht triftig ist es jedoch, aus dem vermehrten Bedarf an Dienstleistungen ein staatliches Angebot abzuleiten Zudem ergibt sich nicht notwendig, die Sozialen Dienste unter dem Primat militärpolitischer Überlegungen zu belassen. Zweitens verspricht man sich einen „edukatorischen Beitrag zur Hebung des Solidaritätsdenkens junger Menschen“ bzw. einen Beitrag zur als dringlich erachteten „Erziehung zur sozialen Verantwortung“ oder zur „Schulung des Charakters“ Der Dienst soll quasi im Sinne einer „Sozial-Schule der Nation“ solidarisches Handeln wecken bzw. stärken
Drittens sollen über Bundeswehr und Sozialwesen hinaus auch die anderen personell unterbesetzten Dienste (vom Umweltschutz bis zur Entwicklungshilfe) wenn schon nicht mit Fachkräften, dann wenigstens mit für die Träger vergleichsweise billigem (Hilfs-) Personal aufgefüllt werden, um bisher wegen Personalmangels unerledigte politische Projekte aufzuarbeiten.
Viertens gilt der Gesellschaftsdienst als Königsweg zur (Wieder-) Herstellung und künftigen Absicherung der Wehr-bzw. Dienstgerechtigkeit. Die derzeitige Benachteiligung der zu einem Dienst Einberufenen gegenüber den Nichtbetroffenen (z. B. Untaugliche, dritte oder weitere Söhne einer Familie) soll durch deren Heranziehung zu einem Gesellschaftdienst aufgehoben werden.
Fünftens möchte man auf dem Umweg über einen Gesellschaftsdienst den Fortbestand der Institution „Wehrpflicht“ abstützen. Wenn der Wehrdienst in geeigneter Weise -etwa als eine von mehreren Wahlalternativen -in den Gesellschaftsdienst eingebunden würde, ließe sich, so die Erwartung, die Umwandlung der Bundeswehr in eine Berufsarmee vermeiden Diese Hoffnung kehrt den historischen Zusammenhang zwischen Wehr-und Dienstpflicht um: In beiden Weltkriegen entwickelte sich die Dienstpflicht jeweils aus der Wehrpflicht, „wobei sowohl ideologisch wie rechtlich die Dienstpflicht durch die Wehrpflicht legitimiert wurde“
Sechstens schließlich wird von einem Gesellschaftsdienst ein Beitrag zur Lösung von nationalen und internationalen Konflikten und so auch ein Beitrag zum grundgesetzlichen Auftrag zur völkerverbindenden Friedensförderung erhofft
III. Konzepte
Mehrere Vorschläge, wie ein Gesellschaftsdienst in die Praxis umgesetzt werden könnte, sind mittlerweile entwickelt worden. Sie unterscheiden sich voneinander vor allem hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit, d. h., es geht zunächst um die Frage: Soll der Dienst „freiwillig“ oder als „Pflicht“ abgeleistet werden? Ein zweites, in den Konzepten eher nachgeordnetes Beurteilungskriterium bezieht sich auf die Gleichberechtigung bzw. -Verpflichtung der Geschlechter: Sollen Männer und Frauen dienen oder nur die Männer? 1. Konzepte für einen freiwilligen Dienst Es liegt in der Natur der „Freiwilligkeit“, daß hier nur wenige Abstufungen nach der Intensität denkbar sind. Wenn jemand aus eigenem Antrieb bereit ist, einen Dienst zu leisten, bleibt nur noch, über die Art und Weise der Durchführung des Dienstes nachzudenken. Drei Vorstellungen fanden bisher breiteren öffentlichen Widerhall: -Ermunterung aller jungen Männer und Frauen, ein Jahr lang freiwillig einen sozialen Dienst (vom Militärdienst bis zum Kindergarten) zu verrichten. Die Ableistung dieses Dienstes sollte mit der Vergabe eines Bonus, z. B. für die Übernahme in den Staatsdienst, verbunden sein -Freiwilliger Gesellschaftsdienst für junge Frauen und Männer mit weitestmöglicher Wahlfreiheit, in welcher Sparte dieser Dienst geleistet werden soll -Ziviler Friedensdienst als „staatlich geförderter und finanzierter freiwilliger Dienst, der Männer und Frauen jeden Alters dazu befähigen soll, mit gewaltfreien Mitteln planvoll in Krisen und gewaltsame Konflikte einzugreifen“ Zunächst sollten Einsätze im Inneren erfolgen (Stichwort: „Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei“), später internationale Einsätze (z. B. auf Vermittlung des Welt-kirchenrates) dazukommen.
