Seit längerem schon argwöhnen die ASEAN-Staaten, aber z. B. auch Südkorea und Taiwan, daß die einzig verbliebene Supermacht USA ihr Engagement in Asien abbauen will. Präsident Clinton steht unter innenpolitischem Druck, die weltweite Militärpräsenz der USA zu reduzieren. Nach den „Halbzeitwahlen“ zum Kongreß und in mehreren Bundesstaaten der USA, die zu einem Desaster für den Präsidenten wurden, hat sich dieser Druck verschärft. Aus der Sicht der meisten asiatischen Staaten aber sind die USA mit ihrer militärischen Präsenz der einzig verläßliche Ordnungsfaktor in der Region. Ein amerikanischer Rückzug könnte Japan dazu verführen, stärker aufzurüsten; das. würde China mit eigenen Rüstungsanstrengungen beantworten: In Nordostasien wäre ein Rüstungswettlauf unvermeidlich, der auch für Südostasien unabsehbare Konsequenzen hätte. Die jahrelange handelspolitische Konfrontation mit den USA, aber auch ein neues Selbstbewußtsein asiatischer Staaten, das sich u. a. in einer offensiven Wertediskussion gegenüber den USA äußert, haben in Japan zu einer „Wiederentdeckung Asiens“ geführt. Die Region Asien hat Nordamerika als wichtigsten Handelspartner Japans überholt, japanische Investitionen gehen verstärkt nach Asien, und auch die japanische Politik setzt zunehmend auf die asiatischen Partner. Der politische Dialog, den Japan mit der ASEAN führt, hat längst auch sicherheitspolitische Bedeutung gewonnen (z. B. „ASEAN Regional Forum“, ARF), Staaten wie Malaysia oder Singapur setzen jetzt auf Japan als eine mindestens regionalpolitische Ordnungsmacht: Die wirtschaftliche Supermacht Japan sieht sich zunehmend auch mit sicherheitspolitischen Aufgaben konfrontiert und könnte sich zu einer „Großmacht wider Willen“ entwickeln.
I. Asien -neue Bedeutung für die japanische Wirtschaft
Die weltwirtschaftliche Rezessionsphase der letzten Jahre hat auch die asiatischen Länder getroffen, wenngleich weit weniger stark als die Staaten Europas oder die USA. Fühlbar war allerdings die Schwäche auf diesen wichtigen Absatzmärkten für alle Länder Asiens, sieht man einmal von der überhitzten Konjunktur in China ab, die durch Investitionsschübe ausländischer Unternehmen vor allem aus der asiatisch-pazifischen Region angeheizt wurde. Auch in Japan machte sich angesichts starker Umsatz-und Gewinneinbrüche selbst erstklassiger Unternehmen Krisenstimmung breit. Dies sollte jedoch nicht überbewertet werden, denn in Japan spricht man schon von einer „Krise“, wenn die realen Wachstumsraten unter drei Prozent sinken. Die wirtschaftliche Schwäche der wichtigsten westlichen Industrieländer bewog japanische Unternehmen, nach neuen Märkten Ausschau zu halten: Die dynamische westpazifische Subregion der ASEAN-Staaten (Association of South-East Asian Nations), die NIEs (Nevvly Industrializing Economies) und China, aber auch Vietnam, Australien und Neuseeland mit der südpazifischen Region boten sich an.
Jahrelang hatten japanische Unternehmen mit ihren Kapitalüberschüssen nur nach Investitionsmöglichkeiten in Europa und den USA gesucht. Die asiatischen Länder wurden eher als Vasallen-staaten gesehen; hier nutzte man billige Arbeitskräfte und im Export nach Europa die Quoten dieser Länder durch Fertigung in der ASEAN u. a. aus. Seit Beginn der neunziger Jahre aber hat sich im Verhältnis zwischen Japan und seinen asiatischen Nachbarstaaten ein ebenso subtiler wie nachhaltiger Wandel vollzogen: Japans Wirtschaft setzt immer stärker auf die asiatischen Märkte als vielversprechende Absatzregion; die Verlagerung arbeitskräfteintensiver Produktion in Billiglohnländer verliert für die Großunternehmen Japans allmählich an Bedeutung. Daraus folgt aber keinesfalls ein Absinken der japanischen Direktinvestitionen z. B. in der ASEAN, vielmehr kann man von einer „zweiten Welle“ sprechen: Den Großunternehmen folgen jetzt die japanischen Klein-und Mittelbetriebe, die ebenfalls die hohen Lohn-kosten in Japan nicht mehr verkraften können.
Die neue Bedeutung Asiens für die japanische Wirtschaft läßt sich an vier Tatsachen ablesen: -Im Jahre 1991 überholte die Region Asien den Markt USA als größtes Absatzgebiet für japanische Exporte. Darin sind zwar auch die Zulieferungen aus Japan für japanische „Transplants“ in Asien, also ausgelagerte Produktionen, eingeschlossen, aber zunehmend entdecken Japans Unternehmen die asiatischen Märkte auch für Konsumgüter und den Maschinenexport. -Der japanische Handelsbilanzüberschuß mit allen asiatischen Handelspartnern insgesamt überstieg 1993 erstmals den politisch so brisanten Überschuß mit den USA. Für 1994 wird damit gerechnet, daß die Gesamtinvestitionen japanischer Unternehmen in Asien die Investitionen in den USA übertreffen werden -Auch die Kapitalströme aus Japan werden umgelenkt: Während die kapitalstarken japanischen Unternehmen in den achtziger Jahren in großem Stil vorwiegend Wertpapier-Investitionen in den USA und Europa tätigten, hat sich der Trend im Kapitalverkehr erkennbar verändert: Zum ersten-mal flössen mehr japanische Bankkredite in das kapitalhungrige Asien als nach Europa. -Die öffentliche Entwicklungshilfe Japans (ODA) mit einem Jahresvolumen von 4, 1 Mrd. US-Dollar geht zu mehr als 60 Prozent in asiatische Länder, vor allem nach China und Indonesien.
Mit den Ländern Südostasiens und darunter mit den NIEs (Südkorea, Singapur, Hongkong, Taiwan) verzeichnete Japan 1993 einen Anstieg der Handelsbilanzüberschüsse (Bilanz der laufenden Posten) von 43, 60 Milliarden US-Dollar 1992 auf 56, 90 Milliarden US-Dollar 1993; davon lagen die Überschüsse mit Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur bei 51, 05 Milliarden US-Dollar gegenüber 41, 64 Milliarden US-Dollar 1992. Im Vergleich erreichten die japanischen Handelsbilanzüberschüsse allein mit den USA 1992144, 46 Milliarden US-Dollar und 1993 50, 82 Milliarden US-Dollar. Als Grund für den Anstieg der Überschüsse mit „Südostasien“ (vom japanischen Finanzministerium weit gefaßt: Afghanistan bis Südkorea, eingeschlossen alle ASEAN-Staaten) wurde die verstärkte Verwendung japanischer Bauteile in südostasiatischer Produktion genannt. Der Anteil solcher Zulieferungen ist zwar unverändert hoch und treibt die japanischen Exportzahlen nach oben; die Produkte aus der Fertigung japanischer „Transplants“ in Südostasien gehen noch zu einem großen Teil als südostasiatische Ausfuhren in Drittmärkte. Aber immer stärker gewinnen die asiatischen Fertigungsstandorte japanischer Unternehmen auch als eigenständige Absatzmärkte an Bedeutung.
