I. Einleitung
Wenn Bosnien-Herzegowina Jugoslawien im Kleinformat ist, dann ist der dortige Krieg das Spiegelbild eines heißen Jugoslawienkonfliktes und damit die glimmende Lunte am Pulverfaß Balkan. Der internationalen Staatengemeinschaft ist es bislang nicht gelungen, diesen Brandherd zu löschen. Als Hauptgrund dafür wird in der Regel der ethnonationalistische Konflikttypus angeführt. Ohne auf die komplexe Problematik des (Ethno-) Nationalismus näher einzugehen, soll hier nur festgehalten werden, daß es sich dabei um ein soziales bzw. sozialpsychologisches Phänomen handelt, das politisch verursacht und nur politisch zu lösen ist
Der Konflikt hat zum einen vor Augen geführt, daß die Wahrscheinlichkeit einer gewaltsamen Konfliktaustragung dann sehr hoch ist, wenn die benachbarte Titularnation eine nationalistische Politik verfolgt und die dazugehörige Minderheit sich aufgrund fehlender, mangelhafter oder nicht glaubwürdiger Rechte in ihrer Existenz bedroht fühlt. Die Folge ist eine unter dem Signum des Selbstbestimmungsrechtes praktizierte Sezessionsund Irredentapolitik, welche durch eine Unterdrückungs-und Vertreibungspolitik zur Sicherung des territorialen Besitzstandes unterstützt wird Zum anderen hat der Konflikt abermals gezeigt, daß Krieg in Europa solange möglich ist, wie es wegen des mangelnden Interesses der Staaten keinen kollektiven Mechanismus zur nachhaltigen Konfliktbearbeitung gibt. Ob vor diesem Hintergrund der am 6. Juli 1994 vorgelegte Plan der Kontaktgruppe der eine territoriale Aufteilung Bosnien-Herzegowinas zwischen der neuen kroatisch-muslimischen Föderation und den bosnischen Serben im Verhältnis von 51 zu 49 vorsieht, den Konflikt beilegen wird, ist mehr als fraglich.
II. Interessen und Instrumente der Kontaktgruppenstaaten
Die Jugoslawienpolitik der fünf Kontaktgruppenstaaten ist gekennzeichnet durch konkurrierende Interessen und mangelnde internationale Koordination. Der Grund dafür dürfte in erster Linie in der Dynamik der internationalen Umbruchsituation liegen. Sie erforderte erhebliche Anstrengungen zur Anpassung, wenn nicht sogar eine Neuformulierung der jeweiligen politischen Interessendefinitionen. Der Jugoslawienkonflikt war bzw. ist dabei nur ein Aspekt unter anderen. Im Laufe der Ereignisse haben sich vier Hauptinteressen herauskristallisiert, die in unterschiedlicher und wechselhafter Ausprägung das Verhalten der fünf Akteure bei der Konfliktbearbeitung beeinflußt haben. Sie bilden die interessenpolitische Grundlage für gemeinsames Handeln. 1. Containment Alle Akteure haben ein starkes Interesse an einer Eindämmung der gewaltsamen Auseinandersetzungen auf dem Balkan. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hat der geostrategische Stellenwert der Region rapide abgenommen. Das Nullsummendenken der vergangenen Dekaden ist einer Mischung aus Kooperation und vergleichsweise geringem Interesse gegenüber dem Balkan gewichen. Insbesondere Rußland, aber auch die USA und das wiedervereinigte Deutschland werden von kostenträchtigen innenpolitischen Aufgaben beansprucht. Eine stärkere Verwicklung in den Konflikt könnte teuer zu stehen kommen.
Bereits daraus ließe sich eine Präferenz für Containment ableiten. Wichtiger ist jedoch die sicher- heitspolitische Argumentation: Eine Eskalation des Konfliktes in Bosnien-Herzegowina könnte den ganzen Balkan in Brand setzen. Die Folgen für die Sicherheit Europas und für das Verhältnis der Staaten der Kontaktgruppe untereinander wären nicht absehbar. 2. Einfluß Trotz des relativ geringen Stellenwertes der Region zeigten die reflexartigen Reaktionen der westeuropäischen Staaten, daß es auf dem Balkan auch um Einfluß geht. Es hatte zeitweise den Anschein, als unterstützten sie die jeweiligen früheren Kriegsalliierten; d. h., Großbritannien, Frankreich und später auch Rußland zeigten mehr Geduld für die serbische Politik, Deutschland für die kroatische. Die angebliche Äußerung eines anonymen britischen Diplomaten, daß ein serbischer Hegemon auf dem Balkan allemal besser sei als ein deutscher, spiegelt das zeitweilige Mißtrauen wider, das insbesondere nach dem deutschen Husarenritt in der Frage der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens mancherorts gehegt wurde.
