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Die Europäische Union zwischen Maastricht und Maastricht-Revision | APuZ 3-4/1995 | bpb.de

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APuZ 3-4/1995 Die Europäische Union zwischen Maastricht und Maastricht-Revision Europapolitik zwischen deutscher Romantik und gallischer Klarheit Europa vor der Herausforderung zivilisierter Innenbeziehungen Die politisch-institutionelle Stellung des Europäischen Parlaments nach dem Maastricht-Vertrag Aktive und passive Subsidiarität: Prinzipien europäischer Gemeinschaftsbildung

Die Europäische Union zwischen Maastricht und Maastricht-Revision

Hans Arnold

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Zusammenfassung

Die Europapolitik befindet sich derzeit, zwischen dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht und der für 1996 vorgesehenen Konferenz für eine Revision/Überprüfung des Vertrages, in einem Übergangsstadium. Der Vertrag von Maastricht ist 1991 zum Zeitpunkt des politischen Epochenwechsels entstanden, der in den zwei Jahren zwischen dem Fall der Berliner Mauer und dem Ende der Sowjetunion die europäische Szene radikal verändert hat. Er ist ein Dokument des Übergangs. Er folgt einmal, vor allem mit dem Projekt einer „Wirtschafts-und Währungsunion“ (WWU), der früheren Linie westeuropäischer Integrationspolitik, die auf ein Aufgehen der Staaten der „Europäischen Gemeinschaft“ in einer supranationalen europäischen Einheit, einer Art Bundesstaat, gerichtet war. Er folgt mit seinen anderen Teilen, insbesondere mit der Einführung des Subsidiaritätsprinzips, der Linie einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. In der mit dem Vertrag gegründeten „Europäischen Union“ (EU) tendiert die Entwicklung in letztere Richtung.

Kaum war der Vertrag von Maastricht über die Gründung einer „Europäischen Union“ (EU) in Kraft getreten, gewann die für ihn 1996 vorgesehene Revisionskonferenz immer mehr an Interesse. Seit dem radikalen weltpolitischen und insbesondere europäischen Epochenwechsel, der sich in den nur zwei Jahren zwischen dem Fall der Berliner Mauer und dem Zerfall der Sowjetunion vollzogen hat, befinden sich die Europapolitik und die „Europäische Union“ in einer Übergangsphase. In ihr kommt es weniger denn je auf die wirtschaftlichen Deregulierungen innerhalb des Europäischen Binnenmarktes der EU und mehr denn je auf politische Regulierungen an. Für Überlegungen über die weitere Entwicklung lassen sich gegenwärtig nur einige Fakten und Trends erfassen und einige Vermutungen anstellen.

Bis zum Ende des Kalten Krieges folgte die Europapolitik einem langfristig stabilen Trend. Sie war subsidiärer Teil der Politik des Westblocks. Die NATO war zuerst da und hätte immer ohne die „Europäische Gemeinschaft“ (EG) existieren können, letztere jedoch nie ohne die NATO. Die EG war Teil der im Westblock vereinten westlichen Schicksalsgemeinschaft. Ihr Movens, mit dem sie sich fortentwickeln, mit dem sie ihre Erfolge erzielen und interne Schwierigkeiten immer wieder überwinden konnte, war der Zwang, angesichts der Bedrohung aus dem Osten zusammenzurücken und sich immer wieder „zusammenraufen“ zu müssen. Das Ende des Kalten Krieges brachte das Ende von Schicksalsgemeinschaft und Zwängen. Seither ist in der EU ein Trend zu einer Renationalisierung der Politik der EU-Staaten manifest.

Mit dem Ende der Teilung Europas entstand die Notwendigkeit, die Europapolitik neu zu definieren und sich mit ihr neuen europäischen Herausforderungen zu stellen. Die EU tut beides bisher nur zögerlich. Vorrang hat nicht konzeptionelles Denken und Planen vom ungeteilten Europa her, sondern die interne Weiterentwicklung der EU. Im Verständnis der EU ist Europapolitik die Fortführung der westeuropäischen Zusammenarbeit unter veränderten Umständen. Überlegungen über einen neuen Kurs in der Europapolitik werden fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt angestellt, wie die derzeitige EU eventuell durch weitere Beitritte erweitert, gleichzeitig aber nach den bisherigen Vorstellungen fortgeführt werden könne. Dabei hat die Prüfung der Beitrittsfähigkeit von Nicht-EU-Staaten Vorrang vor der Schaffung von Beitrittsmöglichkeiten für sie durch die EU.