Japanische Direktinvestititionen in Asien insgesamt verdreifachten sich zwischen 1986 und 1993 von 2, 3 Milliarden US-Dollar auf 7, 3 Milliarden US-Dollar, etwa ein Fünftel aller japanischen Auslandsinvestitionen. Nach Schätzungen des Wirtschaftsministeriums MITI werden die japanischen Direktinvestitionen in Asien 1994 auf 37, 5 Prozent aller Auslandsinvestitionen Japans steigen; setzte sich diese Zuwachsrate fort, könnte Asien die USA bis Ende der neunziger Jahre als wichtigste Zielregion von Investitionen überholt haben. Japanische Direktinvestitionen in Asien kamen in vier „Wellen“: Zuerst wurden Investitionen zur Erschließung von Rohstoffen (Energieträger, industrielle Rohstoffe) getätigt, Träger waren vor allem die riesigen japanischen Generalhandelshäuser, die noch heute den größten Teil des japanischen Außenhandels abwickeln. In einer zweiten (1978 bis 1984) und dritten Welle (1985-1989) verlagerten japanische Unternehmen der verarbeitenden Industrie (Textilien, Elektronik) arbeitskräfte-intensive Fertigungen in asiatische Nachbarländer: erst die Großunternehmen, dann auch die Klein-und Mittelbetriebe (s. u.). Zielländer waren in diesen Phasen vor allem die NIEs, später die ASEAN-Staaten. Die gegenwärtige vierte Welle japanischer Investitionen in asiatischen Ländern, die 1991 einsetzte, zielt auf diese Länder als Absatzmärkte und darunter vor allem auf Chinas gigantischen Verbrauchermarkt. Inzwischen sind an diesen Investitionen auch nebeneinander Unternehmen aller Größenordnungen beteiligt.
Die parallel zu den Investitionen steigenden Handelsbilanzüberschüsse mit asiatischen Partnern werden von japanischen Beobachtern nicht als politisch brisant angesehen, weil diese Tendenz durch die wachsenden Handelsvolumina überdeckt werde. Eine politische Brisanz vergleichbar der, wie sie sich aus dem unausgewogenen Handel mit den USA ergibt, wird für Asien nicht erwartet. Ein Yen-Block ist eher unwahrscheinlich, aber das japanische Engagement macht die Region in zunehmendem Maße kohärent, harmonisiert wirtschaftspolitische Zielvorstellungen und gibt damit den asiatischen Ländern insgesamt gegenüber Europa und den USA größeres Gewicht Hinzu kommt in Japan ein tiefgreifender Umdenkungsprozeß in der traditionellen Wirtschaftspolitik: Seit der Meji-Zeit (1868-1912) galt der eiserne Grundsatz, daß alle Produkte, von Reis bis zu hochwertigen Kapitalgütern, in Japan selbst gefertigt werden müßten (deshalb auch die jahrzehntelange Marktabschottung). Jetzt rechnen Japans Planer damit, daß diese sogenannte „full-set economy“ aufgebrochen und in Zukunft ein wachsender Anteil von japanischen Erzeugnissen der verarbeitendenden Industrie in ausländischen Produktionsanlagen japanischer Unternehmen hergestellt werden wird. Industrielle Fertigwaren machten 1993 mehr als fünfzig Prozent der japanischen Importe aus Asien aus 1. Japans Klein-und Mittelunternehmen in Asien: Beispielhafte Prozesse In den frühen achtziger Jahren flössen japanische ausländische Direktinvestitionen (FDI) insgesamt zu über 50 Prozent in die USA und nach Europa. Mit Ausnahme dieses Zeitraums nahmen die kumulierten japanischen FDI in Asien (die NIEs ohne Singapur; ASEAN und China) stets einen Spitzenplatz ein und zogen seit 1985 jährlich über 60 Prozent der neuen japanischen FDI auf sich. Bis 1988 rangierten die NIEs auf den ersten Plätzen japanischer FDI in Asien mit 50 Prozent der japanischen ausländischen Gesamtinvestitionen, danach sank ihr Anteil auf rund 20 Prozent, während sich der ASEAN-Anteil deutlich erhöhte. Von 1989 bis 1991 stieg besonders der jährliche Anteil von FDI japanischer Unternehmen in der ASEAN auf über 30 Prozent. Führend daran beteiligt waren die japanischen Klein-und Mittelunternehmen (KMU: bis 300 Mitarbeiter). Mehr als die Hälfte aller FDI japanischer KMU ging in diesem Zeitraum pro Jahr dorthin.
Im Jahre 1991 stagnierten tendenziell die FDI japanischer Unternehmen insgesamt, aber die FDI in China verzeichneten einen Anstieg auf anteilig 20 Prozent aller japanischen FDI. 1992 sanken die japanischen FDI anteilig in den NIEs auf 8, 2 Prozent, in der ASEAN auf 22, 7 Prozent, in China dagegen stiegen sie auf anteilig 52, 2 Prozent. Im weltweiten Vergleich japanischer FDI nach Industriesektoren führten 1992 Unternehmen des Maschinenbaus; in China jedoch übertrafen Inve-stitionen der Bereiche Textilien und „sonstige“ Fertigwaren den Maschinenbau. Besonders Japans „mittelständische“ Textilunternehmen zeigten ein starkes Interesse an China: Mehr als 80 Prozent ihrer FDI gingen 1992 nach China (vgl. Tabelle).
Seit 1985 wanderten die japanischen KMU aus den NIEs ab und konzentrierten ihre FDI auf die ASEAN-Staaten (ohne Singapur); neben diesem ersten Merkmal war ein zweiter Trend zu erkennen: Eine deutliche Erhöhung des Maschinenbau-Anteils an den gesamten FDI der KMU. Der Grund dafür lag in dem schnellen Ausbau der Montagewerke japanischer Großunternehmen; diese suchten jetzt in der ASEAN die gleichen Zuliefersysteme aufzubauen, wie sie das duale System (Großunternehmen/KMU-Zulieferer) in Japan kennzeichneten. Die einheimischen Zulieferer konnten bis Ende der achtziger Jahre nicht die verlangte Qualität liefern, deshalb wurden die japanischen Zulieferer von ihren Abnahmeunternehmen zum „Nachfolgen“ mit eigenen FDI aufgefordert. Neben diesen Grund für FDI-Entscheidungen japanischer KMU trat der durchaus eigenständige Wunsch, eigene Marktpräsenz mit Produkten zu erreichen, die für die Region attraktiv waren.
Wichtigster Grund für die Zuwanderung japanischer KMU in die ASEAN aber war das Ziel der Großunternehmen Japans in der Region, ein tragfähiges, qualitativ hochwertiges System von „örtlichen Hilfs-bzw. Zulieferindustrien“ (supportive Industries) aufzubauen. Mit einem „japanischen Kern“ mußte in der Folge zwangsläufig auch ein rein lokales Netzwerk einheimischer Zulieferer entstehen, und damit deckte sich die FDI-Strategie der japanischen „Großen“ wie der KMU weitgehend mit den Entwicklungsstrategien der meisten ASEAN-Regierungen. Dabei berücksichtigen die Regierungen durchaus die Sorge einheimischer KMU, an die vordringenden japanischen KMU Marktanteile zu verlieren; deshalb sind die FDI ausländischer (i. e. fast ausschließlich japanischer) KMU an Auflagen gebunden, die einen Technologie-und Know-how-Transfer gewährleisten sollen, um so einen ripple effect zu erzielen. 2. Konflikt der Wertesysteme? Japans flexibler Pragmatismus Im Gegensatz zu den USA oder europäischen Ländern sind Japans Politiker und Großunternehmen nicht daran interessiert, auf die soziale Situation bei ihren Partnern Einfluß zu nehmen. Eine Verknüpfung von handelspolitischen Vorteilen (z. B. Meistbegünstigung) mit sozialen Forderungen, wie es die USA gegenüber China versucht hatten, lehnt man in Japan ab Die japanische Regierung legt bei den Vergaberichtlinien für öffentliche Wirtschaftshilfe formelle Kriterien wie Schutz der Menschenrechte, Demokratie und Reduzierung der Rüstungsausgaben zugrunde, aber diese selbst-gewählten Maßstäbe werden nicht konsequent eingehalten, wie das Beispiel China nach dem Tienanmen-Ereignis zeigt.