Wichtiger als diese episodenhafte Eruption ist das dauerhafte Interesse an politischem Gewicht. Deutschland setzt wirtschaftliche, diplomatische und in geringerem Maße auch militärische Mittel ein, um seine Rückkehr zur „Normalität“ zu demonstrieren, Ansprüche auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat zu untermauern und, vor allem, um die Flüchtlingsproblematik zu reduzieren. Indem Frankreich und Großbritannien die größten Blauhelm-Kontingente für UNPROFOR stellen, sichern sie sich Einfluß und politische Gestaltungskraft Sie unterstreichen so ihre hervorgehobene Rolle im UN-Sicherheitsrat und ihren Anspruch als europäische Ordnungsmächte. Ähnliches gilt für Rußland. Seine traditionelle Freundschaft mit Serbien eröffnete ihm die Gelegenheit, nach innenpolitisch bedingter zeitweiliger Abstinenz mit einem Paukenschlag auf die Bühne der internationalen Diplomatie zurückzukehren. Den USA geht es schließlich vor allem um die künftige Rolle der NATO. 3. Einbindung Alle fünf Staaten haben ein großes Interesse an gegenseitiger Einbindung. Rußland möchte als hervorgehobener Partner akzeptiert, auf keinen Fall aber isoliert werden. Moskau pocht auf ein Mitspracherecht in europäischen Sicherheitsfragen. Die anläßlich des Abkommens über die „partnership for peace“ gefundene Formel „no veto, no surprise“ konzediert ihm diese. Entwickelt hat sich diese Formel aus dem Jugoslawienkonflikt, in dem die NATO zunächst ohne Rücksprache mit Moskau handelte. Die westlichen Staaten haben ihrerseits ein ausgeprägtes Interesse an der Einbindung Rußlands. Seine Stabilisierung ist gleichermaßen ein zentrales Sicherheitsanliegen der Europäer wie der Amerikaner.
Wenn die vielzitierte strategische Partnerschaft keine Leerformel sein soll, dann muß sie sich in der Praxis beweisen. Das Zustandekommen der Kontaktgruppe ist ein Schritt in diese Richtung. Nicht zuletzt geht es auch um die Einbindung Deutschlands und seiner Ost-bzw. Balkanpolitik. 4. Innenpolitik Es würde zu weit führen, an dieser Stelle auf die zahlreichen innenpolitischen Kalküle im Zusammenhang mit der Jugoslawienkrise einzugehen. Ein überragendes, das Einvernehmen der Kontaktgruppe permanent in Frage stellendes innenpolitisches Interesse ist allerdings allen gemeinsam: die Rücksichtnahme auf die politische Stimmung und deren Auswirkung auf die Position der jeweiligen Regierung. Die Bundesregierung wäre mit ihrer Anerkennungspolitik weniger forsch gewesen, hätte es nicht diesen massiven öffentlichen Druck gegeben. Der russische Präsident und seine Regierung werden von einer starken nationalistischen und serbenfreundlichen Opposition beäugt. Der angeschlagene amerikanische Präsident hat vor dem Hintergrund weitergehender Forderungen des Kongresses zunächst im UN-Sicherheitsrat vergeblich die Aufhebung des Waffenembargos für Bosnien-Herzegowina beantragt und nach Ablauf der vom Kongreß gesetzten Frist Mitte November 1994 die Unterstützung für die Durchsetzung dieses UN-Mandats in der Adria beendet. Frankreich und Großbritannien drohen mit dem Rückzug ihrer Blauhelme unter anderem mit dem Argument, ihre Präsenz sei vor der Öffentlichkeit nicht mehr lange zu rechtfertigen.
Von einer planmäßigen, gemeinsamen Konfliktbehandlung kann ansatzweise eigentlich erst seit demZustandekommen der Kontaktgruppe gesprochen werden, die seit dem Frühjahr 1994 de facto das eigentliche Beschlußgremium zur Konflikt-regelung ist. Die zeitweilig unklaren, wenn nicht gegenläufigen Interessenlagen der Drittstaaten und ihre begrenzten Ziele auf dem Balkan beeinträchtigten diese Bemühungen um ein methodisches Vorgehen ebenso wie die Verknüpfung des Jugoslawienkonfliktes mit übergeordneten europäischen Ordnungsfragen. Diese fand ihren sichtbarsten Ausdruck in der Konkurrenz internationaler Organisationen bei der Bearbeitung des Konfliktes.
