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Globale Herausforderungen deutscher Sicherheit. Neue Dimensionen der Sicherheitspolitik | APuZ 6/1995 | bpb.de

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APuZ 6/1995 Sicherheitspolitik und Machtgestaltung in Europa Peacekeeping im Jugoslawienkonflikt und die Folgen für die sicherheitspolitische Kooperation in Europa Für eine wirksamere atomare Nichtverbreitungsund Abrüstungspolitik Globale Herausforderungen deutscher Sicherheit. Neue Dimensionen der Sicherheitspolitik Allgemeine Dienstpflicht als sicherheits-und sozialpolitischer Ausweg?

Globale Herausforderungen deutscher Sicherheit. Neue Dimensionen der Sicherheitspolitik

Eckhard Lübkemeier

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Nach dem Ende des Kalten Krieges treten -im Unterschied zu den früheren militärischen -immer mehr andere Sicherheitsprobleme in den Vordergrund. Als Gefährdungen mit globaler Reichweite gelten vor allem Umwelt-und Ressourcenraubbau, Bevölkerungswachstum, Wanderungsbewegungen und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Dabei handelt es sich um (sekundäre) Gefährdungen, die von drei Transformationskrisen als primären Risikoquellen ausgehen: Im Westen steht der Übergang zu umwelt-und ressourcenschonendem Produzieren und Konsumieren aus, im Osten (postkommunistische Reformländer) ist der Wechsel von der Diktatur zur Demokratie und von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft zu meistern, und im Süden (Entwicklungsländer) muß ein Entwicklungsweg gefunden werden, der ein menschenwürdiges Leben für alle ermöglicht. In dem Beitrag werden zunächst diese primären und sekundären Gefährdungen dargelegt. Danach wird untersucht, wie sie die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen. Abschließend werden nationale und internationale Antworten auf die analysierten Herausforderungen erörtert.

I. Einleitung

Sicherheitsprobleme wurden in der Zeit des Ost-West-Antagonismus häufig auf die militärische Bedrohung reduziert. Andere Risiken traten dadurch in den Hintergrund. Wenn deshalb heute von „neuen“ sicherheitspolitischen Herausforderungen gesprochen wird, so trifft das vielfach nur in dem eingeschränkten Sinne zu, daß sie als „neu“ wahrgenommen werden oder sich mit erhöhter Dringlichkeit stellen. Allerdings gibt es auch tatsächlich neue Probleme, nämlich solche, die unmittelbar auf die Auflösung des Ost-West-Konflikts zurückzuführen sind. Auf beide Ebenen dieser sicherheitspolitischen Herausforderungen wird im folgenden Bezug genommen

Was macht die neu-bzw. wiederentdeckten und die wirklich neuen Probleme zu sicherheitspolitischen Herausforderungen? Sicherheit soll hier verstanden werden als Abwesenheit von bzw. Schutz vor Gefährdungen, die die Existenz und das Wohlergehen eines Volkes sowie seine gesellschaftliche Stabilität und seinen politischen Frieden beeinträchtigen können

Als solche Gefährdungen mit globaler Reichweite gelten vor allem vier Problembereiche: Umwelt-und Ressourcenraubbau, Bevölkerungswachstum, Migration und Proliferation. Dabei handelt es sich jedoch um Probleme, die mehr Symptome als Ursachen sind. Sie werden deshalb hier auch als sekundäre Gefährdungen eingestuft, die maßgeblich von drei Transformationskrisen als primären Risikoquellen ausgehen.

Jede Problembearbeitungsstrategie muß diese Hierarchien im Auge behalten und sich vorrangig um die primären Gefährdungen kümmern. Antworten auf die sekundären Gefährdungen können jedoch nicht zurückgestellt werden, bis die primären Probleme -wenn überhaupt jemals -bewältigt worden sind. Deshalb dürfen sie als eigenständige Probleme nicht vernachlässigt werden.

II. Primäre Gefährdungen

1. Transformationskrise Ost Mit dem Ende des Kalten Krieges ging das Ende des Kommunismus einher. Damit begann im früheren Ostblock ein historisch beispielloses Doppelexperiment: der Versuch, zugleich eine marode Planwirtschaft in eine funktionierende Marktwirtschaft und eine diskreditierte Diktatur in eine stabile Demokratie zu überführen.

Ob dieser Versuch und wem er in welcher Zeit gelingt, ist eine offene Frage. Die ökonomische Transformationskrise, die die postkommunistischen Gesellschaften durchlaufen, ist aufgrund verschiedenartiger Ausgangsbedingungen und Größenordnungen sehr unterschiedlich ausgeprägt. In Polen, der Tschechischen Republik und Ungarn könnte sie ihren Tiefpunkt erreicht haben, und im allgemeinen werden diesen Ländern relativ günstige Entwicklungschancen eingeräumt. Auch für sie gilt jedoch, daß es bisher nicht gelungen ist, die Voraussetzungen für ein befriedigendes wirtschaftliches Wachstum zu schaffen

Die Wurzeln der heutigen ökonomischen und sozialen Probleme liegen zum einen in der Radikalität der Transformationsperiode selbst. Sie bringt zwangsläufig Reibungsverluste in einer Zwischen-phase mit sich, „in der die Institutionen, Strukturen und kollektiven Dispositionen der Planwirtschaft noch bestehen, die der Marktwirtschaft aber noch nicht greifen .. .“ Eine zweite Wurzel ist das materielle und politische Erbe des Kommunismus. Erst nach seinem Zusammenbruch offenbarte sich der volle Umfang der von ihm angerichteten ökonomischen und ökologischen Verheerungen. Wachstum und Einkommenssteigerungen wurden durch eine extensive Produktionsweise und eine Aufzehrung der wirtschaftlichen (Verfall des Kapitalstocks und der Infrastruktur) und natürlichen Substanz erkauft. Aufgrund staatlicher Repression und Informationssperre konnte sich keine ökologisch orientierte Opposition formieren, die -wie im Westen -ein staatliches, unternehmerisches und individuelles Umdenken hätte befördern können.