Die für eine Fortführung der Europapolitik unter den veränderten Umständen notwendige Umorientierung wird in der EU -ähnlich wie in der NATO -vertagt. In der NATO treten an die Stelle von konkreten Vorstellungen über eine neue Sicherheitspolitik in Europa aufschiebende Vereinbarungen mit Nicht-NATO-Staaten, wie zuletzt die über eine „Partnerschaft für den Frieden“, oder nicht zu Ende gedachte Vorstellungen von einer Erweiterung der NATO. Desgleichen setzt die EU an die Stelle einer konkreten Vorstellung von einer neuen Europapolitik Europa-bzw. Kooperationsverträge mit Nicht-EU-Staaten, die eine unmittelbare oder eine mittelbare Perspektive auf einen EU-Beitritt eröffnen. Auf hoher Ebene wurde das Thema zuletzt auf der EU-Gipfelkonferenz vom Dezember 1994 in Essen unter Beteiligung der Staats-bzw. Regierungschefs von sechs der zahlreichen an einem Beitritt interessierten Staaten behandelt, mit erneuter Betonung der Beitritts-perspektive, doch ohne konzeptionelle oder gar terminliche Konkretisierungen. Die Frage, wie sich eine letztlich auf etwa 30 Mitglieder angewachsene, geographisch, kulturell und politisch weit ausgreifende künftige EU einmal gestalten soll und wie sie Trägerin einer über den Abbau von wirtschaftlichen Hemmnissen hinausgehenden Europapolitik würde sein können, bleibt offen.

Die in Westeuropa entstandene EU ist und bleibt auch im nun wieder ungeteilten Europa die maßgebliche europapolitische Kraft. Will man Vermutungen über den weiteren Gang der Europapolitik anstellen, so kann dies also nur an Hand einer Betrachtung des gegenwärtigen Zustandes der EU und an Hand von Vermutungen über deren weitere Entwicklung geschehen. Das politisch verbindliche Bild vom gegenwärtigen Stand der Dinge ergibt sich aus dem Vertrag von Maastricht. Er ist das Dokument des Übergangs. Die mit ihm geschaffene „Europäische Union“ (EU) ruht bekanntlich auf den sogenannten drei „Säulen“: „Europäische Gemeinschaft(en)“ (EG), Gemeinsame Innen-und Justizpolitik sowie Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik (GASP).Die EG ist unvermindert der mit Abstand wichtigste Teil der Union und hat in sie ihre vielfältigen, über Jahrzehnte hinweg entwickelten und verfeinerten integratorischen Mechanismen eingebracht. In den anderen beiden Bereichen gestaltet sich die Zusammenarbeit auch künftig auf traditionell zwischenstaatliche Weise. Oberstes Organ der gemeinsamen „Europäischen Union“ ist der „Europäische Rat“ (ER) der Staats-und Regierungschefs der EU-Staaten, also die auch weiterhin im Konsens entscheidende internationale Versammlung der höchsten Vertreter der EU-Staaten.

Die EU steht seit Maastricht nicht unter dem Vorzeichen einer zunehmenden, sondern unter dem einer stagnierenden Integration. Ursprünglich war in der EG als das Ziel aller Europapolitik, als ihre sogenannte „Finalität“, erklärtermaßen ein gemeinsames supranationales Gebilde, eine Art Bundesstaat, verstanden worden. Doch spätestens 1974 wurde mit der Gründung des „Europäischen Rates“ ein bedeutsames und eindeutig nicht supranationales, sondern internationales Zeichen gesetzt. Der ER bestand zwar außerhalb der EG, bestimmte aber von da ab deren Politik.

Mit der durch die „Einheitliche Europäische Akte“ von 1987 in Gang gesetzten Politik wurde versucht, gleichwohl zu einer irgendwie gearteten Einheit der westeuropäischen Staaten zu gelangen. Das Ergebnis ist der Vertrag von Maastricht. Mit ihm aber wurde die EG dem „Europäischen Rat“, also der von keinerlei Integrationsbazillus infizierten Versammlung der souveränen EU-Staaten, nun nicht mehr nur politisch-pragmatisch, sondern auch mit völkerrechtlicher Verbindlichkeit untergeordnet.

Der Vertrag von Maastricht ist das Ergebnis des vor dem Hintergrund des Epochenwechsels unternommenen Versuches, den neuen Trend zur Renationalisierung mit dem alten Theorem der Supranationalität in Einklang zu bringen. Prototypisch hierfür und damit für den gegenwärtigen inneren Zustand der EU sind die zwei prominentesten Teile des Vertrages: das Subsidiaritätsprinzip und das Projekt einer Wirtschafts-und Währungsunion (WWU).

Das Subsidiaritätsprinzip wurde bekanntlich 1931 mit der päpstlichen Enzyklika „Quadragesimo anno“ zum Schutze der Menschen vor der Übermacht von Kommunismus, Faschismus und Kapitalismus entwickelt. Auf heutige Politik und Verwaltung in demokratisch verfaßten Staaten angewandt besagt es, daß auf der nächsthöheren Ebene immer nur das entschieden und getan werden soll, was auf der Ebene unter ihr nicht ebenso gut oder besser entschieden oder getan werden kann. Das föderalistisch aufgebaute Deutschland ist ein hervorragendes Beispiel dafür, daß dies für innerstaatliche politische Strukturen ein gutes, die innerstaatliche Demokratie belebendes und stabilisierendes Prinzip ist. Im internationalen Bereich aber sind die Motive und Kriterien, nach denen die jeweils gewünschte Ebene bestimmt werden kann, von anderer Art und Wirkung. Denn die Position, die Interessen und die Möglichkeiten eines Staates gegenüber anderen Staaten, seien sie auch alle ebenfalls Mitglieder der EU, unterscheiden sich eindeutig von denen eines Bundeslandes innerhalb des Staates Bundesrepublik Deutschland.