Die Präferenz und das Ausmaß der Unterstützung für diese oder jene internationale Organisation sind ein Indiz für politische Absichten, denn diese Organisationen sind in erster Linie Instrumente nationaler Politik. Ob Frankreich und Deutschland die Handlungsfähigkeit von EU oder WEU unter Beweis stellen wollen, die USA die NATO und somit ihre eigene Führungsposition in den Vordergrund rücken oder Rußland das Gegenteil bezweckt -ein wesentliches Interesse war bzw. ist die Sicherung von Einfluß auf die Strukturierung der europäischen Sicherheit, ohne allerdings über eine konsensfähige gesamteuropäische Sicherheitskonzeption zu verfügen.
Da KSZE und WEU mangels geeigneter Instrumente nur marginale Beiträge zur Konfliktbearbeitung leisten konnten, blieb die NATO das einzige, potentiell wirkungsvolle militärische UNO-Instrument. Ihr obliegt die Überwachung und Durchsetzung des UNO-Embargos in der Adria (seit dem 8. Juni 1993 zusammen mit der WEU) und der Flugverbotszone über Bosnien-Herzegowina, die Gewährung von Luftunterstützung für UNPROFOR-Truppen, die Durchführung von Luftschläge Juni 1993 zusammen mit der WEU) und der Flugverbotszone über Bosnien-Herzegowina, die Gewährung von Luftunterstützung für UNPROFOR-Truppen, die Durchführung von Luftschlägen auf militärische Stellungen und Einrichtungen sowie die Erstellung von Notplänen für den Fall einer Ausdehnung des Konflikts, eines Abzuges von UNPROFOR und einer Um-resp. Durchsetzung des UN-Friedens-plans für Bosnien. Ihr graduelles Engagement begann am 16. Juli 1992 und führte am 28. Februar 1994 zum ersten Kampfeinsatz seit ihrer Gründung. Die NATO blieb aber von Beginn an abhängig von der UNO und insbesondere von jenen Mitgliedern der Atlantischen Allianz, die innerhalb der UNO eine gegensätzliche Politik verfolgten.
III. Zur Bedeutung des UN-Peacekeeping im Jugoslawienkonflikt
Peacekeeping ist neben 'der diplomatischen und ökonomischen Konfliktbearbeitung das Hauptinstrument der internationalen Staatengemeinschaft im Jugoslawienkonflikt. Die Alternative einer umfassenden militärischen Friedenserzwingung stand nicht zuletzt aus Kosten-Nutzen-Erwägungen niemals ernsthaft zur Debatte. Ähnliches gilt für die Option, sich im Fernseh-Zeitalter aus dem ersten kriegerischen Konflikt in Europa nach dem Ende des Ost-West-Konflikts herauszuhalten. Das Instrument Peacekeeping erwies sich vor diesem Hintergrund als die für alle Beteiligten akzeptabelste Form völkerrechtlich sanktionierter Einmischung.
Die Antwort auf die Frage, ob Peacekeeping das richtige Instrument für die Bearbeitung des Jugoslawien-Konfliktes ist oder nicht, hängt von der Konfliktstruktur, der Art des Peacekeeping und vom Konfliktstadium ab. Die Konfliktstruktur läßt sich verkürzt als komplexe und vertrackte Mischung aus Bürger-, Sezessions-und Aggressionskrieg beschreiben, die eine entsprechend differenzierte und nachhaltige politische Bearbeitung erfordert. Peacekeeping ist dabei ein Instrument, das nur in Kombination mit anderen positive Wirkungen erzeugen kann.