Eine von der Ev. Landeskirche Berlin-Brandenburg jüngst offiziell empfohlene Variante dieses Konzepts sieht den Dienst ausschließlich von jungen Männern vor. Als „Alternative und gleich-, berechtigte Variante zu Bundeswehr und Ersatzdienst“ dürfe dieser zivile Friedensdienst nicht an partikularen z. B. nationalen Interessen orientiert sein
Das zweite Konzept wurde demoskopisch abgefragt. Es fand bei einer repräsentativen Befragung von Jugendlichen beiderlei Geschlechts hohe Zustimmung: 59 Prozent der Befragten waren der Meinung, daß alle Jugendlichen für ein Jahr der Gesellschaft dienen sollen -„in Krankenhäusern, Altenheimen, im Naturschutz oder in der Bundeswehr“ Allerdings kann, wie häufig bei derartigen Umfragen, aus Befragungsergebnissen nicht auf künftiges Verhalten der Befragten geschlossen werden. Da ein derartiger Dienst derzeit nicht existiert, wird vor allem die Vorstellungskraft der Befragten getestet.
Einen Beleg für den geringen prognostischen Wert solcher Umfragedaten liefert das „Freiwillige Soziale Jahr“ (FSJ). Nach seiner Einrichtung 1964 konnten dafür lediglich ca. 1500 Freiwillige angeworben werden. Ende der achtziger Jahre leisteten dann jährlich rd. 13000 junge Erwachsene diese gemeinschaftsorientierte, „pflegerische, erzieherische oder hauswirtschaftliche Hilfstätigkeit“ In der Zeit zwischen 1985 und 1992 summierten sich insgesamt nur rd. 50000 Verpflichtungen. Seit Anfang der neunziger Jahre geht das Interesse zurück. Bemerkenswert ist, daß über die Jahre hinweg stets ca. 90 Prozent der Freiwilligen junge Frauen waren.
Die Vermutung, diese Einseitigkeit sei durch die Wehrpflicht der Männer bedingt, läßt sich durch einen Hinweis auf die damaligen Sonderverhältnisse in Berlin entkräften. Obwohl dort bis 1990 junge Männer nicht zur Bundeswehr eingezogen wurden, waren die Prozentwerte der Geschlechts-verteilung im FSJ vergleichbar denen im Bundesgebiet Eher schon wird man den Grund für die geringe Akzeptanz dieses Dienstes darin suchen müssen, daß „freiwillig“ von der Zielgruppe nicht als „kostenlos“ verstanden wird. Ein Taschengeld von 200 bis 400 DM monatlich ist -auch bei Übernahme der sozialen Kosten durch die Trägerorganisationen -weniger als der Sold von Grundwehrdienstleistenden bzw. „Zivis“ und fördert unter marktwirtschaftlichen Aspekten Gefühle des Ausgebeutetwerdens. 2. Konzepte für eine Dienstpflicht Hierzu liegen einige, meist aus dem (sicherheits-) politischen Raum stammende Konzepte vor. Sie unterscheiden sich nach dem Personenkreis, auf den sie Anwendung finden sollen, sowie nach den Einsatzfeldern. Nachfolgend sind die wichtigsten Konzepte kursorisch aufgelistet. -Eine allgemeine Dienstpflicht für die jungen Männer, die, z. B. weil „untauglich“ oder nicht gezogen, weder zur Bundeswehr noch zum Zivildienst einberufen werden. Diese hätten gerechter-weise ein „Jahr für die Gemeinschaft“ abzuleisten. Junge Frauen sollten dieser Pflicht allerdings nicht unterliegen, solange ihre gesellschaftliche Benachteiligung (z. B. wegen Mutterschaft und Kindererziehung) nicht aufgehoben ist -Gemeinschaftsdienstpflicht. Jeder junge Bürger, auch die jungen Frauen, soll zu einer Dienstleistung für Staat und Gesellschaft herangezogen werden Neben dem Wehrdienst, einschließlich eines waffenlosen Dienstes in den Streitkräften, sind Dienstleistungen u. a. in Krankenhäusern, Pflege-und Altenheimen, im Zivilschutz oder bei der Feuerwehr anzubieten. -Anstelle