Das Subsidiaritätsprinzip wurde von den EU-Staaten in den Vertrag von Maastricht mit einem lückenlosen Konsens als eine Art sich selbst verwirklichende Selbstverständlichkeit aufgenommen. Erst ein Jahr nach Maastricht wurde es durch Beschluß des „Europäischen Rates“ vom Dezember 1992 in Edinburgh mit einem siebenseitigen Dokument für den konkreten Gebrauch in der EU definiert. Der erste Satz des Dokuments lautet: „Dieses Prinzip trägt dazu bei, daß die nationale Identität der Mitgliedstaaten gewahrt und ihre Befugnisse erhalten bleiben. Es bezweckt, daß Beschlüsse im Rahmen der Europäischen Union so bürgernah wie möglich gefaßt werden.“ Denn dieses Prinzip „gestattet eine Ausweitung der Tätigkeit der Gemeinschaft, wenn die Umstände es verlangen, und umgekehrt auch deren Beschränkung oder Aussetzung, wenn sie nicht mehr gerechtfertigt sind“.

Damit wurde die Achse der westeuropäischen Integrationspolitik um 180 Grad gewendet. Bis Maastricht hatte in der Europapolitik erklärter-maßen die Zurückdrängung, wenn nicht gar Über-windung nationalstaatlicher Souveränität Priorität. In Maastricht dominierte die Angst vor dem Verlust nationaler Unabhängigkeit. Mit dem Subsidiaritätsprinzip wurde die grundsätzliche Priorität nationaler Politiken vertraglich festgeschrieben. Denn auf dem Boden internationaler Realität sind die Formulierungen „nationale Identität“ und „Befugnisse“ nichts anderes als die freundliche Umschreibung von „nationaler Souveränität“ und „nationalstaatlichem Handeln“.

Der Beschluß, daß in der EU Politik „so bürger-nah wie möglich“ gestaltet werden solle, ließe sich schwerlich als ein Wunsch zur Stärkung des Europäischen Parlaments interpretieren. Er kann nichts anderes meinen als „im größtmöglichen nationalen Interesse“. Denn schließlich liegt auch innerhalb der EU die Verantwortung für Staatsbürger und Bürgernähe in erster Linie beim einzelnen Staat und seinen politischen Institutionen. Im Maastricht-Europa der Subsidiarität werden sich die EU-Staaten sicher nicht gemäß abstrakter fach- licher Prüfung, sondern allein gemäß ihrem nationalen Interesse entscheiden, ob sie etwas allein oder mit der EU tun wollen.

Die Europäische Gemeinschaft lebte immer schon von der Bereitschaft ihrer Mitgliedstaaten, Befugnisse an die Gemeinschaft abzugeben. Doch mit dem Vertrag von Maastricht wird die Nicht-Abgabe zum bestimmenden Prinzip der Europapolitik erhoben. Früher wurde gegen Ansinnen einzelner Staaten, Ausnahmeregelungen zu erreichen, argumentiert, der einheitliche Zusammenhalt in der EU dürfe nicht aufgelockert werden, es dürfe kein „Europa ä la carte“ geben. Doch der Vertrag weist mit seinem ihm vorangestellten Grundprinzip der Subsidiarität nun in diese Richtung.

In dieser Lage nimmt sich das mit dem Vertrag anvisierte Projekt einer europäischen „Wirtschaftsund Währungsunion“ (WWU) aus wie eine strenge antike Steinsetzung auf einem wild wuchernden Acker. Während der Vertrag ein Dokument der Renationalisierung ist, ist die WWU ganz nach den Maßstäben und Verfahren konsequent supranationaler Gemeinsamkeit konzipiert. Gewiß zeigt sich bei genauerem Hinsehen, daß das System und seine Führungsstrukturen auch in der Endstufe der WWU nicht völlig frei von zwischenstaatlichen Elementen sind, die nationale Einflußnahmen gestatten. Doch das Ziel, für die EU-Staaten eine gemeinsame Währung zu schaffen, die sich in ihrer internen Funktion und vor allem im Außenverhältnis in nichts von der Währung eines einzelnen Staates unterscheidet, ist eindeutig.