Bei Peacekeeping-Operationen (PKO) sind konventionelle und robuste PKO zu unterscheiden 7. Wesenselemente des konventionellen Peacekeeping sind der Konsens aller Konfliktparteien, die Unparteilichkeit der intervenierenden Dritten Partei und der friedliche Charakter der Intervention, bei der die Anwendung von Waffengewalt nur unter äußerst restriktiven Bedingungen zum Schutze der Blauhelme zulässig ist. Solche UNO-Einsätze werden heute in der Regel in einer erweiterten Form durchgeführt, die eine Vielzahl von zivilen, polizeilichen und militärischen Aufgaben umfaßt. Demgegenüber halten robuste PKO zwar am Gebot der Unparteilichkeit fest, jedoch nicht notwendigerweise an dem des Konsenses und des Erzwingungsverbotes. Ihr wesentliches Charakteristikum ist die Durchsetzung des UNO-Mandates 8.PKO hätten wahrscheinlich in der Phase des Vorkonfliktes -also vor Beginn der militärischen Auseinandersetzungen -eine friedens-sichernde Rolle in Jugoslawien spielen können
Gleiches gilt auch für die Konsolidierungsphase nach Ende des Jugoslawienkonfliktes Bleibt die Frage, ob konventionelle PKO während der gewaltsamen Auseinandersetzungen wirkungsvoll gewesen sind. Aus Sicht der UNO dürfte die Antwort ein eingeschränktes Ja sein. Wahrscheinlich haben die Blauhelme zahlreichen Menschen das Leben gerettet und manche bewaffnete Auseinandersetzung gedämpft oder gar verhindert. Dagegen kann angeführt werden, daß die Blauhelme sogenannte „ethnische Säuberungen“ nicht nur nicht verhindert, sondern de facto sogar durch ihre Passivität begünstigt haben, daß sie durch ihre Präsenz dem Aggressor letztlich in die Hände gespielt, die Aggression auf jeden Fall nicht rückgängig gemacht haben (was allerdings nach traditionellem Verständnis auch nicht ihre Aufgabe ist). Wichtiger ist jedoch ein anderer, diese Kritikpunkte erklärender grundsätzlicher Aspekt -nämlich die Unvereinbarkeit konventioneller PKO mit laufenden Kampfhandlungen.
Normalerweise ist ein stabiler Waffenstillstand ein wesentliches Kriterium für die Entsendung einer Peacekeeping-Mission. Da diese Voraussetzung auf dem Balkan nicht gegeben war, hätten entweder keine Blauhelme entsandt werden dürfen, oder sie hätten rechtzeitig mit einem entsprechenden, weit über konventionelle Peacekeeping-Aufgaben hinausgehenden Mandat ausgestattet werden müssen. Ob dann allerdings die Konfliktparteien zugestimmt hätten, ist fraglich. Ähnliches mag für diejenigen Truppen stellenden Staaten gelten, die ein Interesse daran gehabt haben, die Konfliktlage einzufrieren und weitergehende Zwangsmaßnahmen mit Verweis auf die Sicherheit ihrer Blau-helme zu verhindern.
Ein weiteres mißachtetes Kriterium ist die Umsetzbarkeit des Mandates. Es wurde zwar dahingehend erweitert, daß die Staaten und Regionalorganisationen aufgefordert wurden, mit allen notwendigen Mitteln seine Durchsetzung zu gewährleisten Dabei wurden jedoch offenbar die realen Fähigkeiten der UNO und der mangelnde Wille der Mitgliedsstaaten außer acht gelassen. So wurden Truppenanforderungen kalkuliert, die unrealistisch waren, oder es wurden wiederholt Drohungen ausgesprochen, die nicht, nur unzureichend oder zu spät realisiert wurden. Selbst der relative Erfolg nach dem NATO-Ultimatum im Februar 1994 wurde bald durch die halbherzigen Reaktionen auf Provokationen der Konfliktparteien verspielt.
Die im ehemaligen Jugoslawien gemachten Erfahrungen mit dem „robusten Peacekeeping“ sind schon aufgrund der Konfliktstruktur und der Konfliktdynamik eher skeptisch zu bewerten. Dazu kommen die Reibungen zwischen UNO und NATO, die wiederum mit divergierenden Vorstellungen der Staaten über die Art der Konfliktbearbeitung einhergehen. Beide Organisationen sind unabhängig und verfügen über eigene Führungsund Kommandostrukturen. Folglich ist ein hohes Maß an Koordination notwendig, um gemeinsam operieren zu können. Bei der Überwachung und Durchsetzung des Embargos zur See und der Flugverbotszone über Bosnien-Herzegowina ist das relativ problemlos gewesen, weil diese Operationen von den jeweiligen NATO-Kommandos Südeuropa im Auftrage der UNO, aber weitgehend unabhängig von UNPROFOR durchgeführt werden können.
Mit der Mandatserweiterung um Luftunterstützung und Luftschläge auf der Basis von UN-Resolution 836 nahmen die Abstimmungsprobleme jedoch zu. Vordergründig konnten zwar einvernehmliche Regelungen sowohl in der Frage der Befehlskette bei der Anforderung von Luftunter-Stützung als auch hinsichtlich der Durchführungsmodalitäten von Luftschlägen gefunden werden. Tatsächlich bleibt der Grundkonflikt aber bestehen. Im ersten Fall kann nur die UN initiativ werden und das zuständige NATO-Kommando führt aus. Im zweiten Fall können zwar beide initiativ werden, aber nur mit Zustimmung des jeweils anderen, was einem doppelten Veto gleichkommt. Während es der NATO vor allem darum geht, nicht als Papiertiger zu erscheinen und ihrer neuen Rolle als Institution zur Projektion von Sicherheit gerecht zu werden, sorgt sich die UNO um ihre Mittlerrolle, die Sicherheit der Blauhelme und die Fortsetzung ihres humanitären Auftrages.