Japans Medien üben vordergründig Zurückhaltung in den schwelenden Auseinandersetzungen zwischen den USA und Staaten wie China oder Indonesien, in denen es um Menschenrechtsverletzungen contra Handelsvorteile geht, aber westliche Staaten werden gern an ihre „schwarzen Taten“ aus kolonialer Vergangenheit erinnert, die ihr moralisches Recht zu Kritik an Menschenrechtsverletzungen zweifelhaft erscheinen ließen (die eigene Kolonialvergangenheit wird seltener damit in Zusammenhang gebracht) 3. Widerstand gegen regionale Blockbildungen Japans große Sorge ist die Verfestigung von regionalen Handelsblöcken; die Regierung in Tokyo sieht solche Blöcke in Nordamerika (NAFTA: North American Free Trading Area) und in Europa (EU) und will verhindern, daß im asiatisch-pazifischen Raum ähnliche Exklusivgruppierungen entstehen. So betrachtet Japan die APEC (Asia Pacific Economic Cooperation) auch als Kommunikationsorganisation und nicht als entstehenden Handelsblock. Das amerikanische Ange bot, ausgewählte asiatische Länder in die NAFTA aufzunehmen, wurde in Tokyo scharf abgelehnt Noch vorsichtiger als bei der Institutionalisierung einer Gruppierung wie der APEC ist die japanische Regierung bei dem malaysischen Konzept EAEC (East Asia Economic Caucus), einer asiatischen Exklusivgruppe, der nach den Vorstellungen des malaysischen Regierungschefs Mahathir die USA, Australien und Neuseeland nicht angehören sollten. Institutionalisierte Mechanismen multinationaler Entscheidungssysteme wie in der EU sehen sowohl die USA als auch Japan als eine innere Gefahr für die APEC. Vielleicht deswegen suchen japanische Unternehmen und Verbände der APEC noch andere Strukturen beizuordnen, die von privaten Initiativen getragen werden, so z. B. das „APB-Net“ (Asia Pacific Business Network). Diesem Gesprächskreis gehören Wirtschaftsorganisationen, Vertreter von Unternehmen und regionalen Staatengruppen aus den 16 APEC-Staaten an, die über einen intensiven Dialog den Zusammenhalt der überaus heterogenen Gruppierung festigen wollen. Eine weitere Initiative ist die „Eminent Persons Group“ (EPG), die der APEC als eine Art „think tank“ dient. Diese Gruppe hat im September dem APEC-Ministerrat eine Denkschrift vorgelegt, nach der bis zum Jahr 2020 in Asien die „freieste und offenste Handels-region der Welt“ entstehen soll
Die APEC soll nach japanischen Vorstellungen folgende Aufgaben erfüllen: -Förderung weiterer handelspolitischer Liberalisierung im Rahmen des GATT/WTO; dabei soll es jedoch keinen festen Zeitplan geben. -Verhinderung, daß Fragen des Umweltschutzes, der Arbeitsbedingungen, Schutz der Menschenrechte „und andere nicht-handelsbezogene Themen“ mit dem freien Handel zwischen den APEC-Mitgliedern verknüpft werden. -Förderung besonders von Klein-und Mittel-unternehmen
Weniger Sorgen bereitet der japanischen Wirtschaft und Regierung das Konzept einer AFTA (ASEAN Free Trading Area), das 1992 vorgeschlagen worden ist. Ziel der AFTA sollte der Abbau von Zöllen und Grenzabgaben innerhalb der ASEAN in den folgenden 15 Jahren auf unter fünf Prozent sein; die Senkung sollte durch den soge-nannten „Cept“ (Common Effective Preferential Tariff) erreicht werden. Die japanische Gelassenheit gegenüber der AFTA ist aus zwei Gründen erklärlich: Zum einen sind japanische Unternehmen als „Transplants“ längst zu ASEAN-Unternehmen geworden und würden von Cept-Regelungen profitieren, zum anderen blockieren weniger weit entwickelte ASEAN-Staaten wie Indonesien und die Philippinen eine schnelle Entwicklung der AFTA. Auf einer AFTA-Konferenz im Mai 1994 wurde eine eher ernüchternde Zwischenbilanz gezogen
Japan weiß sich bei seinen Bemühungen, Blockbildungen zu verhindern, in bester asiatischer Gesellschaft: Während führende Politiker aus allen asiatisch-pazifischen Staaten -also auch Australien und Neuseeland -besonders die EU eindringlich, vor handelspolitischen Abwehrreaktionen warnen, üben sie zugleich Selbstkritik und sprechen sich gegen regionale Exklusivität aus. Die heftigen anfänglichen Reaktionen auf amerikanische Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in asiatischen Ländern haben nachdenklicheren Reaktionen und abgewogenen Gegenargumenten Platz gemacht; wirtschaftliche Offenheit regionaler Gruppierungen und die Bereitschaft zum kritischen Dialog mit diesen Gruppierungen werden jetzt in den Vordergrund gerückt.
Nicht zuletzt dank japanischer Bemühungen konnten führende Politiker asiatischer Staaten im Mai 1994 auf einer Konferenz in Singapur (ohne Japan!) in weitgehender Übereinstimmung Selbstkritik an den hohen sozialen Opfern wirtschaftlicher Modernisierung (Malaysia) oder an den Abschottungstendenzen asiatischer Handelsgruppierungen (China) üben. Natürlich wurde auch die „überhebliche Kritik des Westens“ an vielen Staa ten Asiens angeprangert, und der Westeix wurde auch davor gewarnt, Staaten wie China zu isolieren, indem die NAFTA nur nach Süden (i. e. Südamerika) blickt und die EU nur nach innen. Dieses hätte zwei Konsequenzen, die natürlich vor allem für Japan unkalkulierbar wären: China könnte wieder das introvertierte Land der Vergangenheit werden; ebenso wie bei anderen, wirtschaftlich schwächere Staaten Asiens würde das zu wachsender Aggressivität, stärkerer Rüstung und deshalb Instabilität im asiatisch-pazifischen Raum führen. Das Wirtschaftswachstum in Asien würde dann zwar gebremst, aber nicht aufgehalten werden, weil die Wachstumsbedingungen in der Region (Rohstoffreichtum, niedrige Löhne, hohe Bildung, Kapital, weitreichende wirtschaftliche Verflechtung) allein schon Wachstum generieren würden. Die Folge aber wäre für den Westen fatal: Eine asiatische Blockbildung, die man verhindern wollte, müßte dann zwangsläufig eintreten 4. Japans Rückkehr nach Asien? Regierungschef Murayama setzt Signale in Südostasien 1994 hat Japan mit Tomiichi Murayama zum erstenmal seit 1948 einen sozialistische Regierungschef, aber die außen-und innenpolitischen Grundsätze dieser Regierung werden vom größeren Koalitionspartner der Sozialisten -der früheren Regierungspartei LDP (Liberal-Demokratische Partei) -bestimmt. Das gilt auch für die japanische Asienpolitik, zumal die Sozialisten unter Murayama alte Grundsätze über Bord geworfen haben: Heute werden die „Selbstverteidigungsstreitkräfte“ (japanisch „Jieitai“, englisch SDF) anerkannt, der Sicherheitsvertrag mit den USA ebenfalls, die Sozialisten streben keine Neutralität für Japan mehr an, und auch die Kernenergie wird jetzt als unverzichtbar gewertet. So konnte Murayama mit seiner Diplomatie fugenlos bei der LDP-Außenpolitik ansetzen, schließlich ist sein Außenminister Yohei Kono Parteichef der LDP
Nach Reisen zum G-7-Gipfel in Italien und einem kurzen Besuch in Südkorea unternahm der sozialistische Regierungschef Japans seine nächste längere Auslandsreise nach Südostasien. Diese Reise sollte sowohl wirtschaftlich als auch politisch Zeichen setzen: In Südostasien müsse sich die japanische Wirtschaft weitere neue Aktionsfelder suchen (Vietnam), war das eine Signal; das andere war die Botschaft in Richtung Südostasien, daß Japan sich verstärkt international engagieren wolle. Skepsis war angebracht: Ein sozialistischer Regierungschef ohne außenpolitische Erfahrung mußte zwangsläufig in den besuchten Ländern auf Zurückhaltung stoßen. Das Außenministerium hatte deshalb für diese Reise auch eine sorgfältige Auswahl der Ziel-länder vorgenommen: die Philippinen, Vietnam, Malaysia und Singapur. Für die beiden ersten Länder sollte die Reise wohl sichtbares Zeichen des verstärkten japanischen Engagements dort sein, die Besuche in den beiden anderen Ländern konnten als Bekräftigung alter Freundschaften gelten. In jedem Fall waren es „sichere“ Gastländer, in denen ein japanischer Regierungschef mit freundlicher Aufnahme rechnen durfte.