Das verweist auf den Zusammenhang zwischen Marktwirtschaft und Demokratie: Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und durch freie Wahlen hergestellte Verantwortlichkeit der Regierenden gegenüber den Regierten sind mehr als nur Ordnungsprinzipien eines demokratischen Gemeinwesens. Ohne sie wäre es in industriellen „Risikogesellschaften“ einer kritischen Öffentlichkeit nicht möglich, gegenüber politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern einen verantwortlichen Umgang mit Risikotechnologien (z. B. Kernkraft, Chemie, Gentechnik) und den natürlichen Lebensgrundlagen anzumahnen.

Eine „reife“ Demokratie zeichnet sich jedoch durch mehr aus als eine ihr entsprechende Infrastruktur in Form von Parteienpluralismus, freien Medien, unabhängiger Justiz und gesellschaftlicher Integration und Partizipation durch Verbände und Interessengruppen; letztlich ruht ihre Stabilität auf dem demokratischen Bewußtsein der Bürger, d. h. ihrer Bereitschaft zur Toleranz gegenüber Minderheiten, zur Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen und zum politischen Engagement. Diese demokratische Grundeinstellung hat, legt man die Erfahrung der westlichen Demokratieentwicklung zugrunde, ihrerseits bestimmte soziokulturelle und ökonomische Voraussetzungen; zu ihnen gehören: ein Verständnis von Menschenwürde, in dessen Mittelpunkt das freie und gleiche Individuum steht; ein vergleichsweise hohes allgemeines Bildungsniveau; eine Einkommensverteilung bzw. -Umverteilung, die für sozialen Frieden sorgt, und ein Wirtschaftssystem, das allgemeinen Wohlstand sichert.

Vor diesem Hintergrund wird erkennbar, daß es in den postkommunistischen Staaten bis zum Aufbau stabiler demokratischer Verhältnisse noch ein weiter Weg ist. Besonders ungewiß ist die Entwicklung in Rußland und damit gerade in jenem Land, das mehr als andere ehemalige Ostblockstaaten die sicherheitspolitische Lage in Europa und der Welt beeinflussen wird 2. Transformationskrise West Der Westen 6 hat den Kalten Krieg gewonnen. Mit diesem Sieg ist eine große Gefahr, aber auch eine große Chance verbunden. Die Gefahr besteht darin, daß der Westen angesichts der Kapitulation des Kontrahenten seine eigenen Schwächen verharmlost. Die Chance ist, daß nach der Fixierung auf die Ost-West-Rivalität nun das eigene „Modell“ auf den Prüfstand rückt -auch und gerade weil es nach dem Zusammenbruch des Kommunismus zum konkurrenzlosen Vorbild geworden ist In seiner derzeitigen Verfassung kann der Westen dieses Vorbild jedoch nicht sein. Würde seine Produktions-und Lebensweise weltweit kopiert, müßte dies zum planetarischen Kollaps führen Da eine kleine Minderheit der Menschheit nicht auf die Dauer beanspruchen kann, ihre Privilegien auf Kosten der großen Mehrheit zu genießen, müssen die reichen Industrieländer zu einer Wirtschafts-und Lebensform übergehen, die nicht mehr zu Lasten der Mit-und Nachwelt geht.

Darin liegt der Kern des westlichen Transformationsproblems. Um eine Krise handelt es sich hier in einem doppelten Sinne: „Objektiv“ betrachtet widerspricht das westliche „Modell“ in einem Maße ökologischer und ökonomischer Vernunft, das es nahelegt, eher von fehlentwickelten statt von entwickelten Ländern zu sprechen. Subjektiv gesehen fehlen ein entsprechendes Bewußtsein bzw. die Bereitschaft und Fähigkeit, dieser Einsicht Taten folgen zu lassen.

Drohende Klimaveränderungen durch Treibhaus-gase und Abbau der Ozonschicht signalisieren eine Überbeanspruchung der Atmosphäre bzw.der Stratosphäre. Übernutzung und Schädigung natürlicher Produktions-und Lebensgrundlagen drohen auch in anderen Bereichen: Degradierung der Böden und des Grundwassers durch intensive chemisierte Landwirtschaft und gefährlichen Abfall; verschwenderischer Verbrauch von mineralischen und fossilen Rohstoffen; Vergiftung der Meere durch ihren Mißbrauch als Abfalldeponien sowie ungeklärte Abwässer und Zuflüsse, die die Schadstoffe der Agrochemie und der industriellen Zivilisation in die Meere transportieren; Überfischung der Meere; Schädigung des Klimas und Vernichtung von Pflanzen-und Tierarten durch Abholzung und Rodung der Wälder

An allen diesen Prozessen sind die westlichen Industrieländer direkt oder indirekt maßgeblich beteiligt. Als Konsumenten sind sie die Hauptabnehmer der in den Entwicklungsländern für den Export gewonnenen Rohstoffe, geschlagenen Hölzer und erzeugten Agrargüter; als Produzenten tragen sie direkt zu einer Überlastung der natürlichen Grundlagen menschlichen Daseins bei.

Die subjektive Wurzel der Transformationskrise des Westens ist nicht die fehlende Macht, sondern das fehlende Mandat der Politiker für einen einschneidenden umweit-und nachweltorientierten Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Der amerikanische Ökonom Galbraith geißelt mit Blick auf den (in den USA besonders ausgeprägten) Mangel an innergesellschaftlicher Solidarität die „Kultur der Zufriedenheit“: „Die Mehrheit sucht ihren Vorteil unter dem Schutz der Demokratie, auch wenn diese Demokratie einen großen Teil der Bürger ausgrenzt.“ Das trifft auch auf den hier diskutierten Zusammenhang zu, wenn man das Wort „Bürger“ durch „Um-und Nachwelt“ bzw. im West-Süd-oder selbst West-Ost-Verhältnis durch „Mitwelt“ ersetzt.