Mit dieser Problematik verbunden sind unterschiedliche Interessen, Lageanalysen und wohl auch Ziele der involvierten Drittstaaten. Diejenigen Staaten, die Kontingente für UNPROFOR stellen, verweisen auf die Sicherheit ihrer Soldaten und auf die vertrackte Lage, die eine andere Konfliktbearbeitung nicht ermögliche. Die USA hingegen, die keine Bodentruppen in Bosnien-Herzegowina zu stationieren bereit sind, werfen Europa Zynismus vor und argumentieren abschreckungspolitisch oder moralisch. Die Folge ist -wie der Fall von Bihac erneut vor Augen geführt hat -, daß sich vermeintlich komplementäre Aktionen von UNO und NATO zunehmend als äußerst komplex, wenn nicht gar als kontraproduktiv erweisen.
So forderten die USA angesichts der Gegenoffensive der bosnischen und kroatischen Serben zunächst die Bildung einer Verbotszone für schwere Waffen nach dem Vorbild von Sarajewo und Gorazde. Dieser Vorschlag wurde von Großbritannien und Frankreich verworfen, weil dadurch die Regierungstruppen bevorteilt würden Nach der Zerstörung der Landebahn des Flughafens Ubdina durch NATO-Flugzeuge und amerikanischen Forderungen nach massiven Luftschlägen nahmen die bosnischen Serben an verschiedenen Stellen Blauhelme als Geiseln. Daraufhin forderte UN-PROFOR keine weiteren Luftschläge mehr an. Kurz darauf wurde die NATO gebeten, die Überwachung der Flugverbotszone zeitweise ganz einzustellen
Daraus folgt nicht notwendigerweise, daß robuste PKO zwecklos sind Es handelt sich allerdings um eine völlig andere Form des Peacekeeping, die noch erhebliche, nicht zuletzt konzeptionelle Defizite aufweist Der Erfolg von robusten PKO ist abhängig vom Willen, den Mitteln und der Ziel-definition der Dritten Partei einerseits und der Kontrahenten andererseits. Können beide nicht in Übereinstimmung gebracht werden, schwelt der Konflikt weiter.
Das führt zu der Frage, wie robust PKO sein dürfen bzw.sein müssen, um erfolgreich zu sein. Der Kern dieser Frage berührt das zentrale Problem des Verhältnisses von Eskalationsbereitschaft und Unparteilichkeitsgebot, das wiederum eine Reihe von Fragen provoziert. Wie kann die UNO unparteiisch bleiben, wenn sie gegen den Willen einer Partei militärischen Zwang anwendet? Wie kann das Entstehen einer Eskalationsspirale vermieden werden, durch welche die UNO zur Konfliktpartei wird? Darf bzw. soll die UNO überhaupt unparteiisch bleiben, wenn ein Staat zerschlagen wird und wenn grundlegende Menschen-und Minderheiten-rechte mißachtet werden? Wenn nein, wie kann die UNO zur Erfüllung dieser Aufgabe befähigt werden?
Im Prinzip gibt es drei Modelle zur Konfliktbearbeitung durch kollektive Sicherheitsorganisationen. Nach dem Operateur-Modell obliegt Leitung und Durchführung des Krisenmanagements der internationalen Organisation; nach dem Broker-Modell fungiert sie ausschließlich als Vermittler zwischen den Konfliktparteien; nach dem Legitimationsmodell handelt es sich um eine Institution, welche die Umsetzung des Mandates ihren Mitgliedern und regionalen Sicherheitsorganisationen überläßt.