Dennoch mußte sich Murayama auf zwei heikle Fragen vorbereiten, die zumindest aus japanischer Sicht ungelöste Probleme darstellten: die Aufarbeitung der eigenen Geschichte, d. h. das Bekenntnis zu den früheren Aggressionen im pazifischen Raum, und die Frage einer Entschädigung für die Opfer dieser Aggressionen. Die japanische Öffentlichkeit geht davon aus, daß in den Nachbarländern die historischen Altlasten Japans als Hindernis auf dem Weg freundschaftlicher Beziehungen gewertet werden. Mag sich darin auch eine Über-betonung dieses Problems ausdrücken -in Südostasien ist man viel eher bereit, die Vergangenheit nicht mehr aufzurechnen, wenn die Zukunft sich auszahlt -, die Entschädigungsfrage aber wird als Problem bleiben. Vorbild ist hier die südkoreanische Forderung nach Entschädigungsleistungen an die „Trösterinnen“, die Zwangsprostituierten der ehemaligen kaiserlichen Armee. Murayama schien jedoch entschlossen, diese Themen bei seinen Besuchen zu vermeiden Seine Reise sollte unterstreichen, daß „Asien die wichtigste Weltregion für uns ist“, wie ein Sprecher des Außenministeriums betont Die enorme Bedeutung, die Japans Politiker seit geraumer Zeit wieder den asiatischen Nachbarländern zumessen, wurde durch eine weitere Reise unterstrichen: Murayamas Parteigenossin (und jetzt kraft Amtes parteilos), die Sprecherin des Unterhauses, Takako Doi, besuchte zur selben Zeit Malaysia und Singapur sowie China Ein weiterer heikler Punkt war schließlich in Malaysia die japanische Stellungnahme zum Projekt des malaysischen Ministerpräsidenten Mahathir, der unermüdlich an seinem EAEC-Plan (EAEC = East Asia Economic Caucus oder „East Asia without Caucasians“, wie Spötter sagen) arbeitet, dem Japan ebenso unermüdlich ausweicht. Für Japan steht dabei eine mögliche Verschlechterung der Beziehungen zu den USA auf dem Spiel, denn die US-Regierung widersetzt sich vehement dem EAEC-Konzept, das alle „weißen“ Staaten im Pazifischen Raum (USA, Australien, Neuseeland) ausschließen soll Japan hat bereits seit einiger Zeit festgelegt, daß die offzielle Wirtschaftshilfe nur an Länder geleistet wird, die den Schutz der Menschenrechte gewährleisten und demokratische Regierungssysteme besitzen (oder glaubhaft anstreben...); gerade im Falle Chinas hat die japanische Regierung sich wenig konsequent gezeigt
Die Reise fand auch im letzten Jahr vor der fünfzigsten Wiederkehr des Jahrestages der japanischen Kapitulation 1945 statt, ein Ereignis, auf das sich Japans Regierung mit einem eigens gebildeten Komitee vorbereitet Aus der Sicht japanischer Beobachter konnte gerade dieses Erinnerungsdatum und die Konfrontation mit der Vergangenheit während der Südostasien-Reise zur Stabilisierung der Koalitionsregierung Murayama beitragen, denn: -Es gibt in Japan gegenwärtig keine vorstellbare Alternative zu dieser Regierung. -Die LDP, die einige der konservativsten Minister im Kabinett Murayama stellt, die gegen etwaige Entschuldigungen für vergangene Untaten wären, hat kein Interesse daran, durch eine „Falken-Position“ die Koalition zu gefährden. -Die Regierung Muiayama konnte ihr Bedauern und die Reue für Verbrechen aus der Kriegszeit ausdrücken, ohne wegen Japans früheren Schweigens heuchlerisch zu erscheinen, denn jetzt sprach ein Sozialist und kein LDP-Politiker
Im Jahre 1993 sprach der damalige Ministerpräsident Hosokawa erstmals unumwunden von einem japanischen „Aggressionskrieg“, weil er Chef einer Koalitionsregierung ohne LDP-Beteiligung war; am 15. August 1994 konnte auch Murayama anläßlich des 49. Jahrestages der Kapitulation ein Gleiches tun. Es bleibt die offene Frage einer Wiedergutmachung an die Opfer japanischer Kriegsverbrechen, vor allem für die Zwangsprostituierten, deren Zahl man auf rund 200000 schätzt Hier haben das japanische Außenministerium und das Finanzministerium die übereinstimmende Rechtsauffassung, daß alle Wiedergutmachungsforderungen auf zwischenstaatlicher Ebene geregelt worden sind, Rechtsansprüche bestünden nicht mehr *Doch niemand in der japanischen Regierung macht sich Illusionen: Ein ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat der UN für Japan ist ohne echtes Vertrauen in Südost-und Ostasien nicht vorstellbar. 5. Unsicherheitsfaktor China?