des zivilen Ersatzdienstes für Kriegsdienstverweigerer Einführung einer einjährigen allgemeinen Dienstpflicht für junge Frauen und Männer. Sie sollte wahlweise im Sozialbereich, im Katastrophenschutz oder im Entwicklungsdienst abgedient werden können -Ausweitung der Wehrpflicht zur allgemeinen Dienstpflicht für Männer mit der Möglichkeit, auch andere (Sozial-) Einsatzgebiete wählen zu können. Die jungen Frauen sollten entweder Sozial-oder Umweltdienst leisten. Für diese zusätzliche Belastung erhalten sie einen Ausgleich in Form eines verlängerten Erziehungsurlaubs und der Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht Dieser Modellvorstellung war, unter Beibehaltung der unveränderten Wehrpflicht für Männer, die Forderung nach einem „sozialen Pflegejahr“ für Mädchen vorausgegangen. Ein solches Jahr würde den Dienstpflichtigen einen „wichtigen Einblick in schwierige soziale Problemfelder“ vermitteln und zudem anstehende Probleme in der Altenpflege, Kranken-und Familienfürsorge lösen -Allgemeine Dienstpflicht für junge Männer und Frauen. Die Wahlmöglichkeit „Wehrdienst“ sollte dabei den Männern vorbehalten bleiben Ähnlich regte General a. D. Schmückle eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen an Die Aufgaben sollten bei diesem Konzept allerdings geschlechtsspezifisch verteilt werden. Jungen Männern obläge die Gewährleistung der äußeren Sicherheit sowie der Umwelt-und Katastrophen-schutz. Die jungen Frauen hätten sich um die Alten und Kranken zu kümmern. -Einführung eines sozialen Pflichtjahres als integraler Bestandteil der Schulpflicht. Humanitäre und ökologische Einsätze auf internationaler Ebene sollen dazu dienen, die „Horizonte für fremde Kulturen (zu) erweitern“ -Ausdehnung der bestehenden Wehrpflicht über die bereits als Wehrdienstausnahmen anerkannten Alternativdienste (z. B. Bundesgrenzschutz, Polizei, Technisches Hilfswerk) hinaus In einem ähnlichen Konzept wird vorgeschlagen, die jungen Männer, die sich auf einen Sozialberuf vorbereiten, von jedem Dienst zu befreien -.. Pflichtjahr zum Wohle der Gesellschaft“ Während dieser Zeit sollen (mit Ausnahme von Wehrpflichtigen und jungen Müttern) die Jugendlichen beiderlei Geschlechts Aufgaben im Sozial-dienst, im Umweltschutz, in der Stadtpflege oder der Entwicklungshilfe übernehmen. Durchaus ähnlich war bereits zur Hoch-Zeit des Kalten Krieges vorgeschlagen worden, eine allgemeineDienstpflicht als „Friedensdienst“ einzurichten Dort war vorgesehen, in diesem Dienst „alle Komponenten“ zu vereinen, „die dazu dienen, den Frieden zu wahren, zu sichern und zu verbessern“. Einberufungen nach „Eignung und Bedarf“ waren für die Bundeswehr, die Bundespost, den Zoll, das Rote Kreuz, den Umweltschutz etc. vorgesehen. -Pflichtdienst mit freiwilliger Entscheidung für eines von vier gleichrangigen Einsatzgebieten: Wehrdienst, Soziale Dienste, Umweltschutz, Dritte Welt -Allgemeine Dienstpflicht als Ergänzung zur Wehrpflicht ohne weitere Spezifizierung des Einsatzbereiches ) -Aussetzung des Wehrdienstes und Wegfall des Zivildienstes zugunsten einer Berufsarmee und Pflichtdienste in der Pflege, im Sozialbereich und der Entwicklungshilfe -Aufstellung eines zivilen deutschen Hilfskorps für internationale humanitäre Einsätze. Junge Deutsche sollten sich anstelle des Wehrdienstes dort engagieren können