In diesem eingeschränkten Sinne handelt es sich auch um eine Krise des westlichen politischen und gesellschaftlichen Systems: Das kurzsichtige Besitzstandsdenken der privilegierten Mehrheit und von organisierten Interessengruppen be-oder verhindert Kurskorrekturen, und dieses Denken wird gefördert durch menschliche Eigensucht, aber auch durch verhaltensprägende Anreize oder Zwänge, die dem einzelnen zwar vorgegeben sind, die er aber als Subjekt politischer und wirtschaftlicher Prozesse mitgeschaffen hat. 3. Transformationskrise Süd Auf der Basis traditioneller Kriterien wie Pro-Kopf-Einkommen und Industrialisierungsgrad gibt es innerhalb der früheren „Dritten Welt“ große Unterschiede zwischen reichen und armen, zwischen politisch stabilen und von Chaos und Krieg heimgesuchten Staaten. Für die meisten Entwicklungsländer gilt, daß der Abstand zum reichen Westen in einigen Bereichen (z. B. Lebenserwartung, Alphabetisierung, Kindersterblichkeit) geringer geworden ist. Dem stehen aber Bereiche (z. B. durchschnittlicher Schulbesuch, Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Kommunikation) gegenüber, in denen die Kluft noch gewachsen ist Das Pro-Kopf-Einkommensgefälle zwischen West (OECD-Länder) und Süd (Gesamtheit von 125 Entwicklungsländern) hat sich von einem Verhältnis von 15 : 1 Mitte der sechziger Jahre auf 20: 1 am Ende der achtziger Jahre vergrößert, dasjenige zu den besonders armen Ländern sogar auf 50: 1 12. Die Zahl der Armen (Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 380 US-Dollar) ist auf über 1, 1 Mrd. Menschen, die der Hungernden auf mindestens 800 Mio. angewachsen. Während sich die Alphabetisierungsquote verbesserte, stieg die Zahl der erwachsenen Analphabeten auf nahezu eine Milliarde

Hier liegt der Kern der südlichen Transformationskrise: Die Mehrheit der Entwicklungsländer hat es bisher nicht geschafft, und wird es voraussichtlich auch längerfristig nicht schaffen, allen ihren Bürgern einen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Mindeststandard zu bieten, der ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Verantwortlich dafür sind sowohl externe als auch interne Faktoren.

Zu den externen Gründen zählt vor allem die bereits diskutierte asymmetrische West-Süd-Interdependenz, d. h. die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von (Welt-) Marktbedingungen, die im wesentlichen von den westlichen Industrieländern bestimmt werden. Trotz widriger äußerer Umstände haben jedoch einige Entwicklungsländer erstaunliche Fortschritte gemacht. Das zeigt, daß es auch hausgemachte Ursachen der Transformationskrise gibt. Dazu gehören eine stark unausgewogene Verteilung von Macht und Einkommen, übermäßige Rüstung, wachstumshemmende Fiskal-und Geldpolitik (hohe Haushaltsdefizite und Inflationsraten), die Vernachlässigung von Infrastruktur, ländlichen Regionen sowie des Gesundheits-und Erziehungswesens (insbesondere der Schulen), ineffiziente Staatsapparate (Korruption und Vetternwirtschaft), mangelnde Offenheit gegenüber neuen Ideen, Direktinvestitionen und Technologie aus dem Ausland sowie unzureichende regionale Kooperation.

III. Sekundäre Gefährdungen

1. Umwelt und Ressourcen Zusammenfassend stellt sich die Situation wie folgt dar: „Trotz ökologischer Initiativen haben sich die bereits vor einem Jahrzehnt festgestellten negativen Entwicklungen fortgesetzt. Die Wälder der Erde schwinden weiter, die Wüsten wachsen, und ein Drittel des Erntelandes ist von fortschreitender Erosion betroffen. Die Anzahl der Pflanzen und Tiere auf unserem Planeten geht zurück. Die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre nimmt von Jahr zu Jahr zu. Und beinahe jede neue Untersuchung deutet auf einen beschleunigten Abbau der Ozonschicht hin.“

Obgleich es angebracht ist, von einer globalen Dimension der Umwelt-und Ressourcenproblematik zu sprechen, gibt es beachtliche lokale und regionale Unterschiede im Grad der Betroffenheit: zum einen in der Intensität, in der sich Umwelt-und Ressourcenüberlastung niederschlagen, zum anderen in den Mitteln, die zum Gegensteuern zur Verfügung stehen. In der Regel werden die ohnehin Armen und Schwachen die Hauptbetroffenen sein, dies gilt -bezogen auf das Nord-Süd-Verhältnis -für die Entwicklungsländer insgesamt wie auch im Verhältnis zwischen ihnen und in ihren Gesellschaften. 2. Bevölkerung Das Bevölkerungswachstum wird hier aus zwei Gründen als sekundäre Gefährdung eingestuft. Erstens ist „Überbevölkerung“ relativ zu sehen: Welche Bevölkerungszahl für ein Territorium optimal ist, hängt von der wirtschaftlichen Produktivität, den Produktionsverhältnissen und dem angestrebten Lebensstandard ab. Verglichen mit dem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen der Entwicklungsländer sind die westlichen Industrieländer unter-, gemessen an ihrem Pro-Kopf-Energieverbrauch überbevölkert. Wichtiger ist jedoch zweitens, daß die Reproduktionsrate einer Gesellschaft nicht naturgegeben, sondern das Ergebnis bestimmter ökonomischer, sozialer und kultureller Umstände ist.

Gleichwohl bleibt die Bevölkerungsentwicklung ein globales Problem erster Ordnung. So richtig es ist, von relativer Überbevölkerung (bezogen auf ein bestimmtes Territorium) zu sprechen -eine relative Überbevölkerung der Erde insgesamt würde brisante Verteilungskämpfe und wachsende Armut mit sich bringen: „Eines Tages muß die Geburtenzahl zum Stehen kommen, denn die Erde ist endlich, und der Weltraum ist der Massenauswanderung verschlossen.“

Als Carl Friedrich von Weizsäcker 1963 diesen Satz schrieb, beherbergte die Erde ca. 3, 2 Mrd.