Im chinesisch-amerikanischen Konfliktfeld Menschenrechte stehen die meisten südostasiatischen Staaten auf der Seite Chinas. Das ändert aber nichts an der Unsicherheit, mit der die chinesische Politik in der Region beobachtet wird. Die Reise Murayamas sollte deswegen auch das unverändert starke Engagement Japans, ja die zunehmende japanische außenpolitische Initiative in Südostasien unterstreichen, der Besuch hatte auch einen unübersehbaren sicherheitspolitischen Aspekt. Japan und die übrigen Länder des pazifischen Raumes trauen der amerikanischen Präsenz langfristig nicht: So sehr sie die US-Menschenrechtspolitik attackieren, so sehr braucht man natürlich amerikanische Militärpräsenz in Asien. Auf der koreanischen Halbinsel garantieren US-Truppen die Stabilität, und letztlich ist der amerikanische Einfluß auf Japan, ausgedrückt im amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrag, die beste Garantie gegen eine verstärkte japanische Aufrüstung, die zwangsläufig gegen ein erstarktes China mit (theoretisch) regionalen Vormachtansprüchen gerichtet wäre. Kein asiatischer Staat will ein hochgerüstetes Japan, auch eine japanische Ersatzfunktion anstelle der USA wird energisch abgelehnt. Aber ein Gegengewicht zum Riesen China ist willkommen, auch wenn die chinesische Führung immer wieder -und durchaus glaubhaft -deutlich macht, daß keine regionale Dominanz angestrebt wird. Noch können die USA durch ihre Präsenz ein solches Gegengewicht bilden, teilweise unterstützt durch Japan. Sollte aber ein amerikanischer Präsident aus innenpolitischen Rücksichten einmal die Politik des militärischen Abzugs aus Asien in die Tat umsetzen, wollen die Staaten Südostasiens kein Vakuum entstehen lassen; ein System kollektiver Sicherheit zwischen den ASEAN-Staaten mit einer möglichen Einbindung Japans beginnt sich herauszubilden, Japan könnte dabei durch einen sicherheitspolitischen Dialog mit Vietnam eine Brücken-funktion zwischen den ASEAN-Mitgliedern und den (noch) Nicht-Mitgliedern des indochinesischen Raums wahrnehmen. 6. Philippinen: Konfrontation mit der Vergangenheit als Problem der Gegenwart Bereits beim Eintreffen in Manila wurde Murayama mit den menschlichen „Altlasten“ japanischer Vergangenheit konfrontiert: Philippinische „Trösterinnen“ -Zwangsprostituierte der kaiserlichen japanischen Armee -demonstrierten und verlangten Wiedergutmachung. Darüber hinaus mußte der japanische Regierungschef ein heikles Folgeproblem des japanischen Sextourismus auf die Philippinen sowie der Beschäftigung philippinischer Hostessen in Japan anpacken: das Problem der „Japinos“, d. h. unehelicher Kinder von Japanern. Murayama hatte ein Konzept zur „indirekten Unterstützung“ für diese Kinder aus Beziehungen zwischen Japanern und philippinischen Frauen mitgebracht, darüber hinaus wollte Japan durch Errichtung eines Ausbildungszentrums für Philippinas zur Verbesserung der Berufschancen tätige Reue für die Verbrechen an philippinischen Frauen üben, die von der japanischen Armee in Militärbordelle gezwungen worden waren; Präsident Ramos hatte den Vorschlag für ein solches Berufsbildungszentrum unterbreitet. Die Demonstrantinnen aber verlangten konkrete finanzielle Hilfe (umgerechnet je 200000 US-Dollar) und lehnten das Berufsbildungsprojekt ab
Die Regelung von Unterstützung für die Kinder, die aus flüchtigen Affären japanischer Männer mit philippinischen Frauen stammen, war ein weiteres delikates Problem. Die meisten der „Japinos“ sind in Japan geboren und wurden von ihren Vätern, häufig auch von den Müttern, verlassen. In Japan werden diese Kinder meist nicht als japanische Staatsbürger anerkannt, weil die Geburtsurkunden unvollständig sind; auch auf den Philippinen sind sie sozial benachteiligt. Die philippinische Regierung schätzt die Zahl der „Japinos“ auf mindestens 600. Philippinische private Hilfsorganisationen, so-genannte „NGO“, nennen weit höhere Zahlen, denn sie stützen ihre Schätzungen auf die 261527 Philippinos, die zwischen 1987 und 1992 nach Japan gingen, die weitaus meisten waren Frauen; wenn nur ein Viertel dieser Frauen Beziehungen „mit Folgen“ zu japanischen Männern hatten, läge die Zahl der „Japinos“ bei ca. 60000. Im Jahre 1993 wurden in Japan 430 Geburten von „Japinos“ registriert. Gegenwärtig arbeiten 114000 philippinische Bürger in Japan, die meisten sind Frauen in der Vergnügungsszene. Das Problem der „Japinos“ wurde erstmals 1993 bei einem Besuch von Präsident Ramos in Japan aufgegriffen. Die philippinische Regierung wird ab Oktober 1994 eine systematische Erhebung über „Japinos“ durchführen, um dann Hilfsmaßnahmen einzuleiten. Ramos betonte gegenüber Murayama, daß er die „Japinos“ als ein gemeinsames japanisch-philippinisches Problem betrachtet. Aus japanischer Sicht sollten die NGO Hilfe leisten; damit könnte Japan jede direkte und förmliche Verbindung zwischen der Regierung und dem Hilfsprogramm vermeiden und eine direkte Verantwortung der Regierung für das Problem der „Japinos“ verneinen 7. Vietnam: Schlußstrich unter die Vergangenheit -Erwartungen an die Zukunft Der Besuch in Vietnam hatte vielleicht den höchsten symbolischen Stellenwert: Seit 24 Jahren war kein hochrangiger japanischer Politiker mehr in Vietnam gewesen, und noch nie hatte ein japanischer Regierungschef Hanoi besucht; die Regierungen Japans hatten jahrzehntelang getreulich die Boykottpolitik der USA gegenüber Vietnam mit-getragen. Hinter dieser offiziellen Politik aber hatten doch japanische Handelshäuser und einzelne Industrieunternehmen immer wieder versucht, den Handel mit Vietnam auszuweiten. Die veränderte amerikanische Politik gegenüber Vietnam, d. h. die Aufhebung der Embargomaßnahmen, eröffnet jetzt endlich auch der japanischen Wirtschaft die Möglichkeit, sich in großem Maßstab und ganz offiziell in Vietnam zu engagieren
Murayama brachte bei seinem Besuch kräftige staatliche Starthilfen mit: Entwicklungshilfe-Gelder im Wert von umgerechnet einer Milliarde US-Dollar für ein Land, dessen Konsumgütermarkt ohnehin längst von japanischen Erzeugnissen dominiert wird Japan ist der größte Zahler von öffentlicher Wirtschaftshilfe an Vietnam, und 27 Prozent des vietnamesischen Außenhandels werden mit Japan abgewickelt. Japanische Unternehmen, besonders die Energieerzeuger, nehmen 70 Prozent des vietnamesischen Rohöls ab; Meeres-früchte und Bekleidung sind weitere Exportartikel, die in Japan einen wachsenden Markt finden. Bei Direktinvestitionen aber halten japanische Unternehmen sich bisher zurück: Nur fünf Prozent aller ausländischen Direktinvestitionen im Land kommen aus Japan. Damit liegt Japan auf dem siebten Rang, hinter Taiwan, Hongkong und anderen asiatischen Ländern. Längerfristig sehen japanische Unternehmen der verarbeitenden Industrie zwar Chancen in Vietnam (i. e. in „Indochina“ insgesamt), aber gegenwärtig konzentrieren sich die japanischen Investitionen noch auf die Nahrungsmittelverarbeitung und Rohstoff-erschließung (Ölvorkommen), wie so oft sind auch die japanischen Generalhandelshäuser führende Investoren
Japanische Unternehmen sind sich uneins darüber, in welchem Zeitraum Vietnam zu einem lukrativen Markt werden könnte. Besonders die schlecht entwickelte Infrastruktur des Landes wird von japanischen Unternehmen als Hinderungsgrund für ein verstärktes Engagement genannt. Ein gutes Beispiel für die Zurückhaltung, mangelnde Information (aus japanischer Sicht) und daraus folgende Blockade von Investitionen ist Honda: Der japanische Motorrad-Hersteller kontrolliert 90 Prozent des vietnamesischen Marktes für Motorräder -aber exportiert bis 1994 kein einziges Motorrad nach Vietnam, die Bikes kommen alle aus Dritt-ländern
Das wichtigste Hindernis für größere japanische Aktivitäten in Vietnam aber ist der fehlende bzw. unzureichende staatliche Rahmen, die vertragliche Grundlage des Wirtschaftsaustausches. Bisher gibt es nur ein bilaterales Luftfahrtabkommen, alle anderen handelsrechtlich relevanten Abkommen fehlen noch. Hier sollte die Murayama-Reise zu einem Durchbruch führen.