Auch wenn alle diese Modellvorstellungen zunächst nur deklamatorischen Charakter haben -die bestehenden Normierungen gelten unverändert -und international keine zur Auswertung heranziehbaren Erfahrungen vorliegen regt sich in Deutschland Widerspruch. Der zweifellos wichtigste hat seinen Ausgangspunkt in der Rechtslage. Der Bezug dafür ist Art. 12, Abs. 2 des Grundgesetzes: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen Dienstleistungspflicht.“ In dieser Festlegung sind für die Normierung einer allgemeinen Dienstpflicht drei Begriffe besonders kritisch: die „bestimmte Arbeit“ (vs. die Allgemeinwohlorientierung einer Dienstpflicht), die „Herkömmlichkeit“ (vs. eine nicht vorhandene Pflichtentradition) und die „Gleichheit“ (im Hinblick auf die Gleichberechtigung und -Verpflichtung der Frauen). Schon angesichts dieser gewichtigen Vorbehalte setzt die Einrichtung einer Dienstpflicht eine Verfassungsänderung voraus Diese aber ist nur über eine derzeit nicht absehbare Zweidrittel-Mehrheit im Deutschen Bundestag zu erreichen. Die Folgerungen aus den thematisch einschlägigen Diskussionen um die Vereinbarkeit der Wehrpflicht mit der Menschenwürde und um die von der Dienstpflicht ebenfalls berührte Bund-Länder-Kompetenzverteilung (Umweltschutz ist z. B. Ländersache; Art. 30 GG) sind ohnedies noch nicht untersucht.
An dieser Stelle ist anzumerken, daß die Einführung einer Dienstpflicht die Aufgabe des Verfassungsprinzips der Wehrpflicht bedeuten würde. Die Wehrpflicht würde 'dann möglicherweise zu einer Pflicht unter anderen degradiert. Zudem würde auch das Recht auf Kriegsdienstverweigerung obsolet Dies könnte angesichts der dann erforderlichen Revision des Verhältnisses der Bürgerinnen zu Staat und Gesellschaft zu einem gehäuften Auftreten eines Verhaltensmusters führen, das derzeit als „Totalverweigerung“ schon die Gerichte beschäftigt.
Ein zweiter, ebenfalls formaler Einwand bezieht sich auf die Übereinkommen Nr. 29 und Nr. 105 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). In Nr. 29 verpflichten sich die ratifizierenden Staaten, „den Gebrauch der Zwangs-oder Pflichtarbeit in allen ihren Formen möglichst bald zu beseitigen“. Nr. 105 verbietet eine auf wirtschaftlichen Gründen basierende Dienstpflicht. Auch wenn diese Übereinkommen lediglich den Charakter einfachen Gesetzesrechts haben, könnten Deutschland aus ihrer Aufkündigung erhebliche internationale Imageprobleme erwachsen Die anderen einschlägigen internationalen Abkommen (z. B. die Menschenrecht^erklärung der Vereinten Nationen) „stehen einer Einführung eines sozialen Pflichtjahres nicht entgegen“
Der dritte Einwurf ist psychologischer Natur. Er wurde schon verschiedentlich auf den Zivildienst bezogen, gewinnt aber im Zusammenhang mit der Dienstpflicht zusätzliches Gewicht: Ein Pflicht-dienst wird demnach nur dann erbringen, was man vom ihm erwartet, wenn er allgemein anerkannten sozialen Bedürfnissen dient und die Dienerinnen innerlich dazu bereit sind und den Dienst soweit als möglich ihren persönlichen Vorstellungen von Einsatzbereich und Besoldung entsprechend leisten können. Für eine Dienstpflicht gilt: Von oben verordnete, womöglich nicht begründete Solidarität trägt nicht. Gemeinsinn und soziale Verantwortung lassen sich nicht kommandieren. Und: „Die gesellschaftliche Bedeutung der sozialen Dienstbereitschaft läßt sich durch Zwangsmaßnahmen nicht aufwerten.“ Schließlich: Eine staatlich befohlene „Gleichberechtigung“ via Gleichverpflichtung trifft sich nicht mit den diesbezüglichen Vorstellungen der jungen Frauen.