Ein Währungsverbund innerhalb der EU wäre wirtschafts-und europapolitisch sicher sehr wünschenswert. Für die hiesige Betrachtung interessieren jedoch nicht die vielfältigen Motive, Absichten und Vorstellungen, die zu dem Projekt einer WWU geführt haben, sondern nur die Frage, ob es zu einem Verbund wie dem der WWU kommen kann. Es ist zunächst nicht ohne Ironie, daß etwa zeitgleich mit Maastricht das sehr viel weniger ehrgeizige „Europäische Währungssystem“ (EWS), das sich seit seiner Gründung im Jahre 1979 in seinen engeren Grenzen zweifellos bewährt hatte, beendet werden mußte. Seine Mitglieder waren nicht mehr in der Lage, es aufrecht zu erhalten, strebten aber gleichwohl das sehr viel höhere Ziel einer gemeinsamen Währung an. Die seit Maastricht geführte Diskussion darüber, ob die Kriterien für den Beitritt zur WWU abgeschwächt oder das Unternehmen terminlich gestreckt oder beides gemacht werden solle, greift zu kurz. Die tatsächlichen Probleme liegen in der Frage der Ordnungspolitik und der Souveränität.

Angestrebt wird mit der WWU eine für die EU gemeinsame und einigermaßen stabile Währung.

Jede Währung steht und fällt mit der Wirtschaftskraft, von der sie getragen wird und deren Ausdruck sie ist. Sie ist immer so stabil, wie ihre Wirtschaft stark bzw. die für sie verantwortliche Wirtschaftspolitik gut ist. Die vier Aufnahmekriterien für die WWU -Inflationsrate und Haushalts-defizit jeweils unter drei Prozent, langfristige Zins-last unter 8, 7 und öffentliche Verschuldung unter 60 Prozent -stellen lediglich eine Momentaufnahme dar. Die Kriterien jedes einzelnen der beigetretenen EU-Staaten können sich nach dem Beitritt -je nach der wirtschaftlichen Entwicklung und nach den politischen, vor allem wirtschafts-und gesellschaftspolitischen Entscheidungen in diesen Staaten -verbessern, sie können sich aber auch wieder verschlechtern. Damit würde die Qualität der gemeinsamen europäischen Währung positiv bzw. negativ beeinflußt.

Wenn sich einige Staaten zu einer gemeinsamen Währung und damit zu einer gemeinsamen Währungspolitik entschließen, erfordert dies vernünftigerweise, daß es gleichzeitig zumindest eine vereinheitlichte Wirtschaft und eine gemeinsame Wirtschaftspolitik dieser Staaten gibt. Andernfalls könnten wirtschaftliche Entwicklungen in einzelnen Staaten Einflüsse auf die gemeinsame Währung haben, die vom Staatenverbund als solchem nicht kontrollierbar wären. Man braucht sich nur vorzustellen, was in einer europäischen Währungsunion unter Einschluß Italiens hätte geschehen können oder müssen, wenn es sie bereits im letzten Herbst gegeben hätte, als der Kurs der Lira aus rein inneritalienischen Gründen dramatisch verfiel. Eine Währungsunion ohne Wirtschaftsunion wäre ein Dach ohne Haus. Nicht ohne Grund heißt das Maastrichter Projekt ja auch „Wirtschafts-und Währungsunion“.

In der politischen Diskussion über sie wird allerdings immer nur über eine Währungsunion geredet. Denn von einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik kann in der EU bis auf weiteres nicht die Rede sein -ganz zu schweigen von einer gemeinsamen Sozial-und Gesellschaftspolitik, ohne die Wirtschaftspolitik in demokratischen Staaten und damit auch innerhalb der EU als eines Verbunds demokratischer Staaten vernünftigerweise nicht vorstellbar sein sollte. Das Projekt einer „Wirtschafts-und Währungsunion“ steht bisher nur auf einem und dazu noch auf einem äußerst schwachen währungspolitischen Bein.

Da im Grunde alles staatliche Handeln, allein schon über die staatliche Haushaltspolitik, auch die Währung berührt, geht es bei der WWU letztlich um die Frage einer eigenen staatlichen oder einer innerhalb der EU mit anderen Staaten gemeinsamen Ordnungspolitik und damit um die Frage derstaatlichen Souveränität. Mit ihr sind im Zusammenhang mit der EU einmal die mit jeder internationalen Verpflichtung einhergehenden Einschränkungen nationalstaatlicher Souveränität angesprochen. Die Zusammenarbeit in EG und EU beruht auf einer in solcher Ausweitung und Verdichtung bei freiwilligen Zusammenschlüssen von Staaten bisher nicht gekannten Systematisierung gemeinsamer Souveränitätseinschränkungen. Diese macht bekanntlich den Kern der Erfolgsgeschichte der westeuropäischen Zusammenarbeit aus.

Neben diesen unzähligen, sozusagen „weichen“ Souveränitätsbeschränkungen sind im Zusammenhang mit der WWU aber auch die drei sozusagen „harten“ Kernbereiche staatlicher Souveränität angesprochen: die Außen-, die Sicherheits-und die Währungspolitik. Nach dem Stand der europäischen Zusammenarbeit, so wie er in dem Vertrag von Maastricht seinen Niederschlag gefunden hat, erscheint es ausgeschlossen, daß innerhalb der EU auf den Gebieten der Außen-und der Sicherheitspolitik in absehbarer Zeit Souveränitätsverzichte zustande kommen können.