Nach Auskunft des japanischen Außenministeriums erzielten die Gespräche zwischen Murayama und dem vietnamesischen Ministerpräsidenten Vo Van Kiet die folgenden Ergebnisse: -Japan erklärt sich bereit, im Rahmen seiner Möglichkeiten an der Entwicklung Vietnams mitzuwir-ken. Dazu gehört auch eine Mitgliedschaft Vietnams in der ASEAN, die von Japan begrüßt wird. -Auf der Ebene der Vizeminister (Staatssekretäre) soll ein regelmäßiger politischer Dialog eingeleitet werden; Japan mißt dem kontinuierlichen Dialog mit Vietnam zentrale Bedeutung für die Südostasien-Politik zu. -Japan sieht zahlreiche Probleme bei der Umstellung auf die Marktwirtschaft, aber die japanische Regierung wird bei dieser sogenannten „doi moi“ -Politik (Umgestaltung) tatkräftig mitarbeiten. Zur Prüfung von Projekten, die mit japanischen ODA finanziert werden könnten, soll im Oktober 1994 eine hochrangige Delegation nach Vietnam reisen. -Vietnam erklärt sich bereit, in dem von Japan vorgeschlagenen „Allgemeinen indochinesischen Entwicklungsfonds“ (Indoshina sogo kaihatsu foram) konstruktiv mitzuarbeiten. Der Regierungschef räumte Probleme für japanische Unternehmen in Vietnam ein, forderte aber trotzdem mehr japanische Direktinvestitionen. -Der Besuch des japanischen Ministerpräsidenten wird von vietnamesischer Seite als ein wichtiger Schritt für den weiteren Ausbau der freundschaftlichen Beziehungen bewertet, er trage auch zum Frieden und zur Stabilität im pazifischen Raum bei. Vietnam wolle die Entwicklungsrückstände gegenüber den Nachbarstaaten so schnell wie möglich ausgleichen, dazu zähle man auf japanische Hilfe. -Die Worte der Reue über japanisches Unrecht, die Murayama gefunden hat, rechnet man ihm in Vietnam hoch an. In den Worten Kiets will man aber „den Fächer der Vergangenheit zuklappen und gemeinsam die Zukunft bauen“ 8. Malaysia und Singapur: Eine „zukunftsorientierte Partnerschaft“ hat schon begonnen -die Vergangenheit ist kein Tagesproblem Beim Zusammentreffen Murayamas mit malaysischen und singapurischen Politikern spielte die Vergangenheit keine Rolle mehr; die zukünftigen Probleme schoben sich vor die Erinnerung an vergangene japanische Untaten Malaysias Ministerpräsident Mahathir forderte Japan auf, nicht ständig die Last der Vergangenheit mit sich herum-zutragen und nach Formen der Entschuldigung und Wiedergutmachung zu suchen, sondern entschlossen eine neue starke internationale Rolle anzustreben Für den Malayen Mahathir ist ein solcher Schlußstrich sicher leichter zu ziehen als für die chinesisch-stämmigen Bürger Malaysias oder Singapurs, die die Hauptopfer der japanischen Aggression waren; ebenso fällt es natürlich der jüngeren Generation leichter, die Vergangenheit abzuschütteln, als den Älteren
Murayama ging auf die Äußerungen des malaysischen Regierungschefs nicht ein, ebensowenig kommentierte er die Forderung Mahathirs, Japan müsse bereit sein, im Rahmen von UN-Operationen auch militärische Aktionen zu übernehmen; besonders diese Forderung mußte den Sozialisten Murayama treffen, denn gerade seine Partei hat noch Schwierigkeiten mit Auslandseinsätzen der japanischen Armee. Mahathirs Aufforderung, sich um einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat zu bewerben, mußte Murayama vor allem unter diesem Aspekt sehen, daher antwortete er ausweichend
In Singapur machte Murayama eine Geste, die im Stadtstaat große Beachtung fand: Als erster japanischer Regierungschef legte er am Mahnmal für die zivilen singapurischen (i. e. chinesischen) Opfer der japanischen Besetzung während des Pazifischen Krieges einen Kranz nieder und verharrte in einer Schweigeminute. Singapurs Außenminister Jayakumar unterstrich die große Bedeutung, die seine Regierung dieser Geste beimaß; auch der Präsident der „Singapore Chinese Chamber of Commerce“ betonte, die chinesischen Opfer der japanischen Aggression sähen darin einen „guten Anfang“, er hoffe, auch spätere japanische Ministerpräsidenten werden Murayamas Beispiel folgen Es gelang Murayama nicht, die „endlosen Entschuldigungsreisen japanischer Regierungschefs“ (Nikkei Weekly) ein für allemal abzuschließen.
Die Ergebnisse der Reise sind gerade wegen der Auseinandersetzung mit den Schatten der Vergangenheit in den Erwartungen an die japanische Politik zu suchen: -Durch Murayamas Reise hat sich Japan erneut als führendes Mitglied einer selbstbewußten asiatischen Staatengemeinschaft bekannt. Die Staaten Südostasiens erwarten von Japan eine Vermittlerrolle bzw. die Vertretung ihrer Interessen in den USA und in Europa; als ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat soll Japan in vollem Umfang die Aufgaben eines starken UN-Mitglieds wahrnehmen. -Japan steht zu den Belastungen aus der Vergangenheit und wird daran arbeiten, das noch vorhandene Mißtrauen abzubauen. Die Versicherungen, nie wieder eine militärische Großmacht werden zu wollen, sind immer wieder von neuem nötig, um Befürchtungen zu beseitigen; aber auch konsequentes Handeln wird von Japan erwartet, dieses Ergebnis brachte Murayama ebenfalls als Erkenntnis mit. Politiker wie Mahathir können Japan nicht von der Verantwortung für die Vergangenheit freisprechen
II. Die Asienpolitik vor neuen Herausforderungen: ^ Japan als regionale Ordnungsmacht?
1. „Umfassende Sicherheitspolitik“: Keine militärischen Optionen Japans Der Zusammenbruch des sowjetisch-osteuropäischen Militär-und Wirtschaftsblocks, also des „real existierenden Sozialismus“ mit seinem Weltherrschaftsanspruch, hat auf den ersten Blick zu einer -zumindest militärisch gesehen -„uni-polaren“ Welt geführt: Die USA erscheinen aufgrund ihres Militärpotentials als einzige verbliebene Supermacht, die eine neue Weltordnung nach ihren Vorstellungen formen kann. Dazu haben sie in den vergangenen Jahren verschiedentlich unwidersprochen die UNO instrumentalisiert. Alle Krisen der letzten Jahre aber haben nach Auffassung des Autors eines gezeigt: Sie waren militärisch nicht zu lösen. Neben den machtpolitischen Instrumenten der einzigen Supermacht mußten stets andere Instrumente eingesetzt werden, vor allem die Finanzkraft mittelgroßer Staaten. Die Rede ist von Japan -und Deutschland: Finanzielle Beiträge beider Staaten waren mindestens ebenso entscheidend für Krisenlösungen wie der Einsatz militärischer Mittel. Japan ist (wie Deutschland) mit der Forderung konfrontiert, bei UN-Einsätzen auch die militärische Option zu akzeptieren: Die Bereitschaft zu Kampfeinsätzen im UN-Auftrag für friedensschaffende Maßnahmen wird erwartet. Das Land wird sich dieser Erwartung beugen müssen, denn es will letztlich eine Stärkung der Weltorganisation auch als exekutives Organ, um echte Multilateralität in internationalen Beziehungen herzustellen. Japan hat sich bei dieser Politik allmählich, aber unaufhaltsam zum Sprecher der pazifisch-asiatischen Staaten entwickelt -um so mehr, als zunehmend eine Wertedebatte zwischen „dem Westen“ und den Staaten Asiens geführt wird
Sicherheitspolitik entscheidet sich für Japan vor allem im Pazifik und erst in zweiter Linie in anderen Weltregionen. Deshalb mußte sich eine Struktur „stabiler Asymmetrie“ herausbilden, in der Japan aus sicherheitspolitischen Interessen zwei ungleiche, aber feste Beziehungsgeflechte zu den USA und China entwickelte, während die Kontakte zur Sowjetunion bzw. heute Rußland kühl blieben. Daneben aber setzte sich in Japan die Erkenntnis durch, daß politische und soziale Stabilität in Südostasien (ASEAN und Indochina) sowie in Südkorea von lebenswichtiger Bedeutung sind. Rohstoffversorgung, Marktsicherung und ungehinderte Durchfahrt durch die Straßen von Malacca, Singapur, Lombok o. a. sind strategische Interessen Japans in der ASEAN; aus demselben Grund war Japan an einer grundsätzlichen Lösung der Kambodscha-Frage interessiert. Gleiches galt und gilt natürlich in besonderem Maße auch für mögliche Konflikte auf der koreanischen Halbinsel -und letztlich für alle Konfliktgebiete auf der Welt.