Das psychologische Argument von der Zwangsverpflichtung anders, durch die Brille eines prospektiven Dienstherren oder Trägers betrachtet: Das Abstimmen individueller Wünsche nach einem bestimmten Einsatz-/Tätigkeitsfeld (wenn denn der Dienst schon sein muß) mit den staatlichen Vorstellungen vom Umfang und Einsatz dieser Dienste führt zu immenser Bürokratie und zur Verrechtlichung der beim Helfen bzw. „Dienen“ ohnedies besonders heiklen Sozialbeziehungen. Darüber hinaus ist absehbar, daß bei jedem Modus der Organisation einer Dienstpflicht die erklärte Deregulierungsabsicht des demokratischen Gemeinwesens mit der Kuratel des Staates kollidieren wird.
Auch die ebenfalls im Zusammenhang mit Wehrpflicht und Zivildienst allfällige ökonomische Argumentationsfigur von der Fehlallokation läßt sich auf die Konzepte einer Dienstpflicht projizieren. Die Konkretion lautet: Kann die Volkswirtschaft es sich leisten, daß jeweils ein ganzer Jahrgang zwangsweise und nicht optimal -d. h. nicht gemäß seinen erlernten Fähigkeiten und Fertigkeiten und so bald als möglich -eingesetzt wird und damit auch längere Zeit keinen Beitrag zum Sozialprodukt leistet, sogar noch erhebliche Kosten verursacht? Im sozialen Sektor fehlen Fachkräfte, nicht Arbeitskräfte. Ist es überhaupt möglich, junge Frauen/Männer innerhalb weniger Monate z. B. so weit zu Entwicklungshelfern oder Polizisten auszubilden, daß sie während der nach der Ausbildung ihnen verbleibenden Pflichtzeit nutzbringend eingesetzt werden können?
Ohnedies ist der wahrscheinliche volkswirtschaftliche Schaden derzeit nicht absehbar, der aus der Institutionalisierung der Jedermannkompetenz via Dienstpflicht entstehen würde. Die einschlägigen sozialen Kosten der Laisierung von Sozialberufen bestimmen sich aus dem Verlust an Ansehen, Selbstwertgefühl und professioneller Orientierung des Fachpersonals (von der Altenpflege bis zur Landschaftsmelioration). Ohnedies hat schon heute die „Ausweitung des Zivildienstes negative Auswirkungen auf die sozialen und pflegerischen Berufe“ Die dringend notwendige Aufwertung der sozialpflegerischen Berufe würde verhindert
Zudem ist zu befürchten, daß der Pflichtcharakter eines Gesellschaftsdienstes einen „massiven Eingriff in den Arbeitsmarkt“ bedeuten würde. Die vom Grundgesetz geschützte empfindliche Balance zwischen den Interessen der Arbeitgeber und -nehmer würde in den Einsatzbereichen der Dienst-pflichtigen nachhaltig gestört
Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage nach den Nutznießern einer Dienstpflicht. Während „Verteidigung“ als öffentliches Gut prinzipiell allen Bürgern zugute kommt, sind die Empfänger der hier gemeinten Dienstleistungen im Regelfall Privatleute. Problematisch ist ferner die beabsichtigte „edukatorische“ Hebung sozialer Verantwortung.
Schon die erzwungene Heranziehung junger Erwachsener zu einer Art von Frondienst ist ein Akt gezielter Beeinflussung und wird entsprechend zu psychischem Widerstand und Sperren führen. Der „verfallene Gemeinsinn“ läßt sich sicherlich nicht über eine „erzwungene Einschränkung bürgerlicher Grundrechte“ therapieren. Hinzu kommt, daß die Androhung von Sanktionen (z. B. „Entlassung“) wie auch das Locken mit Gratifikationen („Beförderung“) faktisch und psychologisch wirkungslos bleiben.