Mit der WWU wird somit versucht, auf nur einem der drei Gebiete einen Souveränitätsverzicht zu erreichen. Doch es ist äußerst fraglich, ob ein solcher isolierter Versuch sinnvoll oder überhaupt möglich ist. Dazu hegt eine einschlägige Erfahrung vor. Vor 40 Jahren scheiterte der Plan von sechs Staaten der heutigen EU, unter Inkaufnahme eines „harten“ Souveränitätsverzichts eine supranationale „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) zu schaffen, aus zwei Gründen: Zum einen erwies es sich als ein zu ehrgeiziges Ziel, mit einer tatsächlich supranationalen Verteidigungsstruktur einen „harten“ Souveränitätsverzicht zu erreichen. Und zum anderen gelang es nicht, eine ebenfalls tatsächlich supranationale politische Struktur, wie sie mit der „Europäischen Politischen Gemeinschaft“ (EPG) geplant war, innerhalb der die EVG für die Mitgliedstaaten verträglich gewesen wäre, zu verwirklichen.

Heute besteht mit dem Projekt der WWU innerhalb der EU eine fast gleichartige Situation. Das Projekt einer „Wirtschafts-und Währungsunion“ ist zu ehrgeizig und es fehlt ihm die gesamtpolitische Einbindung. Hinzu kommt das heute, im Vergleich zu den fünfziger Jahren, radikal veränderte Umfeld. Es fehlt unter anderem für die EU ein wirtschafts-und währungspolitischer Zwang, vergleichbar dem, wie er für die EVG auf sicherheitspolitischem Gebiet am Beginn des Kalten Krieges wirksam gewesen war. Das Projekt einer WWU ist der Versuch einer supranationalen Quadratur des renationalisierten Kreises der EU. Es bleibt ein exotisches Gewächs, das im Subsidiaritäts-Klima des Maastricht-Europa schwerlich reale Wachstumschancen haben kann.

Die tatsächliche europapolitische Qualität des Staatenverbundes „Europäische Union“ verdeutlicht sich durch die mit dem Vertrag von Maastricht vereinbarte „Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik“ (GASP), mit der die beiden anderen „harten“ Bereiche staatlicher Souveränität erfaßt werden sollen. Eine europäische Sicherheitspolitik, die ihren Namen verdienen würde, gibt es auch nach jahrzehntelanger westeuropäischer Gemeinschaft bis heute nicht. Die militärische Sicherheit der EU-Staaten ist nach wie vor Sache der NATO. Die derzeitige gemeinsame Außenpolitik der EU-Staaten entspricht nach wie vor der „Europäischen Politischen Zusammenarbeit“ (EPZ), die seit 1972 zwischen den EG-Staaten, außerhalb der EG, entwickelt worden ist.

Es ist dies eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit, mit der die Außenpolitiken der EU-Staaten harmonisiert und, soweit möglich, zusammengefaßt werden. Sie gehört zweifellos zu den großen Errungenschaften der westeuropäischen Europapolitik. Gleichzeitig kann jedoch eines nicht übersehen werden. Diese Zusammenarbeit vollzieht sich bis heute unverändert so, wie dies bereits Anfang der sechziger Jahre von dem Frankreich de Gaulles (im Zusammenhang mit der Vorstellung von einem „Europa der Vaterländer“) vorgeschlagen, wie dies damals in der EG als integrationswidrig abgelehnt und wie dies dann aber zehn Jahre später von den EG-Staaten mit der EPZ begonnen worden war. Von irgendeiner außen-politischen Integration konnte und kann nicht die Rede sein. Zudem zeigen die seit inzwischen fast einem Vierteljahrhundert aufgelaufenen Erfahrungen, daß dieser außenpolitischen Zusammenarbeit auch nach Jahrzehnten westeuropäischer Gemeinsamkeit deutliche Grenzen gesetzt bleiben. Das jüngste, aber nicht undeutlichste Beispiel hierfür ist die Rolle der EU-Staaten und der EU im Jugoslawienkonflikt. Aus einer parallelen Betrachtung der Entwicklungen in der zwischenstaatlichen politischen Zusammenarbeit (EPZ/GASP) und der Entwicklungen in der gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Zusammenarbeit (EG) wird deutlich, daß sich die gesamte EU-Politik tendenziell von einer Politik des Zusammenschlusses in Richtung einer Politik der Zusammenarbeit bzw. von einer integratorischen in Richtung einer kombinatorischen Politik entwickelt. Bis Maastricht galt es als eines der Ziele der Europapolitik, auch die EPZ zu einer integratorischen Zusammenarbeit auszubauen, so wie sie wirtschaftlich in der EG entwickelt worden war. Mit und seit Maastricht hat sich das Verhältnis um-gekehrt. Jetzt entwickelt sich die wirtschaftliche EG-Politik tendenziell zu einer kombinatorischen Zusammenarbeit, so wie sie in der EPZ entwickelt worden ist. Nirgends wird im übrigen so wie in der früheren EPZ und heutigen GASP deutlich, daß sich der gemeinsame politische Nenner von dem Moment an auflockerte, von dem an die Notwendigkeit zu einem „Zusammenrücken“ und „Zusammenraufen“ entfallen war.