Menschen; nur 30 Jahre später waren es bereits 5, 5 Mrd. Auffällig ist das Tempo des Anstiegs:

Zwischen 1830 und 1930 verdoppelte sich die Weltbevölkerung von einer auf zwei Milliarden; bis zur dritten Milliarde um 1960 vergingen nur noch 30 Jahre, bis zur vierten nur mehr 15 Jahre, bis zur fünften im Jahre 1987 lediglich 12 Jahre, und die Sechs-Milliarden-Grenze dürfte schon 1998 überschritten werden. Vor uns liegen vier Jahrzehnte, in denen die Bevölkerung schneller wachsen wird als jemals zuvor. Im Jahre 2050 werden fast doppelt so viele Menschen wie heute, also 10 Milliarden, erwartet Der künftige Zuwachs wird nahezu vollständig auf Asien, Afrika und Lateinamerika entfallen. Er verschärft damit die südliche Transformationskrise, die wiederum eine maßgebliche, wenn nicht gar die entscheidende Ursache des dortigen rapiden Bevölkerungswachstums ist. 3. Migration Das Bevölkerungswachstum verschärft auch die Migrationsproblematik. Was ihre Dimension betrifft, gibt es nur grobe Schätzungen mit erheblichen Abweichungen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zählte 1990 bereits 500 Mio. „Umweltflüchtlinge“, das Worldwatch Institute nur 10 Mio. Die Zahl der illegalen „Gastarbeiter“ soll im selben Jahr bei 100 Mio., diejenige der legalen bei 20 Mio. gelegen haben Die Zahl der politischen Migranten oder Flüchtlinge stieg von 2, 5 Mio. im Jahre 1970 auf mehr als 20 Mio. im Jahre 1994 Dabei handelt Mio. im Jahre 1994 18. Dabei handelt es sich nur um grenzüberschreitende Flüchtlinge; innerhalb des eigenen Landes sollen 25 Mio. Menschen auf der Flucht sein 19. Zwischen dieser und der anderen Hauptkategorie gibt es sicher ebenso Überlappungen wie zwischen ökonomischen und ökologischen Migranten. Darin liegt ein Grund für die Schwierigkeiten einer nur halbwegs genauen Erfassung aller Migrationsströme. Über zwei Punkte besteht gleichwohl Konsens: -Die meisten Migranten kommen aus Entwicklungsländern und bleiben dort, d. h., sie sind ein Symptom der südlichen Transformationskrise und verschärfen sie.

-Die Zahl der Migranten wird weiter zunehmen, und parallel dazu wird auch der Migrationsdruck auf die westlichen „Inseln des Wohlstands und der Stabilität“ steigen. 4. Proliferation Ein sicherheitspolitisches Problem im engeren, militärischen Verständnis ist die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Raketen als ihren Trägern, modernen konventionellen Waffensystemen und zweifach (zivil und militärisch) verwendbarer Technologie. US-Außenminister Warren Christopher sieht darin „das drängendste Rüstungskontrollproblem der neunziger Jahre“ 20.

Besondere Aufmerksamkeit gilt den Nuklearwaffen. Bis zum Ende des Jahrzehnts könnte sich die Zahl der Nuklearwaffenstaaten höchstens um einige wenige vergrößern. Längerfristig ist das Proliferationspotential damit jedoch nicht erschöpft. Jede Ausweitung des Kreises der anerkannten oder De-facto-Nuklearmächte untergräbt den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NV-Vertrag), weil sie Aspiranten einen weiteren Beleg für seinen vermeintlich diskriminierenden Charakter liefert und nukleare Abrüstung erschwert.

Inwieweit die Proliferation eingedämmt werden kann, wird immer noch von den Industrieländern mitbestimmt, weil ihre (legalen oder illegalen) Zulieferungen zumindest das Tempo beeinflussen, in dem sich anspruchsvollere Waffentechnologien ausbreiten. Exportkontrollen werden jedoch erschwert durch die zweifache Verwendbarkeit von Technologie und Material und die in freien Gesellschaften unkontrollierbare Proliferation durch abgewanderte Wissenschaftler und Techniker.

IV. Implikationen

Wie könnten diese drei hier skizzierten Transformationskrisen als primäre Gefährdungsquellen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bürger beeinträchtigen? 1. Transformationskrise West Die derzeitige Form des westlichen Massenwohlstands kann aus ökologischen und ökonomischen Gründen nur so lange aufrechterhalten werden, wie ihn die große Mehrheit der Weltbevölkerung nicht hat. Die westliche Produktions-und Lebensweise ist nicht globalisierbar; aber weil sie den höchsten Lebensstandard verheißt, bleibt sie das globale Vorbild.

Es ließe sich einwenden, daß die (früher) „Erste Welt“ des Westens nicht nur, aber auch wegen ihrer Macht schon sehr lange sehr gut mit dem steilen West-Süd-Wohlstandsgefälle und dem weniger steilen, aber gleichwohl beträchtlichen West-Ost-Abstand gelebt hat. Zweifel sind jedoch angebracht, daß dies noch lange gutgehen kann.

Ein erster Unterschied zur Vergangenheit, der solche Zweifel begründet, besteht darin, daß der Westen selbst dann nicht so weiter produzieren und konsumieren sollte wie bisher, wenn wider Erwarten der Rest der Welt ihm nicht nacheifern würde. Zur Kurskorrektur gemahnt allein die Überlegung, daß die westlichen Industrieländer als Produzenten oder Konsumenten maßgeblich an der Umweltüberlastung und dem Ressourcenraubbau beteiligt sind.

Ein zweiter Unterschied betrifft den Modellcharakter des Westens. In der Vergangenheit wurde sein Wohlstandsvorsprung mit überlegener wirtschaftlicher, technologischer, administrativer und politischer Kompetenz erklärt und gerechtfertigt. Heute hingegen kann sich der Westen aus Eigeninteresse nicht mehr wünschen, daß seine energie-verschwendende Produktions-und Lebensweise das globale Leitbild bleibt. 2. Transformationskrise Ost a) Stabilitätspolitische Risiken Bundeskanzler Helmut Kohl hat wiederholt die Notwendigkeit einer Europäischen Union auch damit begründet, es sei ein fataler Irrtum zu glauben, „daß die bösen Geister, die jetzt auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien wüten, auf den Balkan beschränkt wären“ Die Gefahr, daß nationalistische Einstellungen und ethnische Ausgrenzungen, die von der östlichen Transformationskrise forciert werden, auf Westeuropa überspringen, läßt sich nicht ausschließen, sie sollte jedoch nicht dramatisiert werden. Statt einer Infektion könnte auch das Gegenteil -eine Immunisierung -eintreten, denn Nationalismus, Instabilität und gewaltsame Konflikte im Osten Europas führen den Wert der westlichen Friedensgemeinschaften (EU, NATO) eindringlich vor Augen.