In allen diesen Regionen kann (und will) Japan militärisch keinen Einfluß geltend machen, sondern seine Sicherheitsinteressen auf anderem Wege wahrnehmen. Die Alternative ist das Konzept der „umfassenden Sicherheitspolitik“, die sich vielleicht am besten am Beispiel japanischer Politik gegenüber China verdeutlichen läßt -in ihrer positiven wie auch in ihrer latent negativen Konsequenz.
In dem System „stabiler Asymmetrie“, das Japans transpazifische Beziehungen kennzeichnet, kommt in sicherheitspolitischer Hinsicht den Kontakten zur /R China zentrale Bedeutung zu. Die gezielte, langfristige Bearbeitung des chinesischen Marktes durch japanische Unternehmen wurde stets seitens der japanischen Außenpolitik in Richtung Bejing unterstützt; schon in einer Zeit, als Tokyo noch keine diplomatischen Beziehungen zur VR China unterhielt, waren es die „Diplomaten aus Direktionsetagen“, die über den sogenannten „Freundschaftshandel“ oder später den „MemorandumHandel“ (Warenaustausch auf der Basis privater „Memoranden“) die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vorbereiteten. Die strategische Wirtschaftshilfe Japans konzentriert sich ebenfalls aus sicherheitspolitischem Interesse auf China; Japan war mit insgesamt 12, 9 Milliarden US-Dollar Finanzhilfe -größtenteils „weiche“ Kredite im Rahmen der japanischen öffentlichen Entwicklungshilfe -der mit Abstand größte Kreditgeber Chinas, auch hier sind unumkehrbare Abhängigkeiten entstanden
Die Wirtschaftsbeziehungen Japans zu China haben also inzwischen den von Tokyo gewünschten Grad gegenseitiger Abhängigkeit erreicht, aber gerade diese Entwicklung stößt zunehmend auf chinesische Kritik: Ein selbstbewußter Staat wie China kann das ständig wachsende Handelsbilanzdefizit nicht widerspruchslos hinnehmen, auch wird die mangelnde japanische Bereitschaft zu umfangreichen Direktinvestitionen kritisiert. Die chinesische Regierung versucht -bisher ohne erkennbaren Erfolg -Druck auf Japan auszuüben, wirkungsvolle Maßnahmen zum Abbau dieses Defizits zu ergreifen und endlich auch über verstärkte Direktinvestitionen echten Technologietransfer zu betreiben.
Das Abhängigkeitsgeflecht, das Japan mit China aufgebaut hat, führt aus chinesischer Sicht zu einseitigen japanischen Vorteilen. Zwar hat es Japan zu größerer wirtschaftlicher Sicherheit verhelfen, aber es hat -trotz zahlloser gegenseitiger Beteuerungen und trotz eines „Friedens-und Freundschaftsvertrages“ von 1978 -nicht zu einer echten „Freundschaft“ mit China geführt. Also ist Japan eine „Nation ohne Freunde“, wie Helmut Schmidt es formulierte? Keine schlüssige Folgerung, denn Japan demonstriert gegenüber China nur die Gültigkeit der Einsicht de Gaulles, daß „Staaten keine Freunde haben, nur Interessen“. Dennoch zeigt sich letztlich in dem jetzigen Verhältnis zwischen Japan und China auch die ganze Effizienz des japanischen Konzepts „außenwirtschaftlicher, also umfassender Sicherheitspolitik“: China ist nicht (mehr) in der Lage, konsequent auf Japan wirtschaftlichen Druck auszuüben, denn dazu ist die chinesische Abhängigkeit von japanischer Kapitalhilfe und Zulieferung von dringend benötigter Technologie (ohne echten Technologie-Transfer!) inzwischen zu groß geworden.
Im Interesse Chinas liegt auch die Normalisierung der Beziehungen zu Rußland als wichtigstem Nachfolgestaat der Sowjetunion auf zwischenstaatlicher Ebene -eine neue Gemeinsamkeit zwischen diesen beiden Staaten ist eine Angstvision Japans. Rußland hat mit jüngsten Vorstößen in Richtung China seinerseits Isolationsängste in Japan ausgelöst, nachdem die japanische Politik über so viele Jahre die Beziehungen zum nördlichen Nachbarn unterkühlt gehalten hatte. Rußland erörterte mit China inzwischen Tabu-Probleme, während es gegenüber Japan keinerlei Nachgiebigkeit in der Kurilen-Frage zeigt: Es ist nicht zu erwarten, daß dieses Problem in absehbarer Zeit im japanischen Sinne durch ein Einlenken Rußlands -also Rückgabe der Inseln -gelöst werden könnte. Die japanische Strategie der außenwirtschaftlichen „Einbindung“ eines latent bedrohlichen Nachbarn hat gegenüber der Sowjetunion bzw. heute Rußland bisher versagt. Gegenüber der früheren Sowjetunion wurde statt dessen die militärische Komponente der Sicherheitspolitik, gestützt auf das Bündnis mit den USA, betont. Natürlich trug auch die Sowjetunion Schuld an dieser Entwicklung: Die außenwirtschaftsorientierte Sicherheitspolitik muß eben auch wirtschaftliche Vorteile bringen, die aber waren aus japanischer Sicht in einem Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion nicht zu erkennen. Außerdem hat die Sowjetunion in früheren Jahren alles getan, um in Japan das überkommene Feindbild lebendig zu halten: Unverständliche militärische Drohgebärden (Flotten-demonstration, Ausbau der Militärpräsenz auf den Kurilen usw.) erleichtern es japanischen Falken, immer neue Steigerungen des Rüstungshaushalts zu rechtfertigen; amerikanischer Druck wäre hier gar nicht vonnöten.
Vergleichbar mit der deutschen Position in der Europäischen Gemeinschaft und in der NATO bzw. auch der KSZE wird zukünftig mit einer dynamischen Rolle Japans als zweite regionale Ordnungsmacht im pazifischen Raum zu rechnen sein. Ohne die amerikanische Militärpräsenz in Asien und damit einen entscheidenden Einfluß der USA in Frage zu stellen, muß der überwiegend militärisch begründeten Ordnungsrolle der USA das japanische Steuerungsinstrument wirtschaftlichen Engagements an die Seite gestellt werden; Japan wird so neben den USA zur gleichberechtigen Ordnungsmacht in Asien werden. Japanische Direktinvestitionen und japanische Wirtschaftshilfe sind zur sichersten Garantie für politische Stabilität in Asien geworden. Japan und Deutschland sind vor analoge Aufgaben gestellt: Sie müssen energisch dazu beitragen, daß mächtige Nachbarländer, die sich im politischen Umbruch befinden bzw. wo ein solcher Umbruch zu erwarten ist, stabilisiert werden: Deutschland wird weiter Rußland helfen, Japan muß China berechenbar halten, indem es durch Kooperation die wirtschaftliche Modernisierung vorantreibt, die dann unvermeidlich auch in politische Modernisierung Umschlägen wird, also in Liberalisierung im Inneren. Wie Deutschland den Nachbarn Rußland in das „europäische Haus“ bringen muß, so wird Japan China in eine asiatische Staatengemeinschaft führen müssen; nur so ist ein späterer Hegemonieanspruch Chinas zu vermeiden. In allen Äußerungen chinesischer Politiker wird deutlich, daß China ein militärisch starkes Japan nicht akzeptieren wird. 2. Japans regionale Rolle aus Sicht anderer asiatischer Staaten Zweifel an der amerikanischen Bereitschaft -und Fähigkeit -, die Präsenz in Asien weiterhin, beizubehalten und zu stärken, lösen in Asien die Sorge aus, daß sich Japan und China -nachdem die sowjetische Bedrohung verschwunden ist -in eine Art Wettrüsten hineinsteigern könnten. Ohne wirksame amerikanische Kontrolle über mögliche japanische Rüstungspläne und die nordkoreanischen Kernwaffen-Abenteuer wird hier und dort eine Periode der sicherheitspolitischen Unwägbarkeit erwartet. Abnehmende amerikanische Präsenz könnte vergleichsweise stärkere asiatische Nationen wie Japan und China dazu verleiten, ein solches Vakuum zu füllen, befürchtete z. B.der indonesische Generalstabschef Try Sutrisno. Der General rechnet damit, daß China in den nächsten zehn Jahren zunehmend ökonomischen und militärischen Einfluß in Asien gewinnen wird. Auch singapurische Beobachter gehen davon aus, daß die südostasiatischen Staaten sich auf Hegemonie-ansprüche Japans oder Chinas einstellen müssen. Die größte Gefahr wird dabei von einer möglichen Rivalität zwischen Japan und China ausgelöst, wenn die gegenwärtige Phase bilateraler Kooperation die ökonomische Notwendigkeit verliert. Beide Staaten betrachten die Rüstungsanstrengungen der jeweils anderen Seite mit größtem Mißtrauen, wobei China sich sorgt, daß Japan angesichts einer vermuteten nordkoreanischen Nuklear-Bedrohung ebenfalls nuklear rüsten könnte. Beide Staaten wollen um jeden Preis verhindern, daß der andere Partner einen militärischen Vorteil „herausrüstet“. Ein Vertreter der amerikanischen Rand Corporation verwies auf Schätzungen, wonach China in den vergangenen drei Jahren die Militärausgaben um jeweils zehn Prozent gesteigert hat; militärische Spitzentechnologie wird dabei nach dem Zerfall der Sowjetunion von Rußlanderworben. Die Staaten des Westpazifiks sind sich darüber einig, daß die US-Präsenz in der Region um jeden Preis erhalten werden muß, um ein Gegengewicht zu schaffen.