Als eine Folgeerscheinung des Trends vom Integratorischen zum Kombinatorischen belebt sich in der EU die Vorstellung von einer Weiterführung der Zusammenarbeit mit „zwei Geschwindigkeiten“. Die Formel bezeichnet die früher schon in der EG immer wieder einmal ventilierte Vorstellung, daß in Fällen, in denen gleichzeitiges gemeinsames Handeln nicht möglich ist, die europäische Zusammenarbeit nicht von allen, sondern nur von einigen EG/EU-Mitgliedern vorangebracht werden solle, wobei sich die übrigen Mitglieder ihnen später, wenn sie dazu in der Lage und bereit seien, anschließen könnten. Seit Maastricht ist diese Vorstellung u. a. ständiger Bestandteil der Diskussion über eine Verwirklichung des Projektes einer Wirtschafts-und Währungsunion.

Mit dem Begriff „zwei Geschwindigkeiten“ wird der Eindruck erweckt, daß sich die gemeinsame Erreichung eines gemeinsamen Ziels nur zeitlich etwas variiere. Tatsächlich aber würde das EU-System voraussichtlich aufgespalten werden. Denn die Entwicklung würde sich vermutlich so gestalten wie in einer Autokolonne, in der die Fahrer der großen Wagen von Mercedes und Citroen den Fahrern der kleinen Seat und Fiat sagen, sie führen nun schneller und ohne Halt weiter, aber die Kleineren könnten ja folgen, und wenn sie aufgeholt hätten, sei man wieder beisammen. Ebenso wie das heutige Subsidiaritätsprinzip dem früheren Leitgedanken von einer inhaltlich umfassenden Integration widerspricht, so widerspricht die Vorstellung von „zwei Geschwindigkeiten“ dem früheren Leitgedanken von einer politisch-strukturell einheitlichen EU. Mit „zwei Geschwindigkeiten“ würde sich das in der EU Erreichte, der sogenannte „acquis communautaire“, mehr und mehr in einen fortschrittlichen und einen weniger fortschrittlichen, in einen besseren und einen allgemeinen Teil aufteilen, sozusagen in einen „acquis communautaire de luxe“ und einen „acquis communautaire commun". Und es würde damit die Einheitlichkeit des politischen Regimes innerhalb der EU („Brüssel“), eines der Grundprinzipien aller EU-Politik, gefährdet. Vollends deutlich wird die Spaltungstendenz, wenn Protagonisten einer solchen Europapolitik an Stelle von „zwei Geschwindigkeiten“ unverhohlen „konzentrische Kreise“ oder gar ein „Kern-Europa“ anstreben. Zu „Zentrum“ und „Kern“ gehören Peripherie und Umfeld. In internationaler Politik sind sie daher Synonyme für Beherrschung und Vorherrschaft.

In die Beurteilung dieses Trends muß allerdings auch einbezogen werden, daß die Vorstellung von „zwei Geschwindigkeiten“ im Integrationsprozeß der EU nicht nur ein partikular gewolltes Vorangehen mit einer größeren, sondern auch ein partikular gewolltes Zurückbleiben mit einer geringeren Geschwindigkeit erfaßt. Noch beim Abschluß des Vertrags von Maastricht galten das Ausscheren Großbritanniens aus der gemeinsamen Sozialpolitik und das britische Privileg der Möglichkeit eines „opting out“ aus der WWU als Sündenfälle, und die Sonderregelungen für Dänemark wurden als absolute Ausnahme deklariert. Inzwischen paßt sich eine solche Zurückhaltung ebenso wie die Vorstellung von einem Vorpreschen in den Trend einer Partikularisierung des Integrationsprozesses ein. Dieser wird sich in der nunmehr auf 15 Mitglieder angewachsenen und sich vermutlich noch erweiternden EU aller Voraussicht nach noch verstärken. Der Trend macht eine zusätzliche Betrachtungsweise erforderlich.

Wie bei jeder größeren Gruppe so ist auch bei größeren Staatengruppen die Bildung von Untergruppen eine Art natürlicher Prozeß. In der erweiterten EU könnten dies sachlich oder regional begründete Gruppen sein. Sie könnten im Europäischen Binnenmarkt dort zustande kommen, wo für eine Vereinheitlichung des Marktgeschehens im EU-Raum nicht zwingend alle EU-Staaten gemeinsam handeln müssen. Sachlich vorstellbar wäre beispielsweise eine mehr als in der gesamten EU verdichtete Zusammenarbeit einiger EU-Staaten auf dem Gebiet der Sozialpolitik. Auch werden in einer größeren EU regionale Gemeinsamkeiten vermutlich stärker artikuliert werden als früher. Die Südstaaten der EU haben ihre geographische und sachliche mediterrane Zusammengehörigkeit ja schon bisher häufig unter Beweis gestellt. Vergleichbar werden vermutlich die skandinavischen Staaten ihre traditionelle Gruppenzusammengehörigkeit auch als EU-Mitglieder weiter pflegen (und dabei Norwegen sicher nicht völlig „im Regen stehen lassen“). Es dürfte auf diese Weise vermutlich das entstehen, was sich funktionalistisch als „variable Geometrie“ (Jacques Delors) bezeichnen läßt, was den „zwei Geschwindigkeiten“ ähneln mag, sich von ihnen aber in einem wesentlichen Punkt unterscheidet.