Ein zweites stabilitätspolitisches Risiko ist das Migrationspotential. Sollten die marktwirtschaftlichen Reformen in den ehemals kommunistischen Ländern nicht greifen, so die Sorge, könnten „viele in ihren Hoffnungen Enttäuschte sich von ihrer Heimat abwenden und ihr Glück im Westen suchen -nicht nur wie bisher vor allem in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten Westeuropas“ Auch hier gilt es, sich vor Übertreibungen zu hüten, ohne das Risiko zu vernachlässigen. Das Ost-West-Migrationspotential ist beträchtlich, bedingt durch den Wegfall des „Eisernen Vorhangs“ und im Falle sich ausbreitender Perspektivlosigkeit als Folge von Arbeitslosigkeit, Verarmung, Diskriminierung und Kriegen. b) Sicherheitspolitische Risiken In einem engeren Verständnis von Sicherheit, das die physische Unversehrtheit der Bundesbürger meint, kommen drei Gefahrenherde in Frage: -Mit gewaltsamen Konflikten in oder zwischen postkommunistischen Staaten, die Deutschland territorial berühren würden, ist aus heutiger Sicht nicht zu rechnen. Nicht auszuschließen ist jedoch eine Verwicklung Deutschlands in Konflikte über seine NATO-und UNO-Mitgliedschaft. So könnten Kriege und Spannungen in Südosteuropa auf die NATO-Partner Türkei und Griechenland übergreifen, oder Deutschland könnte sich an multinationalen Friedenseinsätzen beteiligen. -Rußland bleibt angesichts seiner instabilen Lage ein sicherheitspolitisches Restrisiko. Inwieweit die russische Transformationskrise ursächlich für dieses Risiko ist, muß offen bleiben: „Auch eine russische Führung, die Kurs auf demokratische, politische und marktwirtschaftliche Reformen nimmt, ist noch kein Garant für einen Verzicht auf neoimperiale Politik.“ Gewiß kein Garant, aber die bestmögliche Gewähr. Die Unterstützung demokratischer Reformkräfte ist deshalb auch sicherheitspolitisch geboten. -Nukleare Katastrophen durch Unfälle in Kernkraftwerken sowjetischer Bauart sind eine naheliegende Gefahr. Tschernobyl ereignete sich zwar im April 1986 schon zur Zeit einer „stabilen“ Sowjetunion; der politische und gesellschaftliche Umbruch im früheren Ostblock hat jedoch die Sicherheitslage in vielen Fällen noch verschlechtert, weil Geld und Personal fehlen, um alternative Energien zu nutzen, Kernkraftwerke abzuschalten oder aufzurüsten und angemessen zu betreiben. c) Ökonomische Chancen Deutschland kann sich erhoffen, von einem wirtschaftlichen Aufschwung in den Transformationsländern besonders zu profitieren. Am wichtigsten ist in dieser Hinsicht, daß es für die meisten von ihnen der größte Handelspartner ist. Dem entspricht zwar nicht eine vergleichbare Stellung im Bereich der Direktinvestitionen, die der Markt-erschließung dienen und indirekt über firmeninternen Handel auch exportfördernd wirken; mit ihrem weiteren Anstieg kann jedoch im Falle günstiger Rahmenbedingungen in Mittel-und Osteuropa gerechnet werden. 3. Transformationskrise Süd Globale Sicherheit, so wird behauptet, sei unteilbar „Die Industrieländer werden auf lange Frist nicht überleben können, wenn die Entwicklungsländer verelenden.“ Industrie-und Entwicklungsländer sind in der Tat auf vielfache Weise miteinander verbunden. Diese Interdependenz ist jedoch asymmetrisch, weil der Westen in der Position des Stärkeren ist. Allerdings können es sich reiche Länder wie Deutschland nicht erlauben, die Entwicklung im Süden zu ignorieren. Dabei sind Chancen und Risiken zu bedenken. Erfolgreiche Entwicklungsprozesse können Absatz-, Investitions-und Bezugsmärkte schaffen, aber auch für neue Konkurrenten sorgen. Schon weil sich diese Märkte auf wenige Länder konzentrieren, ist rein ökonomisch betrachtet Deutschlands Interesse an den Entwicklungsländern gleichwohl begrenzt.

In den Vordergrund rücken deshalb andere Interessen. Mit ausbleibender oder fehlgeleiteter Entwicklung im Süden sind für den Westen stabilitäts-und sicherheitspolitische sowie ökologische Risiken verbunden. Das Süd-Nord-Migrationspotential ist riesig, und selbst wenn die Wahrscheinlichkeit einer Massenwanderung gering ist, ihre stabilitäts-und sicherheitspolitischen Folgen -sollte es doch dazu kommen -würden es nicht sein.

Dem Westen kann auch nicht gleichgültig sein, welchen ökologischen Entwicklungsweg der Süden nimmt. Würde zum Beispiel ein Chinese im Durchschnitt nicht wie heute ein Zehntel, sondern genausoviel Kohlendioxid verursachen wie der durchschnittliche US-Bürger, würden die derzeit ca. 1, 15 Mrd. Chinesen pro Jahr mehr Kohlendioxid emittieren als heute die gesamte Menschheit -mit, so muß nach heutigem Erkenntnisstand befürchtet werden, verheerenden Folgen für das Weltklima

Selbst wenn eine territoriale Bedrohung Deutschlands oder seiner Verbündeten durch einzelne Südstaaten nicht einträte -deutsche Soldaten könnten künftig im Rahmen von UNO-Missionen in bewaffnete Konflikte in der südlichen Hemisphäre verwickelt werden, die durch die Transformationskrise und die Proliferation geschürt und gefährlicher werden.