Im Jugoslawienkonflikt wurde das zweite mit dem dritten Modell kombiniert, was angesichts der skizzierten Interessenlagen zu Inkonsistenzen führen mußte. Gleich, ob konventionelles oder robustes Peacekeeping, in jedem Fall wurde zu spät und zu unentschlossen gehandelt, so daß der Eindruck entstehen mußte, daß die Blauhelme bloß eine Alibifunktion im Interessenkalkül der Mächte haben. Indem diese durch eher symbolische Handlungen vorgaben, etwas zu tun, konnte die eigene Öffentlichkeit beruhigt und der Mitteleinsatz vergleichsweise gering gehalten werden. Das gilt auch für die USA, die sich einerseits einer kraftvollen Rhetorik bedienten, andererseits aber immer darauf beharrten, keine Bodentruppen in das Krisengebiet zu entsenden
Angesichts der Schwierigkeiten, denen sich UN-PROFOR bei der Beschaffung von Personal jeglicher Qualifikation gegenübersah, beschränkter Führungsfähigkeit der UNO und mangelnder Unterstützung durch die Mitgliedstaaten war es nur konsequent, daß UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali im Juli 1994 dafür plädierte, das Engagement der UNO sowohl im Falle einer Annahme des Friedensplans als auch bei Durchsetzungsmaßnahmen im Falle einer Ablehnung strikt auf die Unterstützung humanitärer Hilfsmaßnahmen zu begrenzen und das Feld einer internationalen Ad-hoc-Streitmacht zu überlassen Da nach der abermaligen Wende der US-Politik Ende November im Sinne eines Einschwenkens auf den „realistischeren“ europäischen Ansatz kollektive Durchsetzungsmaßnahmen auszuscheiden scheinen ist die Einigung auf einen modifizierten Friedensplan wahrscheinlicher geworden.
Dieser von Rußland und Frankreich inspirierte „Plan B“ sieht eine gegenseitige Anerkennung der Grenzen der BR Jugoslawien, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas vor, wobei den bosnischen Serben das Recht eingeräumt wird, in der gleichen Weise mit Belgrad eine Konföderation einzugehen, wie es der muslimisch-kroatischen Föderation mit Kroatien zugestanden worden ist. In diesem Fall kann UNPROFOR den humanitären Auftrag fortsetzen. Sollte allerdings die amerikanische Regierung Anfang 1995 dem Druck aus dem Kongreß weichen und sich für eine Aufhebung des Waffen-embargos entscheiden, wäre das Ende des UN-PROFOR-Einsatzes ebenso absehbar wie das weitere Siechtum der NATO. Darüber kann auch ein noch so beschönigtes Kommunique, wie es die Allianz anläßlich ihrer Herbsttagung am 1. Dezember 1994 veröffentlichte, nicht hinwegtäuschen
IV. Folgen für die sicherheitspolitische Kooperation in Europa
Die im modifizierten Plan der Kontaktgruppe angeregte Regelung läuft auf eine Teilung Bosnien-Herzegowinas hinaus. Selbst wenn die bosnischen Serben dem Plan zustimmen sollten, dürfte damit der Jugoslawienkonflikt noch nicht gelöst sein. Erwähnt sei nur die negative Haltung der bosnischen Regierung, der schwelende serbisch-kroatische Konflikt, das Pulverfaß Kosovo, die Vojvodina, im Sandschak und die Mazedonien-Frage. In allen Fällen geht es um das Problem von Minderheiten und Grenzen. Mehr oder weniger involviert bzw. interessiert sind Albanien, Ungarn, Griechenland, Bulgarien, Rumänien und die Türkei -mithin der ganze Balkan. Der südosteuropäische Krisenbogen reicht weiter über den Kaukasus bis nach Rußland.
Betrachtet man den Jugoslawienkonflikt in diesem geostrategischen Zusammenhang, so wird die Bedeutung der Regelung des Bosnien-Konfliktes für die gesamteuropäische Sicherheit deutlich. Angesichts dieser Dimension wäre es natürlich wünschenswert gewesen, die Völkergemeinschaft hätte über ihre kollektiven Sicherheitsorganisationen frühzeitig entschlossen gehandelt. Doch fehlte einerseits das Interesse und die Geschlossenheit; andererseits verfügten die kollektiven Sicherheitsorganisationen -also die UNO und die KSZE -nicht über die notwendigen Strukturen und Instrumente, was wiederum auf den mangelnden Willen insbesondere der mächtigeren Staaten zurückgeführt werden kann.