Die Entwicklung solcher partieller Gemeinsamkeiten innerhalb der EU könnte der Grundidee von einer EU-Gemeinsamkeit gemäß sein, wenn sie nicht zu „Zentrum“ oder „Kern“ mit Peripherie und Umfeld führt, sondern eine weitere EU-Gemeinsamkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit möglich und das einheitliche politische Regime erhalten bleibt. Wenn also in besagter Autokolonne die großen Wagen nicht zu schnell fahren und der Abstand zwischen ihnen und den kleinen Wagen nicht zu groß wird. Das sogenannte „Schengener Abkommen“ für die Aufhebung von polizeilichen Grenzkontrollen zwischen EU-Staaten, an dem nur ein (sich vergrößernder) Teil der EU-Staaten teilnimmt, ist ein positives Beispiel für eine sachlich-geographische Teilvereinbarung. Das auf dem Gipfel in Essen beschlossene EUROPOL könnte sich womöglich ähnlich entwickeln. Ein Sprung von einigen wenigen (wirtschaftlich starken) EU-Staaten in eine gemeinsame Wirtschafts-und Währungsunion mit zwangsläufig eigenem Regime und unter gemeinsamer (Teil-) Souveränität und die damit notwendigerweise verbundene Errichtung einer wirtschafts-und währungspolitischen Mauer gegenüber den anderen (wirtschaftlich schwächeren) EU-Staaten hingegen wäre ein partikulares Vorangehen mit Spaltungseffekt. Eine allein deutsch-französische Wirtschafts-und Währungsunion wäre zudem ein „Kern“ mit einem sehr partikularen Hegemonialeffekt. Ein von einigen EU-Staaten gebildeter eher flexibler Währungsverbund nach dem Muster des früheren „Europäischen Währungssystems“ (EWS) hingegen entspräche, ähnlich wie das Schengener Abkommen, einer EU-konformen „variablen Geometrie“.

Der seit Maastricht veränderte Zustand der EG/EU, wie er aus den Trends zur Renationalisierung, Subsidiarisierung und Partikularisierung, vom Integratorischen zum Kombinatorischen usw.deutlich wird, ist zunächst nichts anderes als das Ergebnis von Beschlüssen der EU-Staaten. Die EU ist integratorisch so aufgelockert, wie sie ist, und die Europapolitik ist so diffus, wie sie ist, weil die EU-Staaten dies offensichtlich so wollen. Alles, was -gemessen an den Maßstäben früherer EG-Politik -heute als falsch erscheinen mag, ist -gemessen an der heutigen Beschlußlage -sozusagen , richtige 1 EU-Politik. Denn es ist das Ergebnis des Konsenses der EU-Staaten. Doch der Konsens ist nicht das Ergebnis einer gemeinsamen Entscheidung für eine Option, er ist das Ergebnis der neuen Lage seit dem Epochenwechsel in den Jahren 1989 bis 1991 .

Jahrzehntelang waren im geteilten Europa die politische Aufgabe und der geographische Aktionsbereich der EG/EU durch den Westblock festgelegt. In diesem vorgegebenen Rahmen konnte sich die Integrationspolitik der EG entwikkeln und, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet, herausragende Erfolge erzielen. Seit dem Wegfall dieses Rahmens und mit ihm der Teilung Europas befinden sich die EU-Staaten offenbar in einem

Prozeß der Re-Europäisierung, der Rückentwicklung auf die typisch europäische, kulturell bedingte politische Vielfalt. Der EU geht dabei vermutlich von dem, was sie in der europäischen Ausnahmesituation des Kalten Krieges erreicht hat, nichts verloren, was nicht ohnehin nicht mehr in die veränderte europäische Landschaft passen würde. Durch ihre derzeitige interne Entwicklung kann die EU weder besser noch schlechter, sie wird vermutlich nur anders werden.