V. Handeln

Wie kann und sollte auf die analysierten Herausforderungen eingegangen werden? Dazu wird abschließend gefragt, welcher Richtschnur individuelles und kollektives Handeln folgen sollten („Leitlinie“), woran sie sich ausrichten sollten („Prinzipien“) und welche grundlegenden Schritte notwendig sind („Antworten“). 1. Leitlinie: „Solidarisches Handeln“

Als Richtschnur staatlichen und individuellen Handelns, das gemein-und globalverträglich ist, hat sich der Begriff „nachhaltige Entwicklung“

(„sustainable development") durchgesetzt. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß ökonomische, soziale und ökologische Entwicklung sich gegenseitig bedingen: Nur eine Entwicklung für und durch die Menschen kann umweltgerecht sein, und nur eine umweltschonende Entwicklung sichert die Lebensgrundlage der Menschheit. Dies ist auch der Kern des hier gewählten Leitbegriffs „solidarisches Handeln“. Aber mehr noch als der Begriff der nachhaltigen Entwicklung macht er zweierlei deutlich:

-Es gibt eine kollektive und eine individuelle Verantwortung, aus der eine Verpflichtung zum Tätigwerden erwächst.

-Dieses Handeln muß auf Solidarität abzielen, d. h., es muß sich ausrichten nicht allein am eigenen, sondern auch am Wohl der Mitmenschen, der Umwelt und der Nachkommen. 2. Prinzipien Für die praktische Umsetzung der Leitlinie „solidarisches Handeln“ sind drei Prinzipien entscheidend:

Prävention Gefährdungen und Konflikte, die nicht auftreten, können die eigene Sicherheit nicht beeinträchtigen. Vorbeugendes Handeln (bzw. Unterlassen) muß deshalb strategiebestimmend sein. Dabei müssen Unsicherheiten über Wirkungszusammenhänge und ihre Konsequenzen in Kauf genommen werden. Ob die Gefahren einer Klimaänderung mit verheerenden Folgen, einer drastischen Ressourcenverknappung oder weiter anschwellender Migrantenströme real sind, wird man endgültig erst wissen, wenn sie eingetreten sind. Die dann drohenden Schäden könnten jedoch die Kosten einer rechtzeitigen Vorsorge um ein Vielfaches übersteigen. Angesichts dieses Risikos darf auf letzte wissenschaftliche Klarheit nicht gewartet werden.

Kooperation Solidarisches Handeln setzt auf Kooperation und Konsens. Globale Gefährdungen sind eine Herausforderung für die Außen-und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, aber allein kann sie ihnen wegen ihres globalen Charakters nur ungenügend begegnen. Sie kann aber auch nursehr begrenzt andere gegen ihren Willen zu einem gewünschten Verhalten bewegen. Folglich bleibt sie auf ihr freiwilliges Mitwirken angewiesen.

Eigenverantwortung Eigenverantwortliches Handeln ist die Kehrseite von Kooperation. Denn freiwillige und dauerhafte Kooperation lebt davon, daß jeder Partner den Eindruck hat, der andere erbringe die ihm zumutbare Gegenleistung. Das gilt insbesondere dann, wenn es darum geht, Änderungen und Anpassungen vorzunehmen, die auch Lasten mit sich bringen.

Technologische Verbesserungen können Entlastung bringen, aber sie sind kein Ersatz für solidarisches Handeln. Das gilt für Individuen und Kollektive gleichermaßen. Wer als Bürger in einer Demokratie die Freiheit der Wahl beansprucht, trägt auch die Verantwortung dafür, daß die Folgen seines Handelns gemeinwohlverträglich sind. Denn nur die Gemeinschaft garantiert dem einzelnen jene Rechts-und Versorgungssicherheit, die ihm Freiheit ermöglicht. Jeder Bundesbürger hat deshalb durch solidarisches Handeln dazu beizutragen, globale Gefährdungen abzuwenden, die seine Sicherheit beeinträchtigen können.

Globale Herausforderungen lassen sich nur durch internationale Kooperation bewältigen. Dazu sind und bleiben die Staaten die wichtigsten Akteure. Das Erfordernis der Kooperation entbindet jedoch keinen Staat von seiner Verantwortung zu solidarischem Handeln in seinem Hoheitsbereich. Im Gegenteil: Wer seiner Verantwortung dort gerecht wird, wo er souverän ist, kann nicht nur Gleiches von anderen erwarten, sondern regt zu gemeinsamem Handeln an, indem er Machbarkeit und guten Willen demonstriert. 3. Antworten Bevor diskutiert wird, was zu tun ist, muß an den Unterschied zwischen primären und sekundären Gefährdungen erinnert werden. Umwelt-und Ressourcenschutz, Bevölkerungswachstum, Migration und Proliferation sind globale Herausforderungen, die nicht ausschließlich, aber doch maßgeblich auf die östliche, westliche und südliche Transformationskrise zurückgehen. Jede Strategie muß sich deshalb auf diese Wurzeln konzentrieren, ohne jedoch über dieser Langzeitaufgabe das flankierende und zuweilen kurzfristige Reagieren auf Krisensymptome zu vernachlässigen. Die zentrale Frage bleibt jedoch, was Deutschland zur Bewältigung der drei Transformationskrisen beitragen kann.

Transformationskrise West Produzenten und Konsumenten müssen sich um-weit-und ressourcenschonender verhalten, indem die Kosten von Umwelt-und Ressourcenbelastung stärker als bisher dem Verursacher in Rechnung gestellt werden. Auf diese Weise werden Produzenten und Konsumenten, die individuelle Nutzen-maximierung betreiben, dazu angehalten, dieses Ziel ökologieverträglicher zu verfolgen.