In der politischen Wirklichkeit müssen sich Sicherheitskooperation und die Schaffung entsprechender Strukturen schrittweise entwickeln. Die Frage ist nur, ob die Schritte der Lage angemessen sind. Bei optimistischer Betrachtung könnte man sagen, der im Jugoslawienkonflikt verfolgte Containment-Ansatz hat bislang funktioniert. Die Bearbeitung des Konfliktes hat die gesamteuropäische Sicherheitskooperation gefördert. Sichtbarster Ausdruck davon ist die Kontaktgruppe, in der die wichtigsten Staaten Zusammenwirken. Im Bereich der Prävention in Mittel-und Osteuropa sind ent-wicklungsfähige Schritte initiiert worden, wie der Nordatlantische Kooperationsrat, die Partnerschaft für den Frieden, der Stabilitätspakt der EU oder die bilateralen strategischen Partnerschaftsbeziehungen mit Rußland. Das Konzept der „interlocking institutions" hat sich weiter konkretisiert, die kollektiven Sicherheitsorganisationen sind handlungsfähiger geworden, eine Arbeitsteilung zwischen ihnen und kollektiven Verteidigungsorganisationen zeichnet sich ab
Bei einer negativen Betrachtungsweise könnte darauf verwiesen werden, daß die Kämpfe in Bosnien und die Spannungen im ehemaligen Jugoslawien anhalten. Der Plan der Kontaktgruppe sanktionierte letztlich einen Teil der Eroberungen der bosnischen Serben und bietet keine Lösungen für den serbisch-kroatischen Konflikt. Das halbherzige Agieren der Drittstaaten und die Hilflosigkeit der internationalen Organisationen haben deren Glaubwürdigkeit stark beschädigt. Dadurch ist ihre Handlungsfähigkeit eingeschränkt und diejenige von potentiellen Brandstiftern erhöht worden. Die präventiven Maßnahmen gehen nicht weit genug. Die Kontaktgruppe ist nichts anderes als eine fragile Mächtekonstellation, die nur um den Preis der Anerkennung neuer Einflußzonen aufrechterhalten werden kann. Vor diesem Hintergrund entpuppt sich die Arbeitsteilung zwischen kollektiven und regionalen Sicherheitsorganisationen, bei der die einen mandatserteilende und die anderen mandatsausführende Institutionen sind, als Absicherung der Machtambitionen der Großmächte im Rahmen eines Regionalisierungsprozesses der europäischen Sicherheit
Die Regionalisierung der europäischen Sicherheit kann in zwei Richtungen laufen: Nach dem negativen Szenario führt sie zu einer Teilung Europas in einen relativ stabilen nordwesteuropäischen Teil, evtl, erweitert durch die der EU assoziierten mittel-und osteuropäischen Staaten, einen höchst instabilen südosteuropäischen Krisenbogen und eine durch Rußland mehr schlecht als recht zusammengehaltene GUS. Gesamteuropäische Strukturen bleiben bestenfalls Fassaden, die Rolle der UNO marginal. Handlungsleitend ist das Konzept der hegemonialen Stabilität, wonach es Führungsmächte geben muß, die in erster Linie für die Ordnung in ihrer Region zuständig sind. Eine solche Entwicklung würde das Sicherheitsdilemma verschärfen und das Wiederaufleben konfrontativer Beziehungen wahrscheinlich machen
Nach dem positiven Szenario wird diese Gefahr durch den Aufbau gesamteuropäischer Kooperationsstrukturen eingehegt. Die OSZE (vormals KSZE) wird als handlungsfähige Organisation zur Krisenprävention und Krisenbewältigung in den Bereichen Sicherheitskooperation inklusive PKO, Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie Demokratie, Menschenrechte und Minderheiten ausgebaut. Das alleinige Recht des UN-Sicherheitsrates zur Ermächtigung von Zwangsmaßnahmen wird nicht eingeschränkt. Die Fähigkeit zur verbindlich geregelten Durchführung gemeinsamer Aktionen der OSZE-Mitglieder wird ebenso erhöht wie die politische Führungskapazität der OSZE.
Der Budapester KSZE-Gipfel kann vielleicht als ein kleiner Schritt in diese Richtung interpretiert werden, wurden doch nicht nur Namensänderungen wie die von KSZE in OSZE beschlossen. Es konnten auch einige von der Öffentlichkeit wenig gewürdigte politische Fortschritte erzielt werden. Dazu gehört die erklärte Bereitschaft zur Stärkung der Fähigkeiten der OSZE „im Hinblick auf Frühwarnung, Konfliktverhütung und Krisenbewältigung unter anderem durch Nutzung friedenserhaltender Operationen und Missionen“ Zu erwähnen ist des weiteren der für das Krisengebiet Nagorny Karabach gefundene Grundsatzbeschluß, daß die Teilnehmerstaaten der OSZE eine multinationale Friedenstruppe für diese Region aufstellen. Dabei wird es sich um eine traditionelle Peacekeeping-Operation gemäß Kapitel III des Helsinki-Dokuments handeln, die durch den amtierenden OSZE-Vorsitzenden unter Mitarbeit der neu geschaffenen Ko-Vorsitzenden (wovon einer ein Russe ist) der Minsker Gruppe geplant wird.