Der ehemalige singapurische UN-Botschafter und jetzige Direktor des Institute of Policy Studies (Singapur) warnte in einem Beitrag für die „International Herald Tribüne“ vor einer Verschlechterung des Verhältnisses zwischen den USA und Japan; ein Umschwung von Wettbewerb zu Konflikt der beiden wirtschaftlichen Supermächte hätte besonders für Asien verhängnisvolle Konsequenzen: -Würde Japan bei verschlechterten Beziehungen zu den USA sich gezwungen sehen, auf den Schutz durch die US-Nuklearpotentiale zu verzichten und zu einer selbständigen Militärmacht werden, würde diese Entwicklung die gesamte Region destabilisieren. -Andererseits sehen die Nachbarstaaten Japans die Politik der USA, Japan zu weiteren eigenen Rüstungsanstrengungen zu drängen, mit Kritik; Korea, China oder die Philippinen werden Japan nicht als „Polizisten Asiens“ (Tommy Koh) akzeptieren
Aufgabe z. B.der ASEAN-Staaten muß es sein, daran mitzuwirken, die Spannungen zwischen den USA und Japan abzubauen. Japan muß endlich von seiner Zwangsvorstellung Abschied nehmen, ein „armes, bedrohtes Land“ zu sein; das protektionistische Gedankengut, ausgedrückt durch nichttarifäre Handelshemmnisse, muß aufgegeben werden. Die USA ihrerseits müssen ihr Haushalts-defizit abbauen, sie müssen damit aufhören, über ihre Verhältnisse zu leben, die Sparrate erhöhen, Investitionen steigern und die grundlegende Schulausbildung entscheidend verbessern.
Eine Lösung für die insgesamt tendenziell noch instabile Sicherheitslage in Asien wäre die Schaffung einer multilateralen Organisation wie der KSZE in Europa; eine solche Organisation würde die ASEAN-Staaten, Japan, die USA, China, Ruß-land, Indien und andere Länder der Region einschließen. Koh betonte, daß die USA einer KSZE-artigen Organisation in Asien skeptisch gegenüberstünden, aber er hält ihnen vor, daß sie kein anderes sicherheitspolitisches Konzept entwickelt hätten. Gegen Bedenken, daß eine solche Organisation erst ins Leben gerufen werden könne, wenn verschiedene subregionale Konflikte -z. B. auf der koreanischen Halbinsel -gelöst sind, argumentiert Koh, daß die KSZE in Europa vor Ende des Kalten Krieges gegründet worden sei. In Asien könne man bestehende Konsultativorgane wie das jährliche ASEAN-Außenministertreffen mit den Dialogpartnern nutzen, um Schritt für Schritt ein Gesprächsforum zur Sicherheitspolitik aufzubauen.
Die Einschätzung Kohs wird in anderen asiatischen Ländern geteilt. Die wachsenden Ressentiments in den USA über den stetig steigenden japanischen Handelsbilanzüberschuß, der Zerfall der Sowjetunion mit dem Aufstieg Rußlands und zögernde Kompromißbereitschaft in der Kurilenfrage lasse die Bedeutung der strategischen Partnerschaft zwischen Japan und den USA verblassen. Der bilaterale Sicherheitsvertrag hat entscheidend zur Stabilität in Asien beigetragen; das Ende der sowjetischen Bedrohung macht es nach Einschätzung des japanischen Außenministeriums immer schwieriger, in der Öffentlichkeit des Landes die Notwendigkeit dieses Vertrages zu verdeutlichen. Indonesien wie auch Singapur befürchten, daß jetzt die Einschränkungen bei den Rüstungsanstrengungen Japans, die als Folge des Vertrages gelten konnten, zunehmend wegfallen und Japan wieder aufzurüsten beginnt -paradoxerweise auch unter amerikanischem Druck. Amerikanische Truppenpräsenz in Asien ist nötig, damit Japan nicht einem stets vorhandenen Verwundbarkeitsdenken unterliegt, z. B. beim Schutz seiner Seerouten. Ohne amerikanische Präsenz wären etwa japanische Tanker ungeschützt -Japan könnte seine Flottenstärke ausbauen und damit wiederum bei anderen pazifisch-asiatischen Staaten neue Bedrohungsgefühle auslösen. In Malaysia, Indonesien und Singapur vertreten Politiker die Auffassung, daß der amerikanisch-japanische Sicherheitsvertrag nach Ende des Kalten Krieges dazu dienen muß, im pazifischen Raum ein „Klima der Nicht-Bedrohung“ zu sichern.
Anläßlich des 15. Jahrestages der Unterzeichnung des Friedens-und Freundschaftsvertrages zwischen Japan und China (1978) zog der chinesische Staatspräsident Jiang Zemin eine deutlich positive Bilanz der bilateralen Beziehungen: Auf der Basis anerkannter Gleichberechtigung (stets ein chinesisches Anliegen gegenüber Japan) und zu gegenseitigem Nutzen habe die Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten große Fortschritte gemacht. Die Beziehungen treten nach Jiangs Auffassung jetzt „in eine neue Phase“: Gutnachbarliche, freundschaftliche Beziehungen zwischen China und Japan seien nicht nur im Interesse beider Völker, sondern bildeten die Grundlage für Frieden, Stabilität und Entwicklung in der asiatisch-pazifischen Region
Manfred Pohl, Dr. phil., geb. 1943; Studium der Japanologie, Sinologie, Politikwissenschaft und Geschichte in Hamburg; seit 1975 Japan-Referent am Institut für Asienkunde, Hamburg; seit 1991 dort Leiter der Japan-Abteilung; seit 1994 o. Professor für Politik, Staat, Gesellschaft Japans an der Universität Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Japan -Politik und Wirtschaft, Hamburg 1976 ff.; Presse und Politik in Japan, Hamburg 1981; (Hrsg.) Japan, Stuttgart 1986; (Hrsg. zus. mit Hans Jürgen Mayer) Länderbericht Japan, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1994.
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