Hauptinstrument ist eine ökologisch orientierte Steuerreform, die den Verbrauch von Ressourcen und die Belastung von Luft, Boden und Wasser mit Schadstoffen verteuert. Neben höheren Kosten durch Steuern und Abgaben sind auch administrative Maßnahmen und Auflagen zu erwägen. Zu ersteren gehören Ausbau und Verbesserung des Schienenverkehrs gegenüber dem Straßenverkehr, zu letzteren Mengenbegrenzungen etwa bei Kohlendioxidemissionen oder beim Kraftstoffverbrauch von Automobilen.

Deutsche Eigenverantwortlichkeit bedeutet keinerlei Abschwächung des Kooperationsgebots. Der Westen insgesamt befindet sich in einer Transformationskrise. Sie kann nur durch eine gemeinsame Anstrengung überwunden werden, weil es darum geht zu demonstrieren, daß die westliche Produktions- und Lebensweise mit nachhaltiger Entwicklung vereinbar gemacht werden kann. Die Frage nach Sinn und Nutzen der (G-7-) Runde der sieben führenden Industrieländer läßt sich deshalb leicht beantworten: Das Gremium müßte sich auf eine langfristige Transformation der eigenen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verständigen, die sie global-und zukunftsverträglich macht.

Transformationskrise Ost Es gibt Grenzen der westlichen Einflußnahme auf die östliche Transformationskrise. Deutschland und seine westlichen Partner können finanzielle und technische Unterstützung leisten -und vor allem, und das ist am wichtigsten, können sie ihre Märkte öffnen. Mehr als Hilfe zur Selbsthilfe im doppelten Sinne ist jedoch nicht möglich. Zum einen zur Förderung von privatwirtschaftlicher Kooperation zwischen und innerhalb von Unternehmen, deren autonome Entscheidungen Quantität und Qualität von Handel und Investitionen maßgeblich bestimmen. Zum anderen zur Förderung der Eigenverantwortung der Reformstaaten; denn selbst für die kleineren von ihnen gilt, daß ihnen von außen eine Bewältigung ihrer Transformationsprobleme nicht abgenommen werden kann. Das entbindet allerdings umgekehrt den Westen nicht davon, die Selbsthilfe durch Hilfe zu erleichtern. Ihre Wirkung wird je nach Größe des Landes und Intensität seiner Probleme unterschiedlich ausfallen. Im Falle Rußlands ist diese Wirkung vielleicht am geringsten; das wenige, was getan oder unterlassen werden kann, ist gleichwohl unverzichtbar, weil Rußlands Entwicklung für andere auch die größten Risiken und Chancen birgt und weil unklar ist, wie gering die äußeren Einflußmöglichkeiten tatsächlich sind.

Transformationskrise Süd Eigenverantwortlichkeit auf beiden Seiten gilt auch für das West-Süd-Verhältnis. Auf Seiten Deutschlands und seiner westlichen Partner beginnt solidarisches Handeln mit der Bewältigung ihrer eigenen Transformationskrise. Neben dieser grundlegenden ökologischen Reform geht es um ökonomische und politische Veränderungen, um den externen Gründen der südlichen Transformationskrise zu begegnen: -Abbau von Protektionismus und Exportsubventionen, die Produzenten in Entwicklungsländern Märkte nehmen; -Verminderung der Schuldenlast durch Erlaß und Umschuldung; -Erhöhung der öffentlichen Hilfe bei verstärkter Förderung ärmerer Länder und benachteiligter Gruppen (Grundschulbildung, Gesundheitsversorgung, Frauen, Ernährung); -Entwicklungspolitik als Querschnittsaufgabe, die alle Politikbereiche bindet; -Verminderung von Rüstungsexport und bessere Kontrolle rüstungsrelevanter Exporte.

Eigenverantwortung auf Seiten der Entwicklungsländer heißt, die inneren Voraussetzungen für wirtschaftlichen, sozialen und politischen Fortschritt zu schaffen. Dazu gehören: -ein nationaler Konsens zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, der verläßliche Rahmenbedingungen schafft; -angemessene makroökonomische Politik (Haushaltsdisziplin, niedrige Inflationsrate, realistische Wechselkurse, Importrestriktionen zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit); -Investitionen in die Leistungsfähigkeit der Menschen (Bildung, Gesundheit); -effiziente Staatsapparate; -Offenheit gegenüber Kapital und Technologie aus dem Ausland.

Die Bewältigung der drei Transformationskrisen als primäre Gefährdungsquellen deutscher Sicherheit ist eine strategische Langzeitaufgabe. Parallel dazu kann nicht auf Maßnahmen verzichtet werden, die mehr auf die Symptome als auf die Ursachen der Krisen abstellen.

Was die Migration betrifft, fehlt es zum Beispiel an einer Zuwanderungspolitik. Dabei ist klar, daß Zuwanderung stattfindet, daß Deutschland innerhalb von EU-Europa das bevorzugte Ziel ist und daß angesichts einer schrumpfenden Bevölkerung eine Zuwanderung durchaus positive Effekte haben könnte. Aber eben nur, wenn sie kontrolliert und konsequent zugleich erfolgt: Einerseits heißt das Bestimmung der Konditionen der Einwanderung nach den Interessen des Aufnahmelandes (Kontingente, Qualifikation der Einwanderer, vorhandene Arbeitsplätze, ausreichender Wohnraum, Integrationsfähigkeit bzw. -Willigkeit etc.), und andererseits bedeutet es rasche und vorbehaltlose Integration der Zugewanderten (Staatsangehörigkeitsrecht, materielle Hilfen)

Das Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern ist eine Begleiterscheinung der südlichen Transformationskrise. Auf dieses Symptom gerichtete Maßnahmen sind gleichwohl notwendig und erfolgversprechend. Seitdem sichere und wirkungsvolle Verhütungsmethoden allgemein zugänglich wurden, hat es zum Beispiel eine „reproduktive Revolution“ gegeben: Waren es 1960 in Asien, Afrika und Lateinamerika nur rund 20 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter, die Verhütung betrieben, sollen es heute 55 Prozent sein Der UN-Bevölkerungsfonds hat eine umfassende „Agenda für reproduktive Gesundheit“ vorgeschlagen, die u. a. zum Ziel hat, diese Quote weiter zu erhöhen