Wenn dann die unumgängliche „Einweisung“ in den Dienst sich nicht auf die Vermittlung des Handwerklichen beschränkt (wie sollte sie das?), stellt sich sofort die Frage nach der „Einweisung“ der Einweiser. Soll heißen: Welche sozial- oder gesellschaftspolitischen Absichten und Ziele verfolgen sie oder sind sie gehalten zu vermitteln? Und: Wer ist eigentlich wie legitimiert, diese besondere Art von gesellschaftlicher Sozialisation junger Erwachsener anzuordnen? Zudem ist die Erwägung, während eines Pflichtdienstjahres die tatsächlichen oder vorgeblichen Versäumnisse von Elternhaus und Schule beim Einüben sozialer Verantwortung nachholen zu wollen, befremdlich, zumindest aber irreal hoch angesetzt. Schließlich wird im Zusammenhang mit der Dienstpflicht auch die historische Leier geschlagen: Eingedenk der während des „Dritten Reiches“ in den Volksdiensten „Reichsarbeitsdienst“ und dem in der Land-oder Hauswirtschaft abzuleistenden „Pflichtjahr“ für Mädchen praktizierten vormilitärischen Ausbildung und Erziehung ist es heute schwer geworden, eine Dienstpflicht moralisch zu begründen. Auch ist vielen Deutschen die „radikalisierte Fortsetzung der Vorstellungen von der Dienstpflicht“ die Zwangsarbeit in den Konzentrationslagern des Nationalsozialismus und Stalinismus, noch in unmittelbarer und schrecklicher Erinnerung.
Wird der Militärdienst nur als eine von mehreren Wahlmöglichkeiten eingeführt, so ergeben sich weitere Probleme. Denn um von den Betroffenen als Alternative wahrgenommen zu werden, müßte der Wehrdienst in jeder Hinsicht mit den anderen Offerten vergleichbar sein. Das würde bedeuten, entweder die Eigenarten der militärischen Lebens-welt (Uniformierung, Kasernierung etc.) aufzuheben oder sie auch auf die anderen Dienste auszudehnen. Hinzu kommt, daß mit dem militärischen Dienst als einer von mehreren Wahlalternativen seine substantielle Eigenart, das „Tötungsund Todesrisiko“ entfiele. Wehrdienst wäre nur mehr ein Dienst unter anderen.
IV. Entgrenzung der Sicherheitspolitik als Chance
Ähnlich wie das im Gletschereis eingeschlossene Geröll beim Abschmelzen im Tal ans Tageslicht kommt, hat die Auflösung des Ost-West-Konfliktes einige schon lange vorhandene, aber latent gebliebene sozial-und gesellschaftspolitische Pro-\ bleme aufgedeckt und in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Diese Probleme haben mittlerweile beträchtliche Eigendynamik entwickelt und sind dringlich geworden. Da sie vielfältig untereinander und zudem mit einer längst nicht mehr nur auf militärische Mittel abhebenden Sicherheitspolitik verschränkt sind, entziehen sie sich einer isolierten Betrachtung, Steuerung und Lösung. Ein ganzheitlicher Ansatz ist gefordert. Inhaltlich geht es um die Aufhebung der Demarkationslinien zwischen Verteidigungs-, Sozial-und Gesellschaftspolitik.
Diese Entgrenzung kann sowohl neue gesellschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten (z. B. hin zur Solidarisierung) eröffnen als auch fatale Auswirkungen (z. B. Deprofessionalisierung der Sozial-berufe) haben. Dabei steht letztlich nicht weniger als die künftige individuelle wie kollektive Sicherheit auf dem Spiel. Sicherheit als Versicherung einer Gesellschaft ihrer selbst aber ist wesentlich historisch-ideologisch bestimmt. Die Ansätze und Konzepte zur Erlangung dieser Sicherheit sind deswegen vor jeder Realisierung übergreifend und sorgfältig daraufhin zu untersuchen, welche Folgen ihr Scheitern hätte. Dies gilt besonders für eine „Dienstpflicht“.