Die derzeitigen Entwicklungstrends in der EU lassen vermuten, daß sich diese voraussichtlich, von Beschluß zu Beschluß der EU-Staaten, auf das von de Gaulle anvisierte „Europa der Vaterländer“ hin entwickeln wird. Dies bräuchte nicht gleichbedeutend sein mit einem Rückfall in die nationalstaatlichen Irrungen und Wirrungen des 19. Jahrhunderts. Allerdings müßten einige neue Ansätze und Formen für die Politik der europäischen Einigung gefunden werden. Das Ziel könnte nicht mehr die (ohnehin von niemandem ernsthaft gewünschte) Abschaffung, sondern müßte die vernünftige Verwendung des Nationalstaates sein. Sie bestünde in einer Einbindung der europäischen Staaten in einem gemeinsamen Staatenverbund. Dabei sollte sich die Politik nicht mit Theoriediskussionen wie „Bundesstaat oder Staatenbund“ aufhalten, sondern der Linie folgen: Zusammenschluß so eng und so schwer auflösbar wie möglich. Zunächst aber kann vermutet werden, daß der Gegenstand der Maastricht-Revisionskonferenz von 1996 eine andere EU sein wird, als man sie sich vor und in Maastricht vorgestellt haben mag.

Für die Zukunft Europas und der EU wären neue, der neuen Lage angemessene Entwürfe vorstellbar. Doch die gegenwärtige Übergangsphase ist dem Entstehen eines europäischen „Grand Design“ oder gar einer europäischen Vision nicht günstig. So bleibt das pragmatische Vorangehen in kleinen Schritten. Es würde jedoch nicht genügen, wollte man sich auf der Revisionskonferenz etwa darauf beschränken, die mit der Vergrößerung der EU verbundenen internen funktionellen Probleme zu regeln (so wichtig diese auch sein mögen) und den Rest „fortzuschreiben“, d. h. weiter zu vertagen. Auch mit einem neuen Konglomerat von Formelkompromissen, Überbrückungsformulierungen und Undeutlichkeiten ä la Maastricht-Vertrag wäre nicht gedient. Die EU befindet sich an einem Wendepunkt und mit ihm in einer Orientierungskrise. Ünd angesichts der eindeutigen Trends der Auflockerung kann diese Krise, wenn sie fortdauert, auch an die Existenz der EU rühren.

Für eine neue Orientierung wird die EU bald Antworten auf drei konzeptionelle Fragen finden müssen:1. Welches Europa ist künftig Gegenstand gemeinsamer Europapolitik?

2. Wie kann all das, was in der EU bisher an Positivem erreicht wurde, in diesem Europa fortentwickelt werden? 3. Was ist die künftige „Finalität“ der Europapolitik? Es muß also in der EU eine Meinungsbildung und Entscheidung zu drei Fragenkomplexen herbeigeführt werden:

-Welche Staaten müssen noch in die EU aufgenommen werden, um im ungeteilten Europa aus EU-Politik Europapolitik werden zu lassen;

wie viele und welche Staaten können noch aufgenommen werden, ohne die politische Homogenität der EU zu zerstören; welche Beziehungen sollen zu den nicht aufgenommenen derzeitigen Beitrittskandidaten entwickelt werden?

-Soll es das Ziel sein, dieses „EU-Europa“ möglichst zügig zu schaffen, oder soll der maximale Erhalt des bisher in der EU Erreichten Priorität haben?

-Soll dieses „EU-Europa“ ein politisch angereicherter Europäischer Binnenmarkt bleiben, oder soll es eine politische Gemeinschaft, also auch eine politische Union, eine Wirtschaftsund Währungsunion (neuer Art) und eine militärische Sicherheitsgemeinschaft werden?

Eine intern sich verändernde „Europäische Union“ in einem radikal veränderten Europa, das schafft eine Lage, in der sich manches europapolitisch Notwendige wie ein Neuanfang ausnimmt. Mit einer Entscheidung über die endgültige Gestalt der EU würde diese in gewisser Weise neu gegründet. Mit einer Entscheidung über eine europäische Sicherheitsgemeinschaft müßte das amerikanisch-europäische Verhältnis praktisch neu gestaltet werden. Kurz: Aus dem radikalen Epochenwechsel in den Jahren 1989 bis 1991 müßten ebenso radikale Konsequenzen gezogen werden. Doch die europäische Herausforderung bleibt grundsätzlich die gleiche wie am ersten Tag der europäischen Integrationspolitik. Damals, am 9. Mai 1950, an dem alles anfing, sagte der französische Außenminister Robert Schuman, als er die „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS) vorschlug, ein geeintes Europa werde nur „durch konkrete Tatsachen entstehen“. Der Wendepunkt ist da. Er läßt sich nicht beliebig dehnen. Er muß, soll die Europapolitik weitergehen, genutzt werden.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Hans Arnold, Dr. phil., geb. 1923; von 1951 bis 1986 im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland, u. a. in Paris und Washington; Botschafter in den Niederlanden, in Italien und bei der UNO in Genf; Publizist. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit William Nicholson) Der Marsch -Aufbruch der Massen nach Europa, Rosenheim 1991; Europa am Ende? Die Auflösung von EG und NATO, München 1993; Deutschlands Größe. Deutsche Außenpolitik zwischen Macht und Mangel, München 1995; zahlreiche Beiträge in Sammelbänden, Zeitschriften und Zeitungen.