Die Verabschiedung eines Regelpapiers über friedenserhaltende Maßnahmen mit Drittstaaten-streitkräften wurde allerdings verschoben. Die deutsch-niederländische Initiative, das Prinzip „OSZE zuerst“ festzuschreiben und gegebenenfalls eine kollektive Anrufung des UN-Sicherheitsrates auch ohne Zustimmung der Betroffenen vorzusehen, scheiterte ebenso wie der Versuch, eine gemeinsame Erklärung zum Bosnien-Krieg zu verabschieden. Prinzipiell positiv zu bewerten ist der umfassende Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit. Auch wenn Ruß-land mit seinem brutalen Vorgehen in Tschetschenien klar dagegen verstößt, so gibt er doch eine weitere Handhabe zur politischen Einmischung
Rückschläge sollten hingegen nicht dazu dienen, die sich noch bietenden Chancen ungenutzt zu lassen. Dazu zählt die im Budapester Dokument beschlossene „Diskussion über ein Modell für eine gemeinsame und umfassende Sicherheit in unserer Region“ Hintergrund dieser Debatte ist der russische Vorschlag, den Nordatlantischen Kooperationsrat zur militärischen Komponente der OSZE zu entwickeln Dieser Vorschlag ist zwar von westlicher Seite umgehend verworfen worden; gleichwohl haben nicht zuletzt die Erfahrungen im Jugoslawienkonflikt vor Augen geführt, daß sich die Staaten über die Rolle miteinander konkurrierender sicherheitsrelevanter internationaler Organisationen klarwerden müssen.
Bezüglich der OSZE muß also eine Einigung darüber gefunden werden, ob sie nach dem Broker-, dem Legitimations-oder dem Operateur-Modell ausgebaut werden soll. Da die OSZE gegenwärtig nur als Vermittler tätig werden kann, sollte auch nicht mehr von ihr erwartet werden. Für das Broker-Modell spricht aufgrund der begrenzten Funktion die Machbarkeit, dagegen die Ohnmacht im Falle eines eskalierenden Konfliktes. Für das Legitimationsmodell spricht die Ressourcenknappheit, dagegen das Problem, daß nach den in Bosnien gemachten Erfahrungen regionale Sicherheitsorganisationen wie die NATO höchstwahrscheinlich nur noch dann zur Verfügung stehen werden, wenn sie „carte blanche" erhalten Für das Operateur-Modell spricht die eindeutige politische Verantwortlichkeit und die Gewährleistung der Einheitlichkeit der Befehls-und Kommandogewalt, dagegen die mangelnde Bereitschaft der Großmächte, über ihren nationalegoistischen Schatten zu springen und entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Dabei ginge es ja nicht um die Aufstellung einer großen Armee, die an die Stelle der bestehenden Verteidigungsbündnisse träte, sondern um die Schaffung von einheitlichen Führungsstrukturen für den möglichst präventiven Einsatz von entsprechend ausgebildeten und ausgerüsteten OSZE-Einheiten in einem lokalen Krisenherd
V. Schlußfolgerung
Der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien hat vor Augen geführt, daß es noch ein langer Weg ist bis zur Errichtung eines umfassenden Kollektiven Sicherheitssystems, sei es global im Rahmen der UNO oder regional im Rahmen der OSZE. Wir leben noch immer in einer Staatenwelt, folglich bleibt der politische Wille zur Kooperation eine notwendige Bedingung für jeglichen Fortschritt in diese Richtung.
Das gilt insbesondere für die Großmächte, auch wenn deren Fähigkeit zur einseitigen Willens-durchsetzung durch zunehmende internationale Verbindungen und transnationale Verflechtungen reduziert worden ist. Sie sind im Jugoslawienkonflikt nicht nur an der Intransigenz der Konfliktparteien gescheitert, sondern auch an ihrer eigenen Hypokrisie und Konzeptionslosigkeit.
Die Leidtragenden sind in erster Linie die Menschen vor Ort. Aber auch die sogenannte internationale Staatengemeinschaft hat allen Grund, über Konsequenzen nachzudenken. Das gilt insbesondere für die europäischen Staaten, die sich angesichts auseinanderdriftender Interessen innerhalb der Atlantischen Allianz darüber klarwerden müssen, wie die Sicherheit Europas künftig gestaltet werden soll: durch den Aufbau von exklusiven Einflußzonen im Dienste militärisch abgesicherter nationalegoistischer Interessen oder durch die graduelle Schaffung eines gesamteuropäischen Sicherheitsraumes, in dem die Stärke des Rechts an die Stelle des vermeintlichen Rechts des Stärkeren trifft. Die Stärke des Rechts erfordert allerdings sowohl die Zustimmung der ihm unterworfenen Staaten als auch die Mittel und die Bereitschaft, dem gemeinsamen Recht zur Not auch gegen Widerstreben Geltung zu verschaffen.