Auch die Verbreitung von Waffen und waffenfähiger Technologie ist ein Krisensymptom. In Westeuropa und im transatlantischen Verhältnis hat sich gezeigt, daß Demokratien auf militärische Abschreckung untereinander verzichten können, weil Konflikte für alle verläßlich nur noch gewaltfrei ausgetragen werden. Dieses „Modell“ mag an Bedingungen geknüpft sein, die nicht globalisierbar sind. Es belegt aber, daß Frieden ohne Waffen zwischen Staaten möglich ist. Die globale Herausforderung der Proliferation erlaubt es aber nicht, auf den Ausbruch des Weltfriedens oder die Einsetzung einer UN-Weltregierung zu warten. Wichtige Elemente einer Anti-Proliferationspolitik sind: -Exportbeschränkungen und -kontrollen für Rüstungsgüter und rüstungsrelevante Produkte und Verfahren auf nationaler und internationaler Ebene; -Stärkung der Nichtverbreitungsregime (z. B. unbegrenzte Verlängerung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages, gekoppelt mit der Einstellung von Kernwaffentests und der Spaltstoffproduktion für militärische Zwecke); -Rüstungskontroll-und Abrüstungshilfen (Konversion, Verschrottung und Entsorgung, Einrichtung von Exportkontrollregimen, Unterstützung regionaler Rüstungskontrolle);

-Sanktionen gegen Proliferatoren (Entzug von Hilfe, Handelsbeschränkungen bis hin zu Zwangsmaßnahmen nach der UNO-Charta).

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Aufsatz ist die stark gekürzte Fassung einer Studie, die über die Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, beim Verfasser erhältlich ist.

  2. Diese Definition geht zurück auf Paul Kennedy, In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1993, S. 172.

  3. Vgl. Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute, Die Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft im Frühjahr 1994, in: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Wochenbericht, (1994) 16-17, S. 233-235.

  4. Michael Dauderstädt u. a., Solidarität mit Osteuropa: Kooperation statt Katastrophe, in: Vierteljahresberichte, Sonderheft Dezember 1992, S. 90.

  5. Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Institut für Weltwirtschaft und Institut für Wirtschaftsforschung, Die wirtschaftliche Lage Rußlands, in: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Wochenbericht. (1994) 47-48, S. 805-827.

  6. „Im Zeitpunkt ihres Triumphs steht die marktwirtschaftliche Gesellschaft vor ihrer größten Bewährungsprobe.“ Der damalige Bundespräsident sieht diese Herausforderung darin, „daß das eigene Überleben des Menschen von der Wahrung der Unversehrtheit der Natur abhängt“. (Richard von Weizsäcker, in: Presse-und Informationsamt der Bundesregierung, Bulletin vom 8. 6. 1993, S. 514).

  7. So die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“, Erster Bericht, Deutscher Bundestag, Drucksache 12/2400, 31. 3. 1992, S. 17 und 98.

  8. „Unbesonnene Wirtschaftstätigkeit und die wachsende Zahl der Menschen bedrohen, schädigen, ja zerstören weltweit viele natürliche Lebensräume und -gemeinschaften. Langfristig gefährdet sich die Menschheit selbst in ihrem Überleben.“ (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Presseerklärung am 8. 6. 1993 zum Jahresgutachten 1993).

  9. John Kenneth Galbraith, Herrschaft der Zufriedenen, in: Der Spiegel vom 31. 8. 1992, S. 136.

  10. Vgl. United Nations Development Programme, Human Development Report 1992, New York 1992, S. 39.

  11. Vgl. ebd., S. 158 f.

  12. Lester R. Brown u. a., State of the World 1993, New York 1993, S. xvii (Übersetzung E. L.).

  13. Carl Friedrich von Weizsäcker, Der bedrohte Frieden. Politische Aufsätze 1945-1981, München 1983, S. 129.

  14. Vgl. Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), Weltbevölkerungsbericht 1994, Bonn 1994, S. 1 f.

  15. Vgl. Stiftung Entwicklung und Frieden (Hrsg.), Globale Trends 1991, Bonn 1991, S. 94.

  16. So die Hohe Flüchtlingskommissarin der UNO in ihrem Bericht 1994, auszugsweise abgedruckt in: Europa-Archiv, 49 (1994) 8, S. D 279.

  17. Embassy of the United States of America, Bonn (Hrsg.), U. S. Policy Information and Texts vom 11. 6. 1993, S. 5.

  18. Bulletin vom 22. 2. 1994, S. 144.

  19. Bundeskanzler Helmut Kohl, in: Bulletin vom 25. 2. 1994, S. 163.

  20. Olga Alexandrova/Heinrich Vogel, Rußlands Politik gegenüber dem „nahen Ausland“, in: Europa-Archiv, 49 (1994) 5, S. 139.

  21. Vgl. das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in seinem Bericht über die menschliche Entwicklung 1994 (Human Development Report 1994), Bonn 1994, S. 41.

  22. Bundesminister Carl-Dieter Spranger, in: Bulletin vom 14. 4. 1993, S. 261.

  23. Vgl. Reinhard Loske, Chinas Marsch in die Industrialisierung: Gefahr für das Weltklima?, in: Frankfurter Rundschau vom 27. 7. 1994, S. 18.

  24. Vgl. zum Gesamtkomplex Klaus J. Bade (Hrsg.), Das Manifest der 60. Deutschland und die Einwanderung, München 1994.

  25. Vgl. Weltbevölkerungsbericht 1994 (Anm. 16), S. 23.

  26. Vgl. ebd., S. 33-40.

Weitere Inhalte

Eckhard Lübkemeier, Dr. phil., geb. 1951; Leiter der Abteilung Außenpolitikforschung im Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. Veröffentlichungen u. a.: Extended Deterrence: The American Nuclear Commitment to the Federal Republic of Germany, Bonn 1991; Konzeptionelle Überlegungen zur militärischen und politischen Stabilität in Europa, in: Erhard Forndran/Hartmut Pohlman (Hrsg.), Europäische Sicherheit nach dem Ende des Warschauer Paktes, Baden-Baden 1993; The United Germany in the Post-Bipolar World, in: Internationale Politik und Gesellschaft, (1994) 2.